Prof. Dr. Thomas Ruster TU Dortmund Institut für Katholische Theologie Vorlesung im WS 2002/03 und WS 2009/10 Theologie der Sakramente Die Sakramente und das Gottesreich Vorbemerkung: Die Passagen in grüner Schriftfarbe enthalten die Ergänzungen aus dem WS 09/10. Bestandteil der Vorlesung im WS 09/10 waren Reflexionsaufgaben für die Studierenden, die jeweils in Form eines kurzen Essays (1-2 Seiten) zu bearbeiten waren. Die Themen dieser Reflexionsaufgaben sind im Skript vermerkt; sie zu beachten und ggf. zu bearbeiten trägt zur besseren Aneignung des Stoffs auch bei der Lektüre des Skripts bei. Sie sind in roter Schrift eingetragen. Ferner sind einige Texte beigegeben, mit denen in der Vorlesung gearbeitet wurde. Sie finden sich als Text 1, Text 2 usw. nummeriert in der Anlage. Aus dem Skript von WS 02/03 sind einige Passagen gestrichen worden, sei es, weil sie durch neuere Literatur überholt waren, sei es, weil sie nicht mehr in den neuen Duktus der Vorlesung passten. Die Literatur ist ergänzt worden. Der jetzt vorliegende Text ist fortlaufend zu lesen und enthält den letzten Stand der kath. Sakramentenlehre an der TU Dortmund. Inhaltsverzeichnis Literatur zur allg. Sakramentenlehre 4 I. Allgemeine Sakramentenlehre 5 1. Was sind Sakramente? S. 5 2. Warum braucht das Handeln Gottes in der Welt die Zeichen der Sakramente? S. 5 3. Was haben die Sakramente mit der hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun? S. 5 4. Warum sind die Sakramente Zeichen des Glaubens? S. 6 5. Über die Gefahr der Verwechslung der „unsichtbaren Wirklichkeit“ mit dem Himmel S. 6 6. Sind die Sakramente so etwas wie Symbole? S. 7 „Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament“: die Wandlung durch die Sakramente S. 8 8. Sakramente sind „Koknfigurationen des Gottesreiches“ S. 8 9. Die Unterscheidung „ex opere operato und „ex opere operantis“ S. 9 10. Überall, wo Sakramente begangen werden, ist Kirche. Kirche ist nur da, wo Sakramente begangen werden S. 10 11. Die Kirche als „Gnadenanstalt“ S. 13 12. Die Zeitlichkeit der Sakramente: Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Sakramenten und biblischen Geschichten? S. 13 13. Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift vor? S. 15 14. Sakramente und antike Mysterienkulte S. 16 15. Der Einfluss des platonischen Bilddenkens auf das Verständnis der Sakramente S. 17 16. Was trug die Zeichentheorie des Augustinus zum Verständnis der Sakramente bei? S. 17 17. Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die Praxis und Theorie der Sakramente? S. 18 18. Die Kritik der Reformatoren an der katholischen Sakramentenpraxis- und lehre S. 21 19. Neuansätze in der katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem im Umfeld des 2.Vatkanischen Konzil. Der Ansatz Karl Rahners S. 22 20. Zusammenfassende Darstellung der allgemeinen Sakramentenlehre: das Sakrament als »Wandlung« S. 24 21. Wie können wir die Sakramente heute verstehen? (Systematische Entfaltung) S. 25 II. Spezielle Sakramentenlehre 31 A. Die Initiationssakramente Taufe und Firmung 31 1. Probleme mit Taufe und Firmung heute S. 31 2. Biblische Schlüsselszenen S. 31 3. Theologie der Initiationssakramente S. 34 4. Aus der Geschichte von Taufe und Firmung S. 35 5. Der Ritus der Kindertaufe S. 38 6. Der Ritus der Firmung S. 38 7. Die Elemente der sakramentalen Zeichen S. 39 8. Ist die Kindertaufe zu rechtfertigen? S. 39 9. Ist die Taufe heilsnotwendig? S. 40 B. Das Sakrament der Eucharistie 41 1. Probleme mit der Eucharistie heute S. 41 2. Zum Verstehen der Eucharistie (Grundsätze) S. 41 3. Biblische Schlüsselszenen S. 42 4. Das Letzte Abendmahl S. 42 5. Zur Theologie der Eucharistie S. 45 6. Aus der Geschichte der Eucharistie S. 51 7. Die Feier der Eucharistie S. 54 8. Das ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft 55 C. Das Sakrament der Buße 56 1. Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und Vergebung S. 56 2. Biblische Schlüsselszenen S. 57 3. Zur Theologie der 2 Buße S. 59 4. Zur Geschichte der Buße S. 60 5. Die heutige Ordnung der Buße S. 62 6. Zur Rolle des Priesters S. 63 7. Zur Beichte der Kinder S. 63 D. Das Sakrament der Krankensalbung 64 1. Probleme mit der Krankensalbung heute S. 64 2. Gedanken über Krankheit, Gesundheit und Heilung S. 64 3. Biblische Schlüsselszenen S. 65 4. Zur Theologie der Krankensalbung S. 67 5. Zur Geschichte der Krankensalbung und der "letzten Ölung" S. 68 6. Ritus und Element der Krankensalbung S. 69 7. Spendung durch Priester oder durch Laien? S. 69 8. Krankensakrament oder Sterbesakrament? S. 70 E. Das Sakrament der Ordination (Weihe) 71 1. Probleme des Amtes in der katholischen Kirche S. 71 2. Biblische Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament S. 72 3. Zur Theologie des Weihesakramentes S. 74 4. Zur Geschichte des Weihesakraments S. 77 5. Zum Ritus und den Zeichen der Weihe S. 78 6. Zum Zölibat S. 79 7. Zur Frauenordination S. 80 8. Perspektiven für die Entwicklung des Amtes in der Kirche. Ein Vorschlag S. 81 F. Das Sakrament der Ehe 83 1. Schwierigkeiten der Ehen heute S. 83 2. Vorbemerkung zur theologischen Betrachtung der Ehe S. 84 3. Biblische Schlüsselszenen S. 85 4. Zur Theologie der Ehe (Die Sakramentalität der Ehe) S. 86 5. Zur Frage nach dem Spender des Ehesakraments S. 89 6. Zur Geschichte der Ehe S. 89 7. Zum Ritus der Ehe S. 91 8. Gescheiterte Ehen; wiederverheiratete Geschiedene S. 91 9. Ehen getaufter Nichtchristen S. 91 10. Die Dispens von der Formpflicht und die Frage des Spenders S. 92 11. Ehehindernisse nach dem Kirchenrecht S. 92 III. Sakramente im katholischen Glauben /der Unterschied zu anderen Konfessionen 93 Anlagen: Texte, die in der Vorlesung studiert wurden 3 Literatur zur allgemeinen Sakramentenlehre BORNKAMM, Günter: , in: Theol. Wörterbuch zum NT 4, 809-834 [biblische Grundlagen] DORNSEIFER, Thomas; SCHLICHTER, Christian: Die sieben Sakramente der katholischen Kirche. Eine Orientierung nicht nur für Fernstehende, Paderborn 2009 FABER, Eva Maria: Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt 2002 [Dort auch gut gegliederte Hinweise auf weitere Literatur] FINKENZELLER, Josef: Die Lehre von den Sakramenten im Allgemeinen: Von der Schrift bis zur Scholastik, Freiburg 1980; Von der Reformation bis zur Gegenwart, Freiburg: Herder 1981 (Handbuch der Dogmengeschichte IV,1) [Theologiegeschichte] HARLAN, Volker: Die sieben Substanzen der Sakramente – Wasser, Salz, und Asche – Brot und Wein – Weihrauch – Öl, Stuttgart 2008 [aus anthroposophischer Sicht] HAUKE, Manfred; STIECKELBROECK, Michael (Hg.): Donum Veritatis. Theologie im Dienst an der Kirche, Regensburg 2006 [daraus die Beiträge von Pedro Rodriguez, Der „geistige Kult des Neuen Bundes nach der Lehre des Thomas von Aquin, S. 135-152; M. Stückelbroeck, Abbild und Wandlung. Ansätze zu einer Theologie des Ritus, S. 153-170; ferner Beiträge zu den Einzelsakramenten, die an ihrem Ort aufgeführt werden] HEMPELMANN, Reinhard: Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im evangelisch-katholischen Dialog, Göttingen 1992 HÖHN, Hans Joachim: spüren. Die ästhetische Kraft der Sakramente, Würzburg 2002 (Reihe GlaubensWorte) KOCH, Günther: (Hg.), Sakramentenlehre, 2 Bde., Graz 1991 (Texte zur Theologie. Dogmatik 9, 1/2) [Quellensammlung] KASPER, Walter; BIESINGER, Albert; KOTHGASSER, Alois (Hg.): Weil Sakramente Zukunft haben, Mainz 2008 KUNZLER, Michael: Leben in Christus. Eine Laienliturgik zur Einführung in die Mysterien des Gottesdienstes, Paderborn 1999 [Liturgie, Ritus, Liturgiegeschichte] KUNZLER, Michael: Die Liturgie der Kirche, Paderborn 1995 LIES, Lothar: Neue Elemente in der deutschsprachigen Sakramententheologie, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 119 (1997) 296-322. 415-433 MEßNER, Reinhard: Einführung in Liturgiewissenschaft, Paderborn u.a. 2001 NOCKE, Franz Josef: Sakramentenlehre, in: Theodor Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik Bd. 2, Düsseldorf 1992, 188-376 [umfassende Darstellung] SIMONIS, Walter: Lebenszeichen der Kirche. Sakramentenlehre, Düsseldorf 2006 STOSCH, Klaus von: Einführung in die Systematische Theologie, Paderborn u.a. 2009 VORGRIMLER, Herbert: Sakramententheologie, Düsseldorf 31992 W ENZ, Gunther: Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt 1988 [evangelische Lehre]. Wenz, Gunther: Kirche. Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht (Studium Systematische Theologie Bd. 3), Göttingen 2005 4 I. Allgemeine Sakramentenlehre 1. Was sind Sakramente? Sakramente sind zunächst einfach rituelle Vollzüge im Gottesdienst der Kirche. Zu ihnen gehören bestimmte materielle Elemente (Wasser, Öl, Wein, Brot), Handlungsabläufe (Handauflegung, Salben, Brechen des Brotes, Essen usw.) und gesprochene Worte (Gebete, Lesungen aus der hl. Schrift, Versprechen, Formeln). Die Elemente, Handlungen und Worte der Sakramente bilden zusammen das Sakrament als Zeichen. Nach dem Glauben der Kirche ereignet sich in diesen Vollzügen etwas: Gott handelt an Menschen. Sakramente sind also gottesdienstliche Vollzüge, in denen Gott in der Welt etwas tut. Dass Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der nicht zur Welt gehört, in der Welt etwas tut, und zwar in der Bindung an die bestimmte Gestalt eines kirchlich-rituellen Vollzugs, ist das Besondere und Einzigartige der Sakramente. 2. Warum braucht das Handeln Gottes in der Welt die Zeichen der Sakramente? Gott ist kein Teil dieser Welt. Was er ist und tut, kann in der Welt nicht vorkommen. Alles, was in der Welt vorkommt oder getan wird, ist nicht Gott. Die Welt hat keine Kategorien für Gott und sein Handeln. Darum kann auf das Tun Gottes nur zeichenhaft verwiesen werden. Die Zeichen der Sakramente sind so zu verstehen, dass darin auf das nicht-weltliche Tun Gottes verwiesen wird. Das ist etwas Einzigartiges und kann mit nichts anderem verglichen werden! Die Elemente, Vollzüge und Worte der Sakramente sind, so sagt die Theologie, das sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit. Weil aber in diesen Zeichen nicht nur auf den außerweltlichen Gott verwiesen wird, also nicht nur aus der Welt hinausgewiesen wird, sondern er in diesen Zeichen wirklich etwas tut, sind die Sakramente als Zeichen die Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Welt. Sie sind, so sagt die Theologie, wirksame Zeichen, Zeichen, die bewirken, was sie bezeichnen. 3. Was haben die Sakramente mit der hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun? Nur aus der hl. Schrift wissen wir, dass Gott, der nicht zur Welt gehört, in der Welt gehandelt hat. Er hat den Mose berufen, hat das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt, hat am Sinai das Gesetz gegeben usw. Die hl. Schrift ist das einzige Dokument, dass das Handeln des außerweltlichen Gottes in der Welt bezeugt. Darum haben alle Sakramente einen konstitutiven Bezug auf die hl. Schrift. Sie zeigen an, dass Gott nicht nur damals gehandelt hat, sondern auch heute noch handelt. Für die Christen ist, im Unterschied zu den Juden, das Handeln Gottes in Jesus Christus das wichtigste Handeln Gottes in der Welt. Denn durch Jesus Christus sind sie in das Volk und die Bundesgemeinde Gottes aufgenommen worden. Ohne Jesus Christus könnten sie nicht sagen, dass Gott auch an ihnen (nicht nur am Volk Israel) gehandelt hat und weiter handelt. Darum erklärt die Theologie, dass alle Sakramente durch Jesus Christus eingesetzt worden sind. Diese Einsetzung durch Jesus Christus braucht nicht bei allen Sakramenten auf spezielle Einsetzungsakte Jesu Christi zurückgeführt werden. Sie ist schon darin gegeben, dass die Christen ohne Jesus Christus vom Handeln Gottes gar nicht betroffen wären und deshalb auch nicht daran glauben könnten. 5 4. Warum sind die Sakramente Zeichen des Glaubens? Da Gott kein Teil der Welt ist und sein Handeln in den Kategorien der Welt nicht erkannt werden kann, muss man glauben, dass Gott in der Welt gehandelt hat und weiter handelt. Das heißt: Weltlich kann man erkennen (wenn man den Nachrichten der Bibel Glauben schenkt), dass ein Mann Namens Mose sich berufen fühlte, die israelitischen Sklaven aus Ägypten herauszuführen – aber man muss glauben, dass es wirklich Gott war, der ihn berufen hat (Ex 3). Man kann erkennen, dass die israelitischen Sklaven wirklich aus Ägypten herausgekommen sind und dabei das Heer des Pharaos vernichtet worden ist – aber man muss glauben, wenn es heißt: "Singen will ich Ihm, denn er ist hocherhaben, Ross und Reiter warf er ins Meer" (Ex 15,1). Man kann das Gesetz vom Sinai für eine damals zeitgemäße Sammlung von Vorschriften halten, die Israel zum großen Teil aus seiner Umwelt übernommen hat – aber man muss glauben, wenn es heißt: "Nun redete Gott alle diese Worte" (Ex 20,1). Und man kann Jesus für einen galiläischen Wanderprediger mit einer mehr oder weniger beachtlichen Botschaft halten – aber man muss glauben, wenn er von sich sagt: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9). Ebenso kann man sehen, dass in der Eucharistie Brot und Wein gesegnet und zum Essen verteilt werden – aber man muss glauben, wenn Jesus sagt: "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird / Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das für euch vergossen wird" (Lk 22,19-29). Die Wirklichkeit, die sich in den Sakramenten anzeigt, ist also nur dem Glauben zugänglich. Sie sind Zeichen für den Glauben oder einfach Zeichen des Glaubens. Man sieht, dass der Glaube die Realität dessen, was geschieht und zu sehen oder zu hören ist, nicht verleugnet, sondern voraussetzt. Diese Realität wird ihm eben zum Zeichen. Im Glauben wird etwas an den Dingen wahrgenommen, was ohne Glauben nicht zu erkennen ist. »Meine letzte Begegnung mit einem Sakrament – womit kann ich die vergleichen?« 5. Über die Gefahr der Verwechslung der „unsichtbaren Wirklichkeit“ mit dem „Himmel“ Oben (unter 2.) wurde gesagt: Sakramente sind sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit. Nun gibt es aber auch in der Welt unsichtbare Wirklichkeiten. Die hl. Schrift und mit ihr die Theologie nennen den Teil der Welt, der unsichtbaren und unverfügbaren Wirklichkeiten vorbehalten ist, den Himmel. Vgl. das nizänische Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, des Sichtbaren und des Unsichtbaren." Die Existenz unsichtbarer und unverfügbarer Wirklichkeiten in der Welt ist Realität, auch wenn sie eben nicht sichtbar sind. Aber z.B. der Verlauf der Zeit, kosmische Kräfte, die Vergangenheit, die Zukunft, die Wirkung kultureller Traditionen, die Macht der Liebe, die Unentrinnbarkeit des Todes usw. sind Realitäten, wenn auch unsichtbare. Auf den Himmel als den unsichtbaren Teil der Welt richten sich die Religionen. Judentum und Christentum, die sich auf Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde beziehen, gehören darum im strengen Sinne nicht zu den Religionen. Weil es nun so schwer ist zu glauben, dass Gott wirklich in den Sakramenten handelt, kann man leicht zu der Auffassung kommen, die unsichtbare Wirklichkeit, auf die die Sakramente verweisen, sei die Wirklichkeit des Himmels. Auch dann wären sie ja noch unsichtbare Zeichen unsichtbarer Wirklichkeit, und sie könnten sogar auch als religiöse Zeichen verstanden werden. Die Ähnlichkeit der sakramentalen Vollzüge mit Vollzügen in anderen Religionen gibt darüber hinaus zu dieser Meinung Anlass. 6 Darum ist es so wichtig, auf das dritte Element der Definition der Sakramente zu achten: 1. sichtbares Zeichen – 2. unsichtbarer Wirklichkeit – 3. eingesetzt durch Jesus Christus. Erst die Einsetzung durch Jesus Christus macht klar, dass es sich bei der unsichtbaren Wirklichkeit nicht um himmlische Wirklichkeit, sondern um das Tun Gottes in der Welt handelt. Der Begriff der unsichtbaren Wirklichkeit ist also vieldeutig und darum missverständlich. Unter Wirklichkeit verstehen wir in der Regel etwas, das in der Welt vorkommt. Besser ist es darum, von der Gnade der Sakramente zu sprechen. Gnade ist eine Gabe, die von Gott kommt, und nicht aus der Natur bzw. der Welt (Natur ist der theologische Gegenbegriff zu Gnade). Sakramente sind also äußere Zeichen für innere Gnade, eingesetzt durch Jesus Christus. 6. Sind die Sakramente so etwas wie Symbole? Heute werden Sakramente gerne mit Symbolen zu verglichen oder gar einfach als Symbole bezeichnet. Das ist aber problematisch, denn Symbole sind eine bestimmte Kategorie weltlicher Zeichen, die nur auf anderes in der Welt verweisen können. Gottes Tun kann in Symbolen nicht bezeichnet werden. Auf den ersten Blick haben Symbole viel mit den Sakramenten gemeinsam. Auch sie sind äußere Zeichen, die auf eine von ihnen verschiedene Wirklichkeit, etwas Unsichtbares oder Nicht-Begriffliches, verweisen, und zwar so, dass dieses Unsichtbare im Sichtbaren in gewisser Weise schon gegeben ist. Sie sind also nicht nur reine Zeichen, die mit dem Bezeichneten keinen inneren Zusammenhang haben. Zu einem richtigen Symbol gehört, dass man das Symbolisierte nicht erklären kann. Es ist etwas Nicht-Begriffliches, das nur in der Weise des Symbols vergegenwärtigt werden kann. Symbole sind mehr als nur ins Bild gesetzte Begriffe. Will man sie erklären, zerstört man sie. Ein Kuss ist vielleicht ein Symbol für Liebe, ein Geschenk vielleicht für Dankbarkeit, Brot vielleicht für herzliche Mahlgemeinschaft und Verbundenheit, ein Baum vielleicht für Lebenskraft und Wachstum. Ohne das Symbol kann das Gemeinte nicht zureichend verdeutlicht werden. Wer sagt, dass er eine Frau liebt, aber sie niemals küsst... Wer Dankbarkeit vorgibt, aber sich niemals dankbar erweist, der ist es wohl auch nicht. Das vielleicht in diesen Beispielen deutet übrigens an, dass ein Symbol nicht in jedem Falle auf die innere, unsichtbare Wirklichkeit verweisen muss; man kann auch küssen, ohne zu lieben (Judas!). Um eindeutiger zu werden, sind auch die Symbole auf das Wort angewiesen. Jemand küsst und sagt Worte der Liebe – dann ist die Sache klar, aber nur, wenn man den Worten glaubt. Es könnte ja auch eine Lüge sein. Also haben die Symbole auch das mit den Sakramenten gemeinsam, dass sie auf eine bestimmte Art von Glauben angewiesen sind. Nichts in der Welt kann von sich aus Gottes tun anzeigen. Symbole verweisen von etwas Sichtbarem in der Welt auf etwas Unsichtbares in der Welt, Sakramente dagegen auf das Tun Gottes, das nicht von dieser Welt ist, aber in dieser Welt stattfindet. Das Glaubensgeheimnis der Sakramente ist einzigartig und kann deswegen mit nichts anderem verglichen werden. Vergleicht man es mit dem Symbolischen, unterläuft allzu leicht die oben genannte Verwechslung von Gott und Himmel. Die theologisch präzisen Fragen zum Verhältnis von Symbol und Sakrament lauten: Wie kommt die Kraft des Symbolischen in den Sakramenten vor? Und: Wie werden 7 die symbolischen Gehalte der sakramentalen Zeichen im Sakrament verwendet und umgedeutet, um das Einzigartige zu bezeichnen, um das es im Sakrament geht? Literatur zum Verhältnis von Symbol und Sakrament: H.-J. Höhn aaO. 43-53; Michael Meyer-Blank, Vom Symbol zum Zeichen, in: Ev. Theologie 55 (1995) 337-351; Thomas Zeilinger, Zwischen-Räume – Theologie der Mächte und Gewalten, Stuttgart 1999, 115-143. 7: „Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament“: die Wandlung durch die Sakramente Dieser Satz stammt von Augustinus (354-430). Er soll uns als Leitfaden für die gesamte Sakramentenlehre dienen. Viel besser als der vieldeutige Symbolbegriff erfasst er, wie das Sakrament zur Wirklichkeit und dem Leben der Menschen steht. Diese menschliche Wirklichkeit ist mit dem Begriff „Element“ bezeichnet. Darunter sind zu verstehen die materiellen Elemente in den Sakramenten (Wasser, Brot, Wein, Öl – in das klassischen Theologie „materia remota“/entfernte Materie genannt) sowie auch die Handlungen, in denen sie verwendet werden (Waschen, Mahlzeit halten, Salben, Handauflegen – in der Theologie „materia proxima“/nahe Materie genannt; mit dieser Unterscheidung ist gesagt, dass die materiellen Elemente ihre Bedeutung primär im Zusammenhang der Handlung haben, in der sie verwendet werden). Wenn man hier weiterforscht, dann erkennt man, dass die Elemente der Sakramente auf die Grunderfahrungen des menschlichen Lebens bezogen sind: Geborenwerden, in das Leben aufbrechen und Verantwortung übernehmen, Ernährung und die Gemeinschaft der Mahlzeit, Schuld und Schulden, Krankheit, ein Amt übernehmen, heiraten und eine Familie sein. Zu diesen Elementen kommt nun, so sagt Augustinus, das Wort Gottes hinzu. Und dadurch werden sie verwandelt und werden zum Sakrament. Sie bekommen eine andere Bedeutung und Stellung im Leben. Diese Elemente sind jetzt nicht mehr nur Akte von Lebewesen, die, quasi wie die Tiere, für ihre Selbsterhaltung sorgen, sie werden Teil der Wirklichkeit des Gottesreiches, in der Menschen zum Lobe und zur Ehre Gottes leben. Sakramente verwandeln Menschen von „findigen Tieren“ zu Bürgern des Gottesreiches. 8. Sakramente sind „Konfigurationen des Gottesreiches“ Mit dieser Definition meine ich die Sakramente am besten beschreiben zu können. Sakramente „konfigurieren“ die Elemente des Lebens zu einer neuen Anordnung, so dass sie etwas anderes darstellen – so wie im Computer die Zeichen konfiguriert werden. Aus der Computer- und Internetwelt wissen wir auch, dass Wirklichkeit virtuell ist: Nichts ist so wie es scheint, nichts muss so bleiben wie es ist; alles kann auch ganz anders gesehen werden und damit anders werden. Die Sakramente konfigurieren nun die „Zeichen“ der Welt so, dass das Bild des Gottesreiches entsteht. Sie realisieren somit die Wirklichkeit des Gottesreiches bereits in dieser Welt. Sie stellen die Menschen, die die Sakramente begehen, in gottesreichartige Situationen. Was ist denn aber das „Reich Gottes“? Dazu hier nur ganz kurz und einfach: Das Gottesreich ist da, wo Gott als Herr anerkannt wird und sein Wille getan wird. Das ist ja so wie bei jedem „Reich“. „Frankreich“ ist da, wo die französische Regierung anerkannt wird und die französischen Gesetze gelten; im Prinzip ist das auch im Gottesreich nicht anders. Aber was heißt es denn, Gott als Herr anzuerkennen und seinen Willen zu befolgen? Gott ist der Ewige, der Allmächtige, der Herr über Leben und Tod – und dann bedeutet seine Anerkennung als Herr des Gottesreiches, dass keine andere Macht auf Erden mehr über uns Gewalt hat. Gott ist die Wahrheit – und nichts, was ihm widerspricht, kann wahr sein. Sein Wille ist wahr und gut und gerecht – wenn man also diesen Willen befolgt, dann tut man das Wahre und Gute und Gerechte. Gott hat sich in Schöpfung und Auferstehung als Herr über den Tod 8 erwiesen – die Bürger des Gottesreiches sind dem Gesetz aller Sterblichen, der Bestimmung zum Tode, nicht mehr unterworfen. Sie sind nicht mehr Teil unserer gegenwärtigen „Kultur des Todes“, wie Papst Johannes Paul II. das so treffend genannt hat. Die Sakramente sind also gar nichts Natürliches. Sie sind streng „übernatürlich“. Sie realisieren ein Leben, das nicht mehr der Ordnung der Natur (die immer eine Ordnung des Lebens zum Tode ist) folgt, sondern der Ordnung des ewigen Lebens. Machen wir uns das für die einzelnen Sakramente klar: Taufe: Ein Mensch, der unter der Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel steht, wird in einen freien Menschen verwandelt, der diesen Mächten nicht mehr unterworfen ist. Firmung: Ein Mensch, der nicht anders kann als in allem die eigene Selbsterhaltung zu betreiben, wird verwandelt in jemandem, dem die Ehre Gottes das Wichtigste im Leben ist und der deshalb das Gute tun kann. Er kann nun gerecht sein. Eucharistie: Eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht anders wissen als dass der Tod die letzte Macht im Leben ist und für die deshalb das Essen immer auch eine Vernichtung von anderem Leben bedeutet), wird verwandelt in eine Gemeinschaft, die den Sieg des Lebens über den Tod zur Grundlage ihres Lebens macht. Sie folgt nicht mehr dem Gesetz „Fressen und Gefressenwerden“. Buße: Ein Mensch, der wegen der in der Vergangenheit angehäuften Schuld nicht frei ist, das Gute zu tun, wird verwandelt zu einem, der neu anfangen kann. Krankensalbung: Ein Mensch, der körperliche, psychische oder geistige Beeinträchtigungen hat und deshalb vor der Welt als krank gilt, also aus dem Bereich der Gesunden ausgegrenzt wird, wird verwandelt in jemanden, den die Gemeinde als gesund ansieht, dessen Beeinträchtigungen ihn also nicht aus dem Bereich der Gesunden ausgrenzen. Ordination: Ein Mensch wie jeder andere wird verwandelt in jemanden, der vor der Gemeinde in Namen Gottes auftreten und handeln kann. Ehe: Eine menschliche Zweck- und Gefühlsgemeinschaft wird in eine Gemeinschaft des Bundes verwandelt, das heißt in eine Gemeinschaft selbstloser Liebe und Treue. »Was verstehe ich unter dem „Reich Gottes“?« 9. Die Unterscheidung „ex opere operato“ und „ex opere operantis“ Aber wie kann man so etwas sagen – die Sakramente realisieren das Gottesreich auf Erden! –, ohne einerseits in einen kirchlichen Triumphalismus („Die Kirche ist das Reich Gottes auf Erden!“) und andererseits in tiefe Resignation zu verfallen („Die Kirche, das soll es schon gewesen sein?“). An diesem Punkt ist die in der Überschrift genannte Unterscheidung so wichtig, die die mittelalterliche Theologie herausgebildet hat. „Ex opere operato“, übersetzt: „Das Werk, insofern es getan wird“, bewirken die Sakramente tatsächlich die Verwandlung der Welt in das Reich Gottes. In den Sakramenten ist ja schon alles da, was zum Gottesreich gehört. Die Menschen werden als Bürger in Gottes Reich aufgenommen; sie empfangen den Heiligen Geist und werden gerecht, sie loben und preisen Gott, bringen ihre Gaben in Dankbarkeit dar und erhalten sie verwandelt wieder als Brot des ewigen Lebens; sie bekommen wirklich ihre Schuld vergeben; sie sind auch mit ihren Krankheiten und Behinderungen ganz und gar in die Gemeinschaft integriert; einige von ihnen können gültige Amtshandlungen des Gottesreiches durchführen; Frau und Mann gehen einen unauflösbaren Bund des Lebens miteinander ein. Aber „ex opere operantis“, übersetzt: „Das Werk dessen, der handelt“, muss das alles erst noch werden: Leben in Freiheit von den Mächten des Todes, Leben in der Gerechtigkeit des Geistes, Gemeinschaft in der Ökonomie der Dankbarkeit und des Teilens usw. Ohne den 9 Weg von „vollzogenen Werk“ zum „Werk des Vollziehenden“ (so kann man auch übersetzen) blieben die Sakramente Illusion oder bloße Magie. Sie führen in ein neues Leben – aber wenn niemand dieses Leben lebt, dann bleiben sie unwirksam. Das klingt jetzt so, als ob die Sakramente einen ungeheuren Anspruch erheben würden: Ihr sollt die Mächteüberwinden, sollt gerecht sein usw. Das wäre eine Überforderung! Aber es ist nicht so, sondern: Wir sind ja in den Sakramenten schon das geworden, was sie bezeichnen, und brauchen es dann nur noch zu werden. Das Prinzip der Sakramente ist nicht ein ethischer Anspruch, sondern das „Werde was du bist“. Nur das muss noch geschehen, dass wir werden, was wir von den Sakramenten her schon sind. Oder anders gesagt: Wir können zu unserer Wahrheit kommen und alle Unwahrheit über uns („Ach, ich bin doch so gering“) und die Welt („Die Welt ist nun mal so, nämlich schlecht“) ablegen. 10. Überall, wo Sakramente begangen werden, ist Kirche. Kirche ist nur da, wo Sakramente begangen werden Der Raum, der durch die Anerkennung von Gottes Dasein und Herrschaft entsteht, ist die Kirche. Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, d.h. der Menschen, die Gottes Herrlichkeit anerkennen und ihm vor allem anderen, vor allem vor sich selbst, die Ehre geben. Man kann es sich am Doppelsinn von Kirche – als Gemeinschaft der Gläubigen und als Gebäude – klarmachen. Geht man in eine Kirche, dann sieht man: Hier wird Gott die Ehre gegeben. Dieses Gebäude existierte gar nicht, wenn da nicht Menschen wären, die der Ehre Gottes in ihrem Leben Raum geben. Und dieser Raum ist die Kirche. In den Sakramenten vollzieht sich das, was Kirche ist. Sakramente sind, so kann man mit Karl Rahner sagen, der Grundvollzug von Kirche (vgl. dazu FABER, 52). Indem die Kirche das tut, was sie in den Sakramenten tut, weist sie den Raum aus, in dem Gottes Herrlichkeit anerkannt wird, in dem es also um ihn und nicht um die natürliche Selbsterhaltung der Menschen geht, und dabei entsteht sie als Kirche. Das II. Vatikanum sagt deswegen zu Recht: "Die Kirche ist ja in Christus gleichsam selbst das Sakrament" (Lumen Gentium, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Nr. 1). In jeder Eucharistiefeier entsteht Kirche von Neuem. Die Gemeinde versammelt sich im Namen des Herrn. Sie bekennt ihre Sünden: dass die Gläubigen sich selbst und nicht Gott die Ehre gegeben haben (Kyrie). Sie preist die Ehre Gottes (Gloria). Sie vergegenwärtigt sich die Geschichte Gottes mit den Menschen (Lesung/Evangelium) und lässt sich aufs Neue in diese Geschichte hineinziehen (Predigt). So kann sie sich zu ihrem Glauben bekennen (Glaubensbekenntnis). Sie ist nun bereit, ihre Gaben nicht für sich sondern für Gott darzubringen (Gabenbereitung). Sie bekennt die Herrlichkeit Gottes und seine Überlegenheit über alle Mächte und Gewalten (Sanctus). Sie betet den großen Lobgesang von der Herrlichkeit und den Taten Gottes in Christus (Hochgebet). Dabei verwandelt sich ihr die Welt und ihre Elemente zu Zeichen der Gegenwart Gottes in Christus (Wandlung/Realpräsenz). Sie kann nun in das Gebet Jesu einstimmen, das Gott die Ehre gibt und um die Erfüllung seines Willens bittet (Vater unser). Sie weiß nun, dass die Welt das Erbarmen Gottes nötig hat und bittet darum (Agnus Dei). Sie versammelt sich erneut zur Mahlgemeinschaft des Herrn und erfährt, dass sie aus eine Ansammlung je um ihre Selbsterhaltung besorgter Individuen zur Gemeinschaft der Liebe verwandelt worden ist (Kommunion). Dafür dankt sie Gott im Schlussgebet. – Darum erklärt die "Konstitution über die heilige Liturgie 'Sacrosanctum Concilium'" des II. Vatikanums, Nr. 10: "... die Liturgie ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt." Man kann den Zusammenhang von kirchlichem und göttlichem Handeln in den Sakramenten auch so beschreiben: Die Sakramente sind das, was noch zu tun ist, wenn die Herrlichkeit Gottes anerkannt ist. Sie sind das Handeln in dem Raum, der durch den Glauben an Gott entstanden ist. Nämlich: Menschen aus der Herrschaft der Mächte und Gewalten befreien, Schuld vergeben, Krankheit nicht mehr als 10 Ausgrenzung definieren, sich auf eine lebenslange Bindung einlassen usw. Dass solches Tun möglich ist, d.h. dass überhaupt Sakramente begangen werden können, ist das Heil oder die Gnade der Sakramente. Lit. zum Zusammenhang von Kirche und Sakrament: THOMAS FREYER, 'Sakrament'- was ist das?, in: Theol. Quartalschrift [ThQ] 178 (1998) 39-51 [etwas kompliziert aber lesenswert] Wenn man den Zusammenhang zwischen den Sakramenten und der Kirche bedenkt, entsteht die Frage nach dem Verhältnis zwischen der gerade ihre Sakramente feiernden Gemeinde und der universalen Weltkirche. Das ist eine schwierige ekklesiologische Frage. Dazu hier nur so viel: Überall, wo ein Sakrament begangen wird, ist Kirche im Vollsinn und ohne jede Einschränkung da. Die Gemeinde, die ein Sakrament feiert, ist in dem Augenblick nicht nur eine Filiale der Weltkirche. Und dennoch ist auch die universale Kirche wirklich Kirche. Das Glaubensbekenntnis zur „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ ist jedenfalls nicht nach dem Modell „Das Ganze und seine Teile“ oder „Der Konzern und seine Filialen“ zu beschreiben. Es ist viel komplexer. Das Ganze ist in jedem Teil schon da, und doch bilden alle Teile ein Ganzes. Lit.: Diese Frage ist vor allem zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche kontrovers. Vgl. dazu: PETER PLANK: Die Eucharistieversammlung alsKirche. Zur Entstehung und Entfaltung der eucharistischen Ekklesiologie Nikolaj Afana’evs (193-1966), Würzburg 2000. Die folgende Skizze stellt den Zusammenhang zwischen Kirche und Sakramenten dar. Zu achten ist auf den Prozesscharakter der Sakramente, der durch die Pfeile angedeutet wird. 11 11. Die Kirche als „Gnadenanstalt“ Bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) finden wir in der katholischen Kirche eine ungebrochene Sakramentenpraxis. Das Verständnis der Sakramente war damals gebunden an die Auffassung der Kirche als Heilsanstalt. Dem lag folgendes theologisches Modell zugrunde: - Gott ist der Urheber aller Gnade. - Christus hat durch seine Menschwerdung und seinen Opfertod die Gnade Gottes erworben oder verdient. - Christus hat dann die Kirche begründet, ihr die Verwaltung der Gnade übertragen und die Sakramente als Mittel zur Verteilung der Gnade eingesetzt. - Die Kirche teilt die Gnade durch die Sakramente, und zwar mittels der kirchlichen Amtsträger, aus. Es handelt sich um amtliche Gnadenvermittlung. Die Kirche galt hier also als Heilsanstalt, an die man sich in Sachen Gnade ebenso zu wenden hatte wie an die Krankenanstalt in Sachen Krankenbehandlung oder an das Finanzamt in Sachen Steuern – ganz unabhängig von der Qualität dieser Anstalten oder Ämter. Literatur dazu: FRANZ DIEKAMP, Katholische Dogmatik, Münster 1922, Bd. III: "Die Lehre von den Sakramenten", 2-64 [dies ist eine vorkonziliare neuscholastische Dogmatik, die das traditionelle kath. Sakramentenverständnis umfassend darlegt]; MICHAEL EBERTZ, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus. Die Erosion der 'Gnadenanstalt', in: F.-X. Kaufmann, A. Zingerle (Hgg.), Vaticanum II und Modernisierung, Paderborn 1996, 375-399. Die Stärke dieses Modells war, dass es die Leute dazu anhielt, zur Kirche zu gehen und die Sakramente zu empfangen. Es machte klar: Gnade ist etwas, das wir von Gott erhalten müssen und das wir in der Kirche empfangen können. Das Gnadengeschehen war hier gleichsam objektiviert (abgelöst von den subjektiven Gegebenheiten der Spender und der Empfänger). Die Schwäche des Modells war, dass es die Gnade vergegenständlichte, so als wäre sie etwas, das die Kirche hat und weitergeben kann. Und es stellte die Amtskirche als Spenderin den Gläubigen als Empfängern der Gnade gegenüber, es errichtete ein Gefälle zwischen Kirche und Gläubigen. Es ließ kaum erkennen, dass die Feier der Sakramente ein Geschehen der ganzen Kirche/Gemeinde ist und dass Gott allein der Urheber der sakramentalen Gnade ist. Das 'amtliche' und obrigkeitliche Kirchenverständnis, das das frühere Sakramentenverständnis trug, ist heute vergangen und nicht mehr wiederherstellbar. Also müssen wir uns um ein neues Verständnis der Sakramente bemühen, und zwar eines, das man den Leuten auch vermitteln kann. 12. Die Zeitlichkeit der Sakramente: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Sakramenten und biblischen Geschichten? Die Einseitigkeit des vorkonziliaren Modells kann sicher überwunden werden, wenn wir uns über den Zusammenhang der Sakramente mit den biblischen Geschichten klar werden. In jedem Sakrament scheinen viele biblische Geschichten auf. Ich nenne nur einige: - in der Taufe die Trennung von Wasser und Land in der Schöpfungsgeschichte/der Durchzug durchs Schilfmeer/die Taufe des Johannes/die Taufe Jesu/die Taufe, die die Jünger an Heiden spendeten - in der Firmung die Mitwirkung des Geistes bei der Schöpfung/die Geistausgießung an Richter und Propheten/die Geistverheißung für ganz Israel/die Geistsendung bei der Taufe Jesu/das Pfingstereignis 12 - in der Eucharistie die Schöpfung aus dem Nichts/das Pascha-Ereignis/die Opfer im Tempel/die Mahlzeiten Jesu/das letzte Abendmahl/Tod und Auferstehung Jesu/die Verheißung des himmlischen Hochzeitsmahles - in der Buße die Sühneopfer/das Ritual des Versöhnungstages/die Befreiung Israels aus dem Exil/die Sündenvergebungen und Dämonenaustreibungen Jesu/der Tod Jesu ("gestorben für unsere Sünden")/der Neuanfang der JüngerInnen nach der Auferstehung - in der Krankensalbung die Heilungen im Alten Testament/die Krankenheilungen Jesu/die Fürsorge in den frühen Gemeinden - in der Ordination die Berufung von Männern und Frauen zu Priestern, Propheten und Königen im Alten Testament/die Berufung Jesu selbst/die Berufung und Sendung der JüngerInnen/die Ämter und Dienste in der Urgemeinde - in der Ehe die Ehen Abrahams, Isaaks und Jakobs/das Bundes- und Liebesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel/die Treue Gottes zu seinem Bund/die Liebenden im Hohelied der Liebe/die Beziehung von Maria und Josef/die Hochzeit des Lammes mit seiner Braut. Die Sakramente sind dicht in das Netz der biblischen Geschichten hineingewoben. Sie sind dazu da, diese Geschichten zu erinnern und zu vergegenwärtigen. Zugleich werden damit ihre unabgegoltenen Verheißungen für die Zukunft erneuert. Sakramente erinnern die Vergangenheit so, dass sie die Gegenwart ins Licht der Zukunft stellen. Sakramente haben also damit zu tun, dass Geschichten der Vergangenheit nicht vergangen bleiben. Die Sakramente wiederholen diese Geschichten so, dass sie nicht noch einmal erlebt werden müssen und doch wieder Gegenwart (für die Feiernden) werden können (die Theologie nennt diese Art der Wiederholung repraesentatio). Sakramente setzen die Vergänglichkeit außer Kraft. Die Zeitlichkeit der Sakramente hat ihren biblischen Ursprung in der israelitischen und späteren jüdischen Paschafeier. Das Paschafest soll laut Ex 12,14 ein Gedenktag sein, den die Israeliten so begehen sollen, als seien sie gerade selbst aus Ägypten befreit worden. Jesus nimmt darauf Bezug, wenn er beim Abendmahl sagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19). Gedächtnis heißt griechisch anamnesis; wir sprechen vom anamnetischen Charakter der Sakramente. THOMAS VON AQUIN sagt sehr treffend: Das Sakrament ist ein signum rememorativum, ein signum demonstrativum und ein signum prognosticum (Summa Theologiae III, qu 60, art 3). Das Zeichen des Sakraments erinnert die Geschichten aus der Vergangenheit, demonstriert sie für die Gegenwart und lässt die Zukunft in ihnen sichtbar werden. Sachlich auf die Sakramente weist, wie gesagt, die Institution des Gedächtnisses (zikkaron, anamnesis) im Alten Testament voraus. Aber darin zeigt sich auch ein Unterschied: Die Bibel enthält die Erinnerungen des Volkes Israel. Die Christen sind aber nicht das Volk Israel; es sind nicht ihre Erinnerungen. Die Differenz zwischen dem Gedächtnis Israels und der Art, wie sich Christen auf die Heilsgeschichte beziehen, wird durch die Sakramente überbrückt. Man kann sagen: Biblische Menschen erinnern sich an die Geschichten, die für nachbiblische Menschen im Sakrament vergegenwärtigt werden. Das Sakrament ist eine Form der Erinnerung an Geschichten, die ursprünglich nicht unsere eigenen sind. Im Sakrament erinnert sich die Kirche aus Juden und Heiden an die Geschichte Israels und der Jesusbewegung. Wenn Jesus und die JüngerInnen 'sakramentale' Handlungen begehen (taufen, Mahl halten, Kranke heilen usw.), dann sind das noch keine Sakramente, sondern das, was in den Sakramenten erinnert wird. 13 Man kann sich das klarmachen am Beispiel von Menschen, die aus ihrem Land in ein anderes Land eingewandert sind. In der ersten Generation sind die Erinnerungen an das Heimatland noch ganz frisch. Aber spätere Generationen brauchen Zeichen und Rituale der Erinnerung. Sie haben das Heimatland nicht mehr erlebt. Das gilt noch mehr z.B. für ihre Ehepartner, die sie sich in dem neuen Land genommen haben. Solche Erinnerungsrituale („Wir feiern Weihnachten immer noch wie damals in Polen“) sind dann gleichsam „Sakramente“. In den USA habe ich Amish-people kennengelernt, die irgendwann im 16. Jh. nach Amerika ausgewandert sind. Noch heute benutzen sie ihre alte, deutsche Lutherbibel, obwohl viele von ihnen die deutsche Sprache nicht mehr verstehen. Sie hat für sie gleichsam „sakramentale“ Bedeutung. Literarischer Literaturhinweis: Viele Erzählungen des Bandes NUR WENN ICH LACHE. NEUE JÜDISCHE PROSA (hg. von Olga Mannheimer und Ellen Pressler, dtv 2002) lassen erkennen, dass nach dem Holocaust geborene Juden eine Art Sakrament für den Holocaust suchen: Sie wollen den Schrecken nicht in der Vergangenheit versinken lassen, denn er gehört zu ihrer jüdischen Identität, aber sie wollen ihn natürlich auch nicht noch einmal erleben. Sie suchen das, was die kath. Dogmatik in Bezug auf die Eucharistie die "unblutige Wiederholung des [Kreuzes-]Opfers" nennt. Siehe besonders die Erzählungen von Thomas Gunzig, Alain Finkielkraut, Melvin Jules Bukiet. 13. Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift vor? Damit sind wir bei der Beziehung der Sakramente zur hl. Schrift. Hinweis: In den Abschnitten 9 bis 15 wird die Geschichte der Theologie der Sakramente behandelt. Ich werde so vorgehen, dass ich von der Schrift aus das Sakramentenverständnis durch die Jahrhunderte der Kirche verfolge. Am Ende können wir dann besser sehen, welche Elemente aus Schrift und Tradition sich für ein heutiges Sakramentenverständnis bewähren. In der Bibel kommt das Wort 'Sakrament' nicht vor. Das erklärt sich zunächst recht einfach: Das Wort kommt aus der römischen Rechtssprache und war in biblischen Zeiten noch nicht bekannt. Aber auch der Sache nach ist klar, dass Sakramente im kirchlichen Sinne in der Bibel noch nicht vorkommen können. Sakramente dienen ja der Vergegenwärtigung der biblischen Ereignisse und Geschichten in späteren Zeiten. Sie setzen also einen zeitlichen Abstand zu den Ereignissen selbst voraus. Wenn Jesus da ist, braucht man nicht an ihn zu erinnern... Lateinische Bibelübersetzungen des 3. Jh. übersetzten mit sacramentum* einen biblischen Begriff, der im Neuen Testament 28mal vorkommt: mysterion. Die Bedeutung von mysterion ist vielschichtig: das Geheimnis des Reiches Gottes, das den JüngerInnen offenbart wird (Mk 4,11); Gottes Plan mit der Welt, der seit ewigen Zeiten besteht, aber jetzt durch Christus offenbar wird (1Kor 2; Eph 1,3-14; Eph 3,113); Christus selbst, der den Gläubigen an seinem Leib und Leben Anteil gibt (Kol 1,27); der Inhalt der Verkündigung (1 Kor 2,1.7). In einem Wort: das ganze Heilsgeschehen, das von Gott her in Christus geschieht und in das die Kirche einbezogen ist, wird mysterion genannt. Die Übersetzung dieses Wortes mit sacramentum trifft das Richtige: In den Sakramenten wird dieses Heilsgeschehen insgesamt vergegenwärtigt, und zwar so, dass die Glaubenden in es einbezogen sind und eine Verpflichtung auf sich nehmen, dem in ihrem Tun zu entsprechen. Vgl. dazu FABER, 26-28. * sacramentum ist in der römischen Rechtssprache der Fahneneid eines Soldaten, die feierliche Selbstverpflichtung auf das Regiment. 14 - Wir halten fest: Vom Neuen Testament her geht es in den Sakramenten um die Vergegenwärtigung des gesamten göttlichen Heilsgeschehens, das für Christen in Jesus Christus kulminiert und an dem sie beteiligt sind. Vgl. Eph 1,9-12: "Denn er [Gott] tat uns kund das Geheimnis [mysterion] seines Willens ... zur Verwirklichung der Fülle der Zeiten, nämlich das All in Christus wieder unter ein Haupt zu fassen, das Himmlische [!] und das Irdische. Ja, in ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden ... Wir sollen zum Lobpreis seiner Herrlichkeit dienen [!].": Gott handelt – in Christus – am Himmlischen und Irdischen – Christen sind daran beteiligt – durch das Lob von Gottes Herrlichkeit. »In Eph 1,3-14 ist zentral vom mysterium die Rede. Fassen Sie den Text gliedernd zusammen.« 14. Sakramente und antike Mysterienkulte In der hellenistischen Zeit (7. Jhd. v. Chr. bis 4. Jhd. n. Chr.) gab es die weitverbreitete Religion der sog. Mysterienkulte. Die wichtigsten: Eleusis – Dionysos – Isis – Kybele – Mithras. Sie waren eine Form privater Frömmigkeit (im Unterschied zu den öffentlichen Polis- und Reichskulten) und dienten der Heilsvergewisserung des einzelnen. Die Teilnehmer mussten sich einem Initiationsritus unterwerfen (Herkunft aus der Knabeninitiation) und waren zur Geheimhaltung verpflichtet ( = den Mund verschließen). Dann wurde das Schicksal der Kultheroen gefeiert und intensiv mitvollzogen: Vereinigung mit dem Schicksal der Götter. Inhaltlich ging es meist um Verlust und Wiederfinden, um den Übergang vom Tod zum Leben gemäß dem jahreszeitlichen Rhythmus. So der attische Eleusis-Kult: Die Fruchtbarkeits-Göttin Demeter verliert ihre Tochter Kore, im Frühling wird diese aber wiedergeboren. Lit.: GÜNTER BORNKAMM, Art. ; Art. MYSTERIEN/MYSTERIENRELIGION, in: RGG4, Bd. 5, 1637-1643. Die christlichen Kulte Taufe und Eucharistie, die aus jüdischen Formen heraus entstanden waren, zeigten eine gewissen Ähnlichkeit mit den Mysterienkulten. Schon der Begriff mysterion ermutigte zu Übernahmen. Auch hier ging es um Initiation und um den Mitvollzug des Todes und der Auferstehung, auch hier gab es Geheimhaltung (Arkandisziplin). Justin (+160) hielt die Mysterienkulte für eine dämonische Nachäffung der kirchlichen Liturgie. Aber durch die Ähnlichkeit mit den Mysterienkulten konnten sich die Sakramente auch Eingang in die heidnische Welt verschaffen, sie knüpften an etwas Vertrautes an. So übernahmen die Sakramente auch inhaltliche Elemente der Mysterien. An die Stelle des jüdischen Gedächtnisses trat die Vereinigung mit der Kultgottheit, an die Stelle der Erwartung und Verwirklichung des Reiches Gottes dessen kultische Vergegenwärtigung und Vorwegnahme. Der Bezug der Sakramente auf konkrete Geschichte und ihre Bedeutung für die Verwandlung der Welt konnte dabei verloren gehen. Mysterienkulte denken zeitlos-vertikal, Sakramente zeitbezogen-horizontal. Auch die starke Innen/Außen- bzw. Sakral/Profan-Unterscheidung der Mysterienkulte färbte auf die Sakramente ab. Die Mysterienkulte kamen in erster Linie dem "Wunsch nach ritueller Bekräftigung der positiven Selbsteinschätzung" (RGG, 1640) entgegen – dass sollen Sakramente niemals tun! Eine Äußerung Theodors von Mopsuestia (+428) zeigt, wie mysterienhaftes und sakramentales Denken ineinanderfließen konnten: "Wir lassen uns taufen in der Erwartung der Teilhabe an seinem Tod und in der Hoffnung darauf, auch daran teilzuhaben: in derselben Weise, wie auch er erstanden ist, von den Toten zu erstehen. Deshalb empfange ich, sobald ich mich taufen lasse, indem ich mein Haupt untertauche, den Tod unseres Herrn Jesus Christus und sein Begräbnis, das auf mich zu nehmen ich Verlagen trage. Und dabei bekenne ich wirklich die Auferstehung unseres Herrn. Beim Aussteigen aus dem Wasser halte ich mich sinnbildhaft für bereits auferstanden." (Homilia catechetica 14, 5, zit. nach FABER, 32). - Was passiert, wenn das biblische Zeugnis von Gott in die Welt der Völker und ihrer Religionen eintritt? Am Verhältnis von Mysterienkulten und Sakramenten kann man 15 paradigmatisch sehen: Es gibt Affinitäten, Vermischungen, wechselseitige Umdeutungen, und es muss sie geben, denn das Evangelium soll unter die Völker kommen. Setzt sich das Heidnische durch, wird das Biblische trotz bestehender äußerlicher Kontinuität in den Formen um sein Eigentliches gebracht (hier: Das Neue des Gottesreiches gegenüber dem Bestehenden). Die Kirche muss es dagegen schaffen, die heidnischen Formen von innen heraus umzuschaffen und mit biblischem Sinn zu erfüllen. – Das gilt auch für die im Folgenden aufgeführten Stationen der christlich-heidnischen Verschwisterung in den Sakramenten. 15. Der Einfluss des platonischen Bilddenkens auf das Verständnis der Sakramente Die biblischen Sakramente konnten auch an das bei den Gebildeten der Antike vorherrschende platonische Bilddenken anknüpfen. Diesem galt das Sichtbare als Abbild des Unsichtbaren, das Vergängliche als Abbild des Unvergänglichen. Christliche Theologen griffen das auf: Sakramente sind Abbilder (typos; eikon [Bild]) einer höheren Wirklichkeit – das konnten die Heiden verstehen. Aber die Theologie deutete den Platonismus um: Nicht mehr das Ewige, Unvergängliche wird im Bild bezeichnet, sondern das geschichtliche Geschehen um Israel und Jesus. Sakramente leiten an zu Nachahmung (mimesis) des Lebens Jesu. Der welt- und geschichtsverachtende Platonismus war damit von innen her umgedreht, sein Dualismus überwunden. Das Schicksal des kleinen Volkes Israel und des gekreuzigten Wanderpredigers Jesus ist jetzt die höhere Wirklichkeit, auf die die Sakramente verweisen. Und dann sind sie nicht mehr nur Bild, sondern Anleitung zur Nachfolge/zum Tun. (Aber haben das alle in die Kirche strömenden Heiden auch verstanden? Gab es nicht auch eine platonische Umdeutung des christlichen Glaubens? Das Risiko kultureller Übernahmen kann in der Kirche aber nie vermieden werden, auch heute nicht! Man muss nur wissen, dass und worin es besteht.) 16. Was trug die Zeichentheorie des Augustinus zum Verständnis der Sakramente bei? Augustinus (354-430), der überragende Kirchenvater des Westens, steht gleichsam immer auf dem Grat zwischen christlicher und heidnisch-philosophischer Weltdeutung, er ist immer ambivalent – aber er hätte seinen großen Namen nicht, wenn nicht schlußendlich das Christliche bei ihm den Ausschlag geben würde. Das gilt auch für sein Sakramentenverständnis. Augustinus geht vom philosophischen Zeichenbegriff aus. Er unterscheidet zwischen Sache (res) und Zeichen (signum). Sachen verweisen in der Regel nur auf sich selbst. Aber es gibt auch Sachen, die von sich aus auf anderes verweisen, wie der Rauch auf das Feuer. Sie werden dann zu natürlichen Zeichen (signa naturalia). Davon sind zu unterscheiden die gegebenen oder gesetzten Zeichen (signa data). Bei diesen wird einem Ding eine ganz bestimmte Bedeutung zugewiesen. Das beste Beispiel dafür sind Worte: ein Lautgebilde hat aufgrund von Übereinkunft eine Bedeutung. Beim Sakrament kommen nun beide Arten des Zeichens zusammen. Es ist ein natürliches Zeichen in seinem Element (Wasser...) und zugleich ein gegebenes Zeichen in seinem Wort, das über das Element gesprochen wird (Ich taufe dich im Namen des Vaters...). Wie wirken aber nun beide Arten des Zeichens zusammen? Für Augustinus macht erst das Wort das Element zum Sakrament: "Warum sagt er (Jesus Christus) nicht: Ihr seid rein wegen der Taufe, mit der ihr gewaschen worden seid, sondern sagt: 'Wegen des Wortes, das ich zu euch gesprochen habe', außer weil auch im Wasser das Wort reinigt? Nimm das Wort weg, und was ist das Wasser als eben Wasser? Es tritt das 16 Wort zum Element, und es wird das Sakrament, auch dieses gleichsam ein sichtbares Wort [accedit verbum ad elementum et fit sacramentum, etiam tamquam visibile verbum]. ... Die Reinigung also würde keineswegs dem fließenden und verfließenden Element zugeschrieben werden, wenn nicht hinzugefügt würde: 'im Wort'." (Traktat über das Johannesevangelium 80,3). In dieser Definition ist unklar: Wie verhält sich das gegebene Zeichen zum natürlichen Zeichen? Verstärkt das Wort die natürliche Zeichenhaftigkeit, nimmt es sie nur um Anlass, oder dreht es sie sogar gegen ihren Sinn um [kann denn das Untertauchen unter Wasser, also das Ersäufen, Leben bezeichnen?]? Diese Unklarkeit ist in Augustins Platonismus angelegt: Materielles, Sinnliches ist für ihn sehr eng mit der Realität der Sünde verknüpft, es kann das Göttliche nicht oder nur sehr unvollkommen anzeigen. Es muss erst von der Sünde gereinigt werden. Augustinus denkt nicht inkarnatorisch (=Gott nimmt das Fleisch als Ausdruck seiner selbst an).* [Aber es ist gut, dass Augustinus diese Frage offen gelassen hat, denn jede Zeit muss sie auf's Neue beantworten: Wie verhält sich das natürliche Zeichen zum Wort der Verkündigung, wie die Natur zur Gnade, wie die vorfindliche Welt zum Reich Gottes?!] Aus Augustins Definition "Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament" folgt noch etwas anderes: dass die gnadenhafte Wirkung des Sakraments allein aus dem Wort des Glaubens kommt – und nicht aus der Würdigkeit des Spenders oder dem Glauben des Empfängers. "Dieses Wort des Glaubens vermag so viel in der Kirche Gottes, dass es durch den Glaubenden, Darbringenden, Segnenden, Benetzenden auch ein so kleines Kind reinigt, obwohl es noch nicht imstande ist, mit dem Herzen zu glauben zur Gerechtigkeit und mit dem Munde zu bekennen zum Heil" (aaO.). Augustinus rechtfertigte damit die Kindertaufe ebenso wie er den Kampf gegen die Donatisten führen konnte, die bestritten, dass die von einem Ketzer oder Häretiker gespendete Taufe gültig ist, vgl. dazu FABER, 36-38. Die spätere kirchliche Lehre, dass die Sakramente ex opere operato (aus dem vollzogenen Werk) und nicht ex opere operantis (aus Tun des Vollziehenden) wirken, dass also, wenn das Sakrament richtig vollzogen wird, seine Wirkung von Gott her unfehlbar eintritt, ist hier vorgebildet. - Von Augustinus behalten wir: Zum Sakrament gehören das natürliche Zeichen und das Wort des Glaubens. Ihr Zueinander ist in jeder Zeit nur zu klären. Die Wirkung des Sakraments kommt allein von Gott her und nicht vom Tun und Glauben der Menschen. Und wir behalten vor allem unseren sakramententheologischen Leitsatz: Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament. 17. Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die Praxis und Theorie der Sakramente? Etwa ab dem 12. Jh. tragen drei Faktoren zu einer Umbildung des sakramentalen Tuns und Denkens bei: 1. Der Einfluss des germanischen, magisch-dinglichen Denkens. Es steht in der Gefahr, in den Sakramenten geheimnisvoll magische Kräfte zu sehen, die aus sich heraus wirken. Die Theologie wehrt das ab – und übernimmt zugleich einiges davon (s. gleich zu 3.) Für Augustinus ist auch der irdische Jesus nur Zeichen für das Mysterium des göttlichen Christus – des Christus, der zu allen Zeiten präsent war und sein wird. Insofern stellt die Menschwerdung für Augustinus nicht wirklich etwas Neues in der Heilsgeschichte dar! * 17 2. Die Verrechtlichung und Kodifizierung der Sakramente und ihrer Verwaltung. Sakramente waren die Haupteinnahmequelle der Kirche und sicherten den Unterhalt der Kleriker. Man will nun genau wissen, wer unter welchen Bedingungen die Sakramente spenden darf. Das Kirchen- und Sakramentenrecht entstehen (dabei spielt auch die Übernahme des römischen Rechtsdenkens eine Rolle). Als ordentliche Spender der Sakramente gelten jetzt in der Regel die Priester. Der Priester ist minister secundarius oder instrumentalis (stellvertretender Spender; Ausnahmen: Taufe, Ehe), Christus der minister primarius oder principalis (der eigentliche oder Hauptspender); der Priester handelt in persona Christi (als Stellvertreter/Repräsentant). Die Gültigkeit der Sakramente ist nicht abhängig von der Rechtgläubigkeit und Integrität des Spenders, er muss nur das tun wollen, was die Kirche tut (cum intentione faciendi quod facit ecclesia). Das Konzil von Florenz (1438-1445) erklärt zur Gültigkeit der Sakramente: "Alle diese Sakramente werden in drei Stücken vollzogen: durch den dinglichen Vollzug als materia, durch die Worte als forma, durch die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der Absicht, zu tun, was die Kirche tut. Wenn eines von diesen drei Stücken fehlt, so wird das Sakrament nicht vollzogen" (DH 1310-1313). 3. Das dritte neue Element der Sakramententheologie war die Rezeption der aristotelischen Philosophie in der Theologie und damit die Dominanz des kausalen Denkens. Man versteht die Welt als ein Gefüge aus Ursachen und Wirkungen und fragt sehr genau: Was ist Ursache, was ist Wirkung, wie bewirkt die Ursache ihre Wirkung? Sakramente wurden als die Ursache (causa) des Heils verstanden. Dabei ist klar, dass Gott die causa principalis der sakramentalen Gnade ist, die Sakramente selbst nur die causa instrumentalis, und zwar in der Hand dessen, der das Werkzeug gebraucht. Damit wird die Lehre vom opus operatum (s.o. 17) definiert: Das Sakrament wirkt durch die Kraft Gottes, nicht durch das, was Menschen tun. Der Anteil der Empfänger besteht darin, die Sakramente an sich wirken zu lassen. Er darf der Gnade keinen Riegel vorsetzen (non-obex-Lehre; darum auch Spendung an Unmündige und Bewusstlose), und er soll die Gnade im Glauben und im Leben fruchtbar werden lassen (das ist sein opus operantis). Das Bild ist: Die Sakramente sind wie eine Arznei gegen die Sünde, sie wirken, aber nur, wenn man sie richtig anwendet. Bei der Frage, wie die Sakramente von Gott her auf die Menschen wirken, gab es verschiedene Theorien: a) dispositive Wirkung: sie bereiten den Menschen auf den Empfang der Gnade vor, die Gott dann in Freiheit gibt; b) moralische Wirkung: Gott oder Christus werden durch die Sakramente bewogen, die Gnade zu geben; c) Vertragstheorie: Gott verspricht, seine Gnade immer dann wirken zu lassen, wenn Sakramente gespendet werden; d) physische Wirkung: Die Gnade kommt unmittelbar aus der Kraft der Zeichen, die Gott verliehen hat. Die letzte Theorie, die von Thomas von Aquin stammt, hat sich durchgesetzt – sie war die theologisch einsichtigste, und zugleich am meisten dem magischen Missverständnis ausgesetzt. Alle Theorien wollen aber die Freiheit Gottes gegen seine Bindung an die Sakramente abwägen, sie wollen erklären, wie er sich in Freiheit gebunden hat. 18 In Form einer Skizze lässt sich das scholastische Sakramentenverständnis so darstellen: Sakramentum tantum (Das Sakrament als solches, das Zeichen) ist das Signum visibile (sichtbares Zeichen) res et sacramentum (Mittleres zw. Zeichen und Gnade) res sacramenti (die eigentl. Gnade, Wirkung des Sakraments) Dieses besteht aus: materia und forma (Element und Handlung) (Wort) Zum Beispiel ist bei der Eucharistie das Sacramentum tantum die Mahlfeier mit der Materia Brot und Wein, zu denen dann die Konsekrationsworte als forma hinzutreten. Res et sacramentum ist der Leib Christi in den Gestalten von Brot und Wein. Der in Brot und Wein präsente Christus ist bereits Ausdruck der sakramentalen Gnade, er ist aber zugleich noch Zeichen für die eigentliche Gnade des Sakraments, die res sacramenti, d.h. für die Vereinigung der Gemeinde mit dem Leib Christi und die Sündenvergebung. Es wird auch erstmals die Siebenzahl der Sakramente festgelegt (amtlich im Konzil von Lyon 1274); vorher schwankte man zwischen zwei (Taufe, Eucharistie) und 12 Sakramenten (Abtweihe, Jungfrauenweihe, Kirchweihe, Königssalbung, Fußwaschung...). Über die Bedeutung der Siebenzahl ist später viel spekuliert worden; ein reiches Feld für Zahlensymbolik. Die Scholastik didskutierte die Beziehung zu den sieben Gaben des Heiligen Geistes (nach Jes 11,2). Die Festlegung erfolgt jedoch eher aus pragmatischen Erwägungen. Weitere Festlegungen der scholastischen Lehre: o Unterscheidung zwischen den Sakramenten des Alten Bundes (Beschneidung, Opfer) und des Neuen Bundes (die Sakramente der Kirche) o Taufe, Firmung und Weihe kann man nur einmal empfangen. Diese Sakramente prägen einen character indelebilis (unzerstörbares Prägemal) ein. Eucharistie, Buße und Krankensalbung (Letzte Ölung) kann man mehrmals empfangen; die Ehe kann nur nach dem Tod eines Ehepartners nochmals empfangen werden. Ehe und Weihe schließen sich gegenseitig aus. o Jeder kann ein Sakrament empfangen, der der Gnade keinen „Riegel“ (obex) vorschiebt (Non-obex-Lehre). Ein solcher Riegel ist eine direkte Verweigerung oder das Bewusstsein von einer Todsünde. Glaube ist Voraussetzung für den Empfang eines Sakramentes. Bei der Kindertaufe tritt der Glaube der Eltern, Paten bzw. der ganzen Kirche stellvertretend für den Glauben des Täuflings ein, bis dieser ihn selber erwirbt (Lehre von der fides aliena, dem fremden Glauben). Wir halten fest: Am reichen und begrifflich genauen Denken der Scholastik zu den Sakramenten kann keine spätere Sakramententheologie vorübergehen; es bildet 19 auch heute noch den Rahmen. Im historischen Abstand lassen sich die Stärkern und Schwächen dieses Modells erkennen: Stärken: o Die Objektivität des Handelns Gottes wird gewahrt, die Präsenz der Gnade unzweideutig bejaht o Das Sakrament nicht von der Würdigkeit des Spenders abhängig, die Spendung des Sakraments als amtliches Tun der Kirche verstanden – es bekommt damit wieder etwas Objektives, Verbindliches. o Die Kirche konnte sich somit in hohem Maße als Gegenwart des Gottesreiches auf Erden verstehen, wie man an den Kathedralen, den Kirchen und ihrer Ausstattung sehen kann, die uns das Mittelalter hinterlassen hat. Eine solche Kunst wäre ohne einen starken Glauben an die Wirklichkeit des Sakraments nicht möglich gewesen. Schwächen: o Es entsteht ein starkes Gefälle zwischen Klerus und Laien. o Die Klerikerkirche versteht sich als Gnadenverwaltungsinstitution. o Es tritt eine Fixierung auf den gültigen Vollzug, auf die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung ein. o Eine Verdinglichung der Gnade zum „Gnadenmittel“ konnte kaum verhindert werden. Von daher hatten die Sakramente zumindest in der Volksfrömmigkeit häufig einen Zug zum Magischen. Dass später, in unserer Zeit, das Geld zum „Sakrament der bürgerlichen Gesellschaft“ (Gotthard Fuchs) werden konnte, ist in dieser Auffassung angelegt. 18.Die Kritik der Reformatoren an der katholischen Sakramentenpraxis- und lehre Hierzu ist sehr viel zu sagen, das ergäbe eine eigene Vorlesung. Das Wesentliche aber ist: Die Reformatoren kritisieren, dass das Tun der Kirche sich vor Gott schiebt und seine Wirksamkeit im Wort des Glaubens verdeckt. Die Kirche tut so, als habe sie die sakramentale Gnade in ihrem Besitz und könne nach Gutdünken darüber verfügen (Bsp. Ablassstreit). Sie macht sich praktisch selbst zur Quelle der Gnade. Die Reformatoren betonen deshalb: Nicht aus dem Tun der Kirche kommt die Wirkung der Sakramente, sondern aus Gottes Gnade (sola gratia = allein aus der Gnade). Sakramente sind kein Werk, das die Kirche tut, sondern Geschenk Gottes, das im Glauben angenommen sein will (sola fide = allein aus dem Glauben). Nicht aus dem amtlich-richtigen Vollzug des sakramentalen Ritus kommt die Gnade, sondern aus dem göttlichen Wort, das auf den einzelnen und seinen Glauben zielt (solo verbo = allein aus dem Wort). Es kann nicht die Tradition und Lehre der Kirche darüber entscheiden, was ein Sakrament ist und wie es wirkt, sondern nur die hl. Schrift (sola scriptura = allein aufgrund der Schrift). Weil sie nur Taufe und Abendmahl, vielleicht auch die Buße in der Schrift begründet sehen, nehmen die Protestanten auch nur diese Sakramente an (so zuerst Luther in seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“/Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche, 1520). Martin Luthers Theologie der Sakramente stand in einer doppelten Frontstellung: Er wandte sich zum einen gegen die katholische Veräußerlichung und Verdinglichung der Sakramente und betonte den inneren Glauben; zum anderen aber hielt er gegen die "Schwärmer" (reformatorische Gruppen, die nur die innere Überzeugung gelten lassen wollten und alles Äußere in der Kirche ablehnten) die Bedeutung der äußeren 20 Zeichen fest. Das Sakrament ist für ihn der Ort, wo Christus sich gewiss finden und greifen lässt: "Es ist etwas anderes, wenn Gott da ist und wenn er dir da ist. Dann aber ist er dir da, wenn er sein Wort dazutut und bindet sich damit an und spricht: hier sollst du mich finden. Wenn du nun das Wort hast, so kannst du ihn gewisslich greifen und haben und sagen: hier habe ich dich" (M. Luther, Daß diese Worte Christi 'Das ist mein Leib' noch feststehen, 1527). Der Kern der evangelischen Kritik am katholischen Sakramentenverständnis besteht in dem Vorwurf: Die Sakramente bilden eine eigene Instanz der Vermittlung des Heils – so als wenn dem Heilswerk Jesu Christi noch etwas hinzugefügt werden müsste. Damit wird die Alleingenügsamkeit des Heils in Christus in Frage gestellt, und die Kirche beansprucht eine eigene Mitwirkung an der Heilsvermittlung. Somit gibt es in der katholischen Kirche zwei Vermittlungen des Heils: die durch Christus selbst und die durch die Kirche. Die frühere katholische Theologie fühlte sich von diesem Vorwurf insofern nicht getroffen, als sie die Kirche als mystischen Leib Christi verstand. Es war demnach der fortlebende Christus selbst, der durch die Kirche in den Sakramenten handelt. Nachdem aber diese Theologie des mystischen Leibes aus verschiedenen Gründen nicht mehr weitergeführt worden ist, ist der Vorwurf der evangelischen Theologie wieder sehr ernst zu nehmen – vor allem, wenn man von den Sakramenten als Grundvollzügen der Kirche und der Kirche als dem Grundsakrament spricht. Nach evangelischem Verständnis braucht es keine zweite Instanz der Heilsvermittlung. Es ist das Wort Gottes, das, wenn es im Glauben angenommen wird, das Heil und alle Gnade mit sich bringt (vgl. Luthers Rede vom "Testament": Im Neuen Testament steht, dass wir Gnade, Vergebung der Sünden und Seligkeit geerbt haben. Das wird uns im Wort der Verkündigung – eine Art Testamentseröffnung – gesagt. Wenn man es glaubt, hat man es: "Glaubst du, so hast du". Der konsequenteste Vertreter der evangelischen Theologie in dieser Hinsicht ist der reformierte Theologe Karl Barth (1886-1968). Er hat in seinem Spätwerk den Begriff der Sakramente ganz aufgegeben, auch Taufe und Abendmahl sind für ihn keine Sakramente mehr. Er wollte mit allen Mitteln das Problem der doppelten Heilsvermittlung vermeiden. -– Aber die Frage ist ja immer: Wie kommt denn das durch Christus erworbene Heil in andere Zeiten und bis zu uns heute? Wie gewinnt es Gestalt in dieser Zeit? Oder ist es nur ein innerliches Gefühl? Vgl. zur evangelisch-katholischen Kontroverse das ausgezeichnete Buch von REINHARD HEMPELMANN, Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im evangelisch-katholischen Dialog, Göttingen 1992. Die ökumenischen Dialoge der vergangenen Jahrzehnte haben in Bezug auf die Sakramente sehr stark das Verbindende zwischen den Konfessionen gesucht und die bleibenden Differenzen dabei aus dem Blick verloren. Darum haben sie auch zu keinem Erfolg geführt. Vgl. zur ökumenischen Verständigung das Dokument der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK Taufe, Eucharistie und Amt ("Lima-Erklärung"), 1982; das Dokument der kath. und ev. Kirche in Deutschland Lehrverurteilungen – kirchentrennend? (Bd. I-III, 1986-1990). Zahlreiche Dokumente sind gesammelt in Dokumente wachsender Übereinstimmung, hg. von H. Meyer u.a., 1983. Dazu auch A. BIRMELE, TH. RUSTER, Arbeitsbuch Ökumene, 4 Bde., Göttingen/Würzburg 1986-1988. »Was ist typisch katholisch am katholischen Gottesdienst? Was ist typisch evangelisch am evangelischen Gottesdienst?« 21 19. Neuansätze in der katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem im Umfeld des 2.Vatkanischen Konzils (1962-65). Der Ansatz Karl Rahners Das Konzil von Trient (1545-1563) hatte die katholische Sakramentenlehre im Wesentlichen unverändert gelassen und sie nur die gegen die Angriffe der Reformatoren präzisiert. In der Neuzeit hat sich dann im Allgemeinen das Sakramentenverständnis durchgesetzt, das ich oben unter 11. skizziert habe. Ein Sakrament wird jetzt (im CATECHISMUS ROMANUS, der im Auftrag des Konzils von Trient herausgegeben wurde) definiert als eine "sinnenhafte Sache, die aufgrund göttlicher Einsetzung die Kraft hat, die Heiligkeit und Gerechtigkeit sowohl zu bezeichnen als auch zu bewirken." Im 20. Jahrhundert gibt es zahlreiche Neuansätze: Die Mysteriendimension der Sakramente wird neu entdeckt. Odo Casel (1886-1948) findet in den antiken Mysterienkulten das Grundmodell der Sakramente: Ganzheitlicher Mitvollzug des Pascha-Mysteriums Jesu Christi. Damit hat er das 2. Vatikanum sehr beeinflusst.. Wichtig und weiterführend ist hierbei, dass die Sakramente als gemeinschaftliche Feier der Gemeinde und nicht als Heilserwerb des einzelnen verstanden werden. Zur Darstellung und Kritik Casels s. TH. RUSTER, Die verlorene Nützlichkeit der Religion, Paderborn u.a. 21997, 247-267 Überhaupt wird die Dimension der Kirche bei den Sakramenten ganz neu herausgestellt. Sakramente gelten jetzt als die Ausfaltungen des Grund- oder Wurzelsakraments Kirche. Kirche ist selbst die Einheit von Sichtbarem und Unsichtbarem und das wirksame Zeichen des Heils in der Welt (O. Semmelroth, E. Schillebeeckx, Th. Schneider u.a.). Das II. Vatikanum greift diesen Ansatz (eher zögerlich) auf, vor allem in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium (LG – Licht der Völker). Dort heißt es: "Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." (LG 1) "Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allem und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei." (LG 9) "Auferstanden von den Toten (vgl. Röm 6,9), hat er seinen lebendig machenden Geist den Jüngern mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Heilssakrament gemacht." (LG 48) Als Reaktion auf die Krise der Sakramente in neuerer Zeit hat es viele Versuche gegeben, die Sakramente anthropologisch zu begründen. Man verstand sie stark schöpfungstheologisch: als Vertiefung allgemein-menschlicher Sakramentalität, als Sinnerfüllung menschlicher Grundsituationen, als Symbole der Hoffnung. Man knüpfte immer wieder an das Ursymbol des Leibes, der Leibhaftigkeit (Symbol des Unsichtbaren im Sichtbaren) an. Man betonte den Zusammenhang der Sakramente mit allgemeinen Grunderfahrungen und Lebenswenden. Der Begriff "Symbol" tritt in den Mittelpunkt der Sakramententheologie (J. Ratzinger, W. Kasper, Th. Schneider, L. Boff, F.-J.Nocke u.a.). Sakramente werden als kommunikative Handlungen ausgelegt, die Dimension des Personalen (Selbstwerdung in Beziehung) wird betont (P. Hünermann, A. Ganoczy u.a.). Sakramente werden als ästhetische Ereignisse (Sichtbarkeit des Glaubens) verstanden (H.-J. Höhn) Insgesamt herrscht in der katholischen Theologie eine fundamentaltheologische Perspektive vor (und in der evang. Theologie bei P.Tillich). Sakramente werden aus dem allgemeinen Daseinsverständnis heraus verständlich gemacht. Es wird aber dann schwer, die übernatürliche, göttliche, daseinsverwandelnde Dimension der Sakramente noch zu bewahren. Vgl. hierzu FABER, 44-48; HEMPELMANN 135-180. 22 Alle katholischen Neuansätze der Sakramententheologie bündeln sich bei Karl Rahner (1904-1984), der auch den größten Einfluss auf die kath. Theologie ausgeübt hat. - Rahner vollzieht die ekklesiologische Grundlegung der Sakramente. Kirche ist nicht nur Lieferantin von Gnadenmitteln, sie ist vielmehr selbst das Realsymbol der bleibenden Gegenwärtigkeit der Gnade in der Welt, die Fortsetzung der Gegenwart Christi, sie ist Ur- oder Grundsakrament. Sakramente sind von daher die Selbstvollzüge von Kirche. - Insoweit kann Rahner die exegetische Frage nach der Einsetzung der Sakramente neu lösen: Mit der Stiftung der Kirche ergibt sich auch die Einsetzung der Sakramente. - Sakramente sind nicht nur ein objektives Mitteilen von Gnade unabhängig von der Aneignung des Empfängers, sondern zutiefst personales Geschehen: die Selbstmitteilung Gottes an den Glaubenden. - Damit verbindet sich eine neue Reflexion auf den Zusammenhang von Wort und Sakrament. Dies sind keine Gegensätze, sondern das Sakrament ist die höchste, intensivste Stufe des Wortes, dichter als das Wort der Predigt. - Diese Sakramententheologie Rahners ist eingebettet in eine neue Theologie der Welt, seinen insgesamt tragenden Grundansatz einer transzendentalanthropologischen Theologie ("anthropologische Wende"). Danach kommt Gott und seine Wirklichkeit nicht als etwas Fremdes, Äußerliches in die Welt. Kirche und Sakramente bilden keine Sonderwelten, sondern Gottes Offenbarung und Selbstmitteilung entsprechen im Tiefsten der menschlichen Grundsituation. In jedem existentiellen Akt wird Gott immer schon unthematisch angezielt und ergriffen ("anonymes Christentum"), Gott ist die Erfüllung des menschlichen Suchens und Strebens. Gott ist das Geheimnis der Welt, die Welt verweist auf Gott, die Welt ist durchdrungen von der Gnade Gottes. In den Sakramenten wird diese Grundsituation nur zur reflexen Erscheinung gebracht, wird ausdrücklich, was auch schon unausdrücklich immer der Fall ist. Sakramente stehen für die geschichtlich-konkrete Greifbarkeit der transzendentalen Verwiesenheit der Menschen auf die Gnade, in ihr ergreift der Mensch explizit, was er implizit schon hat. - Zur Kritik: Damit stellt sich aber die Frage, warum es die Sakramente/die Kirche/das explizite Christsein überhaupt geben muss. Rahner hat die Sakramente spiritualisiert; von einer Heilsvermittlung bei den Sakramenten kann bei ihm nicht mehr eigentlich die Rede sein. Sakramentalität gilt ihm als eine Grundstruktur, die für Christus, die Kirche und ihre Riten unterschiedslos zutrifft. Das Spezifische der Sakramente und ihre Bindung an das Wort der Schrift verschwimmen. Das göttliche, unableitbare "extra nos" des Heils kommt bei ihm nicht mehr heraus, auch nicht, dass das Wort Gottes gerade in den Sakramenten ein Gerichtswort über die Welt und die Menschen ist. Vgl. zu Rahner: HEMPELMANN 181-199; und meine Ausführung zu Rahner im Vorlesungsskript „Das Wesen des Christentums“ aus dem SS 2000. 20. Zusammenfassende Darstellung der allgemeinen Sakramentenlehre: das Sakrament als »Wandlung« Wir haben verschiedenen Definitionen des Sakraments gehört: Es ist ein äußeres Zeichen einer inneren Gnade bzw. einer unsichtbaren Wirklichkeit, eingesetzt durch Jesus Christus – Es ist ein Zeichen, das bewirkt, was es bezeichnet – Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament – Es ist eine Konfiguration der 23 weltlichen Wirklichkeit zur Wirklichkeit des Gottesreiches. Man kann erkennen, dass diese Definitionen alle das Gleiche sagen. Sie verweisen alle auf die gleiche Struktur: Sichtbares Zeichen eingesetzt durch Jesus Christus unsichtbare Gnade/Wirklichkeit Zeichen das bewirkt was es bezeichnet Zum Element kommt das Wort und macht das Sakrament Wirklichkeit wird konfiguriert zum Gottesreich Auf der linken Seite steht jeweils die normale, weltliche Wirklichkeit. Auf der rechten Seite steht das, was beim Vorgang des Sakraments herauskommt. In der Mitte steht, wie das geschieht. In der Mitte wird also der Vorgang der »Wandlung« bezeichnet, der für alle Sakramente, nicht nur für die Eucharistie, gilt. Ganz kurz kann man sagen: Sakramente verwandeln die Welt in das Reich Gottes. »Beschreiben Sie den Prozess der Wandlung für drei Sakramente« 21. Wie können wir die Sakramente heute verstehen? (Systematische Entfaltung) Vorbemerkung: Diesen Abschnitt habe ich in der Vorlesung im WS 09/10 nicht wieder aufgegriffen. Er schlägt eine andere Richtung als die, die mir aktuell wichtig ist. Dazu wollte ich bei den Sakramenten nicht allzu lange „im Allgemeinen/in der allg. Sakramentenlehre“ bleiben, da Sakramente etwas Konkretes sind. Dennoch mögen sich hier einige anregende Gedanken finden. In den Sakramenten wird Menschen aus den Völkern (=die nicht zu Israel gehören) eine andere Vorgeschichte zugeordnet. Und zwar die biblische Geschichte, die ja ursprünglich nicht die ihre ist (vgl. oben 12.). Aus dieser Geschichte heraus können sie sich und die Welt anders verstehen. Sie können sich jetzt Kinder Abrahams und Saras, Nachkommen Davids, Nachfolger der Propheten, Schüler der Weisen und letztendlich Jüngerinnen und Jünger Jesu nennen. Sie werden in die Geschichte Gottes mit den Menschen, die ausschließlich über die Geschichte Israels und Jesu verläuft, hinein genommen, sie werden damit Teil des Volkes Gottes. Dieser Ansatz erklärt, warum es in Israel und im Judentum keine Sakramente gibt. Sakramente sind für die Heidenchristen das, was für Israel/für die Juden die Erinnerung ist, vgl. oben 13. a) Was ist das für eine Geschichte, die Menschen aus den Völkern zugeordnet wird? Was ändert sich für sie dadurch? Es ist dies die Geschichte, in der sich der wahre und einzige Gott in seiner Herrlichkeit zeigt. Menschen, die sich diese Geschichte zu eigen machen, verherrlichen und lieben Gott über alles und wollen deswegen seinen Geboten folgen (denn Gott zeigt sich in seinem Gottsein, indem er Gebote gibt!). Diese Gebote sind in den zwei von Jesus genannten Hauptgeboten zusammengefasst, vgl. Mk 12,2834: "Und einer von den Schriftgelehrten, der sie miteinander disputieren gehört und erkannt hatte, wie gut er ihnen antwortete, trat hinzu und fragt ihn: 'Welches ist das erste Gebot von allen?' Jesus antwortete: 'Das erste ist: 'Höre Israel, der Herr unser Gott ist einer, und du sollst den Herren, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Denken und aus deiner ganzen Kraft' [Vgl. Dtr 6,4-5]. Das zweite ist dieses: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' [Lev 19,18]. Größer als diese ist kein anderes Gebot.' Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: 'Gut, Rabbi, und wahr hast du gesagt: 'Er ist nur ein einziger, und es ist kein anderer außer ihm.' Und ihn zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzem Denken und aus ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer' [...]" 24 Jesus fügt zwei Grundgebote des mosaischen Gesetztes zusammen und sagt damit: Wenn man Gott aus ganzem Herzen liebt – und nicht zuerst sich selbst! - , dann findet man sich als jemand vor, der die Freiheit hat, auch den Nächsten zu lieben. Die Geschichte, in die Menschen durch die Sakramente hineingestellt werden, ist also darin von allen anderen menschlichen (Vor-)Geschichten unterschieden, dass sie den Primat der Selbstliebe, der Selbstbehauptung, der Selbsterhaltung außer Kraft setzt und der Liebe zu Gott in allem den Vorrang gibt. Sie kann darum eine wahrhaft menschliche (humane) Geschichte sein, weil für sie die Welt nicht mehr ein Ort ist, an dem der Kampf um's Dasein zwischen Individuen, die zuerst an ihre Selbsterhaltung und Bestätigung denken müssen, stattfindet, sondern ein Ort, an dem Menschen einander gerecht werden können. In ihr gilt das Gesetz der "freien Selbstzurücknahme zugunsten anderer" (M. Welker). Wenn Menschen aus dieser Geschichte leben, ändern sie sich und ändert sich für sie die Welt. Sie können anders leben und handeln. Und sie bilden ein Volk, das nach diesem anderen Gesetz lebt (denn Völker bestimmen sich danach, nach welchem Gesetz sie leben). Die Sakramente bewirken deshalb einen radikalen Neuanfang, ein Neuwerden, eine neue Schöpfung. Keine weltliche Geschichte kommt an das heran, was sich in den Sakramenten ereignet. Denn in der biblischen Geschichte hat Gott selbst gesprochen und sich offenbart. Darum kann man sagen: Gott selbst handelt in den Sakramenten (vgl. oben 1.) Die zitierte Mk-Stelle zeigt, dass Jesus mit dem, was er sagt, ganz in der Tradition Israels steht. Er wiederholt ja nur die Hauptgebote der Tora. Und der Schriftgelehrte erkennt dann selbst, dass das Halten dieser Hauptgebote nicht mehr auf Israel beschränkt sein kann: 'das ist weit mehr als alle Brandopfer...', das ist nicht mehr an den Tempeldienst und an das irdische Jerusalem gebunden, diese Gebote können von allen Menschen gehalten werden, die Gott kennen und lieben. Jesus sagt ihm darauf: Du bist nicht weit vom Reich Gottes. b) Auf welche anthropologischen Grundlagen beziehen sich die Sakramente? Die schlichte anthropologische Grundlage der Sakramente ist, dass jeder Mensch aus und in Geschichten lebt und anders nicht. Wenn ich sagen will, wer ich bin, erzähle ich meine Geschichte... Wenn ich zu meiner Geschichte nicht mehr stehen kann, bin ich mit mir zerfallen, werde ich krank... Zu dieser Geschichte gehört aber die Geschichte meiner Familie, meines 'Klans', meines Volkes immer dazu. Sie ist meine Vorgeschichte, auch zu ihr muss ich über alle Brüche hinweg stehen können. Diese Vorgeschichte kenne ich nur, weil sie mir erzählt worden ist (in einer bestimmten, identitätsrelevanten Selektion; die Gesamtgeschichte ist nicht erzählbar). Auch meine eigene Geschichte, die ich von mir erzähle, beruht auf (je neuen) Selektionen, die beim Erzählen zustande kommen. Diese Geschichten steuern das Selbst- und Weltverständnis. Wenn heute von einem Traditionsbruch in dem Sinne die Rede ist, dass die Geschichten der Vergangenheit für die Gegenwart immer weniger Bedeutung haben, ist das kein Argument gegen das Geschichten-Identitäts-Konzept: dann entstehen eben Identitäten mit immer weniger Geschichte, dürftige, schwache Identitäten. Es ist also anthropologisch in Ordnung, dass die Sakramente die Identität von Menschen bestimmen, indem sie ihnen Geschichten nahebringen. Es ist auch nicht so ungewöhnlich, dass sich Menschen mit einer anderen Vorgeschichte identifizieren: so im Falle vieler Auswanderer, die (oder deren Kinder) sich im Laufe ihres Lebens die Geschichte des Landes, in das sie eingewandert sind, zu eigen machen. Das amerikanische Volk ist so entstanden. Das Besondere und Einzigartige der Vorgeschichte, die Menschen in den Sakramenten zugeordnet werden, ist nur diese Geschichte selbst. 25 Vgl. zu diesen Überlegungen: DIETRICH RITSCHL, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München: Kaiser 1984, 40-48 und die dort angegebene Literatur (Ritschls berühmtes story-Konzept!). c) Warum muss man sagen: Christus hat die Sakramente eingesetzt? Jesus Christus ist der Messias – und das verstehe ich so: Er hat das Volk Gottes über Israel hinaus für die Völker geöffnet. Er hat auch Nichtjuden für torafähig gehalten (Unreine, Samariter, Heiden) und somit die Erwählung Israels auf die Völker ausgedehnt (unter Wahrung ihres Unterschieds, vgl. Röm 1,16: "zunächst für die Juden und dann auch für die Griechen"). Diese Erwählung Israels besteht darin, Gott zu kennen, ihn zu verherrlichen und seine Gebote zu halten. Durch Jesus können das auch die ehemaligen Heiden tun. Vgl. dazu Eph 2,11-13: "Denkt daran: Ehedem lebtet ihr, die Heiden von Geburt [...] ohne Christus, ausgeschlossen von der Gemeinde Israels, fremd den Bundessschließungen und ihrer Verheißung, ohne Hoffnung und gottlos in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst fern wart, nahe geworden durch das Blut Christi" Und 2,19: "So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und Beisassen, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes." Darin erfüllt sich für Israel das messianische Zeitalter, vgl. z.B. Jes 2: An jenem (messianischen) Tag kommen die Völker zum Zion, um die Weisung/Tora Gottes zu hören. (Siehe dazu, wenn das nicht klar sein sollte, das Skript meiner Christologie-Vorlesung vom WS 98/99. Das Hineinholen der Menschen aus den Völkern in den Bund geschieht in einer hier nicht zu erklärenden Weise gerade durch sein Kreuz und seine Auferstehung). Wenn nun also die Sakramente bewirken, dass Menschen aus den Völkern die Geschichte Israels und Jesu als ihre eigene Vorgeschichte zugeordnet wird, dann ist dieses sakramentale Geschehen grundgelegt in Jesus Christus, in seinem messianischen Wirken. Ohne Christus keine Sakramente! Ob man ihn deswegen gleich "Ursakrament" nennen muss, ist eine strittige, vielleicht überflüssige Frage. Man sollte doch den Sakramentsbegriff so eng wie möglich halten, um ihn nicht zu verwässern. Die Theologie besteht zu Recht darauf, dass alle Sakramente von Christus eingesetzt sind. Dies gilt in einem weiteren Sinne: ohne Christus keine Sakramente, und in einem engeren Sinne: Jedes Sakrament muss auf das Christusgeschehen rückführbar sein! In jedem muss sein christologischer Sinn angebbar sein, d.h. an jedem Sakrament muss zu zeigen sein, dass hier Menschen aus den Völkern in einem spezifischen Sinn in die Wirklichkeit der Bibel und des Torahandelns hineingerufen werden (Näheres in der speziellen Sakramentenlehre). M. E. ist es aber nicht nötig, dafür jeweils eigene Einsetzungsakte Jesu vorzuweisen. Blickt man auf die Elemente der Sakramente (Brot, Wein, Mahlzeit, Wasser, Untertauchen, Öl, Salben, Handauflegung usw.), dann lässt sich zeigen, dass Jesus sie selbst so benutzt hat (oder sie an ihm benutzt wurden), dass sie von ihrem allgemeinen, symbolischen Sinn in spezifischer Weise in den Zusammenhang der Gottesgeschichte mit Israel gestellt und somit neu 'codiert' wurden: Brot und Wein werden durch Jesu Hingabe am Kreuz zu Zeichen des Pascha-Mysteriums, in das nun alle Menschen einbezogen sind, nicht mehr nur Israel. – Von der Frau, die Jesus in Betanien salbte, wird "in der ganzen Welt" (!) erzählt werden: Sie deutete das Zeichen des Salbens so um, dass nun auch für die Menschen in der ganzen Welt verständlich wird, was es bedeutet, in Israel zum König, Priester und Propheten, zum Messias gesalbt zu werden, vgl. Mt 14,3-9. – Hier ist also noch ein besonderer Sinn der "Einsetzung durch Jesus Christus" zu entdecken (aber das geht wohl nicht für alle Sakramente). d) Was haben die Sakramente mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu tun? Gottes Geist ist der Geist der Gerechtigkeit. Er ist der Geist, der Gottes Einsatz für das Leben gegen den Tod wirksam werden lässt. Nach biblischer Einsicht gibt der Geist Gottes die Kraft, die Gebote Gottes zu erfüllen, und er baut im Bereich der Tora-Gerechtigkeit ein Kraftfeld auf, in dem eine Gesellschaft für das Leben handeln kann und den Mächten des Todes nicht mehr ausgeliefert ist. 26 Ich kann das hier nicht ausführen. Vgl. MICHAEL W ELKER, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener ²1993, vor allem 109-173; und mein Skript vom SS 1996 "Gottes Geist und andere Geister. Theologie des Heiligen Geistes". Insoweit nun Menschen aus den Völkern durch die Sakramente in die biblische Wirklichkeit Gottes hineingeführt werden und somit die Möglichkeit haben, nach dem Gesetz Gottes zu leben, leben sie in der Kraft des Geistes. Die Kirche ist insgesamt ein Geschöpf des Heiligen Geistes, denn sie ist das Volk des Bundes/der Tora in der Welt. Was immer sie tut, geschieht in der Kraft des Geistes. Die Erinnerung (und die Herabrufung!) des Geistes ist notwendig, um nicht zu meinen, das, was die Kirche tut, komme allein aus ihrer eigenen Kraft . e) Inwieweit sind die Sakramente auch ein trinitarisches Geschehen? Wir haben schon gehört: In den Sakramenten handelt Gott (a) – durch Jesus Christus (c) – im Heiligen Geist (d). Sie sind also ein trinitarisches Ereignis, oder anders: Gott nimmt uns durch die Sakramente in sein eigenes inneres Leben, das unser Leben schafft und erhält, hinein. Dieser Prozess der Anteilhabe am Leben Gottes beginnt in jedem Sakrament/in jeder sakramentalen Feier neu und ist nicht abgeschlossen. Versteht man unter der ökonomischen Trinität den Zustand, "in dem sich Gott der Welt gegenüber aktuell befindet, den Stand des Prozesses zwischen ihm und den Menschen: zwischen Israel und den Völkern und zwischen Zorn und Liebe" (Zitat aus meinem Skript "Gotteslehre" vom WS 1999/2000, S. 37), dann kann man noch besser erklären, warum Sakramente trinitarische Ereignisse sind: In jedem Sakrament wird der Übergang von Israel zu den Völkern neu vollzogen, wird die Welt zum Reich Gottes umgewandelt (oder nicht), und daran entscheidet sich für Gott, ob er sich der Welt in Zorn oder Liebe zuwendet. Das, was da in den Sakramenten geschieht, bleibt für Gott nicht äußerlich, sondern betrifft sein Gott-Sein für die Welt, seine Selbstentäußerung als Gott aller Menschen. Darum gehören die Sakramente zur ökonomischen Trinität. f) Sind die Sakramente Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit? Insoweit die Sakramente durch Jesus Christus begründet und von ihm eingesetzt worden sind, sind sie nicht einfach Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit. Sie sind vielmehr Ausdruck der Neuschöpfung, die durch Christi Erlösung (durch den Einbezug der Völker in die Bundes- und Verheißungswirklichkeit Israels) begonnen hat. Die Schöpfung ist aufgrund der Sünde der Menschen dem Tod verfallen (sie bleibt den Zwängen der Selbsterhaltung ausgeliefert), wenn sie sich nicht auf die erlösende Wirklichkeit des Bundes einlässt und Gottes Willen erfüllt. Es reicht also nicht, die Sakramente aus den Gegebenheiten der Schöpfung herzuleiten und verständlich zu machen (etwa aus der Kraft des Symbolischen, der Leiblichkeit, der Sehnsucht nach Gemeinschaft, der Feier der Lebenswenden usw. –wie das in der jüngeren katholischen Theologie so beliebt war, vgl. oben 19. Mit solchen Verweisen kommt man nur bis zum 'Himmel'.). Wenn aber Menschen aufgrund der Verkündigung und der Sakramente erkennen, was Gott mit der Schöpfung vorhat und was er getan hat und tut, um die Macht der Sünde zu überwinden, dann erkennen sie auch, dass er das schon immer so wollte, dass das bereits sein Plan bei der Erschaffung der Welt war. Der Geist Gottes schwebte ja schon am Anfang über den Wassern, und Gott sah, dass das, was er geschaffen hatte, gut war, und er sagt den Menschen, dass sie sich die Erde untertan machen sollen, also nach den Geboten Gottes, der Tora, regieren sollen, vgl. Schöpfungsgeschichte. Aber dann kommt der Sündenfall... Sakramente lassen also in der alten Schöpfung die Umrisse der neuen erkennen, sie verhelfen zu einer vertieften Sicht auf die Schöpfung. Sie sind einer rein natürlichen Erkenntnis verschlossen, lassen aber ein neues Licht auf die Realität fallen. Damit ist 27 zugleich etwas über die eschatologische Dimension der Sakramente gesagt: indem sie die Geschichte Israels und Jesu erinnern, verändern sie die Gegenwart und lassen sie eine andere Zukunft erwarten, vgl. oben 12. zu signum rememorativum, signum demonstrativum und signum prognosticum g) Wie ist der Zusammenhang von Kirche und Sakramenten zu beschreiben? Vgl. dazu schon oben 10. Zusammenfassend kann man formulieren: In der Feier der Sakramente wird Kirche je neu geschaffen. Kirche ist da, wo Sakramente gefeiert werden. Insoweit gehen die Sakramente der Kirche voraus. Andererseits geht auch die Kirche den Sakramenten voraus: Kirche ist das Israel unter den Völkern, sie gibt es, weil Jesus die Bundeswirklichkeit bis zu den Völkern gebracht hat. Aber dieses Kirchesein findet eben immer nur statt, wenn Sakramente gefeiert werden: Da, wo Gott in den Völkern die Ehre gegeben wird, ist Kirche, und das geschieht, wenn Sakramente gefeiert werden. Es ist deswegen mindestens missverständlich, von der Kirche als dem Grund- oder Wurzelsakrament zu sprechen. Kirche wird aus den Sakramenten aufgebaut, es ist nicht erst die Kirche da, die dann die Sakramente feiert oder sie gar als ihr Werk hervorbringt. – Wenn man will, kann man das Verhältnis von Kirche und Sakramenten als zirkulär bezeichnen, aber dann sollte man doch, um Verwirrung zu vermeiden, den Begriff 'Sakrament' für die sakramentalen Feiern reservieren. h) Welches Verhältnis besteht zwischen Wort und Sakrament? Diese (ökumenisch viel diskutierte) Frage kann man nicht im Sinne eines 'mehr oder weniger' beantworten. Es gibt nicht 'mehr' als das Wort Gottes, das uns Gott, seine Herrlichkeit und sein Gesetz mitteilt. Mehr ist nicht zu sagen. Das Sakrament muss dann als eine bestimmte Gestalt dieses Wortes begriffen werden: die Gestalt seines Wortes, die sich an die Menschen aus den Völkern richtet und diese zur Gemeinschaft des Bundes und des Gesetzes einlädt. Dieses ist zum Beispiel zu unterscheiden von der Gestalt seines Wortes in der Gesetzesverkündigung an das Volk Israel, das sich in besonderer Weise an Israel richtet! Das Wort Gottes an die Menschen aus den Völkern ergeht als Sakrament, d.h. es ergeht so, dass es, wie gesagt, diesen Menschen eine andere Geschichte zuordnet. Es wird dann, wie Augustinus treffend sagt, ein verbum visibile (sichtbares Wort). Warum das so ist, erhellt aus dem Zusammenhang von Wort und Element im Sakrament. i) Wie ist das Verhältnis zwischen Wort und Element theologisch zu erklären? Die Beziehung zwischen Wort und Element ist bei jedem Sakrament eine offene, jeweils neu zu klärende Beziehung. Denn in dieser Beziehung ist genau der Übergang von der Welt der Bibel in die Welt der Heiden abgebildet. Das Element steht für die Welt der Völker, es vertritt da, wie man oft gesehen hat, eine Grunddimension des Daseins. Indem nun das Wort zum Element tritt (Augustinus), wird dieses Element in einen neuen Zusammenhang gestellt, es wird neu codiert (tatsächlich sind alle Zeichen codiert, d.h. sie beruhen auf Übereinkunft). Das heißt genauer: Es werden biblische Geschichten erzählt, in denen das Element eine andere Bedeutung hat als gewöhnlich. Dabei hängt es jeweils von der gewöhnlichen, in der Welt der Völker vorausgesetzten Zeichenhaftigkeit des Elements ab, inwieweit es sich für die Umcodierung durch das Wort eignet, was von ihm aufgenommen und was verändert werden muss. Wir haben das an den Mysterienkulten, dem Neuplatonismus, der Magie des Mittelalters (vgl. oben 14, 15, 17) gesehen: Das Wort kann sich jeweils auf etwas im Element (im vorausgesetzten Sinn des Zeichens) stützen, muss anderes zurückweisen bzw. mit neuer Bedeutung versehen. Jede Zeit der Kirche muss das im Blick auf ihre Welt neu bestimmen. Mit Recht hat deshalb Augustinus die genaue Zuordnung von natürlichem Zeichen und Wort Gottes nicht festgelegt. Die Beziehung zwischen Element und Wort repräsentiert also das Geschehen, das in den Menschen vor sich geht, die das Sakrament begehen. Von 28 ihnen hängt es letztlich ab, wie sie diese Beziehung verstehen. Beispiele dazu in der speziellen Sakramentenlehre. Taufe ist Eingliederung in das Gottesvolk und damit immer auch Teilhabe an Israel. Daraus die Aufgabe: »Meine Teilhabe an Israel – ganz konkret: Welche Beziehungen zu jüdischen Menschen, zum Judentum, zum Land Israel habe ich?« 29 II. Spezielle Sakramentenlehre A. Die Initiationssakramente Taufe und Firmung Lit.: Faber, 75-97; Kunzler, Leben in Christus, 412-435; Ders., Liturgie der Kirche, 398-418; Meßner, Einführung, 59-149; Dorothee Boss, Taufe kompakt, Würzburg 2009; Christian Lange (Hg.), Die Taufe – Einführung in Geschichte und Praxis, Darmstadt 2008; Michael Hauke, Die Firmung. Geschichtliche Entfaltung und theologischer Sinn, Paderborn 1999; Ders., Das Sakrament der Firmung, in: W. Brandmüller (Hg.), Christus in den Sakramenten der Kirche, Aachen 1998, 81-113. 1. Probleme mit Taufe und Firmung heute Wie bei allen Sakramenten, so wollen wir zunächst die Probleme ins Auge fassen, die sich für Taufe und Firmung heute stellen. Denn eine „Theologie der Sakramente“ soll ja dazu dienen, diese Probleme zu lösen. Die Hauptprobleme für die Taufe sind wohl: o Die Taufe produziert „Taufscheinchristen“, sie hat für das Leben keine Bedeutung o Der Zusammenhang von Glaube und Taufe ist meistens nicht gegeben o Letzteres gilt besonders für die Säuglingstaufe. Lässt sich diese überhaupt noch rechtfertigen, etwa gegenüber den Einsprüchen baptistischer und freikirchlicher Gemeinden, die auf der „Gläubigentaufe“ bestehen? o Entwertet sich die Kirche nicht selbst, wenn sie die „Gnade“ der Sakramente spendet, und es folgt nichts daraus? Ist das nicht „billige Gnade“ (D. Bonhoeffer)? o Taufe ist meistens ein reines Familienfest, ohne jeden Gemeindebezug o Das Patenamt hat keine kirchliche Funktion mehr o Die „Heilsnotwendigkeit“ der Taufe wird nicht mehr gesehen. Glaubt noch jemand, dass man nicht in den Himmel kommen kann, wenn man nicht getauft ist? Für die Firmung kommt noch hinzu: o Die Firmung soll die Getauften zu mündigen Christen machen, die in der Kirche Verantwortung übernehmen – aber genau das geschieht meistens nicht. o Ist die Firmung nicht nur ein „pädagogisches Sakrament“, d.h. eine Gelegenheit, den Getauften den Inhalt ihres Glaubens zu vermitteln? o Oder gar nicht eine Rekrutierungsmaßnahme der Kirche – hier kann sie die jungen Leute noch einmal erreichen? o Grundsätzlich gefragt: Ist die Firmung überhaupt ein eigenes Sakrament, wenn sie doch nur die Taufe vollendet? Sieht man die Zustimmung der Getauften als Inhalt der Firmung, dann entsteht daraus jedenfalls kein eigenes Sakrament. Es wird ja dabei keine Gnade vermittelt. o Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Taufe und Konfirmation? Was bedeutet es, dass die evangelische Kirche die Konfirmation nicht als Sakrament ansieht? 2. Biblische Schlüsselszenen: Mt 3; Joh 3; Röm 6 Mt 3,1-17: Johannes der Täufer Die Johannestaufe gilt als Ursprung und Vorbild der christlichen Taufe. Aber in welchem Sinn? Johannes verkündet die Taufe zum Gericht und zur Umkehr. Für ihn ist zu seiner Zeit die Frist abgelaufen, die Gott dem Volk Israel zur Umkehr gesetzt hat. Die Zerstörung Jerusalems (587 v.Chr.) und das Exil waren die Strafe Gottes für die Sünde Israels. Danach hat Gott sein Volk wieder angenommen – aber 30 gewissermaßen nur auf Bewährung. Nach einer alten Prophetie sollte diese Probezeit 7 x 70 Jahre dauern. Diese Zeit ist nun abgelaufen. Jetzt muss sich zeigen, wer würdig ist, dem Volk Gottes anzugehören. Darum sagt Johannes: Die bloße Zugehörigkeit zum Abrahamsnachkommenschaft genügt nicht mehr (V. 9). Jetzt will Gott Taten sehen. Das Gericht ist jetzt: „Jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworden“. Bei der Johannestaufe geht es also darum, wer Gott recht ist und damit zu seinem Volk gehören kann. Wer keine guten Taten vorweisen kann, gehört nicht mehr dazu. Da kommt Jesus, lässt sich taufen, und eine Stimme vom Himmel ertönt: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Jetzt ist klar, wer Gott gefällt: Jesus. Und für alle, die das hören, ist klar: An diesen Jesus muss ich mich halten, wenn ich dazugehören will. In Gemeinschaft mit ihm zu sein, das bedeutet, zu Gott zu gehören und das wahre Israel zu sein. In diesem Sinne also ist die Johannestaufe der Ursprung der christlichen Taufe. Sie bedeutet die Aussonderung für das wahre Volk Gottes, d.h. für die Kirche. Und zwar gerade dadurch, dass Jesus sich von Johannes taufen lässt und er dabei von Gott als der Mensch seines Wohlgefallens offenbart wird. Die christliche Taufe führt in die Gemeinschaft mit Jesus und damit in das wahre, Gott wohlgefällige Gottesvolk. Literaturhinweis: Hansjörg Rieger, Johannes der Täufer und die Frucht der Umkehr, in: IKZ Communio 34 (2005) 33-46 Joh 3,1-21: Jesus im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus. Nikodemus glaubt, dass Jesus von Gott gekommen ist. Jesus darauf: Wer nicht von oben geboren wird, kann das Reich Gottes nicht schauen. Nikodemus: Wie kann ein Mensch zum zweiten Mal geboren werden, z.B. wenn er ein Greis ist? Jesus: Wer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann nicht in das Reich Gottes eingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Biblisch ist 'aus dem Fleisch geboren sein' der Inbegriff für Handeln aus Selbsterhaltung. Die Frage ist also: Wie kommt man von Primat der Selbsterhaltung los und in das Reich Gottes hinein? Jesus ist radikal: Entweder aus Fleisch oder aus Geist – der Wechsel ist eine neue Geburt, ein absoluter Neuanfang. Das Geborenwerden aus Geist ist für die, die aus dem Fleisch sind, nicht planbar: Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. Nikodemus: Wie kann das dann geschehen? Jesus: Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht? Das Geheimnis ist also bereits in der Lehre Israels enthalten! Jesus sagt im Folgenden, dass er nun von "himmlischen Dingen" reden werde, und verweist auf einen Teil der Tora, nämlich Num 21,4-9: Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden... Was steht in Num 21? Die Israeliten haben Angst, in der Wüste zu sterben. Da lässt Gott Feuerschlangen gegen sie los, viele werden gebissen und sterben. Die Leute bitten Mose, Fürsprache für sie einzulegen. Gott sagt Mose: "Fertige dir eine Feuerschlange an und befestige sie an einer Stange. Jeder aber, der gebissen ist, soll am Leben bleiben". Und so geschieht es. Wie ist das zu verstehen? Die Israeliten 'fressen' sich aus Angst um ihre Selbsterhaltung gegenseitig auf. Der gewaltsame Kampf ums Dasein ist entbrannt. Das Aufrichten und Ansehen der Schlange macht diesen Gewaltmechanismus sichtbar, und das schafft die Rettung. Jesus identifiziert sein Schicksal mit dieser ehernen Schlange und der Rettung, die von ihr kommt. ...so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, durch ihn ewiges Leben hat. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe. 31 An Jesu Tod werden die Gewaltmechanismen, die aus dem Kampf um Selbsterhaltung, dem Kampf des Fleisches kommen, ansehbar. Wer an ihn glaubt – nämlich dass er von Gott kommt, von dem das Leben und nicht der Tod ausgeht – hat das Gesetz des Fleisches überwunden. Es muss nicht mehr jeder selbst sterben, es genügt, an Jesus zu glauben und in Lebensgemeinschaft mit ihm zu sein. Röm 6:Taufe als Sterben und Aufstehen mit Christen. In Röm 6 sagt Paulus das Gleiche in anderen Worten (nun schon auf Jesu Tod und Auferstehung zurückblickend): Wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, auf seinen Tod getauft sind? Wir sind also durch die Taufe auf seinen Tod mit ihm begraben, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so auch wir in einem neuen Leben wandeln werden. Taufe ist also, wie Paulus weiter ausführt, ein Mitgekreuzigtwerden des alten Menschen, ein Vernichten des Sündenleibes. Der Sündenleib ist der Mensch, der in allem nur auf seine Selbsterhaltung bedacht ist. Dieser muss und wird in jedem Fall sterben! Denn wer gestorben ist, der ist von der Sünde frei geworden. Erst der Tod beendet den Kampf ums Dasein. Aber im Glauben an Christus sind wir mit ihm so eng in einer Lebensgemeinschaft verbunden, dass der Glaube an ihn genügt, um in ihm zu sterben und nicht mehr selbst sterben zu müssen. Und im selben Glauben werden wir auch mit ihm zum neuen Leben auferweckt, einem Leben, das nicht mehr unter der Macht der Sünde und damit des Todes steht. Wir wissen ja, daß Christus, nachdem er von den Toten auferweckt ist, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Gewalt mehr über ihn. Denn mit seinem Sterben ist er der Sünde ein für allemal gestorben, mit seinem Leben aber lebt er für Gott. Ein Leben für Gott zu leben, das bedeutet, die Herrlichkeit Gottes der eigenen Selbsterhaltung vorzuziehen. Der Weg dorthin wird über die Gleichgestaltung mit Christus im Glauben vollzogen. Das ereignet sich in der Taufe. Es ist die Gnade des Sakraments der Taufe, dass Menschen durch den Glauben und die Gemeinschaft mit Christus nicht mehr selbst die notwendige Folge ihres Selbsterhaltungshandelns, den Tod, erleiden müssen. Und dann kann das neue Leben beginnen. Es steht unter der Aufforderung: Darum soll die Sünde nicht mehr in eurem sterblichen Leib herrschen ... gebt eure Glieder nicht mehr als Waffen der Ungerechtigkeit hin ... sondern als Waffen der Gerechtigkeit für Gott. Vgl. Cyrill von Jerusalem (+387): "Wir starben nicht wirklich, wir wurden nicht wirklich begraben, wir sind auch nicht wirklich als Gekreuzigte auferstanden, sondern die Nachahmung geschah im Bild, das Heil aber in Wirklichkeit. Christus wurde tatsächlich gekreuzigt, tatsächlich begraben und ist wirklich auferstanden – und all das hat er uns wirklich geschenkt, damit wir ... in Wirklichkeit das Heil erlangen." Bei diesem Gedanken ist es ganz wichtig, zwischen Stellvertretung und Ersatz zu unterscheiden! Jesus ersetzt nicht unser eigenes Handeln und Glauben, sondern er vertritt uns, damit wir es selber tun können. So wie ein Lehrer mit seinem Wissen das Wissen der Schüler nicht ersetzt, sondern ihnen Raum schafft, damit sie selber wissen können. Oder wie die Mutter, die mit ihrem Kind lebt und leidet, gleichsam dieses Leben des Kindes noch einmal lebt – nicht um das Kind zu ersetzen, sondern um ihm in der Gemeinschaft die Kraft zu geben, sein eigenes Leben zu leben. 32 3. Theologie der Initiationssakramente o Die Taufe ist Eingliederung in Christus, um durch ihn und mit ihm des Lebens teilhaftig zu werden, das von Gott kommt. Durch die Taufe verwandelt sich das 'für uns' Jesu in unser 'durch ihn' und 'mit ihm'. Die Theologie spricht auch von der Eingliederung in den mystischen Leib Christi. o Dieses Leben ist das Leben für Gott, d.h. das Leben, das nicht mehr unter dem Zwang der Selbsterhaltung steht. Es ist damit das Leben in Gerechtigkeit, denn gerecht im biblischen Sinn kann nur sein, wer den anderen gerecht wird und sie nicht als Mittel der eigenen Daseinserhaltung und Selbstbehauptung gebraucht. Leben in Gerechtigkeit heißt biblisch: Leben in der Kraft des Heiligen Geistes. o Die Taufe ist eine Gabe, eine Gnade von Gott (das ist ihr opus operatum). Was die Taufe bewirkt, kann kein Mensch von sich aus machen. Es wird geschenkt, soll sich aber in einem Leben nach der Gerechtigkeit bewähren. o Taufe bewirkt Sündenvergebung. Dies geschieht dadurch, dass der/die Getaufte von den Mächten der Sünde, die mit der individuellen Selbsterhaltung gekoppelt sind, befreit wird. Getaufte müssen nicht mehr sündigen (aber sie können es noch). Die Sündenvergebung ist nicht auf einzelne Vergehen der Vergangenheit bezogen, sondern auf den absoluten Neuanfang, der mit den neuen Leben aus der Taufe gegeben ist. o Taufe ist Eingliederung in die Kirche. Das meint zum einen den Erwerb der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Kirche, den Erwerb der Mitgliedschaftsrechte bzw., was dasselbe ist, die Ordination zum allgemeinen Priestertum, zum anderen aber die Aufnahme in die Kirche als den Leib Christi, als die Gemeinschaft, die in der Lebensgemeinschaft mit und in Christus existiert. Christus ist nicht ohne seine Kirche. o Taufe ist damit die Aufnahme in das Gottesreich auf Erden. Sie ist wie die Einbürgerung eines Menschen in ein Land, in dem andere Gesetze gelten als in seinem Herkunftsland. Diese Aufnahme kann man nicht erzwingen, sie muss von den zuständigen Autoritäten des Landes vorgenommen werden; in der Kirche von denen, die die Taufe vornehmen. Dass der Neubürger in den Genuss der Gesetze des neuen Landes kommt, bedeutet das Geschenk der Taufe. Aber es wird dann auch von ihm erwartet, dass er sich an die Gesetze und die Lebensweise jenes Landes hält. o Die Firmung ist in diesem Vergleich mit der Übernahme von Verantwortung und Pflichten in dem Land der Einbürgerung zu vergleichen. Der Neubürger wird ermächtigt, nicht nur in dem Land zu leben, sondern auch Ämter und öffentliche Aufgaben zu übernehmen (vgl. die Auseinandersetzung um das Wahlrecht der Ausländer bei uns). – Oder ein anderer Vergleich: Wer sich an der Universität immatrikuliert, übernimmt alle Rechte und Pflichten eines Studierenden. Nach dem Examen aber bekommt man einen neuen Status, man kann man MitarbeiterIn werden, darf selbst lehren und prüfen und trägt damit zum Leben der Universität bei – das ist wie die Firmung in der Kirche. o Was Firmung bedeutet, kann man sich am besten an den »Sieben Gaben des Heiligen Geistes« klarmachen. Diese sind aus Jes 11,1 gewonnen und lauten, wenn man sie von hinten nach vorne liest (dies ist bei biblischen Aufzählungen, z.B. den zehn Geboten, immer zu empfehlen – sie haben ein „Achtergewicht“): Gottesfurcht – Frömmigkeit – Erkenntnis – Kraft – Rat – Einsicht – Weisheit. Diese werden bei der Firmung verliehen, und das bedeutet: Jemand „fürchtet“ Gott, das heißt er gibt ihm die Ehre, die Gott gebührt – daraus erwächst eine Grundhaltung, Frömmigkeit genannt, das 33 heißt eine Ausrichtung des ganzen Lebens auf Gott und nicht auf sich selbst – daraus entsteht eine bestimmte Art von Erkenntnis, nämlich die, alle Dinge auf Gott beziehen zu können – daraus erwächst Kraft, weil man ja nicht mehr an die eigene Armseligkeit gebunden ist; und diese Kraft braucht man dann auch, denn man eckt mit einer solchen Erkenntnis ganz schön an – dann kommt der „Rat“, das ist auf das Tun zu beziehen („Berater“ sagen einem, was man tun soll“, das heißt ein dem Willen Gottes entsprechendes Handeln und Verhalten – das wiederum bewirkt Einsicht; es ist die Einsicht, die aus dem Tun kommt (das ist mehr als praktische Intelligenz, es ist die Fertigkeit, die aus intensiver Beschäftigung entsteht) – und schließlich gelangt man zur Weisheit, denn der Geist Gottes lässt einen über die geschilderten Stufen in ein rechtes Verhältnis zu Gott und der Welt kommen. Wie konkret das gemeint ist, sieht man, wenn man z.B. statt Gott das Geld einsetzt. Auch da gibt es eine bestimmte Art von Furcht, von Frömmigkeit, von Erkenntnis usw., nur dass am Ende keine Weisheit dabei herauskommt. »Nennen Sie drei Elemente des Taufritus, die die ‚Wandlung’ bezeichnen« 4. Aus der Geschichte von Taufe und Firmung Der Ursprung der christlichen Taufe ist wie gesagt die Taufe des Johannes. Im Judentum gab es sonst keinen vergleichbaren religiösen Ritus, aber es kann sein, dass jüdische Reinigungsbäder (man denke an die jüdischen Bäder, Mikwe) einen Einfluss auf die Taufe ausgeübt haben. Der Taufbefehl Jesu (Mt 28,19) ist historisch unsicher. Fest steht aber, dass die junge Christenheit von Anfang an mit großer Selbstverständlichkeit die Taufe vollzogen hat. Im NT sind Taufen ohne längere Vorbereitung (Apg 8,26-40: äthiopischer Kämmerer) und Taufen eines "ganzen Hauses" bezeugt (Apg 16,15: die Purpurhändlerin Lydia lässt sich mit ihrem ganzen Haus taufen – Kindertaufe?). Ab dem 2. Jh. bildet sich ein längeres Katechumenat (Vorbereitung der Taufbewerber; bis zu drei Jahre) heraus. In dieser Zeit, in der die Katechumenen noch nicht zur Eucharistie, zum Friedensgruß und zum gemeinsamen Gebet zugelassen waren, wurden sie von Paten begleitet. Diese mussten vor der Taufe, die am Ostersonntag nach mehreren Exorzismen und einem Examen gespendet wurde, für die Taufbewerber bürgen. „Für den Christen der Spätantike war die Taufe gewiß der eindrucksvollste und wichtigste Gottesdienst seines Lebens“ (Meßner, Einführung aaO. S. 102). Folgendes Zitat aus der „Apostolischen Überlieferung“aus dem 4. Jh. vermittelt einen Eindruck von Katechumenat und Taufe in der Alten Kirche: „Wenn man diejenigen, die bestimmt sind, die Taufe zu empfangen, ausgewählt und ihr Leben geprüft hat, ob sie als Katechumenen ehrenwert lebten, ob die die Witwen ehrten, ob sie die Kranken besuchten, ob sie alle guten Werke ausführten, und wenn die, von denen sie eingeführt wurden [die Bürgen/Paten] bezeugen, daß sie so gehandelt haben, so sollten sie das Evangelium hören [d.h.: sie wurden zur letzten Phase des Katechumenats, zum Photizomenat, zugelassen und durften nun den Wortgottesdienst besuchen]. Von der Zeit an aber, da sie abgesondert werden sollen, möge ihnen täglich die Hand aufgelegt werden, indem sie beschworen werden. Wenn nun der Tag herannaht, an dem sie getauft werden sollen, soll der Bischof jeden einzelnen von ihnen beschwören, damit er erkennt, ob sie rein sind. Wenn aber einer da ist, der nicht wohlgebildet oder nicht rein ist, soll er beiseite gestellt werden, weil er das Wort nicht gläubig gehört hat; denn es ist unmöglich, daß sich der Fremde [d.h. der Teufel] je verbirgt.“ (Kap. 20, zitiert nach Meßner aaO. S. 95f). Der Ablauf den altkirchlichen Taufgottesdienstes ist aus Text 1 (s. Anhang) zu ersehen. Die Schilderungen von Tertullian (um 200) und Ambrosius (Ende 4. Jh.) zeigen im Wesentlichen dieselbe Struktur. 34 Ab dem 4. Jh. verfiel das Katechumenat, da viele Bewerber sich erst kurz vor ihrem Tod taufen ließen. In der gleichen Zeit finden wir aber auch schon die Kindertaufe, gegen die sich offenbar kein Protest erhob. Als im 5. Jh. Augustinus die Kindertaufe mit der Lehre von der Erbsünde verband, wurde sie gesamtkirchliche Praxis. Meßner, Einführung S. 85-117, arbeitet gut heraus, dass die Taufe im Übergang von der Antike zum Mittelalter einen entscheidenden Bedeutungswechsel mitgemacht hat. In der Alten Kirche bedeutete sie im Wesentlichen einen »Herrschaftswechsel«. Aus der heidnischen Gesellschaft, in welcher man den falschen Göttern diente und alle Arten von Lastern geübt wurden, vollzog die Taufe den Wechsel in den Raum der Kirche. Der Täufling gelangte aus dem Reich des Bösen/des Teufels in das Reich Christi. Deswegen waren mit der Taufvorbereitung so viele Exorzismen (Austreibung der bösen Mächte) und Abrenuntiationen (Widersagungen an das Böse) verbunden. Im Mittelalter aber war die Gesellschaft als Ganze christlich geworden. Taufe war nun Eingliederung in die bestehende Gesellschaft. Sie wurde zum Eingangs- und Randsakrament der Kirche. Dazu trug auch die Ablösung der Firmung von der Taufe bei. In den Mittelpunkt des sakramentalen Lebens tritt im Mittelalter die Buße, das heißt das Bekenntnis und die Vergebung der Sünden, die einen Christen aus der Kirche ausschließen. Weiterhin ist zu beobachten, dass im Mittelalter die Bedeutung des Tauf- und Firmspenders neu betont wird. Im Zuge der Anreicherung des Amtsverständnisses mit klösterlichen Idealen (Zölibat!) erschien der Amtsträger als „Mann Gottes“ (vir Dei), der über besondere Gnadengaben verfügt und diese in den Sakramenten weitergibt. Es kommt zum Modell der „priesterlichen Gnadenvermittlung“, als deren Empfänger der einzelne Mensch gedacht wird. Die Taufe ist jetzt zuerst die Ausstattung mit der Gnade, die man für das ewige Leben braucht. Bei diesen sicherlich zutreffenden Beobachtungen ist nicht zu vergessen, welche Bedeutung die Erbsündenlehre hatte. In der Erbsündenlehre hat sich der Gedanke des „Herrschaftswechsels“ weiterhin erhalten, ja er ist dort sogar zentral. Taufe ist Übergang aus dem Machtbereich der Sünde, dem alle Menschen kraft der Erbsünde verfallen sind, in den Bereich Christi, wo die Macht der Sünde gebrochen ist. Der soziologische Gedanke des Herrschaftswechsels in der Alten Kirche hatte sich in die ontologische Lehre von der Erbsünde verwandelt; und dies war sicherlich eine angemessene Form, die Kontinuität einer Glaubenswahrheit über die Diskontinuität der Zeiten bzw. sozialen Verhältnisse zu bewahren. Für heute kommt es darauf an, wieder eine Form zu finden, die den Gedanken des Herrschaftswechsels ausdrücken kann. Taufe ist Befreiung von den Mächten des Bösen – wie ist das heute zu denken und zu vollziehen? Würde es gar nicht mehr gedacht – und das ist heute leider überwiegend der Fall – dann wäre die Taufe um ihre Bedeutung gebracht. Zum Verhältnis von Taufe und Firmung. Zwei Positionen Mit der Kindertaufe lösten sich die Firmung und die Erstkommunion (Taufkommunion) von der Taufe ab. Die postbaptismale Salbung (Abschlussritus der Taufe) war nach einer stadtrömischen Tradition dem Bischof vorbehalten. Da dieser nicht bei allen Kindertaufen anwesend sein konnte, wurde in der Westkirche die Firmung (confirmatio: Bestätigung, Bestärkung) später nachgeholt. Die Kirche des Ostens blieb hingegen dabei, Taufe, Firmung und Erstkommunion zusammen zu spenden. Ab dem 12./13. Jh. wurde dann im Westen auch die Erstkommunion als eigener Ritus begangen, und es bildete sich die Reihenfolge Taufe-ErstkommunionFirmung heraus. 35 Zu dieser Entwicklung, die große Bedeutung hat für das heutige Frage nach der Sakramentalität der Firmung hat, gibt es unterschiedliche Positionen in der Theologie. Reinhard Meßner, Einführung, S. 136-141, und Michael Kunzler, Liturgie der Kirche, 410-413, halten es nicht für richtig, die Tradition der Kirche weiterzuführen, die im Grunde nur durch eine historische Zwangslage (der Bischof konnte nicht bei allen Taufen zugegen sein) bzw. durch die gesamtkirchliche Übernahme einer stadtrömischen Tradition (dem römischen Bischof war die postbaptismale Salbung vorbehalten) entstanden ist. Die Reihenfolge Taufe – Erstkommunion – Firmung ergebe theologisch keinen Sinn. Auch die nachträglich für die eigenständige Firmung gegebenen Begründungen (der bei der Taufe bezeichnete Soldat Christi erhält nun die geistlichen Waffen; Mündigkeitssakrament; Bestätigung des Taufglaubens; kirchliche Volljährigkeitserklärung) haben nach den Genannten keine biblische und theologische Grundlage; sie sind allenfalls katechetisch-pädagogisch zu halten. Kunzler insbesondere verweist auf die Vorbildlichkeit des ostkirchlichen Brauchs, die Initiationssakramente zusammen zu spenden, wie es bei der Erwachsenentaufe ja auch bei uns geschieht. Demgegenüber betont Manfred Hauke, Die Firmung aaO. 25ff; 153-175 die historische und sachliche Selbstständigkeit der Firmung gegenüber der Taufe. Schon in der Apg gibt es unterschiedliche Konstellationen von Taufe und Firmung bzw. Geistempfang: o Apg 8,14-17: erst Taufe dann Firmung o Apg 10,44-47: erst Firmung dann Taufe o Apg 19,1-7: Taufe durch die Begleiter des Paulus, dann Handauflegung/Geistempfang durch den Apostel („Bischof“) Paulus Die Taufe kann als das österliche Sakrament verstanden werden, die Firmung als das Sakrament von Pfingsten. Und wie Ostern und Pfingsten in der Bibel nicht dasselbe sind, so auch Taufe und Firmung nicht. Erst am Pfingstfest treten die Jünger aus dem geschlossenen Raum heraus und fangen an zu predigen – der Geist, der auf sie gekommen ist, gibt ihnen eine neue Kraft. In der Alten Kirche hat sich eine ganz eigenständige Firmterminologie herausgebildet, die darauf hinweist, dass die Eigenständigkeit des Firmsakraments deutlich gesehen wurde. Sachlich wurde der Unterschied von Taufe und Firmung u.a. in folgende Begriffe und Bilder gefasst: Taufe Firmung Österliches Sakrament pfingstliches Sakrament Aufnahme (z.B. in ein Heer) Ausrüstung zum Kampf Geburt Vollalter Befreiung von Sünde neues Leben Text 2 (s. Anhang), die Zusammenfassung einer Pfingstpredigt des frühmittelalterlichen Bischofs Faustus von Riez (5. Jh.), zeigt anschaulich, wie der Unterschied von Taufe und Firmung im Mittelalter verstanden wurde. Diese Predigt des Faustus wurde im ganzen Mittelalter immer wieder zu diesem Thema herangezogen. Nimmt man beide Positionen zusammen, so ergibt sich, dass es gute Argumente für die Eigenständigkeit der Firmung als Sakrament gibt. Wie oben unter 3. gesagt: Die Firmung verleiht einen neuen Status in der Kirche! Sie ist mehr als der Abschluss der Taufe, geschweige denn, dass sie nur die Bestätigung der Taufe vollzieht. Andererseits ist ersichtlich, dass beide Sakramente eng zusammengehören. Dies sollte auch bei der Vorbereitung und der Feier zum Ausdruck kommen. Solange es 36 die Kindertaufe noch gibt, müsste die Firmvorbereitung eigentlich das nachholen, was in der Alten Kirche das Katechumenat geleistet hat. Und der Zusammenhang der Firmung mit der Übernahme von Verantwortung in der Kirche sollte ganz klar gemacht werden. Die Firmung ist ein „ekklesiales“ Sakrament, sie dient nicht der persönlichen Stärkung. Die Reformation hat keine wesentlichen Änderungen der Taufpraxis- und theologie gebracht. Luther betont die Bedeutung des Glaubens, hält aber gegen die Schwärmer auch an der Objektivität des Sakraments fest. Die Firmung wird als Sakrament abgelehnt. Dabei bestritten die Reformationen vor allem das bischöfliche Vorrecht zur Firmung. Für sie war die Konfirmation hauptsächlich der Abschluss der Vorbereitung, des Konfirmationsunterrichts, der dementsprechend auch viel wichtiger genommen wurde. Konsequenterweise wurde die Konfirmation dann in den Zeiten der Aufklärung eine Art kirchliche Jugendweihe. Demgegenüber hat wiederum der Pietismus die Geisttaufe als die eigentliche Taufe erklärt. Das Konzil von Trient bestätigte die Sakramentalität der Firmung und erklärt, dass der Bischof der ordentliche Spender des Sakraments ist (DH 1628-1630). Das II. Vaticanum betont den Zusammenhang der Initiationssakramente. In der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“, Nr. 71 heißt es: Der Firmritus soll "den inneren Zusammenhang dieses Sakramentes mit der gesamten christlichen Initiation besser aufleuchten" lassen. In Nr. 64 wird die Wiederherstellung eines Katechumenats für die Erwachsenentaufe gefordert. Im Zusammenhang der ökumenischen Bewegung hat die Taufe als Sakrament der kirchlichen Einheit eine große Bedeutung erlangt, vgl. das Lima-Dokument, oben 18. »Meine Position zur Frage der Kindertaufe« 5. Der Ritus der Kindertaufe Vgl. dazu Gotteslob Nr. 45-50 sowie Dt. Bischofskonferenz (Hg.), Die Feier der Kindertaufe, Freiburg u.a. 2001 Der nach dem II. Vaticanum erneuerte Ritus enthält: - Begrüßung, Gespräch mit den Eltern über den Taufwunsch und den Namen des Kindes, Wort an die Paten über die christliche Erziehung - Wortgottesdienst und Riten, die an das einstige Katechumenat erinnern: Lesungen und Ansprache, Bezeichnung mit dem Kreuz, Fürbitten, Anrufung der Heiligen, bes. der Namenspatrone, Gebet um Befreiung von der Macht des Bösen, Salbung mit Katechumenenöl (= Stärkung) - Kernhandlung der Taufe: Gebet über dem Wasser oder Taufwasserweihe, Absage an den Satan und Glaubensbekenntnis, Taufe durch dreimaliges Untertauchen oder Übergießen mit der Formel: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. - Ausdeutende Riten: Chrisamsalbung (= Salbung zum König, Priester und Propheten), Anlegen des weißen Taufkleides [vgl. Offb 6,11; 15,6; 19,8: Das Kleid derer, die aus der eschatologischen Bedrängnis gerettet werden; und: "Das Linnen sind die Rechttaten der Heiligen"!], Übergabe der Taufkerze, Effata-Ritus (Öffung der Sinne für das Wort Gottes) - Abschluss: Vaterunser, Elternsegen und Entlassung. 6. Der Ritus der Firmung Vgl. dazu Gotteslob Nr. 51-52 sowie Dt. Bischofskonferenz (Hg.), Die Feier der Firmung, Freiburg u.a. 2002 37 Die Firmung soll in der Hl. Messe gespendet werden, Spender ist der Bischof. Sie hat den Aufbau: - nach der Predigt: Vorstellung der Firmlinge und Homilie des Spenders - Tauferneuerung: Absage an den Satan und Glaubensbekenntnis - Aufforderung an die Gemeinde zu stillem Gebet - Gebet des Firmspenders um den Heiligen Geist unter Ausbreitung der Hände über den Firmlingen - Firmhandlung: Zeichnung eines Kreuzes mit Chrisam auf die Stirn und Formel: N., sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist. - Fürbitten, Fortgang der Eucharistiefeier Das Backenstreich (Alapa), früher ein Erinnerungszeichen der Firmung und – germanisch – auf den Ritterschlag gedeutet, ist fortgefallen. 7. Die Elemente der sakramentalen Zeichen Das materiale Element der Taufe ist das Wasser, bzw. genauer, das dreimalige Untertauchen oder Übergießen mit Wasser. Dies ist auf das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus zu deuten. Kirchenväter haben auf die Rettung Noahs aus der Sintflut, die Rettung Israels aus dem Schilfmeer, die Rettung Jonas verwiesen. Gibt die uns heute zugängliche Wasser-Symbolik diese Bedeutung her? HÖHN (57-61: Basissymbol 'Wasser') findet Analogien in der Symbolik: Wasser als Urgrund des Lebens, Summe aller Möglichkeiten, Neubeginn, Verwandlung, Schweben, den Boden unter den Füßen verlieren, keinen festen Halt mehr haben, Wasserflut = Katastrophe, Eintauchen in die Tiefe. Das materiale Element der Firmung ist das Besiegeln mit Chrisam-Öl auf der Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes (lange hat man geschwankt, ob nicht auch die Handauflegung sakramentales Zeichen sei, aber heutige Liturgiewissenschaft sieht in der Handauflegung nur einen begleitenden Ritus zum Gebet um die Gaben des Heiligen Geistes.) Die Besiegelung kann man auf den Abschluss der Initiation deuten. Ich denke aber dabei an die auf der Stirn Besiegelten aus der Offenbarung des Johannes, die durch die Vollmacht des Engels aus der großen Drangsal gerettet werden, vgl. Apk Kap. 7. Ihnen stehen die gegenüber, die das Malzeichen des Tieres (des großen Verderbers) auf ihrer Hand oder an ihrer Stirn tragen, von dem es heißt: "dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Malzeichen, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens hat." (13,16f). Das trifft es doch für heute genau: Firmung als Besiegelung zur Rettung vor der Dämonie des Marktes! 8. Ist die Kindertaufe zu rechtfertigen? Die Taufe ist primär ein Handeln Gottes an einem Menschen. Darauf antwortet der Glaube. Es ist nicht notwendig, dass der Glaube vorher vorhanden ist, sowenig das Sakrament der Taufe ohne Glaube zum Ziel kommt. Die Taufe kommt so zum Menschen, wie der Ruf Gottes an Abraham erging oder wie Jesus in die Welt kam. Aber die Kirche muss alles tun, um die Antwort des Glaubens später möglich zu machen. Das tut sie im Blick auf den stellvertretenden Glauben der Eltern (fides aliena, so Augustinus) und durch die Institution des Patenamtes. Sollte in einer Familie gar kein Glaube anzutreffen sein, sollte die Taufe aufgeschoben werden. Die Paten übernehmen die Pflicht, den Glauben des Kindes zu fördern (und nicht nur Geschenke zu bringen). Streng genommen kann sich niemand für die Taufe entscheiden. Das neue Leben, das die Taufe schenkt, ist ja vorher gar nicht bekannt – wie sollte sich jemand dafür entscheiden können? Ein Bild: Wie sollten Menschen, die immer nur im Dunklen gelebt haben und das Licht nicht kennen, sich für das Licht entscheiden? Dazu 38 kommt: Wann sollte denn das rechte Alter für die Entscheidung sein? Am Ende der Kindheit, in der Pubertät, in den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenenlebens? Wohl kann sich jemand gegen den Glauben der Taufe entscheiden. In diesem Fall kommt das Sakrament zwar zustande, es kommt aber nicht zur Wirkung. Die Lehre der Kirche ist hier schon richtig: Nur wenn jemand dem Sakrament einen Riegel (obex) vorschiebt, kann die sakramentale Gnade nicht wirken. Das Argument, dass die Eltern das Kind durch die Taufe manipulieren, halte ich für nicht zugkräftig. Es gibt keine neutrale Erziehung, die Eltern werden dem Kind immer das mitgeben, was ihnen wichtig ist. Sich damit auseinanderzusetzen, gehört zum Erwachsen-Werden. Im Übrigen: Wie könnten die Eltern ihrem Kind die geistliche Nahrung der Taufe vorenthalten, von deren Lebensnotwendigkeit sie überzeugt sind? Ebenso enthalten sie ja auch die körperliche Nahrung nicht vor. Luther sagt: Die Taufe ist wie ein Schiff, zu dem man immer wieder hin schwimmen kann, sollte man einmal herabgestürzt sein. Es schadet nicht, das Kind einmal auf dieses Schiff inmitten des todbringenden Meeres gebracht zu haben. 9. Ist die Taufe heilsnotwendig? Mk 16,16: "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden" (im gleichen Sinne Joh 3,5 und Tit 3,5). Nach allem, was ich über die Theologie der Taufe gesagt habe, steht dieser Satz für mich fest; er wird auch von der Lehre der Kirche bestätigt (DH 1618; LG 14). Nur in der Gnade der Taufe und des darauf antwortenden Glaubens kann jemand der Macht des Todes, die der Sünde Sold ist (Röm 6,23; vgl. oben zu Röm 6), entgehen. Die Macht des Todes über Menschen und andere Geschöpfe kommt aus den Zwängen des unersättlichen menschlichen Selbsterhaltungsund Selbstbehauptungsstrebens. Unsere Gegenwart, die ganz von den Kräften individueller und systemischer Selbsterhaltung geprägt ist, gibt dafür das beste (schlimmste) Beispiel. Nur die Gnade Gottes kann davon erlösen, die es ermöglicht, Gott über alles zu lieben und dann den Nächsten wie sich selbst, d.h. also, den Zwängen der Selbsterhaltung zu entkommen. Diese Gnade Gottes wird Menschen in der Taufe zuteil, und darum ist die Taufe heilsnotwendig. Eine andere Frage ist, ob Gott sich in jedem einzelnen Fall an den Vollzug des Sakraments bindet. Schon der Kirchenvater Ambrosius (+397) war der Auffassung, ein Katechumene, der den Martyrertod erlitten hat, habe durch seine Bluttaufe die Wassertaufe ersetzt, und er folgerte daraus, dass bei Katechumenen das Verlangen nach der Taufe genügt, auch wenn sie vor der Taufe eines natürlichen Todes gestorben sind. Daraus entwickelte sich die Lehre vom votum baptismi (das Verlangen nach der Taufe), das im Falle, dass die Taufe nicht gespendet werden kann, die Taufgnade ersetzt. Das II. Vaticanum spricht in LG 16 von einer Heilsmöglichkeit für Nichtgetaufte aufgrund der ehrlichen Suche nach Gott, auch wenn die Taufe nicht explizit angestrebt wurde. Aus 1 Tim 2,4 kann man wissen, dass Gott will, "dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen". Welche Wege er zur Erfüllung seines universalen Heilswillens außer dem regulären Weg der Taufe noch wählt, bleibt ihm überlassen. 39 B. Das Sakrament der Eucharistie Vgl. dazu: Faber, 98-121; Kunzler, Leben, 281-400; 436-444; Ders., Liturgie, 269-388; Meßner, Einführung, 150-222; Heinrich Kahlefeld, Das Abschiedsmahl Jesu und die Eucharistie der Kirche, Frankfurt 1980 (biblische Grundlegung); Alexander Gerken, Theologie der Eucharistie, München 1973 (zur Theologiegeschichte); Andrea Bieler/Luise Schottroff, Abendmahl. Essen, um zu leben, Gütersloh 2007; Gottfried Bachl, eucharistie. macht und lust des verzehrens, St. Ottilien 2008; Alexander Schmemann, Eucharistie. Sakrament des Gottesreiches, Einsiedeln 2005; Wilfried Haunerland (Hg.), Mehr als Brot und Wein. Theologische Kontexte der Eucharistie, Würzburg 2005 (daraus einzelne, im Folgenden an ihrem Ort genannte Beiträge); Walter Kasper, Sakrament der Einheit. Eucharistie und Kirche, Freiburg 2004; Thomas Ruster, Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie, Ostfildern 2006; Albert Gerhards, Benedikt Kranemann, Einführung in die Liturgiewissenschaft, Darmstadt 2006, S. 220-225 [zur Eucharistiefeier und ihren Elementen] »Beobachtung der Eucharistie von außen: Wenn jemand, der nichts vom Glauben weiß, zum ersten Mal eine Kirche betritt, wie würde er die Eucharistiefeier erleben und beschreiben?« 1. Probleme mit der Eucharistie heute o Sie ist ein „Angebot ohne Nachfrage“: Immer weniger Leute kommen zur Kirche o Sie ist eine „Nachfrage ohne Angebot“: Wegen des Priestermangels müssen viele Gemeinden ganz oder teilweise darauf verzichten o Viele Leute meinen, die Eucharistiefeier sei eine Art Seniorenprogramm der Kirche. Man sieht jedenfalls fast nur graue Häupter darin. o Die liturgische Sprache und die Riten werden kaum mehr verstanden. Wie steht es um die „Liturgiefähigkeit“ (R. Guardini) des modernen Menschen? o Die Eucharistie ist das Sakrament des Gottesreiches schlechthin. Sie ist das zentrale Sakrament des Heils. Wo wird das aber heute noch deutlich? Wie kann es verstanden werden? o Früher wurde die Heilsbedeutung der Eucharistie hauptsächlich vom eucharistischen Opfer aus verstanden. Aber ist nicht der Opfergedanke ganz aus der Kirche verschwunden? Kann er, soll er wiederhergestellt werden? o Eucharistie ist das „Sakrament der Einheit“. Aber nach wie vor sind evangelische Christen von der Gemeinschaft am Tisch des Herrn in der katholischen Kirche ausgeschlossen. Ist das nicht ein Skandal? Ist das noch zu begründen? 2. Zum Verstehen der Eucharistie (Grundsätze) Die Eucharistie ist ein unergründliches Geheimnis. Ein ganzes Leben reicht nicht aus, um sie zu verstehen – um wie viel weniger eine theologische Vorlesung. Die Eucharistie ist ein Geschehen von der Art, das man nur durch Mitwirken, durch Beteiligung erfassen kann (Nehmet – esset!). Die Theologie kann nur ein schwaches Nach-Denken dieses Geschehens bieten. Die Eucharistie ist der Knotenpunkt der Weltgeschichte. Das Abendmahl Jesu ist mit dem Alten Testament und der ganzen Geschichte Jesu durch tausend Fäden verbunden. Im Kult der Eucharistie werden die Religionen aller Völker aller Zeiten repräsentiert (und transformiert). Seit 2000 Jahren wird die Eucharistie von allen kirchlichen Gemeinden gefeiert. Wie sich christlicher Glaube jeweils verstanden hat, ist an der Eucharistie ablesbar. Wie soll man diesen Knoten heute auflösen? Die Eucharistie ist unerschöpflich. Die Eucharistie ist die Gegenwart der kommenden Welt inmitten der bestehenden, vergänglichen Welt. Sie verbindet Schöpfung und Erlösung. Die alte Welt wird aufgenommen und, ohne zerstört zu werden, in die kommende Welt verwandelt. Die 40 Eucharistie vollzieht die Gegenwart des Reiches Gottes in der von Sünde und Tod beherrschten Welt. In der Vorlesung WS 09/10 wird die Eucharistie sehr stark von ihrem Charakter als Essen, als Mahlzeit betrachtet. Sie ist verknüpft mit der elementaren körperlichen Funktion, der Nahrungsaufnahme. In ihrem materiellen Zeichen nimmt sie auf diese elementare Körperlichkeit Bezug, und damit zugleich auf die Art von Ökonomie, die uns dazu verhilft, zu Nahrung zu kommen. Damit ist gegeben, dass man die Wirklichkeit des Körpers viel stärker als bisher in der Eucharistie beachten sollte. Und dann wird ja diese irdische Wirklichkeit verwandelt in die Wirklichkeit des Reiches Gottes, so haben wir in der Allgemeinen Sakramentenlehre gehört. Darauf kommt es an: Christus wird unsere Speise! Was bedeutet das? Wie verwandelt die Eucharistie unser Essen? Zu welcher Art von Ökonomie führt sie? 3. Biblische Schlüsselszenen Es lassen sich tausend Szenen nennen. Ich greife heraus: Gen 18,1-8: Erscheinung in Mamre: Drei Männer (Engel) verheißen dem alten Abraham, der mit ihnen isst, die Geburt des Sohnes: Eucharistie, Mahl der Verheißung! Und Sara lachte! Ex 12: Feier des Pesach: Die Israeliten essen vor dem Auszug aus Ägypten das Lamm und ungesäuertes Brot. Das Blut des Lammes am Türpfosten bewahrt vor dem Todesengel: Eucharistie, Rettung aus Todesnot, Aufbruch ins Land der Verheißung! Ex 24: Bundesschluss am Sinai: Der Bund wird durch ein Gemeinschaftsopfer geschlossen, im Blut des Bundes. Moses und die Vornehmen Israels können Gott schauen! (V. 10). Eucharistie, Opfer und Feier des Bundes, Ort der Gegenwart Gottes! "Und sie aßen und tranken". Jes 25,6-12: Messianisches Freudenmahl: Gott wird allen Völkern ein fettes Mahl bereiten ... er nimmt die Hülle weg, die auf allen Völkern liegt ... er wird die Tränen von jedem Angesicht wischen und die Schmach seines Volkes [Israel] wegnehmen ... Moab aber [der Widersacher] wird an seiner Stätte zerstampft werden. Eucharistie, Fest des Zugangs aller Völker zum Bund mit Israel, Rechtfertigung Israels, Gericht über das Böse. Jesu vorösterliche Mahlzeiten, z.B. Mt 9,10-13 par: Er gibt sich mit den Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Eucharistie, Feier der Sündenvergebung, der Aufnahme der Sünder und der Unreinen in den Bund. Joh 6: Rede Jesu in Kafarnaum: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt." Eucharistie, Gegenwart der Hingabe Jesu für alle Menschen, Geschehen der leibhaftigen Einigung mit ihm. 4. Das Letzte Abendmahl Der Ablauf des letzten Mahles Jesu entspricht dem eines festlichen jüdischen Mahles. Diesen hat man sich etwa so vorzustellen (vgl. Kahlefeld, 43-47): Zur Abendstunde finden sich die Gäste im Hause des Gastgebers ein, mit gewaschenem Gesicht, gesalbten Haupt. Der Hausherr begrüßt sie, ein Becher Wein und Vorspeisen werden gereicht (frische Kräuter, eingelegter Fisch, junges Geflügel o.ä.). Dann begibt man sich in den Speisesaal, der Hausherr oder eine besonders zu ehrender Gast nimmt den Vorsitz ein. Man liegt zu Tische auf Polstern. Diener bringen mit Wasser gemischten Wein und das Hauptgericht. Über dem Weinbecher (1. Becher!) spricht einer der Tischgenossen das Lobgebet und alle sagen ihr Amen, getrunken wird aber erst, wenn das 'Brotbrechen' geschehen ist. Der Hausherr erhebt dafür das Brot eine Handbreit über den Tisch und 41 sagt den Lobspruch: "Gepriesen bist du, JHWH unser Gott, König der Welt, der das Brot hervorbringt aus der Erde." Er reicht jedem ein Stück Brot, damit beginnt das gemeinsame Essen. Weitere Gänge werden aufgetragen; zum Essen wird wenig Wein getrunken. Nach dem Essen gibt es eine Pause, während derer der Tisch abgeräumt und der Boden gereinigt wird. Dann beginnt der zweite Teil des Mahles, das Weingelage mit dem Tischgespräch (Symposion). Der Hausherr spricht das Lobgebet über den Weinbecher (2. Becher!), zuerst als Dank für die genossenen Speisen ("Laßt uns ihn preisen, dem gehört, was wir gegessen haben"), der sich dann zum Dank für die Heilstaten Gottes in Schöpfung und Befreiung erweitert: "Gepriesen bist du, JHWH unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt speist durch deine Güte ... der du uns als Erbteil gegeben hast das gute und weite Land ... der du uns aus dem Lande Ägypten herausgeführt und aus dem Sklavenhaus befreit hast. Wir danken dir für deinen Bund...". Die Tischgespräche schließen sich an. Folgende Struktur wird somit erkennbar: Erster Becher/Brot-Ritus Becher-Ritus Lobgebet Zuteilung Genuß Lobgebet Zuteilung Genuß Essen Pause Trinken Vergleichen wir nun damit die neutestamentlichen Berichte über das letzte Abendmahl. Sie liegen in zwei Versionen vor: Paulus (1. Kor 23-25)/ Lukas (22, 7-20) und Markus (14, 22-25)/ Matthäus (26, 26-29). Es zeigt sich sofort, daß Lk/Pls die ursprünglichere Fassung bieten. Lk berichtet die Vorbereitungen des Mahles und den Segensspruch über den 1. Becher, sodann das Dankgebet über das Brot und - "nach dem Essen" die Worte über den 2. Becher. Bei Mk/ Mt sind dagegen die beiden Segenshandlungen über Brot und Wein zu einem Akt zusammengezogen worden. Offenbar spiegelt sich hier bereits die spätere Praxis der Gemeinden, die das rituelle Herrenmahl vom Sättigungsmahl getrennt hatte. Zum Termin des letzten Abendmahles Nach den Synoptikern feierte Jesus als Abendmahl als Pesachmahl, nach Joh (13; vgl. 18, 28; 19,31) am Vorabend des Pesachfestes. Bei beiden Datierungen ist eine enge Verbindung zwischen Abendmahl und Pesach ausgesagt, bei Joh eher noch eine stärkere: Jesus stirbt genau zu der Zeit, als im Tempel die Pesachlämmer geschlachtet werden (Joh 19,36 mit Bezug auf Ex 12,46). Die Terminfrage spielt also für die theologische Deutung kaum eine Rolle. Historisch spricht aber mehr für die johanneische Darstellung, die überhaupt viel altes Material enthält. Die Bemerkung Joh 18,28 (die Ankläger betreten das Prätorium nicht, um sich wegen des kommenden Pesach nicht zu verunreinigen) ist "einer verkündigenden Absicht unverdächtig" (Kahlefeld) und braucht nicht erfunden zu werden. Aus den synoptischen Angaben, dass das Mahl in der Nacht begangen wurde und es in Jerusalem stattfand (ob aber in der Stadt selbst, wie es die Pesachvorschriften besagen, oder in Bethanien, bleibt offen) müssen nicht für ein Pesachmahl sprechen. Beim Mahl selbst wird auf Pesach kein ausdrücklicher Bezug genommen. Das Abendmahl als kultkritische und kultstiftende Handlung Bernhard Heininger, Das letzte Mahl Jesu. Rekonstruktion und Deutung (in: Haunerland aaO., S. 10-49) referiert den aktuellen Stand der historischen Forschung zum Abendmahl. Text 3 (s. Anhang) gibt die wesentlichen Ergebnisse wieder; diesen Text sollte man an dieser Stelle unbedingt lesen. Ich fasse den Artikel kurz zusammen: o Das letzte Mahl Jesu war vermutlich kein Pascha-Mahl o Es haben vermutlich nicht nur „die zwölf“ daran teilgenommen, sondern mehr Jünger, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Frauen 42 Zur Teilnahme von Frauen siehe auch: M. Theobald, Das Herrenmahl im NT, ThQ 183 (2003) 257-280) o Der Ausdruck „Brotbrechen“ wird sowohl in der Apg wie auch in der frühchristlichen Didaché (90-120 n.Chr.) ohne Bezug auf das Abendmahl Jesu gebraucht. Eher scheint ein Bezug zu den vorösterlichen Mahlzeiten Jesu gegeben zu sein. o Die von manchen (Hans Lietzmann 1926, Herbert Braun 1969) aufgestellt These, das Abendmahl Jesu habe gar nicht stattgefunden, es sei nur ein Rückprojektion urchristlicher Mahlpraxis, wird heute nicht mehr vertreten, ist aber nicht völlig von der Hand zu weisen. o Die Bedeutung des Mahles Jesu ist zuerst eine kultkritische: Jesus vollzog den Bruch mit dem Tempel und seinem Opferkult, vor allem mit der Opferung von Tieren. Die ursprüngliche Form des Brotwortes könnte dann gewesen sein: „Dies ist der Leib (der Opfertiere) für euch“, mit Verweis auf das Brot. Diese kultkritische Linie schließt an die prophetische Kultkritik („Gerechtigkeit will ich, nicht Opfer“) und an die Lieder vom Gottesknecht (Jes 53) an. Vgl. dazu auch: G. Theissen, A. Merz: Der historische Jesus, Göttingen 1996, 382-384; Margret Hille, Die Tiere und Jesus, Essen 2005, S. 136-146. Hille führt zahlreiche Belege für die tierfreundliche Haltung Jesu an und macht damit diese kultkritische Deutung wahrscheinlich. Beleg dafür ist auch, dass der einzig merkbare Unterschied der Urgemeinde zum Judentum darin bestand, dass die Christen nicht mehr an den Tempelopfern teilnahmen. o Zusammen mit der kultkritischen hat das Abendmahl auch eine kultstiftende Bedeutung: Das Brotbrechen ist der neue Kult des Gottesreiches! Und damit ist gesagt: Das Gottesreich wird kommen, trotz Jesu bevorstehendem Tod. Darauf deutet das Wort Jesu hin: „ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis ich es wieder trinken werde ich Reich Gottes“ (Mk 14,25). o Beide Bedeutungen kommen überein in der Rede vom „neuen Bund“, die Lk und Pls in ihren Abendmahlsberichten haben (Lk 22,20/ 1Kor 11, 25; im Unterschied zu Mk/Mt, die von dem „Blut des Bundes“ sprechen und damit an den Bundesschluss in Ex 34 erinnern). Der „neue Bund“ – ein Motiv von Jer 31,31 – ist damit derjenige, der nicht mehr auf der sakralen Tötung von Tieren beruht und der durch den gewaltsamen Tod Jesu nicht aufgehalten wird. – Ich ergänze über Heininger hinaus: Der neue Bund ist einer, der nicht mehr auf dem Prinzip „Leben auf Kosten anderer“ (beim Opferkult: Entsündigung durch das Töten von Tieren) beruht, sondern auf gegenseitiger Hingabe, Gerechtigkeit und Solidarität. o Wie die Erzählungen von den Mählern mit dem Auferstandenen (Lk 24; Joh 21, Apg 1) bezeugen, ist den Jüngern und Jüngerinnen die Bedeutung des Abendmahls wohl erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen aufgegangen. Von daher haben sie das Geschehen rückwirkend verstanden und entsprechende Bedeutungen in die geschichtliche Schilderung eingetragen. »Intertextuelle Lektüre eines Abendmahlstextes. – Wählen Sie sich einen der ntlichen Texte aus, und schauen Sie im Internet oder anhand der Stellenverweise in den Bibelausgaben nach, wo zentrale Begriffe dieses Textes noch in anderen Bibelstellen vorkommen. Zeigen Sie dann, welche Bedeutungen durch die anderen Verwendungen in den Abendmahlstext zu erschließen sind.« 43 5. Zur Theologie der Eucharistie Ich referiere nacheinander Ansätze von A. Schmemann, G. Bachl, Matthias Josef Scheeben, A. Bieler/L. Schottroff und Hildegund Keul (in: Haunerland aaO., 263-281; s. Lit.-Angaben zur Eucharistie). Sie zeigen jeweils auf einen anderen Aspekt der Eucharistie und ergeben zusammen ein stimmiges Bild. Alexander Schmemann: Die Eucharistie ist das Sakrament des Gottesreiches Dies ist die zentrale These des orthodoxen Theologen Alexander Schmemann (1921-1983), die er aus dem Reichtum orthodoxer Liturgie- und Theologietradition, aber auch in kritischer Wendung gegen Fehlentwicklungen in der Orthodoxie entfaltet. Das Gottesreich ist dort, wo Gott als Herr und König anerkannt wird und sein Gesetz gilt. Das ist in der Liturgie der Fall. Wo immer Gottesdienst begangen wird, ist das Reich Gottes da. Es ist nötig, in diesem Zusammenhang auf den orthodoxen Theologen Schmemann zurückzukommen, weil dieser durchaus zu Recht das orthodoxe Liturgieverständnis gegen das westlich-katholische gestellt hat, welches traditionell allzu sehr auf den Augenblick der Konsekration von Brot und Wein (die Wandlung) konzentriert war und die Eucharistiefeier weniger als Realisierung des Gottesreiches denn als Gnadenvermittlung aufgefasst hat. Die Orthodoxie aber hat den ursprünglichen, altkirchlichen Sinn der Eucharistie festgehalten. „Jedes Mal, wenn Christen sich »als Kirche« versammeln, bezeugen sie vor der ganzen Welt, dass Christus der Herr und König ist, dass sein Reich schon offenbar geworden und dem Menschen gegeben ist, dass ein neues und unvergängliches Leben begonnen hat“ (S. 75) In der Liturgie äußert sich „die Freude der Christenheit, das österliche Wesen ihres Glaubens, dass »dieses kommende Zeitalter«, die »in dieser Welt« zwar noch ausstehende Zukunft, schon »mitten unter uns« ist. Ja, unser Glaube selbst ist bereits Wirklichkeit […] des Erhofften, Evidenz noch nicht gesehener Dinge […] (Hebr 11,1)“ (S. 59). Schmemann hat alle Phasen der Eucharistiefeier auf die Dimension des bereits gegenwärtigen Gottesreiches hin ausgelegt. So bereits den Einzug der Gläubigen ins Gotteshaus. Dies ist der „Einzug der Kirche in das Reich Gottes“ und damit „ein Exodus aus »dieser Welt«, ein Aufstieg zum Himmel“ (S. 78). Die „Empornahme“ der Gaben bezieht sich nicht nur, wie es eine verengte westliche Tradition wollte, auf die Gestalten von Brot und Wein, sondern auf die ganze Versammlung. „Denn – dies werde ich nicht müde zu wiederholen – die Eucharistie ist das Sakrament des Reiches, das sich im Aufstieg und im Einzug der Kirche in das himmlische Heiligtum vollzieht“ (S. 91). Gottfried Bachl: Eucharistie, die Verwandlung des Essens Bachls eigenwilliges Buch enthält genaue Beobachtungen zum Essen der Tiere, der Menschen und – nach der Mythologie – der Götter. Essen ist der zentrale Daseinsakt, der elementare Austausch mit der Umwelt, es ist ein Sich-GefügigMachen, ein Einverleiben, ein Verzehren, ein Verschlingen der Welt. Bachl kommt es darauf an, die unreflektierte Selbstverständlichkeit des Essvorgangs aufzubrechen. Essen hat mit Macht zu tun. Wir leben von anderem Leben, und kein Lebendiges lässt sich gerne vernichten. „Für die Rede von der Esskultur wird es nicht überflüssig sein, die Freude am Konsum hier und da zu verbinden mit der Wahrnehmung, dass alles Verzehren der Nahrung gegen den Drang der Dinge gerichtet ist, da zu sein und da zu bleiben“ (S. 80). Von daher erhebt sich die Frage: „Wie kann das tötende Essen und Trinken ein wirksames Zeichen der Hoffnung auf ein todüberwindendes Leben sein?“ (S. 82). Dies umso mehr, als in der Eucharistie ja sogar Jesus gegessen wird, und damit eigentlich Gott. Ist die Eucharistie Ausdruck einer 44 ungeheuerlichen Fressgier des Menschen, der sich sogar noch Gott einverleiben will? Bachl will zeigen, wie die Eucharistie das Essen verwandelt. Vorbild dazu ist ihm die kultivierte Mahlzeit, die die Gemeinschaft, die durch gegenseitiges Auffressen entsteht, ersetzt durch die viel tiefere Gemeinschaft des gemeinsamen Mahls. Jesus geht nicht in der Logik des Verzehrens und Verschlingens auf. Er zieht es auf sich, aber dann wandelt er es um: Was aufgegessen wird, eröffnet ein Leben, das nicht mehr unter dem Zwang des Vernichtens steht (vgl. S. 119-127). Aber wie dieser Vorgang genau geht, bleibt bei Bachl (nach meiner Lektüre) noch unklar. Wir verdanken ihm jedoch einen äußerst genauen Hinweis auf das Zeichen, das die Eucharistie als Essen ist. Es ist diese ambivalente Wirklichkeit des Essens, die in der Eucharistie aufgenommen wird, um sie dann zu verwandeln. – Und wir verdanken ihm den Hinweis auf Scheeben (S. 109), dem ich nun nachgehe. Matthias Josef Scheeben: Eucharistie als Genuss der Gottheit Bachl weist auf Scheeben, den großen Theologen des 19. Jh. (1835-1888) hin, weil dieser sich wie kaum ein anderer auf die Realität des Essens in seiner Eucharistielehre eingelassen hat. Text 4 (s. Anhang) stammt aus Scheebens „Die Mysterien des Christentums“ (von 1865). Ich fasse den Gedanken kurz zusammen, empfehle aber, den Text von Scheeben dabei mitzulesen. Scheeben unterscheidet beim Essen die reine Ernährungsfunktion und den Genuss. Bei der natürlichen Speise ist der Genuss nur ein Lockmittel, das auch entfallen kann. Beim eucharistischen Essen ist der Genuss die Hauptsache. Dennoch gibt es auch bei der Eucharistie die Ernährungsfunktion: Wir empfangen Jesus, und damit eigentlich das Wort Gottes. Jesus vereinigt sich so mit uns, wie bei ihm selbst göttliche und menschliche Natur vereinigt sind. Er gibt sich uns zur Speise und gibt uns damit das, was er ist und zu geben hat: göttliche Lebenskraft, Wahrheit und Liebe. Darüber hinaus ist die Eucharistie vor allem ein Genuss. Gott will sich von uns genießen und besitzen lassen! Scheeben spricht vom „substantialen Besitz und Genuß einer göttlichen Person“. Der Gottmensch Jesus tritt unserer Fressgier entgegen, indem er ihr entspricht und sie damit von innen her aufbricht. Er lässt sich auf das menschliche Essbedürfnis ein, und dann erfüllt er unser Inneres. Dadurch werden wir verändert, werden wir überhaupt erst fähig, ihn aufzunehmen und zu erfassen. Durch seine Wahrheit, Herrlichkeit und Liebe wandelt er uns um, wir werden göttlich durch die Aufnahme des Göttlichen (wie ja auch sonst Menschen dem ähnlich werden, was sie meistens essen!). Unser Leib selbst wird göttlich. In dieser Hinsicht ist die Eucharistie ein Vorgeschmack der ewigen Gottesschau in der Vollendung, wenn wir ganz mjt Gott eins geworden sind. Dieses mit Gott Einswerden beruht nicht darauf, dass wir in Gott hinein aufgesogen, vernichtet werden, sondern dass Gott sich uns als Speise gibt. Dies ist das Mysterium der Verwandlung. »Fassen Sie den Text von Scheeben gliedernd zusammen« Andrea Bieler/Luise Schottroff: Eucharistie und die „eschatologische Imagination“ in „sakramentaler Durchlässigkeit“ Scheeben wird der „Mystiker der Neuscholastik“ genannt, und manch einem werden sein Aussagen auch reichlich mystisch (hier im Sinne von unverständlich) erscheinen. Es kommt noch darauf an, das, was er der Sache nach richtig ausgedrückt hat, in unsere Wirklichkeit zu übersetzen. Diese Aufgabe leistet zum großen Teil das äußerst lesenswerte und sehr gut zu lesende Buch der 45 evangelischen Autorin Andrea Bieler, das von Beiträgen von Luise Schottroff („sozialgeschichtliche Exegese“) ergänzt und bereichert wird. Die zentralen Stichworte dieses Buches sind die in der Überschrift genannten. Unter „eschatologischer Imagination“ versteht Bieler, dass das Abendmahl im Zusammenhang der Überwindung ungerechter und menschenverachtender Verhältnisse steht. Sie schildert liturgische Feiern, bei denen mitten in den üblichen Gebeten der Folteropfer, der zum Tode Verurteilten (das Buch ist in den USA entstanden), der Aidskranken, der Armen (und zwar jeweils ganz bestimmter einzelner Menschen!) gedacht wird. „Die Abendmahlserzählung enthält Gottes tiefgehendes Nein zu der Destruktion, die uns umgibt und die uns beeinflusst“ (S. 20). Aber dieser Destruktion wird nicht nur gedacht, sie wird durch die Feier zugleich als überwindbar, als nicht endgültig dargestellt. Die Zeit wird nicht immer so weiter gehen. Eine andere Welt ist möglich. Das ist die „Imagination“ des Abendmahls. „Wie berührt Gottes Zukunft in Christus unser Leben? … In welchem Sinne bricht christliche Eschatologie ein lineares Verständnis von Zeit auf. Eschatologie wird hier als radikale Kritik an einer Vorstellung von Zeit als kontinuierlichem Prozess verstanden“ (S. 36). Mit anderen Worten: Christus wird kommen, er wird den scheinbar unabänderlichen Prozess der Geschichte unterbrechen. Aber die Aussage von der „Wiederkunft Christi“ darf nicht mythologisch als Wiederkommen am Ende der Zeiten verstanden werden. „Die Frage ist nicht: wann kommt Jesus ‚wieder’? Sondern wie wird Gottes Nähe erfahren und im täglichen Leben spürbar?“ (S. 40). Die „eschatologische Imagination“ ist wie ein Fenster, durch das wir eine Ahnung von der Wirklichkeit Gottes erhalten. Sie schafft Unterbrechungen, kritische Weltdistanz und die messianische Hoffnung auf ein anderes Leben. Es kommt den Autorinnen darauf an, das Abendmahl aus der Fixierung auf Jesu Tod herauszulösen und seine eschatologische Bedeutung freizulegen. Die Rede vom Opfer Christi hat die Aufmerksamkeit zu stark auf seinen Tod gelenkt – der Tod als solcher kann aber keine eschatologische Imagination wecken. Luise Schottroff beschreibt vier „eschatologische Dimensionen“ des Abendmahls (S.77-102). Es verweist zum einen auf das eschatologische Freudenmahl, das Gott allen Völkern verheißen hat, Jes 25. In diesem Zusammenhang ist die Frage wichtig, wer beim Abendmahl Jesu zugegen war – mit einiger Sicherheit auch Frauen! Zweitens zeigt schon das Wort des Paulus – „Denn sooft ihr dieses Brot esst … verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1Kor 11,26) –, dass der Tod Jesu im Horizont seines Kommens erinnert wird. Nicht der Tod als solcher hat Heilsbedeutung. Vielmehr ist damit gesagt, dass die Gewalt, die gegen Jesus eingesetzt wurde und ihn getötet hat, eben nicht zum Ziele gekommen ist. Jesus wird kommen, auch wenn ihn die Mächtigen getötet haben. Drittens verweist Schottroff bezüglich der Rede vom „neuen Bund“ darauf, dass es hier um den erneuerten Bund mit Israel geht. Der Bund mit Israel ist aber der Bund, der auf der Grundlage der Tora geschlossen wird. Wenn Christen sich als Gemeinde des „neuen Bundes“ bezeichnen, dann bedeutet das, dass sie in den Bund mit Israel hineingenommen sind – und damit auch in die Verpflichtung zur Tora. „Das bedeutet die klare Konsequenz, die Verpflichtung auf die Tora auch praktisch zu leben“ (S. 95). Die Tora wird als das Gesetz der Zukunft, als das Gesetz des Gottesreiches offenbar! Und viertens ist vom Neuen Testament her zu sehen, dass die Rede vom „Leib Christi“ – „dies ist mein Leib für euch“ – auf den Leib des Auferstandenen und damit auf den Leib Christi, der die Gemeinde ist, zu beziehen ist. Was Paulus 1Kor 15 über die Verwandlung des Leibes schreibt, hat mit der Verwandlung des Leibes, der die Kirche ist, zu tun. „Das gesamte Neue Testament ist aus der Perspektive des Abendmahls als des Ortes der Erinnerung 46 von Auferstehung zu lesen. Die Menschen, die in diesem Texten zu Wort kommen, verstehen sich in ihrer Gemeinschaft als der Leib des Auferstandenen“ (S. 99). In der Didachè, der frühchristlichen Gemeinde- und Gottesdienstordnung vom Ende des 1. Jh., ist, darauf weist Bieler hin, die eschatologische Dimension der Eucharistie voll präsent. Text 5 (s. Anhang), eine Auszug aus dem Hochgebet der Didachè, zeigt dies sehr gut, besonders die Sätze 9.4, 10.5 und 10.6: „Es komme die Gnade, und es vergehe diese Welt!“ »Nehmen Sie sich eines der vier Hochgebete und untersuchen Sie es auf seinen eschatologischen Aussagen« Mit „sakramentaler Durchlässigkeit“ meint Bieler, dass das Brechen des Brotes im Abendmahl im Zusammenhang mit dem Brot und damit der Realität unseres Lebens steht. „Sakramentaler Gottesdienst nimmt eine Durchlässigkeit an, in der das Brot, das wir in der Küche essen, das Brot, das wir von den Armen stehlen [!], und das Brot, das während des Abendmahls konsekriert wird, in Beziehung zueinander stehen“ (S. 17). Von daher ist der Ansatz Bielers offen für die Wahrnehmung für „das Brot des Lebens in zwei Ökonomien“ (S. 103-178). Das Brot begegnet in den biblischen Broterzählungen; dort wird vom Hunger, von der Brotvermehrung und davon, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, gesprochen. Es begegnet aber auch in der Ökonomie des homo oeconomicus und hat dort ebenso sehr mit Übergewichtigkeit und Magersucht wie mit globaler Nahrungsmittelpolitik, Lebensmittelproduktion und Schuldenpolitik zu tun. In der Eucharistie stoßen die beiden Ökonomien aufeinander. „Themen von Armut und Reichtum bedrohen und fordern das eucharistische Leben heraus und beeinflussen, wie das Abendmahl gefeiert wird“ (S. 121). Bieler will nun zeigen, wie in der Eucharistie die Ökonomie des Marktes in die Ökonomie des Reiches Gottes umgewandelt wird (S.147-178). Ich greife ihre Überlegungen zum „Zurückbringen der Gaben“ (normalerweise Gabenbereitung genannt) heraus, weil diese auch ein Licht auf die herkömmliche Rede der Eucharistie als Opfer werfen. Auszugehen ist vom Verständnis der Kirche als Leib Christi. Was heißt das konkret? „Leib Christi“, das sind die vielen Menschen mit ihren Körpern, die in der Kirche sind. Das sind die Alten und Jungen, Starken und Schwachen, Kranken und Gesunden, das sind die Körper, insoweit diese auch Erinnerungsspeicher des jeweiligen Lebens sind. Diese Betonung der konkreten Körperlichkeit ist ganz typisch für diesen Ansatz! Die Gaben, die die Menschen in der Kirche darbringen, sind zunächst Ausdruck ihres eigenen Lebens, ihrer Sehnsucht und ihrer Bedürfnisse [wir dürfen jetzt nicht nur an die Geldkollekte denken, diese Schwundform der Gabendarbringung, sondern daran, dass früher wirkliche Nahrungsmittel dargebracht wurden. Und wenn wir nun etwas bringen würden, würden wir dann Toastbrot von Aldi mitbringen? Oder nicht vielmehr etwas, was für uns wichtig und typisch ist, vielleicht etwas, was wir selber hergestellt haben?]. Aber zugleich sind diese Gaben auch etwas, was wir von anderen bekommen haben – sie sind eingebunden in den Produktions- und Warenkreislauf. Das „Zurückbringen der Gaben“ bedeutet nun nicht, dass wir etwas geben, das uns gehört, sondern dass wir zurückgeben, was wir empfangen haben. Die Eucharistie ist in diesem Sinne der Ort der Danksagung. Wo sonst in der Welt ist Gelegenheit, für die Gaben zu danken, von denen wir leben? [Können wir uns etwa bei den Tieren bedanken, die für uns geschlachtet werden; bei den Arbeiterinnen, die die Nahrungsmittel hergestellt haben?] Es liegt also die ganze komplexe Wirklichkeit unseres „Brotes“, das so eng mit dem eigenen Leben verflochten ist, auf dem Altar. Dies wird nun Gott 47 dargebracht, wird in den Gebeten der Eucharistie (Anamnese: Dank für die Taten Gottes in der Geschichte; Epiklese: Herabrufung des Heiligen Geistes auf die Gaben) Gott mit der Bitte um Verwandlung vorgelegt. Die »Wandlung« bedeutet dann, dass diese Gaben mit neuer Bedeutung zurückgegeben werden. Sie sind herausgenommen aus den Ungerechtigkeiten und hineingenommen in die Gerechtigkeit Gottes, die in Jesus erschienen ist. Dadurch wird die Gemeinde umgewandelt, sie wird erst jetzt aus einer Ansammlung von Körpern zum Leib Christi. Die „eschatologische Imagination“ wird geweckt, die „die Sphäre der verborgenen Mechanismen der Ökonomie des Marktes erhellen und Licht verbreiten kann, wo Götzendienst regieren soll“ (S. 158). In der „Kommunion“ wird dann die andere, die biblische Ökonomie bereits begangen – als „Fenster“, das uns in die Wirklichkeit Gottes schauen lässt, als „Unterbrechung“ der Ungerechtigkeit unserer Welt. Noch auf einen letzten Gesichtspunkt aus diesem Buch möchte ich hinweisen. Die bewusste Wahrnehmung des Körperlichen eröffnet den Autorinnen auch einen neuen Zugang zum eucharistischen „Gedächtnis“ (S. 219-272). Das Wort Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ kann sicher nicht im Sinne eines rein geistigen Erinnerns und auch nicht nur als „Wiederholungsbefehl“ verstanden werden. Es ist zunächst ein wechselseitiges Erinnern zwischen Gott und Mensch. Indem wir uns an Gott erinnern und ihn auffordern, unserer zu gedenken, kommt Beziehung zustande [wie in einem Gespräch, wo man über die alten Zeiten nachdenkt]. Es ist sodann eine Form der Empathie, die besonders bei den „Fürbitten“ akut wird. Wir denken an andere Menschen, versetzen uns in sie; so wird Gemeinschaft geschaffen. Gedächtnis ist an Rituale gebunden, so wie es in allen Gesellschaften der Fall ist. Gerade das ganz Wichtige und das ganz Schreckliche braucht zu seiner Erinnerung das Ritual. Ohne die rituelle Gestalt des liturgischen Gedächtnisses wären die Jünger und Jüngerinnen vielleicht nicht in der Lage gewesen, den Schock des Todes zu verkraften. Schließlich ist Gedächtnis wesentlich ein körperliches Geschehen. Man erinnert sich an körperliche Erfahrungen, an Orte usw. Auch deswegen braucht es die Sinnlichkeit der Liturgie, die Kirchenräume, die zugleich Gedächtnisräume sind. Die Autorinnen geben zu all dem sprechende Beispiele. Insgesamt ist das eucharistische Gedächtnis nicht nur eine Erinnerung an seinen Tod, sondern es ist „memoria passionis et resurrectionis“, also Erinnerung an das Schreckliche des Todes im Horizont seiner Überwindung in der Auferstehung. Nur so kann das Schreckliche ausgehalten und überwunden werden. Man wird vielleicht bemerkt haben, dass die evangelischen Theologinnen sich im Zuge ihrer Überlegungen immer mehr in Richtung der katholischen Eucharistiepraxis und auch –theologie bewegen. Dies gilt auch hier, beim Thema Gedächtnis. Nicht zuletzt weisen sie auch auf die große Bedeutung der Heiligenverehrung hin (S. 225231). Dies ist für sie eine erinnernden Solidarität und damit auch eine Form der „memoria passionis et resurrectionis“. – Solche katholischen Anklänge sind kein Anlass zum katholischen Triumphalismus. Sie sollten eher als „Fremdprophetie“ aufgenommen werden und uns Katholiken und Katholikinnen darin beschämen, wie wenig wir heute aus unserem Erbe machen. Ich hoffe, es ist mir gelungen, Neugierde auf dieses Buch zu wecken, das wirklich eine sehr zeitgemäße und weiterführende Theologie der Eucharistie entwickelt. Hildegund Keul: Eucharistie, die Anwesenheit des Abwesenden 48 Von Keul erfahren wir einiges über das Verständnis der „Realpräsenz“ Christi in der Eucharistie. Sie greift Ergebnisse der „Ritualtheorie“ auf (Lit. dazu findet man in ihrem Artikel) und schließt somit sehr gut an die Überlegungen von Bieler zum Gedächtnis an. Rituale sind nötig, um Übergänge und Grenzerfahrungen im Leben zu bewältigen („Liminalität“): beim Verlust eines geliebten Menschen, bei der Erfahrung von Gewalt, aber auch in Lebensphasen des Abschieds und Neubeginns (z.B. Pubertät). Die Energie, die durch solche Erfahrungen freigesetzt wird, wird in das Ritual geleitet und bekommt dort eine geordnete Form. Sprachlosigkeit wird überwunden. Rituale können zum Guten wie zum Schlechten wirken – man denke an die Rituale, mit denen Soldaten zum Töten gebracht werden. Als Jesus in den Tod ging, bahnte sich für die Jünger eine Erfahrung der „Liminalität“ an. „Der bevorstehende Tod sitzt mit am Tisch“ des Abendmahls (S. 270) – die Erregung, die die Jünger bspw. in Leonardo da Vincis Abendmahlsdarstellung haben, bringt dies zum Ausdruck. Da bietet er ihnen im Abendmahl ein Ritual an, „das ihnen seine Präsenz über den Tod hinaus zusagt“ (S. 271), eben das Brotbrechen. Keul verweist auf die Berichte über die Begegnungen mit dem Auferstandenen, um deutlich zu machen, was dieses Ritual für die JüngerInnen bedeutete. So wie Maria Magdalena zum Grab ging, an den Ort des Todes, der sich ihr in einen Ort der Begegnung mit dem Lebendigen verwandelte, so verwandelt das Abendmahl das Gedächtnis an den Tod Jesu in eine Begegnung mit dem Auferstandenen. Die Eucharistie bezeugt in diesem Sinne die Anwesenheit des Abwesenden. Sie ist ganz im Sinne der klassischen Definition das sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit.“ Sie ist ein Ritual, in dem begangen wird, dass und wie sich der Ort des Todes in einen Ort des Lebens verwandelt. „Der abwesende Christus wird real präsent und entmachtet die vorherrschende Macht des Todes“ (S. 278). Keul weist also einen Weg, die Lehre von Realpräsenz ritualitätstheoretisch neu zu fassen, sie nicht auf die „Transsubstantiation“ der Elemente Brot und Wein allein zu beziehen. Die Spitze ihrer Überlegungen aber ist, dass diese Anwesenheit des Abwesenden, die Präsenz des Lebendigen inmitten der Macht des Todes nicht etwas ist, was die feiernde Gemeinde alleine angeht. Was im Ritual angezeigt und begangen wird, gilt für die ganze Welt! Die Gemeinde hat der Welt auszurichten, dass Christus auferstanden ist. Die „Kultur des Todes“, in der wir leben, ist nicht die ganze Wahrheit. Sie ist so wenig wahr wie die Erwartung, die Maria Magdalena hatte, als sie den toten Christus am Grabe besuchen wollte. Deswegen nennt Keul ihren Aufsatz auch „Die Eucharistie im Zeichen missionarischer Praxis“. Die Mission der Christen speist sich aus der Erfahrung der Eucharistie. Was die Kirche zu tun hat, wird in jeder Eucharistiefeier neu eingeschärft: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Zusammenfassung: Unser Durchgang durch einige neuere eucharistietheologische Ansätze ergibt, so meine ich, ein stimmiges Bild. Womöglich lässt sich das alles auf die Formel bringen, die wir in der allgemeinen Sakramentenlehre entwickelt haben: Werde, was du bist. Die Eucharistie zeigt und vollzieht, was Christen wirklich sind: Bürger des Gottesreiches (Schmemann) – Menschen, die von dem Zwang befreit sind, das Leben auf Kosten anderen zu führen bzw. zu töten um zu leben (Bachl) – Menschen, deren Fressgier und Genusssucht von Gott her aufgenommen und verwandelt ist, deren Leib selbst göttlich geworden ist (Scheeben) – Menschen, die inmitten der alten Ökonomie des Todes bereits die Ökonomie des Reiches Gottes, die Heilsökonomie des Lebens praktizieren (Bieler/Schottroff) – Menschen, die um 49 die Anwesenheit des Abwesenden, des Lebens mitten im Tode, wissen und sie verkünden können. Es handelt sich also wirklich nur darum, das zu werden, was wir sakramental bereits sind, mithin also auch sein können. Es geht nicht darum, uns mit der Forderung zu konfrontieren, etwas zu werden, was wir noch nicht sind und möglicherweise auch niemals werden können. Aber die Formel „Werde, was du bist“ sagt auch, dass wir das noch nicht sind, was wir werden können. Zum „opus operatum“ des Sakraments muss noch unser „opus operantis“ hinzukommen. Das ist die Aufgabe, die jedem einzelnen Christen und jeder christlichen Gemeinde gestellt ist. Damit sie gelingt, ist die Feier der Eucharistie von vielen Gebeten begleitet, die Gott bitten, uns zu helfen und seinen Geist zu senden; und von Liedern, die uns ermutigen und fröhlich machen sollen, damit wir vor der großen Aufgabe nicht verzagen. Die Eucharistie als Opfer [Da dieses Thema in der Vorlesung nicht mehr behandelt werden konnte, begnüge ich mich an dieser Stelle mit einem kurzen Hinweis] Opfer darzubringen gehört zu jeder Religion. Die Menschen bringen Gott oder den Göttern etwas Eigenes, Wertvolles dar, um von ihnen etwas dafür zu erlangen. Das Opfern ist in Bezug auf Gott etwas so Natürliches wie das Essen in Bezug auf die Mitgeschöpfe. Also darf es in der Eucharistie vorkommen, denn sie nimmt ja in ihren Zeichen auf die gegebene Wirklichkeit Bezug. Und dennoch muss es verwandelt werden. In der katholischen Form der Eucharistiefeier finden wir deshalb reichlich Opferterminologie, z.B.: „Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle. – Der Herr nehme das Opfer an aus euren Händen…“ usw. Wenn man nun in dieser Opferlogik weiterdenkt, dann wäre das Opfer Christi, das in jeder Eucharistiefeier dargebracht wird, die Höchstform des religiösen Opfers. Wir opfern das Wertvollste, was wir haben, nämlich den Leib des Gottmenschen, Gott auf, um von ihm etwas zu erlangen. Aber die Eucharistie bricht aus dieser Opferlogik aus. Wir kommen nicht durch damit, vor Gott ein Opfer darzubringen, weil er uns mit seinem Sohn immer schon entgegengekommen ist und unser Opfer überflüssig gemacht hat. Er durchkreuzt unser Opfernwollen, indem er zeigt, dass es unnötig ist. Christus ist ja längst schon unsere Speise geworden, wozu dann noch opfern? Wenn da dennoch weitergeopfert würde, wäre das ein krasses Zeichen des Unglaubens. Zusammengefasst: In jeder Eucharistiefeier werden die Feiernden als die angetroffen und angenommen, die opfern wollen. Und jedes Mal erfahren sie, dass sie nicht mehr zu opfern brauchen. In gewissem Sinne durchlaufen wir in jeder Eucharistiefeier die ganze Religionsgeschichte incl. des alttestamentlichen Opferkults, um zu Christus zu gelangen, der allen Opfern ein Ende bereitet hat. Nach Christus „bedarf es keines Opfers mehr“ (Hebr 10,18) – diese Lektion lernt man in jeder Eucharistiefeier neu. Und damit auch, dass wir unser Leben nicht auf Kosten von Opfern führen müssen. Nach Christus braucht es gar keine Opfer mehr zu geben, es sei denn das „Opfer des Lobes“, mit dem Gott für all dies gedankt wird. Weiteres und Genaueres in meinem Buch Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie, S. 137-156. 6. Aus der Geschichte der Eucharistie Im 1. Kor treffen wir bereits auf die Abtrennung des Brot- und Becherritus vom Sättigungsmahl, wie sie auch dem mk/mt Bericht zugrunde liegt. Der Ritus wird dann schon bald mit dem aus dem Judentum bekannten Wortgottesdienst zu einer eigenen gottesdienstlichen Feier verbunden, die ab etwa dem 2. Jh. den Namen 50 "Eucharistia" (= Danksagung, bezogen sowohl auf die Gaben von Brot und Wein wie auf das darin zugesagte Heil) trägt. In Justins 1. Apologie (um 140) enthält eine Schilderung der Eucharistiefeier mit bereits allen heute bekannten Elementen incl. der Urform unserer Hochgebete. Der ethische Charakter wird durchgehend stark betont: "...brecht das Brot, sagt Dank und bekennt eure Übertretungen, damit euer Opfer rein sei! Jeder aber, der Streit mit seinem Nachbarn hat, soll nicht mit euch zusammenkommen, bis er sich ausgesöhnt hat" (Didachè, Anfang 2. Jhd.). Den Vorsitz übernahmen in der Anfangszeit verschiedene charismatisch begabte Personen, bis diese schließlich durch Bischöfe und Diakone ersetzt wurden. Verschiedene Faktoren führen dazu, dass schon früh der Kommunionempfang häufig von der Teilnahme an der Eucharistiefeier getrennt wird: – Die Teilnahme von öffentlichen Büßern, die von der Kommunion ausgeschlossen sind; – die Aufbewahrung des eucharistischen Brotes und sein Empfang außerhalb der Feier (z.B. durch Kranke); – die Teilnahme von noch nicht getauften Katechumenen. Als mit der konstantinischen Wende der Taufaufschub bis ans Lebensende immer mehr zunimmt, wird nun die Trennung von Kommunion und Eucharistie der Normalfall – eine für die Folgezeit äußerst folgenreiche Entwicklung. Die Eucharistie wird nun, in den großen Basiliken, zu einem feierlichen liturgischen Geschehen unter dem Vorsitz des Bischofs, das im Altarraum stattfindet; die Gläubigen sind nur mehr von ferne, schauend, dabei. Die Theologen der reichskirchlichen Ära entfalten unter diesen Umständen die Bedeutung der Eucharistie mit den Stichworten des 'Schauens' und der 'Nachahmung'. Eucharistie ist nun die vergegenwärtigende Erinnerung des Heilsgeschehens, sie ist 'Gleichnis' und 'Symbol', an dem die Gläubigen schauend teilhaben. Jesus ist der Handelnde in der Eucharistie ("Aktualpräsenz"), aber schon bei Ambrosius (+397) tritt auch die Umwandlung der Gaben ins Blickfeld ("Realpräsenz"): was vorher Brot war, wird zum Leib Jesu, was Wein war, wird zu Blut Christi. Die Ehrfurcht vor diesem geheimnisvollen Geschehen tut ein Übriges, um den Kommunionempfang zu reduzieren. Augustinus trifft das Richtige, wenn er demgegenüber den Schwerpunkt auf die Verwandlung der Gemeinde in den Leib Christi setzt: Die Gemeinde soll werden, was sie sieht (Leib Christi), sie sagt Amen zu dem, was sich auf dem Altar vollzieht, und wird so selbst zum Glied am Leib Christi (vgl. sermo 272). Im fränkisch-germanischen Raum, in dem das Lateinische zur (fremden, unverstandenen) Kultsprache geworden ist, wächst die Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Eucharistie, der Gegenwart Gottes in Brot und Wein. Der Augenblick der "Wandlung" tritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit (Erheben der Hostie und des Kelches, Kniebeuge, Wandlungsläuten). Dazu passt die Einführung des Fronleichnamsfestes (1264): der Leib Christi wird in der Monstranz verehrt. Nun verwendet man auch besondere Hostien statt des Brotes; ab dem 12./13. Jh. wird den Laien der Kelch nicht mehr gereicht. In der Theologie wird in dieser Zeit die Umwandlung der Gaben zum Hauptthema der Eucharistietheologie. Die Scholastik verwendet all ihren Scharfsinn darauf. Die Positionen schwanken zwischen extremen Spiritualismus (Berengar von Tours, +1088: Brot und Wein sind nur Symbole der Gegenwart Christi, der sich selbst seit der Himmelfahrt im Himmel befindet) und extremem Materialismus (Humbert von Silva Candida, +1061: Brot und Wein werden zu wahrem Fleisch und Blut, Jesus Christus wird von den Händen der Priester angefaßt und gebrochen und von den Zähnen der Gläubigen zerkaut). Auf dem 4. Laterankonzil (1215) setzt sich als Mittelweg die Transsubstantiationslehre durch: Die äußere Form, die Akzidentien, von Brot und Wein bleiben gleich, das Wesen, die Substanz ändert sich. Es geschieht in der Wandlung also Ähnliches wie bei der hypostatischen Union (Zu beachten: der Begriff der Substanz meint hier gerade nicht 51 das, was heute in der Chemie damit gemeint wird). Der Blick ist jedenfalls im Mittelalter ganz auf die Elemente gerichtet, die Bedeutung des Mahlgeschehens und der Opfercharakter treten zurück. (Zur Bedeutung der Transsubstantiationslehre im Vergleich zu den konkurrierenden Lehren im Mittelalter und zu den späteren Lehren der Reformation vgl. mein Buch Wandlung, S. 33-47; 89-119) Dagegen wendet sich die Reformation, sie sieht darin eine Verfälschung des biblischen Zeugnisses. Insgesamt ging es der Reformation um eine Wiederherstellung der biblischen Gestalt des Abendmahles. Die reformatorische Kritik richtet sich zunächst gegen die zahlreichen abergläubischen Auffassungen im Zusammenhang mit den gewandelten Elementen (Wundererwartungen, blutende Hostien u.a.) und konzentriert sich dann theologisch auf drei Punkte: die Ablehnung der Meßopferlehre, die Realpräsenz und die Vorenthaltung des Laienkelches. Dass die Messe eine gnadenmittelnde Wiederholung des Kreuzesopfers sei, hat Luther im Zuge seiner Kritik an der Werkgerechtigkeit energisch bestritten: dann wären es ja Menschen (Priester), die das Heil vermittelten. Christi Opfer am Kreuz war für ihn vollgenügsam, es ist ein für allemal geschehen, ihm ist nichts hinzuzufügen, es ist nur zu erinnern und zu wiederholen (Abendmahl als Wortgeschehen: das Testament Christi wird verkündigt). Bezüglich der Realpräsenz hielt Luther zwar an der wirklichen Gegenwart Christi in Brot und Wein fest (wegen des biblischen Wortlauts), lehnte aber die Erklärung der Transsubstantiation als "spitzfindige Sophistik" ab. Für ihn ist Christus "in, mit und unter" den Elementen gegenwärtig. Für Zwingli ist die Gegenwart Christi nur im Geiste gegeben, Calvin bestreitet die Realpräsenz mit dem auf Hinweis auf die Gegenwart Christi im Himmel. Die Verweigerung des Laienkelches ist für alle Reformatoren ein klarer Verstoß gegen Jesu Wort "Trinket alle daraus" und im übrigen Ausdruck eines Zwei-Klassen-Systems in der Kirche und der Priesterherrschaft. Die scholastische Lehre, dass Christus unter jeder der beiden Gestalten ganz empfangen werde (Konkomitanzlehre), verwerfen die Reformatoren. Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung besteht um die Frage der Aufbewahrung der konsekrierten Elemente. Für Luther haben die Elemente "extra usum" (= außerhalb des Gebrauchs bei der Mahlfeier) keine besondere Bedeutung; außereucharistische Verehrung der geweihten Hostie hat für ihn keinen Sinn. Das Konzil von Trient verteidigt alle kritisierten Punkte, lässt aber im einzelnen Differenzierungen zu (Meßopfer ist keine Wiederholung, sondern repraesentatio, memoria und applicatio; Transsubstantiation ist kein Dogma, sondern nur eine treffende Bezeichnung; Kelchverweigerung wird nicht festgeschrieben). In der von konfessioneller Verhärtung geprägten Folgezeit werden aber gerade die von der Reformation angegriffenen Lehren und Praktiken zu typisch katholischen Erkennungszeichen. Erst im 20. Jh. vor allem durch das II. Vaticanum, sind die Einsichten der Reformatoren auch in der kath. Kirche fruchtbar geworden. Häufigere Kommunion wurde schon durch Papst Pius X. (1903-1914) eingeführt. Die Liturgische Bewegung entdeckte den Gemeinschafts- und Mahlcharakter der Messe neu und führte zuletzt zur Verwendung der Muttersprache in der Liturgie und zum lauten Sprechen des Hochgebets. Der Laienkelch ist nun auch in der kath. Kirche erlaubt. Der Opfercharakter der Messe wurde neu durchdacht. Die Ökumenische Bewegung führte zu vielen Annäherungen; dabei war stets der gemeinsame Rückbezug auf das biblische Zeugnis leitend. Für die Realpräsenz wird meistens auf die biblische Kategorie der vergegenwärtigenden Erinnerung (anamnesis) zurückgegriffen. Die Kirchen sind sich heute im Verständnis des Herrenmahls/der Eucharistie in vielen 52 Punkten einig, umstritten sind die Beziehung von Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft und dabei besonders die Bedeutung des Amtes. (Zur Bedeutung der Unterschiede in der Abendmahlslehre vgl. mein Buch Wandlung, S. 107-119. Ich sehe gute Gründe dafür, die Gemeinschaft am Tisch des Herrn vorerst noch nicht zuzulassen.) 7. Die Feier der Eucharistie Vgl. dazu Gotteslob, 351-376, und die sehr informativen Ausführungen bei KUNZLER aaO. Die Feier der Eucharistie ist eingebettet in die Hl. Messe, den zentralen gottesdienstlichen Vollzug der Kirche. Damit wird sie als das Sakrament der Sakramente, als das Sakrament der Kirche schlechthin erkennbar. Die ganze Hl. Messe vollzieht die Umcodierung eines Lebens in Sünde und Selbsterhaltung in ein Leben zur Ehre und Verherrlichung Gottes, deswegen ist sie Gottesdienst! Die Hl. Messe wird wie folgt eingeteilt (Hervorhebung = Ordinarium, in jeder Messe vorkommende Hymnen und Texte): Eröffnungsteil: Einzug, Introitus, Verehrung des Altars, Bußakt, Kyrie eleison, Gloria, Tagesgebet Wortgottesdienst: Lesungen aus dem Alten Testament und den Briefen, Antwortpsalm und Halleluja, Evangelium, Homilie (Predigt), Glaubensbekenntnis, Fürbitten Gabenbereitung: Herbeibringen der Gaben auf den Altar, Segensgebet über die Gaben, Händewaschung, Gebet um die Annahme der Gaben, Gabengebet mit besonderen Intentionen das eucharistische Hochgebet (=Kanon) mit dem Aufbau: Präfation, Sanctus, Postsanctus, Wandlungsepiklese [Epiklese= Herabrufung des Hl. Geistes], Einsetzungsbericht, Anamnese, Darbringungsgebet, Kommunionsepiklese, Interzessionen [Fürbitten in der Gemeinschaft der Heiligen], Schlussdoxologie. [Außer dem alten Römischen Kanon, der auf das 2. Jh. zurückgeht, unser 1. Hochgebet, gibt es seit der Liturgiereform des II. Vaticanums drei weitere Hochgebete] Kommunionteil: Vaterunser, Friedensgruß, Brechung des Brotes mit Agnus Dei, Kommunion, Segen und Entlassung. Über Entstehung und Sinn dieser Teile, frühere Bezeichnungen und andere Einteilungen s. KUNZLER aaO; weiterhin W. Haunerland, Das eine Herrenmahl und die vielen Eucharistiegebete, in Haunerland aaO., S. 118-144. Aus der oben genannten Abtrennung der Eucharistie vom Kommunionempfang folgte über lange Zeit die Austeilung der Kommunion außerhalb der Hl. Messe, vor allem seit der Vorschrift von 1215 (IV. Laterankonzil), dass jeder Christ einmal im Jahr, und zwar in der Osterzeit, die Kommunion empfangen müsse. Noch bis Mitte des vorigen Jh. wurde die Kommunion häufig nur vor und nach der Hl. Messe ausgeteilt! Eine andere Form des Kommunionempfangs außerhalb der Hl. Messe ist die Krankenkommunion, früher meistens als Sterbekommunion (Viaticum = Wegzehrung). Seit dem Mittelalter, vor allem aber in der Neuzeit hat sich im Gegenzug zum Protestantismus die Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messfeier durchgesetzt. Wir finden: Tabernakel und Sakramentshäuschen, Sakramentsprozession, Aussetzung der Eucharistie, Fronleichnam, Sakramentsandachten, eucharistischer Segen. Architektur, Kirchenmusik, Hymnendichtung, persönliche Frömmigkeit sind dadurch maßgeblich inspiriert worden! Diese Verehrung ist legitim, darf sich aber nicht verselbständigen, sondern muss dem Geschehen der Eucharistie zugeordnet bleiben. Protestanten können der Verehrung "extra usum" keinen Sinn abgewinnen, aber dies hat wohl nicht wenig zur Verarmung der Abendmahls-Frömmigkeit in den evangelischen Kirchen beigetragen. »Sollte man am Sonntag in die Kirche gehen? Zwei Gründe dafür und zwei Gründe dagegen« 53 8. Das ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft Eucharistiegemeinschaft ist Kirchengemeinschaft, denn die Kirche wird durch die Eucharistie als Leib Christi auferbaut. Kirche entsteht durch die Eucharistie, die Eucharistie ist Mittel und Zeichen der Kirchengemeinschaft. Darin sind sich alle Kirchen einig, die Probleme zwischen den Konfessionen entstehen aus dem Verhältnis von Mittel und Zeichen. Terminologisch ist zu unterscheiden zwischen voller Eucharistiegemeinschaft als Ziel der Einigung der Kirchen, eucharistischer Gastfreundschaft (gastweise Zulassung in Einzelfällen oder generell), Interkommunion (gegenseitige Zulassung nach Absprache), Interzelebration (Amtsträger anderer Kirchen dürfen der Feier vorstehen) und offener Kommunion (niemandem ist der Zutritt verwehrt). Während die evangelischen Kirchen untereinander Interkommunion oder Interzelebration vereinbart haben oder auch offene Kommunion praktizieren, wird auf katholischer Seite die Eucharistie nicht nur als Mittel, sondern auch als Zeichen der (vorausgesetzten) Kirchengemeinschaft verstanden. Das Ökumenismusdekret des II. Vatikanums sagt dazu: "Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. ... Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie dagegen in manchen Fällen" (UR 8). Dies wurde kirchenamtlich (Ökumenisches Direktorium) dahin präzisiert, dass mit den orientalischen Kirchen Gottesdienstgemeinschaft möglich ist, mit den evangelischen Kirchen jedoch in der Regel nicht, sondern nur in Ausnahmefällen (im Sinne einer ökumenischen Gastfreundschaft). Begründet wird das mit dem "defectum sacramenti ordinis" (dem Defekt im kirchlichen Amt) bei den evangelischen Kirchen (UR 22): weil sie kein Weihesakrament haben und nicht in der apostolischen Sukzession stehen, ist bei ihnen die Integrität der Abendmahlsfeier und damit auch der Kirche nicht gegeben. Meines Erachtens ist in der heutigen Lage der Kirchen eine generelle Zulassung oder offene Kommunion nicht zu empfehlen. Angesichts der oft sehr unklaren und zum Teil häretischen Eucharistiekonzepte sollte das katholische Verbot als eine heilsame Aufforderung zur Prüfung der Geister, als ein Anlass zur Verständigung über den Glauben und als ein Mittel der konfessionellen Differenzierung genutzt werden. In vielen Fällen kann sicherlich eucharistische Gastfreundschaft gewährt werden. 54 A. Das Sakrament der Buße [Da das Sakrament der Buße im WS 09/10 nicht vorgetragen wurde, erfolgen auch keine Ergänzungen Vgl. dazu: FABER, 122-141; KUNZLER, 445-456; CHRISTOF GESTRICH, DIE W IEDERKEHR DES GLANZES IN DER W ELT. DIE CHRISTLICHE LEHRE VON DER SÜNDE UND IHRER VERGEBUNG IN GEGENWÄRTIGER VERANTWORTUNG, Tübingen: Mohr/Siebeck ²1997, vor allem §§ 7-13 (ganz hervorragend zur Theologie von Sünde, Schuld und Vergebung!); ART. BUßE/KIRCHENGESCHICHTLICH, in: RGG4 BD. 1, 1910-1918 (zur Geschichte der Buße). 1. Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und Vergebung Kein Sakrament steckt stärker in der Krise als die Beichte. Das bedeutet aber, dass der kirchliche Beitrag zum Umgang mit Schuld und Vergebung weitgehend ausfällt. Da keine andere Institution einspringen kann, gibt es praktisch keine Möglichkeit mehr, Schuld zu bekennen und Vergebung zu erlangen. Die Menschen und die Gesellschaft insgesamt werden mit ihrer Schuld nicht mehr fertig (sowenig sie mit ihren Schulden fertig werden – da besteht ein Zusammenhang!). Die Krise der Beichte hat m.E. zwei Hauptursachen: zum einen die durch die kirchliche Beichtpraxis betriebene Privatisierung von Sünde und Schuld auf den individuellen und engeren zwischenmenschlichen Bereich. Für diesen Bereich erklären sich heute Psychologie und Therapie für zuständig; Sünde wird als Schwäche, Überforderung, Folge von Fehlentwicklungen gedeutet. Zum anderen finden die Erfahrungen mit Schuld im gesellschaftlich-ökonomischen-politischen Bereich – wir ruinieren laufend die Welt durch unser alltägliches Verhalten, lassen unseren Kindern keine bewohnbare Welt mehr übrig, und wir wissen darum – im kirchlichen Bußsakrament zur Zeit keinen Ausdruck. Weil unsere Sünden nicht gebeichtet (d.h. bekannt, bereut, wiedergutgemacht) werden, können sie nur verdrängt werden, und sie werden es. Unsere Gesellschaft ist genauso auf Schuld aufgebaut, wie sie auf Schulden aufgebaut ist. Sie weiß darum und will es doch nicht zugeben, weil sie kein Mittel dagegen kennt. Was ist Schuld? Schuld ist der individuell zurechenbare Anteil des Bösen und Fehlerhaften an jeder Handlung eines Menschen. Alle Menschen handeln ständig (auch durch Unterlassung). Dieses Handeln hat immer Folgen, die der einzelne nicht mehr kontrollieren kann. Bei schlechten Handlungen entsteht ein Verhängnis (bei aufmerksamer Beobachtung lassen sich Folgen böser Handlungen bis in die dritte oder vierte Generation direkt nachweisen; vgl. Ex 20,5: Gott ahndet die Schuld der Väter bis zu den Urenkeln. Danach verlieren sich die Folgen im Dunkel der Geschichte, bleiben aber weiter wirksam). Wenn die Kirche von Schuld redet, dann besteht sie darauf, dass der individuelle Anteil in jedem einzelnen Fall ausgemacht werden kann, und dass Menschen sich ändern können, indem sie für die Folgen ihres Tuns aufkommen und ihr schuldhaftes Verhalten vermeiden. Dem Sakrament der Buße liegt also eine hohe, anspruchsvolle Auffassung vom Menschen zugrunde. Er ist nicht nur Opfer von Verhältnissen/Verhängnissen, er kann sich ändern und damit, soweit es an ihm liegt, das Böse fortschaffen. Was ist das Böse an menschlichen Handlungen? Das Böse besteht in jedem einzelnen Fall darin, dass Menschen ihre Umwelt (andere Menschen, soziale Systeme, die Natur) für Zwecke der eigenen Selbsterhaltung und Selbstbehauptung über das gerechte Maß hinaus verzwecken. Sie werden ihrer Umwelt nicht gerecht, d.h. sie verlangen etwas von ihr, was sie nicht leisten kann, sie überfordern sie. Die/das Überforderte/n müssen sich das, was ihnen durch das schuldhafte Handeln genommen worden ist, woanders holen. So pflanzt sich die Schuld immer weiter fort. Das böse Tun bewirkt einen Mangel in der Welt, der durch weiteres böses Tun aufgefüllt wird, ohne jemals gestillt werden zu können. 55 Was ist Sünde, warum werden biblisch-kirchlich Schuld und Sünde in einem Atemzug genannt? Sünde ist die Übertretung von Gottes Gebot. Gottes Gebot ist das Gesetz der Gerechtigkeit, d.h. es will, dass Menschen ihm und deswegen auch ihrer Umwelt gerecht werden können. Darum sind Sünde und Schuld identisch: ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit. Gottes Gebot ist das Gesetz einer Lebensordnung, die nicht auf dem Mangel, sondern auf der Fülle, dem Reichtum, dem "Glanz" (kabod, doxa, gloria; vgl. Gestrich) beruht. Wer von der Herrlichkeit Gottes weiß und an sie glaubt, braucht sich um seine Selbsterhaltung/Selbstbehauptung nicht mehr zu sorgen, er/sie braucht nicht zu sündigen. Sie/er kann anderen/anderem gerecht werden. Warum ist die Vergebung der Sünden notwendig? Weil, wie gesagt, jedes Handeln Folgen hat, die der Urheber nicht mehr kontrollieren kann, kann niemand aus eigener Kraft das Verhängnis vermeiden, das aus seinem bösen Tun erwächst. Er/sie ist in Sünde verstrickt und kann nicht anders, als durch neue Sünden auf die Folgen der früheren zu reagieren. Vergebung meint demgegenüber: dass einem Menschen die Möglichkeit eingeräumt wird, neu anzufangen. Sie/er kann wieder am Punkt null beginnen, die Stricke, die ihn/sie an die Vergangenheit fesseln, sind gelöst. Dies kommt einer Neuschöpfung gleich, die nur Gott bewirken kann. Sie kann nur so gedacht werden, dass jemand anderes (Christus) die Schuld übernimmt, die eine/r auf sich geladen hat. Wie Taufe und Eucharistie zielt also die Buße auf ein neues Sein in Christus. Worin besteht die Analogie von Schuld und Schulden? Jemand nimmt einen (zinspflichtigen – nur daran ist hier zu denken) Kredit auf, um eine Investition zu tätigen, z.B. eine Wald forstwirtschaftlich zu nutzen. Der Ertrag der Waldnutzung liegt bei nachhaltigem Wirtschaften bei 2%. Durch die Zinslast ist der Schuldner aber gezwungen, weit mehr aus dem Wald herauszuholen. Dies kann nur durch Übernutzung, durch Ausbeutung der Arbeitskräfte, durch Missachtung ökologischer Standards geschehen. Überall werden dabei Schuld und Mangel erzeugt, die sich fortzeugen. Sind die Grenzen der Nutzung erreicht, muss er einen neuen Kredit aufnehmen. Tritt der Punkt ein, wo alte Schulden nur noch durch neue Kredite abzutragen sind, spricht man von Überschuldung. – Dieser Zustand ist heute, im Rahmen der zinsgestützten und konkurrierenden Geldwirtschaft, praktisch weltweit erreicht. Überall wird mehr Ertrag erwartet als die Ressourcen (Menschen, Natur) zu geben in der Lage sind. Die Welt erstickt in Schulden. Der Zustand wäre nur zu ändern, wenn die Kapitalbesitzer mit ihrem Kapital für die Schulden einspringen würden, wenn sie die Schuld auf sich nehmen würden. Dies käme aber einer Neuschöpfung, einer Abschaffung der Regeln unserer Geldwirtschaft gleich. 2. Biblische Schlüsselszenen Gen 3: Der Sündenfall. Adam und Eva übertreten Gottes Gebot. Die Schlange führt sie in die Logik der Konkurrenz ein. Sie wollen nach einem eigenen Gesetz leben (=gut und böse erkennen). Daraus entstehen: Scham – Verbergen der Schuld – Abwälzung der Verantwortung. Folge der Ursünde: Leben als Kampf um's Dasein unter dem Gesetz der Knappheit (=Fluch). Lev 4; 5; 16: Sündopfer und Großer Versöhnungstag. Vergehen müssen wieder gut gemacht werden; wo das nicht unmittelbar möglich ist, muss ein Opfer gebracht werden. Für unwissentliche oder sonstige bisher nicht erfasste Sünden ist der Versöhnungstag zuständig. Gott ermöglicht Israel jedes Jahr einen Neuanfang. – Wir haben hier eine Gesellschaft vor uns, die aktiv mit dem Problem der Schuld umgeht. Sie leugnet die Schuld nicht, weiß sich aber von der Vergebungsbereitschaft Gottes getragen. 56 Jer 14,20f: Aus der Klage des Propheten über die Zerstörung Jerusalems: "Wir erkennen, Herr, unser Unrecht, die Schuld unserer Väter. Ja, wir haben gegen dich gesündigt." Die Katastrophe war nicht nur Verhängnis, der Prophet schaut den Anteil der Schuld darin (die eigene und die der Väter). [Hätten das die Deutschen nur nach dem 2. Weltkrieg auch getan!]. Die Schulderkenntnis ist die Voraussetzung der Bitte und der Hoffnung: "Um deines Namens willen verschmähe uns nicht, verstoß nicht den Thron deiner Herrlichkeit." Ps 51: einer der Bußpsalmen. "Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir missfällt. So behältst du Recht mit deinem Urteil, rein steht du da als Richter. ... Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen beständigen Geist. ... Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege, und die Sünder kehren um zu dir." Sünde ist im Kern eine Beleidigung Gottes. Das Sündenbekenntnis gibt Gott Recht und wird zur Verherrlichung Gottes. [Empfehlung: Ps 51 bei jeder Beichte beten] Mk 1,15: Die Reich-Gottes-Predigt Jesu. "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium." Damit ist alles gesagt: Jesus weiß von der Gnade und Vergebung Gottes, der alle Menschen zur Tora ruft. Die erste Reaktion darauf kann nur die Umkehr (metanoia) sein, die Abkehr von einem verkehrten Leben. Sie ist Voraussetzung für ein Leben nach dem Evangelium. – Jesus war ein Bußprediger. Mk 2,1-12: Heilung des Gelähmten. Der Gelähmte will Heilung, aber Jesus vergibt ihm zuerst seine Sünden. Jesus weiß um den Zusammenhang von Sünde und Lähmung! An der Sündenvergebung wird seine Macht erkannt, die die des Menschensohnes ist, mit dem das Leben der kommenden Welt beginnt. "Alle waren außer sich, priesen Gott und sagten: 'Noch nie haben wir solches gesehen'." Mt 18,15-20: Die Zurechtweisung eines Sünders in der Gemeinde. Wenn einer sündigt, dann soll er zunächst unter vier Augen zurechtgewiesen werden. Hilft das nichts, dann sollen zwei oder drei Zeugen zugezogen werden. Hilft auch das nichts, folgt die Verhandlung vor der ganzen Gemeinde. Hört er auch dann nicht, wird er aus der Gemeinde ausgeschlossen. Der Kontext der Stelle sagt: Die Vergebung hat immer den Vorrang, man soll nicht nur 7, sondern 77mal vergeben. Aber Vergebung hat eine Grenze. Paulus ordnet 1Kor 15,1-13 den Ausschluss eines Sünders aus der Gemeinde an. Ansonsten würde die Gemeinde zerstört. Paulus hält aber offen, dass er "am Tag des Herrn gerettet wird". Röm 1,23f: "Sie (die Heiden, alle) vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Abbild der Gestalt von vergänglichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Gewürm": Alle Sünde ist Götzendienst. Die Folge ist: "Darum überließ sie Gott der Unreinheit, nach der ihr Herz gelüstet, so dass sie gegenseitig ihre Leiber schändeten...". Zusammenfassung Röm 3,23: "Alle (Heiden und Juden) haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes." Deshalb gründet Gott seine Gerechtigkeit, die die Welt braucht, um leben zu können, nicht mehr auf die Taten der Menschen, sondern er richtet sie durch Jesus Christus selbst auf, und es genügt, an ihn glauben, um nach der Gerechtigkeit leben zu können: "Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz Gottes Gerechtigkeit, die vom Gesetz und von den Propheten bezeugt wird, offenbar geworden, Gottes Gerechtigkeit aber aus dem Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden" (Röm 3,21f). [Das ist die paulinische Rechtfertigungslehre; der Ausgangspunkt für Lehre Martin Luthers.] 57 1 Petr 1,14-16: Neues, heiliges Leben aus dem Glauben im Unterschied zum früheren: "Als Kinder des Gehorsams richtet euch nicht nach den Lüsten, die euch früher, zur Zeit eurer Unwissenheit, beherrschten, sondern, wie jener heilig ist, der euch berufen hat, so sollt auch ihr heilig werden in jeglichem Wandel. Es steht ja geschrieben: 'Heilig sollt ihr sein, weil ich heilig bin'." Die Unterscheidung 'früher – jetzt = sich nach Lüsten richten, die beherrschen – der Berufung zur Heiligkeit in Freiheit entsprechen. 3. Zur Theologie der Buße Die Sünder ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Von der Herrlichkeit Gottes kommen aber Leben und Seligkeit, Anerkennung und Liebe, sowie das Gesetz (Tora), das die rechten Mittel zur Selbsterhaltung anweist. Weil die Sünder all das nicht haben, aber brauchen, nehmen sie es sich von anderen. Sünde ist darum im eigentlichen Sinne Götzendienst. Sünder nehmen sich von anderen Menschen/Dingen, was sie nur von Gott bekommen können, und sie wollen selber wie ein Gott verehrt, anerkannt, gelobt, geliebt werden. Da das Verlangen der Menschen nach Anerkennung und Daseinssicherung unersättlich ist, kennt die Macht der Sünde keine Grenze. Sünden reißen Löcher, die nur durch andere Sünden gefüllt werden können. Darum ist "der Tod der Sünde Sold" (Röm 6,23). Die Vergebung besteht darin, dass sich Gott in seiner Herrlichkeit offenbart. Wer Gott in seiner Herrlichkeit kennt und liebt, muss nicht mehr sündigen, während das Dasein ohne Gott zur Sünde gezwungen ist. Allerdings wird erst durch die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes der "natürliche" Kampf um's Dasein als Sünde erkennbar; es wird dann auch klar, dass sich alles böse Tun eigentlich gegen Gott richtet. Dass Gott sich den Sündern in seiner Herrlichkeit offenbart, bezeugt seine Gnade, Barmherzigkeit und "Gerechtigkeit" (im Sinne von Röm 3). Die Gebote zeigen die Sünden an, sie sind der Index für die Sünden. Denn das Gesetz Gottes ist das Gesetz des Lebens aus der Fülle, das dem Gesetz der Sünde und des Todes diametral gegenübersteht. Wenn wir dies auf das Bußsakrament im engeren Sinn anwenden, zeigt sich folgendes: Zur Buße gehören die Elemente Bekenntnis (confessio), Reue (contritio), Genugtuung (satisfactio) und Versöhnung (reconciliatio, bzw., als Lossprechung von den Sünden, absolutio). Diese Elemente folgen nicht so aufeinander, dass der Sünder zuerst die ersten drei Stücke geleistet haben muss, um die Versöhnung zu erlangen (das wäre krasse Werkgerechtigkeit!). Vielmehr geht die Versöhnung mit Gott der Buße voran in dem Sinne, dass erst ein Wissen (Glauben) um Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit die eigene Schuld als Schuld erkennbar macht und daraus dann die Aufforderung erwächst, sich zur eigenen Schuld zu stellen, sie zu bekennen, sie aufrichtig* zu bereuen und alles, was möglich ist, zur Genugtuung zu tun (das schließt den Vorsatz ein, sich zu ändern). Die Lossprechung (Absolution am Ende der Einzelbeichte) markiert den Endpunkt des ganzen Prozesses, der von Anfang an von der Vergebung Gottes getragen ist und anders gar nicht zustanden käme. Die Absolution sagt: Du kannst wieder neu anfangen – du bist nicht mehr durch deine Sünden an deine Vergangenheit gebunden. * Die Scholastiker unterscheiden zwischen attritio (der Reue, die nur Selbstmitleid ist und aus egoistischen Motiven erfolgt) und contritio (wahrhafte Reue oder Zerknirschung, die um des angerichteten Schadens willen entsteht und die die Vergebung zur Voraussetzung hat). 58 Mehr, als es hier geschehen kann, wäre der Zusammenhang von Schuld, Vergebung und Stellvertretung zu bedenken (vgl. dazu aber unbedingt: GESTRICH, S. 320-375). Dieser Zusammenhang ist komplex, er betrifft die Beziehung GottChristus-Sünder und die Beziehung der Christen untereinander. Nur soviel dazu: Alle Sakramente zielen darauf, dass die Gläubigen mit Christus "ein Leib" werden, d.h. dass sie ein neues Sein erhalten, das nicht mehr von ihren Sünden her bestimmt ist, sondern von der Gerechtigkeit Jesu. Sie werden ein neues Geschöpf (s. zu Taufe und Eucharistie!). In Bezug auf die Buße sagt nun die Theologie: Gott rechnet uns nicht unsere Sünden an, sondern die Gerechtigkeit (manchmal sagt man auch: die Verdienste) Christi. Er betrachtet uns so, als wären wir Christus. Christus ist vor Gott unser Stellvertreter, er hat unsere Sünden stellvertretend getragen. Was an der Gerechtigkeit Gottes in der Welt fehlt (was die Sünden an Löchern gerissen haben), das hat er durch sein Leiden am Kreuz aufgefüllt. Wenn wir nun in Christus ein neuer Mensch werden, befreit von der Macht unserer Sünden, dann können wir auch an einander Stellvertretung üben. Das bedeutet: Was ein sündiger Mensch in der Gemeinde zuwenig hat, was er an Mangel produziert, das kann durch andere Gläubige stellvertretend gegeben werden. Dies ist möglich wegen der überreichen Gnade – da braucht keiner ängstlich auf seiner Selbstbewahrung zu beharren, sondern kann sogar noch anderen geben, was diesen fehlt. Konkret: Wenn jemand z.B. die Umwelt mehr belastet als gut ist, können es andere weniger tun, als angemessen ist – das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Wenn jemand mehr Anerkennung braucht als ihm zusteht, können andere sie ihm geben – sie haben ja von Gott her genug davon. – Insgesamt gilt: Das Gegenteil zu einem Leben unter dem Gesetz der Sünde, das überall nur Mangel hervorruft, ist ein Leben in der Struktur der Stellvertretung, das anderen gibt, was diese nicht selber leisten können. Wenn man das bedenkt, sieht man auch, dass Stellvertretung überhaupt die Struktur gelingenden Lebens ist, in der Natur wie in der Gesellschaft. 4. Zur Geschichte der Buße Im Folgenden rede ich nur von den Formen der ordentlichen Kirchenbuße und lasse alle Formen der direkten, privaten Vergebung außer Acht, obwohl sie natürlich den größten Teil der Wirklichkeit der Buße ausmachen. Um den komplexen Gang der Entwicklung zu vereinfachen, unterscheide ich grob drei Phasen: 1. Die öffentliche Kirchenbuße in der Alten Kirche 2. Die Privatbeichte im Mittelalter 3. Die Besinnung auf den sozialen Aspekt der Buße im 20. Jahrhundert Zu 1. Die öffentliche Kirchenbuße in der Alten Kirche In der ersten Zeit der Kirche war die Vergebung der Sünden nur mit der Taufe verbunden; man erwartete, dass die Getauften nicht mehr sündigten. Unter dem Druck der Verhältnisse wurde dann die "zweite Buße" (paenitentia secunda) eingeführt. Sie hatte drei Bestandteile: o Die Exkommunikation des Sünders (dessen Vergehen bekannt waren: Mord, Ehebruch, Glaubensabfall in den Verfolgungen) in einem öffentlichen Akt vor der ganzen Gemeinde. Der Sünder gehörte jetzt zum Stand der Büßer und durfte nicht mehr an der Eucharistie teilnehmen. o Die Bußzeit, die nach der Schwere des Vergehens berechnet war und in der ganz bestimmte Leistungen zu erfüllen waren: z.B. Ausschluss von Ämtern, Gebetsübungen, asketische Übungen oft schwerster Art, Verzichtsleistungen (etwa auf ehelichen Verkehr), soziale Maßnahmen. 59 o Die Versöhnung mit der Gemeinde (Rekonziliation) nach Ablauf der Bußzeit. Dieses sehr schwere Bußverfahren konnte jeder Christ nur einmal durchmachen. Fiel er nochmals in Sünde, gab es keine Versöhnung mit der Gemeinde mehr. Aus diesem Grunde neigte man dazu, die Buße bis zum Ende des Lebens zu verschieben. Schließlich verschwand sie nahezu aus dem Leben der Gemeinden oder wandelte sich zu einem Sterbesakrament. Zu 2 Die Privatbeichte im Mittelalter Ab dem 6. Jh. wurde das europäische Festland durch Mönche aus England, Irland und Schottland missioniert. Sie waren es gewöhnt, im Kloster ihre Vergehen regelmäßig vor dem Abt zu bekennen. In ihren fränkischen Missionsgebieten entwickelte sich aus dieser klösterlichen Praxis eine neue Form der Kirchenbuße (iro-schottische Bußreform), die zunächst übrigens auf den Widerstand der Kirche stieß. Hier war nun das Bekenntnis der Sünden (confessio) das entscheidende Element. Es sollte mit Reue und Zerknirschung (contritio) einhergehen. Auf Grund dessen sprach der Priester die Absolution aus (zuerst deprekativ - bittend –, später indikativ - zusagend aufgrund seiner Vollmacht). Er legte schließlich noch eine Genugtuungsleistung auf (satisfactio), die nach der Buße zu verrichten war. So entstand die Beichte. Das 4. Laterankonzil 1215 machte die jährliche Beichte zur Pflicht Die mittelalterlichen Theologen versuchten mit einiger Mühe, die Sakramententerminologie auf die Buße anzuwenden. Bekenntnis, Reue und Genugtuung sollten die "Materia" des Sakramentes sein, die Absolution die "Form": Beides konnte nur zusammen wirken. Diskutiert wurde aber auch die Frage, ob nicht die vollkommene Reue schon zur Vergebung der Sünden genügt. In diesem Zusammenhang muss auch von der Laienbeichte die Rede sein (persönliches Bekenntnis vor einem Mitchristen), die es in der Ostkirche immer gab und die auch im Westen im Notfall stets zugelassen war. Im Zusammenhang der iro-schottischen Bußreform ist auch das Institut des Ablasses zu verstehen. Die Bußleistungen waren ja nach der Absolution zu verrichten. Für bestimmte Sünden gab es dabei bestimmte Genugtuungen ("Tarifbuße"); sie waren die "zeitlichen Sündenstrafen" (reatus poenae, im Unterschied zu der Verhaftung an die Sünde - reatus culpae - ). Nun hatte es sich eingebürgert, dass diese Bußleistungen umgewandelt, ersetzt oder durch Zahlungen abgelöst werden konnten. Wurde bspw. jemandem eine Wallfahrt auferlegt, konnte er auch einen Vertreter schicken. Daraus entwickelte sich der Ablass: der Erlass oder die Vertretung zeitlicher Sündenstrafen aufgrund bestimmter Leistungen. Wenn man nun noch die Fegefeuerlehre hinzunimmt, die sich im Frühmittelalter entwickelte, legte sich die Vorstellung nahe, dass Bußleistungen auch im Jenseits zu verrichten waren. Der Ablass wurde dann als Erlass jenseitiger Sündenstrafen aufgefasst, der aufgrund des Gnadenschatzes der Kirche (thesaurus ecclesiae) möglich sein sollte. Bei den Aufrufen zu den Kreuzzügen im 12. und 13. Jh. stellten manche Prediger, z.B. Bernhard von Clairvaux, einen vollkommenen jenseitigen Ablass für die diejenigen in Aussicht, die an den Kreuzzügen teilnehmen würden. Zu dieser Zeit war eine solche Zusage theologisch noch gar nicht gedeckt, aber die Theologie beeilte sich, den so einträglichen Ablass nachträglich zu begründen. So wurde er zu einer Haupteinnahmequelle der mittelalterlichen Kirche. Dagegen richtete sich bekanntlich der Protest Martin Luthers. Obwohl er an dem Wert der Buße festgehalten hat (sie wurde und wird ja noch in der lutherischen Kirche praktiziert, wenn auch selten), hielt er doch den Ablass sowie auch die Auffassung, dass das Bekenntnis und die Reue des Sünders eine Voraussetzung 60 darstellen, um die Vergebung zu empfangen, für einen Ausdruck von Werkgerechtigkeit (Das ist der Inhalt seiner berühmten 95 Thesen von 1517). Für ihn handelte es sich darum, dass sich der Mensch im Angesicht Gottes seiner Schuld bewußt wird und dann im Glauben die Vergebung empfängt (simul iustus et peccator). Buße ist also ein Grundvollzug der gläubigen Existenz und braucht nicht mehr unbedingt in einzelnen Akten konkretisiert zu werden. Das Konzil von Trient schärfte die bisherige Bußlehre und -praxis gegen die Reformatoren ein, verzichtete aber darauf, eine umfassende Bußlehre zu entwickeln. Zu 3 Die Besinnung auf den sozialen Aspekt der Buße im 20. Jahrhundert Da der Kommunionempfang mit der vorhergehenden Buße traditionell verknüpft waren, führte der häufigere Kommunionempfang seit Anfang des Jahrhunderts (Pius X.) zu einer großen Zunahme der Beichthäufigkeit. Seit Mitte des Jh. löste sich die Verknüpfung auf, und die Beichte wurde weniger und weniger praktiziert. Für die neuere Theologie war die Entdeckung, dass die Buße in der Alten Kirche ganz anders praktiziert wurde als heute, eine Art Schlüsselerlebnis (Wichtigste Beiträge dazu von Bernhard Poschmann). Die gängige Bußpraxis wurde dadurch in Frage gestellt und zugleich der ekklesiale, soziale Aspekt der Buße ganz neu entdeckt. In der Liturgiereform wurde versucht, den neuen Einsichten gerecht zu werden. Im Mittelpunkt steht die Versöhnung mit der Kirche und mit Gott. Die neue Theologie der Buße ließ sich aber mit der Form der Ohrenbeichte schwer vereinbaren. Die römische Bußordung von 1973 (ordo poenitentiae, dt. 1974) führte als neue Form die gemeinschaftlichen Bußandachten ein. Sie sollen regelmäßig in den Gemeinden gehalten werden, aber die Einzelbeichte nicht ersetzen. 5. Die heutige Ordnung der Buße Vgl. GOTTESLOB, 54-67; KUNZLER aaO. Die "Ordnung der Buße" von 1973 kennt drei Formen der sakramentalen Buße: 1. Die Einzelbeichte mit den Elementen: Begrüßung – Bekenntnis – Übertragung eines Bußwerks – Reuegebet – Lossprechung. Die Lossprechung hat die Formel: "Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." 2. Die Feier der Versöhnung in Verbindung mit einer Bußandacht und anschließender Einzelbeichte 3. Die gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit allgemeinem Bekenntnis und Generalabsolution (nur in Notsituationen. Den Bischofskonferenzen bleibt die Entscheidung überlassen, ob in ihrem Gebiet generell eine solche Notsituation vorliegt (z.B. bei Priestermangel); die dt. Bischofskonferenz hat dies für Deutschland verneint.) Neu eingeführt ist der Bußgottesdienst ohne sakramentale Absolution (mit den Elementen Eröffnung, Schriftlesung, Homilie, Besinnung, Reuegebet, gemeinsames Bekenntnis, Gebet um Vergebung der Schuld) Anmerkung: Die Einzelbeichte ist wegen der Besinnung auf die je persönliche Schuld unersetzbar. Sie sollte sich jedoch nicht nur auf schuldhaftes Verhalten im unmittelbaren zwischenmenschlichen Bereich beschränken, sondern auch die öffentliche, gesellschaftliche Verantwortung des Pönitenten beinhalten: Umweltverhalten, Konsumgewohnheiten, politisches Handeln. Die Bußandacht ist keine leichtere Form der Buße, die einem das persönliche Bekenntnis erspart, sondern bezieht sich auf die Art der Schuld, die die kirchliche Gemeinschaft/Gemeinde als Ganze auf sich geladen hat. Wo ist sie 61 ihr Zeugnis schuldig geblieben, wo hat auch sie nur Selbsterhaltung betrieben, wo hat sie Wichtiges versäumt? Das ist ein weites, weithin unbearbeitetes Feld. 6. Zur Rolle des Priesters Der Priester handelt in der Beichte nicht als Richter, der die Schuld bemisst und das Urteil (Absolution=Freispruch) verkündet. Er spricht vielmehr in amtlicher Vollmacht die von Gott her geschenkte Vergebung definitiv aus. Er repräsentiert das "extra nos" der Vergebung, die nicht von Menschen kommt, sondern von Gott. Er ist auch Repräsentant der Kirche, insofern er dem Pönitenten den Glauben an die Liebe Gottes, der in der Kirche gegeben ist, verbindlich mitteilt. – Ich meine: Auch ohne Priester ist bei Vorliegen von Bekenntnis, Reue und Genugtuung eine vollkommene Vergebung möglich. Es gehört aber zum Bekenntnis, dass man es jemandem bekennt; das innere Zwiegespräch reicht nicht aus. Dieser jemand kann auch ein Mitchrist sein; die spezielle Rolle des Priesters bei der Beichte entspringt eher der pastoralen Klugheit. Es ist m.E. leichter, der Amtsperson zu beichten als einem Menschen, der einem persönlich bekannt ist. Dazu gehört auch das amtliche Beichtgeheimnis, das der Priester unbedingt einhalten muss. Mit einem guten "Beichtvater" kann sich ein langdauerndes Vertrauensverhältnis einstellen. 7. Zur Beichte der Kinder Hier gebe ich nur meine persönliche Meinung wieder: Die in der Kirche geübte Kinderbeichte nimmt die Kinder als moralisches Subjekt ganz ernst. Auch Kinder werden schuldig und sind fähig, ihre Schuld zu erkennen und zu bekennen, sobald sie das "Alter der Unterscheidung" erreicht haben, d.h. wenn sie über eine Sprache verfügen, mit der sie über sich selbst reden können. Die Kinderbeichte widerspricht der heute üblichen Pädagogisierung der Kindheit, bei der die Kinder nur als Objekt der Belehrung Erwachsener betrachtet werden. Bei der Beichte werden die Kinder wie Erwachsene behandelt, und das ist gut so. Zu widerstehen ist der Versuchung, die Kinderbeichte selbst zu pädagogisieren, d.h. sie nur als Einübung zu praktizieren und die Härte des Sündenthemas von den Kindern fernzuhalten (also nicht nur ein Gespräch über "eure Probleme"). Wenn die Kinder die wirkliche Dimension von Schuld und Vergebung entdecken, werden sie es als Jugendliche und Erwachsene auch nicht mehr tun. 62 D. Das Sakrament der Krankensalbung Lit: Faber, 142-149; Kunzler, Leben, 457-466; Ders., Liturgie, 438-451; Höhn (hilfreiche Ausdeutung des Ritus), 94-102; Art. Krankensalbung/ Art. Krankheit und Heilung, in: RGG4 Bd. 4, 1725-1734; G. Greshake, Letzte Ölung oder Krankensalbung? Plädoyer für eine differenziertere sakramentale Theorie und Praxis, in: Geist und Leben 56 (1983) 119-136; Martina Blasberg-Kuhnke, Krankensalbung, in: Diakonia 40 (2009) 77-151; Albert Dexelmann, Kranke begleiten, Freiburg 2000; Wilhelm Rees, Krankensalbung, Buße und Firmung. Neure Fragestellungen und kirchenrechtliche Lösungen, in: Donum Veritatis aaO., 171-208; Krankensalbung, hg. vom Erzb. Ordinariat München, 2008; Thomas Ruster, „Heilt Kranke, treibt Dämonen aus…“ Die Dämonie der Krankheit und das Sakrament der Krankensalbung, in: Anzeiger für die Seelsorge 11 (2003) 14-19 1. Probleme mit der Krankensalbung heute o Krankensalbung als Akt des Tröstens und Stärkens – braucht es dazu ein Sakrament? o Krankensalbung, ein Sakrament ohne Gemeindebezug! Früher war die Gemeindeschwester die bekannteste Figur in der Gemeinde, heute agieren die Krankenseelsorger unsichtbar für die Gemeinde im Krankenhaus o Wo findet Krankensalbung als Ritus in der Gemeinde statt? – Verbindung von Krankensalbung und Gottesdienst? o Wo werden noch Kranke sichtbar in der Gemeinde? Hat die Kirche die Kranken nicht genauso „exkludiert“ wie die Gesellschaft? Das gilt auch für kranke und behinderte Kinder, etwa beim Kommunionunterricht o Wer soll der Spender sein? Wenn der/die Pastoralreferent/in im Krankenhaus die Kranken lange persönlich betreut hat, warum muss dann ein Priester kommen, um die Krankensalbung zu spenden? o Können wir noch glauben, dass Glaube und Heilung etwas miteinander zu tun haben? Hat nicht die moderne Medizin die religiöse Dimension in der Heilung ersetzt? Was aber ist dann mit dem Heilungsauftrag Jesu? o Immer noch ist Krankensalbung ein Todessakrament, „letzte Ölung“. 2. Gedanken über Krankheit, Gesundheit und Heilung "Ich bin krank" – eine Störung ist aufgetreten: etwas an meinem Körper, das bisher im Stillen funktionierte, geht nicht mehr – ich kann dagegen nichts oder wenig machen – etwas ist in meinem Körper, das gegen mich arbeitet – ich habe Schmerzen, mein Körper kommuniziert mit mir – ich werde mir meines Körpers und seines Zusammenhangs mit der Seele/der Psyche ganz anders bewusst – ich merke: ich habe oft nicht genug auf meinen Körper geachtet – viele andere haben auch meine Krankheit: etwas geht um, das uns krank macht – ich bin auf die Hilfe anderer angewiesen, bin abhängig – ich bin nicht selbstmächtig, souverän – ich werde von vielem ausgegrenzt, gehöre nicht mehr fraglos zum Bereich der Lebenden, der Aktiven – Menschen sehen und behandeln mich anders; sind sie ehrlich? – meine Würde ist beeinträchtigt – ich kann berufliche und private Ziele jetzt nicht, vielleicht nie mehr, erreichen – ich werde sterben, vielleicht schon bald –ich leide. Krankheit kann nicht eindeutig definiert werden. Die Definition von Krankheit ist kulturell abhängig vom Gegenbegriff Gesundheit/Wohlbefinden. Ältere Kulturen sehen immer den Zusammenhang von individueller Krankheit, Störung des Gemeinschaftslebens und Störung der kosmischen/göttlichen Ordnung. Priester sind in allen Kulturen die ersten Heiler. Ihre Aufgabe ist es oft, den Grund der Krankheit (Schädigung durch Feinde, Strafe der Götter/Ahnen, eigenes Fehlverhalten?) auszumachen. Heilung der Krankheit bedeutet dann immer auch Wiederherstellung der gestörten Ordnung. 63 Die Neuzeit hat aufgrund der Trennung von Leib und Seele (Descartes!) Krankheit in der Regel als Funktionsstörung der Körper"maschine" aufgefasst, die durch medizinische Eingriffe wieder funktionsfähig gemacht werden muss. Ziel ist dabei nicht die Beseitigung der Schmerzen, sondern die Wiederherstellung der Funktion. Daneben tritt eine mehr oder weniger professionalisierte psychosoziale Betreuung der Kranken, der man auch die Religion zuordnet (vgl. das Verhältnis von Ärzten und Seelsorgern im Krankenhaus). In der Neuzeit ist Gesundheit mehr oder weniger stillschweigend mit Arbeitsfähigkeit (im Sinne der industriellen Arbeitsgesellschaft) gleichgesetzt worden. Wer nicht arbeitsfähig ist, muss auf Zeit oder dauerhaft aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden (vgl. die Studien zur Zunahme der Kranken-, Irren-, Erziehungs- und Gefängnisanstalten im 19. Jh. von KLAUS DÖRNER!). Krankheit wird vorrangig als Exklusionskriterium benutzt. Krankheit bedeutet Unterbrechung der Karriere und Minderung des Selbstwertgefühls (vgl. U. BECK/E. BECK-GERNSHEIM (HG.), RISKANTE FREIHEITEN, Frankfurt 1994, 316-335). Im Sinne der Arbeitsunfähigkeit gilt auch das Alter zunehmend als Krankheit und wird intensiv therapeutisiert. Das moderne Medizinalsystem arbeitet mit dem Code gesund/krank. Aber nur die Seite der Krankheit ist im System anschlussfähig, die Gesundheit bleibt unbearbeitet. Die Autopoiesis des Systems führt dazu, immer mehr Zustände als Krankheit zu definieren. Darauf reagiert eine Anspruchsinflation an das Gesundheitswesen, die zunehmend finanzielle Probleme schafft (geht die Entwicklung so weiter, müssen wir schon in 10 Jahren 50% aller Einnahmen für die Krankenbehandlung aufwenden). Da das Kalkül des Leidens nicht im ökonomischen Kalkül aufgerechnet werden kann, müssen die Individuen selbst ihr Anspruchsniveau bestimmen (vgl. dazu Niklas Luhmann, Anspruchsinflation im Krankheitssystem. Eine Stellungnahme aus gesellschaftstheoretischer Sicht, in: Ph. Herder-Dorneich, A. Schuller (Hg.), Die Anspruchsspirale, Stuttgart 1983, 28-48 »Was ist Krankheit? Befragen Sie zwei Personen und geben Sie Ihre eigene Meinung« 3. Biblische Schlüsselszenen In der Bibel ist verhältnismäßig wenig von Krankheiten die Rede! Israeliten/Juden waren weniger krank als die anderen Völker. Grund dafür dürften die strengen Hygiene-/Reinigungsvorschriften sein, vgl. Lev Kap. 10-15. Deswegen wurden die Juden früher oft der Brunnenvergiftung beschuldigt. Wenn andere krank wurden, blieben sie gesund. Dtn 7,15: "Gott wird jede Krankheit von dir fernhalten und all die schlimmen Seuchen Ägyptens, die du ja kennst, nicht über dich kommen lassen". (dazu A. HÜTTERMANN, AM ANFANG WAR DIE ÖKOLOGIE, NATURVERSTÄNDNIS IM ALTEN TESTAMENT, München 2002, 70-99). Erst in der Umgebung Jesu ist vermehrt von Krankheiten die Rede. Er lebte in einer Gesellschaft, in der die Toraregeln kaum mehr eingehalten werden konnten, und die durch krankmachende, dämonische Einflüsse beherrscht war. Ps 38: Krankheit als Folge von Sünde: „Mir ist nichts Heiles am Fleisch, da du mir zürntest, nichts unversehrt an meinem Gebein, da ich gesündigt.“ Man kann an Zivilisationskrankheiten denken, und an die persönliche Verantwortung für gesunde Lebensführung. Und weiter: Krankheit entsteht in der lebensfernen Sphäre der Sünde, denn Gott ist Leben. Auch Jesus sieht immer diesen Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünden bzw. Heilung und Sündenvergebung. Ps 41: Gebet eines/einer Kranken. Die Klage geht vor allem über die soziale Ausschließung: "Schlimmes reden von mir meine Feinde: 'Wann wird er sterben? Wann wird sein Name vergehen?' Kommt einer, um nach mir zu sehen, so redet er 64 Falschheit ... Sogar mein Freund, auf den ich vertraute, ... hat gegen mich die Ferse erhoben." Gilt der/die Kranke vor den Menschen als versehrt, als todesnah, so doch nicht vor Gott: "Mich aber bewahrst du unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen auf ewig." Der erste Vers sieht einen Zusammenhang zwischen der Hilfe Gottes und dem eigenen Dienst an den Bedürftigen: "Selig, wer des Dürftigen gedenkt und des Armen, Gott wird ihn retten am Tag des Unheils." Der Kranke erfährt sich nicht als handlungsunfähig, sein erstes Wort ist das Wort des Gebots. Hiob 19: der Kranke, auch noch von Gott verlassen. Ijob erfährt eine Desintegration nicht nur von den Menschen ("Fern halten sich meine Brüder von mir ... die Gäste meines Hauses haben mich vergessen ... selbst meine Mägde sehen mich als Fremden") und von sich selbst ("Mein Fleisch verwest mir unter meiner Haut, und mein Gebein ist bloßgelegt wie Zähne"), sondern, und das ist sein tiefstes Leiden, auch von Gott: "Sein Zorn entbrannte wider mich, er schätzt mich ein als seinen Feind ... Vereint nun rücken seine Scharen an." Seine Hoffnung richtet sich nicht auf Heilung der Krankheit, sondern darauf, dass die gestörte Rechtsbeziehung zu Gott wiederhergestellt wird: "Erkennt doch, dass Gott mein Recht gebeugt ... Ich weiß gewiss, dass mir ein Anwalt lebt ... ich werde Gott – aus meinem Fleische – schauen ... er wird für mich sein." Ijob bestreitet für seine Person den Tun-ErgehensZusammenhang, den ihm seine Freunde vorhalten. Dieser ist sonst im AT öfters vorausgesetzt. Mk 2,1-12 und öfters: Jesu Wunderheilungen. Jesus kann Kranke heilen; die Apostel werden es ihm später gleich tun (Apg 3,1-0; 14,8-12 u.ö.). Jesus sieht einen Zusammenhang zwischen der Lähmung und den Sünden, er vergibt Sünden und heilt. Joh 5,1-18: Der Kranke muss auch gesund werden wollen! Joh 9: Die Krankheit (Blindheit) ist nicht direkte Folge der Sünde des Kranken oder seiner Eltern, aber die Welt, in der er lebt, ist von Unehrlichkeit, Verstellung und Sünde geprägt. Da gibt es einen Zusammenhang. – Man achte auf die Art der Krankheiten, die Jesus heilt: Lähmung – Blindheit – Stummheit – verdorrte Hand – Krankheiten, die sozial ausgrenzen (Aussatz, Blutfluss): das sind doch wohl alles sozial konditionierte Krankheiten! Mt 10,7f: Aussendung der Zwölf. "Das Himmelreich ist nahe gekommen. Heilet Kranke, erwecket Tote, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus." Diese Dinge stehen im Zusammenhang. Das Himmelreich vertreibt Dämonen, hebt Aussatz (Ausgrenzung) auf, erweckt Tote oder todesnahe Menschen, macht Kranke gesund. Das Himmelreich ist stärker als die dämonischen Mächte, die Krankheit, Tod, Ausgrenzung verursachen. Die Verkündigung des Himmelreiches ist untrennbar der Heilung und der Austreibung von Dämonen verbunden – nach Jesu Worten haben die JüngerInnen überhaupt nur diese Aufgabe! 1 Kor 12,9: Neben anderen Charismen gibt es in der Gemeinde auch die Heilungsgabe. Heilung gehört zum Glauben wie Erkenntnis, Prophetie oder Ekstase (Zungenrede). Jak 5,14-16: Krankensalbung in der Gemeinde. "Ist jemand unter euch krank? Er soll die Presbyter der Gemeinde zu sich rufen lassen. Die sollen über ihn beten, indem sie ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, so wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, auf dass ihr Heilung erlangt." Die Salbung heilt nicht, sie rettet und richtet auf. Der Zusammenhang von Krankheit und Sünde ist im Blick, seien es die Sünden des Kranken, seien es die Sünden der Gemeinde. Erst aufgrund des Sündenbekenntnisses kann auch Heilung erlangt werden. 65 Ein Fazit: Biblisch ist der Zusammenhang von Krankheit und Sünde manifest, auch wenn nicht in jedem Fall von der Krankheit auf die Sünde des/der Kranken geschlossen werden kann. Aber von Sünde und deren Objektivierung, den Dämonen geprägten Lebenslagen, lassen Krankheit entstehen. Jesus ist nicht ein Wunderheiler, er ist ein Mann des Geistes, der stärker ist als der Geist der Sünde und der Lüge, deshalb kann er Kranke heilen. 4. Zur Theologie der Krankensalbung Krankheit ist, wie gesagt, immer sozial konditioniert und gesellschaftlich definiert. Ihr soziales Wesen ist Ausgrenzung, Exklusion. Das hat auch eine theologische Dimension. Michael Kunzler schreibt: Viele Kranke erfahren ihre Erkrankung als Abgeschnittensein von den bisherigen selbstverständlichen Lebensmöglichkeiten; auch die Beziehungen zu Kranken sind davon berührt. Jede Unheilssituation hat aber die Trennung des Menschen vom lebendigen Gott zur Ursache, der allein die Quelle allen Heils ist. Diese Trennung ist die eigentliche Krankheit, die zum Tode führt, nicht nur zu dem des Leibes, sondern auch der Seele. Das Heilswirken Gottes in den Sakramenten will diese Trennung überwinden und den Kranken mit dem Lebensstrom des göttlichen Lebens verbinden“ (Kunzler, Leben aaO. 438) Bei der Krankensalbung wird eine Umcodierung vollzogen: Wer vor sich selbst und der Welt als krank gilt, gilt vor Gott und der Gemeinde – also vor den entscheidenden Instanzen – als gesund! Das körperliche Leiden zieht im Glauben nicht die Ausgrenzung (mit allen ihren Folgen!) nach sich, wie es ansonsten unweigerlich der Fall ist. Der/die Kranke ist vor Gott unversehrt und kann ewig vor ihm bestehen (Ps 41!). Das rettet und richtet auf. Würde und Integrität sind wieder hergestellt. Die Krankensalbung bewirkt ein Werden des neuen Menschen wie die anderen Sakramente auch. Dem muss auch ein entsprechender Umgang mit Kranken in der Gemeinde folgen. Kranke sollen wissen, dass sie zur Gemeinschaft der Gemeinde dazugehören. Gemeinde muss als der Ort erfahrbar werden, wo der gesellschaftliche Ausschluss der Kranken, der Menschen mit Behinderungen nicht gilt. Dass Kinder mit absehbaren Beeinträchtigungen heute erst gar nicht mehr geboren werden, dass sie unerwünscht sind (vorgeburtliche Diagnostik), ist für die christliche Kirche ein unerträglicher Zustand! Vgl. dazu die Instruktion über einige Fragen der Bioethik der Glaubenskongregation „Dignitas personae“ von 2008 (erhältlich bei der Bischofskonferenz). Dass Krankheit überhaupt als Exklusionskriterium funktioniert, ist Folge der Sünde. Jede Gemeinschaft, in der es Kranke gibt, hat zu prüfen, wo die krankmachende Sünde steckt, sie soll sie bekennen und um Vergebung bitten. Auch der/die Kranke hat zu prüfen, welche Sünden im Zusammenhang mit der Krankheit stehen (ein Mittel, um Zuwendung zu erzwingen usw.?). – Im Blick auf unsere Gesellschaft kann gesagt werden, dass sie mehr Krankheit produziert als nötig ist – sowohl von den Ursachen her wie von der Definition und der Dimension der Ausgrenzung. Krankensalbung ist deshalb auch Kritik an der krankmachenden Gesellschaft (und Kritik unserer selbst, insoweit wir Teil dieser Gesellschaft sind). Sie ist gerade nicht der billige Trost der Geschädigten, der der Religion zugewiesen wird. Es bleiben das körperliche Leiden, die Beeinträchtigung und der Schmerz. Gegen sie sind die Bestimmungen der Tora und ggf. die Bemühungen einer (hoffentlich humanen!) Medizin gerichtet. Körperliche Leiden sollen so weit wie möglich 66 verhindert werden, sie widersprechen Gottes Lebenswillen. Sorge für die Kranken ist von Gott geboten. Christen wissen aber, dass körperliche Fitness nicht alles ist. Sie können sich dem Gesundheitswahn unserer Tage ("health is wealth") verweigern und auch in Schwäche, Abhängigkeit und vielleicht sogar in Leiden und Schmerz einen Gewinn sehen. Manche können vielleicht dem hl. Paulus folgen: "In allem sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt, im Zweifel, aber nicht verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht umgebracht. Allzeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Ständig nämlich werden wir, während wir am Leben sind, dem Tode überantwortet um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu sich offenbare an unserem sterblichen Fleische." (2Kor 4,8-10) Man beachte: Hier sucht nicht einer das Leiden um seiner selbst willen, hier bezeugt einer die Kraft des Lebens. 5. Zur Geschichte der Krankensalbung und der "letzten Ölung" Die Jak 5,14-16 (und Mk 6,13) bezeugte Salbung der Kranken unter Gebet und Sündenbekenntnis war offenbar Praxis in der Alten Kirche. Die Gläubigen brachten Naturalien (Weizen, Öl etc.) in den Gottesdienst, um sie segnen zu lassen. Sie verwendeten sie für sich selbst oder andere, auch für Kranke. Papst Innozenz I unterscheidet 416 zwischen diesem allgemeinen Gebrauch des Öls und seiner Verwendung für die Krankensalbung, die dem Bischof oder Priester vorbehalten blieb. Er sprach bereits von einem Sakrament der Krankensalbung (DH 216). Nachdem im frühen Mittelalter die Salbung aus der Übung gekommen war, wurden die Priester angehalten, sie zu spenden – mindestens bei Todesgefahr. Damit ergab sich die Sinnverschiebung hin zur "letzten Ölung" (ultima unctio). Man sah eine Analogie zwischen den Sakramenten der Initiation – Taufe, Firmung und Eucharistie – und den Sakramenten der Verscheidenden (sacramentum exeuntium) Buße, Viaticum (Eucharistie) und letzter Ölung. Die Salbung der fünf Sinne wurde auf die Sinne als Einfallstore der Sünde bezogen. Fortan bis in unser Jahrhundert hinein wurde die Salbung (häufig zusammen mit Beichte und Krankenkommunion) als Sterbesakrament gespendet. Die Bedeutung sah man vor allem in der Vorbereitung zu einem guten Sterben und in der Sündenvergebung im Hinblick auf das Gericht nach dem Tode. Als Sterbesakrament war die Salbung gefürchtet (Priester als Todesengel), und auch aus dem Grunde, dass man aufgrund des Sakraments nach einer etwaigen Genesung bis zum Tode in einer Art Büßerstand verblieb (z.B. mit den 'gesalbten' Füßen nicht mehr tanzen durfte). Luther lehnte das Sakrament mit der Begründung ab, nicht aus jeder biblischen Anweisung folge eine Sakrament (es gebe ja trotz Mk 16,17 kein S. der Schlangenvertreibung). Dazu hatte er eine positive Einschätzung der Krankheit 'als Gewinn' für den Christen. Das Konzil von Trient erklärte, die Krankensalbung solle „vor allem“ bei Schwerkranken gespendet werden. Ihre Wirkung ist Sündenvergebung, Aufrichtung, Stärkung, „bisweilen, wenn es dem Heil der Seele nützt“, Heilung des Leibes (DH 1694-1700). Das II. Vatikanum löste die Krankensalbung von ihrer Bindung an die Sterbestunde und erneuerte den Ritus (SC 73). Im Mittelpunkt der Erneuerung stand die ekklesiale Bedeutung des Sakraments. Mit der Verschiebung des Sinngehalts von der „Letzten Ölung“ hin zur Krankensalbung wird die biblisch gegebene Beziehung von Krankheit und Sünde 67 sicherlich heute viel zu wenig gesehen. Auch die Beziehung zur Dämonenaustreibung wird kaum beachtet. Damit ist der Charakter der Krankensalbung als Sakrament gefährdet; als bloßer Akt der Tröstung und Stärkung ist sie kein Sakrament. 6. Ritus und Element der Krankensalbung Die Feier der Krankensakramente. Die Krankensalbung und die Ordnung der Krankenpastoral in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes, hg. von der dt. Bischofskonferenz, Freiburg u.a. 2005; vgl. Gotteslob 76; Kunzler, Sakramente aaO. 461-463; Höhn aaO. 96-99; Nach dem Ordo unctionis infirmorum von 1972 vollzieht sich das Sakrament in folgenden Schritten: Eröffnung: Begrüßung, Tauferinnerung, Schuldbekenntnis, evtl. Beichte Wortgottesdienst: Lesungen, Ansprache, Fürbitten Kernhandlungen: – schweigende Handauflegung – Dankgebet für das Öl oder Weihe des Öls – Salbung auf die Stirn und die inneren Handflächen mit den Worten: "Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des heiligen Geistes. Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf. Amen." [Im alten Ritus wurde an fünf Stellen des Körpers, stellvertretend für die fünf Sinne, gesalbt] – Abschließendes Priestergebet. Schlußriten: Vaterunser, ggf. Krankenkommunion, Segen. Zu den Elementen: Die schweigende Handauflegung scheint wie gegen die überflüssigen und oft falschen Worte am Krankenbett gerichtet. – Salbung auf Stirn und Handflächen meint den ganzen Menschen als denkendes und handelndes Wesen. – Die Salbung mit Öl kann als symbolisches Heilmittel verstanden werden. Für zutreffender aber halte ich: Das Öl ist Zeichen für den gesunden, wohlriechenden, kraftvollen Menschen. Als solcher wird der Kranke durch das Sakrament angesehen. Dazu passt: Salbung der Sinne und der Haut. Durch diese Organe hat ein Mensch Kontakt mit der Umwelt. Wo die Krankheit diesen Kontakt, diese Berührung unterbricht, wird sie im Sakrament wieder hergestellt. Der Kranke ist wieder berührbar. Der Betonung des ekklesialen Charakters des Sakraments entspricht es, wenn es nach Möglichkeit in der Kirche und während des Gottesdienstes der Gemeinde gespendet wird. In französischen Kirchen habe ich es so erlebt: Der Priester spendet die Krankensalbung während der heiligen Messe; die Termine sind vorher bekannt. Alle, die das Sakrament empfangen wollten, werden aufgerufen. Das war dann immer eine ganze Reihe von Leuten, von denen einige extra deswegen in die Kirche gekommen sind oder gebracht wurden. 7. Spendung durch Priester oder durch Laien? Die Krankensalbung ist seit dem 5. Jh. für Bischof und Priester reserviert; das Tridentinum hat das ausdrücklich bestätigt. Dagegen wird argumentiert: Es hat vorher und daneben immer auch die Spendung durch Laien gegeben – Stärkung in der Krankheit ist ein Dienst unter Christen – warum sollte nicht ein Laie in der Krankenhausseelsorge, der den Kranken begleitet, auch das Sakrament spenden; warum muss er erst den Priester rufen, der den Kranken gar nicht kennt? Diese Argumente sind stark. Dagegen steht: Das Sakrament bewirkt eine offizielle Gesunderklärung im Namen Gottes und der Kirche, das kann nur der Priester als amtlich Bevollmächtigter tun (so wie die Aufnahme in einen Verein nur durch den Vorstand vorgenommen werden kann). – Ich meine: Es sollte bei der vorgeschriebenen Form bleiben (Spendung durch Priester), weil die theologischekklesiale Bedeutung sonst leicht verlorengehen kann (bzw. sie kann nur in dieser Form wieder vermittelt werden). Der Priester handelt nicht als Freund und Begleiter des Kranken, sondern als Vertreter der Kirche in der Vollmacht, das Werden des 68 neuen Menschen zu verkündigen. – Daneben kann und sollte es aber rituelle Formen der Salbung durch Laien (etwa im Krankenhaus) geben, nach dem Vorbild der Alten Kirche. Hier stehen dann Trost, Anteilnahme und Stärkung im Mittelpunkt. 7. Krankensakrament oder Sterbesakrament? Mit guten Gründen ist die Krankensalbung vom Geruch des angstmachenden Sterbesakraments befreit worden. Andererseits kann auch nicht jede leichte Erkrankung oder etwa das Überschreiten eines bestimmten Lebensalters Anlass für das Sakrament sein. Krankensalbung darf kein Altensakrament werden. Es bleibt auch von seinem theologischen Sinn her auf schwere Erkrankungen bezogen und gerät damit ohnehin in die Nähe des Sterbens. Die Kirche sollte die allgemeine Verdrängung des Todes und der Todesmöglichkeit nicht mitmachen. So ist es angemessen, das Sakrament auch in der Sterbestunde, und mindestens da, zu begehen. Der Charakter des von Gott zugesprochenen Lebens (vgl. Ps 41: "Mich aber bewahrst du unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen auf ewig.") wird hier besonders relevant. Aber nichts spricht (entgegen der früheren Gewohnheit) für eine häufigere Spendung bei schwerer Krankheit. Das Sakrament sollte immer da zu Anwendung kommen, wenn die Krankheit eine Krise bedeutet, sei es eine Lebenskrise, sei es eine Glaubenskrise. 69 E. Das Sakrament der Ordination (Weihe) Lit.: FABER, 150-175; KUNZLER, Leben, 467-478 [zum Weiheritus]; Kunzler, Liturgie, 450-463; HÖHN, 122131; REINHARD MARX, PETER SCHALLENBERG (Hg.), "IHR SEID DER BRIEF CHRISTI", Paderborn 1999 [zur priesterlichen Spiritualität]; HANS DOMBOIS, HIERARCHIE. GRUND UND GRENZE EINER UMSTRITTENEN STRUKTUR, Freiburg: Herder 1971 [historisch und kirchenrechtlich zur Hierarchie]; Ottmar Fuchs, Ämter für eine Kirche der Zukunft. Ein Diskussionsanstoß, Luzern 1993; Leo Karrer, Die Stunde Laien. V der Würde eines namenlosen Standes, Freiburg 1999; Karsten Lenz, Katholische Priester in einer individualisierten Gesellschaft, Konstanz 2009; Karl Rahner, Der Priester von heute, Freiburg 2009; Edward Schillebeeckx, Christliche Identität und kirchliches Amt, Düsseldorf 1985; Gunter Wenz, Kirche. Perspektiven reformatorischer Theologie (Studium Systematische Theologie Bd. 3), Göttingen 2005; Paul M. Zulehner/Anna Hennersperger, „Sie gehen und werden nicht matt“ (Jes 40,31). Priester in heutiger Kultur, Ostfildern 2001; Paul M. Zulehner/Fritz Lobinger/Peter Neuner, Leutepriester in lebendigen Gemeinden. Ein Plädoyer für gemeindliche Presbyterien, Ostfildern 2003 1. Probleme des Amtes in der katholischen Kirche Biblische Begründung: eine Begründung des Amtes in seiner heutigen Gestalt aus der Bibel ist nicht möglich. Von einer Einsetzung des Amtes durch Jesus kann nicht direkt gesprochen werden. Geschichtliche Entwicklung: Die Ämter der Kirche haben eine komplexe, wechselvolle Entwicklung durchlaufen. Einiges erscheint aus heutiger Sicht als Fehlentwicklung. Dazu gehört vor allem die Verkoppelung von Amt und Macht bzw. Vollmacht: Die Amtsträger üben Leitung aus. Problematisch ist (war) aber die Verbindung von sakramentaler Weihe und bestimmten Vollmachten – als wenn der Priester etwas könnte, was andere nicht können (z.B. 'wandeln', Sünden vergeben – deswegen war er "Hochwürden"). Was bedeutet "Hierarchie" – eine Machtstruktur? Das Amt stellt die Frage, wie in der Kirche mit Macht umgegangen wird. Verhältnis von besonderem und allgemeinem Priestertum: Wenn dies als Grundlage für eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Kirche verstanden wird, wird es falsch verstanden. Was meint aber dann der Unterschied? Hier ist auch noch zu fragen, inwieweit das Weiheamt wesentlich Priesteramt ist. Ist die priesterliche Tätigkeit (Darbringung des Opfers in der Eucharistie) das Wesentliche des Amtes? Verhältnis der Weiheämter zu den hauptamtlichen Laiendiensten: Heute üben Laien Dienste aus, die früher den Priestern vorbehalten waren. Warum werden sie dann nicht geweiht? Was ist der Unterschied zwischen Beauftragung und Weihe? Worin liegt das Besondere des priesterlichen Amtes? In den den Priestern vorbehaltenen Sakramenten (oder ist die Konzentration auf das Sakramentale nur eine Folge des Priestermangels)? – Ein weiteres Problem ist das Verhältnis des Weihesakraments zu den "Ministeria" (Lektor, Akolyth), die von den ehemaligen niederen Weihestufen übrig geblieben sind. Angehende Priester werden dazu ordiniert, Laien, die diese Dienste ausüben, nicht. Zölibat: Ist die Koppelung von Ehelosigkeit und Priesteramt überhaupt noch zu begründen? – Neben zölibatären Priestern wirken verheiratete ehem. orthodoxe, protestantische oder anglikanische Geistliche in der kath. Kirche; Auch Priester der unierten Kirchen, die mit Rom verbunden sind, dürfen heiraten. Kann man das verstehen? – Stellt nicht der kath. Zölibat einen Vorwurf an die anderen Kirchen dar, sie meinten es mit dem Amt nicht ernst? – Zieht der Zölibat nicht die falschen Männer ins Priesteramt? Die homophile Atmosphäre in den Seminaren – Ist Zölibat ein taugliches Auswahlkriterium? Ausschluss der Frauen vom geistlichen Amt in der Kirche: Wie viele Frauen haben sich deswegen schon von der Kirche abgewandt! – Welches Potenzial 70 geht der Kirche dabei verloren! – Werden nicht viele Gemeinden, vor allem in Afrika und Lateinamerika, schon faktisch von Frauen geleitet? – Wer glaubt den Begründungen, die das Lehramt gegen die Frauenordinantion vorbringt? Ökumenische Problematik: Die Reformation hat das Weihesakrament und die Gestalt des katholischen Amtes abgelehnt. Wegen des Amtsdefekts in den Kirchen der Reformation wird ihnen katholischerseits das Kirchesein und die Gültigkeit des Abendmahles bestritten. Priestermangel: Die Kirche droht in weiten Teilen am Priestermangel zugrunde zu gehen. Kann der Priestermangel als ein Anruf Gottes zu einer Neuordnung des Amtes (und der Zugangsbe dingungen) aufgefasst werden? Kein Karrierefaktor mehr: Früher bedeutete der Weg zum Priestertum für die meisten eine bildungsmäßige und gesellschaftliche Karriere, heute ist eher das Gegenteil der Fall. Überforderung und gleichzeitig Deprofessionalisierung der Priester: Sie müssen alles machen (Administration, Leitung, Verkündigung, Katechese, Einzelseelsorge, Management) und können doch nicht alles richtig können. Funktionale Ersetzung: In vielen Bereichen sind die Funktionen des Priesters ersetzt worden, z.B. der Beichtvater durch den Therapeuten Problem der „Amtlichkeit“: In der Kirche verstehen die meisten nicht mehr, warum es ein „Amt“ geben muss. Genügte es nicht, Dienste für Funktionen einzurichten? Was ist eigentlich „Amtlichkeit“? Bischof Kurt Koch, Basel, zur Frage des priesterlichen Amtes: „Wir sind an einem toten Punkt angelangt und wissen nicht, wie es weitergeht. Wir brauchen einen Prozess der Demut, der Armut des Geistes, der Öffnung für Fremdes und Neues“ (zit. CiG 39/2009 »Was ist ein „Amt“? Machen Sie das an bestimmten (staatlichen, nicht kirchlichen) Amtsträgern oder Ämtern deutlich« 2. Biblische Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament Ex 18,13-26: Einsetzung von Richtern. Mose spricht ganz allein Recht. Da sagt sein Schwiegervater Jetro: "Das ist nicht gut, wie du das machst." Mose folgt seinem Rat und setzt tüchtige, gottesfürchtige Männer über 1000, 100, 50 und zehn ein. – Die Urszene der Ämterverteilung. Jemand, der von außen kommt, sagt: Da musst du was ändern! Ex 29,22-29; Lev 8 u. 9: Einsetzung der Priester. Sie werden unter Salbung für den Opferdienst geweiht, als eigener Stand eingesetzt. Das Priestertum ist erblich, geht von Aaron auf seine Söhne über. Die Priester bekommen einen Anteil an den Opfern (Priesterhebe), von dem sie leben können. – Ist diese Anordnung nach dem Ende des Opferdienstes im Tempel noch gültig? Num 27,12-22; Dtn 34,9f: Josua, "ein Mann, in welchem Geist ist", "erfüllt vom Geist der Wahrheit", bekommt unter Handauflegung ein Leitungsamt mit Autorität. Gott zu Mose: "Tritt einen Teil deiner Hoheit ab!" Nach Moses Tod wird Josua sein Nachfolger als Leiter. Aber: "In Israel stand fortan kein Prophet mehr auf wie Mose." – Josua führt das Amt des Moses fort, ohne ihn zu ersetzen. Jes 6,1-13: Berufung des Jesaja. Jesaja sieht die Herrlichkeit Gottes im Himmel – "Wehe mir. ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen..." Da berührt ein Engel mit einer Glühkohle seinen Mund: "Deine Schuld ist hinweg genommen und deine Schuld ist getilgt." Der Prophet lässt sich nun senden. Was er zu verkünden hat: Die, die hören, verstehen nicht, die, die sehen, erkennen nicht. Das 71 Volk wird nicht zur Einsicht kommen, deswegen droht von Gott Zerstörung und Verödung. – Auch der Amtsträger hat teil am prophetischen Amt Christi. Jer 1,4-17: Berufung des Jeremia. Gott hat ihn schon vom Mutterleib an erkannt und ausgesondert. Jeremia aber: "Ach, Herr, ich weiß nicht zu reden, ich bin zu jung." Gott darauf: "Sag nicht: Ich bin zu jung. Sondern: wohin immer ich dich sende, dahin wirst du gehen, und was immer ich dich heiße, das wirst du reden." Die Aufgabe des Propheten: er ist über Völker und Königreiche gesetzt, um "auszurotten und niederzureißen, zu verderben und zu zerstören, aufzubauen und zu pflanzen". Angst braucht er keine zu haben: "Hab keine Angst vor ihnen ... denn siehe, ich mache dich heute zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule". – Der Amtsträger ist nicht in diesem Sinne ein Prophet, aber auch sein Amt verdankt sich einer Berufung. Ämter im Neuen Testament: Jesus sammelt Jünger und Jüngerinnen um sich, die er aussendet. Dies kann nicht als Gründung einer Kirche mit Ämtern verstanden werden, sondern als Mitarbeit an seiner Sendung. Die Zwölf (Mk 3.3-19; Lk 6,12-16) sind besonders abgegrenzt; sie stehen für die Sammlung der zwölf Stämme Israels. In der nachösterlichen Gemeinde werden sie zu den Aposteln (=Gesendeten), die nun für die Kontinuität mit Jesus bürgen. Ihr Kriterium ist Augenzeugenschaft. In der Urgemeinde Jerusalems haben sie neben den Presbytern (=Ältesten) Leitungsfunktion inne, die im Zuge der Heidenmission offenbar abnimmt (Gal 2,1-10 erwähnt ein Dreierkollegium unter Jakobus, Apg 21,18-26 nur noch die Ältesten). Die frühen Gemeinden sind zunächst um "Häuser" und ihre Leiter gruppiert, später übernehmen sie von Jerusalem die Presbyteroi als Leitungsgremium. Die Korinther Gemeinde kennt Apostel, Propheten und Lehrer (1 Kor 12) und weitere Ämter, der Phil spricht bereits die episcopoi (=Bischöfe; der Begriff stammt aus der griechischen Verwaltungssprache) an und neben ihnen die Diakonoi (=Diener, der Begriff ist christlichen Neuprägung). Der Eph kennt Evangelisten, Hirten (Episkopen) und Lehrer. Die Episkopen setzen sich im heidenchristlichen Bereich gegenüber den palästinensichen Presbytern immer mehr durch. Die Pastoralbriefe (1/2 Timotheus, Titus) sprechen von Episkopen, denen Presbytern und Diakone (auch Diakonninen, vgl. 1 Tim 3,11) untergeordnet sind; sie setzen sich für die Episkopalverfassung ein, wobei die Episkopen als Nachfolger der Apostel (des Paulus) gelten. – Das NT hat also eine bunte Ämterstruktur, je nach dem Bedarf der Gemeinden. Das Amt und seine Autorität leiten sich von Christus und dem Geist her, es besteht nur in der Bindung an das Evangelium (so schon Röm 1,1: "ausgesondert für das Evangelium"; 2 Kor 4,5-7: "Wir verkünden nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu Willen ... Wir tragen aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit das Übermaß an Kraft auf seiten Gottes sei und nicht bei uns."). Die Amtseinsetzung geschieht unter Gebet und Handauflegung (Apg 1,24-28; 6.1-6) und wird durch Fasten begleitet. Sie wird auf Gott und den Geist zurückgeführt (Apg 9,11-16; 13,2; 20,28), parallel dazu ist aber auch von der Bestellung durch die Zwölf (Apg 6,6) bzw. durch Paulus (14,23) die Rede. Göttliches und menschlichen Tun wirken zusammen. 1 Kor 4,9-13: Die Leiden des Apostels. "Denn mir scheint, als hätte Gott uns Apostel als die Allergeringsten hingestellt, wie solche, die bestimmt sind zum Tode. Denn zum Schauspiel sind wir geworden der Welt, den Engeln und den Menschen ... wie ein Abschaum von allem bis zur Stunde." – Diese Leiden braucht man nicht zu suchen, aber sie stellen sich offenbar mit dem Amt ein. Wo sie ganz fehlen... 2 Tim 1,6-7: Handauflegung und Gnade. "Entfache die Gnade Gottes wieder, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände. Denn Gott gab uns nicht einen Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit." – Ein Amt haben heißt, Dinge tun zu können, die nicht aus eigener Kraft stammen. 72 »Fassen Sie eine der Berufungserzählungen Jes 6,1-3 oder Jer 1,4-7 im Berichtsstil zusammen (in der 3. Person) und kommentieren Sie sie: Was bedeutet hier Berufung? « 3. Zur Theologie des Weihesakramentes Die große Frage ist heute, ob die Tradition eines priesterlichen Amtes überhaupt noch weitergeführt werden kann und muss. Es lässt sich sehr wohl eine amtsfreie Kirche denken, wie sie ja in den vielen evangelischen Freikirchen und z.T. auch schon in den Kirchen der Reformation gegeben ist. Selbst neuere Ansätze aus der kath. Theologie tendieren in diese Richtung, z.B. Leo Karrer, Die Stunde der Laien (s. Lit.), der das im Buchtitel genannte Programm durchbuchstabiert (und für den die Geschichte der Kirche größtenteils die Geschichte der Unterdrückung der Laien durch den Klerus war), oder Ottmar Fuchs, Ämter für die Kirche der Zukunft (s. Lit.), der das Amt im Wesentlichen auf karitative und soziale Aufgaben, auf den Dienst an den Armen, begrenzen will, oder Karl Rahner, Der Priester von heute (s.Lit.), der den Priester vor allem ein Mystagoge, eine spirituelle Persönlichkeit sein soll. Spirituell kann man aber nicht von Amts wegen sein. Eine Kirche ohne Ämter hätte selbstverständlich noch Dienst und Funktionsträger, aber das Prinzip des Amtlichen wäre aus ihr verschwunden. Es wäre immer noch eine Kirche, aber nicht mehr die römisch-katholische. Was bedeutet nun genau die Amtlichkeit in der Kirche? Warum gibt es in der Kirche Ämter? Oder anders gefragt: Kann die Tradition der katholischen (und orthodoxen) Kirche weitergeführt werden? Eine elegante, ökumenisch aufgeschlossene Begründung des Amtes liefert Eva Maria Faber, Text 6 (s. Anhang, diesen Text jetzt mitlesen). Sie argumentiert: Das den Reformatoren so wichtige „ab extra“ (von außen) des Heils wird gerade durch das katholische Amt garantiert. Die Reformation sieht das „ab extra“ nur in Wort und Sakrament, während die katholische Kirche es auch in ihren Strukturen und namentlich in den Amtsträgern verleiblicht sieht. Faber macht also folgende Gleichung auf: Reformatorisch: Gott : Menschen wie Wort und Sakrament : Gläubigen Katholisch: Gott : Menschen wie Wort und Sakrament im Amtsträger : Gläubigen Man sieht, dass die Gleichung dadurch zerstört wird. Denn nun gerät auf die linke Seite, die Seite des „ab extra“, ein menschliches Element, nämlich der Amtsträger. Und die Frage kehrt wieder, wie denn im Amtsträger, einem Menschen, das „ab extra“ gegeben sein kann. Es stehen ja auf beiden Seiten Menschen; warum sollten die Menschen – Amtsträger – auf der linken Seite den auf der rechten Seite etwas voraus haben? Genau das ist ja die Frage, die heute so intensiv diskutiert wird! Das Amt Christi im Reich Gottes Das Amt in der Kirche lässt sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass die Kirche das Reich Gottes auf Erden ist. Sie ist also ein soziales und politisches Gemeinwesen, und erst in einem solchen lässt sich die Existenz von Ämtern begründen. Kurz gesagt, braucht man in einem Gemeinwesen Ämter, um die Grundvollzüge des öffentlichen Lebens zu erfüllen (deswegen haben wir ein Versorgungsamt, ein Arbeitsamt, ein Straßenverkehrsamt usw.). Die Grundvollzüge des Reiches Gottes sind: Die Leitung durch Gott, die Verkündigung seines Wortes 73 und die Heiligung der Welt in der Kraft seines Geistes. Diese Grundfunktionen werden alle durch Christus ausgeübt. Deswegen spricht man vom dreifachen Amt Christi: Dem Königs, -Propheten und Priesteramt. Die Lehre von den Ämtern Christi war im Mittelalter immer präsent („Christus sacerdos et rex“), sie wurde von Luther in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aufgegriffen und dann von Calvin zur Lehre vom dreifachen Amt weiterentwickelt. Katholischerseits wurde sie von Matthias Josef Scheeben am gründlichsten entfaltet, vgl. Karin Bornkamm, Amt Christi, in RGG 4. Wenn vom Amt in der Kirche theologisch korrekt die Rede sein soll, dann nur mit Bezug auf das Amt Christi. Die Amtsträger in der Kirche vertreten Christus in seinem Amt. Diese Vertretung muss so verstanden werden, dass sie an der Stelle des anwesenden, des eigentlich handelnden Christus agieren, nicht in Vertretung des abwesenden Christus geschieht. Darum sagt man auch im Gottesdienst nach dem Evangelium: „Lob sei dir Christus“ – Christus hat selbst gesprochen in der Person des Priesters, dem das Evangelium zu lesen vorbehalten ist. Die drei Grundaufgaben des kirchlichen Amtes sind das Leitungsamt, das Verkündigungs- und das Priesteramt, das Amt der Heiligung. Sie entsprechen den drei Ämtern Christi. Der Priester handelt, wie man sagt, „in persona Christi“ (in der Person Christi), und das bedeutet nicht, dass er wie eine Christuserscheinung vor der Gemeinde steht, sondern dass er Christus in seinen amtlichen Aufgaben vertritt (so wie ein Diplomat die Regierung seines Landes vertritt, wenn er amtlich handelt, also z.B. einen Pass ausstellt). Die Ausübung des Amtes durch Wortverkündigung und die Feier der Sakramente Es scheint ungeheuerlich zu sein, wenn man sagt, dass Menschen Christus in seinen drei Ämtern vertreten können. Sollen sie denn wie der Gottmensch Christus die Kirche leiten können? Alle Probleme der kirchlichen Amtsautorität spielen hier herein… Aber man muss genauer zusehen, wie die Amtsträger Christus vertreten. Sie tun es, indem sie die Aufgaben ihres Amtes erfüllen (so wie ein Standesbeamter sein Amt erfüllt, indem er Personenstandsdaten auflistet und ordnungsgemäß Ehen schließt, und nur dadurch). Die Aufgaben des priesterlichen Amtes sind Verkündigung und Sakramentenspendung. Und dadurch, nur dadurch, übt es sein dreifaches Amt aus. Die Amtsträger leiten also die Kirche nicht, indem er irgendeine Leitungsautorität ausüben, sondern indem sie das Wort Gottes recht verkündigen und die Sakramente in rechter Weise begehen. Die theologische Tradition hat das dadurch ausgedrückt, dass sie das Leitungsamt in der Kirche als Hirtenamt bezeichnet hat, und nicht als königliches Amt. Der Hirte übt eine andere Art von Leitung aus als ein König! Das Verständnis von Leitung in der Kirche ist auch wichtig für das Verständnis von „Hierarchie“. Die Hierarchia ordinis und die Hierarchia iurisdictionis Der Begriff Hierarchie (heilige Ordnung) bezieht sich im eigentlichen Sinne auf die Aufteilung der Rollen beim Gottesdienst (=hierarchia ordinis; zu ihr gehören Bischof, Priester und Diakon). Als solche drückt der Begriff Hierarchie nur die Funktionsaufteilung bei den Aufgaben des Amtes, Verkündigung und Sakramentespendung, aus. Erst sekundär ist im Mittelalter die Hierarchie in Bezug auf Gesetzgebungs- und Leitungsaufgaben hinzugetreten (=hierachia iurisdictionis; zu ihr gehören Papst, Bischof und Priester). Letzere gehört nicht wesentlich zum Amt in der Kirche und könnte auch anders geregelt werden. Man sieht übrigens, dass der Papst kein eigenes Amt in der Kirche innehat. Was er tut, tut er als Bischof von Rom. 74 Wenn ihm die kath. Kirche eine größere Bedeutung zumisst, dann nur als eine ihm erwiesene Ehre, als ein Ehrenamt. Vgl. dazu Hans Dombois, Hierarchie. Grund und Grenzen einer umstrittenen Struktur (s. Lit.) Die Unterscheidung von Amt und Person gilt bei jedem Amt! Auch der Standesbeamte braucht nicht an die Ehe zu glauben, um gültig Ehen schließen zu können. Augustinus hat diese Unterscheidung im donatistischen Kampf auf die Kirche angewendet. Nach ihm ist es eigentlich Christus als "minister principalis", der im Priester als "minister instrumentalis" handelt. Die Unwürdigkeit des Priesters hindert nicht, dass er gültige Amtshandlungen ausübt. Mit dieser Unterscheidung hat Augustinus die Kirche davor bewahrt, eine Sekte zu werden; für Sekten ist es gerade charakteristisch, dass sie die Autorität eines Predigers oder Leiters auf sein persönliches Charisma gründen. Für den Ordinierten gilt von Amts wegen, kraft sakramentaler Gnade, Gal 2,20: "Ich lebe, doch nicht mehr ich, Christus lebt in mir." Daraus folgt, dass sein persönliches Charisma, seine Fähigkeiten, seine Sittlichkeit usw. für seine Amtstätigkeit nicht konstitutiv sind. Ein vom Priester gespendetes Sakrament wird nicht besser, wenn der Priester besser ist, und es wird nicht schlechter, wenn er schlecht ist. Die frühe Kirche hat daraus die Konsequenz gezogen, bei der Nachfolge im Apostelamt das Martyrium vom Amt zu scheiden (vgl. ERIK PETERSON, ZEUGE DER WAHRHEIT, in: ders., Theol Traktate, München 1951, 165ff). Allerdings hält die Kirche fest, dass die Amtsgnade dem Menschen, dem sie verliehen ist (ohne sein Verdienst!), auch nicht äußerlich bleibt, sondern ihn als ganze Person prägt – und zwar wieder unabhängig von seiner persönlichen Disposition. Die Weihe, so sagt man, verleiht einen character indelebilis (ein unauslöschliche Prägemal). Auch das Versprechen der Ehe- (und Familien!)losigkeit (Zölibat) steht in diesem Zusammenhang: Der Amtsträger kann kraft der ihm verliehenen Gnade auf die üblichen Mittel der Daseinssicherung und Selbstsetzung verzichten, als da sind Besitz (er verspricht Armut), Selbstbehauptung und –bestimmung (-Gehorsam) und Familie bzw. Fortpflanzung (- Keuschheit). Dieser Verzicht ist nicht Leistung, sondern Resultat der Gnade des Amtes. Allgemeines und amtliches Priestertum Das ist ein großes Thema der evangelisch-katholischen Kontroverse und der heutigen Kirchenkritik! Alle Christen besitzen kraft der Taufe das allgemeine Priestertum. Sie sind zu Königen, Priestern und Propheten berufen. 1 Petr 2,9: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Vollkommenheiten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat“ = Ex 19,6 Die ganze Kirche nimmt – wie das Volk Israel! – an der Berufung zum Gottesvolk teil. Es ist heilig, von Gott auserwählt, und es heiligt die Welt (=Priestertum), indem es Gottes Herrschaft auf Erden entspricht. Das amtliche Priestertum steht dem nicht entgegen, es ist dem allgemeinen Priestertum auch nicht übergeordnet, sondern es begründet das allgemeine Priestertum immer neu durch sein amtliches, sakramentales Handeln. Nur weil es das Reich Gottes in der Kirche gibt, kann es ein heiliges Priestertum des ganzen Gottesvolkes geben. Die Amtsträger stehen für die von Gott her gegebene Wirklichkeit des Reiches, in die die Menschen berufen und eingefügt werden. Kraft ihres Amtes vollziehen sie in ihrem Handeln immer neu die Berufung, die die Menschen zum Volk Gottes und zum königlichen Priestertum macht (so wie erst eine 75 amtliche Bestätigung jemandem zum Bürger eines Landes machen kann). Darum sagt das Vaticanum II, Dogm. Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Kap. 2: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das amtliche bzw. hierarchische Priestertum unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach [essentia et non gradu], dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nimmt auf je besondere Weise am einen Priestertum Christi teil. Der Amtsträger nämlich bildet kraft der heiligen Vollmacht, derer er sich erfreut, das priesterliche Volk heran…“ Die beste theologische Erklärung dieses Sachverhalts habe ich bei einem evangelischen Theologen, Gunther Wenz, gefunden, vgl. Text 7 (s. Anhang) Unterscheidung zum evangelischen Amtsverständnis Nach lutherischem Verständnis des Amtes haben die ordinierten Amtsträger von Gott her die besondere Aufgabe der Verkündigung und Sakramentenspendung. Das Amt ist vom Evangelium her legitimiert, nicht kraft sakramentaler Amtsautorität. Das Amt stellt nicht die dem Glauben vorausliegende Realität des Reiches Gottes dar, sondern ist auf den Glauben gerichtet. Seine Legitimation ergibt sich aus der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem Evangelium. Verschiedene Amtsgrade kennt der Protestantismus nicht. Das eigentliche Amt ist das des Ortspfarrers. Ein übergemeindliches Aufsichtsamt (Episkopé) ist denkbar und kann in verschiedenen Formen ausgeübt werden; es nimmt die übergemeindlichen Bezüge der Ortsgemeinde wahr. Die Ordination (nicht: Weihe) ist wegen der innerkirchlichen Ordnung nötig: Was allen gehört (gemeinsames Priestertum), kann sich niemand aus eigener Vollmacht aneignen. Insgesamt: Es ist ein Funktions- und Dienstamt, nicht eine sakramental begründete Wirklichkeit von Gott her. Dazu Gunther Wenz, Kirche aaO., S. 46-108 Die Unterscheidung von Weiheamt und Laiendiensten z.B. den Gemeinde- und PastoralreferentInnen, darf nicht so verstanden werden, als ob die Amtsträger nicht dienen (sondern herrschen). Auch das Weiheamt ist ein Dienstamt. Insoweit es den Dienst der Verkündigung und Sakramentenspendung vollzieht, ist dafür die Ordination notwendig. Es kann theologisch nicht angehen, dass diese Dienste ohne Ordination ausgeübt werden, also etwa durch hauptamtliche Laien. Dass die Ordnung für die Laiendienst so geregelt ist, dass es an diesem Punkt immer wieder Konflikte entstehen, ist ein gravierender Missstand, den die Laienmitarbeiter/innen nicht zu verantworten haben (sie führen an die Sakramente heran, dürfen sie aber nicht spenden; das Weiheamt wird nur durch Reservationen und durch Befugnisse von den Laiendiensten unterschieden). Dieser Zustand muss sich baldmöglichst ändern, wobei die theologischen Vorgaben absolut klar sind! »Mein Lösungsvorschlag zum Problem des Priestermangels« 4. Zur Geschichte des Weihesakraments Die Umstände des 2. Jh. (Irrlehren, Umdeutung des Glaubens durch die Gnosis im heidenchristlichen Kontext) führten bald zur Durchsetzung des Mon-episkopats (Bischofsverfassung; wichtige Beiträge von Ignatius von Antiochien und Irenäus von Lyon). Hier ging es nicht nur um Leitung, sondern um die Bewahrung des apostolischen Erbes in wechselnden Zeiten. Apostolizität (repräsentiert durch den 76 Bischof) und Kanonizität (Bindung an die Heilige Schrift) legen sich gegenseitig aus; der Bischof steht nicht über der Schrift. Es entsteht die Ordnung Bischof-Presbyter-Diakone. Platonisches Denken konnte darin eine heilige Ordnung erkennen, die unabhängig von ihrem Dienst in der Kirche begriffen wurde (so vor allem Pseudo-Dionysius Areopagita, 5. Jh.). Dieser Gefahr wehren u.a. kirchliche Verbote der absoluten Weihe (=Weihe ohne Seelsorgeaufgabe). Das Priesterliche (Sazerdotale; Priester=sacerdos) spielte in der Alten Kirche zunächst eine untergeordnete Rolle, trat aber bald stärker hervor. Im Zuge der Übernahme alttestamentlicher Reinheitsvorschriften für Priester kommt es hier teilweise zur Zölibatsverpflichtung (zuerst Synode von Elvira, Spanien, 305). Das Mittelalter verstärkt zwei Tendenzen: – Das Priesteramt als Weg persönlicher Vervollkommnung (kommt vom monastischen Leben her; Zunahme der Priestermönche ab etwa dem 8. Jh.); – die Sazerdotalisierung des Amtes. Das Amt wird wesentlich vom sakramentalen Opferdienst aus begriffen; Priesteramt als Vollmacht, das heiligende Opfer für die Gläubigen zu vollziehen. Das Bischofsamt bedeutet demgegenüber keine Steigerung. Das sazerdotale Priesteramt wird als eigener "Stand der Vollkommenheit" begriffen. Daraus entwickelt sich die Vorstellung von der Kirche als "Gemeinschaft der Ungleichen" – so noch das Vaticanum I [1870] in einer nicht mehr verabschiedeten Erklärung. Die niedere Weihen [Subdiakon, Akolyth, Exorzist, Lektor] verlieren im Mittelalter an Bedeutung, sie werden zu bloßen Durchgangsstufen zum Priesteram. Luther findet eine stark klerikalisierte Kirche vor. Er bestreitet die Sakramentalität des Amtes, beschränkt es strikt auf Predigt und Sakramentenspendung und schwankt bei der Frage, ob das Amt auf der Delegation durch die Gemeinde oder auf der Einsetzung durch Gott beruht. Er hält aber an der Ordination fest. Im Gefolge des Konzils von Trient (1545-1563), das sich zur Amtsfrage nur undeutlich äußert, werden viele Missstände beseitigt. Es kommt zu besserer Priesterausbildung, Reform der Seelsorge, Durchsetzung des Zölibats. Die tridentinische Kirche ist aber mehr als je zuvor eine Kirche des Klerus, d..h. eine Standeskirche gewesen. Das Vatikanum II begründet das Priesteramt in einer Theologie des Volkes Gottes (allgemeines Priestertum!), wertet das Bischofsamt auf (die Diözese ist die eigentliche Ortskirche), spricht bevorzugt vom Presbyter und nicht vom Priester (im Sinne von sacerdos) und führt das ständige Diakonat wieder ein. Die neuere Theologie bemüht sich, ein Profil des geistlichen Amtes in Unterscheidung zu Laiendiensten herauszuarbeiten. Durch die gleichzeitigen Unsicherheiten im Eucharistie- (Messopfer oder Liebesmahl?), Sakraments(Symbol?) und Kirchen- (Glaubensverein?)verständnis fällt dies aber schwer. Meines Erachtens rührt der Priestermangel nicht primär vom Zölibat oder anderen Beschränkungen her, sondern von der unklaren Profilierung des Amtes! Die heutige Praxis des Amtes, fundiert durch eine unklare Lehre, stellt eine strukturelle Überforderung dar und ist wenig anziehend. 5. Zum Ritus und den Zeichen der Weihe Die Ordination erfolgt für Bischöfe, Priester und Diakone. – Das Mittelalter hatte den altkirchlichen Weiheritus (Gebet und Handauflegung; bei Bischofsweihe: Mitwirkung von mindestens drei Bischöfen der Nachbarbistümer) durch zahlreiche Zugaben überlagert (Überreichung der Amtsinsignien, der Messgeräte usw. – Letzteres wurde sogar im Zuge der Sazerdotalisierung als forma sacramenti gedeutet). In der vom II. 77 Vatikanum angeregten Überarbeitung der Ordinationsliturgie stehen wieder Handauflegung und Weihegebet im Mittelpunkt. Dazu kommen weitere begleitende Riten. Jeweils geht ein Gelöbnis des Kandidaten, seine Amtspflichten zu erfüllen, und ein Gehorsamsversprechen voraus. Dann bei der Bischofsweihe: Handauflegung durch alle anwesenden Bischöfe; Auflegung des Evangeliars auf das Haupt des Kandidaten; Salbung des Hauptes, Übergabe des Evangeliars, des Ringes, der Mitra, des Stabes; Führung zur Kathedra; Kuss zur Aufnahme in den neuen Stand. Bei der Priesterweihe: Handauflegung des Bischofs und aller Priester; Anlegen der Amtskleider; Salbung der Hände; Übergabe von Brot und Wein; Kuss zur Aufnahme. Bei der Diakonenweihe: Handauflegung des Bischofs allein; Übergabe der Amtskleider; Übergabe des Evangeliars; Kuss zur Aufnahme. Das Weihegebet betont nicht mehr wie früher die Amtsvollmacht, sondern ist Anrufung Gottes und Bitte um die Amtsgnade. Aus dem Weihegebet für Priester, vgl. GL 71: "Allmächtiger Gott, wir bitten dich: Gib deinen Knechten die priesterliche Würde. Erneuere in ihnen den Geist der Heiligkeit. Gib, o Gott, dass sie festhalten an dem Amt, das sie aus deiner Hand empfingen; ihr Leben sei für alle Ansporn und Richtschnur. Segne, heilige und weihe deine Diener, die du erwählt hast." Die (unter Schweigen vollzogene) Handauflegung meint nicht die Übertragung von Vollmacht auf den Kandidaten durch den Spender (und so könnte das Zeichen ja in seiner natürlichen Bedeutung verstanden werden!), sondern die leere Hand steht gerade für die Wirkung der Gnade, der die Menschen – Spender und Geweihter – alles verdanken. "Von sich aus ist der Priester nichts und hat er nichts. ... Es sind leere Hände. Auch der Neupriester hat in diesem Augenblick nichts in den Händen" (Höhn aaO. S. 123): das Zeichen der Leere steht für die Fülle. 6. Zum Zölibat Die Einführung des Zölibats hat mehrere Motive (priesterliche Reinheit; Ersatz für das Martyrium; Verachtung der Welt im Namen der christlichen Askese), von denen die Vermeidung der Weitergabe kirchlichen Vermögens an die Erben der Bischöfe/Priester das durchsetzungskräftigste gewesen sein dürfte. Außerdem spielt er eine schwer zu überschauende Rolle für die Wertschätzung und Autorität des Priesters in den Augen der Gläubigen (das ist ein nicht zu vernachlässigendes soziologisches Argument). In der Alten Kirche wurde der Zölibat nur ausnahmsweise praktiziert, im Mittelalter zwar häufig eingeschärft, er konnte von der Mehrheit der einfachen Priester aber schon aus Gründen der Existenzsicherung nicht eingehalten werden. Theologisch kann der (oder: das) Zölibat nur begründet werden als Zeichen der Inanspruchnahme des Geweihten durch die Gnade, die ihn auf die Mittel der Daseinssicherung verzichten können lässt. Er steht im Zusammenhang der evangelischen Räte Armut, Gehorsam und Keuschheit, die allerdings allen Christen geboten sind und nicht zur Ehelosigkeit führen müssen. Er sollte nicht begründet werden durch die Verachtung der 'sündigen' Sexualität oder durch das (bloß pragmatische) Argument der "Verfügbarkeit". Das Versprechen der Ehe- (und Familien!)losigkeit steht im Zusammenhang mit der Amtlichkeit. Der Zölibat ist ein Zeichen dafür, dass der Priester als Amtsträger die ihm verliehene Aufgabe nicht nur rein äußerlich erfüllt, sondern sie ihm auch innerlich etwas bedeutet. So wie ein Standesbeamter auf die Dauer nicht geduldet werden würde, der sich öffentlich ständig über die Ehe lustig macht, so muss auch ein Priester zeigen, dass er für das Reich Gottes, das er in seinen Amtshandlungen 78 repräsentiert, auch persönlich einsteht. Die Ehelosigkeit als Verzicht auf die üblichen Mittel der Daseinssicherung ist hier im Prinzip ein sinnvolles Zeichen – wenn es verstanden wird, denn ein Zeichen, das nicht verstanden wird, ist keines. Der Zölibat ist aber heute ein Zeichen, das – im Zeitalter der Singles – weithin nicht mehr verstanden wird. Wenn man dann bedenkt, wieviel persönlicher Einsatz und Leiden, aber auch Unehrlichkeit und Heuchelei damit einhergehen, sollte er überdacht und ggf. abgeschafft werden. Aber nicht ersatzlos! Welches Zeichen kann es sonst geben, das anzeigt, dass ein Mensch, der von Berufs wegen aus der Gnade Gottes lebt, anders lebt; der mit seinem Dasein das beglaubigt, wovon er spricht? Materielle Armut? Zinsverzicht? Autoverzicht? Aber mit welcher Autorität kann das eingefordert werden? Wie kann das kontrolliert werden? Und wie kann es gefordert werden, ohne die Familie des Priesters zu schädigen? Insoweit der Zölibat Grund für den Priestermangel ist, muss er abgeschafft werden, denn kein Kirchengesetz darf die Vermittlung des Heils unterbinden. „Das Heil der Seelen ist in der Kirche immer das oberste Gesetz“, so schließt das kirchliche Gesetzbuch CIC, c. 1752. Unter den heute gegebenen Umständen verstößt der Zölibat gegen dieses oberste Gesetz. „Der Priester von heute – das wäre Stoff nicht nur zur bereichernden Diskussion in Pfarrgemeinden und Priesterseminaren. Es wäre Stoff für ein ganzes ökumenisches Konzil“, so war in „Christ in der Gegenwart“ 39/2009 S 428 vom Chefredakteur Johannes Röser zu lesen. Dieser Meinung schließe ich mich an. 7. Zur Frauenordination Die Begründungen, die kirchlicherseits gegen die Frauenordination vorgebracht werden, überzeugen mich: Auch Jesus habe nur Männer zu Aposteln gemacht; der Priester handle in persona Christi, was einschließe, dass er auch das Geschlecht Christi teile; er steht der Kirche (als der Braut) wie der Bräutigam (Christus) gegenüber, und diese Symbolik stimme nur, wenn er ein Mann ist. Vgl. dazu die apostolischen Lehrschreiben INTER INSIGNORES von 1976 und ORDINATIO SACERDOTALIS von 1994. Letzteres erklärte die Diskussion für unwiderruflich beendet. Dass die Kirche in ihrer langen Geschichte keine Frauen ordiniert hat, muss nicht auf Frauenfeindlichkeit schließen lassen; sie hat sich nur den Geschlechterverhältnissen der Zeit angepasst. Traditionale Gesellschaften gingen nicht von der Gleichberechtigung, sondern von der Differenz der Geschlechter aus. Frauen und Männern wurden unterschiedliche Sphären des Lebens zugeordnet. Die amtliche Repräsentation des Gemeinwesens war dabei Aufgabe des Mannes – ich vermute: weil die Frauen durch ihre engere Bindung an Haushalt und Kinder dazu weniger disponiert waren. Mit dieser Differenzkultur war aber im Prinzip keine Abwertung oder gar Unterdrückung der Frauen verbunden, sowenig der Ausschluss der Männer aus den den Frauen vorbehaltenen Bereichen eine Unterdrückung darstellte. Entsprechend hören wir eigentlich nie von Protesten der Frauen gegen ihre Nichtzulassung zum kirchlichen Amt, auch nicht von so klugen und mutigen Frauen wie Hildegard von Bingen. In neutestamentlicher und frühchristlicher Zeit hat es allerdings Diakoninnen, vielleicht auch Presbyterinnen gegeben. Ab dem 3. Jh. sind sie vom männlichen Amt verdrängt worden, wobei eine Rolle die Verfügung über die kirchlichen Finanzen gespielt haben kann, die vorher zu großen Teilen in den Händen der "Witwen" (=Frauen, die die Armenfürsorge verwalteten), lag. Episkopen wollten diese Verwaltung in ihre Hand bringen – so eine Untersuchung von GEORG SCHÖLLGEN. 79 Heute muss sich die Kirche zur Gleichberechtigung der Frauen verhalten. Ihr Verhalten muss als frauenfeindlich gelten, es kann im Rahmen einer auf der Gleichheitsprätention basierenden Gesellschaft gar nicht anders sein. Ich sehe keine theologischen Gründe gegen die Frauenordination. Die Zulassungsbedingungen für das Amt festzusetzen liegt in der Kompetenz der Kirche, die sich nach den pastoralen Erfordernissen zu richten hat. Die Verweigerung der Frauenordination schadet der Kirche erheblich, wegen des negativen Images und wegen des pastoralen Notstands. Niemand in der Kirche hat das Recht, den Gläubigen den priesterlichen Dienst vorzuenthalten (wie es de facto geschieht). Und es kann kein Zweifel sein, dass Frauen das Amt in der Kirche ebenso gut ausüben können wie Männer, wenn auch, so ist ja auch zu hoffen, anders. 8. Perspektiven für die Entwicklung des Amtes in der Kirche. Ein Vorschlag Mein Lösungsvorschlag, der angeregt ist durch die Überlegungen von Zulehner (s. Lit.) basiert auf der Voraussetzung, dass es keinesfalls geschehen darf, dass wir über der Krise des Amtes das Prinzip der Amtlichkeit verlieren. Der Priester repräsentiert Christus in seinem dreifachen Amt als König, Prophet und Priester. Das Königs- oder Hirtenamt ist das Leitungsamt, das Prophetenamt das Amt der Verkündigung und das Priesteramt das Amt der Heiligung. Dogmatisch spricht nichts dagegen, diese drei Aspekte des Amtes auf drei verschiedenen Personengruppen zu verteilen. Wir hätten dann in der Kirche eine Art Gewaltenteilung nach dem Vorbild der staatlichen Gewaltenteilung in Legislative, Iudikative und Exekutive. Und auch dies wäre ja schon ein Fortschritt dieses Modells, dass wir endlich in der Kirche eine Gewaltenteilung hätten. Vorbild für meinen Lösungsvorschlag ist die Praxis in der französischen Diözese Poitiers. Dort kümmern sich „Equipes“ von Christen um Aufgaben der Gemeindeleitung, der Verkündigung bzw. Katechese und um die Gestaltung des Gottesdienstes. Man sieht, dass sich dabei die Verteilung auf die drei Grundfunktionen des Amtes wiederum ergeben hat. In Poitiers macht es keine Schwierigkeiten, genügend Laienchristen für die Mitarbeit in diesen Equipes zu gewinnen. Auf diesem Modell kann man aufbauen – nur dass es eben nicht dabei bleiben kann, dass die Christen, die priesterliche Aufgaben ausüben, Laien bleiben und nicht auch das Sakrament der Weihe empfangen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Equipes müssen die Priesterweihe empfangen! Sie würden geweiht zum Priester mit der besonderen Aufgabe der Gemeindeleitung oder der Verkündigung oder der Feier der Sakramente. Sie wären teil-amtliche Priester, Priester, die nur einen Teilbereich des priesterlichen Amtes ausüben. Eine solche Einschränkung der priesterlichen Weihevollmacht auf einen bestimmten Aufgabenbereich ist kirchenrechtlich möglich. Schon heute erhalten Priester nur für einen bestimmten Bereich ihrer amtlichen Vollmachten die sog. Iurisdiktion, d.h. das Recht, diese Vollmacht auch auszuüben. Ein solches Modell wirft natürlich viele Fragen in der Umsetzung auf. Die Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten muss geprüft werden, eine entsprechende Ausbildung muss absolviert werden. Die Zusammenarbeit der drei Priestergruppen auf Gemeindeebene und im Gottesdienst muss geregelt werden. Wird das Amt haupt- oder nebenamtlich ausgeübt, d.h. wie steht es mit der Bezahlung? Es muss geklärt werden, was geschieht, wenn jemand sein priesterliches Amt nicht mehr ausüben will. Da die Priesterweihe ein unauslöschliches Merkmal verleiht, kann die Weihe nicht zurückgenommen werden. Denkbar ist aber, dass bei einer solchen Amtsniederlegung oder Amtspause die iurisdiktionellen priesterlichen Vollmachten ganz zurückgenommen werden und ggf. später wieder verliehen werden, wenn 80 der/die Betreffende das Amt wieder ausüben will. Es scheint mir eindeutig zu sein, dass für ein solches Teilpriestertum der Zölibat nicht verlangt werden kann und Frauen davon nicht ausgeschlossen werden können. Alle diese Fragen können bei etwas gutem Willen gelöst werden. Und dann hätten wir, das ja durchaus bestehende Engagement vieler Gemeindechristen vorausgesetzt, ganz viele Priester und Priesterinnen. In einem Wort: Wir haben nicht zuwenig Priester, sondern zuwenig Priesterweihen! Nach katholischem Verständnis ist der Bischof der eigentliche Leiter der Ortskirche. Auf der Ebene des Bischofsamtes ist die Aufteilung der priesterlichen Aufgaben nicht sinnvoll und nicht denkbar. Der Bischof hat die Vollgestalt des Amtes inne. Er hat dafür zu sorgen, dass die Teilpriester gut miteinander kooperieren. Betrachtet man das Gewicht der Tradition und die Argumente, die für die bestehenden Zugangsbedingungen zum priesterlichen Amt vorgetragen werden, dann ist es sicher sinnvoll zu sagen, dass nur Priester, die die Ehelosigkeit gelobt haben, das Bischofsamt übertragen bekommen können. In der Praxis würde es jedenfalls so sein können, dass die Priester, der der Berufung zur Ehelosigkeit folgen, schon von der Weihe an die Vollgestalt der priesterlichen Amtes innehaben, entsprechende Funktionen in der Kirche ausüben und dann auch Kandidaten für das Bischofsamt sind. Wir hätten dann eine Differenzierung in Voll- und Teilpriester. Ob das zum Problem wird, muss man sehen; es ist aber nicht anders als bei der heute bestehenden Differenzierung zwischen „leitenden Pfarrern“ und „Pfarrvikaren“, wobei letztere eben auch nur Teilbereiche des priesterlichen Amtes ausüben, nämlich nicht das Amt der Leitung. Weiter könnte man fragen, ob nicht auch das Amt des Diakons ausdifferenziert werden sollte. Ich denke an die Wiederbelebung der frühren „niederen Weihen“ des Subdiakonats, also des Akolythats (Dienst in der Liturgie), Lektorats (Dienst an der hl. Schrift) und des Exorzistenamtes (Kampf gegen dämonische Mächte). Hier würde sich jedenfalls ein reiches Betätigungsfeld auftun, und das zurzeit etwas unglücklich platzierte Diakonenamt könnte neues Profil gewinnen. Die bestehenden, noch unglücklicher platzierten hauptamtlichen Laiendienste (Pastoralreferent etc.) könnten in diese Ämterstruktur integriert werden. 81 F. Das Sakrament der Ehe Lit.: Faber, 178-192; Kunzler, Leben, 479-492 (mit Informationen zum orthodoxen Eheverständnis); Ders, Liturgie, 464-475; Höhn, 116-122; Markus Knapp, Glaube-Liebe-Ehe. Ein theologischer Versuch in schwieriger Zeit, Würzburg 1999; Luzia Sutter-Rehmann, Konflikte zwischen ihm und ihr. Sozialgeschichtliche und exegetische Untersuchungen zur Nachfolgeproblematik von Ehepaaren, Gütersloh 2002 (enthält völlig neue Erkenntnisse zum jesuanischen "Scheidungsverbot"); Codex des kanonischen Rechts (Codex Iuris canonici), hg. im Auftrag der dt. Bischofskonferenz, Kevelaer 1983, 470-513; Silvia Cichon-Brandmaier, „Dies ist aber ist ein großes Geheimnis“. Neuere Aspekte zur Theologie des Ehesakraments, in: Donum veritatis aaO., 221-238; David S. Crawford, Hat das Ehesakrament noch einen ‚Sitz im Leben’? Gedanken über Jungfräulichkeit, Eheleute und den ‚Ort’ der christlichen Ehe, in: IKZ Communio 35 (2006) 34-45; Sabine Demel, Standesamt – Ehe – Kirche. Die Neubewertung der Zivilehe als Versuch einer ökumenischen Annäherung, in: StZ 211 (1993) 131140; Franz Henrich (Hg.), Ehe und Ehescheidung. Diskussion unter Christen, München 1972; Walter Kasper, Zur Theologie der christlichen Ehe, Mainz 1977; Joachim Piegsa, Die Ehe in der christlichen Heilsordnung, in: Donum veritatis aaO., 209-220; Klemens. Richter (Hg.), Eheschließung – mehr als ein rechtlich Ding, Freiburg: Herder 1989 (QD 120); Brigitte Rieks, Das Ehesakrament. Die Liebe christlicher Ehegatten als Analogie göttlicher Liebe, Diss. L.M. Universität München 1996; Leo Scheffczyk, Zur Theologie der Ehe, Abensberg o.J., Gerhard Tenholt, Die Unauflöslichkeit der Ehe und der kirchliche Umgang mit wiederverheirateten Gechiedenen in dogmatisch-dogmengeschichtlicher Perspektive, Münster 1999; Hermann Volk, Das Sakrament der Ehe, Münster 1962; Norbert Wetzel (Hg.), Die öffentlichen Sünder oder soll die Kirche Ehen scheiden?, Mainz 1970; John Witte, Vom Sakrament zum Vertrag. Ehe, Religion und Recht in der abendländischen Tradition, Gütersloh 2008 1. Schwierigkeiten der Ehen heute Soziologische Perspektiven: In allen Kulturen wurde die Ehe als die Institution der Reproduktion der Gesellschaft gepflegt. Je nach den äußeren Erfordernissen wandelte sich ihre Form (So verweist die Polygamie auf den Bedarf nach einer großen Nachkommenschaft; die Monogamie auf die anspruchsvoller gewordene Sozialisationsaufgabe an den Kindern). In vorindustrieller Zeit war die Ehe vor allem Produktionsgemeinschaft, in der Industriegesellschaft noch Versorgungsgemeinschaft. In beiden Formen waren ihr ständische Beschränkungen auferlegt. Das Motiv der Liebesgemeinschaft ist jüngeren Datums (18. Jh. – Romantik); seine Voraussetzung war u.a. die Entkoppelung von Wirtschaft und Ehe/Familie; die Notwendigkeit ständischer Beschränkungen entfiel. Der Familie nunmehr jetzt vor allem die Erziehungsaufgabe zu: die Kinder auf den Bedarf der Industriegesellschaft vorzubereiten. Mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft geht die Privatisierung und Personalisierung der Ehe einher. Ehe ist jetzt der Raum privaten Glücks, dessen Gestaltung von Ansprüchen der Öffentlichkeit entlastet ist. Dementsprechend geht die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Eheschließung zurück ('wilde Ehen', vorund außereheliche Lebensgemeinschaften – die libertäre Moral folgt diesen soziologischen Entwicklungen nur nach). Ehe wird häufig nur noch wegen der Kinder geschlossen. Die Diskussion um die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der Ehe deutet an, dass auch die Kinder aus der neueren Definition der Ehe als Raum privaten Glücks zunehmend herausfallen. Längere Ehedauern und erhöhte Glückserwartungen an die Ehe (dazu: U. BECK, E. BECK-GERNSHEIM: DAS GANZ NORMALE CHAOS DER EHE, Frankfurt: Suhrkamp 1990), die Entkoppelung von Sexualität und Ehe (u.a. in Folge der Empfängnisverhütung), die Entkoppelung von Ehe und Fortpflanzung (in Folge der neuen Reproduktionstechniken, heterologe Insemination, Leihmutterschaft, Eizellenspende usw.), die öffentlich proklamierte Bedeutung sexueller Aktivität und die allgemein geringere Bindungsfähigkeit oder –willigkeit gehen einher mit steigenden Scheidungsraten und nachlassender Ehewilligkeit. Bemerkenswert ist dabei, dass Scheidung und auch Wiederverheiratung bzw. eine neue Bindung 82 nach der ersten Ehe heute gesellschaftlich völlig akzeptiert sind. Zum ersten Mal im Laufe der Geschichte ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Ehe als Institution fast ganz aus der Gesellschaft verschwindet. In systemtheoretischer Perspektive ist Liebe ein Medium für hoch unwahrscheinliche Kommunikation: Jemanden zu lieben bedeutet, die Weltsicht des anderen zur Grundlage der eignen Weltsicht zu machen. Ich beobachte, wie der/die andere die Welt beobachtet, und richte mich danach – und umgekehrt. Wechselseitige Beobachtung des Liebens konstituiert Intimität: Ich beobachte, wie der/die andere beobachtet, wie ich ihn/sie beobachte ('ob ich sie/ihn noch liebe...') und umgekehrt. Diese Verdichtung gegenseitiger Beobachtung macht Liebesbeziehungen so schwierig (Vgl. N. LUHMANN, LIEBE ALS PASSION, ZUR CODIERUNG DER INTIMITÄT Frankfurt 1997, 217-223). Daraus folgen als Probleme mit dem Sakrament der Ehe heute: o Die Lehre von der Unauflöslichkeit steht kontrafaktisch zur gesellschaftlichen Entwicklung o Ist nicht die kath. Auffassung, dass Sexualität legitim nur in der Ehe ausgeübt werden darf, völlig illusorisch? o Mutet die Lehre von der Unauflöslichkeit den Eheleuten nicht etwas zu, was gar nicht mehr zu leisten ist? o Wie und wo unterstützt die Kirche Eheleute bei dieser schwierigen Aufgabe? o Ist die katholische Ehelehre nicht nur Resultat einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation, die heute vergangen ist? Diese Frage stellt sich auch im Blick auf die Weiterentwicklung der Ehe in den Kirchen der Reformation (s. das Buch von J. Witte). Ist die kath. Kirche mit ihrer Ehelehre nicht einfach im Mittelalter stehen geblieben? o Wie lässt sich diese Lehre heute noch begründen? Die theologischen Begründungen, die man findet (und man findet in der neueren Literatur wenig!), sind schwach. o Wie ist der Umgang der Kirche mit „wiederverheirateten Geschiedenen“ zu begründen (sie werden von den Sakramenten ausgeschlossen, da sie ja in „schwerer Sünde“ leben). Kann die Kirche riskieren, dass sich deswegen viele Menschen enttäuscht und zornig von ihr abwenden? o Viele „ungläubige“ Getaufte geraten in eine sakramentale Ehe hinein, ohne recht zu wissen, wie ihnen geschieht. Später haben sie vielleicht rechtliche Konsequenzen zu tragen (z.B. bei Anstellung in der Kirche) o Ist die kirchliche Eheschließung nicht weitgehend zu einem folkloristischen Ritual geworden? Darf das mit einem Sakrament geschehen? Ist das nicht Gotteslästerung? »Beobachtungen zum Verhältnis Schöpfungserzählungen« von Mann und Frau nach den beiden 2. Vorbemerkung zur theologischen Betrachtung der Ehe An der Institution der wird so recht deutlich, dass man sie, wie alle Dinge, aus mehreren ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann: historisch – soziologisch – psychologisch – im Rahmen privater Glückserwartungen und Lebensplanungen – ästhetisch, als Ritual usw. Die kirchliche Sicht auf die Ehe ist nicht einzige, auch in den Köpfen von Theologen und Theologinnen nicht! Was bedeutet das für die theologische Betrachtung der Ehe als Sakrament? Dass wir in der Lage sein müssen, verschiedene Perspektiven zu denken, dass wir aber auch 83 das Recht haben, die eigene, christliche Perspektive einzunehmen – und dass wir dann in der Lage sein müssen, die anderen Perspektiven in der theologischen Perspektive zu sehen und zu beurteilen. 3. Biblische Schlüsselszenen Gen 1,27: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie": Der Mensch kommt biblisch nur als Mann und Frau vor ("ungetrennt und unvermischt"), in der "Gemeinschaft bleibend Verschiedener" (= Bundesbeziehung) sind Mann und Frau Bild Gottes. Gen 1,28: "Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch...": Das ist Gottes erstes Gebot an die Menschen! Heute wird wieder klar, warum es gegeben werden musste. Eine Gesellschaft, die die Erfüllung dieses Gebots schwer oder unmöglich macht, ist nicht nach Gottes Willen. Gen 2,18: "Gott sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht": Gott weiß von sich aus, was dem Menschen fehlt (er kennt den Menschen vielleicht besser als er sich selbst). Gen 2,21-25: Erschaffung der Eva aus der Rippe: Aus dem noch ungeschlechtlichen Menschenwesen ADAM geht als erste das Weib hervor. Die Frau ist zuerst geschaffen. Erst dann erfährt der Mensch Adam, dass er ein Mann ist. Und er wird, so schärft es Gott ein, sein Elternhaus verlassen und dem Weibe anhangen. Gen 18,1-15: Erscheinung in Mamre. – Diese Stelle ist exemplarisch für die Bedeutung der "Patriarchenehen" für Bund, Segen und Verheißung. Gott verwirklicht seine Verheißung 'in, mit und unter' den Ehen. Dtn 22,13-23,1; 24,1-5; 25,5-10: Ehegesetze des Tora: Sie haben vor allem den Schutz der unverheirateten, verstoßenen und verwitweten Frauen im Blick. Der Ruf einer Jungfrau darf nicht beschädigt werden; Vergewaltigung wird bestraft; Scheidung ist möglich (auch von Seiten der Frau – niemand wird gezwungen, in einer Ehe zu bleiben, die von der Liebe verlassen ist); Wiederheirat (auch der Frau) ist möglich; Witwen können durch den Bruder des Ehemanns ihr Recht auf Nachkommenschaft sichern. 1 Sam 1: Die als unfruchtbar geltende Hanna bekommt einen Sohn, Samuel. – Wunderbare Geburten sind ein Zeichen von Gottes Gnade; daraus erschafft er sich Lobpreis (1 Sam 2,1-10: Lobgesang der Hanna). Hos 2,4-25; 11,1-9: Die Bundes-Liebes-Beziehung zwischen Gott und seinem Volk im Bild der Ehe. Gott bleibt Israel treu, auch wenn es die Ehe bricht. "Wie könnte ich dein vergessen, Ephraim, wie dich preisgeben, Israel?" (11,8). Esra 9 u. 10; Rut: Der Schriftgelehrte Esra verlangt von den Männern, ihre Ehen mit ausländischen Frauen zu lösen. Es sind meist die Vornehmen und Reichen, die solche Ehen geschlossen haben. Dagegen findet sich als innerbiblische Kritik das Buch Rut: Die Moabiterin Rut heiratet den Israeliten Boas. Das Problem der Ehen mit Andersgläubigen ist in der Bibel präsent. Paulus dazu: Will der ungläubige Partner die Ehe mit dem Gläubigen weiterführen, so soll sie weitergeführt werden; wenn der ungläubige Teil sich scheiden lassen will, dann soll es so sein (1 Kor 7,12-16). Mk 10,1-12; Mt 19,3-12: Jesus zur Ehescheidung. Diese Stellen können nach SUTTER-REHMANN nicht als absolutes Scheidungsverbot ausgelegt werden. Jesus argumentiert hier vielmehr im Rahmen des damaligen jüdischen Eherechts, bezogen auf die Situation, dass einzelne Ehepartner (auch Frauen) sich ihm anschließen, während der andere Teil zurückbleibt. Das ist nach Jesu Auffassung kein Grund für eine Ehescheidung, die Männer sollen bei ihren Frauen bleiben, denn so war es von Anbeginn der Schöpfung. 84 Eph 5,21-33: Standesunterweisung über die Ehe. Der Eph hält sich an das damalige gesellschaftliche Ehemodell (Frauen sollen sich den Männern unterordnen) und korrigiert es zugleich (der Mann soll seine Frau so lieb haben wie sich selbst). Entscheidend für die Begründung der sakramentalen Ehe: "Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. ... So sind auch die Männer verpflichtet, ihre Frauen zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst" [Dazu im nächsten Abschnitt]. » Wählen Sie sich zwei der Torabestimmungen zur Ehe (Dtn 22,13-23,1; 24,1-5; 25,5-10) aus und beurteilen sie sie. Sind sie aus Ihrer Sicht gut oder schlecht für die Ehe?« 4. Zur Theologie der Ehe (Die Sakramentalität der Ehe) Die natürliche Ehe ist eine Zweckgemeinschaft. Jemand geht sie ein, weil er/sie von dem/der anderen Unterstützung, Verständnis, Anerkennung, sexuelle Freuden, Hilfe beim Großziehen der Kinder etc. erwartet. Ehe ist eine Institution der (auch gesellschaftlichen) Selbsterhaltung. Liebe kann dabei eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Ehe und Jungfräulichkeit Die sakramentale Ehe ist im Verhältnis zur natürlichen Ehe „übernatürlich“, so hat es die Theologie immer gesagt. Worin liegt der Unterschied? Der amerikanische Theologe David S. Crawford verortet das Wesen der christlichen Ehe in der Jungfräulichkeit (s. Lit. zur Ehe). Das scheint reichlich paradox zu sein, denn Jungfräulichkeit und Ehe schließen einander aus. Für Crawford ist aber jungfräuliche oder keusche Liebe „jene Liebe, der auch nur der Hauch eines habhaften Begehrens und des Zerstörens des Habhaften fehlt. Es ist eine Liebe, die in der Wahrhaftigkeit einer Beziehung gründet und ihr gehorcht“ (S. 36). Das ist so zu verstehen: Die Beziehung selbst ist eine Wirklichkeit, die zwischen den Eheleuten liegt und die sie verbindet. Die ‚jungfräuliche’ Liebe achtet auf die Erhaltung der Beziehung. Die Liebe ist nicht von den Zielen und Zwecken der Partner her gedacht, sondern von dem ‚Gehorsam’ gegenüber der Wirklichkeit der Beziehung. Für Crawford ist die Wirklichkeit dieser Beziehung durch Maria und Jesus begründet, eben insofern sie jungfräulich sind. Marias Einverständnis („Mir geschehe nach deinem Worte“) und Jesu Bereitschaft, den Willen des Vaters zu erfüllen, also ihre keusche oder jungfräuliche Haltung, bezeugen jene Liebe, ‚der der Hauch eines habhaften Begehrens fehlt’. Sie leben ganz im Gehorsam gegenüber der Beziehung, die Gott mit ihnen eingeht. „Durch ihr Einverständnis wird der Ehebund zwischen Gott und Mensch geschlossen“ (S. 39). In der Sicht des Glaubens ist das Einverständnis Marias und Jesu Christi die wichtigste Tatsache der Weltgeschichte. In ihm vollzieht sich die Erlösung der ganzen Welt. Und die christliche Ehe lebt aus der Qualität der neuen Beziehung, die durch Maria und Jesus begründet worden ist. „Die Voraussetzung dafür, dass eine christliche Ehe überhaupt möglich wird, ist der jungfräuliche Konsens Christi und der Mutter Gottes, der um der Welt willen gegeben wird“ (S. 40). Und weil die Beziehung, die Christus und Maria zu Gott gelegt haben, unauflöslich ist, ist auch die christliche Ehe unauflöslich. „Der sakramentale Bund der Ehe ist unauflöslich, weil die Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur in der Inkarnation und in Marias Mutterschaft unauflöslich ist“ (S. 41). Die Ehe als Bundesbeziehung 85 Die sakramentale Ehe ist eine Bundesbeziehung, die von Gott geheiligt ist. Sie stellt diese Wirklichkeit dar und wird zugleich von ihr getragen. Ein Beispiel mag es verdeutlichen: Als die österreichische Kaisertochter Marie-Antoinette den französischen Thronfolger Louis heiratete, da war ihre Ehe nicht nur eine persönliche Beziehung, sondern sie stellte zugleich die Beziehung zwischen Österreich und Frankreich dar und wurde von ihr getragen. Als die Ehe in die Krise kam und sich Marie Antoinette bei ihrer Mutter Maria Theresia über Louis beklagte, da schrieb ihr diese, sie könne sich nicht scheiden lassen, weil dies zugleich so etwas wie die Scheidung zwischen Österreich und Frankreich bedeutet hätte. Und so hielten denn die beiden durch – und wie man hört, ist ihre Ehe dann noch recht glücklich geworden. Dass sie beide unter der Guillotine endeten, ist der Ungunst der Zeiten zuzurechnen. – Übrigens kann man sagen, dass jede Ehe nicht nur zwischen den Eheleuten geschlossen wird, sondern auch zwischen ihren Familien. Früher war das sicherlich deutlicher als heute. Und damit war auch deutlicher, dass die Scheidung der Eheleute immer auch die Scheidung im Verhältnis zwischen ihren Familien ist. Etwas in dieser Art meint Paulus, wenn er sagt: Liebt einander, „wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat!“ (Gal 5,25) Die Ehe unter Christen repräsentiert die Beziehung Christi zu seiner Kirche. Die Einheit des Ehebundes ist zugleich die Einheit des Bundes zwischen Christus und der Kirche. Paulus sagt: „Dies Geheimnis ist groß“ (Gal 5,32), denn es ist das Geheimnis (mysterion – das Wort, das dann mit ‚Sakrament’ übersetzt wird), dass überhaupt in der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel besteht. Im Hintergrund stehen die Texte aus dem Alten Testament, in denen der Bund zwischen Gott und Israel als Ehe beschrieben wird (vgl. Hosea; Jes 5,1-7 [Weinberg als Gattin]; Jer 31,10-14 [Verbindung mit dem Bild von Hirte und Herde]; Ez 16 [JHWH als Gatte Israels]. Besonders dramatisch ist Hosea (2,2-25): Israel ist wie ein ehebrecherisches Weib, wie eine Hure – gemeint ist der Götzendienst – und die Wut des betrogenen Mannes ist zunächst grenzenlos: Der Wüste will er sie gleichmachen, will sie vor Durst sterben lassen, nackt will er sie vor allem Volk ausziehen und sie entehren. Dann aber, so heißt es, wird er sie wieder zu sich locken, und es wird wieder sein wie in den glücklichen Tagen ihrer Jugend. Sie wird wieder zu ihm sagen „mein Mann“, nicht mehr „mein Baal“ (=Götze). In dieser Geschichte geht es um die Treue, die Gott zu seinem Bundesvolk hat, auch wenn es von ihm abfällt. Mit einer Schilderung des endgültigen Bundesschlusses endet die Passage bei Hosea: „Ich schließe für sie an jenem Tage einen Bund …. Dann wirst du mir angetraut auf immer, angetraut in Gerechtigkeit und Recht, in Liebe und Erbarmen.“ An dieser unlöslichen Treue Gottes hat die christliche Ehe Anteil. Auf sie hin, nicht nur auf die Liebe der Partner, wird sie geschlossen. Auf diese Treue können sich die Eheleute verlassen, auch wenn sie sich einmal nicht auf sich selbst verlassen können. Die Bundestreue Gottes fließt gleichsam in die Ehebeziehung ein und macht ihr Band aus. Die Bundestreue Gottes ist die Beziehungswirklichkeit der Ehe, der gegenüber die Partner gehorsam sind (s.o. Crawford). Zur Verdeutlichung möchte ich einige Sätze von Matthias Josef Scheeben, dem großen Theologen des 19. Jh. anführen. Scheeben will sagen, dass die Ehe nicht nur symbolisch-zeichenhaft, sondern real die Beziehung zwischen Christus und seine Kirche darstellt: „Die christliche Ehe steht in realer, in wesentlicher, innerer Beziehung zum Mysterium der Einheit Christi mit seiner Kirche; sie wurzelt in demselben, ist organisch mit demselben verschlungen und partizipiert daher auch an dem Wesen und dem geheimnisvollen Charakter desselben. Sie ist nicht einfach Symbol dieses Mysteriums oder außerhalb desselben stehendes Vorbild, sondern ein aus der Vereinigung Christi mit der Kirche herauswachsendes, von ihr getragenes und durchdrungenes Nachbild derselben, indem sie nicht nur jenes 86 Mysterium versinnbildlicht, sondern es wirklich in sich darstellt, und dadurch darstellt, daß es in ihr sich tätig und wirksam erweist.“(Die Mysterien des Christentums, Freiburg 1941, § 85, S. 496 – Scheebens Ehelehre in diesem § ist als ganze höchst lesenswert!) Die Unauflöslichkeit der Ehe Der sakramentale Ehebund ist selbstverständlich unauflöslich und dauert bis zur Trennung durch den Tod. Denn sich zu trennen würde bedeuten, Gottes Bund als auflöslich zu bezeichnen. Man würde Gott Lügen strafen – und das kann kein Christ tun. Die Rede von der Unauflöslichkeit der Ehe stellt keine Forderung auf, denn eine solche wäre eine Überforderung. Sie stellt vielmehr fest, dass die Ehe tatsächlich unauflöslich ist, so wie der Bund Gottes und Treue Christi zu seiner Kirche unauflöslich sind. Und nur deshalb, weil die Ehe unauflöslich ist, kann sie auch unauflöslich sein. Weil die Eheleute wissen, dass sie in Wirklichkeit eine unauflösliche Beziehung führen, können sie über alle Krisen und scheinbare Ausweglosigkeiten hinwegkommen. Darin liegen für sie die Kraft und die Gnade des Sakraments. Das ist nicht so schwer zu verstehen wie es zunächst scheint. In früheren Zeiten gab es nicht so viele Ehescheidungen – nicht, weil die Menschen sich mehr oder besser geliebt haben, sondern weil aufgrund der sozialen Situation der Ehe eine Auflösung der Lebens- und Familiengemeinschaft so gut wie unmöglich war. Wenn aber die Ehe in diesem sozialen Sinn unauflöslich war, dann konnte sie auch als dauerhafte Beziehung gelebt werden (aus diesem Grunde hat die Theologie früher die Unterscheidung von Naturehe und sakramentaler Ehe auch nicht so scharf gefasst). Im Unterschied zu diesen Zeiten wird die Ehe heute allerdings nicht mehr durch die äußeren Faktoren gestützt, im Gegenteil, sie wird dadurch angegriffen. Die Unauflöslichkeit liegt allein noch in der Sakramentalität der Ehe. Das ist eine neue, schwierige Situation. Aber immer noch gilt im Glauben, dass die Ehe ein Sakrament ist und damit unauflöslich. Die Kirche kann der Wiederverheiratung geschiedener christlicher Eheleute gar nicht zustimmen, weil und solange sie Gott treu bleibt und sich selbst als Bundesgemeinschaf weiß. Sie kann dies nicht tun – um Gottes willen. Ehekommunikation in Glaube, Hoffnung und Liebe Gemäß der Theologin Sigrid Brandt sind Glaube, Hoffnung und Liebe als Kommunikationsmedien der Christen zu verstehen. Ich will das einmal auf die Ehe anwenden. „Am größten unter ihnen ist die Liebe“, sagt Paulus zum Thema, und er hat recht auch in Bezug auf die Ehe: Wenn sich die Eheleute im Medium der Liebe unterhalten, dann geht es der Ehe am besten. Aber wenn die Liebe mal nicht da ist, wenn sie abhanden gekommen ist, wie heute oft gesagt wird, dann bleibt ja noch der Glaube. Man kann glauben, dass die Ehe eine Zukunft hat, und aus diesem Glauben heraus auch in der Ehe miteinander sprechen. Und selbst wenn der Glaube einmal angefochten sein sollte, dann bleibt ja immer noch die Hoffnung. Die Sprache in der Ehe kann auch in den schwierigsten Momenten davon geprägt sein, dass man noch Hoffnung für ihre Zukunft hat. Wenn dann der Zirkel von Liebe, Glaube und Hoffnung durchlaufen ist, kommt man wieder bei der Liebe an. Das Kommunizieren in diesen Medien muss man sich konkret denken. Man kann eine Ehe auch kaputtreden. Wenn man in Lieblosigkeit, in Skepsis und Verzweiflung miteinander kommuniziert („Wir haben uns nichts mehr zu sagen, zwischen uns ist alles aus“), dann zerstört das die Ehe. Glaube, Hoffung und Liebe aber bauen die Ehe auf. Sie sind gleichsam das Geschenk der Kirche an die Eheleute. KOmmunikaton in Glaube, Hoffnung und Liebe ist der konkrete Ausdruck der Unauflöslichkeit. 87 Vgl. dazu Sigrid Brandt, Sünde: Ein Definitionsversuch, in: dies., M. H. Suchoki, M. Welker (Hg.), Sünde. Ein unverständlich gewordenes Thema, Neukirchen-Vluyn 1997, 13-34 Die Ehe und die Kirche Die christlichen Eheleute bezeugen also die Liebe und Treue Gottes. Aber dazu ist es natürlich notwendig, dass jemand dieses Zeugnis wahrnimmt und sich darüber freut. Ein Zeugnis, das nicht zur Kenntnis genommen wird, ja das gar nicht verstanden wird, ist kein Zeugnis. Weil das so ist, kann eine christliche Ehe in rechter Weise nur in der Kirche gelebt werden. Fern von der kirchlichen Gemeinde verliert sie ihre Bedeutung. Es ist dann ganz schwer, sie auch zu leben. Für die Eheleute folgt daraus, dass sie mit der kirchlichen Eheschließung zugleich den Willen bekunden müssen, auch in der Kirche zu leben. Sollte das nicht der Fall sein, dann sollten sie lieber auf die kirchliche Eheschließung verzichten. Für die Gemeinden folgt daraus, dass sie sich als Resonanzraum der sakramentalen Ehen verstehen und bewähren muss. Es müssen Orte und Gelegenheiten gefunden werden, um die Wertschätzung der Ehen öffentlich zu bekunden. Dies kann z.B. durch die Feier von Ehejubiläen geschehen, durch Angebote (Kurse etc.), die sich direkt an die Eheleute wenden und sie bestärken, durch eine Rücksichtnahme auf die Erfordernisse von Ehe und Familie, wie sie die Gesellschaft ja sonst vermissen lässt. Die Kirche ist der Raum der Öffentlichkeit für die christliche Ehe, der Raum, wo sie anerkannt und bejaht wird, während die gesellschaftliche Öffentlichkeit heute der christlichen Ehe abträglich ist. 5. Zur Frage nach dem Spender des Ehesakraments Nach katholischer Lehre spenden sich die Eheleute das Sakrament gegenseitig, der Amtsträger (auch Diakon) assistiert nur. Diese Lehre entspricht der undeutlichen Unterscheidung zwischen Naturehe und sakramentaler Ehe, die sich früher aus der gesellschaftlichen Akzeptanz der unauflöslichen Ehe ergab. Deswegen galt im mittelalterlichen Eherecht der Satz "consensus faciat nuptias" (die Ehe wird durch den Konsens der Eheleute geschlossen). Es ist der "natürliche Konsens", der die Ehe macht; diese wird bei Getauften eo ipso zu Sakrament. Heute ist diese Lehre zu überdenken. Natürlicher Ehekonsens und Sakramentalität müssen deutlicher unterschieden werden. In der griechischen Orthodoxie gilt das Weihegebet des Priesters als der eigentliche Akt der Spendung des Sakraments, Spender ist also der Priester. Von einigen Theologen (z.B. M. Kunzler) wird vorgeschlagen, dieses Verständnis der Sakramentsspendung auch in der kath. Kirche zu übernehmen. August Jilek argumentiert: Der Konsens der Eheleute ist wie die Wahl oder Ernennung eines Bischofs, zu dem dann noch die Spendung des Sakraments – Ordination bzw. Segensgebet hin zukommen). Ich halte dies für einen sinnvollen Vorschlag, der mit einer neuen Besinnung auf die Sakramentalität der Ehe einhergehen muss. Literaturhinweis: August Jilek, Das Große Segensgebet über Braut und Bräutigam als Konstitutivum der Trauliturgie, in: K. Richter (Hg.), Eheschließung aaO., 18-41. 6. Zur Geschichte der Ehe Die Alte Kirche hielt sich an die Ehegesetze ihrer Umwelt. Eine spezifische Trauliturgie ist den ersten Jahrhunderten nicht nachweisbar. Papst Kallistus (2. Jh.). hat aber etwa die Ehe einer röm. Adeligen mit einem freigelassenen Sklaven anerkannt, die nach röm. Recht verboten war. Am Scheidungsverbot hielt man prinzipiell fest, kannte aber Ausnahmen (Mischehe, Ehebruch). Die Ehe stand in den ersten Jahrhunderten in Konkurrenz zum Ideal der Jungfräulichkeit. Dieses Ideal 88 verhalf vielen Frauen zur Freiheit von drückenden Ehenormen (vgl. PETER BROWN, DIE KEUSCHHEIT DER ENGEL, München 1981, 19-47) und stand im Zusammenhang des asketisch-gegenweltlichen Impulses vieler Christen. Es wurde aber nur selten gegen den Wert der christlichen Ehe ausgespielt. Augustinus (354-430) hat selbst eine Verteidigung der Ehe verfasst (De bono coniugali) und nennt drei "Ehegüter": Nachkommenschaft, Treue und das Sakrament (proles, fides, sacramentum). Im Frühmittelalter (6.-8. Jh., Merowingerzeit) hat sich die Kirche gegenüber der faktisch bestehenden polygamen Realität (Muntehen/Friedelehen) passiv verhalten, wohl aus der Einsicht heraus, dass sie ihre Ehelehre nicht durchsetzen konnte. „Nach 533 ‚hat kein fränkisches Konzil bis zur Mitte 8. Jahrhunderts eine Bestimmung über Unauflöslichkeit der Ehe erlassen’ (Paul Mikat). Man hat sich zu diesem Punkt offensichtlich ausgeschwiegen“ (Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter, Stuttgart 2001, 196; im Zusammenhang ebd. 194-196; 281f; 371f). Ich halte dies für einen bedeutsamen kirchengeschichtlichen Tatbestand, der der Kirche auch Hinweise für die heutige Praxis geben kann! Ab dem 9./10. Jh. kommt es zur weiteren rechtlichen Ausgestaltung der Ehe. Die Ehe wird nun häufig öffentlich, "in facie ecclesiae" (vor den Toren der Kirche) geschlossen, um ihren Rechtsstatus zu dokumentieren. Das kirchliche Eherecht (ab dem 12. Jh.) schafft neue Rechte und Rechtssicherheit vor allem für die Frauen: Ihre freie Einwilligung ist notwendig; die Ehe muss ohne Furcht und Zwang geschlossen werden; Brautraub etc. machen Eheschließung unmöglich; das Mindestalter wird festgesetzt (Frauen: 14, Männer: 16 Jahre); zu enge Blutsverwandtschaft, ständiges Konkubinat u.a. schließen Ehe aus. Es besteht aber im ganzen Mittelalter noch keine Verpflichtung zur öffentlichen Eheschließung (geheime Ehen=Klandestinehen). Das Mittelalter hat sich sehr auf die Rechtsfragen der Ehe konzentriert (und dabei Wesentliches für die Selbstbestimmung und die freie Partnerwahl geleistet), hingegen die theologische Bestimmung der Sakramentalität unterbelichtet gelassen. Luther lehnte die Ehe als Sakrament ab und wehrte sich gegen die vielen rechtlichen Eingriffe der Kirche. Für ihn gehört die Ehe zur Schöpfungsordnung ("weltlich Ding"); Gott gibt zu ihr den Segen; aber sie gehört nicht zur Erlösungsordnung (d.h. durch die Ehe wird keine Gnade vermittelt). Der Staat ist für die zivile und gesellschaftliche Dimension der Ehe da, die Kirche ist begleitend und beratend für die geistliche Dimension zuständig. Calvin versteht die Ehe als Bund, die der Bundesgemeinschaft des ganzen Volkes zugeordnet ist. Dementsprechend wirken eine ganze Reihe von öffentlichen und auch kirchlichen Instanzen in die Ehe hinein; sie steht bis in Schlafzimmer hinein der öffentlichen Beobachtung offen. Der Anglikanismus entwickelt ein Gemeinwohl-Modell der Ehe. Die Ehe ist das „little commonwealth“, das das größere repräsentiert und ihm zu dienen hat. Gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen werden in die Ehe projiziert und dort eingeübt (dazu John Witte aaO. 31-59). Das Konzil von Trient bestätigt die Ehe als Sakrament und schreibt die kirchlichöffentliche Eheschließung verbindlich vor (Dekret „Tametsi“, DH 1813-1816). Klandestinehen sind nun nicht mehr erlaubt. In den katholischen Ländern wird die Ehe damit der Jurisdiktion der Kirche unterworfen. Umso mehr wehrte sich die Kirche gegen die Verstaatlichung und Säkularisierung der Ehe, die massiv ab dem 19 Jh. einsetzt. Die Theologie des 20. Jh. hebt die personale Dimension der Ehe hervor und zugleich ihre ekklesiale Dimension. In der Pastoralkonstitution des Konzils "Die Kirche in der Welt von heute" (Gaudium et spes, Nr. 47-52) rückt das Ehegut der fides (Treue, gegenseitige Liebe und Verständnis; vgl. oben zu Augustinus) praktisch 89 an die erste Stelle. Es wird aber festgehalten, dass die Ehe wesentlich auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist (Nr. 50). Seit 1966 ist es durch die Enzyklika "Matrimonium mixtum" jedem Priester erlaubt, vom Ehehindernis der "Konfessionsverschiedenheit" zu dispensieren, d.h. Mischehen sind im Unterschied zu vorher möglich. 7. Zum Ritus der Ehe Nach dem "Ordo celebrandi matrimonium“ von 1969 ist die Ordnung der Trauung (die in der Regel innerhalb einer hl. Messe vorgenommen werden soll) folgende (vgl. GL 73): 1. Frage nach der Bereitschaft zu einer christlichen Ehe 2. Segnung der Ringe 3. Vermählungswort. Der große Vermählungsspruch: „Ich nehme dich an als meine Frau/meinen Mann und verspreche dir Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben, achten und ehren, bis der Tod uns scheidet.“ Es gibt auch eine kleinere Form. Er wird entweder von den Brautleuten oder vom Zelebranten gesprochen und dann mit "Ja" beantwortet 4. Bestätigung durch den Zelebranten (Die ineinander gelegten Hände werden mit der Stola umwickelt; der Zelebrant sagt: "Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen"). 5. Feierliches Segensgebet über die Brautleute 6. Fürbitten Folgte man dem Vorschlag, das Segensgebet als den eigentlichen sakramentalen Akt zu verstehen, würde deutlich: erst das Wort, das zum Element (dem Konsens) hinzutritt, macht das Sakrament! In der jetzigen Gestalt (consensus faciat matrimonium) kann dem Eindruck nicht gewehrt werden, das Sakrament sei nur ein Segen für das, was die Brautleute ohnehin tun. Zur Eheschließung können, gemäß dem Lebenscharakter des Sakraments, auch kirchliche Rituale zur Feier der Ehejubiläen treten. 8. Gescheiterte Ehen; wiederverheiratete Geschiedene Ehen können scheitern, auch die zwischen Getauften – sei es durch die Schuld eines oder beider Ehepartner, sei es durch innere oder äußere Einflüsse, die die Ehepartner überfordern. Die kath. Kirche reagiert darauf so, dass sie annimmt, im Falle des Scheiterns habe in Wirklichkeit keine sakramentale Ehe bestanden. Es kann dann eine Ehenichtigkeitserklärung vor einem kirchlichen Ehegericht erwirkt und ggf. eine neue Ehe geschlossen werden (Vgl. dazu: MARTHA W EGAN: EHESCHEIDUNG. AUSWEGE MIT DER KIRCHE, Graz: Styria 1982 – die Autorin, Richterin an der röm. Sacra Romana Rota, zeigt, dass es fast für jede Ehe einen Nichtigkeitsgrund gibt). Diesen Weg halte ich im Prinzip für richtig. Da aber das Recht fehlbar ist (und das Verfahren für viele Betroffene entwürdigend), meine ich, dass der Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten revidiert werden sollte! Wenn auch bei bestehendem Eheband (trotz staatlicher Scheidung) keine neue sakramentale Ehe möglich ist, so könnte doch nach ostkirchlichem Vorbild für eine weitere Ehe eine besondere kirchliche Segenshandlung vorgesehen werden. Aber die Frage bleibt, wie das geschehen kann, ohne die Sakramentalität und damit auch die Unauflöslichkeit der Ehe zu beschädigen. Die Kirche befindet sich in diesem Punkt in einem offenen Lernprozess. »Wie sollte die Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen?« 9. Ehen getaufter Nichtchristen Dieser Fall kommt heute allzu häufig vor, und er trägt nicht zum wenigsten dazu bei, die sakramentale Eheschließung zu einem inhaltsleeren Dekor werden zu lassen. 90 Die Kirchenrechtlerin Sabine Demel (Standesamt – Ehe – Kirche aaO.) hat vorgeschlagen, die Zivilehe zwischen Getauften kirchlicherseits als einen im Keim sakramentalen Akt, der eine gültige und erlaubte Ehe konstituiert, anzuerkennen. Die sakramentale Ehe kann folgen, wenn sich die Partner wirklich zu einer kirchlichen Ehe entschließen. Das ist das Modell der "gestuften Sakramentalität". Dabei erkennt sie – nicht ganz konsequent – auch der Zivilehe schon die Unauflöslichkeit zu. Nach jetzigem Verständnis leben standesamtlich Getraute ohne kirchliche Trauung in Sünde. Das Modell der gestuften Sakramentalität soll hier eine Lösung anbieten. Nur ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine „gestufte Sakramentalität“ theologisch zu denken. Ein bisschen Gnade, ein bisschen Unauflöslichkeit…? Und müsste dann nicht auch für Taufe, Firmung, Weihe eine solche Stufung vorgenommen werden? Demel hat den Finger auf den wunden Punkt gelegt. Ich selber sehe eine Lösung nicht in einer „Ermäßigung“ des Sakramentalen, sondern in der Akzeptanz der Kirche gegenüber nichtsakramentalen Lebensgemeinschaften. De facto wird ja auch heute schon das Zusammenleben „ohne Trauschein“ weitgehend toleriert. Erst wenn standesamtlich, aber nicht kirchlich geheiratet wird, gibt es Probleme mit der Kirche. Auch im Frühmittelalter hat die Kirche nichtsakramentale Ehegemeinschaft stillschweigend toleriert, s.o. Punkt 5. Dies scheint mit konsequenter zu sein als die Schwächung und Aushöhlung des sakramentalen Gedankens. 10. Die Dispens von der Formpflicht und die Frage des Spenders Überlegungen KUNZLERS (Leben, aaO. 486-488) folgend, kann man sich der Einsicht nicht verschließen, dass die theologische Lehre, der gemäß sich die Eheleute durch ihren Konsens das Ehesakrament selbst spenden, verhängnisvolle praktische Auswirkungen hat. Nicht nur, dass bereits im Mittelalter dagegen angekämpft werden musste, dass geheim geschlossene Ehen als sakramental gelten konnten (d.h. jedes Paar konnte sagen, es habe sich das Sakrament gespendet), sondern durch die Möglichkeit der Dispens von der Formpflicht kann eine sakramentale Ehe auch vor einem ungläubigen oder atheistischen Standesbeamten geschlossen werden, oder (auch eine kirchenrechtliche Möglichkeit): es kann durch eine nachträgliche Gültigmachung eine standesamtliche Ehe zur Würde des Sakraments erhoben werden (sog. sanatio in radice/Heilung in der Wurzel) – durch die Unterschrift der Eheleute und das Pfarrsiegel. Entspricht das dem sakramentalen Gedanken der Gnadenwirkung Gottes?! Auch eine sog. ökumenische Trauung kommt nur unter Dispens von der Formpflicht zustande (was der kath. Priester dabei tut, hat kirchenrechtlich keine Bedeutung). All dem wäre gewehrt, wenn die Kirche sich dazu verstehen würde, das feierliche Segensgebet im Traugottesdienst als den eigentlichen sakramentalen Akt und damit den Zelebranten als Spender des Ehesakraments anzuerkennen. Liegen diese Hindernisse vor, kann keine Ehe geschlossen werden. Wird sie doch geschlossen, kann sie nachträglich für nichtig erklärt werden. "Willensmängel": Scheinehe (Totalsimulation) – Furcht und Zwang (auch Ehrfurchtszwang) – Ausschluss wesentlicher Bestandteile des Ehevertrags (Nachkommenschaft, auch auf Zeit; eheliche Treue; Unauflöslichkeit; Lebensgemeinschaft) – Irrtum (über die Eigenschaft einer Person; über Einheit, Unauflöslichkeit und Sakramentalität der Ehe) – Unwissenheit – Eheschließung unter Bedingungen – Ehevertragsunfähigkeit (z.B. Geisteskrankheiten, Schizophrenie, chronischer Alkoholismus) – Mängel des Urteilsvermögens (Psychosen, innere Unreife, innere Zwänge) – Eheführungsunfähigkeit (z.B. Homosexualität, Unfähigkeit, den ehelichen Akt zu leisten, Unfähigkeit zur Treue). 91 "Ehehindernisse": Schwere und andauernde Impotenz (Beischlafunfähigkeit – impotentia coeundi – nicht Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit – impotentia generandi – ) – Mangel des erforderlichen Alters – Bestehendes Eheband – Religionsverschiedenheit – Höhere Weihen – Feierliche Gelübde – Entführung – Verbrechen (Ehebruch miteinander bei bestehenden Ehen; Gattenmord) – Blutsverwandtschaft (in gerader Linie; bis zum dritten Grad in Seitenlinie) – Schwägerschaft – Leben in ungültiger Ehe oder dauerndem Konkubinat – Geistliche Verwandtschaft (Paten) – Gesetzliche Verwandtschaft. Von einigen Ehehindernissen kann dispensiert werden, von anderen nicht. Vgl. CIC c. 1055-1065 III. Sakramente im katholischen Glauben/der Unterschied zu anderen Konfessionen Wir hatten gesagt: In jedem Sakrament geschieht eine Verwandlung. Ein Stück irdische Wirklichkeit wird durch die Gnade Gottes in das kommende Reich Gottes verwandelt. Genauer: Menschen, die unter dem Gesetz dieser Welt stehen – und dies ist das Gesetz der Selbsterhaltung – werden verwandelt in solche, die unter dem Gesetz des Reiches Gottes stehen. Jedes Sakrament ringt der Welt, in der allein das Gesetz der Selbsterhaltung gilt, ein Stück ab, in dem diesem Gesetz nicht mehr vorrangig zu folgen ist. Menschen werden durch die Sakramente zu einem Leben jenseits des Zwangs zur Selbsterhaltung (und seiner dämonischen Folgen!) befreit. Sie sind dann in der Lage, die Gebote des Reiches Gottes zu befolgen, das heißt: Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all ihrer Kraft, und dann den Nächsten wie sich selbst. Das Sakrament schafft einen Raum, in dem nicht mehr Selbsterhaltung, sondern die Ehre und die Herrlichkeit Gottes das Wichtigste sind. Dadurch wird die Welt verändert, mehr als es sonst durch irgendeine Weltverbesserungs-maßnahme möglich ist. Wenn man die Sakramente in dieser Weise versteht, kommt heraus, was eigentlich den katholischen Glauben vom Glauben anderer christlicher Kirchen unterscheidet. Katholisch ist es zu glauben, dass die Wirklichkeit Gnade oder des Reiches Gottes bereits in dieser Welt einen Ort hat, nämlich immer da, wo ein Sakrament gefeiert wird und wo aus der Gnade der Sakramente heraus inmitten der Welt eine Realität entsteht, die nicht von dieser Welt ist – die Kirche! Die Kirche wird ja durch die Sakramente auferbaut, und sie ist darum – nach dieser sakramental vermittelten gnadenhaften Seite hin, und nicht in dem, was sie von bloß menschlicher Seite ist – das in der Welt anbrechende Reich Gottes.Zu beachten ist dabei: diese zwei Seiten der Kirche können nie sauber getrennt werden, auch wenn sie theologisch unbedingt unterschieden werden müssen). Evangelische Theologie wird einer solchen Aussage nicht zustimmen können. Für sie ist ein Sakrament der Zuspruch der gnadenhaften Verwandlung von Gott her zu unseren Gunsten, das extra nos pro nobis. Es bleibt aber ein Wort von außen und kann in der Welt keine eigene Realität begründen. Es zielt nur auf den Glauben der einzelnen, begründet bestenfalls eine Glaubensgewissheit, die gerade darin besteht, alles von Gott und nichts von sich selbst zu erwarten, und die sich davor hüten wird, Gottes Gnade mit den Realitäten der Welt durcheinander zu bringen. Barth hat deshalb konsequent auf den Begriff des Sakraments verzichtet. Die orthodoxe Kirche ist, unter dieser Unterscheidung betrachtet, noch 'katholischer'. Sie betrachtet die Kirche ganz im Licht der Gnade, feiert ihre Liturgie ganz als himmlische Wirklichkeit auf Erden. Sie scheint die Unterscheidung zwischen Kirche als göttlicher und als menschlicher Gemeinschaft nicht so zu vollziehen wie die 92 katholische Kirche. Ausgedrückt in den Begriffen der Zwei-Naturen-Lehre (vgl. das Konzil von Chalcedon 451): Die katholische Kirche versucht dem "ungetrennt und unvermischt" der göttlichen und der menschlichen Natur gerecht zu werden, die evangelische insistiert auf dem "unvermischt", die orthodoxe tendiert zum "ungetrennt". Die evangelischen Freikirchen stehen auf dem Boden der evangelischen Theologie, gehen jedoch über das 'sola fide' der Reformation hinaus: nicht nur im Glauben soll die neue Wirklichkeit ankommen, sondern sie soll auch Werke hervorbringen, ihr sollen auch Werke entsprechen (z.B. die bewusste, eigenständige Entscheidung zur Taufe; deshalb die Erwachsenentaufe). Am Verständnis der Sakramente muss sich also entscheiden, welcher christlichen Kirche oder Konfession jemand angehören will! Anlage: Texte, die in der Vorlesung bearbeitet wurden 93