Die Rohfaser und ihre Bedeutung in der artgerechten Kaninchenernährung Text und Fotos von Andreas Rühle http://www.kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.de/degupedia/100403ruehle_rohfaser.doc Obwohl sich Kaninchen in der Natur von frischen Gräsern, Kräutern, Blumen, Rinde, Wurzeln und Pilzen ernähren, werden sie in der Heimtierhaltung überwiegend mit Heu, Trockenfutter und Gemüse gefüttert. Ein Argument, welches diese Abkehr von der artgerechten Nahrung stützen soll, ist die Versorgung der Tiere mit Rohfaser, denn diese würde vor Darmerkrankungen schützen und ihre Zähne abnutzen. Deshalb sind natürlich viele Halter bestrebt, ihre Tiere mit möglichst großen Mengen dieses "nützlichen" Futterbestandteils zu versorgen – und sei es mit Hilfe von Zwang. Ermunterung dazu gibt es auch von Tierärzten, die der Cellulose, wie die Rohfaser im allgemeinen Sprachgebrauch auch bezeichnet wird, geradezu mystische Kräfte zuschreiben. Angeblich wäre das Kaninchen in der Lage, aus ihr alle Nährstoffe zu beziehen, die es benötigt. Was ist dran am Mythos "Rohfaser"? Hilft viel wirklich viel? Ist frisches Grün und Heu in Bezug auf die Faserbestandteile vergleichbar? Sind die Zähne wirklich auf viel harte Rohfaser angewiesen? Schützt viel Rohfaser den Darm? Ist ein Kaninchen mit viel Rohfaser auch in Bezug auf Nährstoffe gut versorgt? Der folgende Beitrag soll Antworten auf diese Fragen liefern und helfen, die Bedeutung der Fasern der Pflanzen als Nahrungsbestandteil besser einzuordnen. 1. Einleitung Jede Pflanze enthält mehr oder weniger Rohfaser – der Gehalt und ihre Zusammensetzung hängt unter anderem ab von: der Pflanzenart dem Pflanzenteil dem Standort dem Alter der Pflanze. In der Natur ernährt sich das Kaninchen von verschiedenen Pflanzen und den darin enthaltenen Rohfasern. Grobe und schwer verdauliche Teile werden mit dem Hartkot relativ schnell ausgeschieden, die leicht verdaulichen und somit wertvolleren Bestandteile der Pflanzen werden zur besseren Ausnutzung zurück in den Blinddarm befördert. Die leicht verdaulichen, energiereichen Teile der Pflanze sind die Blattspitzen, die vom Kaninchen auch vorzugsweise gefressen werden. Am schlechtesten bis gar nicht verdaulich sind Teile der "Leitungsbahnen" der Pflanze wie Stängel und Blattnerven. Mit fortschreitendem Alter verholzen Teile der Pflanzen und senken somit die Verdaulichkeit. In getrockneten Pflanzen (Heu) fehlen vor allem Faserfraktionen wie Hemicellulosen und Pektin, andere wie Lignin und Cellulose sind im Übermaß vorhanden. 2. Was ist Rohfaser? Die Rohfaser, wie sie bisher allgemein bekannt war, besteht aus Kohlenhydraten (in der Tierernährung Nichtstärke-Kohlenhydrate genannt) und Lignin. Heute werden unter Nahrungsfasern (dietary fiber) jene Polysaccharide und Lignin verstanden, die von den endogenen (menschlichen) Verdauungsenzymen nicht gespalten werden können (Lipiec et al. 1994). Degupedia Magazin (draft) 1 In Pflanzen erfüllen Kohlenhydrate die Funktion von Reserve- und Strukturelementen und bilden den Hauptanteil der organischen Substanz. Die Grundbausteine der Kohlenhydrate sind Monosaccharide (Einfachzucker) die aber in der Natur in freier Form kaum vorkommen. Zweifach miteinander verknüpfte Monosaccharide werden Disaccharide (Zweifachzucker) genannt. Werden 3-10 Monosaccharide miteinander verknüpft, spricht man von Oligosacchariden. Die wichtigsten Disaccharide sind Maltose, Isomaltose, Cellobiose, Lactose und Saccharose. Das bekannteste ist der „Haushaltszucker“ (Saccharose), der in der Zuckerrübe und im Zuckkerrohr enthalten ist. Polysaccharide sind, ähnlich wie Disaccharide, aus Monosacchariden aufgebaut, enthalten diese aber in einer sehr großen Anzahl. Ein wichtiges Polysaccharid ist die Stärke, die Nährstoffreserve von Pflanzen. Zu den Nichtstärke-Polysacchariden (NSP) gehören Cellulose, Hemicellulosen (Glucane und Pentosane), Pektine und Inulin. Lignin wird in der Gruppe der Fasern aufgeführt, ist aber kein Kohlenhydrat. Da es jedoch mit diesen eine strukturelle Verbindung eingeht, spricht man von einem Kohlenhydrat-Lignin-Komplex. Mit fortschreitendem Alter nimmt der Anteil an Lignin in der Pflanze zu. Rohfaserreiche Futtermittel wie Heu und Stroh erfüllen nach Jeroch (2008) nur dann ihre physiologischen Funktionen, wenn die Größe der Futterpartikel im Zentimeterbereich liegt. Cellulose als Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden ist auf Grund der Molekülgröße und Bindungen wasserunlöslich, kann nicht in verdünnten Säuren oder Laugen gelöst werden und ist auch von körpereigenen Enzymen nicht spaltbar. Manche Mikroorganismen bilden zwar diese Enzyme, diese wirken jedoch nur sehr langsam. Cellulose ist somit praktisch unverdaulich. Hemicellulosen als Bestandteil pflanzlicher Zellwände haben lockerere Strukturen als Cellulose und sind somit etwas leichter löslich. Mit zunehmendem Alter der Pflanzen wird die Matrix (Struktur) der Hemicellulosen von Lignin durchdrungen und bildet somit die Lignocellulose. Pektine bilden eine dünne Schicht zwischen benachbarten pflanzlichen Zellen und sind in ihrer Zusammensetzung von Pflanze zu Pflanze unterschiedlich. Die Zusammensetzung hängt außerdem vom Typ und Alter des Gewebes der Pflanzen ab. Inulin (Alantstärke) ist ein Gemisch von Polysacchariden und zählt zu den Fructanen. Ebenso wie Stärke wird Inulin in vielen Pflanzen als Reservestoff eingelagert (z. B. in Topinambur, Zichorie, Dahlie, Artischocke, Löwenzahn, Schwarzwurzel, Pastinake und Alant). Inulin wird im Darm von Bakterien abgebaut, wobei kurzkettige Fettsäuren entstehen. Das dabei entstehende saure Darmmilieu hilft bei der Stabilisierung der Darmflora. Lignine sind feste Stoffe, die in die pflanzliche Zellwand eingelagert werden und so zu deren Versteifung (Festigkeit) beitragen. Sie sind für Mensch und Tier nahezu unverdaulich. In den Pflanzen befinden sich die leichter verdaulichen Bestandteile der Fasern in der Blattspreite (Blattfläche), die unverdaulichen in den Leitungsbahnen der Pflanzen wie dem Stängel und den Blattrippen. Degupedia Magazin (draft) 2 Bild 1: Grundaufbau einer Pflanze (Kornblume) Bild 2 zeigt ein Blatt a) im frischen Zustand und b) nach der Ernte, Trocknung und Lagerung. Es soll verdeutlichen, warum im Heu wesentliche Nährstoffe nur noch unzureichend vorliegen. Der größte Teil der Blattspreite (Blattfläche) ist vor allem durch mechanische Belastungen verloren gegangen. Bild 2: Aufbau eines Blattes Frisch/Getrocknet Degupedia Magazin (draft) 3 Auf Grund seiner Vorliebe für die blättrigen Bestandteile von Pflanzen werden Kaninchen unter den Herbivoren (Pflanzenfresser) zu den Folivoren (Blattfresser) gezählt (folium = lat. für Blatt; vorare = lat. für schlingen). Bild 3: Abgefressene Grasspitzen Bild 4: Vor allem von Jungtieren bevorzugt: die Blattspreite ohne Mittelrippe und Stängel 3. Die Bedeutung der Rohfaser Nach Abgarowicz (1949) ist das Kaninchen bestrebt, ungeachtet des Ballastgehaltes im Futter den Verzehr an verdaulichen Nährstoffen auf einer bestimmten, konstanten Höhe zu halten. Bei einer Vergrößerung des Ballastanteils im Futter steigt somit der Verzehr an Trockensubstanz und Ballast. Daraus folgt, dass die Sättigung und das damit verbundene Sättigungsgefühl in erster Linie eine Funktion der Nährstoffsättigung ist. Das Völlegefühl einer mechanischen Sättigung ist zweitrangig und wird erst durch ein sehr großes Futtervolumen (bedingt durch einen hohen Ballastgehalt) ausgelöst. Weiterhin konstatiert Abgarowicz eine Anpassung des Fressverhaltens an die jeweilige Nährstoffkonzentration im Futter, was später u. a. auch durch Lebas (1989) bestätigt wurde. Im natürlichen Futter findet ein steter Transport im Verdauungssystem wasserbedingt durch das hohe Degupedia Magazin (draft) 4 Volumen der Nahrung statt. Das Kaninchen muss viel fressen, um seinen Bedarf an Trockensubstanz mit den enthaltenen Nährstoffen zu decken. Auf Grund ihrer Zusammensetzung, Struktur und Größe trägt die Rohfaser zum Teil dazu bei, das grobe Nahrungsbestandteile den Verdauungstrakt schnell passieren. Das ist besonders in Trockenfuttern wichtig, da diese Nahrungskonzentrate darstellen, also mit wenig Volumen den Nährstoffbedarf in relativ kurzer Zeit decken. Die schlechtere Verwertbarkeit von getrockneter gegenüber frischer Nahrung zeigt die Verdaulichkeit der organischen Substanz: für Wiesengras beträgt sie 67%, für Wiesenheu nur noch 43% (Schlolaut 2003). 4. Geschichtliches Nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine verstärkte Zusammenarbeit von Mastbetrieben und der Forschung, um die Fütterung von Vieh effizienter zu gestalten. Maßgeblich ging es um Milchvieh, Schweine und Geflügel. Kaninchen spielten, am Umsatz gemessen, nur eine untergeordnete Rolle (Kariger 1962). Das Pressen von gemahlen Komponenten war in den USA bereits 1917 bekannt, in Deutschland begann man mit zunehmender Industrialisierung in den fünfziger Jahren mit der Herstellung von "Pressfutter", heute auch Pellets genannt (Bernemann 2005). Die Ausgangsstoffe für diese Pellets werden zu Mehl gemahlen, gemischt, als Stäbchen extrudiert (durch kleine Löcher gepresst) und anschließend auf Länge geschnitten. Dieses Futter kann in großen Mengen hergestellt, leicht gelagert und transportiert werden. Die Haltbarkeit gegenüber natürlichem Futter ist wesentlich länger, die Tiere können aus dem Futter keine Bestandteile selektieren. Somit ist gewährleistet, dass sie aus einem Alleinfutter auch alle Inhaltsstoffe fressen, die auf den Bedarf der Tiere abgestimmt sind. Fortan fanden Untersuchungen fast ausschließlich mit diesen Pellets statt, nur selten im Vergleich mit Heu, Gemüse oder gar Gräsern bzw. Kräutern. Auf Grund ihrer ursprünglichen Bedeutung resultieren alle heutigen Empfehlungen zu Nährstoffen aus der Mastbzw. Nutztierhaltung, in der das Bestreben im Erreichen einer bestimmten Körpermasse in möglichst kurzer Zeit liegt. Heu bildete in früherer Zeit immer eine Ergänzung zu einer ansonsten recht nährstoff- und energiereichen Ration. Mit dem Raufutter sollten Darmerkrankungen vorgebeugt und Stalltieren etwas Beschäftigung gegeben werden. Heute wird Heu mehr und mehr als Hauptfutter eingesetzt, die Folgen einer solchen Fütterung werden verschiedenen Ursachen zugeschrieben, aber nur selten einer Überversorgung mit Rohfaser. Degupedia Magazin (draft) 5 5. Rohfasergehalte in Futtermitteln In der folgenden Tabelle sind Rohfasergehalte in verschiedenen Futtermitteln aufgeführt, die zur Ernährung der Kaninchen beitragen können. Tabelle 1: Rohfasergehalte in verschiedenen Futtermitteln Trockensubstanz [%] Rfa-Gehalt in der Frischesubstanz [%] Rfa-Gehalt in der Trockensubstanz* [%] Quelle Sellerie 5,6 0,8 14,3 Schlolaut (2003) Kohl 8,5 0,9 10,6 Schlolaut (2003) Ackersaudistel 8,8 1,2 13,6 Schlolaut (2003) Möhren 12,3 1,2 9,8 Schlolaut (2003) Topinambur (Knolle) 19,0 1,2 6,3 Schlolaut (2003) Basilikum 7,9 1,2 15,1 USDA (2010) Bärenklau 14,0 2,0 14,3 Schlolaut (2003) Mais 86,8 2,1 2,4 Schlolaut (2003) Dill 14,1 2,1 14,9 USDA (2010) Markstammkohl 12,9 2,3 17,8 Schlolaut (2003) Apfel 14,4 2,4 16,6 USDA (2010) Giersch 10,6 2,6 24,5 Schlolaut (2003) Rotklee 19,7 3,3 16,8 Schlolaut (2003) Petersilie 12,3 3,3 26,9 USDA (2010) Petersilie, getrocknet 94,1 27,7 28,4 USDA (2010) Löwenzahn 14,4 3,5 24,3 USDA (2010) Löwenzahn 17,3 2,6 15,0 Uni Hohenheim (2010) Gras, Wiese 20,0 4,0 20,0 Schlolaut (2003) Gras, Wiese 25,0 6,0 24,0 Schlolaut (2003) Weizenkleie 89,6 10,5 11,7 Schlolaut (2003) Hafer 88,2 11,1 12,6 Schlolaut (2003) Wiesenheu, sehr gut 87,6 23,5 26,8 Schlolaut (2003) Wiesenheu, mittelgut 85,5 25,0 29,2 Schlolaut (2003) Wiesenheu, gering 89,3 29,1 32,6 Schlolaut (2003) Timothee, Heu 89,8 30,7 34,2 Schlolaut (2003) Haferstroh 86,0 39,7 46,2 Schlolaut (2003) Degupedia Magazin (draft) 6 Vergleicht man die Nährstoffgehalte verschiedener Quellen, muss darauf geachtet werden, ob die Werte für die Frischesubstanz oder für die Trockensubstanz angegeben sind. Gegebenenfalls müssen diese, um vergleichen zu können, umgerechnet werden. In Tabelle 1 wurden die Gehalte in der Frischesubstanz deshalb auf Gehalte in der Trockensubstanz umgerechnet. Die Trockensubstanz ist die Masse, in der die Nährstoffe stecken. Der Wert eines Futters für Kaninchen ergibt sich jedoch auch aus der Wassermenge, die es enthält. Vergleicht man die Rohfasermengen der verschiedenen Futtermittel in der Trockensubstanz, so ergeben sich zum Teil interessante Verhältnisse: so haben Kräuter und Gräser zum Teil fast identische Rohfasergehalte wie gutes Heu, nur fehlt in diesem das Wasser. Dieses muss das Kaninchen bei hauptsächlich trockener Nahrung zusätzlich aufnehmen. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das auch – bis der Durst gestillt ist. Aber um die hohen Mineralgehalte mit dem Harn auszuspülen bzw. die Calciumkonzentration im Harn zu senken, reicht es nicht. Das Wildkaninchen nimmt mit seiner Nahrung wesentlich größere Mengen an Wasser auf. Was man in den Daten nicht sieht, ist die Zusammensetzung der Rohfaser und deren Verdaulichkeit. Grundsätzlich ist der Anteil an unverdaulichen Fasern in getrockneten Futtermitteln wie Heu höher, da durch Bröckelverluste bei der Ernte, Trocknung und Lagerung nur noch die Stützsubstanzen übrig bleiben, während die gehaltvollen Teile der Blattspreite verloren gegangen sind (siehe Bild 2). 6. Literatur Einige Quellen, aus denen in Büchern, Fachartikeln oder Dissertationen in Bezug auf Rohfaserempfehlungen zitiert wird, sollen Erkenntnisse aus der Wissenschaft und die Herkunft von Empfehlungen aufzeigen. Heckmann & Mehner (1970) konstatierten bei Rohfasergehalten von 13-14 % im Futter eine um 12 % schlechtere Futterverwertung. In ihren Untersuchungen konnte die Ansicht, dass hohe Rohfasergehalte den Gesundheitszustand günstig beeinflussen würden, nicht bestätigt werden – im Gegenteil: Die Verluste unter den Tieren lagen um 2 % höher. Rohfaserarmes Futter mit 5 % führte ebenfalls zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und zu überdurchschnittlichen Verlustraten. Die besten Ergebnisse wurden mit einem Rohfasergehalt von 8-9% erzielt. Davidson & Spreadbury (1975) verweisen auf die bis dahin geltende Empfehlung von 14 % Rohfaser in der täglichen Ration, bestätigen aber mit ihren Untersuchungen an Weißen Neuseeländern die Ergebnisse von Heckmann & Mehner (1970) und ermitteln ebenfalls einen optimalen Rohfasergehalt von 8-9 % in der Ration. Die Verdaulichkeit der organischen Substanz nimmt generell mit steigendem Rohfasergehalt im Futter ab. Scheelje (1975) weist darauf hin, dass das Kaninchen fälschlicherweise noch heute als guter Rohfaserverwerter bezeichnet wird. Er empfiehlt je nach Fütterungsmethode einen Rohfasergehalt von 7-12 %. Hörnicke (1978) gibt u. a. auch die Kaufrequenzen aus verschiedenen Quellen für Futtermittel an: Gras: 5,00-6,30 Hz Heu: 4,63 Hz Pellets: 3,96 Hz Die Frequenz für Gras liegt deutlich höher als für Pellets und Heu, was einen Hinweis auf den besseren Zahnabrieb bei der Aufnahme von frischer Nahrung liefert. Degupedia Magazin (draft) 7 Nach Drepper (1980) benötigen Kaninchen einen hohen Anteil unverdaulicher Rohfaser im Futter für die Gewährleistung normaler Verdauungsfunktionen, jedoch darf der Anteil der Rohfaser nicht zu klein vermahlen sein. Es handelt sich also um Empfehlungen für Trockenfutter in pelletierter Form. Gemahlenes Futter mit einer Partikelgröße von kleiner als 1 mm führen demnach zu Durchfällen, auch wenn ein genügend hoher Anteil an verdaulicher Rohfaser enthalten ist. Patton & Cheeke (1981) berichten von Fällen Mukoider Enteritis (ME) bzw. schleimigen Durchfällen, an denen die Tiere kurze Zeit später sterben. Nachforschungen ergaben, dass die Tiere Futtermittel mit 22 % und mehr Rohfasergehalt erhielten. Dieselben Krankheitsbilder traten jedoch auch bei Futtermitteln mit moderaten Rohfasergehalten von 15-20 % auf, aber auch bei Zufütterung von rohfaserreicher Nahrung wie Heu. Die Autopsie ergab in den meisten Fällen eine Blockierung des Verdauungstraktes. Aus diesem Grund wurde eine obere Grenze für den Einsatz von Rohfaser in Futtermitteln dringend empfohlen. Grobner et al. (1985) zeigen, dass kleine Rassen bzw. Zwergkaninchen offensichtlich nicht in der Lage sind, die entsprechende Futtermenge eines energiearmen Futters mit einem hohen Rohfasergehalt aufzunehmen. Die Verdaulichkeit der Rohfaser ist für größere Rassen offenbar besser, was auf die relativ größeren Verdauungsorgane zurückgeführt wird. Lebas et al. (1986) weisen ebenfalls darauf hin, dass bei Angebot eines grob strukturierten, sehr rohfaserreichem Grundfutters Kaninchen nicht in der Lage sind, die Futteraufnahme dem Bedarf anzupassen. Fekete (1993) fasst bis dahin gewonnene Erkenntnisse zusammen, die aus verschiedenen Quellen stammen: Demnach werden für "intensive Haltungsbedingungen" und "Mischfuttermittel" (Alleinfuttermittel, Pellets) ein „relativ hoher Rohfasergehalt" von 14-16 % empfohlen, der eine diätische Funktion zur Durchfallprophylaxe erfüllen soll. Diese Funktion wird dann erfüllt, wenn die Rohfaser nicht kleiner als 0,1-0,2 mm vermahlen wird. Bei einem Rohfaseranteil von mehr als 22 % besteht die Gefahr von Blinddarmverstopfungen bzw. Koprostase. Wolf & Kamphues (1995) gehen in ihrer Arbeit auch auf die Verzehrmenge von Rohfaser in verschiedenen Futtermitteln ein. Aus dem Heu wurden dabei die "weicheren, blattreichen Anteile (rohfaserärmer) selektiert". Degupedia Magazin (draft) 8 Diagramm 1: Durchschnittlich erreichte Rohfaseraufnahme von Kaninchen bei Angebot unterschiedlicher Rationen (nach Wolf & Kamphues 1995) Ein weiterer Punkt ihrer Arbeit betraf den Zahnabrieb, der immer wieder in Zusammenhang mit der Rohfaser diskutiert wird. Hierzu wurde festgestellt, dass offensichtlich nicht die Härte des Futters für ausreichenden Abrieb verantwortlich ist, sondern die Kautätigkeit an sich, egal mit welchem Futter. Degupedia Magazin (draft) 9 Diagramm 2: Einfluss unterschiedlicher Futtermittel auf Wachstum und Abrieb der Schneidezähne von Zwergkaninchen (Angaben in mm/Woche); nach Wolf & Kamphues (1995). Die Differenz zwischen Wachstum und Abrieb ist mit "weicher" Möhre geringer als mit Heu. Bi You & Chiou (1995) wiesen nach, dass der Futterumsatz mit einem Fasergehalt von 11,5 % am höchsten war. Mittels Elektronenmikroskopie konnten sie bei einem Rohfasergehalt von 14,5 % eine Schädigung der Darmzotten im Blinddarm nachweisen, was sie auf den hohen Rohfasergehalt zurückführten. Kermauner & Struklec (1996) konstatieren bei einem niedrigen Fasergehalt eine negative Beeinflussung der Durchgangszeit der Nahrung durch das Verdauungssystem und bei einem zu hohen Fasergehalt eine Erhöhung der Ammoniakkonzentration im Blinddarm. Beides dient der Ausbreitung von Krankheitserregern im Blinddarm. Patton & Cheeke (1981) berichten über die Häufung von Todesfällen unter Kaninchen, die mit Futter versorgt werden, das mehr als 22 % Faseranteile aufweist, als auch bei Futter mit moderaten Anteilen von 15-20 %, aber zusätzlicher Gabe von faserreichem Material wie Heu und Stroh. Wenger (1997) zitiert Burke (1992), Herrmann (1989) und Morisse et al (1985), die ebenfalls von Durchfällen durch Rationen mit viel Faser und wenig Stärke berichten. Durch die Aufnahme hoher Mengen unverdaulicher Faser und weniger Stärke steigen pH-Wert und Ammoniakgehalt im Blinddarm, da die Bildung von Bakterienprotein zurückgeht. Lebas (1997) verweist auf die schlechte Verdaulichkeit der Rohfaser in den europäischen Futtermitteln: sie beträgt nur etwa 10-30 %, während die Verdaulichkeit der Rohfaser im jungen, natürlichen und weichen Pflanzenmaterial bei 30-60 % liegt. Durch die schlechtere Verdaulichkeit liefert sie nur etwa 10-30 % des Energiebedarfs. Somit besitzt sie im Futter (Pellets) nur eine Degupedia Magazin (draft) 10 wichtige Funktion: nämlich die der Masse. Der Gehalt wird generell darauf ausgerichtet, obwohl die Analysemethoden alles andere als perfekt sind. Als genügend Masse für die Darmfunktion empfiehlt er deshalb für wachsende Tiere einen Rohfasergehalt von 13-14 %, für säugende Häsinnen 10-11 %. Wird die Empfehlung von 14 % Rohfasergehalt auf die Trockenmasse umgerechnet, ergeben sich für einen Vergleich folgende Werte: Tabelle 2: Vergleich der Rohfasergehalte in der Trockensubstanz Trockensubstanz (TS) [%] Rfa-Gehalt in der TS* [%] Gras, Wiese 25,0 24,0 Wiesenheu, sehr gut 87,6 26,8 Pelletiertes Trockenfutter 90,0 15,6 *errechneter Wert Aus diesen und den aus den anderen Quellen aufgeführten Zahlen wird das eigentliche Dilemma deutlich: Mit einem trockenen Futtermittel lässt sich die artgerechte Nahrung der Kaninchen nicht kompensieren – der Unterschied im Verhältnis Wasser/Trockenmasse ist einfach zu groß. Mit frischem Grün nimmt ein Kaninchen die 6-7fache Menge im Vergleich zu Heu auf. Daraus folgt eine regelmäßige Erneuerung des Magen- und Darminhalts, der mit trockener Nahrung wie Trockenfutter oder Heu nicht gewährleistet ist. Dieser fehlende Nachschub ist besonders für Langhaarrassen wie Angorakaninchen von Nachteil, die deshalb durch Trichobezoare (Haarballen) gefährdet sind (Panalis et al. 1985). a. Mit dem Trockenfutter nimmt das Kaninchen im Vergleich zur natürlichen Nahrung (Gras, Wiese) relativ wenig Rohfaser auf. Der Gehalt kann aber nicht erhöht werden, da es sonst eine zu einer geringeren Verdaulichkeit der gesamten organischen Substanz kommt. Das schränkt die Aufnahme des Futters ein und limitiert somit die Versorgung mit Nährstoffen. Letztendlich sind selbst organische Schäden zu erwarten. b. Viele Halter meinen, ihr Kaninchen würde so viel bzw. so lange Heu fressen, weil es ihnen angeblich schmeckt. Der tatsächliche Grund ist jedoch das Bestreben, aus einem relativ wertlosen Futtermittel die nötigen Nährstoffe zu beziehen. c. Aus dem Trockenfutter "Heu" nimmt ein Kaninchen, bezogen auf die Trockenmasse, zwar etwa gleiche Mengen an Rohfaser auf, aber durch den hohen Trockenmasseanteil frisst es weniger, da das Sättigungsgefühl schnell erreicht ist. Die Störung der natürlichen Darmpassage-Regulierung ist somit vorprogrammiert. In der natürlichen Nahrung wird der Nahrungstransport durch das große Volumen des wasserreichen Grüns gewährleistet, in trockener Nahrung soll die Rohfaser diese Funktion übernehmen. Dies kann bis zu einem gewissen Grad funktionieren, aber die Grenze zur Verstopfung (Koprostase) ist dabei schnell erreicht. d. Die Wasseraufnahme, die durch das artgerechte Futter zwangsläufig gewährleistet wird, ist durch trockene Nahrung eingeschränkt. Kaninchen nehmen Kalzium in der Menge auf, wie es im Futter vorhanden ist. Überschüssige Mengen werden mit dem Harn über die Niere ausgespült. Bei zu Degupedia Magazin (draft) 11 geringer Flüssigkeitsaufnahme funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr – es findet eine Konzentration von Kalzium im Harn statt und Urolithiasis (Harnsteine, Blasengries) können die logische Folge sein. e. Trockenfutter wie Pellets sind Nahrungskonzentrate und daher nicht arttypisch. Das Kaninchen nimmt in relativ kurzer Zeit die benötigten Nährstoffe auf. Die Kauzeiten sind zu gering, um den Abrieb der ständig wachsenden Zähne zu gewährleisten. Für Heu können die Aufnahmezeiten wiederum sehr lang sein. Für die Aufnahme von einem Gramm Trockenmasse aus verschiedenen Futtermitteln wurden von Wenger (1997) folgende Zeiten ermittelt: Tabelle 3: Aufnahmezeiten für 1g Trockensubstanz aus verschiedenen Futtermitteln Zeit [Minuten] Heu, später Schnitt 12,2 Gras 6,8 brikettiertes Mischfutter 3,6 Alleinfutter mit nativen Komponenten 2,9 Pelletiertes Trockenfutter 1,4 Die Aufnahmezeiten für Trockenfutter sind sehr kurz, was sich nachteilig auf den Zahnabrieb auswirkt, außerdem neigen die Tiere schnell zur Langeweile. Für Heu dagegen sind die Aufnahmezeiten sehr hoch – bei relativ geringer Aufnahme von Nährstoffen. Wenn Nahrungsaufnahme zum Stress wird Die Trockenmasseaufnahme von Kaninchen beträgt etwa 3,5-4 % der Körpermasse (Kamphues 2004) – das heißt, ein Tier mit einer Körpermasse von 2 kg frisst ca. 80 g Trockenmasse eines Futtermittels. Wenn es bei einem Anteil Heu von etwa 80 % im gesamten Futter diese Trockenmasse aufnehmen wollte, müsste es dafür ca. 13 Stunden Zeit aufwenden, für die vergleichbare Menge aus Gras nur ca. 9 Stunden. Mit Heu hat es aber im Vergleich nur 12 g Wasser, mit Gras dagegen 320 g aufgenommen. 13 Stunden fressen und nur einen Teil des Nährstoff- und Wasserbedarfs gedeckt – dieser Stress und Mangel kann eine von vielen Krankheitsursachen sein. 7. Was passiert eigentlich mit der Rohfaser? Der Dickdarm des Kaninchens ist in der Lage, größere und grobe, cellulosehaltige Nahrungsbestandteile von gut löslichen, kleinen und besser verdaulichen Partikeln zu trennen (Cheeke 1983). Dieser Vorgang erfolgt auf physikalische Weise durch peristaltische Bewegungen. Die Futterbestandteile werden durch Kontraktionen in den vorderen Dickdarm befördert. Durch orthograde, peristaltische Bewegungen werden grobe, faserhaltige Partikeln weiter in den Dickdarm gefördert und dort zu Hartkot geformt. Durch retrograde Peristaltik werden feine Partikel und Flüssigkeit zurück in den Blinddarm gefördert, wo sie mit Hilfe von Bakterien durch Fermentation abgebaut werden (Cheeke 1986). Nach Ruckebusch (1976) wird der so genannte "Fusus coli" als "Schrittmacher" für diese Art der Nahrungstrennung verantwortlich gemacht – ein nur bei Lagomorphen existierender Bereich im Dickdarm. Das Kaninchen "verdaut" also keine grobe Degupedia Magazin (draft) 12 Rohfaser oder Cellulose, sondern separiert diese, um sie relativ schnell auszuscheiden und behält nur die kleinen, nährstoffreichen Nahrunspartikel zurück. Ist der Anteil der Rohfaser in der Nahrung wie zum Beispiel im Heu sehr groß, wird er relativ schnell ausgeschieden. Dadurch ist aber einerseits der Anteil an verdaulicher Nahrung gering und andererseits die Zeit für die Futterverwertung sehr kurz – es entsteht ein Mangel. Auf Grund zu geringer Nahrungsmengen im Blinddarm und daraus folgender geringer Bildung von Bakterienprotein kommt es zu einem Ansteigen des pH-Wertes mit der weiteren Folge von Durchfällen oder ME (Patton & Cheeke 1981; Kermauner & Struklec 1996; u. a.). Eine völlige Entleerung des Magens verhindert das Kaninchen mit der Aufnahme von Blinddarmkot. Dieser wird im Blinddarm aus gut verdaulichen Nährstoffen produziert, ausgeschieden und wieder aufgenommen. Durch diese Strategie ist das Kaninchen in der Lage, eine begrenzte Zeit mit Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel zu überstehen. Der Blinddarmkot kann durch Quellung den Magen bis zur Hälfte füllen. Allgemein besteht die Annahme, dass der Blinddarmkot der Versorgung des Kaninchens mit Vitaminen des B-Komplexes und einer besseren Ausnutzung der Rohfaser dient. Verschiedene Fakten lassen jedoch daran zweifeln (Scheelje 1975; Lang 1981): Keimfrei gehaltene Kaninchen üben die Caecotrophie nicht aus (Yoshida 1968, 1971) trotz einer erheblichen Anreicherung des Futters mit Vitaminen des B-Komplexes wurde die Caecotrophie weiter vollzogen (Scheelje 1975) der Blinddarmkot enthält geringere Mengen Rohfaser als der Hartkot, die Menge kleiner Teilchen im Blinddarmkot ist deutlicher höher als die gröberer (Björnhag 1972; Lebas 1997) Lang (1981) z. B. sieht den Nutzen des Blinddarmkotes eher in der Ausnutzung des Bakterienproteins, aus dem er zum größten Teil besteht und einem geringen Beitrag zur Energieversorgung durch enthaltene Fettsäuren. Offensichtlich dient die Caecotrophe im Winter und in Trockenzeiten den Wildkaninchen als ergänzender und zum Teil lebensnotwendiger Nahrungsbestandteil, also bei lang anhaltenden Winter mit viel Schnee oder langen, heißen und trockenen Sommer. 8. Analyse der Rohfaser In der Tierernährung wird seit etwa 150 Jahren die Weender-Analyse zur Bestimmung des Rohfasergehaltes genutzt. Mit dieser Analyse werden außerdem folgende Stoffgruppen erfasst: Frischesubstanz / engl. fresh (FS, uS) = Gesamtmenge des Futtermittels in frischer Form, ursprüngliche Substanz Rohwasser / engl. water (RW) = Anteil, der durch Trocknung der Frischesubstanz verloren geht (Trocknung bei 103-105 °C, bis sich die Masse nicht mehr ändert) – enthalten sind auch flüchtige organische Verbindungen wie niedere Fettsäuren, Alkohole und Ammoniak Trockensubstanz, Trockenmasse (TS, TM) / dry matter (DM) = Gesamtmenge des Futtermittel abzüglich des Rohwassers = FS – RW Rohasche / engl. crude ash (CA) = anorganischer Anteil in der Trockensubstanz, der nach Veraschung im Ofen bei 550 °C zurückbleibt – enthalten sind neben den Mineralien auch Verunreinigungen (Dreck, Schmutz, Silikate) Degupedia Magazin (draft) 13 organische Substanz / engl. organic matter (OM) = Trockensubstanz abzüglich der Rohasche – enthält im Wesentlichen die Hauptnährstoffe wie Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette = TS – CA Rohprotein (Rp) / engl. crude protein (CP) = ein Wert, der aus dem Stickstoffgehalt (N-Gehalt) der Trockensubstanz errechnet wird= N-Gehalt x 6,25 (es wird von einem mittleren Stickstoffgehalt der Proteine von 16 % ausgegangen, daraus folgt 100/16 = 6,25) Rohfett (Rfe) / engl. ether extract (EE) = enthält alle Anteile der Trockensubstanz, die mit Fettlösemitteln extrahiert werden können Rohfaser (Rfa) / engl. crude fibre, crude fiber (CF) = Anteil der organischen Substanz, der nach Behandlung der Trockensubstanz mit verdünnten Säuren und Basen zurück bleibt = hauptsächlich unlösliche Polysaccharide aus pflanzlichen Gerüstsubstanzen wie Cellulose, Hemicellulose und Lignin Stickstofffreie Extraktstoffe (Nfe) / engl. nitrogen free extractives (NfE) = rechnerischer Wert: = 1000g - (Rohwasser + Rohasche + Rohprotein + Rohfaser) in g/kg - enthält leicht lösliche Kohlenhydrate wie Stärke, Glycogen und Zucker, aber auch lösliche Anteile pflanzlicher Gerüstsubstanzen wie Pektine und Pentosane 9. Alles umsonst? Seit einigen Jahren hat man erkannt, dass mit der Weender-Analyse die einzelnen Fraktionen der Rohfaser nur unzureichend erfasst werden. Aus diesem Grund lassen sich auch keine korrekten Aussagen zur tatsächlichen Verdaulichkeit und zum Nährwert eines Futtermittels treffen. Einige Bestandteile der Faser werden nicht mit der "Rohfaser", sondern mit den "Stickstofffreien Extraktstoffen" (Nfe) erfasst. Diese enthalten in der Analyse Stärke, und Glycogen, alle Zucker und Inulin – aber auch lösliche Anteile pflanzlicher Gerüstsubstanzen wie Pektine und Teile der Hemicellulosen (Pentosane). Diese sind jedoch nur schwer verdaulich bzw. nur mit Hilfe von Bakterien abbaubar, was zu einer Fehleinschätzung der Verdaulichkeit eines Futters führen kann. Solche Bestandteile können mit Hilfe der erweiterten Weender-Analyse nach van Soest (1991) genauer bestimmt werden. Die Aufschlüsselung im Vergleich zur Weender-Analyse gibt Diagramm 1 wieder. Der gesamte Rohfasergehalt wird als NDF (Neutral Detergent Fibre) bezeichnet, ADF (Acid Detergent Fibre) umfasst Cellulose und Lignin (Lignocellulose) und ist ein Maßstab für den schlecht verdaulichen Zellwandanteil. Der ADF-Gehalt hat somit einen wesentlichen Einfluss auf die Menge Futter, die ein Kaninchen aufnehmen kann. Mit ADL (Acid Detergent Lignin) wird schließlich der Anteil an unverdaulichem Lignin bezeichnet, der mit zunehmendem Alter der Pflanze zunimmt und den Futterverzehr begrenzt. Degupedia Magazin (draft) 14 Diagramm 3: Vergleich der Weender- mit der Futtermittelanalyse nach van Soest Die Diagramme 4 und 5 zeigen die Faserzusammensetzung am Beispiel der Luzerne in der Trocken- und Frischesubstanz. Der braune Balken „Rohfaser“ jeweils neben den Summen der Fraktionen gibt den alten Wert nach der Weender-Analyse für den Rohfasergehalt an. Degupedia Magazin (draft) 15 Diagramm 4: Faser-Zusammensetzung am Beispiel von frischer Luzerne und Luzerneheu in der Trockensubstanz (SCN 1982) Diagramm 5: Faser-Zusammensetzung am Beispiel von frischer Luzerne und Luzerneheu in der Frischesubstanz (SCN 1982) Die beiden Diagramme zeigen, wie weit weg von der Realität man eigentlich mit der bisherigen Analyse lag bzw. liegt. Wird ein Trockenfutter bzw. Heu in großen Mengen gefüttert, hat man keinerlei Kenntnis über den tatsächlichen Gehalt an verdaulichen und unverdaulichen Fasern – mit Heu noch weniger, weil die gesamte Zusammensetzung dieses „Raufutters“ unbekannt ist. Das Degupedia Magazin (draft) 16 Problem wird noch durch eine Fütterung nach dem „Konzept“ 80% Heu + 20% Gemüse verschärft, da dem Tier die Möglichkeit der Selektion fehlt. Die Qualität von Heu in Hinsicht Verdaulichkeit und Nährstoffgehalt ist erheblichen Schwankungen unterworfen, da man ja nicht immer die gleiche gemähte Wiese kaufen kann – dementsprechend schwankt natürlich auch der „Wert“. Von Voigtländer (1987) wurde Heu aus verschiedenen Jahrgängen und Regionen in Bezug auf die Rohfasergehalte ausgewertet. Die Rohfasergehalte schwanken in einem weiten Bereich von etwa 18 - 36%, wobei die meisten Proben einen Rohfasergehalt von ca. 26% in der Frischesubstanz aufwiesen. Als „Hauptnahrungsmittel“ ist ein solches "Futter" denkbar schlecht geeignet. Diagramm 6: Rohfasergehalte verschiedener Heuernten (nach Voigtländer (1978)) 9. Ausblick In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Zusammensetzung der Rohfaser in der natürlichen Nahrung die optimale ist, denn einige "Fraktionen", also Teile der Rohfaser, sind durchaus verdaulich. So liest man immer häufiger von ADF, NDF und ADL – den Abkürzungen für die Fraktionen der Rohfaser. Man hat erkannt, dass nicht Masse zählt, sondern Klasse (Qualität). Dementsprechend gibt es auch bereits Empfehlungen für eine bessere Differenzierung der Gehalte der Rohfaserfraktionen (z. B. Maertens 1999; Gidenne 2000) sowie Nährwerttabellen, die auch die Anteile der verschiedenen Fraktionen aufführen (z. B. Maertens 2002; Lebas 2005; Carabaño 2008). Es reift die Erkenntnis, dass bestimmte, leicht verdauliche Bestandteile der Rohfaser unbedingt nötig sind, um infektiösen Darmerkrankungen vorzubeugen, die ja trotz hohen Rohfaseranteilen im Heu auch Heimtierhaltern zu schaffen machen – der Grund dürfte ganz klar ein teilweises Überwiegen der trockenen Nahrung wie Heu sein. Insbesondere die Hemicellulosen und Degupedia Magazin (draft) 17 Pektine als leichter verdauliche Faserbestandteile rücken ebenfalls in den Mittelpunkt des Interesses (Carabaño 2008). Lebas (2004) stellt in einer zusammenfassenden Arbeit (die 387 Publikationen mit insgesamt 542 Studien zu Futtermitteln enthält) fest, dass über einen Zeitraum von 30 Jahren Versuche in Bezug auf die Rohfaser zu 91,7 % an wachsenden Jungkaninchen durchgeführt wurden, wobei das Hauptaugenmerk auf der Wachstumsrate, also der Leistung, lag. In der Studie wird ein neues Konzept für Empfehlungen der (Mast)-Kaninchenfütterung vorgestellt – inklusive Rohfaserempfehlungen. Tabelle 4: Heutige Empfehlung für den Rohfasergehalt für Kaninchen in der Mast. (Auszug aus Lebas (2004 / Futter für Kaninchen - unabhängig ob wachsend, säugend oder für Erhaltung) Angaben in g/kg Frischesubstanz, TS-Gehalt 90% Ligno-cellulose (ADF) ≥ 160 Lignins (ADL) ≥ 50 Cellulose (ADF - ADL) ≥ 110 Neutral Detergent Fiber (NDF) ≥ 310 Hemicellulose (NDF - ADF) ≥ 100 Starch ≤ 160 Die Futtermittelindustrie ist nun bestrebt, die jeweiligen Anteile der Fraktionen auf den Bedarf des Kaninchens abzustimmen. Was dabei natürlich wieder auf der Strecke bleibt, sind individuelle Bedürfnisse der Tiere. Ein Widerspruch bleibt nach wie vor ungelöst: die Hersteller von pelletiertem Futtermitteln wissen um die Bedeutung der groben, größeren Bestandteile der Nahrung (Struktur) als "Darmputzer", trotzdem werden die Futterbestandteile weiter zermahlen. Also bleibt der Industrie das Problem der Größe der Fasern, da auf den bestehenden Produktionsanlagen die Herstellung von Futtermitteln mit längeren Fasern schwer fallen dürfte. Diese verstopfen sehr schnell die Matrizen, durch die die Masse gedrückt werden muss. Ein Hersteller hat das Problem erkannt und bietet ein Futter an, dessen Bestandteile nicht zermahlen werden. Vielleicht lässt sich dadurch gewissen Darmerkrankungen vorbeugen. Wer seine Tiere artgerecht – also mit Gras und Kräutern in frischer Form ernährt, muss sich aber in Sachen "Rohfaser" keine Gedanken machen, denn die Tiere erhalten damit ADF, NDF und ADL in genau der Zusammensetzung, wie sie nötig und richtig ist – außerdem alle nötigen Nährstoffe und viel Wasser. 10. Eigene Erfahrungen In der Vegetationszeit ernähren sich unsere Tiere fast ausschließlich von frischem Grün (Gräser, Kräuter). Obwohl Heu und Strukturtrockenfutter ständig zur Verfügung steht, wird dieses von Frühjahr bis Herbst nicht mehr verzehrt. Somit nehmen die Tiere die meiste Zeit des Jahres ein Futter auf, welches in der Frischesubstanz einen Rohfasergehalt von weniger als 10 % aufweist. Sie können aus den Grünpflanzen die Art und Zusammensetzung (Stängel/Blatt) wählen – bevorzugt werden die Blätter. Hauptfresszeiten sind der frühe Morgen und der späte Nachmittag bis zur Dämmerung. Durchfallerkrankungen sind den Tieren unbekannt, ebenso wie andere "Unpässlichkeiten", die einen Arztbesuch nötig machen würden. Degupedia Magazin (draft) 18 Zum Teil bleiben bestimmte Mengen an Blinddarmkot liegen, was die Zweifel an einer nötigen Vitamin-B-Versorgung aus dem Blinddarmkot bestärkt. Ebenso ist die Versorgung der Kaninchen durch die artgerechte Nahrung mit weiteren Vitaminen, Proteinen und Fettsäuren offenbar ausreichend, so dass der Blinddarmkot nicht unbedingt nötig ist. Durch den Verzehr der "weichen" Blattspitzen lassen sich auch keine Zahnfehler feststellen – im Gegenteil: bei einem neu hinzugekommenen Tier konnte eine vorhandene Zahnfehlstellung durch die Umstellung auf artgerechte Nahrung korrigiert werden. Tiere, die wir aus anderen Haltungen mit restriktiver Fütterung übernahmen, haben in der Regel bei uns erst einmal zugenommen. Eine Erklärung hierfür dürfte die zusätzliche Menge an Flüssigkeit im frischen Grün und die Nährstoffe, vor allem Aminosäuren, sein. Manches Zwergkaninchen von 1,2 kg kam am Ende auf ein Gewicht 1,4-1,6 kg, welches dann konstant gehalten wurde. Keines der Tiere hat dabei an Fett zugesetzt, sondern lediglich Muskelmasse aufgebaut. 11. Zusammenfassung Obwohl die natürliche Nahrung der Kaninchen überwiegend aus frischen Gräsern und Kräutern besteht und durch Wildblumen, Rinde, Wurzeln sowie Pilzen ergänzt wird, ist in der Heimtierhaltung die Fütterung mit überwiegend trockenem Futter wie Pellets, Mischfutter oder Heu weit verbreitet. Anhand verschiedener Argumente, die eine solche Fütterungsweise befürworten, wird der Frage nachgegangen, ob diese alternative Nahrung tatsächlich den gestellten Erwartungen entspricht und ohne gesundheitliche Risiken die natürliche ersetzen kann. Recherchen und eigene Erfahrungen zeigen, dass jedes beliebige Argument, das für eine überwiegende Fütterung mit Trockenfuttern wie Pellets und Heu (auch mit Ergänzung durch Gemüse) spricht, widerlegt werden kann. Die gesundheitlichen Risiken sind hoch und werden offenbar zugunsten der Bequemlichkeit (geringer Aufwand für Beschaffung und Lagerung) außer Acht gelassen. Vor allem verschiedene Internetforen mit angeblichem Tierschutzcharakter und Tierärzte spielen hier eine unrühmliche Rolle, da sie bequeme, alternative Fütterungstechniken wie Heu und Gemüse befürworten, die eher gesundheitsschädigend als -fördernd sind. Die Gründe, welche in folgendem Artikel erläutert werden, sind: 1. Rohfaser ist in der natürlichen, artgerechten Nahrung (frische Kräuter und Gräser) in relativ geringer Menge, sowie in einer Zusammensetzung und Struktur enthalten, die der Verdauungsphysiologie des Kaninchens entspricht. In getrockneter Nahrung wie Heu ist ein erhöhter Anteil unverdaulicher Rohfaserfraktionen enthalten. In Trockenfutter wie Pellets fehlt die Struktur der Faser. 2. Der Weitertransport der Nahrung und die Erneuerung des Magen- und Darminhalts erfolgt bei artgerechter Fütterung, durch das große Volumen des Futters bedingt, durch den hohen Wasseranteil. Mit getrockneter Nahrung ist der Weitertransport und Erneuerung nur unzureichend gewährleistet. 3. Grobe, unverdauliche Bestandteile der Rohfaser werden schnell durch das Verdauungssystem geschleust und dienen vorrangig der Darmmotorik. Ist ihr Anteil zu groß, verringert sich die Menge an verdaulicher, organischer Substanz und die Zeit für die Verwertung von Nährstoffen. 4. Die Zusammensetzung der Rohfaser in der natürlichen Nahrung (frische Gräser/Kräuter als Hauptbestandteil) ist bei freier Auswahl durch ein bestimmtes Verhältnis von verdaulich/unverdaulich an die Verdauungsvorgänge angepasst. Degupedia Magazin (draft) 19 5. Wird die Struktur und Zusammensetzung der Rohfaser durch Bearbeitung (Trocknung, mechanische Zerstörung in Trockenfutter) verändert, kann sie ihre ursprüngliche Funktion nur noch zum Teil oder nicht mehr erfüllen. In Pellets wird versucht, über die Masse den Strukturverlust auszugleichen. Für eine gesunde Verdauung ist also nicht allein die Menge an Rohfasern entscheidend, sondern vor allem ihre Struktur und Zusammensetzung. 6. Die Versuche zum "optimalen" Rohfasergehalt in Trockenfuttermitteln wurden in der Vergangenheit ohne Kenntnis der Zusammensetzung der Rohfaser durchgeführt. Daraus folgen zum Teil sehr unterschiedliche Empfehlungen. Die Weender-Analyse liefert keine aussagekräftigen Werte zum Fasergehalt eines Futters, weshalb letztlich eine Aussage zur Verdaulichkeit sowie zum Nährstoffgehalt und somit zum Wert des Futters nicht getroffen werden kann. 7. Zu hohe Rohfaseranteile im Futter (> 22 %) begünstigen Krankheiten wie Verstopfung, Durchfall und Mukoide Enteritis. Der Rohfasergehalt im natürlichen Futter (Gräser/Kräuter) liegt unter 10 %, im Trockenfutter bei ca. 15 % und im Heu zwischen 20 und 35 %. 8. Empfehlungen zur Menge der Rohfaser in der Nahrung von Kaninchen, die auch von Tierschutzorganisationen ausgesprochen werden, stammen aus der intensiven Masttierhaltung und sind darauf ausgerichtet, Tiere in kurzer Zeit mit maximaler Leistung (Verhältnis Futteraufwand/-preis zur Fleischentwicklung) zu mästen. 9. Für den Zahnabrieb ist nicht die Härte bzw. Festigkeit des Futters entscheidend, sondern die Dauer sowie die Art und Weise des Kauvorganges. Dieser ist durch artgerechte Nahrung wie Gras und Kräutern am besten gegeben. Wer Tiere anschafft oder "rettet", um ihnen ein adäquates Leben zu ermöglichen, sollte diese auch gemäß ihren Ansprüchen und Bedürfnissen ernähren. Empfehlungen aus der Masttierhaltung sind dafür nicht geeignet. In der Nutztierhaltung wurde die Notwendigkeit eines Umdenkens in punkto "Rohfaser" bereits erkannt – in der Heimtierhaltung und in bestimmten Kreisen des Tierschutzes offenbar noch nicht. Die Rohfaser ist dabei nur ein Aspekt, denn die Alternativen zur wirklich artgerechten Nahrung bergen noch weitere Schwachstellen, welche die Gesundheit der Tiere beeinträchtigen können. 10. Quellen Abgarowicz, F. (1949): Untersuchungen über den Einfluss des Ballastes in der Nahrung des Kaninchens - Ein Beitrag zur Abklärung der Rolle des Ballastes bei der Ernährung der landwirtschaftlichen Nutztiere. Diss. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Bernemann, U. (2005): Krippenfuttermittel für Pferde, Entwicklungen vom Beginn des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts (Mitteleuropa und Nordamerika). Diss. Tierärztliche Hochschule Hannover. Bi You; Chiou, P. W. S. (1996): Effects of crude fibre level in the diet on the intestinal morphology of growing rabbits. Laboratory Animals 30. 143-148. 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