„Jeder hat doch die Wanze in der Hosentasche“ Sie telefoniert nicht

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„Jeder hat doch die Wanze in der Hosentasche“
Sie telefoniert nicht mehr mit iPhones und warnt vor ‚virtuellen Zombies‘ und Totalüberwachung: Die
IT-Unternehmerin und Autorin Yvonne Hofstetter.
(Interview: C. Kerschbaumer, KLZ, 11.1.15)
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Stimmt es, dass Sie bereits seitLängerem kein iPhone haben?
YVONNE HOFSTETTER: Ja, ich habe keines mehr, aber ich hatte eines. Es liegt jetzt ohne SIMKarte in der Ecke. Ich bin umgestiegen auf ein Handy, mit dem ich nur mehr telefonieren und SMS
schicken kann.
Was war ausschlaggebend, dass Sie als IT-Unternehmerin sich weitgehend aus der digitalen Welt
verabschiedet haben?
HOFSTETTER: Twitter und Facebook habe ich immer schon als Zeitfresser gesehen. Ich hätte dafür
auch keine Zeit gehabt. Entscheidend war, als ich mir Anfang 2013 überlegt habe, wie die Datenfusion und
Datenanalyse in Bezug auf Personen stattfindet. Im Grunde hat ja jeder von uns die Wanze in der
Hosentasche. Seit damals benutze ich kein iPhone und kein Google Service mehr.
Und Sie haben das Buch „Sie wissen alles" geschrieben, in dem Sie vor der völligen
Überwachung des Menschen warnen. Worauf führen Sie es denn zurück, dass die meisten
Konsumenten bis heute recht gelassen der Speicherung und Nutzung ihrer persönlichen Daten
gegenüberstehen?
HOFSTETTER: Es ist sogar oft noch schlimmer. Die Nutzer schlagen sich auf die Seite der BigData-Profiteure und belächeln die Stimme des Gewissens zu Freiheitsfragen oder die Bedenken
Einzelner, die auf den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte bedacht sind und sich deshalb datensparsam verhalten. Warum kein Aufschrei erfolgt? Eine Antwort legt uns die Politik selbst nahe:
Der Mensch müsse dorthin gehen, wo schon heute die Zukunft stattfindet. Also dorthin, wo schon
alle anderen sind. An der digitalen Revolution könne nur teilhaben, wer digitale Medien nutze.
Und Sie sehen es anders, obgleich Sie IT-Unternehmerin sind?
HOFSTETTER: Wir bauen auch Datenanalysen, aber sie überprüfen nicht Menschen, sondern
Hochöfen, Wechselkurse. Was die Politik fordert, ist die Unterwerfung. Wer aber fordert, dass sich
der Mensch der Technik unterwirft, muss sich gefallen lassen, dass andere im Gegenteil beanspruchen, die Technik dem Menschen zu unterwerfen. Nicht jeder, der sich technikkritisch äußert, ist
ein Feind der Technik.
Worum geht es Ihnen? Um ein Technikethos?
HOFSTETTER: Wir müssten für das digitale Zeitalter ein Technikethos entwickeln, das uns erlaubt, den technischen Umbruch zu verstehen und zu beherrschen. Wir sollten nicht einfach alle
dorthin gehen, wo uns eine vermeintliche Wohlfühlzone erwartet und die Zukunft verwirklicht zu sein
scheint. Nicht nur konsumieren und reproduzieren, sondern gestalten und der digitalen Revolution eine
menschenfreundliche Wendung geben, das erfordert Umkehr statt Rückkehr und es erfordert Wissen.
Setzt das Wissen, wie die digitale Revolution beherrschbar ist, nicht auch die Nutzung digitaler
Geräte voraus?
HOFSTETTER: Die Benutzung moderner Überwachungsgeräte wie Smartphones, magische Brillen
oder intelligente Haustechnik sind eben nicht imperativ. Eine App bedienen zu können, bedeutet
nicht schon automatisch, dass wir zu Experten der digitalen Revolution werden. Eine andere Antwort
auf die Frage nach der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit ist, dass die Zivilgesellschaft Big Data nicht
als Problem wahrnimmt, weil die Ungerechtigkeiten, die den Menschen treffen, zu subtil und nicht
konkret genug fühlbar sind. Die Big-Data-Gefahr erscheint Bürgern ähnlich abstrakt wie
Staatsschulden. Abgehört zu werden, verursacht keine Schmerzen. 48 Prozent der deutschen
Bundesbürger sagen: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten."
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Sie glauben, dass den Menschen nicht bewusst ist, was mit ihren Daten passiert?
HOFSTETTER: Es ist ihnen nicht klar, dass die Daten über ihr Telefonverhalten nicht nur für das
Telefonieren verwendet werden. Data-Analytics stellt aufgrund des Telefonverhaltens fest,
welchen Charakter man hat. Als Nutzer hat man keine Ahnung, was mit den Daten sonst noch
passiert. Dass der Mensch mit der Datenweitergabe die Kontrolle über seine Daten verliert,
ist nicht mehr tolerierbar. Der digitale Zwilling muss kontrollierbar bleiben und ganz besonders
sein virtueller Zombie, der berechnete und prognostizierte Abklatsch des Menschen, der häufig
ohne Wissen einer Person das Licht der digitalen Welt erblickt und um die halbe Welt reist
wie unsere Kreditkartendaten.
Was sagen Sie jemandem, der sich über seine neue Klingelanlage freut, bei der er im Büro sitzend
am Handy sieht, wer zu Hause vor der Türe steht?
HOFSTETTER: Dass er sich damit ganz andere Sicherheitsprobleme einhandelt. Alles, was am
Internet hängt, ob Heizung, ob Auto, ob Klingel wird verletzbar, es wird hackbar. Ein Herd,
der über das Handy eingeschaltet werden kann, kann auch von einem anderen eingeschaltet
werden, ohne dass ich es merke. Das sind Dinge, die wir uns einhandeln, wenn wir die Dinge
miteinander vernetzen.
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Sind Sie übervorsichtig?
HOFSTETTER: Nicht vorsichtiger oder weniger vorsichtig als das FBI, das über vernetzte Autos
meinte, man müsse sich zuerst einmal die Schadensszenarien anschauen und das von selbstfahrenden Bomben gesprochen hat. Da gibt es Probleme, die wir nicht in den Griff bekommen
können.
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Wie bei der Google-Brille?
HOFSTETTER: Der Träger einer Google-Brille verstößt potenziell gegen 50 einzelne Rechtsvorschriften in Deutschland. Da wird eine ganze Reihe von Grundrechten angegriffen. Natürlich kann man sagen, dass einen die Grundrechte nicht mehr interessieren. Der Staat müsste
hier aber sagen, dass sich alles dem Grundgesetz zu beugen hat. Wir haben aber nie Staaten
gehabt, die die Macht von Google haben. Hier entwickelt sich eine Machtverschiebung weg
vom Staat hin zu kommerziellen Unternehmen. Das zeigt sich an verschiedenen
Geschäftsmodellen, bei denen es nicht darum geht, staatliche Vorgaben zu berücksichtigen wie bei Uber. Sie kommen und sagen, wir wollen Druck ausüben, damit die Gesetze geändert
werden.
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Sie werfen Google und anderen Big-Data-Unternehmen diktatorisches Verhalten vor?
HOFSTETTER:: Es sticht unmittelbar ins Auge, dass der Big-Data-Wildwuchs die
Grundrechte des Menschen nicht nur verletzt, sondern auflöst und dazu ganz besonders auf
Kontrolle setzt. Die Aufhebung von Grundrechten und die Steuerung der Zivilgesellschaft
durch Informations-, Gefühls- und Verhaltenskontrolle sind doch die Zutaten der Diktatur.
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