Theologie der Sakramente

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Prof. Dr. Thomas Ruster
TU Dortmund
Institut für Katholische Theologie
Vorlesung im WS 2002/03 und WS 2009/10
Theologie der Sakramente
Die Sakramente und das Gottesreich
Vorbemerkung: Die Passagen in grüner Schriftfarbe
enthalten die Ergänzungen aus dem WS 09/10.
Bestandteil der Vorlesung im WS 09/10 waren
Reflexionsaufgaben für die Studierenden, die jeweils in
Form eines kurzen Essays (1-2 Seiten) zu bearbeiten
waren. Die Themen dieser Reflexionsaufgaben sind im
Skript vermerkt; sie zu beachten und ggf. zu bearbeiten
trägt zur besseren Aneignung des Stoffs auch bei der
Lektüre des Skripts bei. Sie sind in roter Schrift
eingetragen.
Ferner sind einige Texte beigegeben, mit denen in der
Vorlesung gearbeitet wurde. Sie finden sich als Text 1,
Text 2 usw. nummeriert in der Anlage.
Aus dem Skript von WS 02/03 sind einige Passagen
gestrichen worden, sei es, weil sie durch neuere
Literatur überholt waren, sei es, weil sie nicht mehr in
den neuen Duktus der Vorlesung passten.
Die Literatur ist ergänzt worden.
Der jetzt vorliegende Text ist fortlaufend zu lesen und
enthält den letzten Stand der kath. Sakramentenlehre an
der TU Dortmund.
Inhaltsverzeichnis
Literatur zur allg. Sakramentenlehre
4
I. Allgemeine Sakramentenlehre
5
1. Was sind Sakramente? S. 5 2. Warum braucht das Handeln Gottes in der
Welt die Zeichen der Sakramente? S. 5 3. Was haben die Sakramente mit der
hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun? S. 5 4. Warum sind die Sakramente
Zeichen des Glaubens? S. 6
5. Über die Gefahr der Verwechslung der
„unsichtbaren Wirklichkeit“ mit dem Himmel S. 6 6. Sind die Sakramente so
etwas wie Symbole? S. 7 „Es kommt das Wort zum Element und macht das
Sakrament“: die Wandlung durch die Sakramente S. 8
8. Sakramente sind
„Koknfigurationen des Gottesreiches“ S. 8 9. Die Unterscheidung „ex opere
operato und „ex opere operantis“ S. 9 10. Überall, wo Sakramente begangen
werden, ist Kirche. Kirche ist nur da, wo Sakramente begangen werden S. 10
11. Die Kirche als „Gnadenanstalt“ S. 13 12. Die Zeitlichkeit der Sakramente:
Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Sakramenten und biblischen
Geschichten? S. 13
13. Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift
vor? S. 15 14. Sakramente und antike Mysterienkulte S. 16
15. Der Einfluss
des platonischen Bilddenkens auf das Verständnis der Sakramente S. 17
16. Was trug die Zeichentheorie des Augustinus zum Verständnis der
Sakramente bei? S. 17
17. Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die
Praxis und Theorie der Sakramente? S. 18 18. Die Kritik der Reformatoren an
der katholischen Sakramentenpraxis- und lehre S. 21
19. Neuansätze in der
katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem im Umfeld des
2.Vatkanischen Konzil. Der Ansatz Karl Rahners S. 22 20. Zusammenfassende
Darstellung der allgemeinen Sakramentenlehre: das Sakrament als
»Wandlung« S. 24
21. Wie können wir die Sakramente heute verstehen?
(Systematische Entfaltung) S. 25
II. Spezielle Sakramentenlehre
31
A. Die Initiationssakramente Taufe und Firmung
31
1. Probleme mit Taufe und Firmung heute S. 31 2. Biblische Schlüsselszenen
S. 31 3. Theologie der Initiationssakramente S. 34 4. Aus der Geschichte von
Taufe und Firmung S. 35 5. Der Ritus der Kindertaufe S. 38 6. Der Ritus der
Firmung S. 38 7. Die Elemente der sakramentalen Zeichen S. 39 8. Ist die
Kindertaufe zu rechtfertigen? S. 39 9. Ist die Taufe heilsnotwendig? S. 40
B. Das Sakrament der Eucharistie
41
1. Probleme mit der Eucharistie heute S. 41 2. Zum Verstehen der Eucharistie
(Grundsätze) S. 41
3. Biblische Schlüsselszenen S. 42
4. Das Letzte
Abendmahl S. 42
5. Zur Theologie der Eucharistie S. 45
6. Aus der
Geschichte der Eucharistie S. 51 7. Die Feier der Eucharistie S. 54 8. Das
ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft 55
C.
Das Sakrament der Buße
56
1. Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und
Vergebung S. 56
2. Biblische Schlüsselszenen S. 57
3. Zur Theologie der
2
Buße S. 59
4. Zur Geschichte der Buße S. 60
5. Die heutige Ordnung der
Buße S. 62 6. Zur Rolle des Priesters S. 63 7. Zur Beichte der Kinder S. 63
D. Das Sakrament der Krankensalbung
64
1. Probleme mit der Krankensalbung heute S. 64 2. Gedanken über Krankheit,
Gesundheit und Heilung S. 64
3. Biblische Schlüsselszenen S. 65
4. Zur
Theologie der Krankensalbung S. 67 5. Zur Geschichte der Krankensalbung
und der "letzten Ölung" S. 68 6. Ritus und Element der Krankensalbung S. 69
7. Spendung durch Priester oder durch Laien? S. 69
8. Krankensakrament
oder Sterbesakrament? S. 70
E. Das Sakrament der Ordination (Weihe)
71
1. Probleme des Amtes in der katholischen Kirche S. 71
2. Biblische
Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament S. 72
3. Zur Theologie des
Weihesakramentes S. 74 4. Zur Geschichte des Weihesakraments S. 77 5.
Zum Ritus und den Zeichen der Weihe S. 78
6. Zum Zölibat S. 79
7. Zur
Frauenordination S. 80 8. Perspektiven für die Entwicklung des Amtes in der
Kirche. Ein Vorschlag S. 81
F. Das Sakrament der Ehe
83
1. Schwierigkeiten der Ehen heute S. 83 2. Vorbemerkung zur theologischen
Betrachtung der Ehe S. 84
3. Biblische Schlüsselszenen S. 85 4. Zur
Theologie der Ehe (Die Sakramentalität der Ehe) S. 86 5. Zur Frage nach dem
Spender des Ehesakraments S. 89 6. Zur Geschichte der Ehe S. 89 7. Zum
Ritus der Ehe S. 91 8. Gescheiterte Ehen; wiederverheiratete Geschiedene S.
91 9. Ehen getaufter Nichtchristen S. 91 10. Die Dispens von der Formpflicht
und die Frage des Spenders S. 92 11. Ehehindernisse nach dem Kirchenrecht
S. 92
III. Sakramente im katholischen Glauben
/der Unterschied zu anderen Konfessionen
93
Anlagen: Texte, die in der Vorlesung studiert wurden
3
Literatur zur allgemeinen Sakramentenlehre
BORNKAMM, Günter: , in: Theol. Wörterbuch zum NT 4, 809-834 [biblische Grundlagen]
DORNSEIFER, Thomas; SCHLICHTER, Christian: Die sieben Sakramente der katholischen Kirche. Eine
Orientierung nicht nur für Fernstehende, Paderborn 2009
FABER, Eva Maria: Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt 2002
[Dort auch gut gegliederte Hinweise auf weitere Literatur]
FINKENZELLER, Josef: Die Lehre von den Sakramenten im Allgemeinen: Von der Schrift bis zur
Scholastik, Freiburg 1980; Von der Reformation bis zur Gegenwart, Freiburg: Herder 1981 (Handbuch
der Dogmengeschichte IV,1) [Theologiegeschichte]
HARLAN, Volker: Die sieben Substanzen der Sakramente – Wasser, Salz, und Asche – Brot und Wein
– Weihrauch – Öl, Stuttgart 2008 [aus anthroposophischer Sicht]
HAUKE, Manfred; STIECKELBROECK, Michael (Hg.): Donum Veritatis. Theologie im Dienst an der Kirche,
Regensburg 2006 [daraus die Beiträge von Pedro Rodriguez, Der „geistige Kult des Neuen Bundes
nach der Lehre des Thomas von Aquin, S. 135-152; M. Stückelbroeck, Abbild und Wandlung. Ansätze
zu einer Theologie des Ritus, S. 153-170; ferner Beiträge zu den Einzelsakramenten, die an ihrem Ort
aufgeführt werden]
HEMPELMANN, Reinhard: Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im
evangelisch-katholischen Dialog, Göttingen 1992
HÖHN, Hans Joachim: spüren. Die ästhetische Kraft der Sakramente, Würzburg 2002 (Reihe
GlaubensWorte)
KOCH, Günther: (Hg.), Sakramentenlehre, 2 Bde., Graz 1991 (Texte zur Theologie. Dogmatik 9, 1/2)
[Quellensammlung]
KASPER, Walter; BIESINGER, Albert; KOTHGASSER, Alois (Hg.): Weil Sakramente Zukunft haben, Mainz
2008
KUNZLER, Michael: Leben in Christus. Eine Laienliturgik zur Einführung in die Mysterien des
Gottesdienstes, Paderborn 1999 [Liturgie, Ritus, Liturgiegeschichte]
KUNZLER, Michael: Die Liturgie der Kirche, Paderborn 1995
LIES, Lothar: Neue Elemente in der deutschsprachigen Sakramententheologie, in: Zeitschrift für
Katholische Theologie 119 (1997) 296-322. 415-433
MEßNER, Reinhard: Einführung in Liturgiewissenschaft, Paderborn u.a. 2001
NOCKE, Franz Josef: Sakramentenlehre, in: Theodor Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik Bd. 2,
Düsseldorf 1992, 188-376 [umfassende Darstellung]
SIMONIS, Walter: Lebenszeichen der Kirche. Sakramentenlehre, Düsseldorf 2006
STOSCH, Klaus von: Einführung in die Systematische Theologie, Paderborn u.a. 2009
VORGRIMLER, Herbert: Sakramententheologie, Düsseldorf 31992
W ENZ, Gunther: Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt 1988 [evangelische
Lehre].
Wenz, Gunther: Kirche. Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht
(Studium Systematische Theologie Bd. 3), Göttingen 2005
4
I. Allgemeine Sakramentenlehre
1. Was sind Sakramente?
Sakramente sind zunächst einfach rituelle Vollzüge im Gottesdienst der Kirche. Zu
ihnen gehören bestimmte materielle Elemente (Wasser, Öl, Wein, Brot),
Handlungsabläufe (Handauflegung, Salben, Brechen des Brotes, Essen usw.) und
gesprochene Worte (Gebete, Lesungen aus der hl. Schrift, Versprechen, Formeln).
Die Elemente, Handlungen und Worte der Sakramente bilden zusammen das
Sakrament als Zeichen.
Nach dem Glauben der Kirche ereignet sich in diesen Vollzügen etwas: Gott handelt
an Menschen. Sakramente sind also gottesdienstliche Vollzüge, in denen Gott in der
Welt etwas tut. Dass Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der nicht zur
Welt gehört, in der Welt etwas tut, und zwar in der Bindung an die bestimmte Gestalt
eines kirchlich-rituellen Vollzugs, ist das Besondere und Einzigartige der
Sakramente.
2. Warum braucht das Handeln Gottes in der Welt die Zeichen der Sakramente?
Gott ist kein Teil dieser Welt. Was er ist und tut, kann in der Welt nicht vorkommen.
Alles, was in der Welt vorkommt oder getan wird, ist nicht Gott. Die Welt hat keine
Kategorien für Gott und sein Handeln. Darum kann auf das Tun Gottes nur
zeichenhaft verwiesen werden. Die Zeichen der Sakramente sind so zu verstehen,
dass darin auf das nicht-weltliche Tun Gottes verwiesen wird. Das ist etwas
Einzigartiges und kann mit nichts anderem verglichen werden! Die Elemente,
Vollzüge und Worte der Sakramente sind, so sagt die Theologie, das sichtbare
Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit. Weil aber in diesen Zeichen nicht nur auf
den außerweltlichen Gott verwiesen wird, also nicht nur aus der Welt
hinausgewiesen wird, sondern er in diesen Zeichen wirklich etwas tut, sind die
Sakramente als Zeichen die Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Welt. Sie sind,
so sagt die Theologie, wirksame Zeichen, Zeichen, die bewirken, was sie
bezeichnen.
3. Was haben die Sakramente mit der hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun?
Nur aus der hl. Schrift wissen wir, dass Gott, der nicht zur Welt gehört, in der Welt
gehandelt hat. Er hat den Mose berufen, hat das Volk Israel aus Ägypten
herausgeführt, hat am Sinai das Gesetz gegeben usw. Die hl. Schrift ist das einzige
Dokument, dass das Handeln des außerweltlichen Gottes in der Welt bezeugt.
Darum haben alle Sakramente einen konstitutiven Bezug auf die hl. Schrift. Sie
zeigen an, dass Gott nicht nur damals gehandelt hat, sondern auch heute noch
handelt.
Für die Christen ist, im Unterschied zu den Juden, das Handeln Gottes in Jesus
Christus das wichtigste Handeln Gottes in der Welt. Denn durch Jesus Christus sind
sie in das Volk und die Bundesgemeinde Gottes aufgenommen worden. Ohne Jesus
Christus könnten sie nicht sagen, dass Gott auch an ihnen (nicht nur am Volk Israel)
gehandelt hat und weiter handelt. Darum erklärt die Theologie, dass alle Sakramente
durch Jesus Christus eingesetzt worden sind.
Diese Einsetzung durch Jesus Christus braucht nicht bei allen Sakramenten auf
spezielle Einsetzungsakte Jesu Christi zurückgeführt werden. Sie ist schon darin
gegeben, dass die Christen ohne Jesus Christus vom Handeln Gottes gar nicht
betroffen wären und deshalb auch nicht daran glauben könnten.
5
4. Warum sind die Sakramente Zeichen des Glaubens?
Da Gott kein Teil der Welt ist und sein Handeln in den Kategorien der Welt nicht
erkannt werden kann, muss man glauben, dass Gott in der Welt gehandelt hat und
weiter handelt. Das heißt: Weltlich kann man erkennen (wenn man den Nachrichten
der Bibel Glauben schenkt), dass ein Mann Namens Mose sich berufen fühlte, die
israelitischen Sklaven aus Ägypten herauszuführen – aber man muss glauben, dass
es wirklich Gott war, der ihn berufen hat (Ex 3). Man kann erkennen, dass die
israelitischen Sklaven wirklich aus Ägypten herausgekommen sind und dabei das
Heer des Pharaos vernichtet worden ist – aber man muss glauben, wenn es heißt:
"Singen will ich Ihm, denn er ist hocherhaben, Ross und Reiter warf er ins Meer" (Ex
15,1). Man kann das Gesetz vom Sinai für eine damals zeitgemäße Sammlung von
Vorschriften halten, die Israel zum großen Teil aus seiner Umwelt übernommen hat –
aber man muss glauben, wenn es heißt: "Nun redete Gott alle diese Worte" (Ex
20,1). Und man kann Jesus für einen galiläischen Wanderprediger mit einer mehr
oder weniger beachtlichen Botschaft halten – aber man muss glauben, wenn er von
sich sagt: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9). Ebenso kann
man sehen, dass in der Eucharistie Brot und Wein gesegnet und zum Essen verteilt
werden – aber man muss glauben, wenn Jesus sagt: "Das ist mein Leib, der für euch
hingegeben wird / Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das für euch
vergossen wird" (Lk 22,19-29).
Die Wirklichkeit, die sich in den Sakramenten anzeigt, ist also nur dem Glauben
zugänglich. Sie sind Zeichen für den Glauben oder einfach Zeichen des Glaubens.
Man sieht, dass der Glaube die Realität dessen, was geschieht und zu sehen oder
zu hören ist, nicht verleugnet, sondern voraussetzt. Diese Realität wird ihm eben
zum Zeichen. Im Glauben wird etwas an den Dingen wahrgenommen, was ohne
Glauben nicht zu erkennen ist.
»Meine letzte Begegnung mit einem Sakrament – womit kann ich die vergleichen?«
5. Über die Gefahr der Verwechslung der „unsichtbaren Wirklichkeit“ mit dem
„Himmel“
Oben (unter 2.) wurde gesagt: Sakramente sind sichtbare Zeichen für eine
unsichtbare Wirklichkeit. Nun gibt es aber auch in der Welt unsichtbare
Wirklichkeiten. Die hl. Schrift und mit ihr die Theologie nennen den Teil der Welt, der
unsichtbaren und unverfügbaren Wirklichkeiten vorbehalten ist, den Himmel.
Vgl. das nizänische Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen
Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, des Sichtbaren und des Unsichtbaren."
Die Existenz unsichtbarer und unverfügbarer Wirklichkeiten in der Welt ist Realität,
auch wenn sie eben nicht sichtbar sind. Aber z.B. der Verlauf der Zeit, kosmische
Kräfte, die Vergangenheit, die Zukunft, die Wirkung kultureller Traditionen, die Macht
der Liebe, die Unentrinnbarkeit des Todes usw. sind Realitäten, wenn auch
unsichtbare.
Auf den Himmel als den unsichtbaren Teil der Welt richten sich die Religionen.
Judentum und Christentum, die sich auf Gott als den Schöpfer des Himmels und der
Erde beziehen, gehören darum im strengen Sinne nicht zu den Religionen.
Weil es nun so schwer ist zu glauben, dass Gott wirklich in den Sakramenten
handelt, kann man leicht zu der Auffassung kommen, die unsichtbare Wirklichkeit,
auf die die Sakramente verweisen, sei die Wirklichkeit des Himmels. Auch dann
wären sie ja noch unsichtbare Zeichen unsichtbarer Wirklichkeit, und sie könnten
sogar auch als religiöse Zeichen verstanden werden.
Die Ähnlichkeit der sakramentalen Vollzüge mit Vollzügen in anderen Religionen gibt
darüber hinaus zu dieser Meinung Anlass.
6
Darum ist es so wichtig, auf das dritte Element der Definition der Sakramente zu
achten:
1. sichtbares Zeichen – 2. unsichtbarer Wirklichkeit – 3. eingesetzt durch Jesus
Christus. Erst die Einsetzung durch Jesus Christus macht klar, dass es sich bei der
unsichtbaren Wirklichkeit nicht um himmlische Wirklichkeit, sondern um das Tun
Gottes in der Welt handelt.
Der Begriff der unsichtbaren Wirklichkeit ist also vieldeutig und darum
missverständlich. Unter Wirklichkeit verstehen wir in der Regel etwas, das in der Welt
vorkommt. Besser ist es darum, von der Gnade der Sakramente zu sprechen. Gnade
ist eine Gabe, die von Gott kommt, und nicht aus der Natur bzw. der Welt (Natur ist
der theologische Gegenbegriff zu Gnade).
Sakramente sind also äußere Zeichen für innere Gnade, eingesetzt durch Jesus
Christus.
6. Sind die Sakramente so etwas wie Symbole?
Heute werden Sakramente gerne mit Symbolen zu verglichen oder gar einfach als
Symbole bezeichnet. Das ist aber problematisch, denn Symbole sind eine bestimmte
Kategorie weltlicher Zeichen, die nur auf anderes in der Welt verweisen können.
Gottes Tun kann in Symbolen nicht bezeichnet werden.
Auf den ersten Blick haben Symbole viel mit den Sakramenten gemeinsam. Auch sie
sind äußere Zeichen, die auf eine von ihnen verschiedene Wirklichkeit, etwas
Unsichtbares oder Nicht-Begriffliches, verweisen, und zwar so, dass dieses
Unsichtbare im Sichtbaren in gewisser Weise schon gegeben ist. Sie sind also nicht
nur reine Zeichen, die mit dem Bezeichneten keinen inneren Zusammenhang haben.
Zu einem richtigen Symbol gehört, dass man das Symbolisierte nicht erklären kann.
Es ist etwas Nicht-Begriffliches, das nur in der Weise des Symbols vergegenwärtigt
werden kann. Symbole sind mehr als nur ins Bild gesetzte Begriffe. Will man sie
erklären, zerstört man sie. Ein Kuss ist vielleicht ein Symbol für Liebe, ein Geschenk
vielleicht für Dankbarkeit, Brot vielleicht für herzliche Mahlgemeinschaft und
Verbundenheit, ein Baum vielleicht für Lebenskraft und Wachstum. Ohne das
Symbol kann das Gemeinte nicht zureichend verdeutlicht werden. Wer sagt, dass er
eine Frau liebt, aber sie niemals küsst... Wer Dankbarkeit vorgibt, aber sich niemals
dankbar erweist, der ist es wohl auch nicht. Das vielleicht in diesen Beispielen deutet
übrigens an, dass ein Symbol nicht in jedem Falle auf die innere, unsichtbare
Wirklichkeit verweisen muss; man kann auch küssen, ohne zu lieben (Judas!). Um
eindeutiger zu werden, sind auch die Symbole auf das Wort angewiesen. Jemand
küsst und sagt Worte der Liebe – dann ist die Sache klar, aber nur, wenn man den
Worten glaubt. Es könnte ja auch eine Lüge sein. Also haben die Symbole auch das
mit den Sakramenten gemeinsam, dass sie auf eine bestimmte Art von Glauben
angewiesen sind.
Nichts in der Welt kann von sich aus Gottes tun anzeigen. Symbole verweisen von
etwas Sichtbarem in der Welt auf etwas Unsichtbares in der Welt, Sakramente
dagegen auf das Tun Gottes, das nicht von dieser Welt ist, aber in dieser Welt
stattfindet. Das Glaubensgeheimnis der Sakramente ist einzigartig und kann
deswegen mit nichts anderem verglichen werden. Vergleicht man es mit dem
Symbolischen, unterläuft allzu leicht die oben genannte Verwechslung von Gott und
Himmel.
Die theologisch präzisen Fragen zum Verhältnis von Symbol und Sakrament lauten:
Wie kommt die Kraft des Symbolischen in den Sakramenten vor? Und: Wie werden
7
die symbolischen Gehalte der sakramentalen Zeichen im Sakrament verwendet und
umgedeutet, um das Einzigartige zu bezeichnen, um das es im Sakrament geht?
Literatur zum Verhältnis von Symbol und Sakrament: H.-J. Höhn aaO. 43-53; Michael Meyer-Blank, Vom
Symbol zum Zeichen, in: Ev. Theologie 55 (1995) 337-351; Thomas Zeilinger, Zwischen-Räume –
Theologie der Mächte und Gewalten, Stuttgart 1999, 115-143.
7: „Es kommt das Wort zum Element und macht das Sakrament“: die
Wandlung durch die Sakramente
Dieser Satz stammt von Augustinus (354-430). Er soll uns als Leitfaden für die
gesamte Sakramentenlehre dienen. Viel besser als der vieldeutige Symbolbegriff
erfasst er, wie das Sakrament zur Wirklichkeit und dem Leben der Menschen steht.
Diese menschliche Wirklichkeit ist mit dem Begriff „Element“ bezeichnet. Darunter
sind zu verstehen die materiellen Elemente in den Sakramenten (Wasser, Brot,
Wein, Öl – in das klassischen Theologie „materia remota“/entfernte Materie genannt)
sowie auch die Handlungen, in denen sie verwendet werden (Waschen, Mahlzeit
halten, Salben, Handauflegen – in der Theologie „materia proxima“/nahe Materie
genannt; mit dieser Unterscheidung ist gesagt, dass die materiellen Elemente ihre
Bedeutung primär im Zusammenhang der Handlung haben, in der sie verwendet
werden). Wenn man hier weiterforscht, dann erkennt man, dass die Elemente der
Sakramente auf die Grunderfahrungen des menschlichen Lebens bezogen sind:
Geborenwerden, in das Leben aufbrechen und Verantwortung übernehmen,
Ernährung und die Gemeinschaft der Mahlzeit, Schuld und Schulden, Krankheit, ein
Amt übernehmen, heiraten und eine Familie sein. Zu diesen Elementen kommt nun,
so sagt Augustinus, das Wort Gottes hinzu. Und dadurch werden sie verwandelt und
werden zum Sakrament. Sie bekommen eine andere Bedeutung und Stellung im
Leben. Diese Elemente sind jetzt nicht mehr nur Akte von Lebewesen, die, quasi wie
die Tiere, für ihre Selbsterhaltung sorgen, sie werden Teil der Wirklichkeit des
Gottesreiches, in der Menschen zum Lobe und zur Ehre Gottes leben. Sakramente
verwandeln Menschen von „findigen Tieren“ zu Bürgern des Gottesreiches.
8. Sakramente sind „Konfigurationen des Gottesreiches“
Mit dieser Definition meine ich die Sakramente am besten beschreiben zu können.
Sakramente „konfigurieren“ die Elemente des Lebens zu einer neuen Anordnung, so
dass sie etwas anderes darstellen – so wie im Computer die Zeichen konfiguriert
werden. Aus der Computer- und Internetwelt wissen wir auch, dass Wirklichkeit
virtuell ist: Nichts ist so wie es scheint, nichts muss so bleiben wie es ist; alles kann
auch ganz anders gesehen werden und damit anders werden. Die Sakramente
konfigurieren nun die „Zeichen“ der Welt so, dass das Bild des Gottesreiches
entsteht. Sie realisieren somit die Wirklichkeit des Gottesreiches bereits in dieser
Welt. Sie stellen die Menschen, die die Sakramente begehen, in gottesreichartige
Situationen.
Was ist denn aber das „Reich Gottes“? Dazu hier nur ganz kurz und einfach: Das
Gottesreich ist da, wo Gott als Herr anerkannt wird und sein Wille getan wird. Das ist
ja so wie bei jedem „Reich“. „Frankreich“ ist da, wo die französische Regierung
anerkannt wird und die französischen Gesetze gelten; im Prinzip ist das auch im
Gottesreich nicht anders. Aber was heißt es denn, Gott als Herr anzuerkennen und
seinen Willen zu befolgen? Gott ist der Ewige, der Allmächtige, der Herr über Leben
und Tod – und dann bedeutet seine Anerkennung als Herr des Gottesreiches, dass
keine andere Macht auf Erden mehr über uns Gewalt hat. Gott ist die Wahrheit – und
nichts, was ihm widerspricht, kann wahr sein. Sein Wille ist wahr und gut und gerecht
– wenn man also diesen Willen befolgt, dann tut man das Wahre und Gute und
Gerechte. Gott hat sich in Schöpfung und Auferstehung als Herr über den Tod
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erwiesen – die Bürger des Gottesreiches sind dem Gesetz aller Sterblichen, der
Bestimmung zum Tode, nicht mehr unterworfen. Sie sind nicht mehr Teil unserer
gegenwärtigen „Kultur des Todes“, wie Papst Johannes Paul II. das so treffend
genannt hat. Die Sakramente sind also gar nichts Natürliches. Sie sind streng
„übernatürlich“. Sie realisieren ein Leben, das nicht mehr der Ordnung der Natur (die
immer eine Ordnung des Lebens zum Tode ist) folgt, sondern der Ordnung des
ewigen Lebens.
Machen wir uns das für die einzelnen Sakramente klar:
Taufe: Ein Mensch, der unter der Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel steht, wird
in einen freien Menschen verwandelt, der diesen Mächten nicht mehr unterworfen ist.
Firmung: Ein Mensch, der nicht anders kann als in allem die eigene Selbsterhaltung
zu betreiben, wird verwandelt in jemandem, dem die Ehre Gottes das Wichtigste im
Leben ist und der deshalb das Gute tun kann. Er kann nun gerecht sein.
Eucharistie: Eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht anders wissen als dass
der Tod die letzte Macht im Leben ist und für die deshalb das Essen immer auch
eine Vernichtung von anderem Leben bedeutet), wird verwandelt in eine
Gemeinschaft, die den Sieg des Lebens über den Tod zur Grundlage ihres Lebens
macht. Sie folgt nicht mehr dem Gesetz „Fressen und Gefressenwerden“.
Buße: Ein Mensch, der wegen der in der Vergangenheit angehäuften Schuld nicht
frei ist, das Gute zu tun, wird verwandelt zu einem, der neu anfangen kann.
Krankensalbung: Ein Mensch, der körperliche, psychische oder geistige
Beeinträchtigungen hat und deshalb vor der Welt als krank gilt, also aus dem Bereich
der Gesunden ausgegrenzt wird, wird verwandelt in jemanden, den die Gemeinde als
gesund ansieht, dessen Beeinträchtigungen ihn also nicht aus dem Bereich der
Gesunden ausgrenzen.
Ordination: Ein Mensch wie jeder andere wird verwandelt in jemanden, der vor der
Gemeinde in Namen Gottes auftreten und handeln kann.
Ehe: Eine menschliche Zweck- und Gefühlsgemeinschaft wird in eine Gemeinschaft
des Bundes verwandelt, das heißt in eine Gemeinschaft selbstloser Liebe und Treue.
»Was verstehe ich unter dem „Reich Gottes“?«
9. Die Unterscheidung „ex opere operato“ und „ex opere operantis“
Aber wie kann man so etwas sagen – die Sakramente realisieren das Gottesreich auf
Erden! –, ohne einerseits in einen kirchlichen Triumphalismus („Die Kirche ist das
Reich Gottes auf Erden!“) und andererseits in tiefe Resignation zu verfallen („Die
Kirche, das soll es schon gewesen sein?“). An diesem Punkt ist die in der Überschrift
genannte Unterscheidung so wichtig, die die mittelalterliche Theologie
herausgebildet hat. „Ex opere operato“, übersetzt: „Das Werk, insofern es getan
wird“, bewirken die Sakramente tatsächlich die Verwandlung der Welt in das Reich
Gottes. In den Sakramenten ist ja schon alles da, was zum Gottesreich gehört. Die
Menschen werden als Bürger in Gottes Reich aufgenommen; sie empfangen den
Heiligen Geist und werden gerecht, sie loben und preisen Gott, bringen ihre Gaben in
Dankbarkeit dar und erhalten sie verwandelt wieder als Brot des ewigen Lebens; sie
bekommen wirklich ihre Schuld vergeben; sie sind auch mit ihren Krankheiten und
Behinderungen ganz und gar in die Gemeinschaft integriert; einige von ihnen können
gültige Amtshandlungen des Gottesreiches durchführen; Frau und Mann gehen
einen unauflösbaren Bund des Lebens miteinander ein. Aber „ex opere operantis“,
übersetzt: „Das Werk dessen, der handelt“, muss das alles erst noch werden: Leben
in Freiheit von den Mächten des Todes, Leben in der Gerechtigkeit des Geistes,
Gemeinschaft in der Ökonomie der Dankbarkeit und des Teilens usw. Ohne den
9
Weg von „vollzogenen Werk“ zum „Werk des Vollziehenden“ (so kann man auch
übersetzen) blieben die Sakramente Illusion oder bloße Magie. Sie führen in ein
neues Leben – aber wenn niemand dieses Leben lebt, dann bleiben sie unwirksam.
Das klingt jetzt so, als ob die Sakramente einen ungeheuren Anspruch erheben
würden: Ihr sollt die Mächteüberwinden, sollt gerecht sein usw. Das wäre eine
Überforderung! Aber es ist nicht so, sondern: Wir sind ja in den Sakramenten schon
das geworden, was sie bezeichnen, und brauchen es dann nur noch zu werden. Das
Prinzip der Sakramente ist nicht ein ethischer Anspruch, sondern das „Werde was
du bist“. Nur das muss noch geschehen, dass wir werden, was wir von den
Sakramenten her schon sind. Oder anders gesagt: Wir können zu unserer Wahrheit
kommen und alle Unwahrheit über uns („Ach, ich bin doch so gering“) und die Welt
(„Die Welt ist nun mal so, nämlich schlecht“) ablegen.
10. Überall, wo Sakramente begangen werden, ist Kirche. Kirche ist nur da, wo
Sakramente begangen werden
Der Raum, der durch die Anerkennung von Gottes Dasein und Herrschaft entsteht,
ist die Kirche. Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, d.h. der Menschen, die
Gottes Herrlichkeit anerkennen und ihm vor allem anderen, vor allem vor sich selbst,
die Ehre geben.
Man kann es sich am Doppelsinn von Kirche – als Gemeinschaft der Gläubigen und als Gebäude –
klarmachen. Geht man in eine Kirche, dann sieht man: Hier wird Gott die Ehre gegeben. Dieses
Gebäude existierte gar nicht, wenn da nicht Menschen wären, die der Ehre Gottes in ihrem Leben
Raum geben. Und dieser Raum ist die Kirche.
In den Sakramenten vollzieht sich das, was Kirche ist. Sakramente sind, so kann
man mit Karl Rahner sagen, der Grundvollzug von Kirche (vgl. dazu FABER, 52).
Indem die Kirche das tut, was sie in den Sakramenten tut, weist sie den Raum aus,
in dem Gottes Herrlichkeit anerkannt wird, in dem es also um ihn und nicht um die
natürliche Selbsterhaltung der Menschen geht, und dabei entsteht sie als Kirche. Das
II. Vatikanum sagt deswegen zu Recht: "Die Kirche ist ja in Christus gleichsam selbst
das Sakrament" (Lumen Gentium, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Nr. 1).
In jeder Eucharistiefeier entsteht Kirche von Neuem. Die Gemeinde versammelt sich im Namen des
Herrn. Sie bekennt ihre Sünden: dass die Gläubigen sich selbst und nicht Gott die Ehre gegeben
haben (Kyrie). Sie preist die Ehre Gottes (Gloria). Sie vergegenwärtigt sich die Geschichte Gottes mit
den Menschen (Lesung/Evangelium) und lässt sich aufs Neue in diese Geschichte hineinziehen
(Predigt). So kann sie sich zu ihrem Glauben bekennen (Glaubensbekenntnis). Sie ist nun bereit, ihre
Gaben nicht für sich sondern für Gott darzubringen (Gabenbereitung). Sie bekennt die Herrlichkeit
Gottes und seine Überlegenheit über alle Mächte und Gewalten (Sanctus). Sie betet den großen
Lobgesang von der Herrlichkeit und den Taten Gottes in Christus (Hochgebet). Dabei verwandelt sich
ihr die Welt und ihre Elemente zu Zeichen der Gegenwart Gottes in Christus (Wandlung/Realpräsenz).
Sie kann nun in das Gebet Jesu einstimmen, das Gott die Ehre gibt und um die Erfüllung seines
Willens bittet (Vater unser). Sie weiß nun, dass die Welt das Erbarmen Gottes nötig hat und bittet
darum (Agnus Dei). Sie versammelt sich erneut zur Mahlgemeinschaft des Herrn und erfährt, dass sie
aus eine Ansammlung je um ihre Selbsterhaltung besorgter Individuen zur Gemeinschaft der Liebe
verwandelt worden ist (Kommunion). Dafür dankt sie Gott im Schlussgebet. – Darum erklärt die
"Konstitution über die heilige Liturgie 'Sacrosanctum Concilium'" des II. Vatikanums, Nr. 10: "... die
Liturgie ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre
Kraft strömt."
Man kann den Zusammenhang von kirchlichem und göttlichem Handeln in den
Sakramenten auch so beschreiben: Die Sakramente sind das, was noch zu tun ist,
wenn die Herrlichkeit Gottes anerkannt ist. Sie sind das Handeln in dem Raum, der
durch den Glauben an Gott entstanden ist. Nämlich: Menschen aus der Herrschaft
der Mächte und Gewalten befreien, Schuld vergeben, Krankheit nicht mehr als
10
Ausgrenzung definieren, sich auf eine lebenslange Bindung einlassen usw. Dass
solches Tun möglich ist, d.h. dass überhaupt Sakramente begangen werden können,
ist das Heil oder die Gnade der Sakramente.
Lit. zum Zusammenhang von Kirche und Sakrament: THOMAS FREYER, 'Sakrament'- was ist das?, in:
Theol. Quartalschrift [ThQ] 178 (1998) 39-51 [etwas kompliziert aber lesenswert]
Wenn man den Zusammenhang zwischen den Sakramenten und der Kirche bedenkt,
entsteht die Frage nach dem Verhältnis zwischen der gerade ihre Sakramente
feiernden Gemeinde und der universalen Weltkirche. Das ist eine schwierige
ekklesiologische Frage. Dazu hier nur so viel: Überall, wo ein Sakrament begangen
wird, ist Kirche im Vollsinn und ohne jede Einschränkung da. Die Gemeinde, die ein
Sakrament feiert, ist in dem Augenblick nicht nur eine Filiale der Weltkirche. Und
dennoch ist auch die universale Kirche wirklich Kirche. Das Glaubensbekenntnis zur
„einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ ist jedenfalls nicht nach dem
Modell „Das Ganze und seine Teile“ oder „Der Konzern und seine Filialen“ zu
beschreiben. Es ist viel komplexer. Das Ganze ist in jedem Teil schon da, und doch
bilden alle Teile ein Ganzes.
Lit.: Diese Frage ist vor allem zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche kontrovers.
Vgl. dazu: PETER PLANK: Die Eucharistieversammlung alsKirche. Zur Entstehung und Entfaltung der
eucharistischen Ekklesiologie Nikolaj Afana’evs (193-1966), Würzburg 2000.
Die folgende Skizze stellt den Zusammenhang zwischen Kirche und Sakramenten
dar. Zu achten ist auf den Prozesscharakter der Sakramente, der durch die Pfeile
angedeutet wird.
11
11. Die Kirche als „Gnadenanstalt“
Bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) finden wir in der katholischen Kirche eine
ungebrochene Sakramentenpraxis. Das Verständnis der Sakramente war damals
gebunden an die Auffassung der Kirche als Heilsanstalt. Dem lag folgendes
theologisches Modell zugrunde:
- Gott ist der Urheber aller Gnade.
- Christus hat durch seine Menschwerdung und seinen Opfertod die Gnade Gottes
erworben oder verdient.
- Christus hat dann die Kirche begründet, ihr die Verwaltung der Gnade übertragen
und die Sakramente als Mittel zur Verteilung der Gnade eingesetzt.
- Die Kirche teilt die Gnade durch die Sakramente, und zwar mittels der kirchlichen
Amtsträger, aus. Es handelt sich um amtliche Gnadenvermittlung.
Die Kirche galt hier also als Heilsanstalt, an die man sich in Sachen Gnade ebenso
zu wenden hatte wie an die Krankenanstalt in Sachen Krankenbehandlung oder an
das Finanzamt in Sachen Steuern – ganz unabhängig von der Qualität dieser
Anstalten oder Ämter.
Literatur dazu: FRANZ DIEKAMP, Katholische Dogmatik, Münster 1922, Bd. III: "Die Lehre von den
Sakramenten", 2-64 [dies ist eine vorkonziliare neuscholastische Dogmatik, die das traditionelle kath.
Sakramentenverständnis umfassend darlegt];
MICHAEL EBERTZ, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus. Die Erosion der 'Gnadenanstalt', in:
F.-X. Kaufmann, A. Zingerle (Hgg.), Vaticanum II und Modernisierung, Paderborn 1996, 375-399.
Die Stärke dieses Modells war, dass es die Leute dazu anhielt, zur Kirche zu gehen
und die Sakramente zu empfangen. Es machte klar: Gnade ist etwas, das wir von
Gott erhalten müssen und das wir in der Kirche empfangen können. Das
Gnadengeschehen war hier gleichsam objektiviert (abgelöst von den subjektiven
Gegebenheiten der Spender und der Empfänger).
Die Schwäche des Modells war, dass es die Gnade vergegenständlichte, so als wäre
sie etwas, das die Kirche hat und weitergeben kann. Und es stellte die Amtskirche
als Spenderin den Gläubigen als Empfängern der Gnade gegenüber, es errichtete
ein Gefälle zwischen Kirche und Gläubigen. Es ließ kaum erkennen, dass die Feier
der Sakramente ein Geschehen der ganzen Kirche/Gemeinde ist und dass Gott
allein der Urheber der sakramentalen Gnade ist.
Das 'amtliche' und obrigkeitliche Kirchenverständnis, das das frühere
Sakramentenverständnis trug, ist heute vergangen und nicht mehr wiederherstellbar.
Also müssen wir uns um ein neues Verständnis der Sakramente bemühen, und zwar
eines, das man den Leuten auch vermitteln kann.
12. Die Zeitlichkeit der Sakramente: Welcher Zusammenhang besteht zwischen
Sakramenten und biblischen Geschichten?
Die Einseitigkeit des vorkonziliaren Modells kann sicher überwunden werden, wenn
wir uns über den Zusammenhang der Sakramente mit den biblischen Geschichten
klar werden. In jedem Sakrament scheinen viele biblische Geschichten auf. Ich
nenne nur einige:
- in der Taufe die Trennung von Wasser und Land in der Schöpfungsgeschichte/der
Durchzug durchs Schilfmeer/die Taufe des Johannes/die Taufe Jesu/die Taufe, die
die Jünger an Heiden spendeten
- in der Firmung die Mitwirkung des Geistes bei der Schöpfung/die Geistausgießung
an Richter und Propheten/die Geistverheißung für ganz Israel/die Geistsendung bei
der Taufe Jesu/das Pfingstereignis
12
- in der Eucharistie die Schöpfung aus dem Nichts/das Pascha-Ereignis/die Opfer
im Tempel/die Mahlzeiten Jesu/das letzte Abendmahl/Tod und Auferstehung
Jesu/die Verheißung des himmlischen Hochzeitsmahles
- in der Buße die Sühneopfer/das Ritual des Versöhnungstages/die Befreiung
Israels aus dem Exil/die Sündenvergebungen und Dämonenaustreibungen Jesu/der
Tod Jesu ("gestorben für unsere Sünden")/der Neuanfang der JüngerInnen nach der
Auferstehung
- in der Krankensalbung die Heilungen im Alten Testament/die Krankenheilungen
Jesu/die Fürsorge in den frühen Gemeinden
- in der Ordination die Berufung von Männern und Frauen zu Priestern, Propheten
und Königen im Alten Testament/die Berufung Jesu selbst/die Berufung und
Sendung der JüngerInnen/die Ämter und Dienste in der Urgemeinde
- in der Ehe die Ehen Abrahams, Isaaks und Jakobs/das Bundes- und
Liebesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel/die Treue Gottes zu seinem
Bund/die Liebenden im Hohelied der Liebe/die Beziehung von Maria und Josef/die
Hochzeit des Lammes mit seiner Braut.
Die Sakramente sind dicht in das Netz der biblischen Geschichten hineingewoben.
Sie sind dazu da, diese Geschichten zu erinnern und zu vergegenwärtigen. Zugleich
werden damit ihre unabgegoltenen Verheißungen für die Zukunft erneuert.
Sakramente erinnern die Vergangenheit so, dass sie die Gegenwart ins Licht der
Zukunft stellen. Sakramente haben also damit zu tun, dass Geschichten der
Vergangenheit nicht vergangen bleiben. Die Sakramente wiederholen diese
Geschichten so, dass sie nicht noch einmal erlebt werden müssen und doch wieder
Gegenwart (für die Feiernden) werden können (die Theologie nennt diese Art der
Wiederholung repraesentatio). Sakramente setzen die Vergänglichkeit außer Kraft.
Die Zeitlichkeit der Sakramente hat ihren biblischen Ursprung in der israelitischen
und späteren jüdischen Paschafeier. Das Paschafest soll laut Ex 12,14 ein
Gedenktag sein, den die Israeliten so begehen sollen, als seien sie gerade selbst
aus Ägypten befreit worden. Jesus nimmt darauf Bezug, wenn er beim Abendmahl
sagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19). Gedächtnis heißt griechisch
anamnesis; wir sprechen vom anamnetischen Charakter der Sakramente.
THOMAS VON AQUIN sagt sehr treffend: Das Sakrament ist ein signum rememorativum,
ein signum demonstrativum und ein signum prognosticum (Summa Theologiae III, qu
60, art 3). Das Zeichen des Sakraments erinnert die Geschichten aus der
Vergangenheit, demonstriert sie für die Gegenwart und lässt die Zukunft in ihnen
sichtbar werden.
Sachlich auf die Sakramente weist, wie gesagt, die Institution des Gedächtnisses
(zikkaron, anamnesis) im Alten Testament voraus. Aber darin zeigt sich auch ein
Unterschied: Die Bibel enthält die Erinnerungen des Volkes Israel. Die Christen sind
aber nicht das Volk Israel; es sind nicht ihre Erinnerungen. Die Differenz zwischen
dem Gedächtnis Israels und der Art, wie sich Christen auf die Heilsgeschichte
beziehen, wird durch die Sakramente überbrückt. Man kann sagen: Biblische
Menschen erinnern sich an die Geschichten, die für nachbiblische Menschen im
Sakrament vergegenwärtigt werden. Das Sakrament ist eine Form der Erinnerung an
Geschichten, die ursprünglich nicht unsere eigenen sind. Im Sakrament erinnert sich
die Kirche aus Juden und Heiden an die Geschichte Israels und der Jesusbewegung.
Wenn Jesus und die JüngerInnen 'sakramentale' Handlungen begehen (taufen, Mahl
halten, Kranke heilen usw.), dann sind das noch keine Sakramente, sondern das,
was in den Sakramenten erinnert wird.
13
Man kann sich das klarmachen am Beispiel von Menschen, die aus ihrem Land in ein
anderes Land eingewandert sind. In der ersten Generation sind die Erinnerungen an
das Heimatland noch ganz frisch. Aber spätere Generationen brauchen Zeichen und
Rituale der Erinnerung. Sie haben das Heimatland nicht mehr erlebt. Das gilt noch
mehr z.B. für ihre Ehepartner, die sie sich in dem neuen Land genommen haben.
Solche Erinnerungsrituale („Wir feiern Weihnachten immer noch wie damals in
Polen“) sind dann gleichsam „Sakramente“. In den USA habe ich Amish-people
kennengelernt, die irgendwann im 16. Jh. nach Amerika ausgewandert sind. Noch
heute benutzen sie ihre alte, deutsche Lutherbibel, obwohl viele von ihnen die
deutsche Sprache nicht mehr verstehen. Sie hat für sie gleichsam „sakramentale“
Bedeutung.
Literarischer Literaturhinweis: Viele Erzählungen des Bandes NUR WENN ICH LACHE. NEUE JÜDISCHE PROSA
(hg. von Olga Mannheimer und Ellen Pressler, dtv 2002) lassen erkennen, dass nach dem Holocaust
geborene Juden eine Art Sakrament für den Holocaust suchen: Sie wollen den Schrecken nicht in der
Vergangenheit versinken lassen, denn er gehört zu ihrer jüdischen Identität, aber sie wollen ihn
natürlich auch nicht noch einmal erleben. Sie suchen das, was die kath. Dogmatik in Bezug auf die
Eucharistie die "unblutige Wiederholung des [Kreuzes-]Opfers" nennt. Siehe besonders die
Erzählungen von Thomas Gunzig, Alain Finkielkraut, Melvin Jules Bukiet.
13. Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift vor?
Damit sind wir bei der Beziehung der Sakramente zur hl. Schrift.
Hinweis: In den Abschnitten 9 bis 15 wird die Geschichte der Theologie der Sakramente
behandelt. Ich werde so vorgehen, dass ich von der Schrift aus das Sakramentenverständnis durch
die Jahrhunderte der Kirche verfolge. Am Ende können wir dann besser sehen, welche Elemente aus
Schrift und Tradition sich für ein heutiges Sakramentenverständnis bewähren.
In der Bibel kommt das Wort 'Sakrament' nicht vor. Das erklärt sich zunächst recht
einfach: Das Wort kommt aus der römischen Rechtssprache und war in biblischen
Zeiten noch nicht bekannt. Aber auch der Sache nach ist klar, dass Sakramente im
kirchlichen Sinne in der Bibel noch nicht vorkommen können. Sakramente dienen ja
der Vergegenwärtigung der biblischen Ereignisse und Geschichten in späteren
Zeiten. Sie setzen also einen zeitlichen Abstand zu den Ereignissen selbst voraus.
Wenn Jesus da ist, braucht man nicht an ihn zu erinnern...
Lateinische Bibelübersetzungen des 3. Jh. übersetzten mit sacramentum* einen
biblischen Begriff, der im Neuen Testament 28mal vorkommt: mysterion. Die
Bedeutung von mysterion ist vielschichtig: das Geheimnis des Reiches Gottes, das
den JüngerInnen offenbart wird (Mk 4,11); Gottes Plan mit der Welt, der seit ewigen
Zeiten besteht, aber jetzt durch Christus offenbar wird (1Kor 2; Eph 1,3-14; Eph 3,113); Christus selbst, der den Gläubigen an seinem Leib und Leben Anteil gibt (Kol
1,27); der Inhalt der Verkündigung (1 Kor 2,1.7). In einem Wort: das ganze
Heilsgeschehen, das von Gott her in Christus geschieht und in das die Kirche
einbezogen ist, wird mysterion genannt. Die Übersetzung dieses Wortes mit
sacramentum trifft das Richtige: In den Sakramenten wird dieses Heilsgeschehen
insgesamt vergegenwärtigt, und zwar so, dass die Glaubenden in es einbezogen
sind und eine Verpflichtung auf sich nehmen, dem in ihrem Tun zu entsprechen. Vgl.
dazu FABER, 26-28.
*
sacramentum ist in der römischen Rechtssprache der Fahneneid eines Soldaten, die feierliche
Selbstverpflichtung auf das Regiment.
14
- Wir halten fest: Vom Neuen Testament her geht es in den Sakramenten um die
Vergegenwärtigung des gesamten göttlichen Heilsgeschehens, das für Christen in
Jesus Christus kulminiert und an dem sie beteiligt sind.
Vgl. Eph 1,9-12: "Denn er [Gott] tat uns kund das Geheimnis [mysterion] seines Willens ... zur
Verwirklichung der Fülle der Zeiten, nämlich das All in Christus wieder unter ein Haupt zu fassen, das
Himmlische [!] und das Irdische. Ja, in ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden ... Wir sollen
zum Lobpreis seiner Herrlichkeit dienen [!].": Gott handelt – in Christus – am Himmlischen und
Irdischen – Christen sind daran beteiligt – durch das Lob von Gottes Herrlichkeit.
»In Eph 1,3-14 ist zentral vom mysterium die Rede. Fassen Sie den Text gliedernd
zusammen.«
14. Sakramente und antike Mysterienkulte
In der hellenistischen Zeit (7. Jhd. v. Chr. bis 4. Jhd. n. Chr.) gab es die
weitverbreitete Religion der sog. Mysterienkulte. Die wichtigsten: Eleusis – Dionysos
– Isis – Kybele – Mithras. Sie waren eine Form privater Frömmigkeit (im Unterschied
zu den öffentlichen Polis- und Reichskulten) und dienten der Heilsvergewisserung
des einzelnen. Die Teilnehmer mussten sich einem Initiationsritus unterwerfen
(Herkunft aus der Knabeninitiation) und waren zur Geheimhaltung verpflichtet (
= den Mund verschließen). Dann wurde das Schicksal der Kultheroen gefeiert und
intensiv mitvollzogen: Vereinigung mit dem Schicksal der Götter. Inhaltlich ging es
meist um Verlust und Wiederfinden, um den Übergang vom Tod zum Leben gemäß
dem jahreszeitlichen Rhythmus.
So der attische Eleusis-Kult: Die Fruchtbarkeits-Göttin Demeter verliert ihre Tochter Kore, im Frühling
wird diese aber wiedergeboren.
Lit.: GÜNTER BORNKAMM, Art. ; Art. MYSTERIEN/MYSTERIENRELIGION, in: RGG4, Bd. 5, 1637-1643.
Die christlichen Kulte Taufe und Eucharistie, die aus jüdischen Formen heraus
entstanden waren, zeigten eine gewissen Ähnlichkeit mit den Mysterienkulten. Schon
der Begriff mysterion ermutigte zu Übernahmen. Auch hier ging es um Initiation und
um den Mitvollzug des Todes und der Auferstehung, auch hier gab es
Geheimhaltung (Arkandisziplin). Justin (+160) hielt die Mysterienkulte für eine
dämonische Nachäffung der kirchlichen Liturgie. Aber durch die Ähnlichkeit mit den
Mysterienkulten konnten sich die Sakramente auch Eingang in die heidnische Welt
verschaffen, sie knüpften an etwas Vertrautes an. So übernahmen die Sakramente
auch inhaltliche Elemente der Mysterien. An die Stelle des jüdischen Gedächtnisses
trat die Vereinigung mit der Kultgottheit, an die Stelle der Erwartung und
Verwirklichung des Reiches Gottes dessen kultische Vergegenwärtigung und
Vorwegnahme. Der Bezug der Sakramente auf konkrete Geschichte und ihre
Bedeutung für die Verwandlung der Welt konnte dabei verloren gehen.
Mysterienkulte denken zeitlos-vertikal, Sakramente zeitbezogen-horizontal. Auch die
starke Innen/Außen- bzw. Sakral/Profan-Unterscheidung der Mysterienkulte färbte
auf die Sakramente ab.
Die Mysterienkulte kamen in erster Linie dem "Wunsch nach ritueller Bekräftigung der positiven
Selbsteinschätzung" (RGG, 1640) entgegen – dass sollen Sakramente niemals tun!
Eine Äußerung Theodors von Mopsuestia (+428) zeigt, wie mysterienhaftes und sakramentales
Denken ineinanderfließen konnten: "Wir lassen uns taufen in der Erwartung der Teilhabe an seinem
Tod und in der Hoffnung darauf, auch daran teilzuhaben: in derselben Weise, wie auch er erstanden
ist, von den Toten zu erstehen. Deshalb empfange ich, sobald ich mich taufen lasse, indem ich mein
Haupt untertauche, den Tod unseres Herrn Jesus Christus und sein Begräbnis, das auf mich zu
nehmen ich Verlagen trage. Und dabei bekenne ich wirklich die Auferstehung unseres Herrn. Beim
Aussteigen aus dem Wasser halte ich mich sinnbildhaft für bereits auferstanden." (Homilia catechetica
14, 5, zit. nach FABER, 32).
- Was passiert, wenn das biblische Zeugnis von Gott in die Welt der Völker und ihrer
Religionen eintritt? Am Verhältnis von Mysterienkulten und Sakramenten kann man
15
paradigmatisch sehen: Es gibt Affinitäten, Vermischungen, wechselseitige
Umdeutungen, und es muss sie geben, denn das Evangelium soll unter die Völker
kommen. Setzt sich das Heidnische durch, wird das Biblische trotz bestehender
äußerlicher Kontinuität in den Formen um sein Eigentliches gebracht (hier: Das Neue
des Gottesreiches gegenüber dem Bestehenden). Die Kirche muss es dagegen
schaffen, die heidnischen Formen von innen heraus umzuschaffen und mit
biblischem Sinn zu erfüllen. – Das gilt auch für die im Folgenden aufgeführten
Stationen der christlich-heidnischen Verschwisterung in den Sakramenten.
15. Der Einfluss des platonischen Bilddenkens auf das Verständnis der
Sakramente
Die biblischen Sakramente konnten auch an das bei den Gebildeten der Antike
vorherrschende platonische Bilddenken anknüpfen. Diesem galt das Sichtbare als
Abbild des Unsichtbaren, das Vergängliche als Abbild des Unvergänglichen.
Christliche Theologen griffen das auf: Sakramente sind Abbilder (typos; eikon [Bild])
einer höheren Wirklichkeit – das konnten die Heiden verstehen. Aber die Theologie
deutete den Platonismus um: Nicht mehr das Ewige, Unvergängliche wird im Bild
bezeichnet, sondern das geschichtliche Geschehen um Israel und Jesus.
Sakramente leiten an zu Nachahmung (mimesis) des Lebens Jesu. Der welt- und
geschichtsverachtende Platonismus war damit von innen her umgedreht, sein
Dualismus überwunden. Das Schicksal des kleinen Volkes Israel und des
gekreuzigten Wanderpredigers Jesus ist jetzt die höhere Wirklichkeit, auf die die
Sakramente verweisen. Und dann sind sie nicht mehr nur Bild, sondern Anleitung zur
Nachfolge/zum Tun. (Aber haben das alle in die Kirche strömenden Heiden auch
verstanden? Gab es nicht auch eine platonische Umdeutung des christlichen
Glaubens? Das Risiko kultureller Übernahmen kann in der Kirche aber nie vermieden
werden, auch heute nicht! Man muss nur wissen, dass und worin es besteht.)
16. Was trug die Zeichentheorie des Augustinus zum Verständnis der
Sakramente bei?
Augustinus (354-430), der überragende Kirchenvater des Westens, steht gleichsam
immer auf dem Grat zwischen christlicher und heidnisch-philosophischer
Weltdeutung, er ist immer ambivalent – aber er hätte seinen großen Namen nicht,
wenn nicht schlußendlich das Christliche bei ihm den Ausschlag geben würde. Das
gilt auch für sein Sakramentenverständnis.
Augustinus geht vom philosophischen Zeichenbegriff aus. Er unterscheidet zwischen
Sache (res) und Zeichen (signum). Sachen verweisen in der Regel nur auf sich
selbst. Aber es gibt auch Sachen, die von sich aus auf anderes verweisen, wie der
Rauch auf das Feuer. Sie werden dann zu natürlichen Zeichen (signa naturalia).
Davon sind zu unterscheiden die gegebenen oder gesetzten Zeichen (signa data).
Bei diesen wird einem Ding eine ganz bestimmte Bedeutung zugewiesen. Das beste
Beispiel dafür sind Worte: ein Lautgebilde hat aufgrund von Übereinkunft eine
Bedeutung.
Beim Sakrament kommen nun beide Arten des Zeichens zusammen. Es ist ein
natürliches Zeichen in seinem Element (Wasser...) und zugleich ein gegebenes
Zeichen in seinem Wort, das über das Element gesprochen wird (Ich taufe dich im
Namen des Vaters...). Wie wirken aber nun beide Arten des Zeichens zusammen?
Für Augustinus macht erst das Wort das Element zum Sakrament:
"Warum sagt er (Jesus Christus) nicht: Ihr seid rein wegen der Taufe, mit der ihr gewaschen worden
seid, sondern sagt: 'Wegen des Wortes, das ich zu euch gesprochen habe', außer weil auch im
Wasser das Wort reinigt? Nimm das Wort weg, und was ist das Wasser als eben Wasser? Es tritt das
16
Wort zum Element, und es wird das Sakrament, auch dieses gleichsam ein sichtbares Wort [accedit
verbum ad elementum et fit sacramentum, etiam tamquam visibile verbum]. ... Die Reinigung also
würde keineswegs dem fließenden und verfließenden Element zugeschrieben werden, wenn nicht
hinzugefügt würde: 'im Wort'." (Traktat über das Johannesevangelium 80,3).
In dieser Definition ist unklar: Wie verhält sich das gegebene Zeichen zum
natürlichen Zeichen? Verstärkt das Wort die natürliche Zeichenhaftigkeit, nimmt es
sie nur um Anlass, oder dreht es sie sogar gegen ihren Sinn um [kann denn das
Untertauchen unter Wasser, also das Ersäufen, Leben bezeichnen?]? Diese
Unklarkeit ist in Augustins Platonismus angelegt: Materielles, Sinnliches ist für ihn
sehr eng mit der Realität der Sünde verknüpft, es kann das Göttliche nicht oder nur
sehr unvollkommen anzeigen. Es muss erst von der Sünde gereinigt werden.
Augustinus denkt nicht inkarnatorisch (=Gott nimmt das Fleisch als Ausdruck seiner
selbst an).* [Aber es ist gut, dass Augustinus diese Frage offen gelassen hat, denn
jede Zeit muss sie auf's Neue beantworten: Wie verhält sich das natürliche Zeichen
zum Wort der Verkündigung, wie die Natur zur Gnade, wie die vorfindliche Welt zum
Reich Gottes?!]
Aus Augustins Definition "Es kommt das Wort zum Element und macht das
Sakrament" folgt noch etwas anderes: dass die gnadenhafte Wirkung des
Sakraments allein aus dem Wort des Glaubens kommt – und nicht aus der
Würdigkeit des Spenders oder dem Glauben des Empfängers.
"Dieses Wort des Glaubens vermag so viel in der Kirche Gottes, dass es durch den Glaubenden,
Darbringenden, Segnenden, Benetzenden auch ein so kleines Kind reinigt, obwohl es noch nicht
imstande ist, mit dem Herzen zu glauben zur Gerechtigkeit und mit dem Munde zu bekennen zum
Heil" (aaO.).
Augustinus rechtfertigte damit die Kindertaufe ebenso wie er den Kampf gegen die
Donatisten führen konnte, die bestritten, dass die von einem Ketzer oder Häretiker
gespendete Taufe gültig ist, vgl. dazu FABER, 36-38. Die spätere kirchliche Lehre,
dass die Sakramente ex opere operato (aus dem vollzogenen Werk) und nicht ex
opere operantis (aus Tun des Vollziehenden) wirken, dass also, wenn das
Sakrament richtig vollzogen wird, seine Wirkung von Gott her unfehlbar eintritt, ist
hier vorgebildet.
- Von Augustinus behalten wir: Zum Sakrament gehören das natürliche Zeichen und
das Wort des Glaubens. Ihr Zueinander ist in jeder Zeit nur zu klären. Die Wirkung
des Sakraments kommt allein von Gott her und nicht vom Tun und Glauben der
Menschen.
Und wir behalten vor allem unseren sakramententheologischen Leitsatz: Es kommt
das Wort zum Element und macht das Sakrament.
17. Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die Praxis und Theorie der
Sakramente?
Etwa ab dem 12. Jh. tragen drei Faktoren zu einer Umbildung des sakramentalen
Tuns und Denkens bei:
1. Der Einfluss des germanischen, magisch-dinglichen Denkens. Es steht in der
Gefahr, in den Sakramenten geheimnisvoll magische Kräfte zu sehen, die aus sich
heraus wirken. Die Theologie wehrt das ab – und übernimmt zugleich einiges davon
(s. gleich zu 3.)
Für Augustinus ist auch der irdische Jesus nur Zeichen für das Mysterium des göttlichen Christus – des
Christus, der zu allen Zeiten präsent war und sein wird. Insofern stellt die Menschwerdung für Augustinus nicht
wirklich etwas Neues in der Heilsgeschichte dar!
*
17
2. Die Verrechtlichung und Kodifizierung der Sakramente und ihrer Verwaltung.
Sakramente waren die Haupteinnahmequelle der Kirche und sicherten den Unterhalt
der Kleriker. Man will nun genau wissen, wer unter welchen Bedingungen die
Sakramente spenden darf. Das Kirchen- und Sakramentenrecht entstehen (dabei
spielt auch die Übernahme des römischen Rechtsdenkens eine Rolle).
Als ordentliche Spender der Sakramente gelten jetzt in der Regel die
Priester. Der Priester ist minister secundarius oder instrumentalis
(stellvertretender Spender; Ausnahmen: Taufe, Ehe), Christus der minister
primarius oder principalis (der eigentliche oder Hauptspender); der Priester
handelt in persona Christi (als Stellvertreter/Repräsentant). Die Gültigkeit der
Sakramente ist nicht abhängig von der Rechtgläubigkeit und Integrität des
Spenders, er muss nur das tun wollen, was die Kirche tut (cum intentione
faciendi quod facit ecclesia). Das Konzil von Florenz (1438-1445) erklärt zur
Gültigkeit der Sakramente: "Alle diese Sakramente werden in drei Stücken
vollzogen: durch den dinglichen Vollzug als materia, durch die Worte als
forma, durch die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der
Absicht, zu tun, was die Kirche tut. Wenn eines von diesen drei Stücken fehlt,
so wird das Sakrament nicht vollzogen" (DH 1310-1313).
3. Das dritte neue Element der Sakramententheologie war die Rezeption der
aristotelischen Philosophie in der Theologie und damit die Dominanz des kausalen
Denkens. Man versteht die Welt als ein Gefüge aus Ursachen und Wirkungen und
fragt sehr genau: Was ist Ursache, was ist Wirkung, wie bewirkt die Ursache ihre
Wirkung? Sakramente wurden als die Ursache (causa) des Heils verstanden.
Dabei ist klar, dass Gott die causa principalis der sakramentalen Gnade ist,
die Sakramente selbst nur die causa instrumentalis, und zwar in der Hand
dessen, der das Werkzeug gebraucht. Damit wird die Lehre vom opus
operatum (s.o. 17) definiert: Das Sakrament wirkt durch die Kraft Gottes, nicht
durch das, was Menschen tun. Der Anteil der Empfänger besteht darin, die
Sakramente an sich wirken zu lassen. Er darf der Gnade keinen Riegel
vorsetzen (non-obex-Lehre; darum auch Spendung an Unmündige und
Bewusstlose), und er soll die Gnade im Glauben und im Leben fruchtbar
werden lassen (das ist sein opus operantis). Das Bild ist: Die Sakramente sind
wie eine Arznei gegen die Sünde, sie wirken, aber nur, wenn man sie richtig
anwendet.
Bei der Frage, wie die Sakramente von Gott her auf die Menschen wirken, gab
es verschiedene Theorien:
a) dispositive Wirkung: sie bereiten den Menschen auf den Empfang der
Gnade vor, die Gott dann in Freiheit gibt;
b) moralische Wirkung: Gott oder Christus werden durch die Sakramente
bewogen, die Gnade zu geben;
c) Vertragstheorie: Gott verspricht, seine Gnade immer dann wirken zu lassen,
wenn Sakramente gespendet werden;
d) physische Wirkung: Die Gnade kommt unmittelbar aus der Kraft der
Zeichen, die Gott verliehen hat. Die letzte Theorie, die von Thomas von Aquin
stammt, hat sich durchgesetzt – sie war die theologisch einsichtigste, und
zugleich am meisten dem magischen Missverständnis ausgesetzt. Alle
Theorien wollen aber die Freiheit Gottes gegen seine Bindung an die
Sakramente abwägen, sie wollen erklären, wie er sich in Freiheit gebunden
hat.
18
In Form einer Skizze lässt sich das scholastische Sakramentenverständnis so
darstellen:
Sakramentum tantum
(Das Sakrament als solches,
das Zeichen)
ist das
Signum visibile
(sichtbares Zeichen)
res et sacramentum
(Mittleres zw. Zeichen
und Gnade)
res sacramenti
(die eigentl.
Gnade, Wirkung
des Sakraments)
Dieses besteht aus:
materia
und forma
(Element und Handlung) (Wort)
Zum Beispiel ist bei der Eucharistie das Sacramentum tantum die Mahlfeier mit der
Materia Brot und Wein, zu denen dann die Konsekrationsworte als forma hinzutreten.
Res et sacramentum ist der Leib Christi in den Gestalten von Brot und Wein. Der in
Brot und Wein präsente Christus ist bereits Ausdruck der sakramentalen Gnade, er
ist aber zugleich noch Zeichen für die eigentliche Gnade des Sakraments, die res
sacramenti, d.h. für die Vereinigung der Gemeinde mit dem Leib Christi und die
Sündenvergebung.
Es wird auch erstmals die Siebenzahl der Sakramente festgelegt (amtlich im Konzil
von Lyon 1274); vorher schwankte man zwischen zwei (Taufe, Eucharistie) und 12
Sakramenten
(Abtweihe,
Jungfrauenweihe,
Kirchweihe,
Königssalbung,
Fußwaschung...).
Über die Bedeutung der Siebenzahl ist später viel spekuliert worden; ein reiches Feld
für Zahlensymbolik. Die Scholastik didskutierte die Beziehung zu den sieben Gaben
des Heiligen Geistes (nach Jes 11,2). Die Festlegung erfolgt jedoch eher aus
pragmatischen Erwägungen.
Weitere Festlegungen der scholastischen Lehre:
o Unterscheidung zwischen den Sakramenten des Alten Bundes
(Beschneidung, Opfer) und des Neuen Bundes (die Sakramente der Kirche)
o Taufe, Firmung und Weihe kann man nur einmal empfangen. Diese
Sakramente prägen einen character indelebilis (unzerstörbares Prägemal) ein.
Eucharistie, Buße und Krankensalbung (Letzte Ölung) kann man mehrmals
empfangen; die Ehe kann nur nach dem Tod eines Ehepartners nochmals
empfangen werden. Ehe und Weihe schließen sich gegenseitig aus.
o Jeder kann ein Sakrament empfangen, der der Gnade keinen „Riegel“ (obex)
vorschiebt (Non-obex-Lehre). Ein solcher Riegel ist eine direkte Verweigerung
oder das Bewusstsein von einer Todsünde. Glaube ist Voraussetzung für den
Empfang eines Sakramentes. Bei der Kindertaufe tritt der Glaube der Eltern,
Paten bzw. der ganzen Kirche stellvertretend für den Glauben des Täuflings
ein, bis dieser ihn selber erwirbt (Lehre von der fides aliena, dem fremden
Glauben).
Wir halten fest: Am reichen und begrifflich genauen Denken der Scholastik zu den
Sakramenten kann keine spätere Sakramententheologie vorübergehen; es bildet
19
auch heute noch den Rahmen. Im historischen Abstand lassen sich die Stärkern und
Schwächen dieses Modells erkennen:
Stärken:
o Die Objektivität des Handelns Gottes wird gewahrt, die Präsenz der Gnade
unzweideutig bejaht
o Das Sakrament nicht von der Würdigkeit des Spenders abhängig, die
Spendung des Sakraments als amtliches Tun der Kirche verstanden – es
bekommt damit wieder etwas Objektives, Verbindliches.
o Die Kirche konnte sich somit in hohem Maße als Gegenwart des
Gottesreiches auf Erden verstehen, wie man an den Kathedralen, den Kirchen
und ihrer Ausstattung sehen kann, die uns das Mittelalter hinterlassen hat.
Eine solche Kunst wäre ohne einen starken Glauben an die Wirklichkeit des
Sakraments nicht möglich gewesen.
Schwächen:
o Es entsteht ein starkes Gefälle zwischen Klerus und Laien.
o Die Klerikerkirche versteht sich als Gnadenverwaltungsinstitution.
o Es tritt eine Fixierung auf den gültigen Vollzug, auf die Rechtmäßigkeit der
Amtshandlung ein.
o Eine Verdinglichung der Gnade zum „Gnadenmittel“ konnte kaum verhindert
werden. Von daher hatten die Sakramente zumindest in der Volksfrömmigkeit
häufig einen Zug zum Magischen. Dass später, in unserer Zeit, das Geld zum
„Sakrament der bürgerlichen Gesellschaft“ (Gotthard Fuchs) werden konnte,
ist in dieser Auffassung angelegt.
18.Die Kritik der Reformatoren an der katholischen Sakramentenpraxis- und
lehre
Hierzu ist sehr viel zu sagen, das ergäbe eine eigene Vorlesung. Das Wesentliche
aber ist:
Die Reformatoren kritisieren, dass das Tun der Kirche sich vor Gott schiebt und
seine Wirksamkeit im Wort des Glaubens verdeckt. Die Kirche tut so, als habe sie die
sakramentale Gnade in ihrem Besitz und könne nach Gutdünken darüber verfügen
(Bsp. Ablassstreit). Sie macht sich praktisch selbst zur Quelle der Gnade.
Die Reformatoren betonen deshalb: Nicht aus dem Tun der Kirche kommt die
Wirkung der Sakramente, sondern aus Gottes Gnade (sola gratia = allein aus der
Gnade). Sakramente sind kein Werk, das die Kirche tut, sondern Geschenk Gottes,
das im Glauben angenommen sein will (sola fide = allein aus dem Glauben). Nicht
aus dem amtlich-richtigen Vollzug des sakramentalen Ritus kommt die Gnade,
sondern aus dem göttlichen Wort, das auf den einzelnen und seinen Glauben zielt
(solo verbo = allein aus dem Wort). Es kann nicht die Tradition und Lehre der Kirche
darüber entscheiden, was ein Sakrament ist und wie es wirkt, sondern nur die hl.
Schrift (sola scriptura = allein aufgrund der Schrift).
Weil sie nur Taufe und Abendmahl, vielleicht auch die Buße in der Schrift begründet
sehen, nehmen die Protestanten auch nur diese Sakramente an (so zuerst Luther in
seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“/Über die
babylonische Gefangenschaft der Kirche, 1520).
Martin Luthers Theologie der Sakramente stand in einer doppelten Frontstellung: Er
wandte sich zum einen gegen die katholische Veräußerlichung und Verdinglichung
der Sakramente und betonte den inneren Glauben; zum anderen aber hielt er gegen
die "Schwärmer" (reformatorische Gruppen, die nur die innere Überzeugung gelten
lassen wollten und alles Äußere in der Kirche ablehnten) die Bedeutung der äußeren
20
Zeichen fest. Das Sakrament ist für ihn der Ort, wo Christus sich gewiss finden und
greifen lässt: "Es ist etwas anderes, wenn Gott da ist und wenn er dir da ist. Dann
aber ist er dir da, wenn er sein Wort dazutut und bindet sich damit an und spricht:
hier sollst du mich finden. Wenn du nun das Wort hast, so kannst du ihn gewisslich
greifen und haben und sagen: hier habe ich dich" (M. Luther, Daß diese Worte Christi
'Das ist mein Leib' noch feststehen, 1527).
Der Kern der evangelischen Kritik am katholischen Sakramentenverständnis besteht
in dem Vorwurf: Die Sakramente bilden eine eigene Instanz der Vermittlung des
Heils – so als wenn dem Heilswerk Jesu Christi noch etwas hinzugefügt werden
müsste. Damit wird die Alleingenügsamkeit des Heils in Christus in Frage gestellt,
und die Kirche beansprucht eine eigene Mitwirkung an der Heilsvermittlung. Somit
gibt es in der katholischen Kirche zwei Vermittlungen des Heils: die durch Christus
selbst und die durch die Kirche.
Die frühere katholische Theologie fühlte sich von diesem Vorwurf insofern nicht getroffen, als sie die
Kirche als mystischen Leib Christi verstand. Es war demnach der fortlebende Christus selbst, der
durch die Kirche in den Sakramenten handelt. Nachdem aber diese Theologie des mystischen Leibes
aus verschiedenen Gründen nicht mehr weitergeführt worden ist, ist der Vorwurf der evangelischen
Theologie wieder sehr ernst zu nehmen – vor allem, wenn man von den Sakramenten als
Grundvollzügen der Kirche und der Kirche als dem Grundsakrament spricht.
Nach evangelischem Verständnis braucht es keine zweite Instanz der
Heilsvermittlung. Es ist das Wort Gottes, das, wenn es im Glauben angenommen
wird, das Heil und alle Gnade mit sich bringt (vgl. Luthers Rede vom "Testament": Im
Neuen Testament steht, dass wir Gnade, Vergebung der Sünden und Seligkeit
geerbt haben. Das wird uns im Wort der Verkündigung – eine Art
Testamentseröffnung – gesagt. Wenn man es glaubt, hat man es: "Glaubst du, so
hast du".
Der konsequenteste Vertreter der evangelischen Theologie in dieser Hinsicht ist der
reformierte Theologe Karl Barth (1886-1968). Er hat in seinem Spätwerk den Begriff der
Sakramente ganz aufgegeben, auch Taufe und Abendmahl sind für ihn keine Sakramente
mehr. Er wollte mit allen Mitteln das Problem der doppelten Heilsvermittlung vermeiden. -–
Aber die Frage ist ja immer: Wie kommt denn das durch Christus erworbene Heil in andere
Zeiten und bis zu uns heute? Wie gewinnt es Gestalt in dieser Zeit? Oder ist es nur ein
innerliches Gefühl?
Vgl. zur evangelisch-katholischen Kontroverse das ausgezeichnete Buch von REINHARD
HEMPELMANN, Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im
evangelisch-katholischen Dialog, Göttingen 1992.
Die ökumenischen Dialoge der vergangenen Jahrzehnte haben in Bezug auf die
Sakramente sehr stark das Verbindende zwischen den Konfessionen gesucht und die
bleibenden Differenzen dabei aus dem Blick verloren. Darum haben sie auch zu keinem
Erfolg geführt. Vgl. zur ökumenischen Verständigung das Dokument der Kommission für
Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK Taufe, Eucharistie und Amt ("Lima-Erklärung"),
1982; das Dokument der kath. und ev. Kirche in Deutschland Lehrverurteilungen –
kirchentrennend? (Bd. I-III, 1986-1990). Zahlreiche Dokumente sind gesammelt in
Dokumente wachsender Übereinstimmung, hg. von H. Meyer u.a., 1983. Dazu auch A.
BIRMELE, TH. RUSTER, Arbeitsbuch Ökumene, 4 Bde., Göttingen/Würzburg 1986-1988.
»Was ist typisch katholisch am katholischen Gottesdienst? Was ist typisch evangelisch am
evangelischen Gottesdienst?«
21
19. Neuansätze in der katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem im
Umfeld des 2.Vatkanischen Konzils (1962-65). Der Ansatz Karl Rahners
Das Konzil von Trient (1545-1563) hatte die katholische Sakramentenlehre im
Wesentlichen unverändert gelassen und sie nur die gegen die Angriffe der
Reformatoren präzisiert. In der Neuzeit hat sich dann im Allgemeinen das
Sakramentenverständnis durchgesetzt, das ich oben unter 11. skizziert habe. Ein
Sakrament wird jetzt (im CATECHISMUS ROMANUS, der im Auftrag des Konzils von Trient
herausgegeben wurde) definiert als eine "sinnenhafte Sache, die aufgrund göttlicher
Einsetzung die Kraft hat, die Heiligkeit und Gerechtigkeit sowohl zu bezeichnen als
auch zu bewirken."
Im 20. Jahrhundert gibt es zahlreiche Neuansätze:

Die Mysteriendimension der Sakramente wird neu entdeckt. Odo Casel (1886-1948)
findet in den antiken Mysterienkulten das Grundmodell der Sakramente: Ganzheitlicher
Mitvollzug des Pascha-Mysteriums Jesu Christi. Damit hat er das 2. Vatikanum sehr
beeinflusst.. Wichtig und weiterführend ist hierbei, dass die Sakramente als
gemeinschaftliche Feier der Gemeinde und nicht als Heilserwerb des einzelnen
verstanden
werden.
Zur Darstellung und Kritik Casels s. TH. RUSTER, Die verlorene Nützlichkeit der Religion, Paderborn
u.a. 21997, 247-267


Überhaupt wird die Dimension der Kirche bei den Sakramenten ganz neu herausgestellt.
Sakramente gelten jetzt als die Ausfaltungen des Grund- oder Wurzelsakraments Kirche.
Kirche ist selbst die Einheit von Sichtbarem und Unsichtbarem und das wirksame
Zeichen des Heils in der Welt (O. Semmelroth, E. Schillebeeckx, Th. Schneider u.a.).
Das II. Vatikanum greift diesen Ansatz (eher zögerlich) auf, vor allem in der
Kirchenkonstitution Lumen Gentium (LG – Licht der Völker). Dort heißt es:
"Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die
innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." (LG 1)
"Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung
der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und
gestiftet, damit sie allem und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei."
(LG 9)
"Auferstanden von den Toten (vgl. Röm 6,9), hat er seinen lebendig machenden Geist den
Jüngern mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Heilssakrament
gemacht." (LG 48)



Als Reaktion auf die Krise der Sakramente in neuerer Zeit hat es viele Versuche
gegeben, die Sakramente anthropologisch zu begründen. Man verstand sie stark
schöpfungstheologisch: als Vertiefung allgemein-menschlicher Sakramentalität, als
Sinnerfüllung menschlicher Grundsituationen, als Symbole der Hoffnung. Man knüpfte
immer wieder an das Ursymbol des Leibes, der Leibhaftigkeit (Symbol des Unsichtbaren
im Sichtbaren) an. Man betonte den Zusammenhang der Sakramente mit allgemeinen
Grunderfahrungen und Lebenswenden. Der Begriff "Symbol" tritt in den Mittelpunkt der
Sakramententheologie (J. Ratzinger, W. Kasper, Th. Schneider, L. Boff, F.-J.Nocke u.a.).
Sakramente werden als kommunikative Handlungen ausgelegt, die Dimension des
Personalen (Selbstwerdung in Beziehung) wird betont (P. Hünermann, A. Ganoczy u.a.).
Sakramente werden als ästhetische Ereignisse (Sichtbarkeit des Glaubens) verstanden
(H.-J. Höhn)
Insgesamt herrscht in der katholischen Theologie eine fundamentaltheologische
Perspektive vor (und in der evang. Theologie bei P.Tillich). Sakramente werden aus
dem allgemeinen Daseinsverständnis heraus verständlich gemacht. Es wird aber
dann schwer, die übernatürliche, göttliche, daseinsverwandelnde Dimension der
Sakramente noch zu bewahren.
Vgl. hierzu FABER, 44-48; HEMPELMANN 135-180.
22
Alle katholischen Neuansätze der Sakramententheologie bündeln sich bei Karl
Rahner (1904-1984), der auch den größten Einfluss auf die kath. Theologie
ausgeübt hat.
- Rahner vollzieht die ekklesiologische Grundlegung der Sakramente. Kirche ist nicht
nur Lieferantin von Gnadenmitteln, sie ist vielmehr selbst das Realsymbol der
bleibenden Gegenwärtigkeit der Gnade in der Welt, die Fortsetzung der Gegenwart
Christi, sie ist Ur- oder Grundsakrament. Sakramente sind von daher die
Selbstvollzüge von Kirche.
- Insoweit kann Rahner die exegetische Frage nach der Einsetzung der Sakramente
neu lösen: Mit der Stiftung der Kirche ergibt sich auch die Einsetzung der
Sakramente.
- Sakramente sind nicht nur ein objektives Mitteilen von Gnade unabhängig von der
Aneignung des Empfängers, sondern zutiefst personales Geschehen: die
Selbstmitteilung Gottes an den Glaubenden.
- Damit verbindet sich eine neue Reflexion auf den Zusammenhang von Wort und
Sakrament. Dies sind keine Gegensätze, sondern das Sakrament ist die höchste,
intensivste Stufe des Wortes, dichter als das Wort der Predigt.
- Diese Sakramententheologie Rahners ist eingebettet in eine neue Theologie der
Welt, seinen insgesamt tragenden Grundansatz einer transzendentalanthropologischen Theologie ("anthropologische Wende"). Danach kommt Gott und
seine Wirklichkeit nicht als etwas Fremdes, Äußerliches in die Welt. Kirche und
Sakramente bilden keine Sonderwelten, sondern Gottes Offenbarung und
Selbstmitteilung entsprechen im Tiefsten der menschlichen Grundsituation. In jedem
existentiellen Akt wird Gott immer schon unthematisch angezielt und ergriffen
("anonymes Christentum"), Gott ist die Erfüllung des menschlichen Suchens und
Strebens. Gott ist das Geheimnis der Welt, die Welt verweist auf Gott, die Welt ist
durchdrungen von der Gnade Gottes. In den Sakramenten wird diese Grundsituation
nur zur reflexen Erscheinung gebracht, wird ausdrücklich, was auch schon
unausdrücklich immer der Fall ist. Sakramente stehen für die geschichtlich-konkrete
Greifbarkeit der transzendentalen Verwiesenheit der Menschen auf die Gnade, in ihr
ergreift der Mensch explizit, was er implizit schon hat.
- Zur Kritik: Damit stellt sich aber die Frage, warum es die Sakramente/die
Kirche/das explizite Christsein überhaupt geben muss. Rahner hat die Sakramente
spiritualisiert; von einer Heilsvermittlung bei den Sakramenten kann bei ihm nicht
mehr eigentlich die Rede sein. Sakramentalität gilt ihm als eine Grundstruktur, die für
Christus, die Kirche und ihre Riten unterschiedslos zutrifft. Das Spezifische der
Sakramente und ihre Bindung an das Wort der Schrift verschwimmen.
Das göttliche, unableitbare "extra nos" des Heils kommt bei ihm nicht mehr heraus,
auch nicht, dass das Wort Gottes gerade in den Sakramenten ein Gerichtswort über
die Welt und die Menschen ist.
Vgl. zu Rahner: HEMPELMANN 181-199; und meine Ausführung zu Rahner im
Vorlesungsskript „Das Wesen des Christentums“ aus dem SS 2000.
20. Zusammenfassende Darstellung der allgemeinen Sakramentenlehre: das
Sakrament als »Wandlung«
Wir haben verschiedenen Definitionen des Sakraments gehört: Es ist ein äußeres
Zeichen einer inneren Gnade bzw. einer unsichtbaren Wirklichkeit, eingesetzt durch
Jesus Christus – Es ist ein Zeichen, das bewirkt, was es bezeichnet – Es kommt das
Wort zum Element und macht das Sakrament – Es ist eine Konfiguration der
23
weltlichen Wirklichkeit zur Wirklichkeit des Gottesreiches. Man kann erkennen, dass
diese Definitionen alle das Gleiche sagen. Sie verweisen alle auf die gleiche Struktur:
Sichtbares Zeichen
eingesetzt durch Jesus Christus unsichtbare Gnade/Wirklichkeit
Zeichen
das bewirkt
was es bezeichnet
Zum Element
kommt das Wort
und macht das Sakrament
Wirklichkeit
wird konfiguriert
zum Gottesreich
Auf der linken Seite steht jeweils die normale, weltliche Wirklichkeit. Auf der rechten
Seite steht das, was beim Vorgang des Sakraments herauskommt. In der Mitte steht,
wie das geschieht. In der Mitte wird also der Vorgang der »Wandlung« bezeichnet, der
für alle Sakramente, nicht nur für die Eucharistie, gilt. Ganz kurz kann man sagen:
Sakramente verwandeln die Welt in das Reich Gottes.
»Beschreiben Sie den Prozess der Wandlung für drei Sakramente«
21. Wie können wir die Sakramente heute verstehen? (Systematische
Entfaltung)
Vorbemerkung: Diesen Abschnitt habe ich in der Vorlesung im WS 09/10 nicht
wieder aufgegriffen. Er schlägt eine andere Richtung als die, die mir aktuell
wichtig ist. Dazu wollte ich bei den Sakramenten nicht allzu lange „im
Allgemeinen/in der allg. Sakramentenlehre“ bleiben, da Sakramente etwas
Konkretes sind. Dennoch mögen sich hier einige anregende Gedanken finden.
In den Sakramenten wird Menschen aus den Völkern (=die nicht zu Israel gehören)
eine andere Vorgeschichte zugeordnet. Und zwar die biblische Geschichte, die ja
ursprünglich nicht die ihre ist (vgl. oben 12.). Aus dieser Geschichte heraus können
sie sich und die Welt anders verstehen. Sie können sich jetzt Kinder Abrahams und
Saras, Nachkommen Davids, Nachfolger der Propheten, Schüler der Weisen und
letztendlich Jüngerinnen und Jünger Jesu nennen. Sie werden in die Geschichte
Gottes mit den Menschen, die ausschließlich über die Geschichte Israels und Jesu
verläuft, hinein genommen, sie werden damit Teil des Volkes Gottes.
Dieser Ansatz erklärt, warum es in Israel und im Judentum keine Sakramente gibt. Sakramente sind
für die Heidenchristen das, was für Israel/für die Juden die Erinnerung ist, vgl. oben 13.
a) Was ist das für eine Geschichte, die Menschen aus den Völkern zugeordnet
wird? Was ändert sich für sie dadurch?
Es ist dies die Geschichte, in der sich der wahre und einzige Gott in seiner
Herrlichkeit zeigt. Menschen, die sich diese Geschichte zu eigen machen,
verherrlichen und lieben Gott über alles und wollen deswegen seinen Geboten folgen
(denn Gott zeigt sich in seinem Gottsein, indem er Gebote gibt!). Diese Gebote sind
in den zwei von Jesus genannten Hauptgeboten zusammengefasst, vgl. Mk 12,2834:
"Und einer von den Schriftgelehrten, der sie miteinander disputieren gehört und erkannt hatte, wie gut
er ihnen antwortete, trat hinzu und fragt ihn: 'Welches ist das erste Gebot von allen?' Jesus
antwortete: 'Das erste ist: 'Höre Israel, der Herr unser Gott ist einer, und du sollst den Herren, deinen
Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen
Denken und aus deiner ganzen Kraft' [Vgl. Dtr 6,4-5]. Das zweite ist dieses: 'Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst' [Lev 19,18]. Größer als diese ist kein anderes Gebot.' Da sagte der
Schriftgelehrte zu ihm: 'Gut, Rabbi, und wahr hast du gesagt: 'Er ist nur ein einziger, und es ist kein
anderer außer ihm.' Und ihn zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzem Denken und aus ganzer Kraft
und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer'
[...]"
24
Jesus fügt zwei Grundgebote des mosaischen Gesetztes zusammen und sagt damit:
Wenn man Gott aus ganzem Herzen liebt – und nicht zuerst sich selbst! - , dann
findet man sich als jemand vor, der die Freiheit hat, auch den Nächsten zu lieben.
Die Geschichte, in die Menschen durch die Sakramente hineingestellt werden, ist
also darin von allen anderen menschlichen (Vor-)Geschichten unterschieden, dass
sie den Primat der Selbstliebe, der Selbstbehauptung, der Selbsterhaltung außer
Kraft setzt und der Liebe zu Gott in allem den Vorrang gibt. Sie kann darum eine
wahrhaft menschliche (humane) Geschichte sein, weil für sie die Welt nicht mehr ein
Ort ist, an dem der Kampf um's Dasein zwischen Individuen, die zuerst an ihre
Selbsterhaltung und Bestätigung denken müssen, stattfindet, sondern ein Ort, an
dem Menschen einander gerecht werden können. In ihr gilt das Gesetz der "freien
Selbstzurücknahme zugunsten anderer" (M. Welker).
Wenn Menschen aus dieser Geschichte leben, ändern sie sich und ändert sich für
sie die Welt. Sie können anders leben und handeln. Und sie bilden ein Volk, das
nach diesem anderen Gesetz lebt (denn Völker bestimmen sich danach, nach
welchem Gesetz sie leben).
Die Sakramente bewirken deshalb einen radikalen Neuanfang, ein Neuwerden, eine
neue Schöpfung. Keine weltliche Geschichte kommt an das heran, was sich in den
Sakramenten ereignet. Denn in der biblischen Geschichte hat Gott selbst
gesprochen und sich offenbart. Darum kann man sagen: Gott selbst handelt in den
Sakramenten (vgl. oben 1.)
Die zitierte Mk-Stelle zeigt, dass Jesus mit dem, was er sagt, ganz in der Tradition Israels steht. Er
wiederholt ja nur die Hauptgebote der Tora. Und der Schriftgelehrte erkennt dann selbst, dass das
Halten dieser Hauptgebote nicht mehr auf Israel beschränkt sein kann: 'das ist weit mehr als alle
Brandopfer...', das ist nicht mehr an den Tempeldienst und an das irdische Jerusalem gebunden,
diese Gebote können von allen Menschen gehalten werden, die Gott kennen und lieben. Jesus sagt
ihm darauf: Du bist nicht weit vom Reich Gottes.
b) Auf welche anthropologischen Grundlagen beziehen sich die Sakramente?
Die schlichte anthropologische Grundlage der Sakramente ist, dass jeder Mensch
aus und in Geschichten lebt und anders nicht. Wenn ich sagen will, wer ich bin,
erzähle ich meine Geschichte... Wenn ich zu meiner Geschichte nicht mehr stehen
kann, bin ich mit mir zerfallen, werde ich krank... Zu dieser Geschichte gehört aber
die Geschichte meiner Familie, meines 'Klans', meines Volkes immer dazu. Sie ist
meine Vorgeschichte, auch zu ihr muss ich über alle Brüche hinweg stehen können.
Diese Vorgeschichte kenne ich nur, weil sie mir erzählt worden ist (in einer
bestimmten, identitätsrelevanten Selektion; die Gesamtgeschichte ist nicht
erzählbar). Auch meine eigene Geschichte, die ich von mir erzähle, beruht auf (je
neuen) Selektionen, die beim Erzählen zustande kommen. Diese Geschichten
steuern das Selbst- und Weltverständnis.
Wenn heute von einem Traditionsbruch in dem Sinne die Rede ist, dass die Geschichten der
Vergangenheit für die Gegenwart immer weniger Bedeutung haben, ist das kein Argument gegen das
Geschichten-Identitäts-Konzept: dann entstehen eben Identitäten mit immer weniger Geschichte,
dürftige, schwache Identitäten.
Es ist also anthropologisch in Ordnung, dass die Sakramente die Identität von
Menschen bestimmen, indem sie ihnen Geschichten nahebringen. Es ist auch nicht
so ungewöhnlich, dass sich Menschen mit einer anderen Vorgeschichte
identifizieren: so im Falle vieler Auswanderer, die (oder deren Kinder) sich im Laufe
ihres Lebens die Geschichte des Landes, in das sie eingewandert sind, zu eigen
machen. Das amerikanische Volk ist so entstanden. Das Besondere und Einzigartige
der Vorgeschichte, die Menschen in den Sakramenten zugeordnet werden, ist nur
diese Geschichte selbst.
25
Vgl. zu diesen Überlegungen: DIETRICH RITSCHL, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der
Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München: Kaiser 1984, 40-48 und die dort
angegebene Literatur (Ritschls berühmtes story-Konzept!).
c) Warum muss man sagen: Christus hat die Sakramente eingesetzt?
Jesus Christus ist der Messias – und das verstehe ich so: Er hat das Volk Gottes
über Israel hinaus für die Völker geöffnet. Er hat auch Nichtjuden für torafähig
gehalten (Unreine, Samariter, Heiden) und somit die Erwählung Israels auf die Völker
ausgedehnt (unter Wahrung ihres Unterschieds, vgl. Röm 1,16: "zunächst für die
Juden und dann auch für die Griechen"). Diese Erwählung Israels besteht darin, Gott
zu kennen, ihn zu verherrlichen und seine Gebote zu halten. Durch Jesus können
das auch die ehemaligen Heiden tun.
Vgl. dazu Eph 2,11-13: "Denkt daran: Ehedem lebtet ihr, die Heiden von Geburt [...] ohne Christus,
ausgeschlossen von der Gemeinde Israels, fremd den Bundessschließungen und ihrer Verheißung,
ohne Hoffnung und gottlos in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst fern wart,
nahe geworden durch das Blut Christi" Und 2,19: "So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und
Beisassen, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes." Darin erfüllt sich für Israel das
messianische Zeitalter, vgl. z.B. Jes 2: An jenem (messianischen) Tag kommen die Völker zum Zion,
um die Weisung/Tora Gottes zu hören.
(Siehe dazu, wenn das nicht klar sein sollte, das Skript meiner Christologie-Vorlesung vom WS 98/99.
Das Hineinholen der Menschen aus den Völkern in den Bund geschieht in einer hier nicht zu
erklärenden Weise gerade durch sein Kreuz und seine Auferstehung).
Wenn nun also die Sakramente bewirken, dass Menschen aus den Völkern die
Geschichte Israels und Jesu als ihre eigene Vorgeschichte zugeordnet wird, dann ist
dieses sakramentale Geschehen grundgelegt in Jesus Christus, in seinem
messianischen Wirken. Ohne Christus keine Sakramente!
Ob man ihn deswegen gleich "Ursakrament" nennen muss, ist eine strittige, vielleicht überflüssige
Frage. Man sollte doch den Sakramentsbegriff so eng wie möglich halten, um ihn nicht zu verwässern.
Die Theologie besteht zu Recht darauf, dass alle Sakramente von Christus
eingesetzt sind. Dies gilt in einem weiteren Sinne: ohne Christus keine Sakramente,
und in einem engeren Sinne: Jedes Sakrament muss auf das Christusgeschehen
rückführbar sein! In jedem muss sein christologischer Sinn angebbar sein, d.h. an
jedem Sakrament muss zu zeigen sein, dass hier Menschen aus den Völkern in
einem spezifischen Sinn in die Wirklichkeit der Bibel und des Torahandelns
hineingerufen werden (Näheres in der speziellen Sakramentenlehre). M. E. ist es
aber nicht nötig, dafür jeweils eigene Einsetzungsakte Jesu vorzuweisen.
Blickt man auf die Elemente der Sakramente (Brot, Wein, Mahlzeit, Wasser,
Untertauchen, Öl, Salben, Handauflegung usw.), dann lässt sich zeigen, dass Jesus
sie selbst so benutzt hat (oder sie an ihm benutzt wurden), dass sie von ihrem
allgemeinen, symbolischen Sinn in spezifischer Weise in den Zusammenhang der
Gottesgeschichte mit Israel gestellt und somit neu 'codiert' wurden: Brot und Wein
werden durch Jesu Hingabe am Kreuz zu Zeichen des Pascha-Mysteriums, in das
nun alle Menschen einbezogen sind, nicht mehr nur Israel. – Von der Frau, die Jesus
in Betanien salbte, wird "in der ganzen Welt" (!) erzählt werden: Sie deutete das
Zeichen des Salbens so um, dass nun auch für die Menschen in der ganzen Welt
verständlich wird, was es bedeutet, in Israel zum König, Priester und Propheten, zum
Messias gesalbt zu werden, vgl. Mt 14,3-9. – Hier ist also noch ein besonderer Sinn
der "Einsetzung durch Jesus Christus" zu entdecken (aber das geht wohl nicht für
alle Sakramente).
d) Was haben die Sakramente mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu tun?
Gottes Geist ist der Geist der Gerechtigkeit. Er ist der Geist, der Gottes Einsatz für
das Leben gegen den Tod wirksam werden lässt. Nach biblischer Einsicht gibt der
Geist Gottes die Kraft, die Gebote Gottes zu erfüllen, und er baut im Bereich der
Tora-Gerechtigkeit ein Kraftfeld auf, in dem eine Gesellschaft für das Leben handeln
kann und den Mächten des Todes nicht mehr ausgeliefert ist.
26
Ich kann das hier nicht ausführen. Vgl. MICHAEL W ELKER, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes,
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener ²1993, vor allem 109-173; und mein Skript vom SS 1996 "Gottes
Geist und andere Geister. Theologie des Heiligen Geistes".
Insoweit nun Menschen aus den Völkern durch die Sakramente in die biblische
Wirklichkeit Gottes hineingeführt werden und somit die Möglichkeit haben, nach dem
Gesetz Gottes zu leben, leben sie in der Kraft des Geistes. Die Kirche ist insgesamt
ein Geschöpf des Heiligen Geistes, denn sie ist das Volk des Bundes/der Tora in der
Welt. Was immer sie tut, geschieht in der Kraft des Geistes. Die Erinnerung (und die
Herabrufung!) des Geistes ist notwendig, um nicht zu meinen, das, was die Kirche
tut, komme allein aus ihrer eigenen Kraft .
e) Inwieweit sind die Sakramente auch ein trinitarisches Geschehen?
Wir haben schon gehört: In den Sakramenten handelt Gott (a) – durch Jesus
Christus (c) – im Heiligen Geist (d). Sie sind also ein trinitarisches Ereignis, oder
anders: Gott nimmt uns durch die Sakramente in sein eigenes inneres Leben, das
unser Leben schafft und erhält, hinein. Dieser Prozess der Anteilhabe am Leben
Gottes beginnt in jedem Sakrament/in jeder sakramentalen Feier neu und ist nicht
abgeschlossen.
Versteht man unter der ökonomischen Trinität den Zustand, "in dem sich Gott der
Welt gegenüber aktuell befindet, den Stand des Prozesses zwischen ihm und den
Menschen: zwischen Israel und den Völkern und zwischen Zorn und Liebe" (Zitat aus
meinem Skript "Gotteslehre" vom WS 1999/2000, S. 37), dann kann man noch
besser erklären, warum Sakramente trinitarische Ereignisse sind: In jedem
Sakrament wird der Übergang von Israel zu den Völkern neu vollzogen, wird die Welt
zum Reich Gottes umgewandelt (oder nicht), und daran entscheidet sich für Gott, ob
er sich der Welt in Zorn oder Liebe zuwendet. Das, was da in den Sakramenten
geschieht, bleibt für Gott nicht äußerlich, sondern betrifft sein Gott-Sein für die Welt,
seine Selbstentäußerung als Gott aller Menschen. Darum gehören die Sakramente
zur ökonomischen Trinität.
f) Sind die Sakramente Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit?
Insoweit die Sakramente durch Jesus Christus begründet und von ihm eingesetzt
worden sind, sind sie nicht einfach Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit. Sie sind
vielmehr Ausdruck der Neuschöpfung, die durch Christi Erlösung (durch den
Einbezug der Völker in die Bundes- und Verheißungswirklichkeit Israels) begonnen
hat. Die Schöpfung ist aufgrund der Sünde der Menschen dem Tod verfallen (sie
bleibt den Zwängen der Selbsterhaltung ausgeliefert), wenn sie sich nicht auf die
erlösende Wirklichkeit des Bundes einlässt und Gottes Willen erfüllt. Es reicht also
nicht, die Sakramente aus den Gegebenheiten der Schöpfung herzuleiten und
verständlich zu machen (etwa aus der Kraft des Symbolischen, der Leiblichkeit, der
Sehnsucht nach Gemeinschaft, der Feier der Lebenswenden usw. –wie das in der
jüngeren katholischen Theologie so beliebt war, vgl. oben 19. Mit solchen Verweisen
kommt man nur bis zum 'Himmel'.). Wenn aber Menschen aufgrund der
Verkündigung und der Sakramente erkennen, was Gott mit der Schöpfung vorhat
und was er getan hat und tut, um die Macht der Sünde zu überwinden, dann
erkennen sie auch, dass er das schon immer so wollte, dass das bereits sein Plan
bei der Erschaffung der Welt war.
Der Geist Gottes schwebte ja schon am Anfang über den Wassern, und Gott sah, dass das, was er
geschaffen hatte, gut war, und er sagt den Menschen, dass sie sich die Erde untertan machen sollen,
also nach den Geboten Gottes, der Tora, regieren sollen, vgl. Schöpfungsgeschichte. Aber dann
kommt der Sündenfall...
Sakramente lassen also in der alten Schöpfung die Umrisse der neuen erkennen, sie
verhelfen zu einer vertieften Sicht auf die Schöpfung. Sie sind einer rein natürlichen
Erkenntnis verschlossen, lassen aber ein neues Licht auf die Realität fallen. Damit ist
27
zugleich etwas über die eschatologische Dimension der Sakramente gesagt: indem
sie die Geschichte Israels und Jesu erinnern, verändern sie die Gegenwart und
lassen sie eine andere Zukunft erwarten, vgl. oben 12. zu signum rememorativum,
signum demonstrativum und signum prognosticum
g) Wie ist der Zusammenhang von Kirche und Sakramenten zu beschreiben?
Vgl. dazu schon oben 10. Zusammenfassend kann man formulieren: In der Feier der
Sakramente wird Kirche je neu geschaffen. Kirche ist da, wo Sakramente gefeiert
werden. Insoweit gehen die Sakramente der Kirche voraus. Andererseits geht auch
die Kirche den Sakramenten voraus: Kirche ist das Israel unter den Völkern, sie gibt
es, weil Jesus die Bundeswirklichkeit bis zu den Völkern gebracht hat. Aber dieses
Kirchesein findet eben immer nur statt, wenn Sakramente gefeiert werden: Da, wo
Gott in den Völkern die Ehre gegeben wird, ist Kirche, und das geschieht, wenn
Sakramente gefeiert werden.
Es ist deswegen mindestens missverständlich, von der Kirche als dem Grund- oder Wurzelsakrament
zu sprechen. Kirche wird aus den Sakramenten aufgebaut, es ist nicht erst die Kirche da, die dann die
Sakramente feiert oder sie gar als ihr Werk hervorbringt. – Wenn man will, kann man das Verhältnis
von Kirche und Sakramenten als zirkulär bezeichnen, aber dann sollte man doch, um Verwirrung zu
vermeiden, den Begriff 'Sakrament' für die sakramentalen Feiern reservieren.
h) Welches Verhältnis besteht zwischen Wort und Sakrament?
Diese (ökumenisch viel diskutierte) Frage kann man nicht im Sinne eines 'mehr oder
weniger' beantworten. Es gibt nicht 'mehr' als das Wort Gottes, das uns Gott, seine
Herrlichkeit und sein Gesetz mitteilt. Mehr ist nicht zu sagen. Das Sakrament muss
dann als eine bestimmte Gestalt dieses Wortes begriffen werden: die Gestalt seines
Wortes, die sich an die Menschen aus den Völkern richtet und diese zur
Gemeinschaft des Bundes und des Gesetzes einlädt. Dieses ist zum Beispiel zu
unterscheiden von der Gestalt seines Wortes in der Gesetzesverkündigung an das
Volk Israel, das sich in besonderer Weise an Israel richtet! Das Wort Gottes an die
Menschen aus den Völkern ergeht als Sakrament, d.h. es ergeht so, dass es, wie
gesagt, diesen Menschen eine andere Geschichte zuordnet. Es wird dann, wie
Augustinus treffend sagt, ein verbum visibile (sichtbares Wort). Warum das so ist,
erhellt aus dem Zusammenhang von Wort und Element im Sakrament.
i) Wie ist das Verhältnis zwischen Wort und Element theologisch zu erklären?
Die Beziehung zwischen Wort und Element ist bei jedem Sakrament eine offene,
jeweils neu zu klärende Beziehung. Denn in dieser Beziehung ist genau der
Übergang von der Welt der Bibel in die Welt der Heiden abgebildet. Das Element
steht für die Welt der Völker, es vertritt da, wie man oft gesehen hat, eine
Grunddimension des Daseins. Indem nun das Wort zum Element tritt (Augustinus),
wird dieses Element in einen neuen Zusammenhang gestellt, es wird neu codiert
(tatsächlich sind alle Zeichen codiert, d.h. sie beruhen auf Übereinkunft). Das heißt
genauer: Es werden biblische Geschichten erzählt, in denen das Element eine
andere Bedeutung hat als gewöhnlich. Dabei hängt es jeweils von der gewöhnlichen,
in der Welt der Völker vorausgesetzten Zeichenhaftigkeit des Elements ab, inwieweit
es sich für die Umcodierung durch das Wort eignet, was von ihm aufgenommen und
was verändert werden muss. Wir haben das an den Mysterienkulten, dem
Neuplatonismus, der Magie des Mittelalters (vgl. oben 14, 15, 17) gesehen: Das Wort
kann sich jeweils auf etwas im Element (im vorausgesetzten Sinn des Zeichens)
stützen, muss anderes zurückweisen bzw. mit neuer Bedeutung versehen. Jede Zeit
der Kirche muss das im Blick auf ihre Welt neu bestimmen. Mit Recht hat deshalb
Augustinus die genaue Zuordnung von natürlichem Zeichen und Wort Gottes nicht
festgelegt. Die Beziehung zwischen Element und Wort repräsentiert also das
Geschehen, das in den Menschen vor sich geht, die das Sakrament begehen. Von
28
ihnen hängt es letztlich ab, wie sie diese Beziehung verstehen. Beispiele dazu in der
speziellen Sakramentenlehre.
Taufe ist Eingliederung in das Gottesvolk und damit immer auch Teilhabe an Israel.
Daraus die Aufgabe:
»Meine Teilhabe an Israel – ganz konkret: Welche Beziehungen zu jüdischen
Menschen, zum Judentum, zum Land Israel habe ich?«
29
II. Spezielle Sakramentenlehre
A. Die Initiationssakramente Taufe und Firmung
Lit.: Faber, 75-97; Kunzler, Leben in Christus, 412-435; Ders., Liturgie der Kirche, 398-418; Meßner,
Einführung, 59-149; Dorothee Boss, Taufe kompakt, Würzburg 2009; Christian Lange (Hg.), Die
Taufe – Einführung in Geschichte und Praxis, Darmstadt 2008; Michael Hauke, Die Firmung.
Geschichtliche Entfaltung und theologischer Sinn, Paderborn 1999; Ders., Das Sakrament der
Firmung, in: W. Brandmüller (Hg.), Christus in den Sakramenten der Kirche, Aachen 1998, 81-113.
1. Probleme mit Taufe und Firmung heute
Wie bei allen Sakramenten, so wollen wir zunächst die Probleme ins Auge fassen,
die sich für Taufe und Firmung heute stellen. Denn eine „Theologie der Sakramente“
soll ja dazu dienen, diese Probleme zu lösen. Die Hauptprobleme für die Taufe sind
wohl:
o Die Taufe produziert „Taufscheinchristen“, sie hat für das Leben keine
Bedeutung
o Der Zusammenhang von Glaube und Taufe ist meistens nicht gegeben
o Letzteres gilt besonders für die Säuglingstaufe. Lässt sich diese überhaupt
noch rechtfertigen, etwa gegenüber den Einsprüchen baptistischer und
freikirchlicher Gemeinden, die auf der „Gläubigentaufe“ bestehen?
o Entwertet sich die Kirche nicht selbst, wenn sie die „Gnade“ der Sakramente
spendet, und es folgt nichts daraus? Ist das nicht „billige Gnade“ (D.
Bonhoeffer)?
o Taufe ist meistens ein reines Familienfest, ohne jeden Gemeindebezug
o Das Patenamt hat keine kirchliche Funktion mehr
o Die „Heilsnotwendigkeit“ der Taufe wird nicht mehr gesehen. Glaubt noch
jemand, dass man nicht in den Himmel kommen kann, wenn man nicht getauft
ist?
Für die Firmung kommt noch hinzu:
o Die Firmung soll die Getauften zu mündigen Christen machen, die in der
Kirche Verantwortung übernehmen – aber genau das geschieht meistens
nicht.
o Ist die Firmung nicht nur ein „pädagogisches Sakrament“, d.h. eine
Gelegenheit, den Getauften den Inhalt ihres Glaubens zu vermitteln?
o Oder gar nicht eine Rekrutierungsmaßnahme der Kirche – hier kann sie die
jungen Leute noch einmal erreichen?
o Grundsätzlich gefragt: Ist die Firmung überhaupt ein eigenes Sakrament,
wenn sie doch nur die Taufe vollendet? Sieht man die Zustimmung der
Getauften als Inhalt der Firmung, dann entsteht daraus jedenfalls kein eigenes
Sakrament. Es wird ja dabei keine Gnade vermittelt.
o Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Taufe und Konfirmation? Was
bedeutet es, dass die evangelische Kirche die Konfirmation nicht als
Sakrament ansieht?
2. Biblische Schlüsselszenen: Mt 3; Joh 3; Röm 6
Mt 3,1-17: Johannes der Täufer
Die Johannestaufe gilt als Ursprung und Vorbild der christlichen Taufe. Aber in
welchem Sinn?
Johannes verkündet die Taufe zum Gericht und zur Umkehr. Für ihn ist zu seiner Zeit
die Frist abgelaufen, die Gott dem Volk Israel zur Umkehr gesetzt hat. Die
Zerstörung Jerusalems (587 v.Chr.) und das Exil waren die Strafe Gottes für die
Sünde Israels. Danach hat Gott sein Volk wieder angenommen – aber
30
gewissermaßen nur auf Bewährung. Nach einer alten Prophetie sollte diese
Probezeit 7 x 70 Jahre dauern. Diese Zeit ist nun abgelaufen. Jetzt muss sich
zeigen, wer würdig ist, dem Volk Gottes anzugehören. Darum sagt Johannes: Die
bloße Zugehörigkeit zum Abrahamsnachkommenschaft genügt nicht mehr (V. 9).
Jetzt will Gott Taten sehen. Das Gericht ist jetzt:
„Jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer
geworden“.
Bei der Johannestaufe geht es also darum, wer Gott recht ist und damit zu seinem
Volk gehören kann. Wer keine guten Taten vorweisen kann, gehört nicht mehr dazu.
Da kommt Jesus, lässt sich taufen, und eine Stimme vom Himmel ertönt: „Dies ist
mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Jetzt ist klar, wer Gott
gefällt: Jesus. Und für alle, die das hören, ist klar: An diesen Jesus muss ich mich
halten, wenn ich dazugehören will. In Gemeinschaft mit ihm zu sein, das bedeutet, zu
Gott zu gehören und das wahre Israel zu sein.
In diesem Sinne also ist die Johannestaufe der Ursprung der christlichen Taufe. Sie
bedeutet die Aussonderung für das wahre Volk Gottes, d.h. für die Kirche. Und zwar
gerade dadurch, dass Jesus sich von Johannes taufen lässt und er dabei von Gott
als der Mensch seines Wohlgefallens offenbart wird. Die christliche Taufe führt in die
Gemeinschaft mit Jesus und damit in das wahre, Gott wohlgefällige Gottesvolk.
Literaturhinweis: Hansjörg Rieger, Johannes der Täufer und die Frucht der Umkehr, in: IKZ Communio
34 (2005) 33-46
Joh 3,1-21: Jesus im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus.
Nikodemus glaubt, dass Jesus von Gott gekommen ist. Jesus darauf: Wer nicht von
oben geboren wird, kann das Reich Gottes nicht schauen. Nikodemus: Wie kann ein
Mensch zum zweiten Mal geboren werden, z.B. wenn er ein Greis ist? Jesus:
Wer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann nicht in das Reich Gottes
eingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, was aus dem Geist
geboren ist, ist Geist.
Biblisch ist 'aus dem Fleisch geboren sein' der Inbegriff für Handeln aus Selbsterhaltung. Die Frage ist
also: Wie kommt man von Primat der Selbsterhaltung los und in das Reich Gottes hinein? Jesus ist
radikal: Entweder aus Fleisch oder aus Geist – der Wechsel ist eine neue Geburt, ein absoluter
Neuanfang. Das Geborenwerden aus Geist ist für die, die aus dem Fleisch sind, nicht planbar:
Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht,
woher er kommt und wohin er geht. Nikodemus: Wie kann das dann
geschehen? Jesus: Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht?
Das Geheimnis ist also bereits in der Lehre Israels enthalten! Jesus sagt im Folgenden, dass er nun
von "himmlischen Dingen" reden werde, und verweist auf einen Teil der Tora, nämlich Num 21,4-9:
Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der
Menschensohn erhöht werden...
Was steht in Num 21? Die Israeliten haben Angst, in der Wüste zu sterben. Da lässt Gott
Feuerschlangen gegen sie los, viele werden gebissen und sterben. Die Leute bitten Mose, Fürsprache
für sie einzulegen. Gott sagt Mose: "Fertige dir eine Feuerschlange an und befestige sie an einer
Stange. Jeder aber, der gebissen ist, soll am Leben bleiben". Und so geschieht es.
Wie ist das zu verstehen? Die Israeliten 'fressen' sich aus Angst um ihre
Selbsterhaltung gegenseitig auf. Der gewaltsame Kampf ums Dasein ist entbrannt.
Das Aufrichten und Ansehen der Schlange macht diesen Gewaltmechanismus
sichtbar, und das schafft die Rettung.
Jesus identifiziert sein Schicksal mit dieser ehernen Schlange und der Rettung, die
von ihr kommt.
...so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt,
durch ihn ewiges Leben hat. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er
seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt,
nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.
31
An Jesu Tod werden die Gewaltmechanismen, die aus dem Kampf um
Selbsterhaltung, dem Kampf des Fleisches kommen, ansehbar. Wer an ihn glaubt –
nämlich dass er von Gott kommt, von dem das Leben und nicht der Tod ausgeht –
hat das Gesetz des Fleisches überwunden. Es muss nicht mehr jeder selbst sterben,
es genügt, an Jesus zu glauben und in Lebensgemeinschaft mit ihm zu sein.
Röm 6:Taufe als Sterben und Aufstehen mit Christen.
In Röm 6 sagt Paulus das Gleiche in anderen Worten (nun schon auf Jesu Tod und
Auferstehung zurückblickend):
Wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, auf
seinen Tod getauft sind? Wir sind also durch die Taufe auf seinen Tod mit ihm
begraben, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten
auferweckt wurde, so auch wir in einem neuen Leben wandeln werden.
Taufe ist also, wie Paulus weiter ausführt, ein Mitgekreuzigtwerden des alten
Menschen, ein Vernichten des Sündenleibes. Der Sündenleib ist der Mensch, der in
allem nur auf seine Selbsterhaltung bedacht ist. Dieser muss und wird in jedem Fall
sterben!
Denn wer gestorben ist, der ist von der Sünde frei geworden.
Erst der Tod beendet den Kampf ums Dasein. Aber im Glauben an Christus sind wir
mit ihm so eng in einer Lebensgemeinschaft verbunden, dass der Glaube an ihn
genügt, um in ihm zu sterben und nicht mehr selbst sterben zu müssen. Und im
selben Glauben werden wir auch mit ihm zum neuen Leben auferweckt, einem
Leben, das nicht mehr unter der Macht der Sünde und damit des Todes steht.
Wir wissen ja, daß Christus, nachdem er von den Toten auferweckt ist, nicht
mehr stirbt; der Tod hat keine Gewalt mehr über ihn. Denn mit seinem Sterben
ist er der Sünde ein für allemal gestorben, mit seinem Leben aber lebt er für
Gott.
Ein Leben für Gott zu leben, das bedeutet, die Herrlichkeit Gottes der eigenen
Selbsterhaltung vorzuziehen. Der Weg dorthin wird über die Gleichgestaltung mit
Christus im Glauben vollzogen. Das ereignet sich in der Taufe. Es ist die Gnade des
Sakraments der Taufe, dass Menschen durch den Glauben und die Gemeinschaft
mit Christus nicht mehr selbst die notwendige Folge ihres Selbsterhaltungshandelns,
den Tod, erleiden müssen. Und dann kann das neue Leben beginnen. Es steht unter
der Aufforderung:
Darum soll die Sünde nicht mehr in eurem sterblichen Leib herrschen ... gebt
eure Glieder nicht mehr als Waffen der Ungerechtigkeit hin ... sondern als
Waffen der Gerechtigkeit für Gott.
Vgl. Cyrill von Jerusalem (+387): "Wir starben nicht wirklich, wir wurden nicht wirklich
begraben, wir sind auch nicht wirklich als Gekreuzigte auferstanden, sondern die
Nachahmung geschah im Bild, das Heil aber in Wirklichkeit. Christus wurde
tatsächlich gekreuzigt, tatsächlich begraben und ist wirklich auferstanden – und all
das hat er uns wirklich geschenkt, damit wir ... in Wirklichkeit das Heil erlangen."
Bei diesem Gedanken ist es ganz wichtig, zwischen Stellvertretung und Ersatz zu
unterscheiden! Jesus ersetzt nicht unser eigenes Handeln und Glauben, sondern er
vertritt uns, damit wir es selber tun können. So wie ein Lehrer mit seinem Wissen das
Wissen der Schüler nicht ersetzt, sondern ihnen Raum schafft, damit sie selber
wissen können. Oder wie die Mutter, die mit ihrem Kind lebt und leidet, gleichsam
dieses Leben des Kindes noch einmal lebt – nicht um das Kind zu ersetzen, sondern
um ihm in der Gemeinschaft die Kraft zu geben, sein eigenes Leben zu leben.
32
3. Theologie der Initiationssakramente
o Die Taufe ist Eingliederung in Christus, um durch ihn und mit ihm des
Lebens teilhaftig zu werden, das von Gott kommt. Durch die Taufe verwandelt
sich das 'für uns' Jesu in unser 'durch ihn' und 'mit ihm'. Die Theologie spricht
auch von der Eingliederung in den mystischen Leib Christi.
o Dieses Leben ist das Leben für Gott, d.h. das Leben, das nicht mehr unter
dem Zwang der Selbsterhaltung steht. Es ist damit das Leben in
Gerechtigkeit, denn gerecht im biblischen Sinn kann nur sein, wer den
anderen gerecht wird und sie nicht als Mittel der eigenen Daseinserhaltung
und Selbstbehauptung gebraucht. Leben in Gerechtigkeit heißt biblisch: Leben
in der Kraft des Heiligen Geistes.
o Die Taufe ist eine Gabe, eine Gnade von Gott (das ist ihr opus operatum).
Was die Taufe bewirkt, kann kein Mensch von sich aus machen. Es wird
geschenkt, soll sich aber in einem Leben nach der Gerechtigkeit bewähren.
o Taufe bewirkt Sündenvergebung. Dies geschieht dadurch, dass der/die
Getaufte von den Mächten der Sünde, die mit der individuellen
Selbsterhaltung gekoppelt sind, befreit wird. Getaufte müssen nicht mehr
sündigen (aber sie können es noch). Die Sündenvergebung ist nicht auf
einzelne Vergehen der Vergangenheit bezogen, sondern auf den absoluten
Neuanfang, der mit den neuen Leben aus der Taufe gegeben ist.
o Taufe ist Eingliederung in die Kirche. Das meint zum einen den Erwerb der
Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Kirche, den Erwerb der
Mitgliedschaftsrechte bzw., was dasselbe ist, die Ordination zum allgemeinen
Priestertum, zum anderen aber die Aufnahme in die Kirche als den Leib
Christi, als die Gemeinschaft, die in der Lebensgemeinschaft mit und in
Christus existiert. Christus ist nicht ohne seine Kirche.
o Taufe ist damit die Aufnahme in das Gottesreich auf Erden. Sie ist wie die
Einbürgerung eines Menschen in ein Land, in dem andere Gesetze gelten als
in seinem Herkunftsland. Diese Aufnahme kann man nicht erzwingen, sie
muss von den zuständigen Autoritäten des Landes vorgenommen werden; in
der Kirche von denen, die die Taufe vornehmen. Dass der Neubürger in den
Genuss der Gesetze des neuen Landes kommt, bedeutet das Geschenk der
Taufe. Aber es wird dann auch von ihm erwartet, dass er sich an die Gesetze
und die Lebensweise jenes Landes hält.
o Die Firmung ist in diesem Vergleich mit der Übernahme von Verantwortung
und Pflichten in dem Land der Einbürgerung zu vergleichen. Der Neubürger
wird ermächtigt, nicht nur in dem Land zu leben, sondern auch Ämter und
öffentliche Aufgaben zu übernehmen (vgl. die Auseinandersetzung um das
Wahlrecht der Ausländer bei uns). – Oder ein anderer Vergleich: Wer sich an
der Universität immatrikuliert, übernimmt alle Rechte und Pflichten eines
Studierenden. Nach dem Examen aber bekommt man einen neuen Status,
man kann man MitarbeiterIn werden, darf selbst lehren und prüfen und trägt
damit zum Leben der Universität bei – das ist wie die Firmung in der Kirche.
o Was Firmung bedeutet, kann man sich am besten an den »Sieben Gaben
des Heiligen Geistes« klarmachen. Diese sind aus Jes 11,1 gewonnen und
lauten, wenn man sie von hinten nach vorne liest (dies ist bei biblischen
Aufzählungen, z.B. den zehn Geboten, immer zu empfehlen – sie haben ein
„Achtergewicht“): Gottesfurcht – Frömmigkeit – Erkenntnis – Kraft – Rat –
Einsicht – Weisheit. Diese werden bei der Firmung verliehen, und das
bedeutet: Jemand „fürchtet“ Gott, das heißt er gibt ihm die Ehre, die Gott
gebührt – daraus erwächst eine Grundhaltung, Frömmigkeit genannt, das
33
heißt eine Ausrichtung des ganzen Lebens auf Gott und nicht auf sich selbst –
daraus entsteht eine bestimmte Art von Erkenntnis, nämlich die, alle Dinge auf
Gott beziehen zu können – daraus erwächst Kraft, weil man ja nicht mehr an
die eigene Armseligkeit gebunden ist; und diese Kraft braucht man dann auch,
denn man eckt mit einer solchen Erkenntnis ganz schön an – dann kommt der
„Rat“, das ist auf das Tun zu beziehen („Berater“ sagen einem, was man tun
soll“, das heißt ein dem Willen Gottes entsprechendes Handeln und Verhalten
– das wiederum bewirkt Einsicht; es ist die Einsicht, die aus dem Tun kommt
(das ist mehr als praktische Intelligenz, es ist die Fertigkeit, die aus intensiver
Beschäftigung entsteht) – und schließlich gelangt man zur Weisheit, denn der
Geist Gottes lässt einen über die geschilderten Stufen in ein rechtes
Verhältnis zu Gott und der Welt kommen. Wie konkret das gemeint ist, sieht
man, wenn man z.B. statt Gott das Geld einsetzt. Auch da gibt es eine
bestimmte Art von Furcht, von Frömmigkeit, von Erkenntnis usw., nur dass am
Ende keine Weisheit dabei herauskommt.
»Nennen Sie drei Elemente des Taufritus, die die ‚Wandlung’ bezeichnen«
4. Aus der Geschichte von Taufe und Firmung
Der Ursprung der christlichen Taufe ist wie gesagt die Taufe des Johannes. Im
Judentum gab es sonst keinen vergleichbaren religiösen Ritus, aber es kann sein,
dass jüdische Reinigungsbäder (man denke an die jüdischen Bäder, Mikwe) einen
Einfluss auf die Taufe ausgeübt haben. Der Taufbefehl Jesu (Mt 28,19) ist historisch
unsicher. Fest steht aber, dass die junge Christenheit von Anfang an mit großer
Selbstverständlichkeit die Taufe vollzogen hat.
Im NT sind Taufen ohne längere Vorbereitung (Apg 8,26-40: äthiopischer Kämmerer)
und Taufen eines "ganzen Hauses" bezeugt (Apg 16,15: die Purpurhändlerin Lydia
lässt sich mit ihrem ganzen Haus taufen – Kindertaufe?).
Ab dem 2. Jh. bildet sich ein längeres Katechumenat (Vorbereitung der
Taufbewerber; bis zu drei Jahre) heraus. In dieser Zeit, in der die Katechumenen
noch nicht zur Eucharistie, zum Friedensgruß und zum gemeinsamen Gebet
zugelassen waren, wurden sie von Paten begleitet. Diese mussten vor der Taufe, die
am Ostersonntag nach mehreren Exorzismen und einem Examen gespendet wurde,
für die Taufbewerber bürgen. „Für den Christen der Spätantike war die Taufe gewiß
der eindrucksvollste und wichtigste Gottesdienst seines Lebens“ (Meßner,
Einführung aaO. S. 102).
Folgendes Zitat aus der „Apostolischen Überlieferung“aus dem 4. Jh. vermittelt einen
Eindruck von Katechumenat und Taufe in der Alten Kirche:
„Wenn man diejenigen, die bestimmt sind, die Taufe zu empfangen, ausgewählt und ihr Leben
geprüft hat, ob sie als Katechumenen ehrenwert lebten, ob die die Witwen ehrten, ob sie die
Kranken besuchten, ob sie alle guten Werke ausführten, und wenn die, von denen sie
eingeführt wurden [die Bürgen/Paten] bezeugen, daß sie so gehandelt haben, so sollten sie
das Evangelium hören [d.h.: sie wurden zur letzten Phase des Katechumenats, zum
Photizomenat, zugelassen und durften nun den Wortgottesdienst besuchen]. Von der Zeit an
aber, da sie abgesondert werden sollen, möge ihnen täglich die Hand aufgelegt werden,
indem sie beschworen werden. Wenn nun der Tag herannaht, an dem sie getauft werden
sollen, soll der Bischof jeden einzelnen von ihnen beschwören, damit er erkennt, ob sie rein
sind. Wenn aber einer da ist, der nicht wohlgebildet oder nicht rein ist, soll er beiseite gestellt
werden, weil er das Wort nicht gläubig gehört hat; denn es ist unmöglich, daß sich der Fremde
[d.h. der Teufel] je verbirgt.“ (Kap. 20, zitiert nach Meßner aaO. S. 95f).
Der Ablauf den altkirchlichen Taufgottesdienstes ist aus Text 1 (s. Anhang) zu
ersehen. Die Schilderungen von Tertullian (um 200) und Ambrosius (Ende 4. Jh.)
zeigen im Wesentlichen dieselbe Struktur.
34
Ab dem 4. Jh. verfiel das Katechumenat, da viele Bewerber sich erst kurz vor ihrem
Tod taufen ließen. In der gleichen Zeit finden wir aber auch schon die Kindertaufe,
gegen die sich offenbar kein Protest erhob. Als im 5. Jh. Augustinus die Kindertaufe
mit der Lehre von der Erbsünde verband, wurde sie gesamtkirchliche Praxis.
Meßner, Einführung S. 85-117, arbeitet gut heraus, dass die Taufe im Übergang von
der Antike zum Mittelalter einen entscheidenden Bedeutungswechsel mitgemacht
hat.
In
der Alten
Kirche
bedeutete
sie
im Wesentlichen einen
»Herrschaftswechsel«. Aus der heidnischen Gesellschaft, in welcher man den
falschen Göttern diente und alle Arten von Lastern geübt wurden, vollzog die Taufe
den Wechsel in den Raum der Kirche. Der Täufling gelangte aus dem Reich des
Bösen/des Teufels in das Reich Christi. Deswegen waren mit der Taufvorbereitung
so viele Exorzismen (Austreibung der bösen Mächte) und Abrenuntiationen
(Widersagungen an das Böse) verbunden. Im Mittelalter aber war die Gesellschaft
als Ganze christlich geworden. Taufe war nun Eingliederung in die bestehende
Gesellschaft. Sie wurde zum Eingangs- und Randsakrament der Kirche. Dazu trug
auch die Ablösung der Firmung von der Taufe bei. In den Mittelpunkt des
sakramentalen Lebens tritt im Mittelalter die Buße, das heißt das Bekenntnis und die
Vergebung der Sünden, die einen Christen aus der Kirche ausschließen. Weiterhin
ist zu beobachten, dass im Mittelalter die Bedeutung des Tauf- und Firmspenders
neu betont wird. Im Zuge der Anreicherung des Amtsverständnisses mit klösterlichen
Idealen (Zölibat!) erschien der Amtsträger als „Mann Gottes“ (vir Dei), der über
besondere Gnadengaben verfügt und diese in den Sakramenten weitergibt. Es
kommt zum Modell der „priesterlichen Gnadenvermittlung“, als deren Empfänger der
einzelne Mensch gedacht wird. Die Taufe ist jetzt zuerst die Ausstattung mit der
Gnade, die man für das ewige Leben braucht.
Bei diesen sicherlich zutreffenden Beobachtungen ist nicht zu vergessen, welche
Bedeutung die Erbsündenlehre hatte. In der Erbsündenlehre hat sich der Gedanke
des „Herrschaftswechsels“ weiterhin erhalten, ja er ist dort sogar zentral. Taufe ist
Übergang aus dem Machtbereich der Sünde, dem alle Menschen kraft der Erbsünde
verfallen sind, in den Bereich Christi, wo die Macht der Sünde gebrochen ist. Der
soziologische Gedanke des Herrschaftswechsels in der Alten Kirche hatte sich in die
ontologische Lehre von der Erbsünde verwandelt; und dies war sicherlich eine
angemessene Form, die Kontinuität einer Glaubenswahrheit über die Diskontinuität
der Zeiten bzw. sozialen Verhältnisse zu bewahren.
Für heute kommt es darauf an, wieder eine Form zu finden, die den Gedanken des
Herrschaftswechsels ausdrücken kann. Taufe ist Befreiung von den Mächten des
Bösen – wie ist das heute zu denken und zu vollziehen? Würde es gar nicht mehr
gedacht – und das ist heute leider überwiegend der Fall – dann wäre die Taufe um
ihre Bedeutung gebracht.
Zum Verhältnis von Taufe und Firmung. Zwei Positionen
Mit der Kindertaufe lösten sich die Firmung und die Erstkommunion
(Taufkommunion) von der Taufe ab. Die postbaptismale Salbung (Abschlussritus der
Taufe) war nach einer stadtrömischen Tradition dem Bischof vorbehalten. Da dieser
nicht bei allen Kindertaufen anwesend sein konnte, wurde in der Westkirche die
Firmung (confirmatio: Bestätigung, Bestärkung) später nachgeholt. Die Kirche des
Ostens blieb hingegen dabei, Taufe, Firmung und Erstkommunion zusammen zu
spenden. Ab dem 12./13. Jh. wurde dann im Westen auch die Erstkommunion als
eigener Ritus begangen, und es bildete sich die Reihenfolge Taufe-ErstkommunionFirmung heraus.
35
Zu dieser Entwicklung, die große Bedeutung hat für das heutige Frage nach der
Sakramentalität der Firmung hat, gibt es unterschiedliche Positionen in der
Theologie. Reinhard Meßner, Einführung, S. 136-141, und Michael Kunzler, Liturgie
der Kirche, 410-413, halten es nicht für richtig, die Tradition der Kirche
weiterzuführen, die im Grunde nur durch eine historische Zwangslage (der Bischof
konnte nicht bei allen Taufen zugegen sein) bzw. durch die gesamtkirchliche
Übernahme einer stadtrömischen Tradition (dem römischen Bischof war die
postbaptismale Salbung vorbehalten) entstanden ist. Die Reihenfolge Taufe –
Erstkommunion – Firmung ergebe theologisch keinen Sinn. Auch die nachträglich für
die eigenständige Firmung gegebenen Begründungen (der bei der Taufe
bezeichnete Soldat Christi erhält nun die geistlichen Waffen; Mündigkeitssakrament;
Bestätigung des Taufglaubens; kirchliche Volljährigkeitserklärung) haben nach den
Genannten keine biblische und theologische Grundlage; sie sind allenfalls
katechetisch-pädagogisch zu halten. Kunzler insbesondere verweist auf die
Vorbildlichkeit des ostkirchlichen Brauchs, die Initiationssakramente zusammen zu
spenden, wie es bei der Erwachsenentaufe ja auch bei uns geschieht.
Demgegenüber betont Manfred Hauke, Die Firmung aaO. 25ff; 153-175 die
historische und sachliche Selbstständigkeit der Firmung gegenüber der Taufe. Schon
in der Apg gibt es unterschiedliche Konstellationen von Taufe und Firmung bzw.
Geistempfang:
o Apg 8,14-17: erst Taufe dann Firmung
o Apg 10,44-47: erst Firmung dann Taufe
o Apg
19,1-7:
Taufe
durch
die
Begleiter
des
Paulus,
dann
Handauflegung/Geistempfang durch den Apostel („Bischof“) Paulus
Die Taufe kann als das österliche Sakrament verstanden werden, die Firmung als
das Sakrament von Pfingsten. Und wie Ostern und Pfingsten in der Bibel nicht
dasselbe sind, so auch Taufe und Firmung nicht. Erst am Pfingstfest treten die
Jünger aus dem geschlossenen Raum heraus und fangen an zu predigen – der
Geist, der auf sie gekommen ist, gibt ihnen eine neue Kraft.
In der Alten Kirche hat sich eine ganz eigenständige Firmterminologie
herausgebildet, die darauf hinweist, dass die Eigenständigkeit des Firmsakraments
deutlich gesehen wurde. Sachlich wurde der Unterschied von Taufe und Firmung
u.a. in folgende Begriffe und Bilder gefasst:
Taufe
Firmung
Österliches Sakrament
pfingstliches Sakrament
Aufnahme (z.B. in ein Heer)
Ausrüstung zum Kampf
Geburt
Vollalter
Befreiung von Sünde
neues Leben
Text 2 (s. Anhang), die Zusammenfassung einer Pfingstpredigt des
frühmittelalterlichen Bischofs Faustus von Riez (5. Jh.), zeigt anschaulich, wie der
Unterschied von Taufe und Firmung im Mittelalter verstanden wurde. Diese Predigt
des Faustus wurde im ganzen Mittelalter immer wieder zu diesem Thema
herangezogen.
Nimmt man beide Positionen zusammen, so ergibt sich, dass es gute Argumente für
die Eigenständigkeit der Firmung als Sakrament gibt. Wie oben unter 3. gesagt: Die
Firmung verleiht einen neuen Status in der Kirche! Sie ist mehr als der Abschluss der
Taufe, geschweige denn, dass sie nur die Bestätigung der Taufe vollzieht.
Andererseits ist ersichtlich, dass beide Sakramente eng zusammengehören. Dies
sollte auch bei der Vorbereitung und der Feier zum Ausdruck kommen. Solange es
36
die Kindertaufe noch gibt, müsste die Firmvorbereitung eigentlich das nachholen,
was in der Alten Kirche das Katechumenat geleistet hat. Und der Zusammenhang
der Firmung mit der Übernahme von Verantwortung in der Kirche sollte ganz klar
gemacht werden. Die Firmung ist ein „ekklesiales“ Sakrament, sie dient nicht der
persönlichen Stärkung.
Die Reformation hat keine wesentlichen Änderungen der Taufpraxis- und theologie
gebracht. Luther betont die Bedeutung des Glaubens, hält aber gegen die
Schwärmer auch an der Objektivität des Sakraments fest. Die Firmung wird als
Sakrament abgelehnt. Dabei bestritten die Reformationen vor allem das bischöfliche
Vorrecht zur Firmung. Für sie war die Konfirmation hauptsächlich der Abschluss der
Vorbereitung, des Konfirmationsunterrichts, der dementsprechend auch viel wichtiger
genommen wurde. Konsequenterweise wurde die Konfirmation dann in den Zeiten
der Aufklärung eine Art kirchliche Jugendweihe. Demgegenüber hat wiederum der
Pietismus die Geisttaufe als die eigentliche Taufe erklärt.
Das Konzil von Trient bestätigte die Sakramentalität der Firmung und erklärt, dass
der Bischof der ordentliche Spender des Sakraments ist (DH 1628-1630).
Das II. Vaticanum betont den Zusammenhang der Initiationssakramente. In der
Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“, Nr. 71 heißt es: Der Firmritus soll "den
inneren Zusammenhang dieses Sakramentes mit der gesamten christlichen Initiation
besser aufleuchten" lassen. In Nr. 64
wird die Wiederherstellung eines
Katechumenats für die Erwachsenentaufe gefordert.
Im Zusammenhang der ökumenischen Bewegung hat die Taufe als Sakrament der
kirchlichen Einheit eine große Bedeutung erlangt, vgl. das Lima-Dokument, oben 18.
»Meine Position zur Frage der Kindertaufe«
5. Der Ritus der Kindertaufe
Vgl. dazu Gotteslob Nr. 45-50 sowie Dt. Bischofskonferenz (Hg.), Die Feier der Kindertaufe, Freiburg
u.a. 2001
Der nach dem II. Vaticanum erneuerte Ritus enthält:
- Begrüßung, Gespräch mit den Eltern über den Taufwunsch und den Namen des
Kindes, Wort an die Paten über die christliche Erziehung
- Wortgottesdienst und Riten, die an das einstige Katechumenat erinnern: Lesungen
und Ansprache, Bezeichnung mit dem Kreuz, Fürbitten, Anrufung der Heiligen, bes.
der Namenspatrone, Gebet um Befreiung von der Macht des Bösen, Salbung mit
Katechumenenöl (= Stärkung)
- Kernhandlung der Taufe: Gebet über dem Wasser oder Taufwasserweihe, Absage
an den Satan und Glaubensbekenntnis, Taufe durch dreimaliges Untertauchen oder
Übergießen mit der Formel: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
- Ausdeutende Riten: Chrisamsalbung (= Salbung zum König, Priester und
Propheten), Anlegen des weißen Taufkleides [vgl. Offb 6,11; 15,6; 19,8: Das Kleid
derer, die aus der eschatologischen Bedrängnis gerettet werden; und: "Das Linnen
sind die Rechttaten der Heiligen"!], Übergabe der Taufkerze, Effata-Ritus (Öffung der
Sinne für das Wort Gottes)
- Abschluss: Vaterunser, Elternsegen und Entlassung.
6. Der Ritus der Firmung
Vgl. dazu Gotteslob Nr. 51-52 sowie Dt. Bischofskonferenz (Hg.), Die Feier der Firmung, Freiburg u.a.
2002
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Die Firmung soll in der Hl. Messe gespendet werden, Spender ist der Bischof. Sie
hat den Aufbau:
- nach der Predigt: Vorstellung der Firmlinge und Homilie des Spenders
- Tauferneuerung: Absage an den Satan und Glaubensbekenntnis
- Aufforderung an die Gemeinde zu stillem Gebet
- Gebet des Firmspenders um den Heiligen Geist unter Ausbreitung der Hände über
den Firmlingen
- Firmhandlung: Zeichnung eines Kreuzes mit Chrisam auf die Stirn und Formel: N.,
sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.
- Fürbitten, Fortgang der Eucharistiefeier
Das Backenstreich (Alapa), früher ein Erinnerungszeichen der Firmung und –
germanisch – auf den Ritterschlag gedeutet, ist fortgefallen.
7. Die Elemente der sakramentalen Zeichen
Das materiale Element der Taufe ist das Wasser, bzw. genauer, das dreimalige
Untertauchen oder Übergießen mit Wasser. Dies ist auf das Mitsterben und
Mitauferstehen mit Christus zu deuten. Kirchenväter haben auf die Rettung Noahs
aus der Sintflut, die Rettung Israels aus dem Schilfmeer, die Rettung Jonas
verwiesen. Gibt die uns heute zugängliche Wasser-Symbolik diese Bedeutung her?
HÖHN (57-61: Basissymbol 'Wasser') findet Analogien in der Symbolik: Wasser als
Urgrund des Lebens, Summe aller Möglichkeiten, Neubeginn, Verwandlung,
Schweben, den Boden unter den Füßen verlieren, keinen festen Halt mehr haben,
Wasserflut = Katastrophe, Eintauchen in die Tiefe.
Das materiale Element der Firmung ist das Besiegeln mit Chrisam-Öl auf der Stirn
mit dem Zeichen des Kreuzes (lange hat man geschwankt, ob nicht auch die
Handauflegung sakramentales Zeichen sei, aber heutige Liturgiewissenschaft sieht
in der Handauflegung nur einen begleitenden Ritus zum Gebet um die Gaben des
Heiligen Geistes.) Die Besiegelung kann man auf den Abschluss der Initiation
deuten. Ich denke aber dabei an die auf der Stirn Besiegelten aus der Offenbarung
des Johannes, die durch die Vollmacht des Engels aus der großen Drangsal gerettet
werden, vgl. Apk Kap. 7. Ihnen stehen die gegenüber, die das Malzeichen des Tieres
(des großen Verderbers) auf ihrer Hand oder an ihrer Stirn tragen, von dem es heißt:
"dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Malzeichen, den
Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens hat." (13,16f). Das trifft es doch für
heute genau: Firmung als Besiegelung zur Rettung vor der Dämonie des Marktes!
8. Ist die Kindertaufe zu rechtfertigen?
Die Taufe ist primär ein Handeln Gottes an einem Menschen. Darauf antwortet der
Glaube. Es ist nicht notwendig, dass der Glaube vorher vorhanden ist, sowenig das
Sakrament der Taufe ohne Glaube zum Ziel kommt. Die Taufe kommt so zum
Menschen, wie der Ruf Gottes an Abraham erging oder wie Jesus in die Welt kam.
Aber die Kirche muss alles tun, um die Antwort des Glaubens später möglich zu
machen. Das tut sie im Blick auf den stellvertretenden Glauben der Eltern (fides
aliena, so Augustinus) und durch die Institution des Patenamtes. Sollte in einer
Familie gar kein Glaube anzutreffen sein, sollte die Taufe aufgeschoben werden. Die
Paten übernehmen die Pflicht, den Glauben des Kindes zu fördern (und nicht nur
Geschenke zu bringen).
Streng genommen kann sich niemand für die Taufe entscheiden. Das neue Leben,
das die Taufe schenkt, ist ja vorher gar nicht bekannt – wie sollte sich jemand dafür
entscheiden können? Ein Bild: Wie sollten Menschen, die immer nur im Dunklen
gelebt haben und das Licht nicht kennen, sich für das Licht entscheiden? Dazu
38
kommt: Wann sollte denn das rechte Alter für die Entscheidung sein? Am Ende der
Kindheit, in der Pubertät, in den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenenlebens?
Wohl kann sich jemand gegen den Glauben der Taufe entscheiden. In diesem Fall
kommt das Sakrament zwar zustande, es kommt aber nicht zur Wirkung. Die Lehre
der Kirche ist hier schon richtig: Nur wenn jemand dem Sakrament einen Riegel
(obex) vorschiebt, kann die sakramentale Gnade nicht wirken.
Das Argument, dass die Eltern das Kind durch die Taufe manipulieren, halte ich für
nicht zugkräftig. Es gibt keine neutrale Erziehung, die Eltern werden dem Kind immer
das mitgeben, was ihnen wichtig ist. Sich damit auseinanderzusetzen, gehört zum
Erwachsen-Werden. Im Übrigen: Wie könnten die Eltern ihrem Kind die geistliche
Nahrung der Taufe vorenthalten, von deren Lebensnotwendigkeit sie überzeugt
sind? Ebenso enthalten sie ja auch die körperliche Nahrung nicht vor.
Luther sagt: Die Taufe ist wie ein Schiff, zu dem man immer wieder hin schwimmen
kann, sollte man einmal herabgestürzt sein. Es schadet nicht, das Kind einmal auf
dieses Schiff inmitten des todbringenden Meeres gebracht zu haben.
9. Ist die Taufe heilsnotwendig?
Mk 16,16: "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird
verdammt werden" (im gleichen Sinne Joh 3,5 und Tit 3,5). Nach allem, was ich über
die Theologie der Taufe gesagt habe, steht dieser Satz für mich fest; er wird auch
von der Lehre der Kirche bestätigt (DH 1618; LG 14). Nur in der Gnade der Taufe
und des darauf antwortenden Glaubens kann jemand der Macht des Todes, die der
Sünde Sold ist (Röm 6,23; vgl. oben zu Röm 6), entgehen. Die Macht des Todes
über Menschen und andere Geschöpfe kommt aus den Zwängen des unersättlichen
menschlichen
Selbsterhaltungsund
Selbstbehauptungsstrebens.
Unsere
Gegenwart, die ganz von den Kräften individueller und systemischer Selbsterhaltung
geprägt ist, gibt dafür das beste (schlimmste) Beispiel. Nur die Gnade Gottes kann
davon erlösen, die es ermöglicht, Gott über alles zu lieben und dann den Nächsten
wie sich selbst, d.h. also, den Zwängen der Selbsterhaltung zu entkommen. Diese
Gnade Gottes wird Menschen in der Taufe zuteil, und darum ist die Taufe
heilsnotwendig.
Eine andere Frage ist, ob Gott sich in jedem einzelnen Fall an den Vollzug des
Sakraments bindet. Schon der Kirchenvater Ambrosius (+397) war der Auffassung,
ein Katechumene, der den Martyrertod erlitten hat, habe durch seine Bluttaufe die
Wassertaufe ersetzt, und er folgerte daraus, dass bei Katechumenen das Verlangen
nach der Taufe genügt, auch wenn sie vor der Taufe eines natürlichen Todes
gestorben sind. Daraus entwickelte sich die Lehre vom votum baptismi (das
Verlangen nach der Taufe), das im Falle, dass die Taufe nicht gespendet werden
kann, die Taufgnade ersetzt. Das II. Vaticanum spricht in LG 16 von einer
Heilsmöglichkeit für Nichtgetaufte aufgrund der ehrlichen Suche nach Gott, auch
wenn die Taufe nicht explizit angestrebt wurde. Aus 1 Tim 2,4 kann man wissen,
dass Gott will, "dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen". Welche Wege er zur Erfüllung seines universalen Heilswillens
außer dem regulären Weg der Taufe noch wählt, bleibt ihm überlassen.
39
B. Das Sakrament der Eucharistie
Vgl. dazu: Faber, 98-121; Kunzler, Leben, 281-400; 436-444; Ders., Liturgie, 269-388; Meßner,
Einführung, 150-222; Heinrich Kahlefeld, Das Abschiedsmahl Jesu und die Eucharistie der Kirche,
Frankfurt 1980 (biblische Grundlegung); Alexander Gerken, Theologie der Eucharistie, München
1973 (zur Theologiegeschichte); Andrea Bieler/Luise Schottroff, Abendmahl. Essen, um zu leben,
Gütersloh 2007; Gottfried Bachl, eucharistie. macht und lust des verzehrens, St. Ottilien 2008;
Alexander Schmemann, Eucharistie. Sakrament des Gottesreiches, Einsiedeln 2005; Wilfried
Haunerland (Hg.), Mehr als Brot und Wein. Theologische Kontexte der Eucharistie, Würzburg 2005
(daraus einzelne, im Folgenden an ihrem Ort genannte Beiträge); Walter Kasper, Sakrament der
Einheit. Eucharistie und Kirche, Freiburg 2004; Thomas Ruster, Wandlung. Ein Traktat über
Eucharistie und Ökonomie, Ostfildern 2006; Albert Gerhards, Benedikt Kranemann, Einführung in
die Liturgiewissenschaft, Darmstadt 2006, S. 220-225 [zur Eucharistiefeier und ihren Elementen]
»Beobachtung der Eucharistie von außen: Wenn jemand, der nichts vom Glauben
weiß, zum ersten Mal eine Kirche betritt, wie würde er die Eucharistiefeier erleben
und beschreiben?«
1. Probleme mit der Eucharistie heute
o Sie ist ein „Angebot ohne Nachfrage“: Immer weniger Leute kommen zur
Kirche
o Sie ist eine „Nachfrage ohne Angebot“: Wegen des Priestermangels müssen
viele Gemeinden ganz oder teilweise darauf verzichten
o Viele Leute meinen, die Eucharistiefeier sei eine Art Seniorenprogramm der
Kirche. Man sieht jedenfalls fast nur graue Häupter darin.
o Die liturgische Sprache und die Riten werden kaum mehr verstanden. Wie
steht es um die „Liturgiefähigkeit“ (R. Guardini) des modernen Menschen?
o Die Eucharistie ist das Sakrament des Gottesreiches schlechthin. Sie ist das
zentrale Sakrament des Heils. Wo wird das aber heute noch deutlich? Wie
kann es verstanden werden?
o Früher wurde die Heilsbedeutung der Eucharistie hauptsächlich vom
eucharistischen Opfer aus verstanden. Aber ist nicht der Opfergedanke ganz
aus der Kirche verschwunden? Kann er, soll er wiederhergestellt werden?
o Eucharistie ist das „Sakrament der Einheit“. Aber nach wie vor sind
evangelische Christen von der Gemeinschaft am Tisch des Herrn in der
katholischen Kirche ausgeschlossen. Ist das nicht ein Skandal? Ist das noch
zu begründen?
2. Zum Verstehen der Eucharistie (Grundsätze)
Die Eucharistie ist ein unergründliches Geheimnis. Ein ganzes Leben reicht nicht
aus, um sie zu verstehen – um wie viel weniger eine theologische Vorlesung.
Die Eucharistie ist ein Geschehen von der Art, das man nur durch Mitwirken, durch
Beteiligung erfassen kann (Nehmet – esset!). Die Theologie kann nur ein schwaches
Nach-Denken dieses Geschehens bieten.
Die Eucharistie ist der Knotenpunkt der Weltgeschichte. Das Abendmahl Jesu ist mit
dem Alten Testament und der ganzen Geschichte Jesu durch tausend Fäden
verbunden. Im Kult der Eucharistie werden die Religionen aller Völker aller Zeiten
repräsentiert (und transformiert). Seit 2000 Jahren wird die Eucharistie von allen
kirchlichen Gemeinden gefeiert. Wie sich christlicher Glaube jeweils verstanden hat,
ist an der Eucharistie ablesbar. Wie soll man diesen Knoten heute auflösen? Die
Eucharistie ist unerschöpflich.
Die Eucharistie ist die Gegenwart der kommenden Welt inmitten der bestehenden,
vergänglichen Welt. Sie verbindet Schöpfung und Erlösung. Die alte Welt wird
aufgenommen und, ohne zerstört zu werden, in die kommende Welt verwandelt. Die
40
Eucharistie vollzieht die Gegenwart des Reiches Gottes in der von Sünde und Tod
beherrschten Welt.
In der Vorlesung WS 09/10 wird die Eucharistie sehr stark von ihrem Charakter als
Essen, als Mahlzeit betrachtet. Sie ist verknüpft mit der elementaren körperlichen
Funktion, der Nahrungsaufnahme. In ihrem materiellen Zeichen nimmt sie auf diese
elementare Körperlichkeit Bezug, und damit zugleich auf die Art von Ökonomie, die
uns dazu verhilft, zu Nahrung zu kommen. Damit ist gegeben, dass man die
Wirklichkeit des Körpers viel stärker als bisher in der Eucharistie beachten sollte.
Und dann wird ja diese irdische Wirklichkeit verwandelt in die Wirklichkeit des
Reiches Gottes, so haben wir in der Allgemeinen Sakramentenlehre gehört. Darauf
kommt es an: Christus wird unsere Speise! Was bedeutet das? Wie verwandelt die
Eucharistie unser Essen? Zu welcher Art von Ökonomie führt sie?
3. Biblische Schlüsselszenen
Es lassen sich tausend Szenen nennen. Ich greife heraus:
 Gen 18,1-8: Erscheinung in Mamre: Drei Männer (Engel) verheißen dem alten
Abraham, der mit ihnen isst, die Geburt des Sohnes: Eucharistie, Mahl der
Verheißung! Und Sara lachte!
 Ex 12: Feier des Pesach: Die Israeliten essen vor dem Auszug aus Ägypten das
Lamm und ungesäuertes Brot. Das Blut des Lammes am Türpfosten bewahrt vor
dem Todesengel: Eucharistie, Rettung aus Todesnot, Aufbruch ins Land der
Verheißung!
 Ex 24: Bundesschluss am Sinai: Der Bund wird durch ein Gemeinschaftsopfer
geschlossen, im Blut des Bundes. Moses und die Vornehmen Israels können Gott
schauen! (V. 10). Eucharistie, Opfer und Feier des Bundes, Ort der Gegenwart
Gottes! "Und sie aßen und tranken".
 Jes 25,6-12: Messianisches Freudenmahl: Gott wird allen Völkern ein fettes Mahl
bereiten ... er nimmt die Hülle weg, die auf allen Völkern liegt ... er wird die
Tränen von jedem Angesicht wischen und die Schmach seines Volkes [Israel]
wegnehmen ... Moab aber [der Widersacher] wird an seiner Stätte zerstampft
werden. Eucharistie, Fest des Zugangs aller Völker zum Bund mit Israel,
Rechtfertigung Israels, Gericht über das Böse.
 Jesu vorösterliche Mahlzeiten, z.B. Mt 9,10-13 par: Er gibt sich mit den Sündern
ab und isst sogar mit ihnen. Eucharistie, Feier der Sündenvergebung, der
Aufnahme der Sünder und der Unreinen in den Bund.
 Joh 6: Rede Jesu in Kafarnaum: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel
herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot
aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt." Eucharistie,
Gegenwart der Hingabe Jesu für alle Menschen, Geschehen der leibhaftigen
Einigung mit ihm.
4. Das Letzte Abendmahl
Der Ablauf des letzten Mahles Jesu entspricht dem eines festlichen jüdischen
Mahles.
Diesen hat man sich etwa so vorzustellen (vgl. Kahlefeld, 43-47): Zur Abendstunde finden sich die
Gäste im Hause des Gastgebers ein, mit gewaschenem Gesicht, gesalbten Haupt. Der Hausherr
begrüßt sie, ein Becher Wein und Vorspeisen werden gereicht (frische Kräuter, eingelegter Fisch,
junges Geflügel o.ä.). Dann begibt man sich in den Speisesaal, der Hausherr oder eine besonders zu
ehrender Gast nimmt den Vorsitz ein. Man liegt zu Tische auf Polstern. Diener bringen mit Wasser
gemischten Wein und das Hauptgericht. Über dem Weinbecher (1. Becher!) spricht einer der
Tischgenossen das Lobgebet und alle sagen ihr Amen, getrunken wird aber erst, wenn das
'Brotbrechen' geschehen ist. Der Hausherr erhebt dafür das Brot eine Handbreit über den Tisch und
41
sagt den Lobspruch: "Gepriesen bist du, JHWH unser Gott, König der Welt, der das Brot hervorbringt
aus der Erde." Er reicht jedem ein Stück Brot, damit beginnt das gemeinsame Essen. Weitere Gänge
werden aufgetragen; zum Essen wird wenig Wein getrunken.
Nach dem Essen gibt es eine Pause, während derer der Tisch abgeräumt und der Boden gereinigt
wird. Dann beginnt der zweite Teil des Mahles, das Weingelage mit dem Tischgespräch (Symposion).
Der Hausherr spricht das Lobgebet über den Weinbecher (2. Becher!), zuerst als Dank für die
genossenen Speisen ("Laßt uns ihn preisen, dem gehört, was wir gegessen haben"), der sich dann
zum Dank für die Heilstaten Gottes in Schöpfung und Befreiung erweitert: "Gepriesen bist du, JHWH
unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt speist durch deine Güte ... der du uns als Erbteil
gegeben hast das gute und weite Land ... der du uns aus dem Lande Ägypten herausgeführt und aus
dem Sklavenhaus befreit hast. Wir danken dir für deinen Bund...". Die Tischgespräche schließen sich
an.
Folgende Struktur wird somit erkennbar:
Erster Becher/Brot-Ritus
Becher-Ritus
Lobgebet
Zuteilung
Genuß
Lobgebet
Zuteilung
Genuß
Essen
Pause
Trinken
Vergleichen wir nun damit die neutestamentlichen Berichte über das letzte
Abendmahl.
Sie liegen in zwei Versionen vor: Paulus (1. Kor 23-25)/ Lukas (22, 7-20) und Markus
(14, 22-25)/ Matthäus (26, 26-29). Es zeigt sich sofort, daß Lk/Pls die ursprünglichere
Fassung bieten. Lk berichtet die Vorbereitungen des Mahles und den Segensspruch
über den 1. Becher, sodann das Dankgebet über das Brot und - "nach dem Essen" die Worte über den 2. Becher. Bei Mk/ Mt sind dagegen die beiden
Segenshandlungen über Brot und Wein zu einem Akt zusammengezogen worden.
Offenbar spiegelt sich hier bereits die spätere Praxis der Gemeinden, die das rituelle
Herrenmahl vom Sättigungsmahl getrennt hatte.
Zum Termin des letzten Abendmahles
Nach den Synoptikern feierte Jesus als Abendmahl als Pesachmahl, nach Joh (13;
vgl. 18, 28; 19,31) am Vorabend des Pesachfestes. Bei beiden Datierungen ist eine
enge Verbindung zwischen Abendmahl und Pesach ausgesagt, bei Joh eher noch
eine stärkere: Jesus stirbt genau zu der Zeit, als im Tempel die Pesachlämmer
geschlachtet werden (Joh 19,36 mit Bezug auf Ex 12,46). Die Terminfrage spielt also
für die theologische Deutung kaum eine Rolle. Historisch spricht aber mehr für die
johanneische Darstellung, die überhaupt viel altes Material enthält. Die Bemerkung
Joh 18,28 (die Ankläger betreten das Prätorium nicht, um sich wegen des
kommenden Pesach nicht zu verunreinigen) ist "einer verkündigenden Absicht
unverdächtig" (Kahlefeld) und braucht nicht erfunden zu werden. Aus den
synoptischen Angaben, dass das Mahl in der Nacht begangen wurde und es in
Jerusalem stattfand (ob aber in der Stadt selbst, wie es die Pesachvorschriften
besagen, oder in Bethanien, bleibt offen) müssen nicht für ein Pesachmahl sprechen.
Beim Mahl selbst wird auf Pesach kein ausdrücklicher Bezug genommen.
Das Abendmahl als kultkritische und kultstiftende Handlung
Bernhard Heininger, Das letzte Mahl Jesu. Rekonstruktion und Deutung (in:
Haunerland aaO., S. 10-49) referiert den aktuellen Stand der historischen Forschung
zum Abendmahl. Text 3 (s. Anhang) gibt die wesentlichen Ergebnisse wieder; diesen
Text sollte man an dieser Stelle unbedingt lesen. Ich fasse den Artikel kurz
zusammen:
o Das letzte Mahl Jesu war vermutlich kein Pascha-Mahl
o Es haben vermutlich nicht nur „die zwölf“ daran teilgenommen, sondern mehr
Jünger,
mit
hoher
Wahrscheinlichkeit
auch
Frauen
42
Zur Teilnahme von Frauen siehe auch: M. Theobald, Das Herrenmahl im NT, ThQ 183 (2003)
257-280)
o Der Ausdruck „Brotbrechen“ wird sowohl in der Apg wie auch in der
frühchristlichen Didaché (90-120 n.Chr.) ohne Bezug auf das Abendmahl Jesu
gebraucht. Eher scheint ein Bezug zu den vorösterlichen Mahlzeiten Jesu
gegeben zu sein.
o Die von manchen (Hans Lietzmann 1926, Herbert Braun 1969) aufgestellt
These, das Abendmahl Jesu habe gar nicht stattgefunden, es sei nur ein
Rückprojektion urchristlicher Mahlpraxis, wird heute nicht mehr vertreten, ist
aber nicht völlig von der Hand zu weisen.
o Die Bedeutung des Mahles Jesu ist zuerst eine kultkritische: Jesus vollzog
den Bruch mit dem Tempel und seinem Opferkult, vor allem mit der Opferung
von Tieren. Die ursprüngliche Form des Brotwortes könnte dann gewesen
sein: „Dies ist der Leib (der Opfertiere) für euch“, mit Verweis auf das Brot.
Diese kultkritische Linie schließt an die prophetische Kultkritik („Gerechtigkeit
will ich, nicht Opfer“) und an die Lieder vom Gottesknecht (Jes 53) an.
Vgl. dazu auch: G. Theissen, A. Merz: Der historische Jesus, Göttingen 1996, 382-384;
Margret Hille, Die Tiere und Jesus, Essen 2005, S. 136-146. Hille führt zahlreiche Belege für
die tierfreundliche Haltung Jesu an und macht damit diese kultkritische Deutung
wahrscheinlich. Beleg dafür ist auch, dass der einzig merkbare Unterschied der Urgemeinde
zum Judentum darin bestand, dass die Christen nicht mehr an den Tempelopfern teilnahmen.
o Zusammen mit der kultkritischen hat das Abendmahl auch eine kultstiftende
Bedeutung: Das Brotbrechen ist der neue Kult des Gottesreiches! Und damit
ist gesagt: Das Gottesreich wird kommen, trotz Jesu bevorstehendem Tod.
Darauf deutet das Wort Jesu hin: „ich werde nicht mehr von der Frucht des
Weinstocks trinken, bis ich es wieder trinken werde ich Reich Gottes“ (Mk
14,25).
o Beide Bedeutungen kommen überein in der Rede vom „neuen Bund“, die Lk
und Pls in ihren Abendmahlsberichten haben (Lk 22,20/ 1Kor 11, 25; im
Unterschied zu Mk/Mt, die von dem „Blut des Bundes“ sprechen und damit an
den Bundesschluss in Ex 34 erinnern). Der „neue Bund“ – ein Motiv von Jer
31,31 – ist damit derjenige, der nicht mehr auf der sakralen Tötung von Tieren
beruht und der durch den gewaltsamen Tod Jesu nicht aufgehalten wird. – Ich
ergänze über Heininger hinaus: Der neue Bund ist einer, der nicht mehr auf
dem Prinzip „Leben auf Kosten anderer“ (beim Opferkult: Entsündigung durch
das Töten von Tieren) beruht, sondern auf gegenseitiger Hingabe,
Gerechtigkeit und Solidarität.
o Wie die Erzählungen von den Mählern mit dem Auferstandenen (Lk 24; Joh
21, Apg 1) bezeugen, ist den Jüngern und Jüngerinnen die Bedeutung des
Abendmahls wohl erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen
aufgegangen. Von daher haben sie das Geschehen rückwirkend verstanden
und entsprechende Bedeutungen in die geschichtliche Schilderung
eingetragen.
»Intertextuelle Lektüre eines Abendmahlstextes. – Wählen Sie sich einen der ntlichen Texte aus, und schauen Sie im Internet oder anhand der Stellenverweise in
den Bibelausgaben nach, wo zentrale Begriffe dieses Textes noch in anderen
Bibelstellen vorkommen. Zeigen Sie dann, welche Bedeutungen durch die anderen
Verwendungen in den Abendmahlstext zu erschließen sind.«
43
5. Zur Theologie der Eucharistie
Ich referiere nacheinander Ansätze von A. Schmemann, G. Bachl, Matthias Josef
Scheeben, A. Bieler/L. Schottroff und Hildegund Keul (in: Haunerland aaO., 263-281;
s. Lit.-Angaben zur Eucharistie). Sie zeigen jeweils auf einen anderen Aspekt der
Eucharistie und ergeben zusammen ein stimmiges Bild.
Alexander Schmemann: Die Eucharistie ist das Sakrament des Gottesreiches
Dies ist die zentrale These des orthodoxen Theologen Alexander Schmemann
(1921-1983), die er aus dem Reichtum orthodoxer Liturgie- und Theologietradition,
aber auch in kritischer Wendung gegen Fehlentwicklungen in der Orthodoxie
entfaltet. Das Gottesreich ist dort, wo Gott als Herr und König anerkannt wird und
sein Gesetz gilt. Das ist in der Liturgie der Fall. Wo immer Gottesdienst begangen
wird, ist das Reich Gottes da. Es ist nötig, in diesem Zusammenhang auf den
orthodoxen Theologen Schmemann zurückzukommen, weil dieser durchaus zu
Recht das orthodoxe Liturgieverständnis gegen das westlich-katholische gestellt hat,
welches traditionell allzu sehr auf den Augenblick der Konsekration von Brot und
Wein (die Wandlung) konzentriert war und die Eucharistiefeier weniger als
Realisierung des Gottesreiches denn als Gnadenvermittlung aufgefasst hat. Die
Orthodoxie aber hat den ursprünglichen, altkirchlichen Sinn der Eucharistie
festgehalten. „Jedes Mal, wenn Christen sich »als Kirche« versammeln, bezeugen
sie vor der ganzen Welt, dass Christus der Herr und König ist, dass sein Reich schon
offenbar geworden und dem Menschen gegeben ist, dass ein neues und
unvergängliches Leben begonnen hat“ (S. 75) In der Liturgie äußert sich „die Freude
der Christenheit, das österliche Wesen ihres Glaubens, dass »dieses kommende
Zeitalter«, die »in dieser Welt« zwar noch ausstehende Zukunft, schon »mitten unter
uns« ist. Ja, unser Glaube selbst ist bereits Wirklichkeit […] des Erhofften, Evidenz
noch nicht gesehener Dinge […] (Hebr 11,1)“ (S. 59). Schmemann hat alle Phasen
der Eucharistiefeier auf die Dimension des bereits gegenwärtigen Gottesreiches hin
ausgelegt. So bereits den Einzug der Gläubigen ins Gotteshaus. Dies ist der „Einzug
der Kirche in das Reich Gottes“ und damit „ein Exodus aus »dieser Welt«, ein
Aufstieg zum Himmel“ (S. 78). Die „Empornahme“ der Gaben bezieht sich nicht nur,
wie es eine verengte westliche Tradition wollte, auf die Gestalten von Brot und Wein,
sondern auf die ganze Versammlung. „Denn – dies werde ich nicht müde zu
wiederholen – die Eucharistie ist das Sakrament des Reiches, das sich im Aufstieg
und im Einzug der Kirche in das himmlische Heiligtum vollzieht“ (S. 91).
Gottfried Bachl: Eucharistie, die Verwandlung des Essens
Bachls eigenwilliges Buch enthält genaue Beobachtungen zum Essen der Tiere, der
Menschen und – nach der Mythologie – der Götter. Essen ist der zentrale
Daseinsakt, der elementare Austausch mit der Umwelt, es ist ein Sich-GefügigMachen, ein Einverleiben, ein Verzehren, ein Verschlingen der Welt. Bachl kommt es
darauf an, die unreflektierte Selbstverständlichkeit des Essvorgangs aufzubrechen.
Essen hat mit Macht zu tun. Wir leben von anderem Leben, und kein Lebendiges
lässt sich gerne vernichten. „Für die Rede von der Esskultur wird es nicht überflüssig
sein, die Freude am Konsum hier und da zu verbinden mit der Wahrnehmung, dass
alles Verzehren der Nahrung gegen den Drang der Dinge gerichtet ist, da zu sein
und da zu bleiben“ (S. 80). Von daher erhebt sich die Frage: „Wie kann das tötende
Essen und Trinken ein wirksames Zeichen der Hoffnung auf ein todüberwindendes
Leben sein?“ (S. 82). Dies umso mehr, als in der Eucharistie ja sogar Jesus
gegessen wird, und damit eigentlich Gott. Ist die Eucharistie Ausdruck einer
44
ungeheuerlichen Fressgier des Menschen, der sich sogar noch Gott einverleiben
will?
Bachl will zeigen, wie die Eucharistie das Essen verwandelt. Vorbild dazu ist ihm die
kultivierte Mahlzeit, die die Gemeinschaft, die durch gegenseitiges Auffressen
entsteht, ersetzt durch die viel tiefere Gemeinschaft des gemeinsamen Mahls. Jesus
geht nicht in der Logik des Verzehrens und Verschlingens auf. Er zieht es auf sich,
aber dann wandelt er es um: Was aufgegessen wird, eröffnet ein Leben, das nicht
mehr unter dem Zwang des Vernichtens steht (vgl. S. 119-127). Aber wie dieser
Vorgang genau geht, bleibt bei Bachl (nach meiner Lektüre) noch unklar.
Wir verdanken ihm jedoch einen äußerst genauen Hinweis auf das Zeichen, das die
Eucharistie als Essen ist. Es ist diese ambivalente Wirklichkeit des Essens, die in der
Eucharistie aufgenommen wird, um sie dann zu verwandeln. – Und wir verdanken
ihm den Hinweis auf Scheeben (S. 109), dem ich nun nachgehe.
Matthias Josef Scheeben: Eucharistie als Genuss der Gottheit
Bachl weist auf Scheeben, den großen Theologen des 19. Jh. (1835-1888) hin, weil
dieser sich wie kaum ein anderer auf die Realität des Essens in seiner
Eucharistielehre eingelassen hat. Text 4 (s. Anhang) stammt aus Scheebens „Die
Mysterien des Christentums“ (von 1865). Ich fasse den Gedanken kurz zusammen,
empfehle aber, den Text von Scheeben dabei mitzulesen.
Scheeben unterscheidet beim Essen die reine Ernährungsfunktion und den Genuss.
Bei der natürlichen Speise ist der Genuss nur ein Lockmittel, das auch entfallen
kann. Beim eucharistischen Essen ist der Genuss die Hauptsache. Dennoch gibt es
auch bei der Eucharistie die Ernährungsfunktion: Wir empfangen Jesus, und damit
eigentlich das Wort Gottes. Jesus vereinigt sich so mit uns, wie bei ihm selbst
göttliche und menschliche Natur vereinigt sind. Er gibt sich uns zur Speise und gibt
uns damit das, was er ist und zu geben hat: göttliche Lebenskraft, Wahrheit und
Liebe.
Darüber hinaus ist die Eucharistie vor allem ein Genuss. Gott will sich von uns
genießen und besitzen lassen! Scheeben spricht vom „substantialen Besitz und
Genuß einer göttlichen Person“. Der Gottmensch Jesus tritt unserer Fressgier
entgegen, indem er ihr entspricht und sie damit von innen her aufbricht. Er lässt sich
auf das menschliche Essbedürfnis ein, und dann erfüllt er unser Inneres. Dadurch
werden wir verändert, werden wir überhaupt erst fähig, ihn aufzunehmen und zu
erfassen. Durch seine Wahrheit, Herrlichkeit und Liebe wandelt er uns um, wir
werden göttlich durch die Aufnahme des Göttlichen (wie ja auch sonst Menschen
dem ähnlich werden, was sie meistens essen!). Unser Leib selbst wird göttlich. In
dieser Hinsicht ist die Eucharistie ein Vorgeschmack der ewigen Gottesschau in der
Vollendung, wenn wir ganz mjt Gott eins geworden sind. Dieses mit Gott Einswerden
beruht nicht darauf, dass wir in Gott hinein aufgesogen, vernichtet werden, sondern
dass Gott sich uns als Speise gibt. Dies ist das Mysterium der Verwandlung.
»Fassen Sie den Text von Scheeben gliedernd zusammen«
Andrea Bieler/Luise Schottroff: Eucharistie und die „eschatologische
Imagination“ in „sakramentaler Durchlässigkeit“
Scheeben wird der „Mystiker der Neuscholastik“ genannt, und manch einem werden
sein Aussagen auch reichlich mystisch (hier im Sinne von unverständlich)
erscheinen. Es kommt noch darauf an, das, was er der Sache nach richtig
ausgedrückt hat, in unsere Wirklichkeit zu übersetzen. Diese Aufgabe leistet zum
großen Teil das äußerst lesenswerte und sehr gut zu lesende Buch der
45
evangelischen Autorin Andrea Bieler, das von Beiträgen von Luise Schottroff
(„sozialgeschichtliche Exegese“) ergänzt und bereichert wird.
Die zentralen Stichworte dieses Buches sind die in der Überschrift genannten. Unter
„eschatologischer Imagination“ versteht Bieler, dass das Abendmahl im
Zusammenhang der Überwindung ungerechter und menschenverachtender
Verhältnisse steht. Sie schildert liturgische Feiern, bei denen mitten in den üblichen
Gebeten der Folteropfer, der zum Tode Verurteilten (das Buch ist in den USA
entstanden), der Aidskranken, der Armen (und zwar jeweils ganz bestimmter
einzelner Menschen!) gedacht wird. „Die Abendmahlserzählung enthält Gottes
tiefgehendes Nein zu der Destruktion, die uns umgibt und die uns beeinflusst“ (S.
20). Aber dieser Destruktion wird nicht nur gedacht, sie wird durch die Feier zugleich
als überwindbar, als nicht endgültig dargestellt. Die Zeit wird nicht immer so weiter
gehen. Eine andere Welt ist möglich. Das ist die „Imagination“ des Abendmahls. „Wie
berührt Gottes Zukunft in Christus unser Leben? … In welchem Sinne bricht
christliche Eschatologie ein lineares Verständnis von Zeit auf. Eschatologie wird hier
als radikale Kritik an einer Vorstellung von Zeit als kontinuierlichem Prozess
verstanden“ (S. 36). Mit anderen Worten: Christus wird kommen, er wird den
scheinbar unabänderlichen Prozess der Geschichte unterbrechen. Aber die Aussage
von der „Wiederkunft Christi“ darf nicht mythologisch als Wiederkommen am Ende
der Zeiten verstanden werden. „Die Frage ist nicht: wann kommt Jesus ‚wieder’?
Sondern wie wird Gottes Nähe erfahren und im täglichen Leben spürbar?“ (S. 40).
Die „eschatologische Imagination“ ist wie ein Fenster, durch das wir eine Ahnung von
der Wirklichkeit Gottes erhalten. Sie schafft Unterbrechungen, kritische Weltdistanz
und die messianische Hoffnung auf ein anderes Leben.
Es kommt den Autorinnen darauf an, das Abendmahl aus der Fixierung auf Jesu Tod
herauszulösen und seine eschatologische Bedeutung freizulegen. Die Rede vom
Opfer Christi hat die Aufmerksamkeit zu stark auf seinen Tod gelenkt – der Tod als
solcher kann aber keine eschatologische Imagination wecken. Luise Schottroff
beschreibt vier „eschatologische Dimensionen“ des Abendmahls (S.77-102). Es
verweist zum einen auf das eschatologische Freudenmahl, das Gott allen Völkern
verheißen hat, Jes 25. In diesem Zusammenhang ist die Frage wichtig, wer beim
Abendmahl Jesu zugegen war – mit einiger Sicherheit auch Frauen! Zweitens zeigt
schon das Wort des Paulus – „Denn sooft ihr dieses Brot esst … verkündet ihr den
Tod des Herrn, bis er kommt“ (1Kor 11,26) –, dass der Tod Jesu im Horizont seines
Kommens erinnert wird. Nicht der Tod als solcher hat Heilsbedeutung. Vielmehr ist
damit gesagt, dass die Gewalt, die gegen Jesus eingesetzt wurde und ihn getötet
hat, eben nicht zum Ziele gekommen ist. Jesus wird kommen, auch wenn ihn die
Mächtigen getötet haben. Drittens verweist Schottroff bezüglich der Rede vom
„neuen Bund“ darauf, dass es hier um den erneuerten Bund mit Israel geht. Der
Bund mit Israel ist aber der Bund, der auf der Grundlage der Tora geschlossen wird.
Wenn Christen sich als Gemeinde des „neuen Bundes“ bezeichnen, dann bedeutet
das, dass sie in den Bund mit Israel hineingenommen sind – und damit auch in die
Verpflichtung zur Tora. „Das bedeutet die klare Konsequenz, die Verpflichtung auf
die Tora auch praktisch zu leben“ (S. 95). Die Tora wird als das Gesetz der Zukunft,
als das Gesetz des Gottesreiches offenbar! Und viertens ist vom Neuen Testament
her zu sehen, dass die Rede vom „Leib Christi“ – „dies ist mein Leib für euch“ – auf
den Leib des Auferstandenen und damit auf den Leib Christi, der die Gemeinde ist,
zu beziehen ist. Was Paulus 1Kor 15 über die Verwandlung des Leibes schreibt, hat
mit der Verwandlung des Leibes, der die Kirche ist, zu tun. „Das gesamte Neue
Testament ist aus der Perspektive des Abendmahls als des Ortes der Erinnerung
46
von Auferstehung zu lesen. Die Menschen, die in diesem Texten zu Wort kommen,
verstehen sich in ihrer Gemeinschaft als der Leib des Auferstandenen“ (S. 99).
In der Didachè, der frühchristlichen Gemeinde- und Gottesdienstordnung vom
Ende des 1. Jh., ist, darauf weist Bieler hin, die eschatologische Dimension der
Eucharistie voll präsent. Text 5 (s. Anhang), eine Auszug aus dem Hochgebet der
Didachè, zeigt dies sehr gut, besonders die Sätze 9.4, 10.5 und 10.6: „Es komme die
Gnade, und es vergehe diese Welt!“
»Nehmen Sie sich eines der vier Hochgebete und untersuchen Sie es auf seinen
eschatologischen Aussagen«
Mit „sakramentaler Durchlässigkeit“ meint Bieler, dass das Brechen des Brotes im
Abendmahl im Zusammenhang mit dem Brot und damit der Realität unseres Lebens
steht. „Sakramentaler Gottesdienst nimmt eine Durchlässigkeit an, in der das Brot,
das wir in der Küche essen, das Brot, das wir von den Armen stehlen [!], und das
Brot, das während des Abendmahls konsekriert wird, in Beziehung zueinander
stehen“ (S. 17). Von daher ist der Ansatz Bielers offen für die Wahrnehmung für „das
Brot des Lebens in zwei Ökonomien“ (S. 103-178). Das Brot begegnet in den
biblischen Broterzählungen; dort wird vom Hunger, von der Brotvermehrung und
davon, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, gesprochen. Es begegnet aber
auch in der Ökonomie des homo oeconomicus und hat dort ebenso sehr mit
Übergewichtigkeit und Magersucht wie mit globaler Nahrungsmittelpolitik,
Lebensmittelproduktion und Schuldenpolitik zu tun. In der Eucharistie stoßen die
beiden Ökonomien aufeinander. „Themen von Armut und Reichtum bedrohen und
fordern das eucharistische Leben heraus und beeinflussen, wie das Abendmahl
gefeiert wird“ (S. 121).
Bieler will nun zeigen, wie in der Eucharistie die Ökonomie des Marktes in die
Ökonomie des Reiches Gottes umgewandelt wird (S.147-178). Ich greife ihre
Überlegungen zum „Zurückbringen der Gaben“ (normalerweise Gabenbereitung
genannt) heraus, weil diese auch ein Licht auf die herkömmliche Rede der
Eucharistie als Opfer werfen. Auszugehen ist vom Verständnis der Kirche als Leib
Christi. Was heißt das konkret? „Leib Christi“, das sind die vielen Menschen mit ihren
Körpern, die in der Kirche sind. Das sind die Alten und Jungen, Starken und
Schwachen, Kranken und Gesunden, das sind die Körper, insoweit diese auch
Erinnerungsspeicher des jeweiligen Lebens sind. Diese Betonung der konkreten
Körperlichkeit ist ganz typisch für diesen Ansatz! Die Gaben, die die Menschen in der
Kirche darbringen, sind zunächst Ausdruck ihres eigenen Lebens, ihrer Sehnsucht
und ihrer Bedürfnisse [wir dürfen jetzt nicht nur an die Geldkollekte denken, diese
Schwundform der Gabendarbringung, sondern daran, dass früher wirkliche
Nahrungsmittel dargebracht wurden. Und wenn wir nun etwas bringen würden,
würden wir dann Toastbrot von Aldi mitbringen? Oder nicht vielmehr etwas, was für
uns wichtig und typisch ist, vielleicht etwas, was wir selber hergestellt haben?]. Aber
zugleich sind diese Gaben auch etwas, was wir von anderen bekommen haben – sie
sind eingebunden in den Produktions- und Warenkreislauf. Das „Zurückbringen der
Gaben“ bedeutet nun nicht, dass wir etwas geben, das uns gehört, sondern dass wir
zurückgeben, was wir empfangen haben. Die Eucharistie ist in diesem Sinne der Ort
der Danksagung. Wo sonst in der Welt ist Gelegenheit, für die Gaben zu danken, von
denen wir leben? [Können wir uns etwa bei den Tieren bedanken, die für uns
geschlachtet werden; bei den Arbeiterinnen, die die Nahrungsmittel hergestellt
haben?] Es liegt also die ganze komplexe Wirklichkeit unseres „Brotes“, das so eng
mit dem eigenen Leben verflochten ist, auf dem Altar. Dies wird nun Gott
47
dargebracht, wird in den Gebeten der Eucharistie (Anamnese: Dank für die Taten
Gottes in der Geschichte; Epiklese: Herabrufung des Heiligen Geistes auf die
Gaben) Gott mit der Bitte um Verwandlung vorgelegt. Die »Wandlung« bedeutet
dann, dass diese Gaben mit neuer Bedeutung zurückgegeben werden. Sie sind
herausgenommen aus den Ungerechtigkeiten und hineingenommen in die
Gerechtigkeit Gottes, die in Jesus erschienen ist. Dadurch wird die Gemeinde
umgewandelt, sie wird erst jetzt aus einer Ansammlung von Körpern zum Leib
Christi. Die „eschatologische Imagination“ wird geweckt, die „die Sphäre der
verborgenen Mechanismen der Ökonomie des Marktes erhellen und Licht verbreiten
kann, wo Götzendienst regieren soll“ (S. 158). In der „Kommunion“ wird dann die
andere, die biblische Ökonomie bereits begangen – als „Fenster“, das uns in die
Wirklichkeit Gottes schauen lässt, als „Unterbrechung“ der Ungerechtigkeit unserer
Welt.
Noch auf einen letzten Gesichtspunkt aus diesem Buch möchte ich hinweisen. Die
bewusste Wahrnehmung des Körperlichen eröffnet den Autorinnen auch einen
neuen Zugang zum eucharistischen „Gedächtnis“ (S. 219-272). Das Wort Jesu „Tut
dies zu meinem Gedächtnis“ kann sicher nicht im Sinne eines rein geistigen
Erinnerns und auch nicht nur als „Wiederholungsbefehl“ verstanden werden. Es ist
zunächst ein wechselseitiges Erinnern zwischen Gott und Mensch. Indem wir uns an
Gott erinnern und ihn auffordern, unserer zu gedenken, kommt Beziehung zustande
[wie in einem Gespräch, wo man über die alten Zeiten nachdenkt]. Es ist sodann
eine Form der Empathie, die besonders bei den „Fürbitten“ akut wird. Wir denken an
andere Menschen, versetzen uns in sie; so wird Gemeinschaft geschaffen.
Gedächtnis ist an Rituale gebunden, so wie es in allen Gesellschaften der Fall ist.
Gerade das ganz Wichtige und das ganz Schreckliche braucht zu seiner Erinnerung
das Ritual. Ohne die rituelle Gestalt des liturgischen Gedächtnisses wären die
Jünger und Jüngerinnen vielleicht nicht in der Lage gewesen, den Schock des Todes
zu verkraften. Schließlich ist Gedächtnis wesentlich ein körperliches Geschehen.
Man erinnert sich an körperliche Erfahrungen, an Orte usw. Auch deswegen braucht
es die Sinnlichkeit der Liturgie, die Kirchenräume, die zugleich Gedächtnisräume
sind. Die Autorinnen geben zu all dem sprechende Beispiele. Insgesamt ist das
eucharistische Gedächtnis nicht nur eine Erinnerung an seinen Tod, sondern es ist
„memoria passionis et resurrectionis“, also Erinnerung an das Schreckliche des
Todes im Horizont seiner Überwindung in der Auferstehung. Nur so kann das
Schreckliche ausgehalten und überwunden werden.
Man wird vielleicht bemerkt haben, dass die evangelischen Theologinnen sich im
Zuge ihrer Überlegungen immer mehr in Richtung der katholischen Eucharistiepraxis
und auch –theologie bewegen. Dies gilt auch hier, beim Thema Gedächtnis. Nicht
zuletzt weisen sie auch auf die große Bedeutung der Heiligenverehrung hin (S. 225231). Dies ist für sie eine erinnernden Solidarität und damit auch eine Form der
„memoria passionis et resurrectionis“. – Solche katholischen Anklänge sind kein
Anlass zum katholischen Triumphalismus. Sie sollten eher als „Fremdprophetie“
aufgenommen werden und uns Katholiken und Katholikinnen darin beschämen, wie
wenig wir heute aus unserem Erbe machen.
Ich hoffe, es ist mir gelungen, Neugierde auf dieses Buch zu wecken, das wirklich
eine sehr zeitgemäße und weiterführende Theologie der Eucharistie entwickelt.
Hildegund Keul: Eucharistie, die Anwesenheit des Abwesenden
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Von Keul erfahren wir einiges über das Verständnis der „Realpräsenz“ Christi in der
Eucharistie. Sie greift Ergebnisse der „Ritualtheorie“ auf (Lit. dazu findet man in
ihrem Artikel) und schließt somit sehr gut an die Überlegungen von Bieler zum
Gedächtnis an. Rituale sind nötig, um Übergänge und Grenzerfahrungen im Leben
zu bewältigen („Liminalität“): beim Verlust eines geliebten Menschen, bei der
Erfahrung von Gewalt, aber auch in Lebensphasen des Abschieds und Neubeginns
(z.B. Pubertät). Die Energie, die durch solche Erfahrungen freigesetzt wird, wird in
das Ritual geleitet und bekommt dort eine geordnete Form. Sprachlosigkeit wird
überwunden. Rituale können zum Guten wie zum Schlechten wirken – man denke an
die Rituale, mit denen Soldaten zum Töten gebracht werden.
Als Jesus in den Tod ging, bahnte sich für die Jünger eine Erfahrung der „Liminalität“
an. „Der bevorstehende Tod sitzt mit am Tisch“ des Abendmahls (S. 270) – die
Erregung, die die Jünger bspw. in Leonardo da Vincis Abendmahlsdarstellung
haben, bringt dies zum Ausdruck. Da bietet er ihnen im Abendmahl ein Ritual an,
„das ihnen seine Präsenz über den Tod hinaus zusagt“ (S. 271), eben das
Brotbrechen. Keul verweist auf die Berichte über die Begegnungen mit dem
Auferstandenen, um deutlich zu machen, was dieses Ritual für die JüngerInnen
bedeutete. So wie Maria Magdalena zum Grab ging, an den Ort des Todes, der sich
ihr in einen Ort der Begegnung mit dem Lebendigen verwandelte, so verwandelt das
Abendmahl das Gedächtnis an den Tod Jesu in eine Begegnung mit dem
Auferstandenen.
Die Eucharistie bezeugt in diesem Sinne die Anwesenheit des Abwesenden. Sie
ist ganz im Sinne der klassischen Definition das sichtbare Zeichen einer
unsichtbaren Wirklichkeit.“ Sie ist ein Ritual, in dem begangen wird, dass und wie
sich der Ort des Todes in einen Ort des Lebens verwandelt. „Der abwesende
Christus wird real präsent und entmachtet die vorherrschende Macht des Todes“ (S.
278). Keul weist also einen Weg, die Lehre von Realpräsenz ritualitätstheoretisch
neu zu fassen, sie nicht auf die „Transsubstantiation“ der Elemente Brot und Wein
allein zu beziehen. Die Spitze ihrer Überlegungen aber ist, dass diese Anwesenheit
des Abwesenden, die Präsenz des Lebendigen inmitten der Macht des Todes nicht
etwas ist, was die feiernde Gemeinde alleine angeht. Was im Ritual angezeigt und
begangen wird, gilt für die ganze Welt! Die Gemeinde hat der Welt auszurichten,
dass Christus auferstanden ist. Die „Kultur des Todes“, in der wir leben, ist nicht die
ganze Wahrheit. Sie ist so wenig wahr wie die Erwartung, die Maria Magdalena
hatte, als sie den toten Christus am Grabe besuchen wollte. Deswegen nennt Keul
ihren Aufsatz auch „Die Eucharistie im Zeichen missionarischer Praxis“. Die Mission
der Christen speist sich aus der Erfahrung der Eucharistie. Was die Kirche zu tun
hat, wird in jeder Eucharistiefeier neu eingeschärft: „Deinen Tod, o Herr, verkünden
wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“
Zusammenfassung: Unser Durchgang durch einige neuere eucharistietheologische
Ansätze ergibt, so meine ich, ein stimmiges Bild. Womöglich lässt sich das alles auf
die Formel bringen, die wir in der allgemeinen Sakramentenlehre entwickelt haben:
Werde, was du bist. Die Eucharistie zeigt und vollzieht, was Christen wirklich sind:
Bürger des Gottesreiches (Schmemann) – Menschen, die von dem Zwang befreit
sind, das Leben auf Kosten anderen zu führen bzw. zu töten um zu leben (Bachl) –
Menschen, deren Fressgier und Genusssucht von Gott her aufgenommen und
verwandelt ist, deren Leib selbst göttlich geworden ist (Scheeben) – Menschen, die
inmitten der alten Ökonomie des Todes bereits die Ökonomie des Reiches Gottes,
die Heilsökonomie des Lebens praktizieren (Bieler/Schottroff) – Menschen, die um
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die Anwesenheit des Abwesenden, des Lebens mitten im Tode, wissen und sie
verkünden können.
Es handelt sich also wirklich nur darum, das zu werden, was wir sakramental bereits
sind, mithin also auch sein können. Es geht nicht darum, uns mit der Forderung zu
konfrontieren, etwas zu werden, was wir noch nicht sind und möglicherweise auch
niemals werden können. Aber die Formel „Werde, was du bist“ sagt auch, dass wir
das noch nicht sind, was wir werden können. Zum „opus operatum“ des Sakraments
muss noch unser „opus operantis“ hinzukommen. Das ist die Aufgabe, die jedem
einzelnen Christen und jeder christlichen Gemeinde gestellt ist. Damit sie gelingt, ist
die Feier der Eucharistie von vielen Gebeten begleitet, die Gott bitten, uns zu helfen
und seinen Geist zu senden; und von Liedern, die uns ermutigen und fröhlich
machen sollen, damit wir vor der großen Aufgabe nicht verzagen.
Die Eucharistie als Opfer
[Da dieses Thema in der Vorlesung nicht mehr behandelt werden konnte, begnüge
ich mich an dieser Stelle mit einem kurzen Hinweis]
Opfer darzubringen gehört zu jeder Religion. Die Menschen bringen Gott oder den
Göttern etwas Eigenes, Wertvolles dar, um von ihnen etwas dafür zu erlangen. Das
Opfern ist in Bezug auf Gott etwas so Natürliches wie das Essen in Bezug auf die
Mitgeschöpfe. Also darf es in der Eucharistie vorkommen, denn sie nimmt ja in ihren
Zeichen auf die gegebene Wirklichkeit Bezug. Und dennoch muss es verwandelt
werden. In der katholischen Form der Eucharistiefeier finden wir deshalb reichlich
Opferterminologie, z.B.: „Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer
Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle. – Der Herr nehme das Opfer an aus euren
Händen…“ usw. Wenn man nun in dieser Opferlogik weiterdenkt, dann wäre das
Opfer Christi, das in jeder Eucharistiefeier dargebracht wird, die Höchstform des
religiösen Opfers. Wir opfern das Wertvollste, was wir haben, nämlich den Leib des
Gottmenschen, Gott auf, um von ihm etwas zu erlangen. Aber die Eucharistie bricht
aus dieser Opferlogik aus. Wir kommen nicht durch damit, vor Gott ein Opfer
darzubringen, weil er uns mit seinem Sohn immer schon entgegengekommen ist und
unser Opfer überflüssig gemacht hat. Er durchkreuzt unser Opfernwollen, indem er
zeigt, dass es unnötig ist. Christus ist ja längst schon unsere Speise geworden, wozu
dann noch opfern? Wenn da dennoch weitergeopfert würde, wäre das ein krasses
Zeichen des Unglaubens. Zusammengefasst: In jeder Eucharistiefeier werden die
Feiernden als die angetroffen und angenommen, die opfern wollen. Und jedes Mal
erfahren sie, dass sie nicht mehr zu opfern brauchen. In gewissem Sinne
durchlaufen wir in jeder Eucharistiefeier die ganze Religionsgeschichte incl. des
alttestamentlichen Opferkults, um zu Christus zu gelangen, der allen Opfern ein
Ende bereitet hat. Nach Christus „bedarf es keines Opfers mehr“ (Hebr 10,18) –
diese Lektion lernt man in jeder Eucharistiefeier neu. Und damit auch, dass wir unser
Leben nicht auf Kosten von Opfern führen müssen. Nach Christus braucht es gar
keine Opfer mehr zu geben, es sei denn das „Opfer des Lobes“, mit dem Gott für all
dies gedankt wird.
Weiteres und Genaueres in meinem Buch Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie
und Ökonomie, S. 137-156.
6. Aus der Geschichte der Eucharistie
Im 1. Kor treffen wir bereits auf die Abtrennung des Brot- und Becherritus vom
Sättigungsmahl, wie sie auch dem mk/mt Bericht zugrunde liegt. Der Ritus wird
dann schon bald mit dem aus dem Judentum bekannten Wortgottesdienst zu einer
eigenen gottesdienstlichen Feier verbunden, die ab etwa dem 2. Jh. den Namen
50
"Eucharistia" (= Danksagung, bezogen sowohl auf die Gaben von Brot und Wein wie
auf das darin zugesagte Heil) trägt. In Justins 1. Apologie (um 140) enthält eine
Schilderung der Eucharistiefeier mit bereits allen heute bekannten Elementen incl.
der Urform unserer Hochgebete. Der ethische Charakter wird durchgehend stark
betont: "...brecht das Brot, sagt Dank und bekennt eure Übertretungen, damit euer
Opfer rein sei! Jeder aber, der Streit mit seinem Nachbarn hat, soll nicht mit euch
zusammenkommen, bis er sich ausgesöhnt hat" (Didachè, Anfang 2. Jhd.). Den
Vorsitz übernahmen in der Anfangszeit verschiedene charismatisch begabte
Personen, bis diese schließlich durch Bischöfe und Diakone ersetzt wurden.
Verschiedene Faktoren führen dazu, dass schon früh der Kommunionempfang
häufig von der Teilnahme an der Eucharistiefeier getrennt wird: – Die Teilnahme
von öffentlichen Büßern, die von der Kommunion ausgeschlossen sind; – die
Aufbewahrung des eucharistischen Brotes und sein Empfang außerhalb der Feier
(z.B. durch Kranke); – die Teilnahme von noch nicht getauften Katechumenen. Als
mit der konstantinischen Wende der Taufaufschub bis ans Lebensende immer mehr
zunimmt, wird nun die Trennung von Kommunion und Eucharistie der Normalfall –
eine für die Folgezeit äußerst folgenreiche Entwicklung. Die Eucharistie wird nun, in
den großen Basiliken, zu einem feierlichen liturgischen Geschehen unter dem Vorsitz
des Bischofs, das im Altarraum stattfindet; die Gläubigen sind nur mehr von ferne,
schauend, dabei. Die Theologen der reichskirchlichen Ära entfalten unter diesen
Umständen die Bedeutung der Eucharistie mit den Stichworten des 'Schauens' und
der 'Nachahmung'. Eucharistie ist nun die vergegenwärtigende Erinnerung des
Heilsgeschehens, sie ist 'Gleichnis' und 'Symbol', an dem die Gläubigen schauend
teilhaben. Jesus ist der Handelnde in der Eucharistie ("Aktualpräsenz"), aber schon
bei Ambrosius (+397) tritt auch die Umwandlung der Gaben ins Blickfeld
("Realpräsenz"): was vorher Brot war, wird zum Leib Jesu, was Wein war, wird zu
Blut Christi. Die Ehrfurcht vor diesem geheimnisvollen Geschehen tut ein Übriges,
um den Kommunionempfang zu reduzieren. Augustinus trifft das Richtige, wenn er
demgegenüber den Schwerpunkt auf die Verwandlung der Gemeinde in den Leib
Christi setzt: Die Gemeinde soll werden, was sie sieht (Leib Christi), sie sagt Amen
zu dem, was sich auf dem Altar vollzieht, und wird so selbst zum Glied am Leib
Christi (vgl. sermo 272).
Im fränkisch-germanischen Raum, in dem das Lateinische zur (fremden,
unverstandenen) Kultsprache geworden ist, wächst die Ehrfurcht vor dem Geheimnis
der Eucharistie, der Gegenwart Gottes in Brot und Wein. Der Augenblick der
"Wandlung" tritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit (Erheben der Hostie und des
Kelches, Kniebeuge, Wandlungsläuten). Dazu passt die Einführung des
Fronleichnamsfestes (1264): der Leib Christi wird in der Monstranz verehrt. Nun
verwendet man auch besondere Hostien statt des Brotes; ab dem 12./13. Jh. wird
den Laien der Kelch nicht mehr gereicht. In der Theologie wird in dieser Zeit die
Umwandlung der Gaben zum Hauptthema der Eucharistietheologie. Die Scholastik
verwendet all ihren Scharfsinn darauf. Die Positionen schwanken zwischen extremen
Spiritualismus (Berengar von Tours, +1088: Brot und Wein sind nur Symbole der
Gegenwart Christi, der sich selbst seit der Himmelfahrt im Himmel befindet) und
extremem Materialismus (Humbert von Silva Candida, +1061: Brot und Wein werden
zu wahrem Fleisch und Blut, Jesus Christus wird von den Händen der Priester
angefaßt und gebrochen und von den Zähnen der Gläubigen zerkaut). Auf dem 4.
Laterankonzil (1215) setzt sich als Mittelweg die Transsubstantiationslehre durch:
Die äußere Form, die Akzidentien, von Brot und Wein bleiben gleich, das Wesen, die
Substanz ändert sich. Es geschieht in der Wandlung also Ähnliches wie bei der
hypostatischen Union (Zu beachten: der Begriff der Substanz meint hier gerade nicht
51
das, was heute in der Chemie damit gemeint wird). Der Blick ist jedenfalls im
Mittelalter ganz auf die Elemente gerichtet, die Bedeutung des Mahlgeschehens und
der Opfercharakter treten zurück.
(Zur Bedeutung der Transsubstantiationslehre im Vergleich zu den konkurrierenden
Lehren im Mittelalter und zu den späteren Lehren der Reformation vgl. mein Buch
Wandlung, S. 33-47; 89-119)
Dagegen wendet sich die Reformation, sie sieht darin eine Verfälschung des
biblischen Zeugnisses. Insgesamt ging es der Reformation um eine
Wiederherstellung der biblischen Gestalt des Abendmahles. Die reformatorische
Kritik richtet sich zunächst gegen die zahlreichen abergläubischen Auffassungen im
Zusammenhang mit den gewandelten Elementen (Wundererwartungen, blutende
Hostien u.a.) und konzentriert sich dann theologisch auf drei Punkte: die Ablehnung
der Meßopferlehre, die Realpräsenz und die Vorenthaltung des Laienkelches. Dass
die Messe eine gnadenmittelnde Wiederholung des Kreuzesopfers sei, hat Luther im
Zuge seiner Kritik an der Werkgerechtigkeit energisch bestritten: dann wären es ja
Menschen (Priester), die das Heil vermittelten. Christi Opfer am Kreuz war für ihn
vollgenügsam, es ist ein für allemal geschehen, ihm ist nichts hinzuzufügen, es ist
nur zu erinnern und zu wiederholen (Abendmahl als Wortgeschehen: das Testament
Christi wird verkündigt). Bezüglich der Realpräsenz hielt Luther zwar an der
wirklichen Gegenwart Christi in Brot und Wein fest (wegen des biblischen Wortlauts),
lehnte aber die Erklärung der Transsubstantiation als "spitzfindige Sophistik" ab. Für
ihn ist Christus "in, mit und unter" den Elementen gegenwärtig. Für Zwingli ist die
Gegenwart Christi nur im Geiste gegeben, Calvin bestreitet die Realpräsenz mit dem
auf Hinweis auf die Gegenwart Christi im Himmel. Die Verweigerung des
Laienkelches ist für alle Reformatoren ein klarer Verstoß gegen Jesu Wort "Trinket
alle daraus" und im übrigen Ausdruck eines Zwei-Klassen-Systems in der Kirche und
der Priesterherrschaft. Die scholastische Lehre, dass Christus unter jeder der beiden
Gestalten ganz empfangen werde (Konkomitanzlehre), verwerfen die Reformatoren.
Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung besteht um die Frage der Aufbewahrung
der konsekrierten Elemente. Für Luther haben die Elemente "extra usum"
(= außerhalb des Gebrauchs bei der Mahlfeier) keine besondere Bedeutung;
außereucharistische Verehrung der geweihten Hostie hat für ihn keinen Sinn.
Das Konzil von Trient verteidigt alle kritisierten Punkte, lässt aber im einzelnen
Differenzierungen zu (Meßopfer ist keine Wiederholung, sondern repraesentatio,
memoria und applicatio; Transsubstantiation ist kein Dogma, sondern nur eine
treffende Bezeichnung; Kelchverweigerung wird nicht festgeschrieben). In der von
konfessioneller Verhärtung geprägten Folgezeit werden aber gerade die von der
Reformation angegriffenen Lehren und Praktiken zu typisch katholischen
Erkennungszeichen.
Erst im 20. Jh. vor allem durch das II. Vaticanum, sind die Einsichten der
Reformatoren auch in der kath. Kirche fruchtbar geworden. Häufigere Kommunion
wurde schon durch Papst Pius X. (1903-1914) eingeführt. Die Liturgische Bewegung
entdeckte den Gemeinschafts- und Mahlcharakter der Messe neu und führte zuletzt
zur Verwendung der Muttersprache in der Liturgie und zum lauten Sprechen des
Hochgebets. Der Laienkelch ist nun auch in der kath. Kirche erlaubt. Der
Opfercharakter der Messe wurde neu durchdacht. Die Ökumenische Bewegung
führte zu vielen Annäherungen; dabei war stets der gemeinsame Rückbezug auf das
biblische Zeugnis leitend. Für die Realpräsenz wird meistens auf die biblische
Kategorie der vergegenwärtigenden Erinnerung (anamnesis) zurückgegriffen. Die
Kirchen sind sich heute im Verständnis des Herrenmahls/der Eucharistie in vielen
52
Punkten einig, umstritten sind die Beziehung von Kirchengemeinschaft und
Eucharistiegemeinschaft und dabei besonders die Bedeutung des Amtes.
(Zur Bedeutung der Unterschiede in der Abendmahlslehre vgl. mein Buch Wandlung,
S. 107-119. Ich sehe gute Gründe dafür, die Gemeinschaft am Tisch des Herrn
vorerst noch nicht zuzulassen.)
7. Die Feier der Eucharistie
Vgl. dazu Gotteslob, 351-376, und die sehr informativen Ausführungen bei KUNZLER aaO.
Die Feier der Eucharistie ist eingebettet in die Hl. Messe, den zentralen
gottesdienstlichen Vollzug der Kirche. Damit wird sie als das Sakrament der
Sakramente, als das Sakrament der Kirche schlechthin erkennbar. Die ganze Hl.
Messe vollzieht die Umcodierung eines Lebens in Sünde und Selbsterhaltung in ein
Leben zur Ehre und Verherrlichung Gottes, deswegen ist sie Gottesdienst!
Die Hl. Messe wird wie folgt eingeteilt (Hervorhebung = Ordinarium, in jeder Messe vorkommende
Hymnen und Texte):
 Eröffnungsteil: Einzug, Introitus, Verehrung des Altars, Bußakt, Kyrie eleison, Gloria,
Tagesgebet
 Wortgottesdienst: Lesungen aus dem Alten Testament und den Briefen, Antwortpsalm und
Halleluja, Evangelium, Homilie (Predigt), Glaubensbekenntnis, Fürbitten
 Gabenbereitung: Herbeibringen der Gaben auf den Altar, Segensgebet über die Gaben,
Händewaschung, Gebet um die Annahme der Gaben, Gabengebet mit besonderen Intentionen
 das eucharistische Hochgebet (=Kanon) mit dem Aufbau: Präfation, Sanctus, Postsanctus,
Wandlungsepiklese [Epiklese= Herabrufung des Hl. Geistes], Einsetzungsbericht, Anamnese,
Darbringungsgebet, Kommunionsepiklese, Interzessionen [Fürbitten in der Gemeinschaft der
Heiligen], Schlussdoxologie. [Außer dem alten Römischen Kanon, der auf das 2. Jh. zurückgeht,
unser 1. Hochgebet, gibt es seit der Liturgiereform des II. Vaticanums drei weitere Hochgebete]
 Kommunionteil: Vaterunser, Friedensgruß, Brechung des Brotes mit Agnus Dei, Kommunion,
Segen und Entlassung.
Über Entstehung und Sinn dieser Teile, frühere Bezeichnungen und andere Einteilungen s. KUNZLER
aaO; weiterhin W. Haunerland, Das eine Herrenmahl und die vielen Eucharistiegebete, in Haunerland
aaO., S. 118-144.
Aus der oben genannten Abtrennung der Eucharistie vom Kommunionempfang folgte
über lange Zeit die Austeilung der Kommunion außerhalb der Hl. Messe, vor
allem seit der Vorschrift von 1215 (IV. Laterankonzil), dass jeder Christ einmal im
Jahr, und zwar in der Osterzeit, die Kommunion empfangen müsse. Noch bis Mitte
des vorigen Jh. wurde die Kommunion häufig nur vor und nach der Hl. Messe
ausgeteilt!
Eine andere Form des Kommunionempfangs außerhalb der Hl. Messe ist die
Krankenkommunion, früher meistens als Sterbekommunion (Viaticum =
Wegzehrung).
Seit dem Mittelalter, vor allem aber in der Neuzeit hat sich im Gegenzug zum
Protestantismus die Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messfeier
durchgesetzt.
Wir
finden:
Tabernakel
und
Sakramentshäuschen,
Sakramentsprozession,
Aussetzung
der
Eucharistie,
Fronleichnam,
Sakramentsandachten,
eucharistischer
Segen.
Architektur,
Kirchenmusik,
Hymnendichtung, persönliche Frömmigkeit sind dadurch maßgeblich inspiriert
worden! Diese Verehrung ist legitim, darf sich aber nicht verselbständigen, sondern
muss dem Geschehen der Eucharistie zugeordnet bleiben. Protestanten können der
Verehrung "extra usum" keinen Sinn abgewinnen, aber dies hat wohl nicht wenig zur
Verarmung der Abendmahls-Frömmigkeit in den evangelischen Kirchen beigetragen.
»Sollte man am Sonntag in die Kirche gehen? Zwei Gründe dafür und zwei Gründe
dagegen«
53
8. Das ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft
Eucharistiegemeinschaft ist Kirchengemeinschaft, denn die Kirche wird durch die
Eucharistie als Leib Christi auferbaut. Kirche entsteht durch die Eucharistie, die
Eucharistie ist Mittel und Zeichen der Kirchengemeinschaft. Darin sind sich alle
Kirchen einig, die Probleme zwischen den Konfessionen entstehen aus dem
Verhältnis von Mittel und Zeichen.
Terminologisch ist zu unterscheiden zwischen voller Eucharistiegemeinschaft als Ziel
der Einigung der Kirchen, eucharistischer Gastfreundschaft (gastweise Zulassung in
Einzelfällen oder generell), Interkommunion (gegenseitige Zulassung nach
Absprache), Interzelebration (Amtsträger anderer Kirchen dürfen der Feier
vorstehen) und offener Kommunion (niemandem ist der Zutritt verwehrt).
Während die evangelischen Kirchen untereinander Interkommunion oder
Interzelebration vereinbart haben oder auch offene Kommunion praktizieren, wird auf
katholischer Seite die Eucharistie nicht nur als Mittel, sondern auch als Zeichen der
(vorausgesetzten) Kirchengemeinschaft verstanden. Das Ökumenismusdekret des II.
Vatikanums sagt dazu:
"Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in
sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur
Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. ... Die Bezeugung der
Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die
Sorge um die Gnade empfiehlt sie dagegen in manchen Fällen" (UR 8).
Dies wurde kirchenamtlich (Ökumenisches Direktorium) dahin präzisiert, dass mit
den orientalischen Kirchen Gottesdienstgemeinschaft möglich ist, mit den
evangelischen Kirchen jedoch in der Regel nicht, sondern nur in Ausnahmefällen
(im Sinne einer ökumenischen Gastfreundschaft). Begründet wird das mit dem
"defectum sacramenti ordinis" (dem Defekt im kirchlichen Amt) bei den
evangelischen Kirchen (UR 22): weil sie kein Weihesakrament haben und nicht in der
apostolischen Sukzession stehen, ist bei ihnen die Integrität der Abendmahlsfeier
und damit auch der Kirche nicht gegeben.
Meines Erachtens ist in der heutigen Lage der Kirchen eine generelle Zulassung oder offene
Kommunion nicht zu empfehlen. Angesichts der oft sehr unklaren und zum Teil häretischen
Eucharistiekonzepte sollte das katholische Verbot als eine heilsame Aufforderung zur Prüfung der
Geister, als ein Anlass zur Verständigung über den Glauben und als ein Mittel der konfessionellen
Differenzierung genutzt werden. In vielen Fällen kann sicherlich eucharistische Gastfreundschaft
gewährt werden.
54
A. Das Sakrament der Buße
[Da das Sakrament der Buße im WS 09/10 nicht vorgetragen wurde, erfolgen auch
keine Ergänzungen
Vgl. dazu: FABER, 122-141; KUNZLER, 445-456; CHRISTOF GESTRICH, DIE W IEDERKEHR DES GLANZES IN DER W ELT.
DIE CHRISTLICHE LEHRE VON DER SÜNDE UND IHRER VERGEBUNG IN GEGENWÄRTIGER VERANTWORTUNG, Tübingen:
Mohr/Siebeck ²1997, vor allem §§ 7-13 (ganz hervorragend zur Theologie von Sünde, Schuld und
Vergebung!); ART. BUßE/KIRCHENGESCHICHTLICH, in: RGG4 BD. 1, 1910-1918 (zur Geschichte der Buße).
1. Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und
Vergebung
Kein Sakrament steckt stärker in der Krise als die Beichte. Das bedeutet aber, dass
der kirchliche Beitrag zum Umgang mit Schuld und Vergebung weitgehend ausfällt.
Da keine andere Institution einspringen kann, gibt es praktisch keine Möglichkeit
mehr, Schuld zu bekennen und Vergebung zu erlangen. Die Menschen und die
Gesellschaft insgesamt werden mit ihrer Schuld nicht mehr fertig (sowenig sie mit
ihren Schulden fertig werden – da besteht ein Zusammenhang!).
Die Krise der Beichte hat m.E. zwei Hauptursachen: zum einen die durch die
kirchliche Beichtpraxis betriebene Privatisierung von Sünde und Schuld auf den
individuellen und engeren zwischenmenschlichen Bereich. Für diesen Bereich
erklären sich heute Psychologie und Therapie für zuständig; Sünde wird als
Schwäche, Überforderung, Folge von Fehlentwicklungen gedeutet. Zum anderen
finden die Erfahrungen mit Schuld im gesellschaftlich-ökonomischen-politischen
Bereich – wir ruinieren laufend die Welt durch unser alltägliches Verhalten, lassen
unseren Kindern keine bewohnbare Welt mehr übrig, und wir wissen darum – im
kirchlichen Bußsakrament zur Zeit keinen Ausdruck. Weil unsere Sünden nicht
gebeichtet (d.h. bekannt, bereut, wiedergutgemacht) werden, können sie nur
verdrängt werden, und sie werden es. Unsere Gesellschaft ist genauso auf Schuld
aufgebaut, wie sie auf Schulden aufgebaut ist. Sie weiß darum und will es doch nicht
zugeben, weil sie kein Mittel dagegen kennt.
Was ist Schuld? Schuld ist der individuell zurechenbare Anteil des Bösen und
Fehlerhaften an jeder Handlung eines Menschen. Alle Menschen handeln ständig
(auch durch Unterlassung). Dieses Handeln hat immer Folgen, die der einzelne nicht
mehr kontrollieren kann. Bei schlechten Handlungen entsteht ein Verhängnis
(bei aufmerksamer Beobachtung lassen sich Folgen böser Handlungen bis in die
dritte oder vierte Generation direkt nachweisen; vgl. Ex 20,5: Gott ahndet die Schuld
der Väter bis zu den Urenkeln. Danach verlieren sich die Folgen im Dunkel der
Geschichte, bleiben aber weiter wirksam). Wenn die Kirche von Schuld redet, dann
besteht sie darauf, dass der individuelle Anteil in jedem einzelnen Fall ausgemacht
werden kann, und dass Menschen sich ändern können, indem sie für die Folgen
ihres Tuns aufkommen und ihr schuldhaftes Verhalten vermeiden. Dem Sakrament
der Buße liegt also eine hohe, anspruchsvolle Auffassung vom Menschen zugrunde.
Er ist nicht nur Opfer von Verhältnissen/Verhängnissen, er kann sich ändern und
damit, soweit es an ihm liegt, das Böse fortschaffen.
Was ist das Böse an menschlichen Handlungen? Das Böse besteht in jedem
einzelnen Fall darin, dass Menschen ihre Umwelt (andere Menschen, soziale
Systeme, die Natur) für Zwecke der eigenen Selbsterhaltung und Selbstbehauptung
über das gerechte Maß hinaus verzwecken. Sie werden ihrer Umwelt nicht gerecht,
d.h. sie verlangen etwas von ihr, was sie nicht leisten kann, sie überfordern sie.
Die/das Überforderte/n müssen sich das, was ihnen durch das schuldhafte Handeln
genommen worden ist, woanders holen. So pflanzt sich die Schuld immer weiter fort.
Das böse Tun bewirkt einen Mangel in der Welt, der durch weiteres böses Tun
aufgefüllt wird, ohne jemals gestillt werden zu können.
55
Was ist Sünde, warum werden biblisch-kirchlich Schuld und Sünde in einem
Atemzug genannt? Sünde ist die Übertretung von Gottes Gebot. Gottes Gebot ist
das Gesetz der Gerechtigkeit, d.h. es will, dass Menschen ihm und deswegen auch
ihrer Umwelt gerecht werden können. Darum sind Sünde und Schuld identisch: ein
Verstoß gegen die Gerechtigkeit. Gottes Gebot ist das Gesetz einer Lebensordnung,
die nicht auf dem Mangel, sondern auf der Fülle, dem Reichtum, dem "Glanz"
(kabod, doxa, gloria; vgl. Gestrich) beruht. Wer von der Herrlichkeit Gottes weiß und
an sie glaubt, braucht sich um seine Selbsterhaltung/Selbstbehauptung nicht mehr
zu sorgen, er/sie braucht nicht zu sündigen. Sie/er kann anderen/anderem gerecht
werden.
Warum ist die Vergebung der Sünden notwendig? Weil, wie gesagt, jedes
Handeln Folgen hat, die der Urheber nicht mehr kontrollieren kann, kann niemand
aus eigener Kraft das Verhängnis vermeiden, das aus seinem bösen Tun erwächst.
Er/sie ist in Sünde verstrickt und kann nicht anders, als durch neue Sünden auf die
Folgen der früheren zu reagieren. Vergebung meint demgegenüber: dass einem
Menschen die Möglichkeit eingeräumt wird, neu anzufangen. Sie/er kann wieder am
Punkt null beginnen, die Stricke, die ihn/sie an die Vergangenheit fesseln, sind
gelöst. Dies kommt einer Neuschöpfung gleich, die nur Gott bewirken kann. Sie kann
nur so gedacht werden, dass jemand anderes (Christus) die Schuld übernimmt, die
eine/r auf sich geladen hat. Wie Taufe und Eucharistie zielt also die Buße auf ein
neues Sein in Christus.
Worin besteht die Analogie von Schuld und Schulden? Jemand nimmt einen
(zinspflichtigen – nur daran ist hier zu denken) Kredit auf, um eine Investition zu
tätigen, z.B. eine Wald forstwirtschaftlich zu nutzen. Der Ertrag der Waldnutzung liegt
bei nachhaltigem Wirtschaften bei 2%. Durch die Zinslast ist der Schuldner aber
gezwungen, weit mehr aus dem Wald herauszuholen. Dies kann nur durch
Übernutzung, durch Ausbeutung der Arbeitskräfte, durch Missachtung ökologischer
Standards geschehen. Überall werden dabei Schuld und Mangel erzeugt, die sich
fortzeugen. Sind die Grenzen der Nutzung erreicht, muss er einen neuen Kredit
aufnehmen. Tritt der Punkt ein, wo alte Schulden nur noch durch neue Kredite
abzutragen sind, spricht man von Überschuldung. – Dieser Zustand ist heute, im
Rahmen der zinsgestützten und konkurrierenden Geldwirtschaft, praktisch weltweit
erreicht. Überall wird mehr Ertrag erwartet als die Ressourcen (Menschen, Natur) zu
geben in der Lage sind. Die Welt erstickt in Schulden. Der Zustand wäre nur zu
ändern, wenn die Kapitalbesitzer mit ihrem Kapital für die Schulden einspringen
würden, wenn sie die Schuld auf sich nehmen würden. Dies käme aber einer
Neuschöpfung, einer Abschaffung der Regeln unserer Geldwirtschaft gleich.
2. Biblische Schlüsselszenen
 Gen 3: Der Sündenfall. Adam und Eva übertreten Gottes Gebot. Die Schlange
führt sie in die Logik der Konkurrenz ein. Sie wollen nach einem eigenen Gesetz
leben (=gut und böse erkennen). Daraus entstehen: Scham – Verbergen der
Schuld – Abwälzung der Verantwortung. Folge der Ursünde: Leben als Kampf
um's Dasein unter dem Gesetz der Knappheit (=Fluch).
 Lev 4; 5; 16: Sündopfer und Großer Versöhnungstag. Vergehen müssen wieder
gut gemacht werden; wo das nicht unmittelbar möglich ist, muss ein Opfer
gebracht werden. Für unwissentliche oder sonstige bisher nicht erfasste Sünden
ist der Versöhnungstag zuständig. Gott ermöglicht Israel jedes Jahr einen
Neuanfang. – Wir haben hier eine Gesellschaft vor uns, die aktiv mit dem
Problem der Schuld umgeht. Sie leugnet die Schuld nicht, weiß sich aber von der
Vergebungsbereitschaft Gottes getragen.
56


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


Jer 14,20f: Aus der Klage des Propheten über die Zerstörung Jerusalems: "Wir
erkennen, Herr, unser Unrecht, die Schuld unserer Väter. Ja, wir haben gegen
dich gesündigt." Die Katastrophe war nicht nur Verhängnis, der Prophet schaut
den Anteil der Schuld darin (die eigene und die der Väter). [Hätten das die
Deutschen nur nach dem 2. Weltkrieg auch getan!]. Die Schulderkenntnis ist die
Voraussetzung der Bitte und der Hoffnung: "Um deines Namens willen
verschmähe uns nicht, verstoß nicht den Thron deiner Herrlichkeit."
Ps 51: einer der Bußpsalmen. "Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine
Sünde steht mir immer vor Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe
getan, was dir missfällt. So behältst du Recht mit deinem Urteil, rein steht du da
als Richter. ... Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen
beständigen Geist. ... Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege, und die Sünder
kehren um zu dir." Sünde ist im Kern eine Beleidigung Gottes. Das
Sündenbekenntnis gibt Gott Recht und wird zur Verherrlichung Gottes.
[Empfehlung: Ps 51 bei jeder Beichte beten]
Mk 1,15: Die Reich-Gottes-Predigt Jesu. "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes
ist nahe gekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium." Damit ist alles
gesagt: Jesus weiß von der Gnade und Vergebung Gottes, der alle Menschen zur
Tora ruft. Die erste Reaktion darauf kann nur die Umkehr (metanoia) sein, die
Abkehr von einem verkehrten Leben. Sie ist Voraussetzung für ein Leben nach
dem Evangelium. – Jesus war ein Bußprediger.
Mk 2,1-12: Heilung des Gelähmten. Der Gelähmte will Heilung, aber Jesus
vergibt ihm zuerst seine Sünden. Jesus weiß um den Zusammenhang von Sünde
und Lähmung! An der Sündenvergebung wird seine Macht erkannt, die die des
Menschensohnes ist, mit dem das Leben der kommenden Welt beginnt. "Alle
waren außer sich, priesen Gott und sagten: 'Noch nie haben wir solches
gesehen'."
Mt 18,15-20: Die Zurechtweisung eines Sünders in der Gemeinde. Wenn einer
sündigt, dann soll er zunächst unter vier Augen zurechtgewiesen werden. Hilft
das nichts, dann sollen zwei oder drei Zeugen zugezogen werden. Hilft auch das
nichts, folgt die Verhandlung vor der ganzen Gemeinde. Hört er auch dann nicht,
wird er aus der Gemeinde ausgeschlossen. Der Kontext der Stelle sagt: Die
Vergebung hat immer den Vorrang, man soll nicht nur 7, sondern 77mal
vergeben. Aber Vergebung hat eine Grenze. Paulus ordnet 1Kor 15,1-13 den
Ausschluss eines Sünders aus der Gemeinde an. Ansonsten würde die
Gemeinde zerstört. Paulus hält aber offen, dass er "am Tag des Herrn gerettet
wird".
Röm 1,23f: "Sie (die Heiden, alle) vertauschten die Herrlichkeit des
unvergänglichen Gottes mit dem Abbild der Gestalt von vergänglichen Menschen,
von Vögeln, Vierfüßlern und Gewürm": Alle Sünde ist Götzendienst. Die Folge ist:
"Darum überließ sie Gott der Unreinheit, nach der ihr Herz gelüstet, so dass sie
gegenseitig ihre Leiber schändeten...". Zusammenfassung Röm 3,23: "Alle
(Heiden und Juden) haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes."
Deshalb gründet Gott seine Gerechtigkeit, die die Welt braucht, um leben zu
können, nicht mehr auf die Taten der Menschen, sondern er richtet sie durch
Jesus Christus selbst auf, und es genügt, an ihn glauben, um nach der
Gerechtigkeit leben zu können: "Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz Gottes
Gerechtigkeit, die vom Gesetz und von den Propheten bezeugt wird, offenbar
geworden, Gottes Gerechtigkeit aber aus dem Glauben an Jesus Christus für alle
Glaubenden" (Röm 3,21f). [Das ist die paulinische Rechtfertigungslehre; der
Ausgangspunkt für Lehre Martin Luthers.]
57

1 Petr 1,14-16: Neues, heiliges Leben aus dem Glauben im Unterschied zum
früheren: "Als Kinder des Gehorsams richtet euch nicht nach den Lüsten, die
euch früher, zur Zeit eurer Unwissenheit, beherrschten, sondern, wie jener heilig
ist, der euch berufen hat, so sollt auch ihr heilig werden in jeglichem Wandel. Es
steht ja geschrieben: 'Heilig sollt ihr sein, weil ich heilig bin'." Die Unterscheidung
'früher – jetzt = sich nach Lüsten richten, die beherrschen – der Berufung zur
Heiligkeit in Freiheit entsprechen.
3. Zur Theologie der Buße
Die Sünder ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Von der Herrlichkeit Gottes
kommen aber Leben und Seligkeit, Anerkennung und Liebe, sowie das Gesetz
(Tora), das die rechten Mittel zur Selbsterhaltung anweist.
Weil die Sünder all das nicht haben, aber brauchen, nehmen sie es sich von
anderen. Sünde ist darum im eigentlichen Sinne Götzendienst. Sünder nehmen
sich von anderen Menschen/Dingen, was sie nur von Gott bekommen können, und
sie wollen selber wie ein Gott verehrt, anerkannt, gelobt, geliebt werden. Da das
Verlangen der Menschen nach Anerkennung und Daseinssicherung unersättlich ist,
kennt die Macht der Sünde keine Grenze. Sünden reißen Löcher, die nur durch
andere Sünden gefüllt werden können. Darum ist "der Tod der Sünde Sold" (Röm
6,23).
Die Vergebung besteht darin, dass sich Gott in seiner Herrlichkeit offenbart. Wer
Gott in seiner Herrlichkeit kennt und liebt, muss nicht mehr sündigen, während
das Dasein ohne Gott zur Sünde gezwungen ist. Allerdings wird erst durch die
Offenbarung der Herrlichkeit Gottes der "natürliche" Kampf um's Dasein als Sünde
erkennbar; es wird dann auch klar, dass sich alles böse Tun eigentlich gegen Gott
richtet. Dass Gott sich den Sündern in seiner Herrlichkeit offenbart, bezeugt seine
Gnade, Barmherzigkeit und "Gerechtigkeit" (im Sinne von Röm 3).
Die Gebote zeigen die Sünden an, sie sind der Index für die Sünden. Denn das
Gesetz Gottes ist das Gesetz des Lebens aus der Fülle, das dem Gesetz der Sünde
und des Todes diametral gegenübersteht.
Wenn wir dies auf das Bußsakrament im engeren Sinn anwenden, zeigt sich
folgendes:
Zur Buße gehören die Elemente Bekenntnis (confessio), Reue (contritio),
Genugtuung (satisfactio) und Versöhnung (reconciliatio, bzw., als Lossprechung
von den Sünden, absolutio). Diese Elemente folgen nicht so aufeinander, dass der
Sünder zuerst die ersten drei Stücke geleistet haben muss, um die Versöhnung zu
erlangen (das wäre krasse Werkgerechtigkeit!). Vielmehr geht die Versöhnung mit
Gott der Buße voran in dem Sinne, dass erst ein Wissen (Glauben) um Gottes
Herrlichkeit und Gerechtigkeit die eigene Schuld als Schuld erkennbar macht und
daraus dann die Aufforderung erwächst, sich zur eigenen Schuld zu stellen, sie zu
bekennen, sie aufrichtig* zu bereuen und alles, was möglich ist, zur Genugtuung zu
tun (das schließt den Vorsatz ein, sich zu ändern). Die Lossprechung (Absolution am
Ende der Einzelbeichte) markiert den Endpunkt des ganzen Prozesses, der von
Anfang an von der Vergebung Gottes getragen ist und anders gar nicht zustanden
käme. Die Absolution sagt: Du kannst wieder neu anfangen – du bist nicht mehr
durch deine Sünden an deine Vergangenheit gebunden.
*
Die Scholastiker unterscheiden zwischen attritio (der Reue, die nur Selbstmitleid ist und aus egoistischen
Motiven erfolgt) und contritio (wahrhafte Reue oder Zerknirschung, die um des angerichteten Schadens willen
entsteht und die die Vergebung zur Voraussetzung hat).
58
Mehr, als es hier geschehen kann, wäre der Zusammenhang von Schuld,
Vergebung und Stellvertretung zu bedenken (vgl. dazu aber unbedingt: GESTRICH,
S. 320-375). Dieser Zusammenhang ist komplex, er betrifft die Beziehung GottChristus-Sünder und die Beziehung der Christen untereinander. Nur soviel dazu: Alle
Sakramente zielen darauf, dass die Gläubigen mit Christus "ein Leib" werden, d.h.
dass sie ein neues Sein erhalten, das nicht mehr von ihren Sünden her bestimmt ist,
sondern von der Gerechtigkeit Jesu. Sie werden ein neues Geschöpf (s. zu Taufe
und Eucharistie!). In Bezug auf die Buße sagt nun die Theologie: Gott rechnet uns
nicht unsere Sünden an, sondern die Gerechtigkeit (manchmal sagt man auch: die
Verdienste) Christi. Er betrachtet uns so, als wären wir Christus. Christus ist vor Gott
unser Stellvertreter, er hat unsere Sünden stellvertretend getragen. Was an der
Gerechtigkeit Gottes in der Welt fehlt (was die Sünden an Löchern gerissen haben),
das hat er durch sein Leiden am Kreuz aufgefüllt. Wenn wir nun in Christus ein neuer
Mensch werden, befreit von der Macht unserer Sünden, dann können wir auch an
einander Stellvertretung üben. Das bedeutet: Was ein sündiger Mensch in der
Gemeinde zuwenig hat, was er an Mangel produziert, das kann durch andere
Gläubige stellvertretend gegeben werden. Dies ist möglich wegen der überreichen
Gnade – da braucht keiner ängstlich auf seiner Selbstbewahrung zu beharren,
sondern kann sogar noch anderen geben, was diesen fehlt. Konkret: Wenn jemand
z.B. die Umwelt mehr belastet als gut ist, können es andere weniger tun, als
angemessen ist – das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Wenn jemand mehr
Anerkennung braucht als ihm zusteht, können andere sie ihm geben – sie haben ja
von Gott her genug davon. – Insgesamt gilt: Das Gegenteil zu einem Leben unter
dem Gesetz der Sünde, das überall nur Mangel hervorruft, ist ein Leben in der
Struktur der Stellvertretung, das anderen gibt, was diese nicht selber leisten können.
Wenn man das bedenkt, sieht man auch, dass Stellvertretung überhaupt die Struktur
gelingenden Lebens ist, in der Natur wie in der Gesellschaft.
4. Zur Geschichte der Buße
Im Folgenden rede ich nur von den Formen der ordentlichen Kirchenbuße und lasse
alle Formen der direkten, privaten Vergebung außer Acht, obwohl sie natürlich den
größten Teil der Wirklichkeit der Buße ausmachen.
Um den komplexen Gang der Entwicklung zu vereinfachen, unterscheide ich grob
drei Phasen:
1. Die öffentliche Kirchenbuße in der Alten Kirche
2. Die Privatbeichte im Mittelalter
3. Die Besinnung auf den sozialen Aspekt der Buße im 20. Jahrhundert
Zu 1. Die öffentliche Kirchenbuße in der Alten Kirche
In der ersten Zeit der Kirche war die Vergebung der Sünden nur mit der Taufe
verbunden; man erwartete, dass die Getauften nicht mehr sündigten. Unter dem
Druck der Verhältnisse wurde dann die "zweite Buße" (paenitentia secunda)
eingeführt. Sie hatte drei Bestandteile:
o Die Exkommunikation des Sünders (dessen Vergehen bekannt waren: Mord,
Ehebruch, Glaubensabfall in den Verfolgungen) in einem öffentlichen Akt vor
der ganzen Gemeinde. Der Sünder gehörte jetzt zum Stand der Büßer und
durfte nicht mehr an der Eucharistie teilnehmen.
o Die Bußzeit, die nach der Schwere des Vergehens berechnet war und in der
ganz bestimmte Leistungen zu erfüllen waren: z.B. Ausschluss von Ämtern,
Gebetsübungen, asketische Übungen oft schwerster Art, Verzichtsleistungen
(etwa auf ehelichen Verkehr), soziale Maßnahmen.
59
o Die Versöhnung mit der Gemeinde (Rekonziliation) nach Ablauf der Bußzeit.
Dieses sehr schwere Bußverfahren konnte jeder Christ nur einmal durchmachen. Fiel
er nochmals in Sünde, gab es keine Versöhnung mit der Gemeinde mehr. Aus
diesem Grunde neigte man dazu, die Buße bis zum Ende des Lebens zu
verschieben. Schließlich verschwand sie nahezu aus dem Leben der Gemeinden
oder wandelte sich zu einem Sterbesakrament.
Zu 2 Die Privatbeichte im Mittelalter
Ab dem 6. Jh. wurde das europäische Festland durch Mönche aus England, Irland
und Schottland missioniert. Sie waren es gewöhnt, im Kloster ihre Vergehen
regelmäßig vor dem Abt zu bekennen. In ihren fränkischen Missionsgebieten
entwickelte sich aus dieser klösterlichen Praxis eine neue Form der Kirchenbuße
(iro-schottische Bußreform), die zunächst übrigens auf den Widerstand der Kirche
stieß. Hier war nun das Bekenntnis der Sünden (confessio) das entscheidende
Element. Es sollte mit Reue und Zerknirschung (contritio) einhergehen. Auf Grund
dessen sprach der Priester die Absolution aus (zuerst deprekativ - bittend –, später
indikativ - zusagend aufgrund seiner Vollmacht). Er legte schließlich noch eine
Genugtuungsleistung auf (satisfactio), die nach der Buße zu verrichten war. So
entstand die Beichte. Das 4. Laterankonzil 1215 machte die jährliche Beichte zur
Pflicht
Die
mittelalterlichen
Theologen
versuchten
mit
einiger
Mühe,
die
Sakramententerminologie auf die Buße anzuwenden. Bekenntnis, Reue und
Genugtuung sollten die "Materia" des Sakramentes sein, die Absolution die "Form":
Beides konnte nur zusammen wirken. Diskutiert wurde aber auch die Frage, ob nicht
die vollkommene Reue schon zur Vergebung der Sünden genügt. In diesem
Zusammenhang muss auch von der Laienbeichte die Rede sein (persönliches
Bekenntnis vor einem Mitchristen), die es in der Ostkirche immer gab und die auch
im Westen im Notfall stets zugelassen war.
Im Zusammenhang der iro-schottischen Bußreform ist auch das Institut des
Ablasses zu verstehen. Die Bußleistungen waren ja nach der Absolution zu
verrichten. Für bestimmte Sünden gab es dabei bestimmte Genugtuungen
("Tarifbuße"); sie waren die "zeitlichen Sündenstrafen" (reatus poenae, im
Unterschied zu der Verhaftung an die Sünde - reatus culpae - ). Nun hatte es sich
eingebürgert, dass diese Bußleistungen umgewandelt, ersetzt oder durch Zahlungen
abgelöst werden konnten. Wurde bspw. jemandem eine Wallfahrt auferlegt, konnte
er auch einen Vertreter schicken. Daraus entwickelte sich der Ablass: der Erlass
oder die Vertretung zeitlicher Sündenstrafen aufgrund bestimmter Leistungen. Wenn
man nun noch die Fegefeuerlehre hinzunimmt, die sich im Frühmittelalter
entwickelte, legte sich die Vorstellung nahe, dass Bußleistungen auch im Jenseits zu
verrichten waren. Der Ablass wurde dann als Erlass jenseitiger Sündenstrafen
aufgefasst, der aufgrund des Gnadenschatzes der Kirche (thesaurus ecclesiae)
möglich sein sollte. Bei den Aufrufen zu den Kreuzzügen im 12. und 13. Jh. stellten
manche Prediger, z.B. Bernhard von Clairvaux, einen vollkommenen jenseitigen
Ablass für die diejenigen in Aussicht, die an den Kreuzzügen teilnehmen würden. Zu
dieser Zeit war eine solche Zusage theologisch noch gar nicht gedeckt, aber die
Theologie beeilte sich, den so einträglichen Ablass nachträglich zu begründen. So
wurde er zu einer Haupteinnahmequelle der mittelalterlichen Kirche.
Dagegen richtete sich bekanntlich der Protest Martin Luthers. Obwohl er an dem
Wert der Buße festgehalten hat (sie wurde und wird ja noch in der lutherischen
Kirche praktiziert, wenn auch selten), hielt er doch den Ablass sowie auch die
Auffassung, dass das Bekenntnis und die Reue des Sünders eine Voraussetzung
60
darstellen, um die Vergebung zu empfangen, für einen Ausdruck von
Werkgerechtigkeit (Das ist der Inhalt seiner berühmten 95 Thesen von 1517). Für ihn
handelte es sich darum, dass sich der Mensch im Angesicht Gottes seiner Schuld
bewußt wird und dann im Glauben die Vergebung empfängt (simul iustus et
peccator). Buße ist also ein Grundvollzug der gläubigen Existenz und braucht nicht
mehr unbedingt in einzelnen Akten konkretisiert zu werden.
Das Konzil von Trient schärfte die bisherige Bußlehre und -praxis gegen die
Reformatoren ein, verzichtete aber darauf, eine umfassende Bußlehre zu entwickeln.
Zu 3 Die Besinnung auf den sozialen Aspekt der Buße im 20. Jahrhundert
Da der Kommunionempfang mit der vorhergehenden Buße traditionell verknüpft
waren, führte der häufigere Kommunionempfang seit Anfang des Jahrhunderts (Pius
X.) zu einer großen Zunahme der Beichthäufigkeit. Seit Mitte des Jh. löste sich die
Verknüpfung auf, und die Beichte wurde weniger und weniger praktiziert.
Für die neuere Theologie war die Entdeckung, dass die Buße in der Alten Kirche
ganz anders praktiziert wurde als heute, eine Art Schlüsselerlebnis (Wichtigste
Beiträge dazu von Bernhard Poschmann). Die gängige Bußpraxis wurde dadurch in
Frage gestellt und zugleich der ekklesiale, soziale Aspekt der Buße ganz neu
entdeckt.
In der Liturgiereform wurde versucht, den neuen Einsichten gerecht zu werden. Im
Mittelpunkt steht die Versöhnung mit der Kirche und mit Gott. Die neue Theologie der
Buße ließ sich aber mit der Form der Ohrenbeichte schwer vereinbaren. Die
römische Bußordung von 1973 (ordo poenitentiae, dt. 1974) führte als neue Form die
gemeinschaftlichen Bußandachten ein. Sie sollen regelmäßig in den Gemeinden
gehalten werden, aber die Einzelbeichte nicht ersetzen.
5. Die heutige Ordnung der Buße
Vgl. GOTTESLOB, 54-67; KUNZLER aaO.
Die "Ordnung der Buße" von 1973 kennt drei Formen der sakramentalen Buße:
1. Die Einzelbeichte mit den Elementen: Begrüßung – Bekenntnis – Übertragung
eines Bußwerks – Reuegebet – Lossprechung. Die Lossprechung hat die Formel:
"Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines
Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung
der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So
spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Amen."
2. Die Feier der Versöhnung in Verbindung mit einer Bußandacht und
anschließender Einzelbeichte
3. Die gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit allgemeinem Bekenntnis und
Generalabsolution (nur in Notsituationen. Den Bischofskonferenzen bleibt die
Entscheidung überlassen, ob in ihrem Gebiet generell eine solche Notsituation
vorliegt (z.B. bei Priestermangel); die dt. Bischofskonferenz hat dies für Deutschland
verneint.)
Neu eingeführt ist der Bußgottesdienst ohne sakramentale Absolution (mit den
Elementen Eröffnung, Schriftlesung, Homilie, Besinnung, Reuegebet, gemeinsames
Bekenntnis, Gebet um Vergebung der Schuld)
Anmerkung: Die Einzelbeichte ist wegen der Besinnung auf die je persönliche Schuld unersetzbar. Sie
sollte sich jedoch nicht nur auf schuldhaftes Verhalten im unmittelbaren zwischenmenschlichen
Bereich beschränken, sondern auch die öffentliche, gesellschaftliche Verantwortung des Pönitenten
beinhalten: Umweltverhalten, Konsumgewohnheiten, politisches Handeln. Die Bußandacht ist keine
leichtere Form der Buße, die einem das persönliche Bekenntnis erspart, sondern bezieht sich auf die
Art der Schuld, die die kirchliche Gemeinschaft/Gemeinde als Ganze auf sich geladen hat. Wo ist sie
61
ihr Zeugnis schuldig geblieben, wo hat auch sie nur Selbsterhaltung betrieben, wo hat sie Wichtiges
versäumt? Das ist ein weites, weithin unbearbeitetes Feld.
6. Zur Rolle des Priesters
Der Priester handelt in der Beichte nicht als Richter, der die Schuld bemisst und das
Urteil (Absolution=Freispruch) verkündet. Er spricht vielmehr in amtlicher Vollmacht
die von Gott her geschenkte Vergebung definitiv aus. Er repräsentiert das "extra nos"
der Vergebung, die nicht von Menschen kommt, sondern von Gott. Er ist auch
Repräsentant der Kirche, insofern er dem Pönitenten den Glauben an die Liebe
Gottes, der in der Kirche gegeben ist, verbindlich mitteilt. – Ich meine: Auch ohne
Priester ist bei Vorliegen von Bekenntnis, Reue und Genugtuung eine vollkommene
Vergebung möglich. Es gehört aber zum Bekenntnis, dass man es jemandem
bekennt; das innere Zwiegespräch reicht nicht aus. Dieser jemand kann auch ein
Mitchrist sein; die spezielle Rolle des Priesters bei der Beichte entspringt eher der
pastoralen Klugheit. Es ist m.E. leichter, der Amtsperson zu beichten als einem
Menschen, der einem persönlich bekannt ist. Dazu gehört auch das amtliche
Beichtgeheimnis, das der Priester unbedingt einhalten muss. Mit einem guten
"Beichtvater" kann sich ein langdauerndes Vertrauensverhältnis einstellen.
7. Zur Beichte der Kinder
Hier gebe ich nur meine persönliche Meinung wieder: Die in der Kirche geübte
Kinderbeichte nimmt die Kinder als moralisches Subjekt ganz ernst. Auch Kinder
werden schuldig und sind fähig, ihre Schuld zu erkennen und zu bekennen, sobald
sie das "Alter der Unterscheidung" erreicht haben, d.h. wenn sie über eine Sprache
verfügen, mit der sie über sich selbst reden können. Die Kinderbeichte widerspricht
der heute üblichen Pädagogisierung der Kindheit, bei der die Kinder nur als Objekt
der Belehrung Erwachsener betrachtet werden. Bei der Beichte werden die Kinder
wie Erwachsene behandelt, und das ist gut so. Zu widerstehen ist der Versuchung,
die Kinderbeichte selbst zu pädagogisieren, d.h. sie nur als Einübung zu praktizieren
und die Härte des Sündenthemas von den Kindern fernzuhalten (also nicht nur ein
Gespräch über "eure Probleme"). Wenn die Kinder die wirkliche Dimension von
Schuld und Vergebung entdecken, werden sie es als Jugendliche und Erwachsene
auch nicht mehr tun.
62
D. Das Sakrament der Krankensalbung
Lit: Faber, 142-149; Kunzler, Leben, 457-466; Ders., Liturgie, 438-451; Höhn (hilfreiche Ausdeutung
des Ritus), 94-102; Art. Krankensalbung/ Art. Krankheit und Heilung, in: RGG4 Bd. 4, 1725-1734;
G. Greshake, Letzte Ölung oder Krankensalbung? Plädoyer für eine differenziertere sakramentale
Theorie und Praxis, in: Geist und Leben 56 (1983) 119-136; Martina Blasberg-Kuhnke,
Krankensalbung, in: Diakonia 40 (2009) 77-151; Albert Dexelmann, Kranke begleiten, Freiburg 2000;
Wilhelm Rees, Krankensalbung, Buße und Firmung. Neure Fragestellungen und kirchenrechtliche
Lösungen, in: Donum Veritatis aaO., 171-208; Krankensalbung, hg. vom Erzb. Ordinariat München,
2008; Thomas Ruster, „Heilt Kranke, treibt Dämonen aus…“ Die Dämonie der Krankheit und das
Sakrament der Krankensalbung, in: Anzeiger für die Seelsorge 11 (2003) 14-19
1. Probleme mit der Krankensalbung heute
o Krankensalbung als Akt des Tröstens und Stärkens – braucht es dazu ein
Sakrament?
o Krankensalbung, ein Sakrament ohne Gemeindebezug! Früher war die
Gemeindeschwester die bekannteste Figur in der Gemeinde, heute agieren
die Krankenseelsorger unsichtbar für die Gemeinde im Krankenhaus
o Wo findet Krankensalbung als Ritus in der Gemeinde statt? – Verbindung von
Krankensalbung und Gottesdienst?
o Wo werden noch Kranke sichtbar in der Gemeinde? Hat die Kirche die
Kranken nicht genauso „exkludiert“ wie die Gesellschaft? Das gilt auch für
kranke und behinderte Kinder, etwa beim Kommunionunterricht
o Wer soll der Spender sein? Wenn der/die Pastoralreferent/in im Krankenhaus
die Kranken lange persönlich betreut hat, warum muss dann ein Priester
kommen, um die Krankensalbung zu spenden?
o Können wir noch glauben, dass Glaube und Heilung etwas miteinander zu tun
haben? Hat nicht die moderne Medizin die religiöse Dimension in der Heilung
ersetzt? Was aber ist dann mit dem Heilungsauftrag Jesu?
o Immer noch ist Krankensalbung ein Todessakrament, „letzte Ölung“.
2. Gedanken über Krankheit, Gesundheit und Heilung
"Ich bin krank" – eine Störung ist aufgetreten: etwas an meinem Körper, das bisher
im Stillen funktionierte, geht nicht mehr – ich kann dagegen nichts oder wenig
machen – etwas ist in meinem Körper, das gegen mich arbeitet – ich habe
Schmerzen, mein Körper kommuniziert mit mir – ich werde mir meines Körpers und
seines Zusammenhangs mit der Seele/der Psyche ganz anders bewusst – ich
merke: ich habe oft nicht genug auf meinen Körper geachtet – viele andere haben
auch meine Krankheit: etwas geht um, das uns krank macht – ich bin auf die Hilfe
anderer angewiesen, bin abhängig – ich bin nicht selbstmächtig, souverän – ich
werde von vielem ausgegrenzt, gehöre nicht mehr fraglos zum Bereich der
Lebenden, der Aktiven – Menschen sehen und behandeln mich anders; sind sie
ehrlich? – meine Würde ist beeinträchtigt – ich kann berufliche und private Ziele jetzt
nicht, vielleicht nie mehr, erreichen – ich werde sterben, vielleicht schon bald –ich
leide.
Krankheit kann nicht eindeutig definiert werden. Die Definition von Krankheit ist
kulturell abhängig vom Gegenbegriff Gesundheit/Wohlbefinden. Ältere Kulturen
sehen immer den Zusammenhang von individueller Krankheit, Störung des
Gemeinschaftslebens und Störung der kosmischen/göttlichen Ordnung. Priester sind
in allen Kulturen die ersten Heiler. Ihre Aufgabe ist es oft, den Grund der Krankheit
(Schädigung durch Feinde, Strafe der Götter/Ahnen, eigenes Fehlverhalten?)
auszumachen. Heilung der Krankheit bedeutet dann immer auch Wiederherstellung
der gestörten Ordnung.
63
Die Neuzeit hat aufgrund der Trennung von Leib und Seele (Descartes!) Krankheit in
der Regel als Funktionsstörung der Körper"maschine" aufgefasst, die durch
medizinische Eingriffe wieder funktionsfähig gemacht werden muss. Ziel ist dabei
nicht die Beseitigung der Schmerzen, sondern die Wiederherstellung der Funktion.
Daneben tritt eine mehr oder weniger professionalisierte psychosoziale Betreuung
der Kranken, der man auch die Religion zuordnet (vgl. das Verhältnis von Ärzten und
Seelsorgern im Krankenhaus).
In der Neuzeit ist Gesundheit mehr oder weniger stillschweigend mit Arbeitsfähigkeit
(im Sinne der industriellen Arbeitsgesellschaft) gleichgesetzt worden. Wer nicht
arbeitsfähig ist, muss auf Zeit oder dauerhaft aus der Gesellschaft ausgegrenzt
werden (vgl. die Studien zur Zunahme der Kranken-, Irren-, Erziehungs- und
Gefängnisanstalten im 19. Jh. von KLAUS DÖRNER!). Krankheit wird vorrangig als
Exklusionskriterium benutzt. Krankheit bedeutet Unterbrechung der Karriere und
Minderung des Selbstwertgefühls (vgl. U. BECK/E. BECK-GERNSHEIM (HG.), RISKANTE
FREIHEITEN, Frankfurt 1994, 316-335). Im Sinne der Arbeitsunfähigkeit gilt auch das
Alter zunehmend als Krankheit und wird intensiv therapeutisiert.
Das moderne Medizinalsystem arbeitet mit dem Code gesund/krank. Aber nur
die Seite der Krankheit ist im System anschlussfähig, die Gesundheit bleibt
unbearbeitet. Die Autopoiesis des Systems führt dazu, immer mehr Zustände als
Krankheit zu definieren. Darauf reagiert eine Anspruchsinflation an das
Gesundheitswesen, die zunehmend finanzielle Probleme schafft (geht die
Entwicklung so weiter, müssen wir schon in 10 Jahren 50% aller Einnahmen für die
Krankenbehandlung aufwenden). Da das Kalkül des Leidens nicht im ökonomischen
Kalkül aufgerechnet werden kann, müssen die Individuen selbst ihr Anspruchsniveau
bestimmen (vgl. dazu Niklas Luhmann, Anspruchsinflation im Krankheitssystem. Eine
Stellungnahme aus gesellschaftstheoretischer Sicht, in: Ph. Herder-Dorneich, A.
Schuller (Hg.), Die Anspruchsspirale, Stuttgart 1983, 28-48
»Was ist Krankheit? Befragen Sie zwei Personen und geben Sie Ihre eigene
Meinung«
3. Biblische Schlüsselszenen
In der Bibel ist verhältnismäßig wenig von Krankheiten die Rede! Israeliten/Juden
waren weniger krank als die anderen Völker. Grund dafür dürften die strengen
Hygiene-/Reinigungsvorschriften sein, vgl. Lev Kap. 10-15. Deswegen wurden die
Juden früher oft der Brunnenvergiftung beschuldigt. Wenn andere krank wurden,
blieben sie gesund. Dtn 7,15: "Gott wird jede Krankheit von dir fernhalten und all die
schlimmen Seuchen Ägyptens, die du ja kennst, nicht über dich kommen lassen".
(dazu A. HÜTTERMANN, AM ANFANG WAR DIE ÖKOLOGIE, NATURVERSTÄNDNIS IM ALTEN
TESTAMENT, München 2002, 70-99). Erst in der Umgebung Jesu ist vermehrt von
Krankheiten die Rede. Er lebte in einer Gesellschaft, in der die Toraregeln kaum
mehr eingehalten werden konnten, und die durch krankmachende, dämonische
Einflüsse beherrscht war.
Ps 38: Krankheit als Folge von Sünde: „Mir ist nichts Heiles am Fleisch, da du mir
zürntest, nichts unversehrt an meinem Gebein, da ich gesündigt.“ Man kann an
Zivilisationskrankheiten denken, und an die persönliche Verantwortung für gesunde
Lebensführung. Und weiter: Krankheit entsteht in der lebensfernen Sphäre der
Sünde, denn Gott ist Leben. Auch Jesus sieht immer diesen Zusammenhang
zwischen Krankheit und Sünden bzw. Heilung und Sündenvergebung.
Ps 41: Gebet eines/einer Kranken. Die Klage geht vor allem über die soziale
Ausschließung: "Schlimmes reden von mir meine Feinde: 'Wann wird er sterben?
Wann wird sein Name vergehen?' Kommt einer, um nach mir zu sehen, so redet er
64
Falschheit ... Sogar mein Freund, auf den ich vertraute, ... hat gegen mich die Ferse
erhoben." Gilt der/die Kranke vor den Menschen als versehrt, als todesnah, so doch
nicht vor Gott: "Mich aber bewahrst du unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen
auf ewig." Der erste Vers sieht einen Zusammenhang zwischen der Hilfe Gottes und
dem eigenen Dienst an den Bedürftigen: "Selig, wer des Dürftigen gedenkt und des
Armen, Gott wird ihn retten am Tag des Unheils." Der Kranke erfährt sich nicht als
handlungsunfähig, sein erstes Wort ist das Wort des Gebots.
Hiob 19: der Kranke, auch noch von Gott verlassen. Ijob erfährt eine Desintegration
nicht nur von den Menschen ("Fern halten sich meine Brüder von mir ... die Gäste
meines Hauses haben mich vergessen ... selbst meine Mägde sehen mich als
Fremden") und von sich selbst ("Mein Fleisch verwest mir unter meiner Haut, und
mein Gebein ist bloßgelegt wie Zähne"), sondern, und das ist sein tiefstes Leiden,
auch von Gott: "Sein Zorn entbrannte wider mich, er schätzt mich ein als seinen
Feind ... Vereint nun rücken seine Scharen an." Seine Hoffnung richtet sich nicht auf
Heilung der Krankheit, sondern darauf, dass die gestörte Rechtsbeziehung zu Gott
wiederhergestellt wird: "Erkennt doch, dass Gott mein Recht gebeugt ... Ich weiß
gewiss, dass mir ein Anwalt lebt ... ich werde Gott – aus meinem Fleische – schauen
... er wird für mich sein." Ijob bestreitet für seine Person den Tun-ErgehensZusammenhang, den ihm seine Freunde vorhalten. Dieser ist sonst im AT öfters
vorausgesetzt.
Mk 2,1-12 und öfters: Jesu Wunderheilungen. Jesus kann Kranke heilen; die
Apostel werden es ihm später gleich tun (Apg 3,1-0; 14,8-12 u.ö.). Jesus sieht einen
Zusammenhang zwischen der Lähmung und den Sünden, er vergibt Sünden und
heilt. Joh 5,1-18: Der Kranke muss auch gesund werden wollen! Joh 9: Die
Krankheit (Blindheit) ist nicht direkte Folge der Sünde des Kranken oder seiner
Eltern, aber die Welt, in der er lebt, ist von Unehrlichkeit, Verstellung und Sünde
geprägt. Da gibt es einen Zusammenhang. – Man achte auf die Art der Krankheiten,
die Jesus heilt: Lähmung – Blindheit – Stummheit – verdorrte Hand – Krankheiten,
die sozial ausgrenzen (Aussatz, Blutfluss): das sind doch wohl alles sozial
konditionierte Krankheiten!
Mt 10,7f: Aussendung der Zwölf. "Das Himmelreich ist nahe gekommen. Heilet
Kranke, erwecket Tote, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus." Diese Dinge
stehen im Zusammenhang. Das Himmelreich vertreibt Dämonen, hebt Aussatz
(Ausgrenzung) auf, erweckt Tote oder todesnahe Menschen, macht Kranke gesund.
Das Himmelreich ist stärker als die dämonischen Mächte, die Krankheit, Tod,
Ausgrenzung verursachen. Die Verkündigung des Himmelreiches ist untrennbar der
Heilung und der Austreibung von Dämonen verbunden – nach Jesu Worten haben
die JüngerInnen überhaupt nur diese Aufgabe!
1 Kor 12,9: Neben anderen Charismen gibt es in der Gemeinde auch die
Heilungsgabe. Heilung gehört zum Glauben wie Erkenntnis, Prophetie oder Ekstase
(Zungenrede).
Jak 5,14-16: Krankensalbung in der Gemeinde. "Ist jemand unter euch krank? Er soll
die Presbyter der Gemeinde zu sich rufen lassen. Die sollen über ihn beten, indem
sie ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den
Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat,
so wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet
füreinander, auf dass ihr Heilung erlangt." Die Salbung heilt nicht, sie rettet und
richtet auf. Der Zusammenhang von Krankheit und Sünde ist im Blick, seien es die
Sünden des Kranken, seien es die Sünden der Gemeinde. Erst aufgrund des
Sündenbekenntnisses kann auch Heilung erlangt werden.
65
Ein Fazit: Biblisch ist der Zusammenhang von Krankheit und Sünde manifest, auch
wenn nicht in jedem Fall von der Krankheit auf die Sünde des/der Kranken
geschlossen werden kann. Aber von Sünde und deren Objektivierung, den Dämonen
geprägten Lebenslagen, lassen Krankheit entstehen. Jesus ist nicht ein
Wunderheiler, er ist ein Mann des Geistes, der stärker ist als der Geist der Sünde
und der Lüge, deshalb kann er Kranke heilen.
4. Zur Theologie der Krankensalbung
Krankheit ist, wie gesagt, immer sozial konditioniert und gesellschaftlich definiert. Ihr
soziales Wesen ist Ausgrenzung, Exklusion. Das hat auch eine theologische
Dimension. Michael Kunzler schreibt:
Viele Kranke erfahren ihre Erkrankung als Abgeschnittensein von den bisherigen
selbstverständlichen Lebensmöglichkeiten; auch die Beziehungen zu Kranken sind
davon berührt. Jede Unheilssituation hat aber die Trennung des Menschen vom
lebendigen Gott zur Ursache, der allein die Quelle allen Heils ist. Diese Trennung ist
die eigentliche Krankheit, die zum Tode führt, nicht nur zu dem des Leibes, sondern
auch der Seele. Das Heilswirken Gottes in den Sakramenten will diese Trennung
überwinden und den Kranken mit dem Lebensstrom des göttlichen Lebens
verbinden“ (Kunzler, Leben aaO. 438)
Bei der Krankensalbung wird eine Umcodierung vollzogen: Wer vor sich selbst
und der Welt als krank gilt, gilt vor Gott und der Gemeinde – also vor den
entscheidenden Instanzen – als gesund! Das körperliche Leiden zieht im Glauben
nicht die Ausgrenzung (mit allen ihren Folgen!) nach sich, wie es ansonsten
unweigerlich der Fall ist. Der/die Kranke ist vor Gott unversehrt und kann ewig vor
ihm bestehen (Ps 41!). Das rettet und richtet auf. Würde und Integrität sind wieder
hergestellt. Die Krankensalbung bewirkt ein Werden des neuen Menschen wie die
anderen Sakramente auch.
Dem muss auch ein entsprechender Umgang mit Kranken in der Gemeinde folgen.
Kranke sollen wissen, dass sie zur Gemeinschaft der Gemeinde dazugehören.
Gemeinde muss als der Ort erfahrbar werden, wo der gesellschaftliche Ausschluss
der Kranken, der Menschen mit Behinderungen nicht gilt. Dass Kinder mit
absehbaren Beeinträchtigungen heute erst gar nicht mehr geboren werden, dass sie
unerwünscht sind (vorgeburtliche Diagnostik), ist für die christliche Kirche ein
unerträglicher Zustand! Vgl. dazu die Instruktion über einige Fragen der Bioethik der
Glaubenskongregation „Dignitas personae“ von 2008 (erhältlich bei der
Bischofskonferenz).
Dass Krankheit überhaupt als Exklusionskriterium funktioniert, ist Folge der Sünde.
Jede Gemeinschaft, in der es Kranke gibt, hat zu prüfen, wo die krankmachende
Sünde steckt, sie soll sie bekennen und um Vergebung bitten. Auch der/die Kranke
hat zu prüfen, welche Sünden im Zusammenhang mit der Krankheit stehen (ein
Mittel, um Zuwendung zu erzwingen usw.?). – Im Blick auf unsere Gesellschaft kann
gesagt werden, dass sie mehr Krankheit produziert als nötig ist – sowohl von den
Ursachen her wie von der Definition und der Dimension der Ausgrenzung.
Krankensalbung ist deshalb auch Kritik an der krankmachenden Gesellschaft (und
Kritik unserer selbst, insoweit wir Teil dieser Gesellschaft sind). Sie ist gerade nicht
der billige Trost der Geschädigten, der der Religion zugewiesen wird.
Es bleiben das körperliche Leiden, die Beeinträchtigung und der Schmerz. Gegen sie
sind die Bestimmungen der Tora und ggf. die Bemühungen einer (hoffentlich
humanen!) Medizin gerichtet. Körperliche Leiden sollen so weit wie möglich
66
verhindert werden, sie widersprechen Gottes Lebenswillen. Sorge für die Kranken ist
von Gott geboten.
Christen wissen aber, dass körperliche Fitness nicht alles ist. Sie können sich dem
Gesundheitswahn unserer Tage ("health is wealth") verweigern und auch in
Schwäche, Abhängigkeit und vielleicht sogar in Leiden und Schmerz einen Gewinn
sehen. Manche können vielleicht dem hl. Paulus folgen:
"In allem sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt, im Zweifel, aber nicht
verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht
umgebracht. Allzeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leibe herum,
damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Ständig
nämlich werden wir, während wir am Leben sind, dem Tode überantwortet um
Jesu willen, damit auch das Leben Jesu sich offenbare an unserem
sterblichen Fleische." (2Kor 4,8-10)
Man beachte: Hier sucht nicht einer das Leiden um seiner selbst willen, hier bezeugt
einer die Kraft des Lebens.
5. Zur Geschichte der Krankensalbung und der "letzten Ölung"
Die Jak 5,14-16 (und Mk 6,13) bezeugte Salbung der Kranken unter Gebet und
Sündenbekenntnis war offenbar Praxis in der Alten Kirche. Die Gläubigen brachten
Naturalien (Weizen, Öl etc.) in den Gottesdienst, um sie segnen zu lassen. Sie
verwendeten sie für sich selbst oder andere, auch für Kranke. Papst Innozenz I
unterscheidet 416 zwischen diesem allgemeinen Gebrauch des Öls und seiner
Verwendung für die Krankensalbung, die dem Bischof oder Priester vorbehalten
blieb. Er sprach bereits von einem Sakrament der Krankensalbung (DH 216).
Nachdem im frühen Mittelalter die Salbung aus der Übung gekommen war, wurden
die Priester angehalten, sie zu spenden – mindestens bei Todesgefahr. Damit ergab
sich die Sinnverschiebung hin zur "letzten Ölung" (ultima unctio). Man sah eine
Analogie zwischen den Sakramenten der Initiation – Taufe, Firmung und Eucharistie
– und den Sakramenten der Verscheidenden (sacramentum exeuntium) Buße,
Viaticum (Eucharistie) und letzter Ölung. Die Salbung der fünf Sinne wurde auf die
Sinne als Einfallstore der Sünde bezogen. Fortan bis in unser Jahrhundert hinein
wurde die Salbung (häufig zusammen mit Beichte und Krankenkommunion) als
Sterbesakrament gespendet. Die Bedeutung sah man vor allem in der Vorbereitung
zu einem guten Sterben und in der Sündenvergebung im Hinblick auf das Gericht
nach dem Tode. Als Sterbesakrament war die Salbung gefürchtet (Priester als
Todesengel), und auch aus dem Grunde, dass man aufgrund des Sakraments nach
einer etwaigen Genesung bis zum Tode in einer Art Büßerstand verblieb (z.B. mit
den 'gesalbten' Füßen nicht mehr tanzen durfte).
Luther lehnte das Sakrament mit der Begründung ab, nicht aus jeder biblischen
Anweisung folge eine Sakrament (es gebe ja trotz Mk 16,17 kein S. der
Schlangenvertreibung). Dazu hatte er eine positive Einschätzung der Krankheit 'als
Gewinn' für den Christen.
Das Konzil von Trient erklärte, die Krankensalbung solle „vor allem“ bei
Schwerkranken gespendet werden. Ihre Wirkung ist Sündenvergebung, Aufrichtung,
Stärkung, „bisweilen, wenn es dem Heil der Seele nützt“, Heilung des Leibes (DH
1694-1700).
Das II. Vatikanum löste die Krankensalbung von ihrer Bindung an die Sterbestunde
und erneuerte den Ritus (SC 73). Im Mittelpunkt der Erneuerung stand die ekklesiale
Bedeutung des Sakraments.
Mit der Verschiebung des Sinngehalts von der „Letzten Ölung“ hin zur
Krankensalbung wird die biblisch gegebene Beziehung von Krankheit und Sünde
67
sicherlich heute viel zu wenig gesehen. Auch die Beziehung zur
Dämonenaustreibung wird kaum beachtet. Damit ist der Charakter der
Krankensalbung als Sakrament gefährdet; als bloßer Akt der Tröstung und Stärkung
ist sie kein Sakrament.
6. Ritus und Element der Krankensalbung
Die Feier der Krankensakramente. Die Krankensalbung und die Ordnung der Krankenpastoral in den
katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes, hg. von der dt. Bischofskonferenz, Freiburg
u.a. 2005; vgl. Gotteslob 76; Kunzler, Sakramente aaO. 461-463; Höhn aaO. 96-99;
Nach dem Ordo unctionis infirmorum von 1972 vollzieht sich das Sakrament in
folgenden Schritten:




Eröffnung: Begrüßung, Tauferinnerung, Schuldbekenntnis, evtl. Beichte
Wortgottesdienst: Lesungen, Ansprache, Fürbitten
Kernhandlungen: – schweigende Handauflegung – Dankgebet für das Öl oder Weihe des Öls –
Salbung auf die Stirn und die inneren Handflächen mit den Worten: "Durch diese heilige Salbung
helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des heiligen Geistes.
Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf. Amen." [Im
alten Ritus wurde an fünf Stellen des Körpers, stellvertretend für die fünf Sinne, gesalbt] –
Abschließendes Priestergebet.
Schlußriten: Vaterunser, ggf. Krankenkommunion, Segen.
Zu den Elementen: Die schweigende Handauflegung scheint wie gegen die
überflüssigen und oft falschen Worte am Krankenbett gerichtet. – Salbung auf Stirn
und Handflächen meint den ganzen Menschen als denkendes und handelndes
Wesen. – Die Salbung mit Öl kann als symbolisches Heilmittel verstanden werden.
Für zutreffender aber halte ich: Das Öl ist Zeichen für den gesunden,
wohlriechenden, kraftvollen Menschen. Als solcher wird der Kranke durch das
Sakrament angesehen. Dazu passt: Salbung der Sinne und der Haut. Durch diese
Organe hat ein Mensch Kontakt mit der Umwelt. Wo die Krankheit diesen Kontakt,
diese Berührung unterbricht, wird sie im Sakrament wieder hergestellt. Der Kranke ist
wieder berührbar.
Der Betonung des ekklesialen Charakters des Sakraments entspricht es, wenn es
nach Möglichkeit in der Kirche und während des Gottesdienstes der Gemeinde
gespendet wird. In französischen Kirchen habe ich es so erlebt: Der Priester spendet
die Krankensalbung während der heiligen Messe; die Termine sind vorher bekannt.
Alle, die das Sakrament empfangen wollten, werden aufgerufen. Das war dann
immer eine ganze Reihe von Leuten, von denen einige extra deswegen in die Kirche
gekommen sind oder gebracht wurden.
7. Spendung durch Priester oder durch Laien?
Die Krankensalbung ist seit dem 5. Jh. für Bischof und Priester reserviert; das
Tridentinum hat das ausdrücklich bestätigt. Dagegen wird argumentiert: Es hat
vorher und daneben immer auch die Spendung durch Laien gegeben – Stärkung in
der Krankheit ist ein Dienst unter Christen – warum sollte nicht ein Laie in der
Krankenhausseelsorge, der den Kranken begleitet, auch das Sakrament spenden;
warum muss er erst den Priester rufen, der den Kranken gar nicht kennt? Diese
Argumente sind stark. Dagegen steht: Das Sakrament bewirkt eine offizielle
Gesunderklärung im Namen Gottes und der Kirche, das kann nur der Priester als
amtlich Bevollmächtigter tun (so wie die Aufnahme in einen Verein nur durch den
Vorstand vorgenommen werden kann). – Ich meine: Es sollte bei der
vorgeschriebenen Form bleiben (Spendung durch Priester), weil die theologischekklesiale Bedeutung sonst leicht verlorengehen kann (bzw. sie kann nur in dieser
Form wieder vermittelt werden). Der Priester handelt nicht als Freund und Begleiter
des Kranken, sondern als Vertreter der Kirche in der Vollmacht, das Werden des
68
neuen Menschen zu verkündigen. – Daneben kann und sollte es aber rituelle Formen
der Salbung durch Laien (etwa im Krankenhaus) geben, nach dem Vorbild der Alten
Kirche. Hier stehen dann Trost, Anteilnahme und Stärkung im Mittelpunkt.
7. Krankensakrament oder Sterbesakrament?
Mit guten Gründen ist die Krankensalbung vom Geruch des angstmachenden
Sterbesakraments befreit worden. Andererseits kann auch nicht jede leichte
Erkrankung oder etwa das Überschreiten eines bestimmten Lebensalters Anlass für
das Sakrament sein. Krankensalbung darf kein Altensakrament werden. Es bleibt
auch von seinem theologischen Sinn her auf schwere Erkrankungen bezogen und
gerät damit ohnehin in die Nähe des Sterbens. Die Kirche sollte die allgemeine
Verdrängung des Todes und der Todesmöglichkeit nicht mitmachen. So ist es
angemessen, das Sakrament auch in der Sterbestunde, und mindestens da, zu
begehen. Der Charakter des von Gott zugesprochenen Lebens (vgl. Ps 41: "Mich
aber bewahrst du unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen auf ewig.") wird hier
besonders relevant. Aber nichts spricht (entgegen der früheren Gewohnheit) für eine
häufigere Spendung bei schwerer Krankheit. Das Sakrament sollte immer da zu
Anwendung kommen, wenn die Krankheit eine Krise bedeutet, sei es eine
Lebenskrise, sei es eine Glaubenskrise.
69
E. Das Sakrament der Ordination (Weihe)
Lit.: FABER, 150-175; KUNZLER, Leben, 467-478 [zum Weiheritus]; Kunzler, Liturgie, 450-463; HÖHN, 122131; REINHARD MARX, PETER SCHALLENBERG (Hg.), "IHR SEID DER BRIEF CHRISTI", Paderborn 1999 [zur
priesterlichen Spiritualität]; HANS DOMBOIS, HIERARCHIE. GRUND UND GRENZE EINER UMSTRITTENEN STRUKTUR,
Freiburg: Herder 1971 [historisch und kirchenrechtlich zur Hierarchie]; Ottmar Fuchs, Ämter für eine
Kirche der Zukunft. Ein Diskussionsanstoß, Luzern 1993; Leo Karrer, Die Stunde Laien. V der Würde
eines namenlosen Standes, Freiburg 1999; Karsten Lenz, Katholische Priester in einer
individualisierten Gesellschaft, Konstanz 2009; Karl Rahner, Der Priester von heute, Freiburg 2009;
Edward Schillebeeckx, Christliche Identität und kirchliches Amt, Düsseldorf 1985; Gunter Wenz,
Kirche. Perspektiven reformatorischer Theologie (Studium Systematische Theologie Bd. 3), Göttingen
2005; Paul M. Zulehner/Anna Hennersperger, „Sie gehen und werden nicht matt“ (Jes 40,31).
Priester in heutiger Kultur, Ostfildern 2001; Paul M. Zulehner/Fritz Lobinger/Peter Neuner,
Leutepriester in lebendigen Gemeinden. Ein Plädoyer für gemeindliche Presbyterien, Ostfildern 2003
1. Probleme des Amtes in der katholischen Kirche
 Biblische Begründung: eine Begründung des Amtes in seiner heutigen Gestalt
aus der Bibel ist nicht möglich. Von einer Einsetzung des Amtes durch Jesus
kann nicht direkt gesprochen werden.
 Geschichtliche Entwicklung: Die Ämter der Kirche haben eine komplexe,
wechselvolle Entwicklung durchlaufen. Einiges erscheint aus heutiger Sicht als
Fehlentwicklung. Dazu gehört vor allem die Verkoppelung von
 Amt und Macht bzw. Vollmacht: Die Amtsträger üben Leitung aus.
Problematisch ist (war) aber die Verbindung von sakramentaler Weihe und
bestimmten Vollmachten – als wenn der Priester etwas könnte, was andere nicht
können (z.B. 'wandeln', Sünden vergeben – deswegen war er "Hochwürden").
Was bedeutet "Hierarchie" – eine Machtstruktur? Das Amt stellt die Frage, wie in
der Kirche mit Macht umgegangen wird.
 Verhältnis von besonderem und allgemeinem Priestertum: Wenn dies als
Grundlage für eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Kirche verstanden wird, wird
es falsch verstanden. Was meint aber dann der Unterschied? Hier ist auch noch
zu fragen, inwieweit das Weiheamt wesentlich Priesteramt ist. Ist die priesterliche
Tätigkeit (Darbringung des Opfers in der Eucharistie) das Wesentliche des
Amtes?
 Verhältnis der Weiheämter zu den hauptamtlichen Laiendiensten: Heute
üben Laien Dienste aus, die früher den Priestern vorbehalten waren. Warum
werden sie dann nicht geweiht? Was ist der Unterschied zwischen Beauftragung
und Weihe? Worin liegt das Besondere des priesterlichen Amtes? In den den
Priestern vorbehaltenen Sakramenten (oder ist die Konzentration auf das
Sakramentale nur eine Folge des Priestermangels)? – Ein weiteres Problem ist
das Verhältnis des Weihesakraments zu den "Ministeria" (Lektor, Akolyth), die
von den ehemaligen niederen Weihestufen übrig geblieben sind. Angehende
Priester werden dazu ordiniert, Laien, die diese Dienste ausüben, nicht.
 Zölibat: Ist die Koppelung von Ehelosigkeit und Priesteramt überhaupt noch zu
begründen? – Neben zölibatären Priestern wirken verheiratete ehem. orthodoxe,
protestantische oder anglikanische Geistliche in der kath. Kirche; Auch Priester
der unierten Kirchen, die mit Rom verbunden sind, dürfen heiraten. Kann man
das verstehen? – Stellt nicht der kath. Zölibat einen Vorwurf an die anderen
Kirchen dar, sie meinten es mit dem Amt nicht ernst? – Zieht der Zölibat nicht die
falschen Männer ins Priesteramt? Die homophile Atmosphäre in den Seminaren –
Ist Zölibat ein taugliches Auswahlkriterium?
 Ausschluss der Frauen vom geistlichen Amt in der Kirche: Wie viele Frauen
haben sich deswegen schon von der Kirche abgewandt! – Welches Potenzial
70
geht der Kirche dabei verloren! – Werden nicht viele Gemeinden, vor allem in
Afrika und Lateinamerika, schon faktisch von Frauen geleitet? – Wer glaubt den
Begründungen, die das Lehramt gegen die Frauenordinantion vorbringt?
 Ökumenische Problematik: Die Reformation hat das Weihesakrament und die
Gestalt des katholischen Amtes abgelehnt. Wegen des Amtsdefekts in den
Kirchen der Reformation wird ihnen katholischerseits das Kirchesein und die
Gültigkeit des Abendmahles bestritten.
 Priestermangel: Die Kirche droht in weiten Teilen am Priestermangel zugrunde
zu gehen. Kann der Priestermangel als ein Anruf Gottes zu einer Neuordnung
des Amtes (und der Zugangsbe dingungen) aufgefasst werden?
 Kein Karrierefaktor mehr: Früher bedeutete der Weg zum Priestertum für die
meisten eine bildungsmäßige und gesellschaftliche Karriere, heute ist eher das
Gegenteil der Fall.
 Überforderung und gleichzeitig Deprofessionalisierung der Priester: Sie
müssen alles machen (Administration, Leitung, Verkündigung, Katechese,
Einzelseelsorge, Management) und können doch nicht alles richtig können.
 Funktionale Ersetzung: In vielen Bereichen sind die Funktionen des Priesters
ersetzt worden, z.B. der Beichtvater durch den Therapeuten
 Problem der „Amtlichkeit“: In der Kirche verstehen die meisten nicht mehr,
warum es ein „Amt“ geben muss. Genügte es nicht, Dienste für Funktionen
einzurichten? Was ist eigentlich „Amtlichkeit“?
Bischof Kurt Koch, Basel, zur Frage des priesterlichen Amtes: „Wir sind an einem
toten Punkt angelangt und wissen nicht, wie es weitergeht. Wir brauchen einen
Prozess der Demut, der Armut des Geistes, der Öffnung für Fremdes und Neues“
(zit. CiG 39/2009
»Was ist ein „Amt“? Machen Sie das an bestimmten (staatlichen, nicht kirchlichen)
Amtsträgern oder Ämtern deutlich«
2. Biblische Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament
Ex 18,13-26: Einsetzung von Richtern. Mose spricht ganz allein Recht. Da sagt sein
Schwiegervater Jetro: "Das ist nicht gut, wie du das machst." Mose folgt seinem Rat
und setzt tüchtige, gottesfürchtige Männer über 1000, 100, 50 und zehn ein. – Die
Urszene der Ämterverteilung. Jemand, der von außen kommt, sagt: Da musst du
was ändern!
Ex 29,22-29; Lev 8 u. 9: Einsetzung der Priester. Sie werden unter Salbung für den
Opferdienst geweiht, als eigener Stand eingesetzt. Das Priestertum ist erblich, geht
von Aaron auf seine Söhne über. Die Priester bekommen einen Anteil an den Opfern
(Priesterhebe), von dem sie leben können. – Ist diese Anordnung nach dem Ende
des Opferdienstes im Tempel noch gültig?
Num 27,12-22; Dtn 34,9f: Josua, "ein Mann, in welchem Geist ist", "erfüllt vom Geist
der Wahrheit", bekommt unter Handauflegung ein Leitungsamt mit Autorität. Gott zu
Mose: "Tritt einen Teil deiner Hoheit ab!" Nach Moses Tod wird Josua sein
Nachfolger als Leiter. Aber: "In Israel stand fortan kein Prophet mehr auf wie Mose."
– Josua führt das Amt des Moses fort, ohne ihn zu ersetzen.
Jes 6,1-13: Berufung des Jesaja. Jesaja sieht die Herrlichkeit Gottes im Himmel –
"Wehe mir. ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen..." Da berührt
ein Engel mit einer Glühkohle seinen Mund: "Deine Schuld ist hinweg genommen
und deine Schuld ist getilgt." Der Prophet lässt sich nun senden. Was er zu
verkünden hat: Die, die hören, verstehen nicht, die, die sehen, erkennen nicht. Das
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Volk wird nicht zur Einsicht kommen, deswegen droht von Gott Zerstörung und
Verödung. – Auch der Amtsträger hat teil am prophetischen Amt Christi.
Jer 1,4-17: Berufung des Jeremia. Gott hat ihn schon vom Mutterleib an erkannt und
ausgesondert. Jeremia aber: "Ach, Herr, ich weiß nicht zu reden, ich bin zu jung."
Gott darauf: "Sag nicht: Ich bin zu jung. Sondern: wohin immer ich dich sende, dahin
wirst du gehen, und was immer ich dich heiße, das wirst du reden." Die Aufgabe des
Propheten: er ist über Völker und Königreiche gesetzt, um "auszurotten und
niederzureißen, zu verderben und zu zerstören, aufzubauen und zu pflanzen". Angst
braucht er keine zu haben: "Hab keine Angst vor ihnen ... denn siehe, ich mache dich
heute zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule". – Der Amtsträger ist nicht
in diesem Sinne ein Prophet, aber auch sein Amt verdankt sich einer Berufung.
Ämter im Neuen Testament: Jesus sammelt Jünger und Jüngerinnen um sich, die
er aussendet. Dies kann nicht als Gründung einer Kirche mit Ämtern verstanden
werden, sondern als Mitarbeit an seiner Sendung. Die Zwölf (Mk 3.3-19; Lk 6,12-16)
sind besonders abgegrenzt; sie stehen für die Sammlung der zwölf Stämme Israels.
In der nachösterlichen Gemeinde werden sie zu den Aposteln (=Gesendeten), die
nun für die Kontinuität mit Jesus bürgen. Ihr Kriterium ist Augenzeugenschaft. In der
Urgemeinde Jerusalems haben sie neben den Presbytern (=Ältesten)
Leitungsfunktion inne, die im Zuge der Heidenmission offenbar abnimmt (Gal 2,1-10
erwähnt ein Dreierkollegium unter Jakobus, Apg 21,18-26 nur noch die Ältesten). Die
frühen Gemeinden sind zunächst um "Häuser" und ihre Leiter gruppiert, später
übernehmen sie von Jerusalem die Presbyteroi als Leitungsgremium. Die Korinther
Gemeinde kennt Apostel, Propheten und Lehrer (1 Kor 12) und weitere Ämter, der
Phil spricht bereits die episcopoi (=Bischöfe; der Begriff stammt aus der
griechischen Verwaltungssprache) an und neben ihnen die Diakonoi (=Diener, der
Begriff ist christlichen Neuprägung). Der Eph kennt Evangelisten, Hirten
(Episkopen) und Lehrer. Die Episkopen setzen sich im heidenchristlichen Bereich
gegenüber den palästinensichen Presbytern immer mehr durch. Die Pastoralbriefe
(1/2 Timotheus, Titus) sprechen von Episkopen, denen Presbytern und Diakone
(auch Diakonninen, vgl. 1 Tim 3,11) untergeordnet sind; sie setzen sich für die
Episkopalverfassung ein, wobei die Episkopen als Nachfolger der Apostel (des
Paulus) gelten. – Das NT hat also eine bunte Ämterstruktur, je nach dem Bedarf der
Gemeinden. Das Amt und seine Autorität leiten sich von Christus und dem Geist her,
es besteht nur in der Bindung an das Evangelium (so schon Röm 1,1: "ausgesondert
für das Evangelium"; 2 Kor 4,5-7: "Wir verkünden nicht uns selbst, sondern Jesus
Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu Willen ... Wir tragen aber
diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit das Übermaß an Kraft auf seiten Gottes sei
und nicht bei uns."). Die Amtseinsetzung geschieht unter Gebet und Handauflegung
(Apg 1,24-28; 6.1-6) und wird durch Fasten begleitet. Sie wird auf Gott und den Geist
zurückgeführt (Apg 9,11-16; 13,2; 20,28), parallel dazu ist aber auch von der
Bestellung durch die Zwölf (Apg 6,6) bzw. durch Paulus (14,23) die Rede. Göttliches
und menschlichen Tun wirken zusammen.
1 Kor 4,9-13: Die Leiden des Apostels. "Denn mir scheint, als hätte Gott uns Apostel
als die Allergeringsten hingestellt, wie solche, die bestimmt sind zum Tode. Denn
zum Schauspiel sind wir geworden der Welt, den Engeln und den Menschen ... wie
ein Abschaum von allem bis zur Stunde." – Diese Leiden braucht man nicht zu
suchen, aber sie stellen sich offenbar mit dem Amt ein. Wo sie ganz fehlen...
2 Tim 1,6-7: Handauflegung und Gnade. "Entfache die Gnade Gottes wieder, die in
dir ist durch die Auflegung meiner Hände. Denn Gott gab uns nicht einen Geist der
Verzagtheit, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit." – Ein Amt haben
heißt, Dinge tun zu können, die nicht aus eigener Kraft stammen.
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»Fassen Sie eine der Berufungserzählungen Jes 6,1-3 oder Jer 1,4-7 im Berichtsstil
zusammen (in der 3. Person) und kommentieren Sie sie: Was bedeutet hier
Berufung?
«
3. Zur Theologie des Weihesakramentes
Die große Frage ist heute, ob die Tradition eines priesterlichen Amtes
überhaupt noch weitergeführt werden kann und muss. Es lässt sich sehr wohl
eine amtsfreie Kirche denken, wie sie ja in den vielen evangelischen Freikirchen und
z.T. auch schon in den Kirchen der Reformation gegeben ist. Selbst neuere Ansätze
aus der kath. Theologie tendieren in diese Richtung, z.B. Leo Karrer, Die Stunde der
Laien (s. Lit.), der das im Buchtitel genannte Programm durchbuchstabiert (und für
den die Geschichte der Kirche größtenteils die Geschichte der Unterdrückung der
Laien durch den Klerus war), oder Ottmar Fuchs, Ämter für die Kirche der Zukunft (s.
Lit.), der das Amt im Wesentlichen auf karitative und soziale Aufgaben, auf den
Dienst an den Armen, begrenzen will, oder Karl Rahner, Der Priester von heute
(s.Lit.), der den Priester vor allem ein Mystagoge, eine spirituelle Persönlichkeit sein
soll. Spirituell kann man aber nicht von Amts wegen sein. Eine Kirche ohne Ämter
hätte selbstverständlich noch Dienst und Funktionsträger, aber das Prinzip des
Amtlichen wäre aus ihr verschwunden. Es wäre immer noch eine Kirche, aber nicht
mehr die römisch-katholische. Was bedeutet nun genau die Amtlichkeit in der
Kirche? Warum gibt es in der Kirche Ämter? Oder anders gefragt: Kann die Tradition
der katholischen (und orthodoxen) Kirche weitergeführt werden?
Eine elegante, ökumenisch aufgeschlossene Begründung des Amtes liefert Eva
Maria Faber, Text 6 (s. Anhang, diesen Text jetzt mitlesen). Sie argumentiert: Das
den Reformatoren so wichtige „ab extra“ (von außen) des Heils wird gerade durch
das katholische Amt garantiert. Die Reformation sieht das „ab extra“ nur in Wort und
Sakrament, während die katholische Kirche es auch in ihren Strukturen und
namentlich in den Amtsträgern verleiblicht sieht. Faber macht also folgende
Gleichung auf:
Reformatorisch:
Gott
:
Menschen
wie
Wort und Sakrament
:
Gläubigen
Katholisch:
Gott
:
Menschen
wie
Wort und Sakrament im Amtsträger :
Gläubigen
Man sieht, dass die Gleichung dadurch zerstört wird. Denn nun gerät auf die linke
Seite, die Seite des „ab extra“, ein menschliches Element, nämlich der Amtsträger.
Und die Frage kehrt wieder, wie denn im Amtsträger, einem Menschen, das „ab
extra“ gegeben sein kann. Es stehen ja auf beiden Seiten Menschen; warum sollten
die Menschen – Amtsträger – auf der linken Seite den auf der rechten Seite etwas
voraus haben? Genau das ist ja die Frage, die heute so intensiv diskutiert wird!
Das Amt Christi im Reich Gottes
Das Amt in der Kirche lässt sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass die
Kirche das Reich Gottes auf Erden ist. Sie ist also ein soziales und politisches
Gemeinwesen, und erst in einem solchen lässt sich die Existenz von Ämtern
begründen. Kurz gesagt, braucht man in einem Gemeinwesen Ämter, um die
Grundvollzüge des öffentlichen Lebens zu erfüllen (deswegen haben wir ein
Versorgungsamt, ein Arbeitsamt, ein Straßenverkehrsamt usw.). Die Grundvollzüge
des Reiches Gottes sind: Die Leitung durch Gott, die Verkündigung seines Wortes
73
und die Heiligung der Welt in der Kraft seines Geistes. Diese Grundfunktionen
werden alle durch Christus ausgeübt. Deswegen spricht man vom dreifachen Amt
Christi: Dem Königs, -Propheten und Priesteramt.
Die Lehre von den Ämtern Christi war im Mittelalter immer präsent („Christus sacerdos et rex“), sie
wurde von Luther in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aufgegriffen und dann von
Calvin zur Lehre vom dreifachen Amt weiterentwickelt. Katholischerseits wurde sie von Matthias Josef
Scheeben am gründlichsten entfaltet, vgl. Karin Bornkamm, Amt Christi, in RGG 4.
Wenn vom Amt in der Kirche theologisch korrekt die Rede sein soll, dann nur mit
Bezug auf das Amt Christi. Die Amtsträger in der Kirche vertreten Christus in seinem
Amt. Diese Vertretung muss so verstanden werden, dass sie an der Stelle des
anwesenden, des eigentlich handelnden Christus agieren, nicht in Vertretung des
abwesenden Christus geschieht. Darum sagt man auch im Gottesdienst nach dem
Evangelium: „Lob sei dir Christus“ – Christus hat selbst gesprochen in der Person
des Priesters, dem das Evangelium zu lesen vorbehalten ist.
Die drei Grundaufgaben des kirchlichen Amtes sind das Leitungsamt, das
Verkündigungs- und das Priesteramt, das Amt der Heiligung. Sie entsprechen den
drei Ämtern Christi. Der Priester handelt, wie man sagt, „in persona Christi“ (in der
Person Christi), und das bedeutet nicht, dass er wie eine Christuserscheinung vor
der Gemeinde steht, sondern dass er Christus in seinen amtlichen Aufgaben vertritt
(so wie ein Diplomat die Regierung seines Landes vertritt, wenn er amtlich handelt,
also z.B. einen Pass ausstellt).
Die Ausübung des Amtes durch Wortverkündigung und die Feier der
Sakramente
Es scheint ungeheuerlich zu sein, wenn man sagt, dass Menschen Christus in seinen
drei Ämtern vertreten können. Sollen sie denn wie der Gottmensch Christus die
Kirche leiten können? Alle Probleme der kirchlichen Amtsautorität spielen hier
herein… Aber man muss genauer zusehen, wie die Amtsträger Christus vertreten.
Sie tun es, indem sie die Aufgaben ihres Amtes erfüllen (so wie ein Standesbeamter
sein Amt erfüllt, indem er Personenstandsdaten auflistet und ordnungsgemäß Ehen
schließt, und nur dadurch). Die Aufgaben des priesterlichen Amtes sind
Verkündigung und Sakramentenspendung. Und dadurch, nur dadurch, übt es sein
dreifaches Amt aus. Die Amtsträger leiten also die Kirche nicht, indem er irgendeine
Leitungsautorität ausüben, sondern indem sie das Wort Gottes recht verkündigen
und die Sakramente in rechter Weise begehen. Die theologische Tradition hat das
dadurch ausgedrückt, dass sie das Leitungsamt in der Kirche als Hirtenamt
bezeichnet hat, und nicht als königliches Amt. Der Hirte übt eine andere Art von
Leitung aus als ein König!
Das Verständnis von Leitung in der Kirche ist auch wichtig für das Verständnis von
„Hierarchie“.
Die Hierarchia ordinis und die Hierarchia iurisdictionis
Der Begriff Hierarchie (heilige Ordnung) bezieht sich im eigentlichen Sinne auf die
Aufteilung der Rollen beim Gottesdienst (=hierarchia ordinis; zu ihr gehören Bischof,
Priester und Diakon). Als solche drückt der Begriff Hierarchie nur die
Funktionsaufteilung bei den Aufgaben des Amtes, Verkündigung und
Sakramentespendung, aus. Erst sekundär ist im Mittelalter die Hierarchie in Bezug
auf Gesetzgebungs- und Leitungsaufgaben hinzugetreten (=hierachia iurisdictionis;
zu ihr gehören Papst, Bischof und Priester). Letzere gehört nicht wesentlich zum Amt
in der Kirche und könnte auch anders geregelt werden. Man sieht übrigens, dass der
Papst kein eigenes Amt in der Kirche innehat. Was er tut, tut er als Bischof von Rom.
74
Wenn ihm die kath. Kirche eine größere Bedeutung zumisst, dann nur als eine ihm
erwiesene Ehre, als ein Ehrenamt.
Vgl. dazu Hans Dombois, Hierarchie. Grund und Grenzen einer umstrittenen Struktur (s. Lit.)
Die Unterscheidung von Amt und Person
gilt bei jedem Amt! Auch der Standesbeamte braucht nicht an die Ehe zu glauben,
um gültig Ehen schließen zu können. Augustinus hat diese Unterscheidung im
donatistischen Kampf auf die Kirche angewendet. Nach ihm ist es eigentlich Christus
als "minister principalis", der im Priester als "minister instrumentalis" handelt. Die
Unwürdigkeit des Priesters hindert nicht, dass er gültige Amtshandlungen ausübt. Mit
dieser Unterscheidung hat Augustinus die Kirche davor bewahrt, eine Sekte zu
werden; für Sekten ist es gerade charakteristisch, dass sie die Autorität eines
Predigers oder Leiters auf sein persönliches Charisma gründen.
Für den Ordinierten gilt von Amts wegen, kraft sakramentaler Gnade, Gal 2,20: "Ich
lebe, doch nicht mehr ich, Christus lebt in mir." Daraus folgt, dass sein persönliches
Charisma, seine Fähigkeiten, seine Sittlichkeit usw. für seine Amtstätigkeit nicht
konstitutiv sind. Ein vom Priester gespendetes Sakrament wird nicht besser, wenn
der Priester besser ist, und es wird nicht schlechter, wenn er schlecht ist. Die frühe
Kirche hat daraus die Konsequenz gezogen, bei der Nachfolge im Apostelamt das
Martyrium vom Amt zu scheiden (vgl. ERIK PETERSON, ZEUGE DER WAHRHEIT, in: ders.,
Theol Traktate, München 1951, 165ff). Allerdings hält die Kirche fest, dass die
Amtsgnade dem Menschen, dem sie verliehen ist (ohne sein Verdienst!), auch nicht
äußerlich bleibt, sondern ihn als ganze Person prägt – und zwar wieder unabhängig
von seiner persönlichen Disposition. Die Weihe, so sagt man, verleiht einen
character indelebilis (ein unauslöschliche Prägemal). Auch das Versprechen der
Ehe- (und Familien!)losigkeit (Zölibat) steht in diesem Zusammenhang: Der
Amtsträger kann kraft der ihm verliehenen Gnade auf die üblichen Mittel der
Daseinssicherung und Selbstsetzung verzichten, als da sind Besitz (er verspricht
Armut), Selbstbehauptung und –bestimmung (-Gehorsam) und Familie bzw.
Fortpflanzung (- Keuschheit). Dieser Verzicht ist nicht Leistung, sondern Resultat der
Gnade des Amtes.
Allgemeines und amtliches Priestertum
Das ist ein großes Thema der evangelisch-katholischen Kontroverse und der
heutigen Kirchenkritik!
Alle Christen besitzen kraft der Taufe das allgemeine Priestertum. Sie sind zu
Königen, Priestern und Propheten berufen.
1 Petr 2,9: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine
heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Vollkommenheiten dessen verkündet, der
euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat“ = Ex 19,6
Die ganze Kirche nimmt – wie das Volk Israel! – an der Berufung zum Gottesvolk teil.
Es ist heilig, von Gott auserwählt, und es heiligt die Welt (=Priestertum), indem es
Gottes Herrschaft auf Erden entspricht.
Das amtliche Priestertum steht dem nicht entgegen, es ist dem allgemeinen
Priestertum auch nicht übergeordnet, sondern es begründet das allgemeine
Priestertum immer neu durch sein amtliches, sakramentales Handeln. Nur weil es
das Reich Gottes in der Kirche gibt, kann es ein heiliges Priestertum des ganzen
Gottesvolkes geben. Die Amtsträger stehen für die von Gott her gegebene
Wirklichkeit des Reiches, in die die Menschen berufen und eingefügt werden. Kraft
ihres Amtes vollziehen sie in ihrem Handeln immer neu die Berufung, die die
Menschen zum Volk Gottes und zum königlichen Priestertum macht (so wie erst eine
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amtliche Bestätigung jemandem zum Bürger eines Landes machen kann). Darum
sagt das Vaticanum II, Dogm. Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Kap. 2:
„Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das amtliche bzw. hierarchische
Priestertum unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach [essentia et
non gradu], dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nimmt auf je
besondere Weise am einen Priestertum Christi teil. Der Amtsträger nämlich bildet kraft der
heiligen Vollmacht, derer er sich erfreut, das priesterliche Volk heran…“
Die beste theologische Erklärung dieses Sachverhalts habe ich bei einem
evangelischen Theologen, Gunther Wenz, gefunden, vgl. Text 7 (s. Anhang)
Unterscheidung zum evangelischen Amtsverständnis
Nach lutherischem Verständnis des Amtes haben die ordinierten Amtsträger von Gott
her die besondere Aufgabe der Verkündigung und Sakramentenspendung. Das Amt
ist vom Evangelium her legitimiert, nicht kraft sakramentaler Amtsautorität. Das Amt
stellt nicht die dem Glauben vorausliegende Realität des Reiches Gottes dar,
sondern ist auf den Glauben gerichtet. Seine Legitimation ergibt sich aus der
inhaltlichen Übereinstimmung mit dem Evangelium.
Verschiedene Amtsgrade kennt der Protestantismus nicht. Das eigentliche Amt ist
das des Ortspfarrers. Ein übergemeindliches Aufsichtsamt (Episkopé) ist denkbar
und kann in verschiedenen Formen ausgeübt werden; es nimmt die
übergemeindlichen Bezüge der Ortsgemeinde wahr.
Die Ordination (nicht: Weihe) ist wegen der innerkirchlichen Ordnung nötig: Was
allen gehört (gemeinsames Priestertum), kann sich niemand aus eigener Vollmacht
aneignen.
Insgesamt: Es ist ein Funktions- und Dienstamt, nicht eine sakramental begründete
Wirklichkeit von Gott her.
Dazu Gunther Wenz, Kirche aaO., S. 46-108
Die Unterscheidung von Weiheamt und Laiendiensten
z.B. den Gemeinde- und PastoralreferentInnen, darf nicht so verstanden werden, als
ob die Amtsträger nicht dienen (sondern herrschen). Auch das Weiheamt ist ein
Dienstamt. Insoweit es den Dienst der Verkündigung und Sakramentenspendung
vollzieht, ist dafür die Ordination notwendig.
Es kann theologisch nicht angehen, dass diese Dienste ohne Ordination ausgeübt
werden, also etwa durch hauptamtliche Laien. Dass die Ordnung für die Laiendienst
so geregelt ist, dass es an diesem Punkt immer wieder Konflikte entstehen, ist ein
gravierender Missstand, den die Laienmitarbeiter/innen nicht zu verantworten haben
(sie führen an die Sakramente heran, dürfen sie aber nicht spenden; das Weiheamt
wird nur durch Reservationen und durch Befugnisse von den Laiendiensten
unterschieden). Dieser Zustand muss sich baldmöglichst ändern, wobei die
theologischen Vorgaben absolut klar sind!
»Mein Lösungsvorschlag zum Problem des Priestermangels«
4. Zur Geschichte des Weihesakraments
Die Umstände des 2. Jh. (Irrlehren, Umdeutung des Glaubens durch die Gnosis im
heidenchristlichen Kontext) führten bald zur Durchsetzung des Mon-episkopats
(Bischofsverfassung; wichtige Beiträge von Ignatius von Antiochien und Irenäus von
Lyon). Hier ging es nicht nur um Leitung, sondern um die Bewahrung des
apostolischen Erbes in wechselnden Zeiten. Apostolizität (repräsentiert durch den
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Bischof) und Kanonizität (Bindung an die Heilige Schrift) legen sich gegenseitig aus;
der Bischof steht nicht über der Schrift.
Es entsteht die Ordnung Bischof-Presbyter-Diakone. Platonisches Denken konnte
darin eine heilige Ordnung erkennen, die unabhängig von ihrem Dienst in der Kirche
begriffen wurde (so vor allem Pseudo-Dionysius Areopagita, 5. Jh.). Dieser Gefahr
wehren u.a. kirchliche Verbote der absoluten Weihe (=Weihe ohne
Seelsorgeaufgabe).
Das Priesterliche (Sazerdotale; Priester=sacerdos) spielte in der Alten Kirche
zunächst eine untergeordnete Rolle, trat aber bald stärker hervor. Im Zuge der
Übernahme alttestamentlicher Reinheitsvorschriften für Priester kommt es hier
teilweise zur Zölibatsverpflichtung (zuerst Synode von Elvira, Spanien, 305).
Das Mittelalter verstärkt zwei Tendenzen: – Das Priesteramt als Weg persönlicher
Vervollkommnung (kommt vom monastischen Leben her; Zunahme der
Priestermönche ab etwa dem 8. Jh.); – die Sazerdotalisierung des Amtes. Das Amt
wird wesentlich vom sakramentalen Opferdienst aus begriffen; Priesteramt als
Vollmacht, das heiligende Opfer für die Gläubigen zu vollziehen. Das Bischofsamt
bedeutet demgegenüber keine Steigerung.
Das sazerdotale Priesteramt wird als eigener "Stand der Vollkommenheit" begriffen.
Daraus entwickelt sich die Vorstellung von der Kirche als "Gemeinschaft der
Ungleichen" – so noch das Vaticanum I [1870] in einer nicht mehr verabschiedeten
Erklärung. Die niedere Weihen [Subdiakon, Akolyth, Exorzist, Lektor] verlieren im
Mittelalter an Bedeutung, sie werden zu bloßen Durchgangsstufen zum Priesteram.
Luther findet eine stark klerikalisierte Kirche vor. Er bestreitet die Sakramentalität
des Amtes, beschränkt es strikt auf Predigt und Sakramentenspendung und
schwankt bei der Frage, ob das Amt auf der Delegation durch die Gemeinde oder auf
der Einsetzung durch Gott beruht. Er hält aber an der Ordination fest.
Im Gefolge des Konzils von Trient (1545-1563), das sich zur Amtsfrage nur
undeutlich äußert, werden viele Missstände beseitigt. Es kommt zu besserer
Priesterausbildung, Reform der Seelsorge, Durchsetzung des Zölibats. Die
tridentinische Kirche ist aber mehr als je zuvor eine Kirche des Klerus, d..h. eine
Standeskirche gewesen.
Das Vatikanum II begründet das Priesteramt in einer Theologie des Volkes Gottes
(allgemeines Priestertum!), wertet das Bischofsamt auf (die Diözese ist die
eigentliche Ortskirche), spricht bevorzugt vom Presbyter und nicht vom Priester (im
Sinne von sacerdos) und führt das ständige Diakonat wieder ein.
Die neuere Theologie bemüht sich, ein Profil des geistlichen Amtes in
Unterscheidung zu Laiendiensten herauszuarbeiten. Durch die gleichzeitigen
Unsicherheiten im Eucharistie- (Messopfer oder Liebesmahl?), Sakraments(Symbol?) und Kirchen- (Glaubensverein?)verständnis fällt dies aber schwer. Meines
Erachtens rührt der Priestermangel nicht primär vom Zölibat oder anderen
Beschränkungen her, sondern von der unklaren Profilierung des Amtes! Die heutige
Praxis des Amtes, fundiert durch eine unklare Lehre, stellt eine strukturelle
Überforderung dar und ist wenig anziehend.
5. Zum Ritus und den Zeichen der Weihe
Die Ordination erfolgt für Bischöfe, Priester und Diakone. – Das Mittelalter hatte den
altkirchlichen Weiheritus (Gebet und Handauflegung; bei Bischofsweihe: Mitwirkung
von mindestens drei Bischöfen der Nachbarbistümer) durch zahlreiche Zugaben
überlagert (Überreichung der Amtsinsignien, der Messgeräte usw. – Letzteres wurde
sogar im Zuge der Sazerdotalisierung als forma sacramenti gedeutet). In der vom II.
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Vatikanum angeregten Überarbeitung der Ordinationsliturgie stehen wieder
Handauflegung und Weihegebet im Mittelpunkt.
Dazu kommen weitere begleitende Riten. Jeweils geht ein Gelöbnis des
Kandidaten, seine Amtspflichten zu erfüllen, und ein Gehorsamsversprechen
voraus.
Dann bei der Bischofsweihe: Handauflegung durch alle anwesenden Bischöfe;
Auflegung des Evangeliars auf das Haupt des Kandidaten; Salbung des Hauptes,
Übergabe des Evangeliars, des Ringes, der Mitra, des Stabes; Führung zur
Kathedra; Kuss zur Aufnahme in den neuen Stand.
Bei der Priesterweihe: Handauflegung des Bischofs und aller Priester; Anlegen der
Amtskleider; Salbung der Hände; Übergabe von Brot und Wein; Kuss zur Aufnahme.
Bei der Diakonenweihe: Handauflegung des Bischofs allein; Übergabe der
Amtskleider; Übergabe des Evangeliars; Kuss zur Aufnahme.
Das Weihegebet betont nicht mehr wie früher die Amtsvollmacht, sondern ist
Anrufung Gottes und Bitte um die Amtsgnade.
Aus dem Weihegebet für Priester, vgl. GL 71: "Allmächtiger Gott, wir bitten
dich: Gib deinen Knechten die priesterliche Würde. Erneuere in ihnen den
Geist der Heiligkeit. Gib, o Gott, dass sie festhalten an dem Amt, das sie aus
deiner Hand empfingen; ihr Leben sei für alle Ansporn und Richtschnur.
Segne, heilige und weihe deine Diener, die du erwählt hast."
Die (unter Schweigen vollzogene) Handauflegung meint nicht die Übertragung von
Vollmacht auf den Kandidaten durch den Spender (und so könnte das Zeichen ja in
seiner natürlichen Bedeutung verstanden werden!), sondern die leere Hand steht
gerade für die Wirkung der Gnade, der die Menschen – Spender und Geweihter –
alles verdanken. "Von sich aus ist der Priester nichts und hat er nichts. ... Es sind
leere Hände. Auch der Neupriester hat in diesem Augenblick nichts in den Händen"
(Höhn aaO. S. 123): das Zeichen der Leere steht für die Fülle.
6. Zum Zölibat
Die Einführung des Zölibats hat mehrere Motive (priesterliche Reinheit; Ersatz für
das Martyrium; Verachtung der Welt im Namen der christlichen Askese), von denen
die Vermeidung der Weitergabe kirchlichen Vermögens an die Erben der
Bischöfe/Priester das durchsetzungskräftigste gewesen sein dürfte. Außerdem spielt
er eine schwer zu überschauende Rolle für die Wertschätzung und Autorität des
Priesters in den Augen der Gläubigen (das ist ein nicht zu vernachlässigendes
soziologisches Argument). In der Alten Kirche wurde der Zölibat nur ausnahmsweise
praktiziert, im Mittelalter zwar häufig eingeschärft, er konnte von der Mehrheit der
einfachen Priester aber schon aus Gründen der Existenzsicherung nicht eingehalten
werden. Theologisch kann der (oder: das) Zölibat nur begründet werden als Zeichen
der Inanspruchnahme des Geweihten durch die Gnade, die ihn auf die Mittel der
Daseinssicherung verzichten können lässt. Er steht im Zusammenhang der
evangelischen Räte Armut, Gehorsam und Keuschheit, die allerdings allen Christen
geboten sind und nicht zur Ehelosigkeit führen müssen. Er sollte nicht begründet
werden durch die Verachtung der 'sündigen' Sexualität oder durch das (bloß
pragmatische) Argument der "Verfügbarkeit".
Das Versprechen der Ehe- (und Familien!)losigkeit steht im Zusammenhang mit der
Amtlichkeit. Der Zölibat ist ein Zeichen dafür, dass der Priester als Amtsträger die
ihm verliehene Aufgabe nicht nur rein äußerlich erfüllt, sondern sie ihm auch innerlich
etwas bedeutet. So wie ein Standesbeamter auf die Dauer nicht geduldet werden
würde, der sich öffentlich ständig über die Ehe lustig macht, so muss auch ein
Priester zeigen, dass er für das Reich Gottes, das er in seinen Amtshandlungen
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repräsentiert, auch persönlich einsteht. Die Ehelosigkeit als Verzicht auf die üblichen
Mittel der Daseinssicherung ist hier im Prinzip ein sinnvolles Zeichen – wenn es
verstanden wird, denn ein Zeichen, das nicht verstanden wird, ist keines.
Der Zölibat ist aber heute ein Zeichen, das – im Zeitalter der Singles – weithin nicht
mehr verstanden wird. Wenn man dann bedenkt, wieviel persönlicher Einsatz und
Leiden, aber auch Unehrlichkeit und Heuchelei damit einhergehen, sollte er
überdacht und ggf. abgeschafft werden. Aber nicht ersatzlos! Welches Zeichen kann
es sonst geben, das anzeigt, dass ein Mensch, der von Berufs wegen aus der Gnade
Gottes lebt, anders lebt; der mit seinem Dasein das beglaubigt, wovon er spricht?
Materielle Armut? Zinsverzicht? Autoverzicht? Aber mit welcher Autorität kann das
eingefordert werden? Wie kann das kontrolliert werden? Und wie kann es gefordert
werden, ohne die Familie des Priesters zu schädigen?
Insoweit der Zölibat Grund für den Priestermangel ist, muss er abgeschafft werden,
denn kein Kirchengesetz darf die Vermittlung des Heils unterbinden. „Das Heil der
Seelen ist in der Kirche immer das oberste Gesetz“, so schließt das kirchliche
Gesetzbuch CIC, c. 1752. Unter den heute gegebenen Umständen verstößt der
Zölibat gegen dieses oberste Gesetz.
„Der Priester von heute – das wäre Stoff nicht nur zur bereichernden
Diskussion in Pfarrgemeinden und Priesterseminaren. Es wäre Stoff für ein
ganzes ökumenisches Konzil“,
so war in „Christ in der Gegenwart“ 39/2009 S 428 vom Chefredakteur Johannes
Röser zu lesen. Dieser Meinung schließe ich mich an.
7. Zur Frauenordination
Die Begründungen, die kirchlicherseits gegen die Frauenordination vorgebracht
werden, überzeugen mich: Auch Jesus habe nur Männer zu Aposteln gemacht; der
Priester handle in persona Christi, was einschließe, dass er auch das Geschlecht
Christi teile; er steht der Kirche (als der Braut) wie der Bräutigam (Christus)
gegenüber, und diese Symbolik stimme nur, wenn er ein Mann ist.
Vgl. dazu die apostolischen Lehrschreiben INTER INSIGNORES von 1976 und ORDINATIO SACERDOTALIS
von 1994. Letzteres erklärte die Diskussion für unwiderruflich beendet.
Dass die Kirche in ihrer langen Geschichte keine Frauen ordiniert hat, muss nicht auf
Frauenfeindlichkeit schließen lassen; sie hat sich nur den Geschlechterverhältnissen
der Zeit angepasst. Traditionale Gesellschaften gingen nicht von der
Gleichberechtigung, sondern von der Differenz der Geschlechter aus. Frauen und
Männern wurden unterschiedliche Sphären des Lebens zugeordnet. Die amtliche
Repräsentation des Gemeinwesens war dabei Aufgabe des Mannes – ich vermute:
weil die Frauen durch ihre engere Bindung an Haushalt und Kinder dazu weniger
disponiert waren. Mit dieser Differenzkultur war aber im Prinzip keine Abwertung
oder gar Unterdrückung der Frauen verbunden, sowenig der Ausschluss der Männer
aus den den Frauen vorbehaltenen Bereichen eine Unterdrückung darstellte.
Entsprechend hören wir eigentlich nie von Protesten der Frauen gegen ihre
Nichtzulassung zum kirchlichen Amt, auch nicht von so klugen und mutigen Frauen
wie Hildegard von Bingen.
In neutestamentlicher und frühchristlicher Zeit hat es allerdings Diakoninnen,
vielleicht auch Presbyterinnen gegeben. Ab dem 3. Jh. sind sie vom männlichen Amt
verdrängt worden, wobei eine Rolle die Verfügung über die kirchlichen Finanzen
gespielt haben kann, die vorher zu großen Teilen in den Händen der "Witwen"
(=Frauen, die die Armenfürsorge verwalteten), lag. Episkopen wollten diese
Verwaltung in ihre Hand bringen – so eine Untersuchung von GEORG SCHÖLLGEN.
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Heute muss sich die Kirche zur Gleichberechtigung der Frauen verhalten. Ihr
Verhalten muss als frauenfeindlich gelten, es kann im Rahmen einer auf der
Gleichheitsprätention basierenden Gesellschaft gar nicht anders sein.
Ich sehe keine theologischen Gründe gegen die Frauenordination. Die
Zulassungsbedingungen für das Amt festzusetzen liegt in der Kompetenz der Kirche,
die sich nach den pastoralen Erfordernissen zu richten hat. Die Verweigerung der
Frauenordination schadet der Kirche erheblich, wegen des negativen Images und
wegen des pastoralen Notstands. Niemand in der Kirche hat das Recht, den
Gläubigen den priesterlichen Dienst vorzuenthalten (wie es de facto geschieht). Und
es kann kein Zweifel sein, dass Frauen das Amt in der Kirche ebenso gut ausüben
können wie Männer, wenn auch, so ist ja auch zu hoffen, anders.
8. Perspektiven für die Entwicklung des Amtes in der Kirche. Ein Vorschlag
Mein Lösungsvorschlag, der angeregt ist durch die Überlegungen von Zulehner (s.
Lit.) basiert auf der Voraussetzung, dass es keinesfalls geschehen darf, dass wir
über der Krise des Amtes das Prinzip der Amtlichkeit verlieren.
Der Priester repräsentiert Christus in seinem dreifachen Amt als König, Prophet und
Priester. Das Königs- oder Hirtenamt ist das Leitungsamt, das Prophetenamt das
Amt der Verkündigung und das Priesteramt das Amt der Heiligung. Dogmatisch
spricht nichts dagegen, diese drei Aspekte des Amtes auf drei verschiedenen
Personengruppen zu verteilen. Wir hätten dann in der Kirche eine Art
Gewaltenteilung nach dem Vorbild der staatlichen Gewaltenteilung in Legislative,
Iudikative und Exekutive. Und auch dies wäre ja schon ein Fortschritt dieses Modells,
dass wir endlich in der Kirche eine Gewaltenteilung hätten.
Vorbild für meinen Lösungsvorschlag ist die Praxis in der französischen Diözese
Poitiers. Dort kümmern sich „Equipes“ von Christen um Aufgaben der
Gemeindeleitung, der Verkündigung bzw. Katechese und um die Gestaltung des
Gottesdienstes. Man sieht, dass sich dabei die Verteilung auf die drei
Grundfunktionen des Amtes wiederum ergeben hat. In Poitiers macht es keine
Schwierigkeiten, genügend Laienchristen für die Mitarbeit in diesen Equipes zu
gewinnen. Auf diesem Modell kann man aufbauen – nur dass es eben nicht dabei
bleiben kann, dass die Christen, die priesterliche Aufgaben ausüben, Laien bleiben
und nicht auch das Sakrament der Weihe empfangen. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Equipes müssen die Priesterweihe empfangen! Sie würden
geweiht zum Priester mit der besonderen Aufgabe der Gemeindeleitung oder der
Verkündigung oder der Feier der Sakramente. Sie wären teil-amtliche Priester,
Priester, die nur einen Teilbereich des priesterlichen Amtes ausüben. Eine solche
Einschränkung der priesterlichen Weihevollmacht auf einen bestimmten
Aufgabenbereich ist kirchenrechtlich möglich. Schon heute erhalten Priester nur für
einen bestimmten Bereich ihrer amtlichen Vollmachten die sog. Iurisdiktion, d.h. das
Recht, diese Vollmacht auch auszuüben.
Ein solches Modell wirft natürlich viele Fragen in der Umsetzung auf. Die Eignung
der Kandidatinnen und Kandidaten muss geprüft werden, eine entsprechende
Ausbildung muss absolviert werden. Die Zusammenarbeit der drei Priestergruppen
auf Gemeindeebene und im Gottesdienst muss geregelt werden. Wird das Amt
haupt- oder nebenamtlich ausgeübt, d.h. wie steht es mit der Bezahlung? Es muss
geklärt werden, was geschieht, wenn jemand sein priesterliches Amt nicht mehr
ausüben will. Da die Priesterweihe ein unauslöschliches Merkmal verleiht, kann die
Weihe nicht zurückgenommen werden. Denkbar ist aber, dass bei einer solchen
Amtsniederlegung oder Amtspause die iurisdiktionellen priesterlichen Vollmachten
ganz zurückgenommen werden und ggf. später wieder verliehen werden, wenn
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der/die Betreffende das Amt wieder ausüben will. Es scheint mir eindeutig zu sein,
dass für ein solches Teilpriestertum der Zölibat nicht verlangt werden kann und
Frauen davon nicht ausgeschlossen werden können. Alle diese Fragen können bei
etwas gutem Willen gelöst werden. Und dann hätten wir, das ja durchaus
bestehende Engagement vieler Gemeindechristen vorausgesetzt, ganz viele Priester
und Priesterinnen. In einem Wort: Wir haben nicht zuwenig Priester, sondern
zuwenig Priesterweihen!
Nach katholischem Verständnis ist der Bischof der eigentliche Leiter der Ortskirche.
Auf der Ebene des Bischofsamtes ist die Aufteilung der priesterlichen Aufgaben nicht
sinnvoll und nicht denkbar. Der Bischof hat die Vollgestalt des Amtes inne. Er hat
dafür zu sorgen, dass die Teilpriester gut miteinander kooperieren. Betrachtet man
das Gewicht der Tradition und die Argumente, die für die bestehenden
Zugangsbedingungen zum priesterlichen Amt vorgetragen werden, dann ist es sicher
sinnvoll zu sagen, dass nur Priester, die die Ehelosigkeit gelobt haben, das
Bischofsamt übertragen bekommen können. In der Praxis würde es jedenfalls so
sein können, dass die Priester, der der Berufung zur Ehelosigkeit folgen, schon von
der Weihe an die Vollgestalt der priesterlichen Amtes innehaben, entsprechende
Funktionen in der Kirche ausüben und dann auch Kandidaten für das Bischofsamt
sind. Wir hätten dann eine Differenzierung in Voll- und Teilpriester. Ob das zum
Problem wird, muss man sehen; es ist aber nicht anders als bei der heute
bestehenden Differenzierung zwischen „leitenden Pfarrern“ und „Pfarrvikaren“, wobei
letztere eben auch nur Teilbereiche des priesterlichen Amtes ausüben, nämlich nicht
das Amt der Leitung.
Weiter könnte man fragen, ob nicht auch das Amt des Diakons ausdifferenziert
werden sollte. Ich denke an die Wiederbelebung der frühren „niederen Weihen“ des
Subdiakonats, also des Akolythats (Dienst in der Liturgie), Lektorats (Dienst an der
hl. Schrift) und des Exorzistenamtes (Kampf gegen dämonische Mächte). Hier würde
sich jedenfalls ein reiches Betätigungsfeld auftun, und das zurzeit etwas unglücklich
platzierte Diakonenamt könnte neues Profil gewinnen. Die bestehenden, noch
unglücklicher platzierten hauptamtlichen Laiendienste (Pastoralreferent etc.) könnten
in diese Ämterstruktur integriert werden.
81
F. Das Sakrament der Ehe
Lit.: Faber, 178-192; Kunzler, Leben, 479-492 (mit Informationen zum orthodoxen Eheverständnis);
Ders, Liturgie, 464-475; Höhn, 116-122; Markus Knapp, Glaube-Liebe-Ehe. Ein theologischer
Versuch in schwieriger Zeit, Würzburg 1999; Luzia Sutter-Rehmann, Konflikte zwischen ihm und ihr.
Sozialgeschichtliche und exegetische Untersuchungen zur Nachfolgeproblematik von Ehepaaren,
Gütersloh 2002 (enthält völlig neue Erkenntnisse zum jesuanischen "Scheidungsverbot"); Codex des
kanonischen Rechts (Codex Iuris canonici), hg. im Auftrag der dt. Bischofskonferenz, Kevelaer 1983,
470-513; Silvia Cichon-Brandmaier, „Dies ist aber ist ein großes Geheimnis“. Neuere Aspekte zur
Theologie des Ehesakraments, in: Donum veritatis aaO., 221-238; David S. Crawford, Hat das
Ehesakrament noch einen ‚Sitz im Leben’? Gedanken über Jungfräulichkeit, Eheleute und den ‚Ort’
der christlichen Ehe, in: IKZ Communio 35 (2006) 34-45; Sabine Demel, Standesamt – Ehe – Kirche.
Die Neubewertung der Zivilehe als Versuch einer ökumenischen Annäherung, in: StZ 211 (1993) 131140; Franz Henrich (Hg.), Ehe und Ehescheidung. Diskussion unter Christen, München 1972; Walter
Kasper, Zur Theologie der christlichen Ehe, Mainz 1977; Joachim Piegsa, Die Ehe in der christlichen
Heilsordnung, in: Donum veritatis aaO., 209-220; Klemens. Richter (Hg.), Eheschließung – mehr als
ein rechtlich Ding, Freiburg: Herder 1989 (QD 120); Brigitte Rieks, Das Ehesakrament. Die Liebe
christlicher Ehegatten als Analogie göttlicher Liebe, Diss. L.M. Universität München 1996; Leo
Scheffczyk, Zur Theologie der Ehe, Abensberg o.J., Gerhard Tenholt, Die Unauflöslichkeit der Ehe
und der kirchliche Umgang mit wiederverheirateten Gechiedenen in dogmatisch-dogmengeschichtlicher Perspektive, Münster 1999; Hermann Volk, Das Sakrament der Ehe, Münster 1962;
Norbert Wetzel (Hg.), Die öffentlichen Sünder oder soll die Kirche Ehen scheiden?, Mainz 1970;
John Witte, Vom Sakrament zum Vertrag. Ehe, Religion und Recht in der abendländischen Tradition,
Gütersloh 2008
1. Schwierigkeiten der Ehen heute
Soziologische Perspektiven: In allen Kulturen wurde die Ehe als die Institution der
Reproduktion der Gesellschaft gepflegt. Je nach den äußeren Erfordernissen
wandelte sich ihre Form (So verweist die Polygamie auf den Bedarf nach einer
großen Nachkommenschaft; die Monogamie auf die anspruchsvoller gewordene
Sozialisationsaufgabe an den Kindern).
In vorindustrieller Zeit war die Ehe vor allem Produktionsgemeinschaft, in der
Industriegesellschaft noch Versorgungsgemeinschaft. In beiden Formen waren ihr
ständische Beschränkungen auferlegt. Das Motiv der Liebesgemeinschaft ist
jüngeren Datums (18. Jh. – Romantik); seine Voraussetzung war u.a. die
Entkoppelung von Wirtschaft und Ehe/Familie; die Notwendigkeit ständischer
Beschränkungen entfiel. Der Familie nunmehr jetzt vor allem die Erziehungsaufgabe
zu: die Kinder auf den Bedarf der Industriegesellschaft vorzubereiten.
Mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft geht die Privatisierung und
Personalisierung der Ehe einher. Ehe ist jetzt der Raum privaten Glücks, dessen
Gestaltung von Ansprüchen der Öffentlichkeit entlastet ist. Dementsprechend geht
die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Eheschließung zurück ('wilde Ehen', vorund außereheliche Lebensgemeinschaften – die libertäre Moral folgt diesen
soziologischen Entwicklungen nur nach). Ehe wird häufig nur noch wegen der Kinder
geschlossen. Die Diskussion um die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher
Lebensgemeinschaften mit der Ehe deutet an, dass auch die Kinder aus der neueren
Definition der Ehe als Raum privaten Glücks zunehmend herausfallen.
Längere Ehedauern und erhöhte Glückserwartungen an die Ehe (dazu: U. BECK,
E. BECK-GERNSHEIM: DAS GANZ NORMALE CHAOS DER EHE, Frankfurt: Suhrkamp 1990),
die Entkoppelung von Sexualität und Ehe (u.a. in Folge der
Empfängnisverhütung), die Entkoppelung von Ehe und Fortpflanzung (in Folge der
neuen Reproduktionstechniken, heterologe Insemination, Leihmutterschaft,
Eizellenspende usw.), die öffentlich proklamierte Bedeutung sexueller Aktivität und
die allgemein geringere Bindungsfähigkeit oder –willigkeit gehen einher mit
steigenden Scheidungsraten und nachlassender Ehewilligkeit. Bemerkenswert
ist dabei, dass Scheidung und auch Wiederverheiratung bzw. eine neue Bindung
82
nach der ersten Ehe heute gesellschaftlich völlig akzeptiert sind. Zum ersten Mal im
Laufe der Geschichte ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Ehe als Institution
fast ganz aus der Gesellschaft verschwindet.
In systemtheoretischer Perspektive ist Liebe ein Medium für hoch
unwahrscheinliche Kommunikation: Jemanden zu lieben bedeutet, die Weltsicht des
anderen zur Grundlage der eignen Weltsicht zu machen. Ich beobachte, wie der/die
andere die Welt beobachtet, und richte mich danach – und umgekehrt.
Wechselseitige Beobachtung des Liebens konstituiert Intimität: Ich beobachte, wie
der/die andere beobachtet, wie ich ihn/sie beobachte ('ob ich sie/ihn noch liebe...')
und umgekehrt. Diese Verdichtung gegenseitiger Beobachtung macht
Liebesbeziehungen so schwierig (Vgl. N. LUHMANN, LIEBE ALS PASSION, ZUR
CODIERUNG DER INTIMITÄT Frankfurt 1997, 217-223).
Daraus folgen als Probleme mit dem Sakrament der Ehe heute:
o Die Lehre von der Unauflöslichkeit steht kontrafaktisch zur gesellschaftlichen
Entwicklung
o Ist nicht die kath. Auffassung, dass Sexualität legitim nur in der Ehe ausgeübt
werden darf, völlig illusorisch?
o Mutet die Lehre von der Unauflöslichkeit den Eheleuten nicht etwas zu, was
gar nicht mehr zu leisten ist?
o Wie und wo unterstützt die Kirche Eheleute bei dieser schwierigen Aufgabe?
o Ist die katholische Ehelehre nicht nur Resultat einer bestimmten
gesellschaftlichen Konstellation, die heute vergangen ist? Diese Frage stellt
sich auch im Blick auf die Weiterentwicklung der Ehe in den Kirchen der
Reformation (s. das Buch von J. Witte). Ist die kath. Kirche mit ihrer Ehelehre
nicht einfach im Mittelalter stehen geblieben?
o Wie lässt sich diese Lehre heute noch begründen? Die theologischen
Begründungen, die man findet (und man findet in der neueren Literatur
wenig!), sind schwach.
o Wie ist der Umgang der Kirche mit „wiederverheirateten Geschiedenen“ zu
begründen (sie werden von den Sakramenten ausgeschlossen, da sie ja in
„schwerer Sünde“ leben). Kann die Kirche riskieren, dass sich deswegen viele
Menschen enttäuscht und zornig von ihr abwenden?
o Viele „ungläubige“ Getaufte geraten in eine sakramentale Ehe hinein, ohne
recht zu wissen, wie ihnen geschieht. Später haben sie vielleicht rechtliche
Konsequenzen zu tragen (z.B. bei Anstellung in der Kirche)
o Ist die kirchliche Eheschließung nicht weitgehend zu einem folkloristischen
Ritual geworden? Darf das mit einem Sakrament geschehen? Ist das nicht
Gotteslästerung?
»Beobachtungen zum Verhältnis
Schöpfungserzählungen«
von
Mann
und
Frau
nach
den
beiden
2. Vorbemerkung zur theologischen Betrachtung der Ehe
An der Institution der wird so recht deutlich, dass man sie, wie alle Dinge, aus
mehreren ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann: historisch –
soziologisch – psychologisch – im Rahmen privater Glückserwartungen und
Lebensplanungen – ästhetisch, als Ritual usw. Die kirchliche Sicht auf die Ehe ist
nicht einzige, auch in den Köpfen von Theologen und Theologinnen nicht! Was
bedeutet das für die theologische Betrachtung der Ehe als Sakrament? Dass wir in
der Lage sein müssen, verschiedene Perspektiven zu denken, dass wir aber auch
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das Recht haben, die eigene, christliche Perspektive einzunehmen – und dass wir
dann in der Lage sein müssen, die anderen Perspektiven in der theologischen
Perspektive zu sehen und zu beurteilen.
3. Biblische Schlüsselszenen
Gen 1,27: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes
schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie": Der Mensch kommt biblisch nur als
Mann und Frau vor ("ungetrennt und unvermischt"), in der "Gemeinschaft bleibend
Verschiedener" (= Bundesbeziehung) sind Mann und Frau Bild Gottes.
Gen 1,28: "Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret
euch...": Das ist Gottes erstes Gebot an die Menschen! Heute wird wieder klar,
warum es gegeben werden musste. Eine Gesellschaft, die die Erfüllung dieses
Gebots schwer oder unmöglich macht, ist nicht nach Gottes Willen.
Gen 2,18: "Gott sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine
Hilfe machen, die ihm entspricht": Gott weiß von sich aus, was dem Menschen fehlt
(er kennt den Menschen vielleicht besser als er sich selbst).
Gen 2,21-25: Erschaffung der Eva aus der Rippe: Aus dem noch ungeschlechtlichen
Menschenwesen ADAM geht als erste das Weib hervor. Die Frau ist zuerst
geschaffen. Erst dann erfährt der Mensch Adam, dass er ein Mann ist. Und er wird,
so schärft es Gott ein, sein Elternhaus verlassen und dem Weibe anhangen.
Gen 18,1-15: Erscheinung in Mamre. – Diese Stelle ist exemplarisch für die
Bedeutung der "Patriarchenehen" für Bund, Segen und Verheißung. Gott verwirklicht
seine Verheißung 'in, mit und unter' den Ehen.
Dtn 22,13-23,1; 24,1-5; 25,5-10: Ehegesetze des Tora: Sie haben vor allem den
Schutz der unverheirateten, verstoßenen und verwitweten Frauen im Blick. Der Ruf
einer Jungfrau darf nicht beschädigt werden; Vergewaltigung wird bestraft;
Scheidung ist möglich (auch von Seiten der Frau – niemand wird gezwungen, in
einer Ehe zu bleiben, die von der Liebe verlassen ist); Wiederheirat (auch der Frau)
ist möglich; Witwen können durch den Bruder des Ehemanns ihr Recht auf
Nachkommenschaft sichern.
1 Sam 1: Die als unfruchtbar geltende Hanna bekommt einen Sohn, Samuel. –
Wunderbare Geburten sind ein Zeichen von Gottes Gnade; daraus erschafft er sich
Lobpreis (1 Sam 2,1-10: Lobgesang der Hanna).
Hos 2,4-25; 11,1-9: Die Bundes-Liebes-Beziehung zwischen Gott und seinem Volk
im Bild der Ehe. Gott bleibt Israel treu, auch wenn es die Ehe bricht. "Wie könnte ich
dein vergessen, Ephraim, wie dich preisgeben, Israel?" (11,8).
Esra 9 u. 10; Rut: Der Schriftgelehrte Esra verlangt von den Männern, ihre Ehen mit
ausländischen Frauen zu lösen. Es sind meist die Vornehmen und Reichen, die
solche Ehen geschlossen haben. Dagegen findet sich als innerbiblische Kritik das
Buch Rut: Die Moabiterin Rut heiratet den Israeliten Boas. Das Problem der Ehen mit
Andersgläubigen ist in der Bibel präsent. Paulus dazu: Will der ungläubige Partner
die Ehe mit dem Gläubigen weiterführen, so soll sie weitergeführt werden; wenn der
ungläubige Teil sich scheiden lassen will, dann soll es so sein (1 Kor 7,12-16).
Mk 10,1-12; Mt 19,3-12: Jesus zur Ehescheidung. Diese Stellen können nach
SUTTER-REHMANN nicht als absolutes Scheidungsverbot ausgelegt werden. Jesus
argumentiert hier vielmehr im Rahmen des damaligen jüdischen Eherechts, bezogen
auf die Situation, dass einzelne Ehepartner (auch Frauen) sich ihm anschließen,
während der andere Teil zurückbleibt. Das ist nach Jesu Auffassung kein Grund für
eine Ehescheidung, die Männer sollen bei ihren Frauen bleiben, denn so war es von
Anbeginn der Schöpfung.
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Eph 5,21-33: Standesunterweisung über die Ehe. Der Eph hält sich an das damalige
gesellschaftliche Ehemodell (Frauen sollen sich den Männern unterordnen) und
korrigiert es zugleich (der Mann soll seine Frau so lieb haben wie sich selbst).
Entscheidend für die Begründung der sakramentalen Ehe: "Ihr Männer, liebt eure
Frauen, wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. ... So
sind auch die Männer verpflichtet, ihre Frauen zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer
seine Frau liebt, liebt sich selbst" [Dazu im nächsten Abschnitt].
» Wählen Sie sich zwei der Torabestimmungen zur Ehe (Dtn 22,13-23,1; 24,1-5;
25,5-10) aus und beurteilen sie sie. Sind sie aus Ihrer Sicht gut oder schlecht für die
Ehe?«
4. Zur Theologie der Ehe (Die Sakramentalität der Ehe)
Die natürliche Ehe ist eine Zweckgemeinschaft. Jemand geht sie ein, weil er/sie von
dem/der anderen Unterstützung, Verständnis, Anerkennung, sexuelle Freuden, Hilfe
beim Großziehen der Kinder etc. erwartet. Ehe ist eine Institution der (auch
gesellschaftlichen) Selbsterhaltung. Liebe kann dabei eine Rolle spielen, muss es
aber nicht.
Ehe und Jungfräulichkeit
Die sakramentale Ehe ist im Verhältnis zur natürlichen Ehe „übernatürlich“, so hat es
die Theologie immer gesagt. Worin liegt der Unterschied? Der amerikanische
Theologe David S. Crawford verortet das Wesen der christlichen Ehe in der
Jungfräulichkeit (s. Lit. zur Ehe). Das scheint reichlich paradox zu sein, denn
Jungfräulichkeit und Ehe schließen einander aus. Für Crawford ist aber jungfräuliche
oder keusche Liebe „jene Liebe, der auch nur der Hauch eines habhaften Begehrens
und des Zerstörens des Habhaften fehlt. Es ist eine Liebe, die in der Wahrhaftigkeit
einer Beziehung gründet und ihr gehorcht“ (S. 36). Das ist so zu verstehen: Die
Beziehung selbst ist eine Wirklichkeit, die zwischen den Eheleuten liegt und die sie
verbindet. Die ‚jungfräuliche’ Liebe achtet auf die Erhaltung der Beziehung. Die Liebe
ist nicht von den Zielen und Zwecken der Partner her gedacht, sondern von dem
‚Gehorsam’ gegenüber der Wirklichkeit der Beziehung.
Für Crawford ist die Wirklichkeit dieser Beziehung durch Maria und Jesus begründet,
eben insofern sie jungfräulich sind. Marias Einverständnis („Mir geschehe nach
deinem Worte“) und Jesu Bereitschaft, den Willen des Vaters zu erfüllen, also ihre
keusche oder jungfräuliche Haltung, bezeugen jene Liebe, ‚der der Hauch eines
habhaften Begehrens fehlt’. Sie leben ganz im Gehorsam gegenüber der Beziehung,
die Gott mit ihnen eingeht. „Durch ihr Einverständnis wird der Ehebund zwischen
Gott und Mensch geschlossen“ (S. 39). In der Sicht des Glaubens ist das
Einverständnis Marias und Jesu Christi die wichtigste Tatsache der Weltgeschichte.
In ihm vollzieht sich die Erlösung der ganzen Welt. Und die christliche Ehe lebt aus
der Qualität der neuen Beziehung, die durch Maria und Jesus begründet worden ist.
„Die Voraussetzung dafür, dass eine christliche Ehe überhaupt möglich wird, ist der
jungfräuliche Konsens Christi und der Mutter Gottes, der um der Welt willen gegeben
wird“ (S. 40). Und weil die Beziehung, die Christus und Maria zu Gott gelegt haben,
unauflöslich ist, ist auch die christliche Ehe unauflöslich. „Der sakramentale Bund der
Ehe ist unauflöslich, weil die Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur in
der Inkarnation und in Marias Mutterschaft unauflöslich ist“ (S. 41).
Die Ehe als Bundesbeziehung
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Die sakramentale Ehe ist eine Bundesbeziehung, die von Gott geheiligt ist. Sie stellt
diese Wirklichkeit dar und wird zugleich von ihr getragen. Ein Beispiel mag es
verdeutlichen: Als die österreichische Kaisertochter Marie-Antoinette den
französischen Thronfolger Louis heiratete, da war ihre Ehe nicht nur eine persönliche
Beziehung, sondern sie stellte zugleich die Beziehung zwischen Österreich und
Frankreich dar und wurde von ihr getragen. Als die Ehe in die Krise kam und sich
Marie Antoinette bei ihrer Mutter Maria Theresia über Louis beklagte, da schrieb ihr
diese, sie könne sich nicht scheiden lassen, weil dies zugleich so etwas wie die
Scheidung zwischen Österreich und Frankreich bedeutet hätte. Und so hielten denn
die beiden durch – und wie man hört, ist ihre Ehe dann noch recht glücklich
geworden. Dass sie beide unter der Guillotine endeten, ist der Ungunst der Zeiten
zuzurechnen. – Übrigens kann man sagen, dass jede Ehe nicht nur zwischen den
Eheleuten geschlossen wird, sondern auch zwischen ihren Familien. Früher war das
sicherlich deutlicher als heute. Und damit war auch deutlicher, dass die Scheidung
der Eheleute immer auch die Scheidung im Verhältnis zwischen ihren Familien ist.
Etwas in dieser Art meint Paulus, wenn er sagt: Liebt einander, „wie Christus die
Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat!“ (Gal 5,25) Die Ehe unter Christen
repräsentiert die Beziehung Christi zu seiner Kirche. Die Einheit des Ehebundes ist
zugleich die Einheit des Bundes zwischen Christus und der Kirche. Paulus sagt:
„Dies Geheimnis ist groß“ (Gal 5,32), denn es ist das Geheimnis (mysterion – das
Wort, das dann mit ‚Sakrament’ übersetzt wird), dass überhaupt in der Beziehung
zwischen Gott und seinem Volk Israel besteht. Im Hintergrund stehen die Texte aus
dem Alten Testament, in denen der Bund zwischen Gott und Israel als Ehe
beschrieben wird (vgl. Hosea; Jes 5,1-7 [Weinberg als Gattin]; Jer 31,10-14
[Verbindung mit dem Bild von Hirte und Herde]; Ez 16 [JHWH als Gatte Israels].
Besonders dramatisch ist Hosea (2,2-25): Israel ist wie ein ehebrecherisches Weib,
wie eine Hure – gemeint ist der Götzendienst – und die Wut des betrogenen Mannes
ist zunächst grenzenlos: Der Wüste will er sie gleichmachen, will sie vor Durst
sterben lassen, nackt will er sie vor allem Volk ausziehen und sie entehren. Dann
aber, so heißt es, wird er sie wieder zu sich locken, und es wird wieder sein wie in
den glücklichen Tagen ihrer Jugend. Sie wird wieder zu ihm sagen „mein Mann“,
nicht mehr „mein Baal“ (=Götze). In dieser Geschichte geht es um die Treue, die Gott
zu seinem Bundesvolk hat, auch wenn es von ihm abfällt. Mit einer Schilderung des
endgültigen Bundesschlusses endet die Passage bei Hosea: „Ich schließe für sie an
jenem Tage einen Bund …. Dann wirst du mir angetraut auf immer, angetraut in
Gerechtigkeit und Recht, in Liebe und Erbarmen.“ An dieser unlöslichen Treue
Gottes hat die christliche Ehe Anteil. Auf sie hin, nicht nur auf die Liebe der Partner,
wird sie geschlossen. Auf diese Treue können sich die Eheleute verlassen, auch
wenn sie sich einmal nicht auf sich selbst verlassen können. Die Bundestreue Gottes
fließt gleichsam in die Ehebeziehung ein und macht ihr Band aus. Die Bundestreue
Gottes ist die Beziehungswirklichkeit der Ehe, der gegenüber die Partner gehorsam
sind (s.o. Crawford).
Zur Verdeutlichung möchte ich einige Sätze von Matthias Josef Scheeben, dem
großen Theologen des 19. Jh. anführen. Scheeben will sagen, dass die Ehe nicht nur
symbolisch-zeichenhaft, sondern real die Beziehung zwischen Christus und seine
Kirche darstellt:
„Die christliche Ehe steht in realer, in wesentlicher, innerer Beziehung zum Mysterium der
Einheit Christi mit seiner Kirche; sie wurzelt in demselben, ist organisch mit demselben
verschlungen und partizipiert daher auch an dem Wesen und dem geheimnisvollen Charakter
desselben. Sie ist nicht einfach Symbol dieses Mysteriums oder außerhalb desselben
stehendes Vorbild, sondern ein aus der Vereinigung Christi mit der Kirche herauswachsendes,
von ihr getragenes und durchdrungenes Nachbild derselben, indem sie nicht nur jenes
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Mysterium versinnbildlicht, sondern es wirklich in sich darstellt, und dadurch darstellt, daß es
in ihr sich tätig und wirksam erweist.“(Die Mysterien des Christentums, Freiburg 1941, § 85, S.
496 – Scheebens Ehelehre in diesem § ist als ganze höchst lesenswert!)
Die Unauflöslichkeit der Ehe
Der sakramentale Ehebund ist selbstverständlich unauflöslich und dauert bis zur
Trennung durch den Tod. Denn sich zu trennen würde bedeuten, Gottes Bund als
auflöslich zu bezeichnen. Man würde Gott Lügen strafen – und das kann kein Christ
tun.
Die Rede von der Unauflöslichkeit der Ehe stellt keine Forderung auf, denn eine
solche wäre eine Überforderung. Sie stellt vielmehr fest, dass die Ehe tatsächlich
unauflöslich ist, so wie der Bund Gottes und Treue Christi zu seiner Kirche
unauflöslich sind. Und nur deshalb, weil die Ehe unauflöslich ist, kann sie auch
unauflöslich sein. Weil die Eheleute wissen, dass sie in Wirklichkeit eine
unauflösliche Beziehung führen, können sie über alle Krisen und scheinbare
Ausweglosigkeiten hinwegkommen. Darin liegen für sie die Kraft und die Gnade des
Sakraments.
Das ist nicht so schwer zu verstehen wie es zunächst scheint. In früheren Zeiten gab
es nicht so viele Ehescheidungen – nicht, weil die Menschen sich mehr oder besser
geliebt haben, sondern weil aufgrund der sozialen Situation der Ehe eine Auflösung
der Lebens- und Familiengemeinschaft so gut wie unmöglich war. Wenn aber die
Ehe in diesem sozialen Sinn unauflöslich war, dann konnte sie auch als dauerhafte
Beziehung gelebt werden (aus diesem Grunde hat die Theologie früher die
Unterscheidung von Naturehe und sakramentaler Ehe auch nicht so scharf gefasst).
Im Unterschied zu diesen Zeiten wird die Ehe heute allerdings nicht mehr durch die
äußeren Faktoren gestützt, im Gegenteil, sie wird dadurch angegriffen. Die
Unauflöslichkeit liegt allein noch in der Sakramentalität der Ehe. Das ist eine neue,
schwierige Situation. Aber immer noch gilt im Glauben, dass die Ehe ein Sakrament
ist und damit unauflöslich. Die Kirche kann der Wiederverheiratung geschiedener
christlicher Eheleute gar nicht zustimmen, weil und solange sie Gott treu bleibt und
sich selbst als Bundesgemeinschaf weiß. Sie kann dies nicht tun – um Gottes willen.
Ehekommunikation in Glaube, Hoffnung und Liebe
Gemäß der Theologin Sigrid Brandt sind Glaube, Hoffnung und Liebe als
Kommunikationsmedien der Christen zu verstehen. Ich will das einmal auf die Ehe
anwenden. „Am größten unter ihnen ist die Liebe“, sagt Paulus zum Thema, und er
hat recht auch in Bezug auf die Ehe: Wenn sich die Eheleute im Medium der Liebe
unterhalten, dann geht es der Ehe am besten. Aber wenn die Liebe mal nicht da ist,
wenn sie abhanden gekommen ist, wie heute oft gesagt wird, dann bleibt ja noch der
Glaube. Man kann glauben, dass die Ehe eine Zukunft hat, und aus diesem Glauben
heraus auch in der Ehe miteinander sprechen. Und selbst wenn der Glaube einmal
angefochten sein sollte, dann bleibt ja immer noch die Hoffnung. Die Sprache in der
Ehe kann auch in den schwierigsten Momenten davon geprägt sein, dass man noch
Hoffnung für ihre Zukunft hat. Wenn dann der Zirkel von Liebe, Glaube und Hoffnung
durchlaufen ist, kommt man wieder bei der Liebe an.
Das Kommunizieren in diesen Medien muss man sich konkret denken. Man kann
eine Ehe auch kaputtreden. Wenn man in Lieblosigkeit, in Skepsis und Verzweiflung
miteinander kommuniziert („Wir haben uns nichts mehr zu sagen, zwischen uns ist
alles aus“), dann zerstört das die Ehe. Glaube, Hoffung und Liebe aber bauen die
Ehe auf. Sie sind gleichsam das Geschenk der Kirche an die Eheleute.
KOmmunikaton in Glaube, Hoffnung und Liebe ist der konkrete Ausdruck der
Unauflöslichkeit.
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Vgl. dazu Sigrid Brandt, Sünde: Ein Definitionsversuch, in: dies., M. H. Suchoki, M. Welker (Hg.),
Sünde. Ein unverständlich gewordenes Thema, Neukirchen-Vluyn 1997, 13-34
Die Ehe und die Kirche
Die christlichen Eheleute bezeugen also die Liebe und Treue Gottes. Aber dazu ist
es natürlich notwendig, dass jemand dieses Zeugnis wahrnimmt und sich darüber
freut. Ein Zeugnis, das nicht zur Kenntnis genommen wird, ja das gar nicht
verstanden wird, ist kein Zeugnis. Weil das so ist, kann eine christliche Ehe in rechter
Weise nur in der Kirche gelebt werden. Fern von der kirchlichen Gemeinde verliert
sie ihre Bedeutung. Es ist dann ganz schwer, sie auch zu leben. Für die Eheleute
folgt daraus, dass sie mit der kirchlichen Eheschließung zugleich den Willen
bekunden müssen, auch in der Kirche zu leben. Sollte das nicht der Fall sein, dann
sollten sie lieber auf die kirchliche Eheschließung verzichten. Für die Gemeinden
folgt daraus, dass sie sich als Resonanzraum der sakramentalen Ehen verstehen
und bewähren muss. Es müssen Orte und Gelegenheiten gefunden werden, um die
Wertschätzung der Ehen öffentlich zu bekunden. Dies kann z.B. durch die Feier von
Ehejubiläen geschehen, durch Angebote (Kurse etc.), die sich direkt an die Eheleute
wenden und sie bestärken, durch eine Rücksichtnahme auf die Erfordernisse von
Ehe und Familie, wie sie die Gesellschaft ja sonst vermissen lässt. Die Kirche ist der
Raum der Öffentlichkeit für die christliche Ehe, der Raum, wo sie anerkannt und
bejaht wird, während die gesellschaftliche Öffentlichkeit heute der christlichen Ehe
abträglich ist.
5. Zur Frage nach dem Spender des Ehesakraments
Nach katholischer Lehre spenden sich die Eheleute das Sakrament gegenseitig, der
Amtsträger (auch Diakon) assistiert nur.
Diese Lehre entspricht der undeutlichen Unterscheidung zwischen Naturehe und
sakramentaler Ehe, die sich früher aus der gesellschaftlichen Akzeptanz der
unauflöslichen Ehe ergab. Deswegen galt im mittelalterlichen Eherecht der Satz
"consensus faciat nuptias" (die Ehe wird durch den Konsens der Eheleute
geschlossen). Es ist der "natürliche Konsens", der die Ehe macht; diese wird bei
Getauften eo ipso zu Sakrament. Heute ist diese Lehre zu überdenken. Natürlicher
Ehekonsens und Sakramentalität müssen deutlicher unterschieden werden. In der
griechischen Orthodoxie gilt das Weihegebet des Priesters als der eigentliche Akt der
Spendung des Sakraments, Spender ist also der Priester. Von einigen Theologen
(z.B. M. Kunzler) wird vorgeschlagen, dieses Verständnis der Sakramentsspendung
auch in der kath. Kirche zu übernehmen. August Jilek argumentiert: Der Konsens der
Eheleute ist wie die Wahl oder Ernennung eines Bischofs, zu dem dann noch die
Spendung des Sakraments – Ordination bzw. Segensgebet hin zukommen). Ich halte
dies für einen sinnvollen Vorschlag, der mit einer neuen Besinnung auf die
Sakramentalität der Ehe einhergehen muss.
Literaturhinweis: August Jilek, Das Große Segensgebet über Braut und Bräutigam als Konstitutivum
der Trauliturgie, in: K. Richter (Hg.), Eheschließung aaO., 18-41.
6. Zur Geschichte der Ehe
Die Alte Kirche hielt sich an die Ehegesetze ihrer Umwelt. Eine spezifische
Trauliturgie ist den ersten Jahrhunderten nicht nachweisbar. Papst Kallistus (2. Jh.).
hat aber etwa die Ehe einer röm. Adeligen mit einem freigelassenen Sklaven
anerkannt, die nach röm. Recht verboten war. Am Scheidungsverbot hielt man
prinzipiell fest, kannte aber Ausnahmen (Mischehe, Ehebruch). Die Ehe stand in den
ersten Jahrhunderten in Konkurrenz zum Ideal der Jungfräulichkeit. Dieses Ideal
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verhalf vielen Frauen zur Freiheit von drückenden Ehenormen (vgl. PETER BROWN,
DIE KEUSCHHEIT DER ENGEL, München 1981, 19-47) und stand im Zusammenhang
des asketisch-gegenweltlichen Impulses vieler Christen. Es wurde aber nur selten
gegen den Wert der christlichen Ehe ausgespielt. Augustinus (354-430) hat selbst
eine Verteidigung der Ehe verfasst (De bono coniugali) und nennt drei "Ehegüter":
Nachkommenschaft, Treue und das Sakrament (proles, fides, sacramentum).
Im Frühmittelalter (6.-8. Jh., Merowingerzeit) hat sich die Kirche gegenüber der
faktisch bestehenden polygamen Realität (Muntehen/Friedelehen) passiv verhalten,
wohl aus der Einsicht heraus, dass sie ihre Ehelehre nicht durchsetzen konnte.
„Nach 533 ‚hat kein fränkisches Konzil bis zur Mitte 8. Jahrhunderts eine
Bestimmung über Unauflöslichkeit der Ehe erlassen’ (Paul Mikat). Man hat sich zu
diesem Punkt offensichtlich ausgeschwiegen“ (Arnold Angenendt, Das
Frühmittelalter, Stuttgart 2001, 196; im Zusammenhang ebd. 194-196; 281f; 371f).
Ich halte dies für einen bedeutsamen kirchengeschichtlichen Tatbestand, der der
Kirche auch Hinweise für die heutige Praxis geben kann!
Ab dem 9./10. Jh. kommt es zur weiteren rechtlichen Ausgestaltung der Ehe. Die
Ehe wird nun häufig öffentlich, "in facie ecclesiae" (vor den Toren der Kirche)
geschlossen, um ihren Rechtsstatus zu dokumentieren. Das kirchliche Eherecht (ab
dem 12. Jh.) schafft neue Rechte und Rechtssicherheit vor allem für die Frauen: Ihre
freie Einwilligung ist notwendig; die Ehe muss ohne Furcht und Zwang geschlossen
werden; Brautraub etc. machen Eheschließung unmöglich; das Mindestalter wird
festgesetzt (Frauen: 14, Männer: 16 Jahre); zu enge Blutsverwandtschaft, ständiges
Konkubinat u.a. schließen Ehe aus. Es besteht aber im ganzen Mittelalter noch keine
Verpflichtung zur öffentlichen Eheschließung (geheime Ehen=Klandestinehen). Das
Mittelalter hat sich sehr auf die Rechtsfragen der Ehe konzentriert (und dabei
Wesentliches für die Selbstbestimmung und die freie Partnerwahl geleistet),
hingegen die theologische Bestimmung der Sakramentalität unterbelichtet gelassen.
Luther lehnte die Ehe als Sakrament ab und wehrte sich gegen die vielen
rechtlichen Eingriffe der Kirche. Für ihn gehört die Ehe zur Schöpfungsordnung
("weltlich Ding"); Gott gibt zu ihr den Segen; aber sie gehört nicht zur
Erlösungsordnung (d.h. durch die Ehe wird keine Gnade vermittelt). Der Staat ist für
die zivile und gesellschaftliche Dimension der Ehe da, die Kirche ist begleitend und
beratend für die geistliche Dimension zuständig. Calvin versteht die Ehe als Bund,
die der Bundesgemeinschaft des ganzen Volkes zugeordnet ist. Dementsprechend
wirken eine ganze Reihe von öffentlichen und auch kirchlichen Instanzen in die Ehe
hinein; sie steht bis in Schlafzimmer hinein der öffentlichen Beobachtung offen. Der
Anglikanismus entwickelt ein Gemeinwohl-Modell der Ehe. Die Ehe ist das „little
commonwealth“, das das größere repräsentiert und ihm zu dienen hat.
Gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen werden in die Ehe projiziert und dort
eingeübt (dazu John Witte aaO. 31-59).
Das Konzil von Trient bestätigt die Ehe als Sakrament und schreibt die kirchlichöffentliche Eheschließung verbindlich vor (Dekret „Tametsi“, DH 1813-1816).
Klandestinehen sind nun nicht mehr erlaubt. In den katholischen Ländern wird die
Ehe damit der Jurisdiktion der Kirche unterworfen. Umso mehr wehrte sich die Kirche
gegen die Verstaatlichung und Säkularisierung der Ehe, die massiv ab dem 19 Jh.
einsetzt.
Die Theologie des 20. Jh. hebt die personale Dimension der Ehe hervor und
zugleich ihre ekklesiale Dimension. In der Pastoralkonstitution des Konzils "Die
Kirche in der Welt von heute" (Gaudium et spes, Nr. 47-52) rückt das Ehegut der
fides (Treue, gegenseitige Liebe und Verständnis; vgl. oben zu Augustinus) praktisch
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an die erste Stelle. Es wird aber festgehalten, dass die Ehe wesentlich auf die
Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist (Nr. 50).
Seit 1966 ist es durch die Enzyklika "Matrimonium mixtum" jedem Priester erlaubt,
vom Ehehindernis der "Konfessionsverschiedenheit" zu dispensieren, d.h. Mischehen
sind im Unterschied zu vorher möglich.
7. Zum Ritus der Ehe
Nach dem "Ordo celebrandi matrimonium“ von 1969 ist die Ordnung der Trauung
(die in der Regel innerhalb einer hl. Messe vorgenommen werden soll) folgende (vgl.
GL 73):
1. Frage nach der Bereitschaft zu einer christlichen Ehe
2. Segnung der Ringe
3. Vermählungswort. Der große Vermählungsspruch:
„Ich nehme dich an als meine Frau/meinen Mann und verspreche dir Treue in guten und bösen
Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben, achten und ehren, bis der Tod uns
scheidet.“
Es gibt auch eine kleinere Form. Er wird entweder von den Brautleuten oder vom Zelebranten
gesprochen und dann mit "Ja" beantwortet
4. Bestätigung durch den Zelebranten (Die ineinander gelegten Hände werden mit der Stola
umwickelt; der Zelebrant sagt: "Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen").
5. Feierliches Segensgebet über die Brautleute
6. Fürbitten
Folgte man dem Vorschlag, das Segensgebet als den eigentlichen sakramentalen Akt zu verstehen,
würde deutlich: erst das Wort, das zum Element (dem Konsens) hinzutritt, macht das Sakrament! In
der jetzigen Gestalt (consensus faciat matrimonium) kann dem Eindruck nicht gewehrt werden, das
Sakrament sei nur ein Segen für das, was die Brautleute ohnehin tun.
Zur Eheschließung können, gemäß dem Lebenscharakter des Sakraments, auch kirchliche Rituale zur
Feier der Ehejubiläen treten.
8. Gescheiterte Ehen; wiederverheiratete Geschiedene
Ehen können scheitern, auch die zwischen Getauften – sei es durch die Schuld eines
oder beider Ehepartner, sei es durch innere oder äußere Einflüsse, die die
Ehepartner überfordern. Die kath. Kirche reagiert darauf so, dass sie annimmt, im
Falle des Scheiterns habe in Wirklichkeit keine sakramentale Ehe bestanden. Es
kann dann eine Ehenichtigkeitserklärung vor einem kirchlichen Ehegericht erwirkt
und ggf. eine neue Ehe geschlossen werden (Vgl. dazu: MARTHA W EGAN:
EHESCHEIDUNG. AUSWEGE MIT DER KIRCHE, Graz: Styria 1982 – die Autorin, Richterin
an der röm. Sacra Romana Rota, zeigt, dass es fast für jede Ehe einen
Nichtigkeitsgrund gibt). Diesen Weg halte ich im Prinzip für richtig. Da aber das
Recht fehlbar ist (und das Verfahren für viele Betroffene entwürdigend), meine ich,
dass der Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten
revidiert werden sollte! Wenn auch bei bestehendem Eheband (trotz staatlicher
Scheidung) keine neue sakramentale Ehe möglich ist, so könnte doch nach
ostkirchlichem Vorbild für eine weitere Ehe eine besondere kirchliche
Segenshandlung vorgesehen werden. Aber die Frage bleibt, wie das geschehen
kann, ohne die Sakramentalität und damit auch die Unauflöslichkeit der Ehe zu
beschädigen. Die Kirche befindet sich in diesem Punkt in einem offenen
Lernprozess.
»Wie sollte die Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen?«
9. Ehen getaufter Nichtchristen
Dieser Fall kommt heute allzu häufig vor, und er trägt nicht zum wenigsten dazu bei,
die sakramentale Eheschließung zu einem inhaltsleeren Dekor werden zu lassen.
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Die Kirchenrechtlerin Sabine Demel (Standesamt – Ehe – Kirche aaO.) hat
vorgeschlagen, die Zivilehe zwischen Getauften kirchlicherseits als einen im Keim
sakramentalen Akt, der eine gültige und erlaubte Ehe konstituiert, anzuerkennen. Die
sakramentale Ehe kann folgen, wenn sich die Partner wirklich zu einer kirchlichen
Ehe entschließen. Das ist das Modell der "gestuften Sakramentalität". Dabei erkennt
sie – nicht ganz konsequent – auch der Zivilehe schon die Unauflöslichkeit zu.
Nach jetzigem Verständnis leben standesamtlich Getraute ohne kirchliche Trauung in
Sünde. Das Modell der gestuften Sakramentalität soll hier eine Lösung anbieten. Nur
ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine „gestufte Sakramentalität“ theologisch
zu denken. Ein bisschen Gnade, ein bisschen Unauflöslichkeit…? Und müsste dann
nicht auch für Taufe, Firmung, Weihe eine solche Stufung vorgenommen werden?
Demel hat den Finger auf den wunden Punkt gelegt. Ich selber sehe eine Lösung
nicht in einer „Ermäßigung“ des Sakramentalen, sondern in der Akzeptanz der Kirche
gegenüber nichtsakramentalen Lebensgemeinschaften. De facto wird ja auch heute
schon das Zusammenleben „ohne Trauschein“ weitgehend toleriert. Erst wenn
standesamtlich, aber nicht kirchlich geheiratet wird, gibt es Probleme mit der Kirche.
Auch im Frühmittelalter hat die Kirche nichtsakramentale Ehegemeinschaft
stillschweigend toleriert, s.o. Punkt 5. Dies scheint mit konsequenter zu sein als die
Schwächung und Aushöhlung des sakramentalen Gedankens.
10. Die Dispens von der Formpflicht und die Frage des Spenders
Überlegungen KUNZLERS (Leben, aaO. 486-488) folgend, kann man sich der Einsicht
nicht verschließen, dass die theologische Lehre, der gemäß sich die Eheleute durch
ihren Konsens das Ehesakrament selbst spenden, verhängnisvolle praktische
Auswirkungen hat. Nicht nur, dass bereits im Mittelalter dagegen angekämpft werden
musste, dass geheim geschlossene Ehen als sakramental gelten konnten (d.h. jedes
Paar konnte sagen, es habe sich das Sakrament gespendet), sondern durch die
Möglichkeit der Dispens von der Formpflicht kann eine sakramentale Ehe auch vor
einem ungläubigen oder atheistischen Standesbeamten geschlossen werden, oder
(auch eine kirchenrechtliche Möglichkeit): es kann durch eine nachträgliche
Gültigmachung eine standesamtliche Ehe zur Würde des Sakraments erhoben
werden (sog. sanatio in radice/Heilung in der Wurzel) – durch die Unterschrift der
Eheleute und das Pfarrsiegel. Entspricht das dem sakramentalen Gedanken der
Gnadenwirkung Gottes?! Auch eine sog. ökumenische Trauung kommt nur unter
Dispens von der Formpflicht zustande (was der kath. Priester dabei tut, hat
kirchenrechtlich keine Bedeutung). All dem wäre gewehrt, wenn die Kirche sich dazu
verstehen würde, das feierliche Segensgebet im Traugottesdienst als den
eigentlichen sakramentalen Akt und damit den Zelebranten als Spender des
Ehesakraments anzuerkennen.
Liegen diese Hindernisse vor, kann keine Ehe geschlossen werden. Wird sie doch
geschlossen, kann sie nachträglich für nichtig erklärt werden.
"Willensmängel": Scheinehe (Totalsimulation) – Furcht und Zwang (auch
Ehrfurchtszwang) – Ausschluss wesentlicher Bestandteile des Ehevertrags
(Nachkommenschaft, auch auf
Zeit; eheliche Treue; Unauflöslichkeit;
Lebensgemeinschaft) – Irrtum (über die Eigenschaft einer Person; über Einheit,
Unauflöslichkeit und Sakramentalität der Ehe) – Unwissenheit – Eheschließung unter
Bedingungen – Ehevertragsunfähigkeit (z.B. Geisteskrankheiten, Schizophrenie,
chronischer Alkoholismus) – Mängel des Urteilsvermögens (Psychosen, innere
Unreife, innere Zwänge) – Eheführungsunfähigkeit (z.B. Homosexualität, Unfähigkeit,
den ehelichen Akt zu leisten, Unfähigkeit zur Treue).
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"Ehehindernisse": Schwere und andauernde Impotenz (Beischlafunfähigkeit –
impotentia coeundi – nicht Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit – impotentia
generandi – ) – Mangel des erforderlichen Alters – Bestehendes Eheband –
Religionsverschiedenheit – Höhere Weihen – Feierliche Gelübde – Entführung –
Verbrechen (Ehebruch miteinander bei bestehenden Ehen; Gattenmord) –
Blutsverwandtschaft (in gerader Linie; bis zum dritten Grad in Seitenlinie) –
Schwägerschaft – Leben in ungültiger Ehe oder dauerndem Konkubinat – Geistliche
Verwandtschaft (Paten) – Gesetzliche Verwandtschaft.
Von einigen Ehehindernissen kann dispensiert werden, von anderen nicht. Vgl. CIC
c. 1055-1065
III. Sakramente im katholischen Glauben/der Unterschied zu
anderen Konfessionen
Wir hatten gesagt: In jedem Sakrament geschieht eine Verwandlung. Ein Stück
irdische Wirklichkeit wird durch die Gnade Gottes in das kommende Reich Gottes
verwandelt. Genauer: Menschen, die unter dem Gesetz dieser Welt stehen – und
dies ist das Gesetz der Selbsterhaltung – werden verwandelt in solche, die unter
dem Gesetz des Reiches Gottes stehen. Jedes Sakrament ringt der Welt, in der
allein das Gesetz der Selbsterhaltung gilt, ein Stück ab, in dem diesem Gesetz nicht
mehr vorrangig zu folgen ist. Menschen werden durch die Sakramente zu einem
Leben jenseits des Zwangs zur Selbsterhaltung (und seiner dämonischen Folgen!)
befreit. Sie sind dann in der Lage, die Gebote des Reiches Gottes zu befolgen, das
heißt: Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all ihrer Kraft,
und dann den Nächsten wie sich selbst. Das Sakrament schafft einen Raum, in dem
nicht mehr Selbsterhaltung, sondern die Ehre und die Herrlichkeit Gottes das
Wichtigste sind. Dadurch wird die Welt verändert, mehr als es sonst durch irgendeine
Weltverbesserungs-maßnahme möglich ist.
Wenn man die Sakramente in dieser Weise versteht, kommt heraus, was eigentlich
den katholischen Glauben vom Glauben anderer christlicher Kirchen unterscheidet.
Katholisch ist es zu glauben, dass die Wirklichkeit Gnade oder des Reiches Gottes
bereits in dieser Welt einen Ort hat, nämlich immer da, wo ein Sakrament gefeiert
wird und wo aus der Gnade der Sakramente heraus inmitten der Welt eine Realität
entsteht, die nicht von dieser Welt ist – die Kirche! Die Kirche wird ja durch die
Sakramente auferbaut, und sie ist darum – nach dieser sakramental vermittelten
gnadenhaften Seite hin, und nicht in dem, was sie von bloß menschlicher Seite ist –
das in der Welt anbrechende Reich Gottes.Zu beachten ist dabei: diese zwei Seiten
der Kirche können nie sauber getrennt werden, auch wenn sie theologisch unbedingt
unterschieden werden müssen).
Evangelische Theologie wird einer solchen Aussage nicht zustimmen können. Für
sie ist ein Sakrament der Zuspruch der gnadenhaften Verwandlung von Gott her zu
unseren Gunsten, das extra nos pro nobis. Es bleibt aber ein Wort von außen und
kann in der Welt keine eigene Realität begründen. Es zielt nur auf den Glauben der
einzelnen, begründet bestenfalls eine Glaubensgewissheit, die gerade darin besteht,
alles von Gott und nichts von sich selbst zu erwarten, und die sich davor hüten wird,
Gottes Gnade mit den Realitäten der Welt durcheinander zu bringen. Barth hat
deshalb konsequent auf den Begriff des Sakraments verzichtet.
Die orthodoxe Kirche ist, unter dieser Unterscheidung betrachtet, noch 'katholischer'.
Sie betrachtet die Kirche ganz im Licht der Gnade, feiert ihre Liturgie ganz als
himmlische Wirklichkeit auf Erden. Sie scheint die Unterscheidung zwischen Kirche
als göttlicher und als menschlicher Gemeinschaft nicht so zu vollziehen wie die
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katholische Kirche. Ausgedrückt in den Begriffen der Zwei-Naturen-Lehre (vgl. das
Konzil von Chalcedon 451): Die katholische Kirche versucht dem "ungetrennt und
unvermischt" der göttlichen und der menschlichen Natur gerecht zu werden, die
evangelische insistiert auf dem "unvermischt", die orthodoxe tendiert zum
"ungetrennt".
Die evangelischen Freikirchen stehen auf dem Boden der evangelischen Theologie,
gehen jedoch über das 'sola fide' der Reformation hinaus: nicht nur im Glauben soll
die neue Wirklichkeit ankommen, sondern sie soll auch Werke hervorbringen, ihr
sollen auch Werke entsprechen (z.B. die bewusste, eigenständige Entscheidung zur
Taufe; deshalb die Erwachsenentaufe).
Am Verständnis der Sakramente muss sich also entscheiden, welcher christlichen
Kirche oder Konfession jemand angehören will!
Anlage: Texte, die in der Vorlesung bearbeitet wurden
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