Ich geh - Polyfilm

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Ich geh’
Je rentre
nach Hause
à la maison
Ein Film von
Manoel de Oliveira
Inhalt
Gilbert Valence (Michel Piccoli) ist Theaterschauspieler. Dank seines Talents und seiner langen
Karriere hat er Rollen gespielt, von denen jeder Schauspieler träumt. Nach einer bejubelten
Theateraufführung wird er eines Abends von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Sein
Agent und alter Freund George (Antoine Chappey) teilt ihm mit, dass seine Frau, seine Tochter
und sein Schwiegersohn bei einem Autounfall getötet wurden.
Die Zeit vergeht und das Leben kehrt zum Alltag zurück. Gilbert Valence teilt seine Zeit
zwischen seinem Enkel Serge (Jean Koeltgen), den er liebt und dem Theater, das er nie
aufgegeben hat. Später bietet ihm sein Agent die Hauptrolle in einem Fernsehfilm mit aktuellem
Thema an: Drogen, Sex und Gewalt. Gilbert ist wütent: er hat nicht eine solch beeindruckende
Karriere gemacht, um ein Rolle anzunehmen, die er verabscheut, nur um viel Geld zu verdienen.
Am gleichen Tag schlägt ihm ein amerikanischer Regisseur (John Malkovich) eine Rolle in einer
”Ulysses”-Adaption des berühmten Buches von James Joyce an, ein Angebot, das Gilbert mit
Freude annimmt.
Im Studio stehen Beleuchtung und Dekor bereit und der Regisseur möchte mit Gilbert proben.
Doch Gilbert zögert, hat Gedächtnislücken, aber nichts ernstes: sie werden morgen
weitermachen. Am nächsten Tag jedoch fühlt Gilbert wie ihm die Welt aus den Händen gleitet
und wie ihm die Worte fehlen. Er kann sich nicht mehr an seinen Text erinnern. Ruhig meint er:
”Ich geh’ nach Hause...”
Besetzung
Michel Piccoli
Catherine Deneuve
John Malkovich
Antoine Chappey
Leonor Baldaque
Leonor Silveira
Ricardo Trepa
Jean-Michel Arnold
Adrien de Van
Sylvie Testud
Andrew Wale
Robert Dauney
Jean Koeltgen
Isabel Ruth
Gilbert Valence
Marguerite
Regisseur
George
Sylvia
Marie
Der Wächter
Arzt
Ferdinand
Ariel
Stephen
Haines
Serge
Milchmädchen
Stabliste
Regie, Buch und Dialoge
Literaturberatung
Kamera
Schnitt
Ton
Mischung
Ausstattung
Kostüme
Regieassistenz
Skript
Produktionsleitung
Eine Koproduktion von
mit Unterstützung von
Produzent
Ausschnitte aus
Manoel de Oliveira
Jacques Parsi
Sabine Lancelin
Valerie Loiseleux
Henri Maikof
Jean-François Auger
Yves Fournier
Isabel Branco
Zé Maria Vaz da Silva
Julia Buisel
Philippe Rey
Madragoa Filmes (Portugal)
Gemini Films (Frankreich)
France2 Cinema
Centre National de la Cinematographie
Canal +
ICAM - Instituto do Cinema, Audiovisual e Multimedia
RTP - Radiotelevisão Portuguesa
Paulo Branco
”Le Roi se Meurt” von Eugéne Ionesco
”Ulysses” von James Joyce
”The Tempest” von William Shakespeare
Portugal/Frankreich 2001, 35mm, OmU, Farbe, 1:1,66, Dolby SR, 86 Min.
Pressebetreuung
Filmpresse Gisela Meuser
Egenolffstrasse 13 H
60316 Frankfurt
Tel.: 069-40 58 04-0
Fax: 069-40 58 04 13
[email protected]
Verleih
Arsenal Filmverleih
Postfach 21 05 63
72028 Tübingen
Tel.: 0 70 71-92 96 0
Fax: 0 70 71-92 96 11
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Manoel de Oliveira im Interview mit Jacques Parsi
Jacques Parsi: In der Art, wie sie Paris gefilmt haben, entstehen zwei Bilder: eines ist das Paris
der Lichter, der Cafés, der teuren Geschäfte und das andere ist das Paris der Nacht, dunkel
und bedrohlich. Warum haben Sie diese Wahl getroffen? Warum Paris?
Manoel de Oliveira: Um ihre zwei Fragen zu beantworten würde ich sagen, dass das erste Bild
eine Skizze des heutigen Stadtlebens ist, wohingegen das zweite Bild das universale
Zentrum der westlichen Kultur zeigt, das Paris ja ist. Teil der Globalisierung ist dieses
Leuchten, diese Belohnung, aber dann ist da noch die andere Seite der dunklen, drohenden
Nächte, wie sie sie nennen, mit ihren Drogen, ihren ethnischen, religiösen und politischen
Konflikten, die weit verbreitet sind: in Osteuropa, im Mittleren Osten, in Afrika, Indonesien,
ohne das zu erwähnen, was in Asien passiert oder mit den Indios in den Amerikas.
Parsi: Man bekommt den Eindruck, dass der alte und berühmte Gilbert Valence eine negative
Persönlichkeit ist: Er lehnt Sylvia ab, schlägt ein glänzendes Angebot aus... Rührt sein
Verhalten aus seiner Erfahrung? Oder seinem Alter? Oder sind es seine moralischen
Vorstellungen als er seinem Agenten gegenübersteht?
de Oliveira: Ich denke, sein Verhalten ist das Ergebnis seiner Weisheit, die ihm das Alter
gegeben hat. Ich glaube auch nicht, dass Moralvorstellungen jemals negativ waren. Aus
ihnen kommen Gebote wie “Du darfst nicht töten, stehlen, ausbeuten, diskriminieren, etc...”
Das ist die Moral, wie sie auf dem Sockel der Bronzestatue der Place de la République
geschrieben steht, die man sieht, wenn man den Rücken betrachtet: ”Liberté, Egalité,
Fraternité”.
Parsi: Gilbert möchte in dem Fernsehfilm nicht mitspielen, wegen der ‘Sex -und Gewaltszenen’.
Jedoch gibt es viele große Werke, die Gewalt enthalten. Und Joyces Roman ”Ulysses” war
jahrelang aufgrund seiner pornographischen Elemente verboten. Was erklärt Ihrer Meinung
nach Gilbert Valences Einstellung zur Welt von heute?
de Oliveira: Genau. Er respektiert die Moral, die der Charakter selbst ausdrückt. Egal ob als
Schauspieler oder als Mann. Er glaubt wahrscheinlich, dass Ethik fundamental ist für
menschliche Beziehungen. Aber ich sehe nicht, wo die großen Werke sein sollen, die sich
auf Pornographie beschränken. Sex, diese Quelle jeglicher Pornographie ist ein entsetzliches
Ding und dieser Abgrund pervertiert und reizt die tierischen Instinkte des Menschen. Dies
entmenschlicht den Menschen. Ich sage die tierischen Instinkte des Menschen, da in Tieren
keine Pornographie oder Scham existiert. Wohingegen die Exzesse der Pornographie den
Menschen pervertieren und ihn zu einer Art Attentäter werden lassen, dessen Attraktivität
ähnlich sein oder gar verwechselt werden mag mit dieser anderen Art von Abgrund. Pornos
und Attentate stehen ausserhalb der Gesetze, jenseits der Kontrolle, jenseits der Bindungen
durch die Moral. Sie entstehen aus den Beschränkungen der menschlichen Natur und werden
absolut in sich selbst. ”Ulysses” von James Joyce hat Wert aus sich selbst heraus, nicht
aufgrund der pornographischen Anspielungen, die nicht notwendig für den Inhalt sind, wie
es auch nicht die psychologischen Definitionen sind, die er von einigen seiner Charaktere
gibt. In beiden Fällen jedoch sind sie nicht viel mehr als Übungen sexueller Verführung. Im
zweiten Fall sind sie niemals das, was der Autor von seinen Charakteren dachte, oder was er
wollte, das wir dächten. Um zum ersten zurückzukehren, so könnte dies das überwältigende
Bedürfnis des Erzählers selbst sein, seine Libido zu vertreiben. Hier können wir die Gründe
für den persönlichen Drang des Autors finden, aus dem Kontext auszubrechen, Gründe, die
ebenso für ”Ich geh‘ nach Hause” gelten wie für ”Ulysses” von Joyce.
Was wir in der heutigen schnellen und ”modernen” Literatur vieler opportunistischer
Autoren finden, ist Gewalt und Pornographie um ihrer selbst willen, als Stilmittel in
einfallslosen Werken zu nutzen. Absicht ist, ”modern” zu sein und sich gut zu verkaufen –
was nichts mit dem zu tun hat, was Joyce geschrieben hat. Bei ihm verschieben sich die
öffentlichen Dinge hin zum Privaten und sehr Intimen, ohne dass sie sich vermischen
würden. Wohingegen im Fall des Kinos ein respektloser ebenso aggressiver wie genialer
Regisseur – ich spreche von Buñuel – niemals den Sexualakt oder pornographische Szenen
zeigte. Belange von intimer Natur, die andere, hemmungslosere Regisseure in ihrer Suche
nach Publikum öffentlich machten, wie es insbesondere im Fernsehen der Fall ist. Die
Gewalt in Buñuels Filmen jedoch ist viel kraftvoller, da Buñuel, so seltsam es auch scheinen
mag, im Grunde ein schüchterner Mann war. Und seine Filme deuten mehr an als sie zeigen
und diese Andeutungen sind oft, wenn nicht sogar stets, kraftvoller als die Handlung selber,
was auch immer sie sein mag.
Die Griechen hielten sich in ihren großen Tragödien zurück, Szenen abscheulicher
Handlungen zu zeigen. “Töte dieses Kind, aber nicht auf der Bühne”, sagten sie. Jedenfalls,
das öffentlich zu zeigen, was in der Privatheit getan werden sollte, ist immer Zeichen für
einen Mangel von Anstand. Heute jedoch sind die Barrieren heruntergerissen und Anstand
gilt als veraltet. Das Publikum ist durch nichts zu schockieren – “anything goes”.
Parsi: Am Ende bleibt die Kamera nicht bei Gilbert, der verschwindet, sondern bei seinem
Enkel, der bis dahin nur eine weniger wichtige Rolle spielte. Warum fokussierten Sie auf
einmal auf ihn?
de Oliveira: Weil der Enkel bis dahin nebensächlich war. Aber Kinder haben einen sechsten Sinn
und sind empfindsam für das Desaster. Er sieht in seinem Großvater ein Modell, das die
große Weisheit und Stabiliät der Vergangenheit symbolisiert, aber vor seinen Augen
zusammenbrach; eine Tragödie, die bewußt oder unbewußt, das Kind auf sich selbst
überträgt. Es war nicht nur Zuneigung, die ihn dort zum Zeugen des Zusammenbruchs
werden ließ, sondern die Vorahnung, dass die Verantwortung für das Leben nun auf ihn
fallen wird, in der selben Weise, wie sein Großvater das Ende der Leiter erreicht hatte und
dort besiegt und geschlagen verschwand.
Ist das Leben nicht stes die Weitergabe des Stabs, sei es natürlich oder erlernt, gestohlen
oder gewonnen?
Manoel de Oliveira über seinen Film
Ich geh nach Hause ist beinahe eine NICHT-Geschichte, so simpel ist das, was der Titel
nahelegt. Der Film spielt im ”märchenhaften” Paris am Anfang des Jahres 2000. Die Stadt der
Lichter, Zentrum unserer komplexen westlichen Zivilisation, wo das Oberflächliche Vorrang
über das Wesentliche zu gewinnen scheint. Es ist wie ein Spiel, das unschuldige oder verzogene
Kinder spielen, in dessen Folge in der Welt von morgen ein pathetisches und unerwartetes
sozioökologisches Werden steht, in der ”Ich geh nach Hause” seine Bedeutung verloren hat. Aber
nein, dies ist nicht die Geschichte. Obwohl die Handlung des Films fast zweigeteilt ist zwischen
der Stadt und den Theaterstücken, so sollten wir doch den Film als Ganzes sehen. Es ist gewiss,
dass wir es mit einem persönlichen Drama zu tun haben, das ein berühmter alter Schauspieler
erlebt, der das unschuldige Opfer eines unerwarteten Verrates wurde. Die ursprüngliche Idee mag
übertrieben oder gar unpassend erscheinen, aber in Wahrheit muss ich zugeben, dass es genau das
war, was mich gedrängt hat, solch eine einfache Geschichte zu schreiben.
Manoel de Oliveira
geboren 1908 in Porto, Portugal
Filmogaphie/Auswahl
1942
1981
1985
1988
1990
1991
1993
1994
1995
1997
1999
2001
Aniki-Bóbó
Francisca
O Sapato de cetim / Der seidene Schuh
Os Canibais / Die Kannibalen
Non ou a vã glória de mandar / Non oder Der vergängliche Ruhm der Herrschaft
Cannes: besondere Ehrung der Jury, FIPRESCI-Preis
La Divine Comedie
Venedig: Großer Preis der Jury
Vale Abraão / Am Ufer des Flusses
La Caixa / Die Büchse des Bettlers
O Convento / Das Kloster
Viagem ao princípio do mundo / Reise an den Anfang der Welt
FIPRESCI-Preis
A carta /The Letter,
Cannes: Preis der Jury
Je rentre à la maison / Ich geh‘ nach Hause
Michel Piccoli
Filmographie/Auswahl
1969
1970
1972
1973
1974
1978
1979
1986
1994
1998
2000
2001
Topaz, Regie: Alfred Hitchcock
Les choses de la vie / Die Dinge des Lebens, Regie: Claude Sautet
Themroc, Regie: Claude Faraldo
La grande bouffe / Das große Fressen, Regie: Marco Ferreri
Vincent, François, Paul And The Others / Vincent, François,
Paul und die anderen, Regie: Claude Sautet
L’etat sauvage, Regie: Francis Girod
Atlantic City, Regie: Louis Malle
Mauvais Sang / Die Nacht ist jung, Regie: Léos Carax
Les cent et une nuits / 101 Nacht, Regie: Agnès Varda
Genealogies of a Crime / Genealogien eines Verbrechens,
Regie: Raould Ruiz
Paris-Timbuktu, Regie: Luis Garcia Berlanga
Je rentre à la maison / Ich geh’ nach Hause, Regie: Manoel de Oliviera
Antoine Chappey
Filmographie/Auswahl
1991
1994
1997
1998
Force avec d’autres / Zwangsweise miteinander, Regie: Simon Reggiani
US Go Home, Regie: Claire Denis
Terres Etrangeres - Inca de oro / Rückkehr nach Chile, Regie: Patrick Grandperret
Lili Lili, Regie: Marie Vermillard
Catherine Deneuve
Filmographie/Auswahl
1963
1967
1969
1969
1980
1999
2000
Les Parapluies de Cherbourg / Die Regenschirme von Cherbourg, Regie: Jacques Demy
Les Demoiselles de Rochefort / Die Mädchen von Rochefort, Regie: Jacques Demy
La mia droga si chiama Julie / Das Geheimnis der falschen Braut, Regie: François Truffaut
Tristana, Regie: Luis Buñuel
La Dernier Metro / Die letzte Metro, Regie: François Truffaut
Pola X, Regie: Léos Carax
Dancer In The Dark, Regie: Lars von Trier
John Malkovich
Filmographie/Auswahl
1989
1990
1992
1996
1999
Les Liaisons Dangereuses / Gefährliche Liebschaften, Regie: Stephen Frears
Sheltering Sky / Der Himmel über der Wüste, Regie: Bernardo Bertolucci
Of Mize and Men / Von Mäusen und Menschen, Regie: Gary Sinise
Portrait Of A Lady, Regie: Jane Campion
Being John Malkovich, Regie: Spike Jonze
”Ist es nicht indiskret, über Manoel-den-Geheimen-Oliveira zu schreiben? Über sein immenses
Werk zu schreiben? Vielleicht ein Buch? Und seine Leben, wie ich sie mir vorstelle? So viele, so
brilliant? Geheimnisse, die ich vermute, aber die ich nicht aufdecken würde.
Schaut her, eine starke, energische Autorität. Schelmisch zu jeder Zeit. Mit den Augen eines
Luchses, dem Schritt eines Athleten. Er weiss, wie man den Engel spielt und der Teufel ist.
Gelächter, Scherze: Kräfte von unserer ewigen Kindheit. Ständig auf der Suche, stets ein
Genießer. Ernsthaft, wissend, elegant, jemand, der Licht und Schatten sein kann.
Das Geheimnis und Rätsel Oliveira, ich berühre sie, ich erlebe sie durch seine Anmut.
Seelenverwandt. Die Bilder unserer gemeinsamen leidenschaftlichen Arbeit will ich in mir
bewahren. Ich bin sein äußerst disziplinierter oder äußerst undisziplinierter Mitwisser. Wie man’s
nimmt. Danke Manoel.”
Michel Piccoli
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