So ist das Leben... Das goldene Reiskorn Ich ging als Bettler von Tür zu Tür die Dorfstraße entlang. Da erschien in der Ferne dein goldener Wagen wie ein schimmernder Traum, und ich fragte mich, wer dieser König der Könige sei. Hoffnung stieg in mir auf: die schlimmen Tage schienen vorüber; ich erwartete Almosen, die geboten wurden, ohne dass man um sie bat, und Reiskörner, die in den Sand gestreut wurden. Der Wagen hielt an, wo ich stand. Dein Blick fiel auf mich, und mit einem Lächeln stiegest du aus. Endlich fühlte ich mein Lebensglück kommen. Dann strecktest du plötzlich die rechte Hand aus und sagtest: »Was hast du mir zu schenken?« Welch königlicher Scherz war das, bei einem Bettler zu betteln! Ich war verlegen, stand unentschlossen da, nahm schließlich aus meinem Beutel ein winziges Reiskorn und gab es dir. Doch wie groß war mein Erstaunen, als ich am Abend meinen Beutel umdrehte und zwischen dem wertlosen Plunder das kleine Korn wiederfand - zu Gold verwandelt. Da habe ich bitterlich geweint, und es tat mir leid, dass ich nicht den Mut gefunden hatte, dir mein Alles zu geben. Rabindranath Tagore ° Der indische Dichter Rabindranath Tagore hat uns diese Geschichte erzählt. Zu allen Zeiten haben die Menschen in allen Völkern und Religionen darüber nachgedacht, wie arme Menschen reich und glücklich werden können. Lebenserfahrung und Phantasie haben eine Fülle von Möglichkeiten erschlossen, um dieses Ziel zu erreichen. Unterschiedlichste Wege wurden gefunden: von der Gewaltanwendung bis zur Selbsthingabe. ° Zu allen Zeiten haben die Menschen darüber gestritten, welches der erfolgreichste Weg zum Reichtum ist. Vielleicht haben sie dabei nicht bedacht, dass der erfolgreichste Weg nicht immer der richtige sein muss. Erfolg ist nicht in jedem Fall eine Bestätigung der Wahrheit. ° Armut als Tugend verlangt nicht Besitzlosigkeit, weil Reichtum und Besitz für die Beseitigung vieler Nöte wichtig sind. Armut ist vor allem eine 18 Gesinnung. Wer arm ist, der weiß, dass ein anderer ihm zum Leben verhilft und eine Hand ihn führt. Wer arm ist, erwartet alles von Gott. ° Wenn ein Armer einem Reichen, ein Bettler einem König begegnet, werden höchste Erwartungen geweckt, endlich dem Elend zu entrinnen. Traumhaft sind die Wünsche: Almosen, um die man nicht einmal bitten muss; Reichtum in einer Fülle, dass man ihn sogar in den Sand schütten kann, ohne um das Wiederfinden bangen zu müssen. Der gütige, lächelnde Blick des Königs verstärkt noch diese Erwartung. ° Die Überraschung ist perfekt, als der Reiche den Armen anbettelt. Ist das Ausbeutung, Ironie, Schikane oder Prüfung? Wer könnte in einem solchen Augenblick die Gedanken des Königs erraten? Für den Bettler bieten sich zwei extreme Ergebnisse an: entweder das totale Lebensglück oder der Stoß in noch tieferes Elend. Der Bettler scheint die schreckliche Alternative zu ahnen. ° Er entscheidet sich vorsichtig und halbherzig; er setzt auf Sicherheit: Das kleine Reiskorn tut ihm nicht weh; aber den König kann er damit zufrieden stellen. Vielleicht wird jetzt der König gnädig gestimmt, so dass seine Reichtümer in den Sand fließen. ° Beim Schenken darf man nicht rechnen. Wer anderen gibt, beschenkt sich selbst am meisten. Nur was gegeben wurde, bleibt Besitz. ° Besonders schmerzhaft ist die spätere Erkenntnis darüber, "welche Chance verpasst wurde. ° Der Ort der Dankbarkeit liegt da, wo das Geben und Helfen keine einklagbare Forderung darstellt, wo einer gibt, ohne verpflichtet zu sein. ° Zum Schenken gehört Mut. Der Erzähler will uns einprägen, dass solcher Mut sich immer auszahlt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. ° Das Schenken darf nicht auf den Geber zurück, es muss auf den Empfänger gerichtet sein. Allein der hochherzige Mensch hat die Größe, beim Geben sich selbst ganz zu vergessen; nur bei ihm wird das Reiskorn zu Gold. ° Heute nimmt das Geben weltweite Dimensionen an. Durch unser Geben können andere überleben. Allerdings haben die Studenten schon recht, die an die Wände in Paris die Worte geschrieben haben: Überleben ist noch kein Leben. ° Der König in der Erzählung könnte Gott sein oder Christus. Vor ihm sind wir bettel-arm. Er ist königlich-reich. Dennoch bettelt er uns an: »Was hast du mir zu schenken?« Eine Stunde Gottesdienst? Fünf Euro für eine Hilfsorganisation? Zwei Minuten am Tag? Ein Krankenbesuch pro Jahr? - »Da habe ich geweint, weil ich nicht den Mut hatte, dir mein Alles zu geben.« ° Das Brot vermehrt sich, wenn man es teilt. ° Es bleiben Fragen an uns Reiche: Hat das Geld uns? Ist in einer Zeit des Überflusses wohl noch ein bescheidener Gebrauch der Dinge möglich? Lassen wir uns von Neuanschaffungen hetzen, so dass wir vor lauter Haben- wollen nicht mehr zur Ruhe kommen? Leben wir in dem Bewusstsein, dass mein Nächster nicht derjenige ist, den ich am meisten liebe, sondern der mich am meisten nötig hat? Aus der Bibel: Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Matthäus 25,37-40 Gebet Herr Jesus Christus, du hältst es nicht für unter deiner Würde, dem ärmsten Wurm der Erde Nahrung und Wasser und Licht zu geben. Du hast dich sogar den Menschen ausgeliefert, sie dadurch aus ihrem Elend befreit und die ganze Welt neu gemacht. Wir aber haben kleinliche Krämerseelen: wir rechnen beim Schenken, wir wollen empfangen, ohne zu geben, wir denken an uns und nicht an die anderen. Nimm uns unsere Halbherzigkeit und schenke uns Großmut. Lass uns erkennen, dass nur diejenigen, die glücklich machen auch glücklich werden und die viel geben auch viel bekommen Amen. Vom Geben und Nehmen „Das eigennützige Leben gleicht dem Korn, das gegessen wird; es verschwindet, aber es vermehrt sich nicht. Ein Mensch mag dauernd für sich schaffen und sammeln; er mag für sich planen und denken - sein Leben wird vergehen und wird ihm nichts gebracht haben. Das Gesetz des Sich-selbst-dienens ist im geistlichen Leben das Gesetz der Selbstvernichtung... Nur die ausgestreute Saat - die aufs neue der Erde anvertraut wird - bringt Frucht. Auf diese Weise wird die Ernte ständig vervielfältigt. So bringt auch Christi Tod Frucht zum ewigen Leben. Das Korn, das sein eigenes Leben behält, kann keine Frucht bringen. Nur durch die Dahingabe seines Lebens konnte Christus der Menschheit Leben schenken. Nur dadurch, dass er in die Erde sank und starb, konnte er der Same jener reichen Ernte werden, die aus allen Völkern und Sprachen für Gott erkauft wird. Gott kennt keine sozialen Unterschiede. Er verachtet menschliche Rangordnungen; denn vor ihm sind alle Menschen gleich. Er hat gemacht, dass von Einem aller Menschen Geschlechter stammen, die auf Erden wohnen, und hat bestimmt, wie lange und wie weit sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollten, ob sie ihn wohl fühlen und finden möchten. Und Gott ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns. Ohne Unterschied des Alters, des Standes, der Nationalität oder religiöser Vorrechte sind alle eingeladen, zu ihm zu kommen und zu leben. Apostelgeschichte 17, 26.27 Wer an IHN glaubt, der wird nicht untergehen. Römer 9, 33 Es hat darum nichts mehr zu sagen, ob einer ein Jude ist oder Nichtjude, ob er Sklave ist oder frei, ob Mann oder Frau. Durch eure Verbindung mit Christus seid ihr alle zu einem Menschen geworden. Galater 3,28 Der Reiche und der Arme leben nebeneinander, alle beide hat Gott geschaffen. Sprüche 22,2 ...Beide haben denselben Herrn. Er beschenkt alle reich, die sich zu ihm bekennen. In der Hl. Schrift heißt es ja auch: Wer sich zum Herrn bekennt, der wird gerettet. Römer 10,12.13“ Aus: Der Eine, Seite 364 + 224 _________________________________________ Arbeitskreis aktiver Christen Heiligenberg 10 58540 Meinerzhagen