Otto M U C K: PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE

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Otto M U C K: PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
Literatur:
* O. Muck, Christliche Philosophie. Kevelaer 1964.
* O. Muck, Philosophische Gotteslehre (Leitfaden Theologie 7) Düsseldorf 1983 ( =PhG ).
O. Muck, Sprachlogische Aspekte religiös-weltanschaulichen Dialogs, in: ZKTh 97 (1975) 41-55.
O. Muck, Zur Logik der Rede von Gott, in: ZKTh 89 (1967) 1-28.
E. Coreth, Metaphysik. Innsbruck 21964.
E. Coreth/J. B. Lotz, Atheismus kritisch betrachtet. München 1971.
B. Weissmahr, Philosophische Gotteslehre (Grundkurs Philosophie 5). Stuttgart 1983.
Religionskritik. Hg. K. H. Weger. München 1976.
W. Kern, Atheimus - Marxismus - Christentum. Innsbruck 1976.
H. Küng, Existiert Gott? Müchen 1978.
* Qu. Huonder, Die Gottesbeweise (Urban TB 106). Stuttgart 1968.
* V. Neuenschwander, Gott im neuzeitlichen Denken (GTB 214 und 244). 2 Bde. Gütersloh 1977.
W. Weischedel, Der Gott der Philosophen. 2 Bde. Darmstadt 1971 und 1972.
Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Autoren-Lexikon (Herder-Bücherei 716). Hg. K. H. Weger. Freiburg
31983.
Argumente für Gott. Gott-Denker von der Antike bis zur Gegenwart (Herder-Bücherei 1393). Hg. K. H. Weger. Freiburg
1987.
Die mit * versehenen Werke haben einführenden Charakter.
Abkürzungen: MG: Skriptum Metaphysik.
TG: Texte zur Philosophischen Gotteslehre.
Einleitung [PhG 3.1]
┌ zu Gott:
religiöser Akt der Gottesbeziehung
│
(Gebet, Kult, Leben)
Rede-┤
└ über
┌──── Zeugnis, Verkündigung
(oder von) ─┤
Gott:
└──── methodisch-systematisch:
Gotteslehre, Theologie
│ ┌-aufgrund der im Glauben persönlich ange│ │
nommenen Selbstmitteilung Gottes: posi│ │
tive, übernatürliche Offenbarungstheolo└- ┤
gie
└-aufgrund der denkenden Verarbeitung allgemeiner menschlicher Erfahrung: rationale, natürliche, philosophische Theologie
Historische Hinweise:
Name und systematischer Ort:
Theologik: bei Aristoteles Name für Erste Wissenschaft (Metaphysik), insofern sie sich mit dem Fürsich-Seienden und Unbewegten beschäftigt (Met E 1, 1026a und Met K 7, 1064a: theologiké epistéme);
theologia, scientia divina: vgl. Thomas v. Aquin, In Boeth. de trin., q 5, a 1; a 4:
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 2
theologia, quam philosophi prosequuntur, quae alio nomine metaphysica dicitur; alia vero, quae ipsas
res divinas considerat propter seipsas ut subiectum scientiae, et haec est theologia, quae in Sacra
Scriptura traditur. (Vgl. C. gent. III, 25; In XII Met., Prooemium);
Theodizee (Leibniz, Essais de théodicée, 1710: vgl. gr. theós, Gott; dikaiosyne, Gerechtigkeit): Problem
der Rechtfertigung Gottes gegen den Vorwurf, daß er für das Übel und Böse in der Welt verantwortlich
sei, da er es doch wegen seiner Allmacht hätte verhindern können.
Chr. Wolff, Einteilung der Metaphysik:
┌ generalis = Ontologie
│
metaphysica-┤
┌ Kosmologie
│
│
└ specialis-┤ rationale Psychologie
│
└ rationale (natürliche)
Theologie
Philosophische Gotteslehre, Philosophical Theology: umfaßt sowohl metaphysische als auch
religionsphilosophische Untersuchungen zur Gottesfrage, unabhängig von der Stellung des
Philosophen dazu: also Gottesbeweise, ihre Anwendung, ihre Kritik, Religionskritik.
Systematische Stellung der philosophischen Gotteslehre:
┌ Rel.geschichte
│
├ Rel.soziologie
┌ Rel.wsen-┤
│ (im enge-├ Rel.psychologie
│ ren Sinn)│
│
└ Rel.phänomenoabsehend von
Rel.ws. (in -┤
logie
┌- Glaube als --- weiteren Sinn)│
│ Begründung
(distanziert. └- Rel.phil.
│
engagiert)
┌-│
│
↓
Reflexion
│ Phil. Gottes- <- Metaphysik
über Religion
│ lehre
<- Rel.kritik
│
│
└-> Fundamental│ auf GrundOffenbarungs- ┌-- theologie
└- lage des ---- theologie
-┤
│
Glaubens
│
↓
└-- positive und
systematische
Theologie
Phil. Gotteslehre: phil. Reflexion auf Gott als Bezugspunkt des religiösen Verhaltens entfaltet den
Fragenbereich, in dem über Gott gesprochen wird, insofern dies durch Metaphysik (philosophisch
klärbare Strukturen religiös-weltanschaulicher Überzeugungen) möglich ist.
Daher gehören in den Rahmen der Phil. Gotteslehre nicht nur das Dasein Gottes bejahende
Stellungnahmen, sondern auch atheistische und agnostische.
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GG 3
Gottesbeweise
Unterschiedliche Verwendung von "Beweis" im gegenwärtigen und herkömmlichen Sprachgebrauch:
Im 1. Vatikanischen Konzil wurde definiert: "Gott, aller Dinge Grund und Ziel, kann mit dem
natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Sicherheit erkannt
werden." Daraus wurde gefolgert, daß bezüglich des Daseins Gottes ein Beweis möglich ist. Um den
berechtigten Sinn dieser Folgerung zu erfassen, sind folgende Unterscheidungen angebracht:
[PhG 4.5]
┌
│
Begründung --┤
(als Angabe
│
von:)
│
└
┌│
│
Gewißheit ---┤
│
│
└-
Sachgrund
Erkenntnisgrund
┌│
spontane --┤
│
└-
┌│
--┤
│
└-
durch Aufweis: unmittelbare Einsicht
durch Folgerung (Schluß)=
Beweis: mittelbare Einsicht
subj. Aspekt: persönlich für
wahr halten *)
obj. Aspekt: gestützt auf Erkenntnisgründe **)
reflexe
*) ist besonders bei Einschluß bedeutender praktischer Folgen auch von persönlicher Stellungnahme
(Freiheit) abhängig;
**) die begründeten Zweifel ausschließen, nämlich:
die Möglichkeit eines Irrtums: absolute Gewißheit
die Gefahr eines Irrtums: bedingte Gewißheit
Demgegenüber wird oft ein Beweis als zwingend angesehen, der von gemeinsam (als wahr) akzeptierten
Voraussetzungen nach gemeinsam akzeptierten Schlußregeln die zu beweisende Aussage ableitet.
Beachte Unterschied von: "gemeinsam akzeptiert" und "aus Erkenntnisgründen einsichtig"!
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GG 4
Die "fünf Wege" von Thomas von Aquin
1) Überblick über die Gottesbeweise (Gbw) [PhG 5.0]
5 Wege des ThA │
[vgl. TG 17-19]│
│
1. [PhG 5.1]
│
Bewegung
│
(ex motu)
│
│
2. [PhG 5.2]
│
Verursachung
│
(Kausalität)
│
3. [PhG 5.3]
│
Kontingenz
│
(nicht-notwen- │
dig)
│
4. [PhG 8.1.1] │
Seinsstufen
│
│
5. [PhG 8.2.1] │
Finalität
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
zurückgehend │
auf
│
│
│
Aristoteles │
(Phys. 8,
│
Mphys. 12)
│
│
Avicenna
│
│
│
Moses Maimo- │
nides, Anselm│
v. C.
│
│
Platon,
│
Augustinus
│
│
Anaxagoras, │
Stoa
│
│
│
Anselm v. C. │
│
│
Kant, Newman │
│
│
│
│
│
│
Cicero
│
│
2) Argumentation [PhG 1.1.2.4]
┌ konkret
│ (inhaltlich)
Argumentation -┤
│
└ abstrakt
(formal)
genannt bei Kant │
│
│
│
│
│
kosmologischer
│
Gbw
│
│
│
│
│
│
│
│
│
│
(Physiko│
theologie)
│
teleologischer
│
Gbw
│
│
ontologischer
│
Gbw
│
│
Ethikotheo│
logie
│
│
│
│
│
│
│
│
andere Wege
nomologischer Gbw
moralischer
(deontologischer Gbw)
anthropolog.
Gbw
ethnolog.
(hist.) Gbw
anschaulich, weltbildbedingt
mit metaphysischen Begriffen; arbeitet Begründung heraus
vgl. die Begründungen von Thomas v. A. zu den
Prämissen des Bewegungsbeweises (S. c. G. I, 13)
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 5
3) Struktur der Beweise: [PhG 6.1.1] [vgl.MG 1.47]
Erfahrungsgegebenheiten (in Hinblick auf Verständnis des
Ganzen, Sinnfrage, aufgefaßt, nicht in Hinblick auf besondere,
methodisch spezialisierte Betrachtungsweise, etwa einer
empirischen Wissenschaft)
1) (Seinsmäßige) Bedingtheit (= "Relativität"), die sich aus
bestimmten Zügen der Erfahrungsgegebenheiten ergibt (= "Zeichen
der Kontingenz")
Ein allgemeiner Satz bringt dies zum Ausdruck (z.B. metaphysi-sches Kausalprinzip). Alles, was die
Zeichen der Kontingenz zeigt, ist seinsmäßig bedingt. Seinsmäßig Bedingtes setzt seinsmäßig
Unbedingtes voraus.
2) (Ausschluß eines regressus in infinitum in Reihen, die nach der Beziehung der seinsmäßigen
Bedingung (Konstitution) (= per se) geordnet sind.)
3) Das Unbedingte ist so, daß es
a) das Relative bedingt,
b) die Zeichen der Kontingenz ausschließt.
4) Die so gewonnenen Aussagen sind analog [vgl. TG 20-24: S.th. I, q 13 a 5c; PhG 7.1; 7.2; 7.3]
extensional: (den Umfang der
Gegenstände betreffend, von denen
ausgesagt wird):
Wird dasselbe Prädikat vom Erfahrenen
und vom Absoluten ausgesagt, dann
nicht univok, sondern analog.
intensional: (den Inhalt dessen
betreffend, was ausgesagt wird):
Prädikate werden vom Absoluten
ausgesagt unter gleichzeitiger
Bejahung ihres Seinsgehaltes (via
affirmationis) und Verneinung der in
den erfahrbaren Gegenständen, von
denen sie prädiziert werden,
enthaltenen Relativität (via
remotionis, via negativa), sodaß sie
in einem Sinn verwendet werden, der
uns nur schlußweise (signifikativ),
nicht aber aus eigener Erfahrung
(repräsentativ) zugänglich ist (via
eminentiae).
Z.B.: Sinn von "ewig", ausgesagt von
Gott.
5) Mit "Gott" kann dieses "Absolute" identifiziert werden un-ter den Voraussetzungen: [PhG 5.1.2.6]
a) Gott werden im religiösen Bewußtsein bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, und Gott wird für
einzig gehalten;
b) das Absolute schließt Mehrzahl aus und ihm kommen einige Eigenschaften zu, die im religiösen
Bewußtsein für Gott charakteristisch sind.
Folgen:
a) Es müssen nicht alle im Glauben Gott zugeschriebenen Eigenschaften erfaßt werden, es darf aber
keinen Widerspruch geben.
b) Es kann nicht sinnvoll zwischen dem Gott des Glaubens und dem der Philosophen unterschieden
werden, außer man meint damit Gott, insofern er geglaubt wird und insofern er philosophisch
erschlossen wird.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 6
Neuzeitliche Positionen zur Gottesfrage
neuzeitliche
Naturwissenschaft
-----┐
(Neue Analyse der
↓
Bewegung): KoperniRationalismus
kus, Kepler, Galilei, Deismus
Descartes, Newton
Aufklärung
│
│
│
│
↓
↓
mechanistischer
Kant
Formen eines
Materialismus
│
postulatorischen
(Enzyklopädisten)
↓
Atheismus
│
Hegel
│ Rel.wissen└----------> Feuerbach (Projektion)
│ schaften
Marx (Ideologie)
↓
│Dialektischer
Vulgärmaterialismus
Positivismus
│Materialismus
des 19. Jhs. (Büch(Comte)
│
ner, Haeckel u.a.)
│
Wissenschafts- │
kritik (Poin- │Nietzsche
caré, Duhem)
│Freud
│
│ (Tiefenpsych.) Newman,
│
│
Kierke│
│Existenzphil.
gaard,
│
Sprach↓ (Sartre,
Jaspers
│
analyse
* Camus)
│
idealsprach│
lich
Sprachanalyse
│
* normalsprachlich
↓
└-----------------┐
moderne
Logischer Empirismus
│
┌- Physik --------> (Schlick u.a.)
│
│
│
│
│
↓
↓
↓
↓
induktive
Wiss.theorie
Kritischer
Kritische
Metaphysik
(Carnaps duales
Rationalismus
Theorie
Theorienschema)
(Popper, Albert) (Habermas)
│
│
│
│
Monod
│
│
│
│
Teilhard de
└-> Konstruktive
<----------┘
Chardin
Wissenschaftstheorie
(Lorenzen)
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 7
Neuzeitliche Naturwissenschaft und Gottesfrage [PhG 1.3.1]
Neue Analyse der Bewegung
vorbereitet durch a) Spätmittelalter b) Astronomie
Zwei Arten der Erklärung:
deduktiv:
propter quid
a priori
quia
a posteriori
"reduktiv"
[PhG 6.3]
aus bekannter Ursache auf Wirkung
aus gegebener Wirkung auf notwendige
Ursache
┌-----------┐
↓
│
hypothetischaus angenommener ├- von Beobachtungen (Meßerdeduktiv
Ursache (Vorausset- │ gebnissen) auf für die Ab("indukzung, Hypothese) auf │ leitung dieser
tiv")
beobachtbare Gegeben-│ hinreichende (hypothetisch
heiten
│
│ angenommene) Ursache, Vor│
│ aussetzung, Gesetzmäßig
│
│ keit
↓
│
Prognosen dienen
└- Idealisierung, Analyse
zur Überprüfung
hinsichtlich der als entzur technischen
scheidend angesehenen FakAnwendung
toren
Relation meßbarer Größen
(funktionale Kausalität);
dadurch: Exaktheit, Intersubjektivität
Ergebnisse gedeutet:
A ad salvandas apparentias (alte Astronomie, neue Wissenschaftskritik)
B als tiefere Erfassung der Naturwirklichkeit
b) ihrer Gesetzlichkeit (eingeschränkte Deutung)
a) realistische Deutung der Modellvorstellungen, vertreten vom mechanistischen Materialismus,
kritisiert von der Wissenschaftskritik; führte zu Gegensatz zur Religion
Methode gedeutet:
b) als Weg zur besseren Erkenntnis der Naturgesetze, aber nicht alle Fragen beantwortend (Kant,
Maritain, Scheler, Habermas, Existenzphilosophie)
a) als einziger Weg der Erkenntnis; deutet Religion als überholte Denkweise (Materialismus,
Szientismus, Positivismus (Comte)).
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 8
Kants Kritik der Gottesbeweise [PhG 2] [vgl. MG 2.3; TG 25-28]
Voraussetzungen: erlebte Gegensätze zwischen
a) materialistischem Weltbild und sittlicher Verantwortung
b) Tatsache der Naturwissenschaft und Humes Kritik der Erkenntnis.
Lösung durch transzendentalen Idealismus:
Die synthetischen Urteile a priori, die nach Kant für Mathematik und Naturwissenschaft erforderlich
sind, gelten nur für Gegenstände möglicher Erfahrung.
Folgerungen:
a) Aus der Naturwissenschaft können keine weltanschaulichen Folgerungen gezogen werden.
b) Metaphysik ist nicht als theoretisches Wissen möglich.
c) Die Tatsache der Verpflichtung fordert als Postulat der praktischen Vernunft die Anerkennung der
Existenz Gottes als Garant der sittlichen Ordnung und der Naturordnung.
[vgl. TG 28f.]
Kritische Fragen an Kant:
Wie verhält sich das Wissen um erfahrbare Gegenstände zu dem Wissen um die Grenzen unseres
theoretischen Wissens und zum Wissen um den Inhalt der Postulate der praktischen Vernunft?
Verschiedene Antworten in der späteren Deutung und Weiterent-wicklung der Gedanken von Kant:
a) Begrenzung des Wissens bezieht sich nur auf einzelwissenschaftliche Erkenntnis. Wird weitergeführt
in der Wissenschaftstheorie.
b) Begrenzung des Wissens bezieht sich auf alles Wissen. Führt zu Widerspruch und Überwindung
dieser Grenze in Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie (Deutscher Idealismus ... Maréchal
...).
Gottesbeweise (wie sie in der rationalistischen Metaphysik entwickelt wurden) sind nach Kant nicht
möglich:
A) Aus seinem transzendentalen Idealismus: [PhG 2.1]
Gottesbeweise beanspruchen, durch theoretisches Wissen den Bereich der Gegenstände möglicher
Erfahrung zu übersteigen; dies ist aber nicht möglich.
B) Aus seiner Kritik einzelner Gottesbeweise: [PhG 2.4]
1) "Ontologischer Beweis" begeht den Fehler eines Sprunges von der Ordnung der
begrifflichen Analyse auf die Wirklichkeit. Die Existenz ist aber nicht eine Eigenschaft wie
andere, die das im Begriff vergegenwärtigte Sosein eines Dinges bestimmen, sondern besagt
das Dasein eines begrifflich mit seinen Eigenschaften vergegenwärtigten Dinges. Dieses könne
daher nicht durch bloße begriffliche Analyse gewonnen werden.
Bemerkungen: Der von Anselm v. Canterbury im Proslogion gebrachte Beweis [vgl. TG 14f.] hat
verschiedene Deutungen erfahren, z.B.:
a) Als Schluß vom Begriff eines vollkommensten Wesens "id quo maius cogitari nequit" auf die
Existenz eines solchen Wesens. Dagegen richtet sich die Kritik von Thomas v. Auqin (S.th. I, q 2, a 1,
vgl. TG 15f.) und Kant.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 9
Berechtigter Kern der Kritik: Ohne Ausgang von der Wirklichkeit kann nicht auf die Existenz Gottes
geschlossen werden.
b) Als Schluß von einer Struktur wirklichen Denkens auf Gott als Voraussetzung dieser Wirklichkeit.
c) Als Aufweis nicht des Daseins, sondern des metaphysischen Wesens Gottes.
2) "Kosmologischer Beweis": Kontingentes Seiendes, das wir vorfinden, setzt ein
schlechterdings notwendiges Wesen voraus. Welche Eigenschaften dies aber hat, daß es das
vollkommenste, allerrealste Wesen sei, könne nach Kant nur nach Zuhilfenahme des
(unzulässigen) ontologischen Arguments gezeigt werden. [PhG 6.1.3]
Bemerkung: Die klassischen Gottesbeweise geben zugleich den Weg an, wie "Eigenschaften", wenn
auch analog, von diesem letzten Grund begründet ausgesagt werden können. [PhG 7.4; 7.5]
3) "Physikotheologischer Beweis": Der teleologische Beweis zeigt, daß die in der Welt
aufweisbare zweckmäßige Ordnung eine mit Intelligenz und Freiheit ausgestattete Ursache der
Weltd voraussetzt. Nach Kant gelangt man aber nur zu einem außerordentlich weisen, nicht
aber allweisen unendlichen Ordner der Welt, also nur zu einem Weltbaumeister, nicht
Weltschöpfer. Dazu wäre nach Kant wieder ein Schluß nach der Art des ontologischen
Beweises erforderlich.
Bemerkung: Es ist zuzugeben, daß ohne eine Form des metaphysischen Schlusses vom Kontingenten
auf das Absolute der teleologische Beweis nicht schlüssig ist. Dazu wurden zwei Wege beschritten:
a) Die teleologische Ordnung gründet in der Natur der Dinge, weshalb der letzte Grund der Dinge mit
dem Ordner identisch sein muß.
b) Das nicht aus eigener Einsicht und Selbstbestimmung, sondern aus naturhafter Hinordnung
erfolgende Wirken ist Zeichen der Kontingenz und setzt einen absoluten Grund voraus, der aus
Einsicht und Selbstbestimmung (Freiheit) wirkt.
Folgerungen aus Kants Kritik:
1) Weltanschauliche Folgerungen aus der Naturwissenschaft sind nicht berechtigt.
2) Die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis muß ausgewiesen werden, im besonderen die
Möglichkeit eines Erschließens des absoluten Seinsgrundes.
(Vgl. Allgemeine Metaphysik: Begründung von Möglichkeit und Methode der Metaphysik gegenüber
der Kritik von Kant und der Sprachanalyse.)
3) Gottesbeweise müssen von der Analyse der Wirklichkeit (der Welt oder des Menschen) ausgehen.
4) Gottesbeweise müssen dem absoluten Seinsgrund Bestimmungen zusprechen (wenn auch analog),
z.B. durch Kontraposition der Zeichen der Kontingenz.
(Vgl. via affirmationis, via remotionis, via eminentiae: "unbewegter Beweger", "Erstursache".)
5) Verlagerung des Ausgangs der Gottesbeweise von der Wirklichkeit der Welt auf die Wirklichkeit des
Menschen (anthropologische Wendung).
6) Theologie wie auch Anti-Theologie der Postulate können gesehen werden als Vergleich der
Folgerungen aus einem bestimmten Entwurf einer Antwort auf die Sinnfrage menschlichen Lebens
("Weltanschauung") mit zentralen Erfahrungen des menschlichen Lebens.
7) Die Untersuchung solcher postulatorischer Standpunkte zeigt, daß eine kritische Analyse von
Weltanschauungen mit Hilfe einer methodisch begründeten Metaphysik erforderlich ist, was die
Verwendung von Gottesbeweisen einschließt.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 10
Der Sinn von Argumenten in der Gottesfrage
Die Entwicklung der Wissenschaftstheorie und der Analytischen Philosophie. [vgl.MG 2.41]
Französische Wissenschaftskritik (Duhem, Poincaré), E. Mach:
Der Erkenntniswert wissenschaftlicher Theorien begründet keine uneingeschränkte Deutung der
Modellvorstellungen. Die Theorien reichen hin (sind aber nicht notwendig, sondern durch alternative
Theorien ersetzbar), die experimentell beobachtbaren Regelmäßigkeiten abzuleiten.
Logischer Empirismus (Wiener Kreis ...): als Szientismus:
Die naturwissenschaftliche Methode ist die einzige zur Erkenntnis der Wirklichkeit.
┌ sinnvoll -┬- logisch
│
│
Sätze ┤
└- empirisch
│
└ ohne Erkenntniswert,
emotional
symbolische Logik
empirisches Verifikationsprinzip
Ausschluß von synthetischen Urteilen a priori macht Metaphysik und Gottesbeweise unmöglich.
Weiterentwicklung, da sich Forderungen als übertrieben erweisen und als ungeeignet, selbst die
Physik zu deuten:
a) Duales Theorienschema: Erfahrungswissenschaftliche Theorien verwenden neben
Beobachtungssprache eine theoretische Sprache. Beide sind durch Korrespondenzregeln
verknüpft, sodaß aus theoretischen Aussagen Beobachtungsaussagen (zu deren Erklärung, für
Prognosen) abgeleitet werden können.
b) Kritischer Rationalismus (Popper, Albert) hält Theorien für Entwürfe, die von anderen
Sätzen durch ihre Falsifizierbarkeit abgegrenzt werden und die sich gegenüber
Falsifizierungsversuchen zu bewähren haben. Lösungsvorschläge für philosophische Probleme
sind zugelassen, wenn Kriterien zur Beurteilung der versuchten Antworten angebbar sind.
c) Kritische Theorie (Frankfurter Schule, J. Habermas): Kritisiert (angebliche) Fixierung der
Wissenschaftstheorie auf naturwissenschaftliches Erkennen und stellt die in dieser
Bevorzugung enthaltene Wertung (instrumentelles, technisches Interesse) in Frage (gegenüber
hermeneutischem und emanzipatorischem Interesse).
d) Konstruktive Wissenschaftstheorie (Lorenzen) versucht Synthese von Genauigkeit im
Ausdruck der Analytischen Philosophie und Klärung des praktischen Fundaments
(Wertungen) der Wissenschaft als Anliegen der kritischen Theorie.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 11
Zur "Logik der Rede von Gott"
Für die Gotteserkenntnis wurde bedeutsam die Diskussion über die "Rede von Gott" seit 1944,
zunächst im Rahmen der normalsprachlichen Analyse. [PhG 4.2; 4.3]
J. Wisdom (1944): Gleichnis vom "unsichtbaren Gärtner".
Deutungen religiöser Rede als "Bildpräferenz":
"blik" (R.M. Hare): theoretisch-praktische Einstellung, unter der wir Gegebenes auffassen und
bewerten und die dadurch unser Verhalten bestimmt. Ist auch für wissenschaftliche Erfahrung
erforderlich. Vergleichbar mit Apriori. Kann nicht durch Erfahrung kritisiert, sondern nur mit anderen
bliks verglichen werden.
P.M. van Buren [vgl. TG 42-44]: Sinn der religiösen Rede ist:
a) Einem anderen den eigenen blik erkennen lassen (Zeugnis)
b) Einladung, blik anzunehmen (Verkündigung)
c) Erklärung eigenen Verhaltens (zwischenmenschliches Verstehen)
I.T. Ramsey [vgl. TG 44-50]: religiöse Rede bringt mittels Modellen und Qualifikatoren
Sinnzusammenhänge zur Sprache, die einem in Erschließungssituationen (disclosure) aufgegangen sind
und die, wenn man sie persönlich akzeptiert, eigene Lebenssicht und Lebensgestaltung bestimmen
("organisieren").
F. Ferré: Solche "organisierenden Bilder" sind nicht reaktive Symbole (mit bloß emotivem Sinn),
sondern responsive Symbole. Für diese lassen sich Kriterien angeben (Angemessenheit, responsive
Wahrheit, Unausweichlichkeit).
G.D. Kaufmann: Weltanschauung im Sinn einer jeweiligen Haltung, aus der heraus ein Mensch das ihm
Begegnende auffaßt und bewertet, hat jeder Mensch, insofern er spricht (in einer Welt symbolischer
Bedeutungen lebt) und sich entscheidet (Wahl zwischen Alternativen trifft).[MG 0.2]
Für solche Weltanschauungen lassen sich Kriterien angeben [PhG 4.4.3] (Widerspruchsfreiheit,
Einheitlichkeit,
Erfahrungsbezug, Umfassendheit (nach Whitehead und Ferré)).
Diese machen verständlich:
a) rationales Element der Weiterentfaltung oder Änderung weltanschaulicher Überzeugungen;
b) Möglichkeit, trotz des persönlichen Charakters weltanschaulicher Überzeugungen darüber
interpersonal zu argumentieren (Erfüllung der Kriterien zu überprüfen).
Struktur des Inhalts weltanschaulicher Überzeugung, im Ver-gleich
mit erfahrungswissenschaftlichen Theorien: [PhG 4.3]
integrative
Funktion
weltanschaulicher Gehalt
│
│
│
↓
│
praktische Normen <---┐
↓
│
"Lebenserfahrung" (inclusive Werterfahrung)
Dreifacher Erfahrungsbezug: Lebensbezug
Sinnbezug (Transzendenzerfahrung,
disclosure)
Modellverständnis
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 12
Metaphysik kann verstanden werden als Entfaltung jener objektiven Strukturen, die für eine
Weltanschauung erforderlich sind, damit die Kriterien erfüllt sind. [vgl.MG 2.43]
Beispiele:
1) "Ich glaube, daß Gott unser Vater ist" (dreifacher Erfahrungsbezug, praktischer Gehalt, performativ)
2) Wege zu Gott (a) Erfahrungsgrundlage; b) allgemeine Sätze, die für selbstverständlich gehalten
werden; c) Verständnis von "Gott"; d) praktischer Gehalt)
3) Glaube an Jesus Christus (Aufgabe der Theologie)
Dialog mit nur teilweiser Deckung (Gemeinsamkeit) der Verständnisvoraussetzungen; dabei zu
beachten: [PhG 4.4.1; 4.4.2; 4.5]
1) Unterschiede bezüglich der für die Gottesfrage relevanten Momente (vgl. oben Beispiel 2, a) - d))
und die daraus resultierenden typischen Situationen.
2) Spannung von persönlicher und interpersonaler Begründung.
3) Tendenzen negativer und positiver Interpretation.
4) Unterschied zwischen (persönlich gemeintem) vollen Sinn, (interpersonal nachvollziehbarem)
eingeschränkten Sinn und (vom Partner) interpretierten Sinn einer Aussage.
Divergenzen in der Akzeptierung der Folgerungszusammenhänge des Beweises sind zunächst als
Hinweis auf unterschiedliches Verständnis zu werten, dem allerdings auch gegensätzliche
Überzeugungen zugrundeliegen können.
Die Argumentation hat das Ziel, divergierende Punkte auf eine gemeinsame Verständigungsbasis
zurückzuführen. Dadurch wird, soweit es gelingt, die Verständigungsbasis erweitert. Das Optimum
scheint erreicht zu sein, wenn die Verständigungsbasis so erweitert ist, daß der Unterschied in den
persönlichen Stellungnahmen deutlich wird, zusammen mit den dafür als Stütze in Anspruch
genommenen bestimmenden persönlichen Erfahrungen und den durch sie wohl mitbedingten
Grundannahmen.
Auch wenn alle für einen philosophischen Weg zu Gott relevanten Voraussetzungen dem
gemeinsamen Bereich der Verständnisvoraussetzungen angehören (z.B. im christlichen Bereich oder bei
eigener Überlegung (Dialog mit sich selbst)), hat die philosophische Argumentation in der Gottesfrage
ihre Bedeutung:
zur Klärung des Gottesbegriffes
zur Klärung der Beziehung der Anerkennung Gottes zu den verschiedenen Lebensbereichen
zur Klärung von Fragekreisen wie: menschliche Freiheit und Allwirksamkeit Gottes; Theozentrik und
Anthropozentrik; Schöpfung und Evolution, Schöpfung und Weltgestaltung.
Verwendung von Gottesbeweisen in der Geschichte der Philosophie und Theologie zur:
Klärung des Gottesbegriffes gegenüber Anthropomorphismen (in der Antike, vgl. TG 1-7)
(Xenophanes, 500 v.);
Klärung des christlichen Gottesbegriffes und Schöpferbegriffes (im christlichen Altertum, vgl. TG 813);
systematischen Entfaltung der Theologie und Verbindung von philosophischem Erkennen und
eigentlichem Offenbarungsglauben (in der mittelalterlichen Scholastik) (Augustinus - Thomas v. A.);
erst in der Neuzeit treten Gottesbeweise in apologetischer Absicht dem Atheismus gegenüber auf oder
mit dem Anspruch der Begründung einer Vernunftreligion (in der Aufklärung), wogegen sich auch die
Bedenken der Existenzphilosophen (z.B. Heidegger, Jaspers - vgl. TG 35-40) richten.
Versteht man philosophische Gottesbeweise als Mittel zum Er-zwingen einer weltanschaulichen
Stellungnahme, dann ist die Fragestellung falsch.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 13
Versteht man aber die Verwendung von philosophischen Gottesbe-weisen als Mittel zur Klärung des
Sinnes der Gottesfrage und ihrer Implikationen, dann sind sie erforderlich
sowohl für das Verständigungsinteresse in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft
als auch für das Interesse an einer verantwortbaren persönlichen Stellungnahme zur Frage des Sinns
unseres Lebens.
Formen des neuzeitlichen Atheismus
Vgl.: M. Marlet, Grundzüge und Phasen der Religionskritik, in: Weger, Religionskritik. München 1976,
13-24.
Wirklichkeitserkenntnis
durch Naturwissenschaft
Unmöglichkeit metaphysischer Erkenntnis (gegen Rationalismus)
Reduktion der Religion
auf vernünftige moralische Praxis
Gott als überholter
Erklärungsversuch
(gegen "Lückenbüßer")
Gott nicht als Grund der
Wirklichkeit erfaßbar
Woher dann
Gottesvorstellung?
Gott als Postulat
der praktischen Vernunft
Atheismus der Gegenpostulate
┌---------- Feuerbach
│
("Projektion")
│
↓
Marx
religionswissenschaft("ökonomisch
liche Erklärungsverbedingt")
suche
┌------┴------┐
↓
↓
MarxismusNeomarxisFreud
Leninismus
mus ("Huma("kollektive
("Messianis- nismus")
Angstneurose")
mus")
Nietzsche
("Ressentiment
gegen Leben")
Sartre,
Camus
L. Feuerbach (1804-1872, vgl. TG 30f.), bestimmend für neue Religionskritik. Nach ihm ist Gott die
Projektion der idealen Verwirklichung des Menschen: "Das göttliche Wesen ist nichts anderes als das
menschliche Wesen, oder besser: das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des
individuellen, d.h. wirklichen, leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d.h. angeschaut und verehrt als
ein anderes, von ihm unterschiedenes, eigenes Wesen."
Der Mensch soll sich nicht auf Gott hin übersteigen, sondern auf den Menschen (die menschliche
Gattung).
K. Marx (1818-1883, vgl. TG 32-34) führt dies weiter dadurch, daß nach ihm der Mensch durch seine
gesellschaftlichen Verhältnisse zu dieser Projektion veranlaßt ist: Religion "ist die phantastische
Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 14
besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges
Aroma die Religion ist." "Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die
Forderung seines wirklichen Glücks."
Die (ökonomisch-politisch) verkehrte Welt produziert Religion als verkehrtes Bewußtsein von der Welt
(Ideologie), weshalb es primär um die revolutionäre Beseitigung dieser ökonomischen Verhältnisse und
menschenunwürdigen sozialen Verhältnisse geht, mit dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft.
Für Lenin ist die Religion nicht nur überflüssig, sondern zu bekämpfen. Sie tritt auf als reaktionärer
Bund von Thron und Altar, die religiöse Hoffnung wird von der bekämpften herrschenden Klasse als
Instrument benützt und ist in Gegensatz zum angestrebten Ziel ("Messianismus"). Auf Identifizierung
von "Sein" und "Materie" (mit göttlichen Prädikaten) gründende "wissenschaftliche Weltanschauung"
des dialektischen Materialismus.
Neomarxismus [vgl. TG 40f.] betont humanistischen Zug der Frühschriften von Marx, sucht Dialog
mit abendländischer Philosophie und Religion, um das in ihr wirkende Grundverlangen herauszulösen
und humanistisch zu verwirklichen. Das Ziel (intendierte bessere Zukunft) ist nicht genau festzulegen.
Stärkere Berücksichtigung menschlicher Grund- und Grenzerfahrungen, des individuellen Menschen
und seines Schicksals. Der einzelne soll nicht dem Glück künftiger Generationen geopfert werden
dürfen - das wäre Auflösung menschlicher Person in Mensch als Gattungswesen.
S. Freud (1856-1939) erklärt Religion psychoanalytisch (ohne dies jedoch durch therapeutische Praxis
zu begründen!) als kollektive Angstneurose, Regression in Schutz bei Eltern gegenüber Bedrohung.
Führt zu Fingieren einer transzendenten Welt, in welche Eigenschaften des Vaters, die dem Kind
Schutz geben, als Gott projiziert werden. Die irreale Problemlösung führt von der Wirklichkeit weg, in
diesem Wirklichkeitsverlust besteht das Krankhafte. Die realistische Bewältigung der Bedrohung erfolgt
durch die heute zur Verfügung stehenden Kräfte der Wissenschaft und Technik (denen die göttlichen
Prädikate "Allwissenheit" und "Allmacht" zugeschrieben werden).
F. Nietzsche (1844-1900) sieht die Berufung auf Gott als einen Gegensatz zum Leben, Ausdruck eines
Ressentiments der Schwächeren zur Zügelung der Entfaltung des menschlichen Lebens in den Starken.
Herkömmliche Religion, Metaphysik und Moral sind Schöpfungen des Menschen, der nicht gewagt hat,
dem inneren Willen zum Übermenschen stattzugeben. So verschanzt er sich in Konstruktionen, um
nicht er selber zu sein, und entwertet dadurch die irdische Wirklichkeit.
Existentialismus (Sartre, Camus) führt dieses Anliegen in literarisch wirksamer Form weiter. Es geht
darum, daß der Mensch es wagt, sich in seiner Freiheit zu finden, nicht sie zu verlieren in Flucht in
vorgegebene Strukturen, auch in die Anerkennung einer göttlichen Schöpfung. Gott und eine von ihm
hergeleitete Moral werden als Hindernis empfunden für die Freiheit des Menschen und die Solidarität
der Menschen.
Zusammenfassung:
Berufung auf Gott und Religion werden erlebt und aufgefaßt als nicht begründetes Vorstellungsgefüge,
das zur Rechtfertigung bestehender und als Mißstand empfundener Zustände verwendet wird und das
die Bemühungen zur Verbesserung der Situation des Menschen oder zur Entfaltung seiner freien
Persönlichkeit hemmt, weshalb - in Gegensatz zu Kant - um der Entfaltung der erfahrbaren
menschlichen Werte willen postuliert werden müsse, daß es Gott nicht gibt.
Konkurrenz-Schema: entweder Gott oder der Mensch
- in der Erklärung der Welt
- im Einsatz zur Gestaltung der Welt
- in der persönlichen Verwirklichung des Menschen.
GRUNDZÜGE DER VORLESUNG PHILOSOPHISCHE GOTTESLEHRE
GG 15
Kritik von Stellungnahmen zu Sinnfrage und Gottesbeweis Mensch
Welche Anliegen (Erfahrungen und Zielvorstellungen) bestimmen die atheistischen
Stellungnahmen?
Welche Gottesvorstellung wird dadurch widerlegt?
Welche Bedingungen setzt die Zielvorstellung und ihre Verwirklichung voraus?
Wie verhält sich das zu dem, der (z.B. von Christen) Gott genannt wird?
Konkrete Argumentation kann die Erfahrungen und vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten nach
kritischer Verallgemeinerung verwenden, um den absoluten Sinngrund aufzuweisen.
Abstrakte Argumentation als "Gottesbeweis Mensch" stellt die für diese Überlegungen entscheidenden
Strukturen heraus (vgl.: W. Kern, Atheismus - Marxismus - Christentum (1976) 152-182).
Erfahrungsbasis: Phänomene, in denen sich die unbegrenzte Offenheit des Menschen zeigt, gerade in der
Erfahrung der Begrenzung. Innere Möglichkeit der Sinnerfüllung als Bedingung der Erfahrung von
Sinnlosigkeit. Unbedingtheitsanspruch sittlicher Verpflichtung als solcher und personaler Liebe des
anderen um seinetwillen weisen auf den unendlichen Horizont, der menschliche Verantwortung
(Freiheit) ermöglicht.
Dieser unendliche Horizont menschlicher Offenheit (von Verstand und Wille) ist ermöglicht durch
eine naturhafte Ausrichtung auf ein bestimmt-unendliches Ziel-Prinzip von Wert und Wirklichkeit, auf
das absolute, welttranszendente, personale Vollendungsziel unseres Daseins.
Wird dieses (wenigstens im Vollzug) nicht anerkannt, steht menschliches Leben im Widerspruch zu den
Bedingungen seiner Entfaltungsmöglichkeit und verfällt in Entfremdung, Verfehlen der Anerkennung
der Personwürde des Menschen. Solches Versagen gibt es sowohl durch anthropomorphe
Vergegenständlichung Gottes als auch durch Leugnung Gottes. Wie diese Spannung von mensch-licher
Vergegenständlichungstendenz (die neigt, Gott verfügbar zu machen oder Verfügbares zu vergötzen)
lebensmäßig bewältigt werden kann, weist wohl zurück auf den gelebten religiösen Vollzug (für den
Christen auf Christus). Wird darin nicht die Lebbarkeit dieser Spannung erfaßt, liegt die Gefahr nahe,
vor-läufige Verwirklichungsziele menschlichen Lebens zu verabsolu-tieren.
Diese persönliche Vergewisserung ist sowohl in der eigenen Lebenspraxis und Denkpraxis wie auch in
interpersonaler konkre-ter Argumentation einzulösen, als persönlich leistbare Aufgabe, die solidarisch
zur gemeinsamen Vermenschlichung (die zugleich als durch Gott ermöglicht verstanden und geglaubt
wird) bei-trägt.
Klassische Probleme der Auffassung von Gott und Welt und deren gegenwärtige
Aktualität
Projektionstheorien in Vergleich mit: Anthropomorphismus, Metaphorik, Analogie in menschlicher
Gottesvorstellung;
Göttliche Vorsehung und menschliche Weltverantwortung;
Entfaltung des Menschen und Anerkennung Gottes. Irdische Werte und Unbegreiflichkeit Gottes;
Menschliche Freiheit und göttliche Allwirksamkeit;
"Schöpfung oder Entwicklung?"
Theodizeeproblem
Dualismus
Übel als privatio (Augustinus). [vgl.MG 2.26]
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