Das Gedächtnis Gliederung 1. Das Gedächtnis 2. Zeitliche Klassifikation von Gedächtnissystemen 1. Sensorisches Gedächtnis 2. Kurzzeitgedächtnis 3. Langzeitgedächtnis 3. Inhaltsabhängige Gedächtnisformen 1. Explizites Wissenssysteme 2. Implizite Wissenssysteme 4. Das Langzeitgedächtnis 5. Involvierte Hirnprozesse 6. Das Vergessen 1. Formen des Vergessens 2. Amnesie als Defizit im Langzeitgedächtnis 7. Verzerrung von Erinnerungen 8. Einfluss von Schlaf auf das Gedächtnis 1. Das Gedächtnis Unter Gedächtnis versteht man die Fähigkeit des Nervensystems von Lebewesen, aufgenommene Informationen zu behalten, zu ordnen und wieder abzurufen. Die gespeicherten Informationen sind das Ergebnis von bewussten oder unbewussten Lernprozessen. Je nach Dauer der Speicherung der Information wird zwischen Sensorischem Gedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis unterschieden. Die Dreiteilung der Gedächtnissysteme nach Atkinson und Shiffrin (Mehrspeichermodell) dominierte lange Zeit das psychologische Denken in diesem Bereich, heute werden jedoch auch multiple Gedächtnissysteme in Betracht gezogen. 2. Zeitliche Klassifikation von Gedächtnissystemen Neue Informationen erreichen als Erstes das Gehirn über die Sinnesorgane und werden im sensorischen Gedächtnis zwischengespeichert. Das sensorische Gedächtnis ist für jede Sinnesmodalität spezifisch, unter anderem spricht man auch vom ikonischen Gedächtnis für das visuelle System und vom echoischen Gedächtnis für das auditive System. Die Fähigkeit in einem Gespräch etwas zuvor Gesagtes zu wiederholen, obwohl man es nicht mit Aufmerksamkeit belegt hat ist ein Beispiel für das auditive sensorische Gedächtnis. Im sensorischen Gedächtnis werden weitaus mehr Informationen aufgenommen als im Arbeitsgedächtnis. Allerdings zerfallen diese auch schon nach wenigen Zehntelsekunden. Eine Möglichkeit die den Zerfall der Informationen in diesem Gedächtnissystems zu untersuchen, wurde von George Sperling entwickelt. Bei dieser wird Versuchspersonen eine Anordnung von Buchstaben (Set) in verschiedenen Zeilen dargeboten, wovon beim Abruf immer nur einzelne Zeilen wiedergegeben werden sollen. Dies soll verhindern, dass man in der Zeit, in der man einzelne Items aus dem Set wiedergibt die anderen vergisst. Variiert man in einem Experiment die Zeit zwischen der Darbietung des Sets und dem Hinweis welche Zeile wiedergegeben werden soll und vergleicht die Gedächtnisleistung in diesen Bedingungen, erhält man einen Schätzwert für den Zerfall der Erinnerung. Im Zentrum der bewussten Informationsverarbeitung steht das Kurzzeitgedächtnis (auch Arbeitsgedächtnis). Das Kurzzeitgedächtnis ist ein Speicher, der eine kleine Menge von Informationen in einem aktiven jederzeit verfügbaren Stadium bereithält. Die Informationen können weiterverarbeitet werden, Ergebnisse müssen zur längerfristigen Speicherung in das Langzeitgedächtnis überführt werden. Miller fand heraus, dass das Kurzzeitgedächtnis über eine begrenzte Kapazität von sieben Informationseinheiten verfügt, der Wert schwankt bei jedem Individuum um etwa plus minus zwei. Modernere Ergebnisse sprechen von durchschnittlich 4 Objekten. Wird aus unzusammenhängenden Einzelinformationen (z.B. Buchstaben) eine einzelne Information "höherer Ordnung" (z.B. das Wort) gebildet, nennt man diesen Vorgang "Chunking. Der Begriff "Chunk" bezeichnet also eine Informationseinheit, die mehrere Elemente zu einer einzelnen Bedeutung zusammenfaßt. Chunking als intellektuelle Leistung ist eine der effektivsten Strategien, die unser Gehirn entwickelt hat, um sich größere Informationsmengen komprimiert merken zu können. Die beiden Begriffe „Kurzzeitgedächtnis“ und „Arbeitsgedächtnis“ werden oft austauschbar verwandt. Ersterer wird jedoch häufiger im Zusammenhang mit älteren Theorien, die von einem einheitlichen System zur kurzzeitigen Speicherung von Informationen ausgehen, verwandt. Moderne Theorien gehen davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis eine komplexe Ansammlung interagierender Subsysteme ist, die insgesamt als Arbeits- gedächtnis bezeichnet werden. Das früher übliche Modell des Kurzzeitgedächtnisses wurde durch das Arbeitgedächtnismodell von Baddeley abgelöst, das folgende drei Systeme beinhaltet: der räumlichvisuelle Notizblock zur kurzfristigen Speicherung von visuellen Eindrücken, die artikulatorische oder phonologische Schleife dient zur Speicherung von verbalen Informationen, welche durch ein inneres Wiederholen relativ lange verfügbar bleiben können und die zentrale Exekutive verwaltet die beiden Subsysteme und verknüpft Informationen aus diesen Systemen mit dem Langzeitgedächtnis. Der Primacy-Recency-Effekt ist ein wichtiges, psychologisches Gedächtnisphänomen, welches dazu führt, dass eine früher (primacy) und später (recency) erfasste Information gegenüber einer anderer eingehenden Information bevorteilt wird. Die Ursache liegt beim Primacy- Effect daran, dass diese Information leichter ins Langzeitgedächtnis übergehen kann, da noch keine Information eingegangen ist, die mit dem Abspeicherungsprozess im Langzeitgedächtnis interferieren und ihn negativ beeinflussen könnte. Der Regency-Effect betrifft im engeren Sinne das Kurzzeitgedächtnis, im weiteren Sinne tritt er auf, wenn zuletzt wahrgenommener Information aufgrund der besseren Erinnerungsfähigkeit stärkeres Gewicht verliehen wird als früherer Information. Er hat seinen Ursprung zum einen darin, dass die aktuellere Information länger im Kurzzeitgedächtnis verfügbar ist, da sie nicht durch nachkommende Information überschrieben wird. Zum anderen kann man sich mit der zuletzt wahrgenommenen Information besser auseinandersetzen. Dadurch bleibt sie eher im Gedächtnis haften und hat einen größeren Einfluss auf die Einstellung. Das Langzeitgedächtnis schließlich ist das dauerhafte Speichersystem des Gehirns, dessen Kapazität nach aktueller Forschung nicht begrenzt ist. Es handelt sich nicht um ein einheitliches Gebilde, sondern um mehrere Speicherleistungen für verschiedene Arten von Informationen. 3. Inhaltsabhängige Gedächtnisformen Neben dieser Einteilung des Gedächtnisses in zeitliche Dimensionen gibt es in der neueren Psychologie inhaltsabhängige Gedächtnisformen, die insbesondere die Struktur des Langzeitgedächtnis betreffen. Das Langzeitgedächtnis stellt in diesen Ansichten keine einheitliche Größe dar, sondern setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen dem bewußten Gedächtnis für Fakten und Ereignisse (deklaratives oder explizites Gedächtnis) und verschiedenen Formen unbewußter Gedächtnisprozesse (nicht-deklaratives oder implizites Gedächtnis). Deklaratives Gedächtnis Das deklarative Gedächtnis wird weiterhin in ein semantisches und episodisches Gedächtnis eingeteilt. Das episodische Gedächtnis verarbeitet und speichert Informationen, die sich auf eigene Erfahrungen beziehen, mit Rücksicht auf die zeitliche Sequenz der erlebten Episoden. Demgegenüber enthält das semantische Gedächtnis das "Weltwissen" einer Person, also beispielsweise ihr Wissen über Sprache (Semantik, Grammatik), Regeln und Konzepte. Das Wissens- oder Kenntnissystem speichert Fakten und Regeln. Allerdings wird lediglich die Information im episodischen Gedächtnis bewusst verarbeitet, Informationen aus dem semantischen Gedächtnis werden dagegen automatisch und ohne besondere Anstrengung aktualisiert. Nicht-deklaratives Gedächtnis Da menschliche Informationsverarbeitung nur teilweise bewußt und kontrolliert verläuft, bleiben viele Wahrnehmungen und Gedächtnisleistungen aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit unbewußt. Trotzdem können sie das Verhalten beeinflussen, welches daraufhin automatisch und ohne bewußte Steuerung abläuft. Das implizite Gedächtnis oder nichtdeklarative Gedächtnis speichert Fertigkeiten, Erwartungen, Verhaltensweisen und die Ergebnisse von Konditionierungsvorgängen und Priming. Ein Beispiel für das implizite Gedächtnis ist das prozedurale Gedächtnis, welches aus einfachen, mechanisch erlernten motorischen Ablaufmustern besteht und die Verarbeitung senso-motorischer Fertigkeiten erlaubt. Auch Konditionierungsformen lassen sich dem nicht-deklarativen Gedächtnis zuordnen. Diesem System wird auch das sogenannte "Priming" zugeschrieben. Dieses System nimmt eine große Zahl von Reizen auf, diese Inhalte bleiben vorbewußt, d.h., sie können nicht aktiv abgerufen werden. Wird man jedoch mit einem ähnlichen Reiz konfrontiert, kommen sie einfach in den Sinn. Durch das Priming kann man einen dargebotenen Reiz besser erkennen oder bei der Darbietung eines Reizteils besser erschließen, denn man war diesem Reiz ja zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal (zufällig) ausgesetzt. 4. Das Langzeitgedächnis Das Langzeitgedächnis ist das dauerhafte Speichersystem des Gehirns. Es handelt sich nicht um ein einheitliches Gebilde, sondern um mehrere Speicherleistungen für verschiedene Arten von Information. Über Begrenzungen der Kapazität und der Verweildauer des Inhalts ist nichts bekannt. Man kann folgende Prozesse des Langzeitgedächtnisses unterscheiden: Lernen/ Enkodierung als neues Einspeichern von Informationen, Konsolidierung/Behalten zum Bewahren von wichtigen Informationen durch regelmäßigen Abruf, Erinnern/Abruf: Reproduktion oder Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten und Vergessen als Zerfall von Gedächtnisspuren oder Interferenzen durch konkurrierende Informationen. Für die Überführung von neuen Gedächtnisinhalten in das Langzeitgedächtnis und das Bewahren von Informationen ist Üben unerlässlich, das bewusste Abrufen und Zirkulieren von Informationen im Arbeitsgedächtnis. Die Verankerung im Gedächtnis nimmt einerseits mit der Relevanz und der Anzahl der Assoziationen zu, andererseits auch mit der emotionalen Bedeutung. Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses bleiben erhalten, wenn einer der beiden folgenden Prozesse stattfindet: Einfaches "erhaltendes Wiederholen" führt die Informationen wieder in das Kurzzeitgedächtnis zurück oder "Elaborieren", z.B. durch Neuordnung, Kategorisierung, Anbinden an vorhandene Informationen, führt Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses über in den Langzeitspeicher. Die Funktionalität des Langzeitgedächtnisses besteht aus zwei Teilen, einmal Dinge wieder zu erkennen und weiterhin sind zu diesen Dingen eine Vielzahl von Beziehungen abgespeichert, vor allem semantische sowie zeitliche und örtliche wie die Abfolge von Ereignissen in einer Geschichte oder Ziffern in einer Telefonnummer. Eine wichtige Erkenntnis betrifft die Bedeutung des inhaltlichen Kontextes bzw. auch der räumlichen Umgebung für das erfolgreiche Abrufen von Erinnerungen. 5. Involvierte Hirnprozesse Für die Funktionalität des Gedächtnisses gibt es kein spezifisches, einheitliches Gedächtniszentrum im Gehirn, vielmehr sind verschiedene anatomische Strukturen für das Erinnerungsvermögen notwendig. Unterschiedliche Hirnareale sind für das Funktionieren der verschiedenen Gedächtnissystemen zuständig: beispielsweise ist der Temporallappen wichtig für das deklarative Gedächtnis und weniger für implizite Gedächtnisprozesse, das Kleinhirn und die Basalganglien spielen eine Rolle bei prozeduralen Lernprozessen, wobei die Basalganglien ebenfalls bei klassischer Konditionierung tragend sind und die Amygdala bei einer Form davon, der Konditionierung von Angstreaktionen, sowie emotionaler Gedächtnisinhalte wesentlich ist. Zusammengefasst kann man sagen, dass die medialen Regionen des Temporallappens für die Gedächtniskonsolidierung der deklarativen Gedächtnisinhalte, insbesondere der Hippocampus, und der Frontallappen für das Arbeitsgedächtnis besonders wichtig sind. Im Hippocampus fließen Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammen, die verarbeitet und von dort zum Kortex zurückgesandt werden. Damit ist er wie bereits angesprochen wichtig für die Konsolidierung, also die Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis. Der Hippocampus wird somit als Struktur gesehen, die Erinnerungen generiert, während die Gedächtnisinhalte an verschiedenen anderen Stellen in der Großhirnrinde gespeichert werden. Der Hippocampus ist auch für die Koordinierung der räumlichen Gedächtnisinhalte verantwortlich. Die Aufgabe des medialen Temporallappensystems besteht offenbar darin, zeitliche und örtliche Verbindungen der gesamten präsenten Informationen zu bilden, um sie so zu einem Kontext zu verbinden. Es entstehen assoziative Verkettungen, so dass das Aufrufen nur eines Teils des Kontextes ausreicht, um die Gesamtsituation wiederherzustellen. Weiterhin spielen neurochemische Prozesse eine wesentliche Rolle bei der Beeinflussung des Gedächtnisses. 6. Das Vergessen Im Unterschied zum Behalten hat das Gehirn auch die Fähigkeit zum Vergessen. Vergesslichkeit ist normal und notwendig. Könnte das Gehirn nicht, relativ automatisch, etwas vergessen, müsste jede Wahrnehmung verarbeitet werden und zwar lebenslang und dauerhaft. Jede Reaktion auf einen Reiz erfordert zuerst einen Vergleich des Neuen mit früheren Reizen, ob tatsächlich etwas neu ist. Die notwendige Zahl der Neuronen-Verknüpfungen würde schnell in unvorstellbare Größenordnungen anwachsen,weit über die Kapazität der zahlreichen Gehirnzellen hinaus. Diese Arbeit wird gespart und damit Gehirnleistungskapazität für unbewusste und bewusste Denkprozesse bereitgestellt. Das Gedächtnis funktioniert nur, wenn es Vergesslichkeit gibt. Das Vergessen kann in verschiedenen Formen auftreten, drei davon sind Blocking, Absentmindedness und die Interferenztheorie. Die Theorie der Interferenz besagt, dass früheres Lernen beeinträchtigend auf späteres einwirkt. Eine solche Interferenz (Störung) wird als proaktive Hemmung bezeichnet. Eine rückwärts gerichtete Interferenz wird dagegen als retroaktive Hemmung bezeichnet und beschreibt die Beeinträchtigung der Erinnerung an frühere Informationen aufgrund neuer Informationen. Diese Beein- trächtigungen treten vorwiegend bei Lerninhalten auf, die sich sehr ähneln. Andere Theorien besagt, dass aus dem Langzeitgedächtnis nichts verloren geht, stattdessen ist Vergessen nichts anderes als ein Misslingen des Abrufs von Inhalten aus dem Speicher (Blocking), bekannt als das Erlebnis des „auf der Zunge liegens“ von Informationen, die vorübergehend unzugänglich sind. Absentmindedness beschreibt die Prozesse, die mit wenig oder nur oberflächlicher Aufmerksamkeit belegt werden und im umgangssprachlichen als Zerstreutheit oder Geistesabwesenheit betitelt werden. Amnesie als Defizit des Langzeitgedächtnisses Amnesie bezeichnet eine Form der Gedächtnisstörung für zeitliche oder inhaltliche Erinnerungen, welche beispielsweise nach Unfällen, Krankheiten oder psychologischen Traumatisierungen entsteht. Zwei wichtige Unterscheidungen sind die retrograde (rückwirkende) Amnesie sowie die anterograde (vorwärtswirkende) Amnesie. Die retrograde Amnesie bedeutet ein Gedächtnisverlust für den Zeitraum vor Eintreten des schädigenden Ereignisses, im Gedächtnis gespeicherte Bilder oder Zusammenhänge können nicht in das Bewusstsein geholt werden. Die anterograde Amnesie ist dagegen eine Amnesie für eine bestimmte Zeit nach einem schädigenden Ereignis, nach der eigentlichen Bewusstlosigkeit können die Betroffenen "normal" erscheinen, vergessen aber neue Ereignisse binnen weniger Minuten wieder; meist wird auch die Vergesslichkeit selbst vergessen, für den Betroffenen entsteht also zunächst weder Krankheitsbewusstsein noch Leidensdruck. 7. Verzerrung von Erinnerungen Der Vorgang des Erinnerns ein konstruktiver Prozeß, bei dem einerseits Erinnerungsbruchstücke verarbeitet werden müssen und andererseits eine vollständige Handlung entstehen soll. Je öfter man eine erlebte Geschichte erzählt, umso mehr verändern sich die Erinnerungen an frühere Ereignisse, fast jede Begebenheit wird in unserem Gedächtnis nachträglich verfälscht. Damit entstehen verzerrte Erinnerungen in Bezug auf involvierte Faktoren wie Zeit, Ort, Personen oder Umstände. Diese verfälschten Erinnerungen sind unter dem Titel „False Memories“ bekannt. Beim sogenannten SleeperEffect verblassen Zweifel gegenüber der Glaubwürdigkeit von Quellen nach einiger Zeit und es kann entgegen anfänglicher Skepsis zur Akzeptanz kommen. Ein weiteres Phänomen sind die Blitzlichterinnerungen (Flashbulb memories), die detailgenaue lebhafte Erinnerungen an Weltereignisse wie z.B. die Ermordung John F. Kennedys oder die Anschläge vom 11.September 2001 bezeichnen. Es handelt sich dabei um dramatische Geschehnisse, die emotional bewegen. Erinnert werden langfristig sehr viele Umstände, die die jeweilige Person mit dem Ereignis verbinden. Bei Gerichtsverfahren sind Zeugenaussagen von großer Bedeutung. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie verlässlich Erinnerungen von Zeugen sind. Situationen in denen Menschen eine Straftat bezeugen, sind Situationen, die nicht erwartet werden, oft nur von sehr kurzer Dauer und meist sehr emotionsbeladen sind. Aufgrund der Charakteristik dieser Situationen ist es besonders leicht, die Erinnerungen an sie durch verbale Informationen, zum Beispiel bei Befragungen, zu verfälschen. Ergebnisse von Studien zeigten, dass Erinnerungen nicht verlässlich und leicht zu verfälschen sind, vor allem auch, dass speziell die Erinnerung von Gesichtern unbewusst und nachhaltig verändert werden kann. 8. Einfluss von Schlaf auf das Gedächtnis Der menschliche Schlaf wird grob in drei Phasen unterteilt, die sich durch unterschiedlich stark ausgeprägte Hirnströme unterscheiden lassen: Leichtschlaf, Tiefschlaf und die sogenannten REM-Phasen, die durch schnelle Bewegung der Augen unter den Lidern (englisch: Rapid Eye Movement) gekennzeichnet sind. Etwa alle neunzig Minuten beginnt ein neuer Schlafzyklus, in dem diese drei Schlafphasen in unterschiedlicher Länge durchlaufen werden. Die ideale Nachtruhe ist in der ersten Hälfte durch längere Tiefschlafphasen gekennzeichnet. In der zweiten Nachthälfte wird der Schlaf dann leichter, die Länge der REM-Phasen nimmt zu. Der Tiefschlaf ist für die körperliche Erholung wichtig, aber auch für das Lernen. Tiefschlaf und REM-Schlaf sind als völlig unterschiedliche cerebrale Funktionszustände anzusehen, was auch einer Zweiteilung des Gedächtnisses entspricht: prozedurale Gedächtnisbildung wird vorwiegend durch Prozesse im REM-Schlaf gesteuert, die deklarative Gedächtnisbildung eher durch Prozesse im Tiefschlaf (SWS). Dieser das Lernen begünstigende Effekt wurde in vielen experimentellen Untersuchungen belegt und in der Folge wurden bestimmten Schlafstadien besondere Rollen für Gedächtnisprozesse zugewiesen. Dem REM-Schlaf wunde aufgrund seiner besonderen physiologischen Veränderungen, andererseits aber auch dem Slow-Wave-Sleep (SWS) gedächtnisbegünstigende Wirkungen zugeschrieben. Der normale Prozeß der Gedächtnisbildung vollzieht sich in mehreren Teilschritten: eine erste Speicherung von Ereignissen im Gedächtnis erfolgt durch schnelle synaptische Modifikation hauptsächlich in Neuronen des Hippocampus während des Wachzustandes. Während des nachfolgenden Tiefschlafs wird dann die Information graduell in den Neocortex transferiert. Somit findet im REM-Schlaf eher eine Verarbeitung von nicht-deklarativem Wissen statt, während im Tiefschlaf eher deklaratives Wissen verarbeitet wird. Eine neuere Untersuchung (Plihal & Born, 1997) konnte diese Annahmen bestätigen: aufgrund der ungleichen Verteilung von SWS und REM-Schlaf in der ersten und zweiten Nachthälfte nehmen Plihal und Born an, daß das prozedurale Gedächtnis mehr vom späten Schlafentzug beeinflußt wird als vom frühen Schlafentzug, während das deklarative Gedächtnis umgekehrt mehr unter dem frühen Schlafentzug als unter dem späten Schlafentzug leiden sollte, was experimentell bestätigt werden konnte. Heute gilt als gesichert, daß verschiedene Schlafstadien unterschiedlich stark an der Informationsverarbeitung beteiligt sind. Traumerlebnisse, zumindestens diejenigen der letzten REM-Phase, können berichtet werden. Dies bedeutet, daß die Inhalte abgespeichert wurden. Dabei spielt die Hippocampusaktivität während der REM-Phasen eine Rolle. Einfache Reaktionen, die im Wachen gelernt worden sind, können auch im Schlaf ausgelöst werden. Nach heutigen Erkenntnissen können Informationen im Schlaf aufgenommen werden, allerdings erfolgt die Konsolidierung der Informationen nur im wachen Zustand. Interessant sind auch neue Studien zur Einflusswirkung des REM-Schlafs auf die Gedächtniskonsolidierung bei älteren Menschen. Die ersten Befunde zeigten, dass bei Älteren, außer bei medikamentöser Unterstützung, keine signifikante gedächtnisfördernde Wirkung durch den REM-Schlafs stattfindet. Anzustreben wäre eine weitere intensive Forschung in diesem Bereich, um die Kenntnisse der Alzheimer- Krankheit, die unmittelbar von dieser Interaktion betroffen ist, voranzutreiben.