alabama

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D e r F al l A l a b a m a
Genf 1872
Erweiterte Ausgabe, 2004
Staatskanzlei Genf
Presse- und Informationsdienst
-
Haben Sie schon mal vom Grab der Matrosen der Alabama gehört?
Ich kenne das Grab der Besatzung eines U-Boots, der Prométhée. Es ist auf der Höhe
von Cherbourg untergegangen, weil einer vergessen hatte, die Türe zu schliessen!
Nein, es geht um eine andere Geschichte… um eine Seeschlacht, die sich 1864 genau
hier abgespielt hat...
Ach wissen Sie, ich bin nicht von hier, aber meine Schwiegereltern ...
Kennen Sie das Grab der Alabama? Wie sagten Sie?
Ja, das ist der Name eines amerikanischen Schiffs, das untergegangen sein soll...
Ein Amerikaner der untergegangen ist? Na so was!
(Dialogfragmente, die der Journalist Raoul Riesen bei Nachforschungen zum AlabamaFall in Cherbourg aufgezeichnet hat.)
1
INDEX
VORWORT.......................................................................................................................... 3
HISTORISCHE EREIGNISSE .......................................................................................... 4
GESCHICHTE DES ALABAMA-SAALES ..................................................................... 5
HISTORISCHES ZUM ALABAMA-FALL ..................................................................... 6
ALABAMA ........................................................................................................................ 31
SEEWEG MÄRZ 1862 BIS JUNI 1864 ........................................................................... 31
JAHRHUNDERT-RETROSPEKTIVE ZUM ALABAMA-SCHIEDSSPRUCH ....... 32
DIE BEDEUTUNG DES ALABAMA-SCHIEDSSPRUCHS ........................................ 34
DIE DREI REGELN ......................................................................................................... 36
EIN FASZINIERENDES UND BEGEHRTES WRACK .............................................. 46
EINIGUNG ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK FRANKREICH
UND DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ........ 52
2

VORWORT
Der Alabama-Saal gilt als Sinnbild der internationalen Stadt Genf. Der Besucher dieses
magischen Saals im Herzen des alten Ratshauses der Stadt fragt sich zu Recht, was den
Namen eines Staates im Süden der USA mit unserer Republik und unserem Kanton
verbindet.
Um diese Frage zu beantworten, muss man die Geschichte bis zum amerikanischen
Bürgerkrieg, der sich zwischen 1861 und 1865 zwischen dem Norden und dem Süden des
Landes abgespielt hat, zurückverfolgen. Ursache dieses Falles war ein diplomatischer
Streit zwischen der amerikanischen Regierung und England um Kriegsschäden, die die
amerikanische Flotte durch die Freibeuter-Flotte des Südstaatenbundes und insbesondere
durch die Alabama, ein von den Briten erbautes Kriegsschiff, erlitten hatte.
Nach Abschluss des Vertrages von Washington am 8. Mai 1871 wurde dieser Fall im
Sommer 1872 einem internationalen Schiedsgericht vorgelegt. Im September desselben
Jahres äusserte sich der italienische Graf Federico Sclopis, der die Funktion des
Oberschiedsrichters inne hatte zum Fall und fragte: „Warum hat der Vertrag von
Washington, dem wir dieses Schiedsgericht verdanken, vorgesehen, dass dies Gericht in
der Schweiz tagt? Das hat seinen Grund. Man musste ein Land finden, in dem ein
angemessenes Klima für unsere heiklen Debatten herrscht. Einen Ort, an dem sich ein
ausgeglichener Freiheitsgeist mit einem Sinn für öffentliche Ordnung verbindet und wo
Tradition nicht nur die Taten der Gegenwart prägt, sondern auch die der Zukunft
gewährleistet.“*
Nachdem im Rathaus am 22. August 1864 die Genfer Konvention zur Hilfe von
Kriegsverwundeten unterschrieben worden war, wurde mit dem Schiedsspruch im Fall
Alabama, der ebenfalls im Rathaus gesprochen wurde, genauer in der alten Empfangshalle
der Seigneurie, das Schicksal Genfs als Stadt des Friedens besiegelt.
Am 26. November 1997 dann, trafen Vertreter der Schweizerischen Eidgenossenschaft im
Alabama-Saal die Entscheidung zur Gründung des Internationalen Zentrums für
Humanitäre Minenräumung in Genf (GICHD)1. Somit haben wir einen dritten Meilenstein,
der diesem Saal seine besondere Bedeutung verleiht. Haben doch hier Ereignisse und
internationale Verhandlungen stattgefunden, die auf eindrückliche Art und Weise bewiesen
haben, dass Rechtssprechung über Gewaltanwendung gestellt wird.
Der Alabama-Saal zeugt aber auch von
Menschenrechten und dem „Esprit de Genève“.
einer
tiefen
Verbindung
zwischen
Der Schriftsteller Robert de Traz schrieb: „Friede ist nicht totale Ruhe - eine nicht
umsetzbare Immobilität. Friede ist eine unaufhörliche Wiederaufnahme von
Gegebenheiten, die sich von Natur aus widersprechen. Friede ist der Punkt, an dem man
immer und immer wieder neu ansetzt.“* Der Alabama-Saal stellt den idealen Ort für diese
ständige Wiederaufnahme, diesen Neubeginn dar.
*
1
Anm. d Übers.: Eigene Übersetzung
Geneva International Centre for Humanitarian Deminig (Anm. d. Übers.)
3
Robert Hensler
Staatskanzler

HISTORISCHE EREIGNISSE
welche im Alabama-Saal stattgefunden haben:
1864
Erste Unterzeichung der Genfer Konvention zur Hilfe von Kriegsverwundeten
1950
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen
Ölkonzernen und den Öl produzierenden Ländern
1953
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen
Frankreich und Spanien um den See von Lanoux (Pyrenäen)
1958
Entstehung erster Ideen zur Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation
(EFTA)
1963
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts bezüglich der
Auslegung des Abkommens zur Luftfahrt zwischen den Vereinigten Staaten und
Frankreich
1966-68 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen
Pakistan und Indien um Kaschmir
1976
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen dem
Vereinigten Königreich und Frankreich bezüglich dem „Mer d’Iroise“
1976
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Chile
und Argentinien um den Beagle Channel
1978
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen
Frankreich und den Vereinigten Staaten bezüglich der Bruchlast im Luftverkehr
der PanAm auf der Strecke San Francisco-Paris via London
1986
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen der
kanadischen und der französischen Regierung bezüglich der Auslegung des
Abkommens des gegenseitigen Fischereirechts, 1972 in Ottawa unterzeichnet
1986-88 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen
Ägypten und Israel bezüglich der Enklave Taba in der Wüste Sinai am Golf von
Akaba
1988
Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen GuineaBissau und dem Senegal bezüglich der Aufhebung der gemeinsamen Seegrenze
1998
Offizielle Gründung des Internationalen
Minenräumung in Genf (GICHD)
4
Zentrums
für
Humanitäre
1999
Unterzeichung des „Appel de Genève“. Eine Beitrittserklärung für nicht
staatliche Organisationen (NGO) zum Gesamtverbot von Minen und anderen
humanitären Normen anlässlich des 50. Jahrestags der Genfer Konvention
2001
Übergabe der Deklaration des Bundesrates zur Anerkennung des armenischen
Genozids von 1915 an den ständigen Vertreter Armeniens in Genf.
GESCHICHTE DES ALABAMA-SAALES

Von M. W. Zurbuchen, ehemaliger Archivar des Kantons Genf
Der Platz, auf dem heute der Flügel des Genfer Rathauses steht, in dem sich der AlabamaSaal befindet, gehörte früher zum von den Allobrogern besetzten Gebiet und wurde im
Jahre 58 vor Christus von Cäsar bei seiner Ankunft in Genf entdeckt. Er befand sich
innerhalb des Römerwalles, der um 270 bis 280 nach Christus zur Zeit der ersten
alemannischen Angriffe erbaut worden war. Diese Mauer wurde durch den sogenannten
Bischofswall ersetzt und im XIV. Jahrhundert verstärkt. Die Südfassade des heutigen
Gebäudes steht genau am Platz der früheren Mauer.
Verschiedene Gebäude wurden nach und nach an der selben Stelle errichtet; das vorletzte,
„Maison Turretin“ genannt, wurde im Jahre 1700 von den Behörden zurück gekauft, um
den Bau eines Saales für den Rat der Zweihundert zu ermöglichen. Dieser Saal, in dem
heute der Grosse Rat tagt, nahm den ersten Stock des Gebäudes ein, das damals den
Rathaushof im Süden begrenzte. Im Erdgeschoss wurde der grosse Festsaal eingerichtet,
im Westen dominiert von einem Vorzimmer und einer Anrichte.
Bis 1792 diente dieser Festsaal (der nicht nur aus dem heutigen Alabama-Saal, sondern
auch aus einem Salon und einem angrenzenden Vorzimmer bestand) für Empfänge, die die
Regierung der Genfer Republik zu Ehren bedeutender Persönlichkeiten gab: Prinzen,
Generäle, Botschafter, in Genf residierende Minister der Könige Frankreichs und
Sardiniens. Mit der Revolution änderte sich dies: Der frühere Festsaal wurde in einen
Audienzsaal und Büroräume umgewandelt, um die neu geschaffenen, von der Exekutive
unabhängigen Gerichte unterzubringen. Aus dieser Zeit stammt die heutige Aufteilung in
drei Säle. 1798, kurze Zeit später, nach der Annektierung durch Frankreich wurde Genf
Hauptstadt des Departements Léman und aus den drei Sälen entstanden die
Räumlichkeiten für ein Strafgericht (der heutige Alabama-Saal), eine Gerichtskanzlei und
ein kleines Zimmer für den Generalstab.
Das Strafgericht befand sich so lange in diesem Saal, bis die 1856 begonnene Errichtung
des Kantonspitals abgeschlossen war und den jetzigen Palais de Justice freigab, so dass
1861 alle Justizbehörden dorthin verlegt werden konnten. Von 1789 bis 1861 wurden
innerhalb dieser Mauern, ungeachtet der Abwesenheitsurteile, 38 Todesurteile gefällt,
davon 33 unter dem französischen Regime, also noch vor 1813.
Die alten Räumlichkeiten sollten bis spätestens 1864 komplett renoviert werden, da in
diesem Jahr im grössten Saal, der speziell für diese Gelegenheit möbliert und dekoriert
wurde, die Sitzungen des internationalen Kongresses stattfanden, welche am 22. August
zum Abschluss der Genfer Konvention führten und das Rote Kreuz ins Leben riefen.
5
Seit jener Zeit steht dieser Saal der Staatskanzlei permanent zur Verfügung und wird für
internationale Verhandlungen auf neutralem Boden genutzt. Ursprünglich war der Saal für
das Schiedsgericht bestimmt, das für den Vertrag von Washington im Jahre 1871 errichtet
worden war. Dieser Vertrag gab ihm seinen Namen, den er auch heute noch trägt: Salle de
l’Alabama. Seither haben jedoch auch andere Schiedsgerichte ihre Verhandlungen hier
abgehalten.
Gelegentlich werden der Saal und die angrenzenden Räumlichkeiten für Empfänge
genutzt, wobei derjenige zu Ehren von Papst Paul VI am 10. Juni 1969 zweifellos zu den
bedeutendsten zählte.
HISTORISCHES ZUM ALABAMA-FALL

Von Ladislas Mysyrowicz, Forschungsbeauftragter der Universität Genf
Im Frühling 1861 entbrannte mit dem Sezessionskrieg ein Bürgerkrieg auf amerikanischem
Boden. Es stand viel auf dem Spiel: Über die Befreiung der Sklaven und die Zukunft der
Vereinigten Staaten als Grossmacht würden somit endgültig die Waffen entscheiden.
Das Kräfteverhältnis zwischen dem demokratischen und industriellen Norden und dem
konservativen und landwirtschaftlichen Süden war auf den ersten Blick alles andere als
ausgeglichen. Ohne das Eingreifen Europas, insbesondere Grossbritanniens, sollte
eigentlich die Seite mit dem grössten Heer und dem meisten Kriegsmaterial – also
diejenige unter der Führung Abraham Lincolns – den Sieg davontragen. Die Kämpfe
hielten jedoch für die damalige Zeit ungewöhnlich lange an (1861-1865). Das Ausmass des
Krieges und die Art der Kriegsführung gab einen Vorgeschmack auf die grossen Konflikte
des 20. Jahrhunderts.
England auf der Anklagebank
Nach Ende des Bürgerkriegs machten es sich die Vereinigten Staaten leicht und schoben
die Schuld für die lange Dauer des Konfliktes auf England. Die aufständische
Konföderation wäre schneller und kostengünstiger besiegt worden, wenn sie von Seiten der
Engländer keine Unterstützung erhalten hätte, vor allem, wenn sie nicht die 20 englischen
Kriegsschiffe – darunter die berühmte Alabama – hätte beschaffen können. England wurde
für die unnötige Verlängerung der Feindseligkeiten verantwortlich gemacht; früher oder
später würde es dafür bezahlen müssen! Die lang gehegte Abneigung gegen die ehemalige
Kolonialmacht vertiefte sich. Die Sieger des Bürgerkrieges beschuldigten England, der
grossen Republik der Neuen Welt bewusst einen schweren Schlag versetzt zu haben.
Zu Beginn des amerikanischen Konfliktes stellte sich die britische Öffentlichkeit hinter
den Norden, wobei ihre Haltung gegen die Sklaverei eine wichtige Rolle spielte.
Seit mehreren Jahrzehnten war Grossbritannien ein Vorreiter der Bewegung zur
Abschaffung der Sklaverei. Die Tatsache, dass die Baumwollpflanzer des Südens, denen
die Sklaverei in ihrer eigenen Region nicht genügte, ihr abstossendes System in die
unbesiedelten Gegenden des Westens ausweiten wollten, schockierte die britische
Öffentlichkeit.
6
Eine geteilte Meinung in der Öffentlichkeit
Ein Faktor trug jedoch dazu bei, die Begeisterung für den Norden zu dämpfen und eine
rein moralische Betrachtung des Konfliktes zu verhindern: Die vorsichtige Taktik von
Präsident Lincoln, der deutlich erklärte, er hätte keinerlei Absicht, direkt oder indirekt
gegen die Sklaverei vorzugehen.
Die englischen Handelsleute, gewohnt daran, das internationale Geschehen aus
wirtschaftlicher Perspektive zu betrachten, fragten sich natürlich, ob man sich in Amerika
denn wirklich aus edlen Gründen bekämpfte oder ob nicht materielle Interessen im
Vordergrund standen. Sollte man nicht besser Skepsis bewahren und auch in dieser
Angelegenheit auf den eigenen Vorteil bedacht sein? Allmählich spaltete sich die Meinung
der englischen Öffentlichkeit in Bezug auf den Sezessionskrieg. Dabei standen die Arbeiter
trotz des so genannten „Baumwollhungers“, der eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hatte,
geschlossen hinter den Nordstaaten. Industrie und Handel dagegen zeigten eine wachsende
Sympathie für die Sezessionisten, denn das liberale England war nicht nur Befürworter der
Abolition, sondern auch des Abbaus von Zöllen. Obwohl der Süden der Vereinigten
Staaten eine Bastion zur Unterdrückung der Schwarzen darstellte, war man dort aufgrund
des Wirtschaftssystems gleichzeitig überzeugt vom Prinzip des Freihandels. Die
Baumwollpflanzer beuteten die Arbeitskraft der Sklaven aus, predigten jedoch Freiverkehr,
während die Industriellen unter den „Yankees“ sich durch prohibitive Zölle gegen die
englische Konkurrenz schützten.
Eine realistische Aussenpolitik
Während dieser Konjunktur strebte die englische Regierung nicht danach, die interne
amerikanische Krise auszunutzen. Sie zeigte weder Hinterhältigkeit noch Grosszügigkeit.
Ihr Verhalten? Die vollständige Wahrung der nationalen britischen Interessen ohne
offensichtliche Verletzung des Rechts und ohne Herstellung eines zu guten Verhältnisses
zu den Amerikanern, seien es Nord- oder Südstaaten; keine unklaren Machenschaften, aber
auch nichts, das dem guten Zweck, nämlich der Legalität und den Menschenrechten,
diente. Mit Washington unterhielt man eine möglichst korrekte Beziehung, während
inoffiziell Kontakt zur Führung der Rebellen aufgenommen wurde.
Dies verlief nicht ohne Probleme. Für einige davon war der amerikanische Aussenminister
Seward, verantwortlich, der in einem Krieg gegen eine europäische Grossmacht eine
willkommene Abwechslung zu den internen Konflikten seines Landes sah. Die
hartnäckigsten Schwierigkeiten ergaben sich jedoch aus der unklaren Haltung der
Engländer.
Bürgerkrieg und Seerecht
Von Anfang an war auch das Meer Schauplatz des amerikanischen Bürgerkrieges. Am 13.
April 1861 bombardierten die Sezessionisten Fort Sumter im Hafen von Charleston, das
von Truppen der Union bewacht wurde. Einige Tage nach Beginn der Feindseligkeiten
rekrutierte Jefferson Davis, Präsident der aufständischen Konföderation, Korsaren für
Angriffe auf die Handelsschiffe der Union. Präsident Lincoln reagierte unverzüglich mit
einer Blockade von Häfen der Konföderation. Am 13. Mai bereits galten die Sezessionisten
nach Auffassung des britischen Kabinetts offiziell als Krieg führende Partei. Gleichzeitig
betonte das Kabinett seine Neutralität in diesem Konflikt und legte grössten Wert darauf,
7
seine Verpflichtungen der Krone gegenüber in Erinnerung zu rufen. Aufgrund ihrer
Neutralität war es den Briten rechtlich verboten, unter der Flagge der einen oder anderen
Partei zu kämpfen oder Kriegsschiffe für eine Kriegspartei auszurüsten. Im Gegenzug
konnte England darauf hoffen, seinen Überseehandel vor den direkten Auswirkungen des
Krieges zu schützen. Das heisst, nach dem Völkerrecht konnten weder neutrale Güter unter
feindlicher Flagge, noch feindliche Güter unter neutraler Flagge (ausser bei Schmuggel)
beschlagnahmt werden. Wenn es also der amerikanischen Kriegsmarine nicht gelang, ein
enges Überwachungsnetz um die Häfen der Aufständischen zu legen, könnten die
„Konföderierten Staaten“ ihre wertvolle Baumwolle weiterhin exportieren und im
Gegenzug Waffen, Munition und anderes Kriegsmaterial beziehen. Auf offener See wären
die Transporte der Südstaaten durch den neutralen Union Jack geschützt; ausserhalb der
schmalen Blockadezone, die durch das internationale Recht streng limitiert und strikten
Konditionen unterworfen war, wären sie unangreifbar.
Blockade und Waffenlieferungen
Im Gegensatz zu den Plänen der britischen Diplomatie zeigte sich die von Lincoln
ausgerufene Blockade sehr wirksam. Selbstverständlich war eine rigorose Überwachung
der mehr als dreitausend Kilometer langen Küste mit ihren vielen Buchten und
Einschnitten, die für Schiffe mit geringem Tiefgang leicht zugänglich waren, unmöglich.
Die wichtigsten Häfen des Südens jedoch, die als einzige für den Export der voluminösen
Baumwollballen in Frage kamen, wurden nach und nach für die Schifffahrt gesperrt.
Mit der Beschaffung von Waffen und Munition aus dem Ausland, d.h. hauptsächlich aus
Grossbritannien, hatten die Aufständischen keine Mühe. Der Waffenhandel galt als eine
absolut private Angelegenheit. So hatten Privatleute aus den neutralen Staaten freie Hand
beim Verkauf von Kriegsmaterial. Einzige Einschränkung war, dass sie im Falle einer
Beschlagnahme der Ware in Blockadezonen keinerlei diplomatischen Schutz in Anspruch
nehmen konnten. Die Vertreter des Militärs der Südstaaten hatten also ein leichtes Spiel:
Sie kauften Waffen in England und liessen sie zu einer der Kronkolonien nahe der
amerikanischen Küste bringen. Dort wurde die Kriegsfracht auf leichte Segelschiffe der
Südstaaten umgeladen, denen es im Allgemeinen problemlos gelang, den „Yankee“Patrouillen zu entkommen.
Dieser Güterverkehr irritierte die Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten. Aber was tun?
Ein Konflikt mit England wäre den Rebellen nur entgegengekommen. Und Protest wäre
zwecklos gewesen, da die Stellung der Briten rechtlich unangreifbar war und durch
Präzedenzfälle der amerikanischen Regierung gestützt wurde. Denn 1793 hatte Präsident
Thomas Jefferson das Recht gegen England verteidigt, dass neutrale Bürger seines Landes
Waffen und Munition nach Europa, das damals unter britischer Blockade stand, liefern
konnten. Anlässlich des erst vor kurzem beendeten Krimkrieges hatten die amerikanischen
Diplomaten das gleiche Prinzip geltend gemacht. Überdies: Tätigten die Vereinigten
Staaten nicht zur gleichen Zeit Waffenkäufe in viel grösserem Ausmass mit England als
die Konföderierten?
Das Problem der Kriegsschiffe
Aber bald wollten die Südstaaten nicht mehr nur Waffen für ihre Soldaten. Sie benötigten
auch Kriegsschiffe für die Kaperfahrten, die seit April 1861 von ihrem Präsidenten
verlangt wurden. Da sie über keine Militärmarine verfügten, um die Handelsschiffe der
8
Union anzugreifen und um sich aus dem Dilemma, in dem sie sich befanden, zu befreien,
beabsichtigten sie, ihre Bestellung an die englischen Schiffswerften zu richten.
Ein solcher Handel war jedoch laut der Gesetze zur Neutralität Englands ausdrücklich
verboten. Es stand daher für die Militäragenten der Südstaaten ausser Frage, Kriegsschiffe
offenkundig in den englischen Häfen bauen zu lassen. Aber warum sollte man nicht
versuchen, das Gesetz zu umgehen, indem man einen falschen Schein wahrte und auf mehr
oder weniger geheime Zusammenarbeit zählte? Umso mehr, als das geltende Gesetz in
England die Beschlagnahmung eines verdächtigen Schiffes nur nach einer formgerechten
Beweisführung hinsichtlich eines Vergehens erlaubte. Ein Verdacht, war er auch noch so
stark, genügte nicht. Diesbezüglich wurden die englischen Vorschriften besonders genau
genommen.
Bulloch, der Agent der Konföderation, der mit den Waffenbestellungen in England
beauftragt war, beriet sich mit englischen Experten. Unter der Bedingung, den Foreign
Enlistment Act zu befolgen, der die englischen Neutralitätsverpflichtungen regelte, gäbe es
sicher einen Weg, gegen dessen Sinn und Zweck ungestraft zu verstossen. Einige
grundlegende Vorkehrungen mussten jedoch getroffen werden. Es durfte nicht offiziell
zugegeben werden, dass die Regierung der Konföderation hinter dem Kauf der Schiffe
stand und zudem durften die Kanonen erst an Bord installiert werden, wenn die Schiffe die
britischen Gewässer verlassen hatten.
Oreto-Florida
Im März 1862 verliess das erste unter diesen Bedingungen gebaute Schiff den Hafen von
Liverpool. Es war ein stattlicher Dreimaster namens Oreto. Ein englischer Strohmann war
mit der Bestellung, die angeblich für die italienische Regierung bestimmt war, beauftragt
worden. Dass das Schiff, versehen mit Luken für zehn Kanonen, eigentlich für die
Südstaaten gebaut worden war, erfuhr der amerikanische Konsul in Liverpool ziemlich
bald. Lord Russell, Leiter des Aussenministeriums, wurde von C.F. Adams, dem von ihm
akkreditierten bevollmächtigten amerikanischen Minister, darüber informiert.
Russell gab sich damit zufrieden, die Klage der amerikanischen Auslandsvertretung an die
Zollverwaltung von Liverpool weiterzureichen, die die falschen Erklärungen blind
akzeptierte. Die Oreto konnte also ungehindert auslaufen und Kurs auf den Golf von
Mexiko nehmen. Beim Zwischenstopp in Nassau legte zur gleichen Zeit auch ein
konföderierter Dampfer mit Kanonen an Bord an. Dieser seltsame Zufall erregte die
Aufmerksamkeit des amerikanischen Konsuls der Insel, der sich beim Gouverneur der
britischen Kolonie beschwerte. Es folgte ein Prozess, im Laufe dessen der Kapitän der
Oreto unter seltsamen Bedingungen freigesprochen wurde. Wenig später erhielt die Oreto,
vor neugierigen Blicken geschützt, die zur Ausstattung eines Korsarenschiffes nötigen
Kanonen und Pulverfässer. Mit ihrer britischen Besatzung erreichte sie den
Südstaatenhafen von Mobile, erhielt den Namen Florida und begann ihre Karriere als
Korvette der Konföderation2.
Das Unterfangen der Alabama
Der Freispruch der Oreto-Florida war für die Aufständischen ein zusätzlicher Ansporn,
weil sich in eben diesem Hafen von Liverpool gerade ein anderes Schiff in der letzten
2
Die Florida wurde am 6. Oktober 1864 im Hafen von Bahia (Brasilien) durch den Kreuzer USS Wachusett
gekapert, was eine offensichtliche Verletzung der brasilianischen Souveränität bedeutete.
9
Bauphase befand. Es war für den gleichen Zweck bestimmt wie die Oreto, nur vollendeter
in der Ausführung. Zu diesem Zeitpunkt wurde es noch als „Nr. 290“ bezeichnet, später
aber sollte es mit dem Namen Alabama für seine Plünderungen berühmt werden und der
gesamten Affäre um die in England für die Konföderation gebauten Schiffe den Namen
geben. Der Bau der 290 wurde von Bulloch im Geheimen bei der Schiffswerft Laird in
Auftrag gegeben. Einer der Betriebsführer dieses Unternehmens hatte einen Sitz im
Parlament von Westminster. Aus Vorsicht wurde das Gerücht in Umlauf gebracht, das
Schiff wäre für das Reich der Mitte bestimmt, jedoch erfuhr der amerikanische Konsul
ohne grosse Mühe, dass es sich hierbei nicht um einen chinesischen Auftrag handelt – dies
war ein „offenes Geheimnis“ in der Stadt.
Lord Russell wurde von Minister Adams auf die 290, deren Konstruktion beinahe beendet
war, aufmerksam gemacht. Er begnügte sich aber ein weiteres Mal damit, die
Angelegenheit der Zollbehörde von Liverpool zu melden, nach deren Einschätzung keine
juristischen Grundlagen vorlägen, die eine Beschlagnahme rechtfertigten. Im folgenden
Monat erhielt Russell von C. F. Adams einen weiteren Bericht, zusammen mit einem
ausführlichen Dossier, worauf er aber nicht weiter einging. Einige Tage später jedoch
wurde der Chef des Aussenministeriums aktiv, als ihm der amerikanische Minister das
Gutachten eines hervorragenden Juristen zukommen liess. Darin wurde deutlich auf die
Pflicht der Regierung Ihrer Majestät hingewiesen, die 290 zu beschlagnahmen. Daraufhin
verlangte Russell eindringlich ein Gegengutachten, welches von Juristen mit Bewilligung
der Krone erstellt werden sollte. Dies führte zu einem grossen Zeitverlust.
Unglücklicherweise verlor der zuständige Experte plötzlich den Verstand; das sakrosankte
englische Wochenende sorgte schliesslich für noch mehr Verzögerung. Die
Beschlagnahme der 290 wurde dann auf den Nachmittag des 28. Juli 1862 verlegt. Am
Morgen desselben Tages gelang dem Schiff jedoch dank einer "undichten Stelle" unter
einem falschen Vorwand die Flucht. Russell sah sich hintergangen und suchte eine
Gelegenheit, seine Nachlässigkeit wieder gut zu machen. Er bot der britischen Marine an,
den Deserteur selbst zu verfolgen und forderte die königliche Hafenbehörde auf, sich des
Schiffes zu bemächtigen, falls es sich in ihrer Reichweite befinden sollte. Das Kabinett
weigerte sich jedoch, diese Massnahme zu ergreifen. Die 290 erreichte mühelos die
Azoren, wo sich ihr ein Dampfer anschloss, der sie mit Kanonen und Munition belieferte.
Mit all den Waffen versehen, erhielt sie nun den Namen Alabama und wurde mitsamt eines
grossen Teils ihrer englischen Besatzung als südstaatliches Korsarenschiff angemustert.
Der sachkundige und kompromisslose Kapitän Semmes steuerte die Alabama mehrmals
durch den Atlantik, führte sie durch den Golf von Mexiko, entlang der brasilianischen
Küste, am Kap der Guten Hoffnung vorbei bis in den Indischen Ozean. Die Alabama
plünderte Handelsschiffe und amerikanische Fischerboote. Sie brachte mehr als sechzig
Schiffe auf, die meisten davon steckte sie auf hoher See in Brand. Dies hatte zur Folge,
dass die Versicherungsprämien für Schiffe mit amerikanischer Flagge blitzartig in die
Höhe schossen. Es kam sogar soweit, dass ein beachtlicher Anteil des amerikanischen
Überseehandels in die Hände von Firmen aus neutralen Staaten gegeben wurde, was in
erster Linie natürlich England zu Gute kam.
Ein Duell auf See
Die schicksalhafte Laufbahn der Alabama endete erst 22 Monate nachdem sie England
verlassen hatte. Von der turbulenten Reise gezeichnet, lief sie am 11. Juni 1864 den Hafen
von Cherbourg an. Hierzu ist in einer Korrespondenz aus dem "Journal de Genève"
10
Folgendes zu lesen: "Das berühmte südstaatliche Korsarenschiff3 hat zwar grossen
Seeschaden erlitten, es scheint jedoch bei der letzten Eroberung viel Beute gemacht zu
haben. In Zusammenhang mit der letzten Plünderung spricht man von 60'000 Franken pro
Matrose. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, wie hoch ist dann der Anteil eines
Offiziers?“
Admiral Semmes bat den örtlichen Küstenbefehlshaber um Erlaubnis, sein Schiff auf der
Laderampe reparieren zu lassen. Angesichts der Neutralität Frankreichs galt dieser Fall
jedoch als zweifelhaft und man bat die Regierung in Paris um eine Beurteilung. Zu diesem
Zeitpunkt in der Geschichte tauchte nun die USS Kearsarge auf, die sich gerade im
Ärmelkanal befand.
Die Alabama hatte auf der inneren Seite des Dammes von Cherbourg Anker geworfen,
während die Kearsarge ausserhalb Stellung bezog und ihren Gegner stets im Auge behielt.
Jeden Abend segelte sie den Damm entlang, kehrte aber gegen zehn Uhr stets in die
unmittelbare Nähe der Alabama zurück.
Die französischen Behörden befürchteten, das Hafenbecken von Cherbourg könne zum
Schauplatz einer Seeschlacht werden. Bereits im Oktober 1863 kam es im Hafen von Brest
fast zu einem bewaffneten Zwischenfall zwischen der Florida und der Kearsarge. Kapitän
Semmes wurde der ständigen Provokation durch den Kommandanten Winslow
überdrüssig, den er noch aus seiner Studienzeit kannte. Er gab öffentlich bekannt, dass er
am Morgen des 19. Juni zwischen acht und zehn Uhr den Ankerplatz von Cherbourg
verlassen werde.
An diesem Tag "waren ab acht Uhr der Damm, die Mäste der Schiffe im Militärhafen und
auf dem Ankerplatz, sowie die Erhöhungen rund um den Hafen restlos überlaufen"*,
meldete der Berichterstatter des "Journal des Débats". In einer Depesche, erschienen im
"Journal de Genève", wurde berichtet, dass ein "Vergnügungszug" 1500 Neugierige aus
der französischen Hauptstadt zum Schauplatz brachte. Dabei ist zu erwähnen, dass der
Maler Eduard Manet sich auf ein Segelschiff begab, von wo aus er die beeindruckende
Szene bewundern und gleichzeitig auf Leinwand festhalten konnte.
Die beiden Schiffe waren etwa gleich stark; während die Alabama mit acht Kanonen
ausgerüstet war, verfügte das Schiff der Vereinigten Staaten nur über sieben, dafür aber
von grösserem Kaliber, und war zusätzlich durch eine aus riesigen Ketten bestehende
Panzerung geschützt. Dieses war also ein wahrhaftiges Kriegsschiff, während sein Gegner
bisher nur Kämpfe gegen wehrlose Handelsschiffe gewonnen hatte. Der Sonderbeauftragte
3
Die Nordstaatler betrachteten die Alabama schlichtweg als Piratenschiff, die Südstaatler hingegen
behaupteten, es handle sich um ein Schiff der regulären Kriegsmarine ihres Staates. Die neutralen Staaten
stuften es ebenfalls als Korsarenschiff ein, obwohl man sich die Frage stellen kann, ob es technisch gesehen
wirklich als solches gelten kann. Aus Gründen der Verständlichkeit werden wir auf diese Frage nicht
ausführlicher eingehen. Entscheidend ist, dass die Vereinigten Staaten bis zum Sezessionskrieg der "Pariser
Deklaration" (1856), welche die Kaperfahrt abschaffte, nicht beigetreten waren. Dieser Umstand erlaubte der
Alabama und ihren Wetteiferern, sich in den neutralen Häfen niederzulassen ohne als gesetzlos zu gelten. Die
Tatsache, dass die Mehrheit der Besatzung britischer Herkunft war und dass sie Anspruch auf die Beute
hatte, besonders aber die Tatsache, dass Semmes auf hoher See aufgrund eines Scheinurteils die gekaperten
Schiffe anzündete, erlaubt es uns, dieses Schiff – zumindest de facto – als Korsarenschiff zu bezeichnen.
*
Anm. d. Übers.: eigene Übersetzung
11
des "Journal de Genève" fuhr folgendermassen mit seiner Berichterstattung fort: "Die
Alabama verliess den Ankerplatz gegen zehn Uhr und wurde dabei von der gepanzerten
Fregatte Couronne beobachtet, die dafür sorgen sollte, dass die Schlacht nicht in
französischen Gewässern stattfand. Die Alabama nahm Kurs auf die Kearsarge; sie hegte
ohne Zweifel die Absicht, sie zu entern. Ein geschicktes Manöver ermöglichte es der
Kearsarge, sich mit Volldampf zu entfernen und als sie bemerkte, dass sie vom
konföderierten Schiff verfolgt wurde, hielt sie an, um ihre erste Breitseite abzufeuern. So
begann ein ausserordentlich brillantes Duell auf See. Die beiden Schiffe, die sich
immerfort in einer engen Ellipse drehten, umkreisten einander im Ganzen siebenmal,
wobei sie jedes Mal aus nächster Nähe Kanonen abfeuerten. Beim siebten Mal traf eine
Kanonenkugel die ungeschützte Dampfmaschine der Alabama und verursachte grossen
Schaden. Plötzlich stiegen riesige Rauchschwaden aus dem Schiff empor, so dass wir, die
Zuschauer auf dem Damm, glaubten, an Bord des konföderierten Korsarenschiffes sei ein
Feuer ausgebrochen. Die Beschädigung des Dampfantriebes zwang das Schiff, die Segel
zu spannen und Kurs auf den Ankerplatz zu nehmen, um dem nun unausgeglichenen
Kampf zu entkommen. Die Kearsarge nahm die Verfolgung auf und schnitt der Alabama
den Weg ab. Wir erwarteten angsterfüllt den ungestümen Fortgang des Kampfes, als das
Schiff der Föderation überraschend das Feuer einstellte und die Flagge als Zeichen des
Sieges auf den grossen Mast setzte. Fast alle Kugeln des Schiffes der Union hatten den
Rumpf des gegnerischen Schiffes getroffen, während die Kugeln des anderen über die
Reling geschossen, abgeprallt und im Meer versunken waren."4
Die Amerikaner fordern Entschädigung
Der letzte Abschnitt der abenteuerlichen Reise der Alabama ging in die Geschichte der
Konflikte zwischen England und Amerika ein. Ein reicher Engländer, der mit seiner Yacht
auf dem Schauplatz erschien, nahm die sich in Seenot befindende Besatzung an Bord. Der
Minister C. F. Adams beschwerte sich darüber bei Lord Russell und unterstrich, dass die
Kearsarge auf diese Weise um ihren Triumph gebracht wurde: Denn die Korsaren hätten
entweder ausnahmslos in den Fluten untergehen oder Gefangene der Kearsarge werden
sollen5.
Diese Beschwerde war nur die letzte einer ganzen Reihe von Beschwerden. Ab dem
Sommer 1862, und während die zweifelhaften Taten der Alabama schriftlich festgehalten
wurden, beschwerte sich das State Department mehrmals beim Foreign Office. Man wollte
erreichen, dass Amerika ein gesichertes Anrecht auf eine zukünftige Entschädigung für den
von den Engländern verursachten Schaden hatte. Gleichzeitig wurde die englische
Regierung unter Druck gesetzt und dazu veranlasst, das Entstehen weiterer solcher
„Alabamas“ in England zu verhindern. Denn kaum hatte die 290 ihr Dock verlassen,
unterschrieb Bulloch bereits einen weiteren Vertrag mit der Firma Laird, mit dem Ziel,
4
Aus dem Journal des Débats, 22. Juni 1864
5
Zwölf Matrosen kamen während des Kampfes in den Fluten um, die Überlebenden wurden von kleinen
französischen Booten, von den Rettungsbooten der Kearsarge und von der britischen Yacht Deerhound
geborgen. Aussenminister Seward gab die offizielle Bestätigung, dass „es für die Kearsarge nur gerecht war,
dass die Piraten ertrunken und nicht von Offizieren, von der Besatzung des Schiffes gerettet worden wären,
oder wenn sie sich aus eigenen Kräften ohne Hilfe der Deerhound hätten retten können. Indem die
Deerhound die Besatzung rettete, geleitete sie diese unter eine fremde Gerichtsbarkeit und verhinderte
dadurch, dass die Vereinigten Staaten in den Genuss einer gesetzlichen Entschädigung für die lange und
kostspielige Verfolgung kamen und dass sie schließlich als Gewinner aus der Schlacht hervorgingen.“
12
noch kühnere Schiffe zu entwickeln. Es handelte sich um zwei gepanzerte Schiffe, die
eindeutig militärischen Zwecken dienen sollten. Sie wurden zum Geschwaderkampf
entworfen und nicht zum Kapern von Handelsschiffen, wie es bei der Florida und der
Alabama der Fall war. Die Schiffe waren mit einem stählernen Rammsporn am Bug
versehen, was bei den Experten Misstrauen erweckte. Diese Eigenheit schien für
Seeschlachten im eigentlichen Sinne ungeeignet, hätte sich aber im Kampf gegen die alten
Holzschiffe, welche die südstaatlichen Häfen blockierten, als sehr wirksam erweisen
können. Die Öffentlichkeit und die Zeitungen der Vereinigten Staaten zeigten sich empört
über den Bau solcher Kampfschiffe, da sie befürchteten, diese seien zur Verwüstung ihrer
schutzlosen Küstenstädte vorgesehen.
Russell ergriff energische Massnahmen: Sobald der Bau der Schiffe beendet war, kaufte er
sie eigenmächtig auf Rechnung des Staates6.
Erste Entwürfe für einen Schiedsspruch
Seit 1863 schlug C. F. Adams Russell vor, die Schadensersatzforderungen der
amerikanischen Regierung an England für die Plünderungen der Alabama und anderer
südstaatlicher Schiffe englischer Herkunft einem richterlichen Verfahren zu unterziehen.
Der Chef des Foreign Office lehnte dies jedoch rundweg ab. Die Idee eines
Schiedsspruches, die in der angelsächsischen Tradition verwurzelt ist, geriet dennoch nicht
ganz in Vergessenheit. Im Jahre 1864 setzte sich der amerikanische Anwalt Thomas Balch
für den Schiedsspruch ein. Im folgenden Jahr wurde der Vorschlag von der New York
Times erneut auf den Tisch gebracht und als der Frieden wieder hergestellt war, setzten
sich mehrere englische Vereinigungen ebenfalls dafür ein. 1866 trat Lord Russell seine
Macht ab und das neue englische Kabinett musste sich entgegenkommend zeigen, da es ein
Vorstossen der USA in Richtung Kanada befürchtete.
Mittlerweile besassen die Amerikaner, die gerade eine innenpolitische Krise überwunden
hatten, eine mächtige Armee aus Veteranen. 1867 kaufte der amerikanische
Aussenminister Seward von Russland Alaska ab; er machte sich auch die Midway-Inseln
zu eigen und beabsichtigte, mit den Hawaii-Inseln ebenso vorzugehen. Sein Ziel schien
kein geringeres zu sein, als Kanada in die Union aufzunehmen, wenn es sein musste unter
Anwendung von Gewalt. Ein grosser Teil der amerikanischen Öffentlichkeit stand hinter
dieser Expansionspolitik. War dies nicht eine einmalige Gelegenheit die Verluste des
Sezessionskriegs auszugleichen, für die die Engländer teilweise verantwortlich gemacht
wurden?
Zum gleichen Zeitpunkt zogen über dem europäischen Himmel dunkle Wolken auf: 1864
erklärte Preussen Dänemark den Krieg, 1866 machte es Österreich bei der Schlacht von
Königgrätz dem Erdboden gleich. Eine kommende Abrechnung mit Frankreich war bereits
vorauszusehen. Die Nachfolger Russells im Foreign Office sahen die Notwendigkeit, die
angloamerikanischen Streitigkeiten beizulegen, um sich ein Türchen offen zu lassen, falls
es in Europa zu schwerwiegenden Konflikten kommen würde. Im Jahre 1869 wurde die
nach ihren Urhebern benannte Clarendon-Johnson-Konvention unterschrieben, die ein
Reglement zur Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen England und den Vereinigten
6
Diese Massnahme war nicht völlig legal und wurde für den englischen Staatsmann zu einer Gewissenfrage,
das Risiko aber war gross. C. F. Adams hatte ihm am 5. September 1863 mitgeteilt: „Es wäre unnötig Ihrer
Exzellenz mitzuteilen, dass eine Aushändigung dieser Schiffe an die Konföderation Krieg bedeuten würde.
(„It would be superfluous in me to point out to your lordship that this is war.”)
13
Staaten beinhaltet; eventuell musste ein Schiedsspruch in Betracht gezogen werden. Aber
der unnachgiebige amerikanische Senat weigerte sich einstimmig (mit Ausnahme einer
Stimme), dieses Abkommen zu ratifizieren.
Ein Schritt vorwärts
Im Jahre 1870, mitten im deutsch-französischen Krieg, den sich Russland zu seinem
Vorteil machte, um die Bestimmungen des Pariser Friedens (1856), welche die
Neutralisierung des Schwarzen Meeres beinhalteten, anzuprangern, beschloss das
beunruhigte Grossbritannien einen Schritt nach vorn zu machen, um sich mit den
Vereinigten Staaten zu versöhnen. Neue Verhandlungen wurden in die Wege geleitet, die
im Mai 1871 zur Unterzeichnung des Vertrags von Washington führten. Dieser Vertrag
enthielt das offizielle Schuldgeständnis bezüglich der Alabama und anderer Schiffe, die
aus einem englischen Hafen ausliefen – ein nicht gerade einfaches Zugeständnis für das
selbstgefällige Grossbritannien. Alle daraus hervorgehenden Forderungen der Vereinigten
Staaten mussten vor ein in Genf einberufenes Schiedsgericht gebracht werden, das die
Streitfrage endgültig klären sollte. Der Vertrag von Washington gab ebenso Antwort auf
andere ungelöste Probleme zwischen den beiden Ländern, unter anderem das
Fischereirecht für Amerikaner in kanadischen Küstengebieten, das Schifffahrtsrecht auf
dem Saint-Laurent und anderen kanadischen Flüssen und Grenzbestimmungen auf dem
Michigansee.
Überdies wurde der Schiedsspruch des deutschen Kaisers dringend erbeten, um den
Verlauf eines umstrittenen Teils der amerikanisch-kanadischen Seegrenze in der Nähe von
Vancouver festzulegen.
Wer trifft den Schiedsspruch?
Diejenigen, die ein internationales Schiedsgericht befürworteten, berieten lange darüber,
wie man am besten zu einem unparteiischen Urteil gelangen könnte.
Bisher war es üblich, einen Herrscher zu Rate zu ziehen, was hier schwierig schien. Die
Forderungen im Fall Alabama bereiteten erhebliche Probleme. Es war zu befürchten, dass
das Staatsoberhaupt einer Seemacht zu grosses Interesse an der Lösung des Konflikts hätte,
während eine Kontinentalmacht in einer Angelegenheit, die vornehmlich das Seerecht
betraf, die Zustimmung Grossbritanniens nicht erhalten würde. Es handelte sich nicht etwa
um die Festlegung einer Grenze, wie jene zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten,
für die man ein unklares Abkommen getroffen hatte und die keineswegs im Interesse des
deutschen Kaisers lag, der zur Grenzfestlegung zu Rate gezogen wurde.
Ausserdem war der Streitfall rein materieller Natur, ohne die geringsten Konsequenzen für
die Drittländer.
Der Fall Alabama stellte sich anders dar. England erklärte sich bereit, sich einem
Schiedsgericht zu stellen, in dem es sich automatisch auf die Anklagebank begab.
Als Gegenleistung hatte das Urteil eine Begründung zu beinhalten, auf die man sich später
berufen konnte. Demnach musste der Entscheid durchaus fundiert sein – etwas, das
Herrscher aus Prestigegründen ablehnten.
Darüber hinaus sollte das Urteil viele Länder einbeziehen, damit der Präzedenzfall eine
grösstmögliche Tragweite erhielt. Für England ging es nicht nur darum, sich mit Amerika
zu versöhnen, es war ebenso wichtig, keinen Präzedenzfall entstehen zu lassen.
14
Gestern und morgen
Während des Sezessionskriegs wurden die Rollen der neutralen Staaten und der
kriegsführenden Mächte gewissermassen vertauscht. Ein Grundsatz im 19. Jahrhundert, der
erst in der jüngsten Vergangenheit seine Gültigkeit verloren hat, besagt, dass sich die
grossen Konflikte in Europa abspielen; England greift, je nach Interesse, zur Beibehaltung
des politischen Gleichgewichts in Europa in den Konflikt ein. Im gegebenen Fall war es
die Seeblockade, die das Vereinigte Königreich einsetzte. Die Vereinigten Staaten hielten
jedoch an ihren politischen Grundsätzen fest und blieben im Hintergrund. Ihr Bestreben,
eine grosse und neutrale Seemacht zu sein, schien mit Englands Interessen unvereinbar.
Was würde in einem neuen europäischen Krieg aus der britischen Seeherrschaft werden,
sollte Amerika aus seiner Erfahrung mit dem Fall Alabama für Deutschland oder Russland
Panzerschiffe bauen? Dies war durchaus eine Frage, die man sich zu jener Zeit hätte stellen
können.
Die britischen Mittelsmänner im Vertrag von Washington akzeptierten es, die
Vorgehensweise ihrer Regierung in der Alabamafrage weder nach damals geltendem
englischem Recht (was sie wahrscheinlich entlastet hätte) noch nach den Gesetzen
derjenigen, die mit der Auslegung und der Anfechtung beauftragt waren, beurteilen zu
lassen (was zu einer unvorhersehbaren Entscheidung hätte führen können). Der Entscheid
sollte statt dessen von Schiedsrichtern herbeigeführt werden, die sich an genaue, im
Vertrag selbst festgelegte Regeln halten sollten.
Die Lösung der Streitfrage
Um die Streitfrage im Fall Alabama zu lösen, haben sich die Vermittler mit dem Vertrag
von Washington eine subtile Herangehensweise ausgedacht. Es war vorgesehen, dass sich
das Schiedsgericht in seinen Entscheidungen in erster Linie nach den von Grossbritannien
und den Vereinigten Staaten zuvor festgelegten Regeln richtete. In zweiter Linie sollte es
damit vereinbarte allgemeine Rechtsgrundsätze in Erwägung ziehen. Dem Vertrag wurde
erklärend hinzugefügt, dass Grossbritannien nicht akzeptiere, dass diese Regeln zum
Zeitpunkt des Vergehens im Sinne eines internationalen Rechtsprinzips unbedingt
Gültigkeit hatten.
Um jedoch zu einem besseren Verhältnis zwischen den beiden Ländern beizutragen und
einen beständigen Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen, gestattete Grossbritannien
den Schiedsrichtern so vorzugehen, als hätte es diese Regeln zu jener Zeit stillschweigend
als gültig anerkannt. Darüber hinaus verpflichteten sich beide Parteien, diese Grundsätze
künftig zu respektieren, sie an andere Staatsmächte heranzutragen und sie zu ermutigen,
daran festzuhalten.
Der teils diplomatische Charakter des Alabama-Schiedsgerichts war vielleicht Grund
dafür, dass man den für seine Zeit durchaus revolutionären Vorschlag des berühmten
Schweizer Juristen Bluntschli nicht annahm.
Dieser grosse Denker hatte vorgeschlagen, dass die zuständigen Behörden der einzelnen
zivilisierten Länder eine stehende Liste von Geschworenen erstellten, die unter den besten
Spezialisten im Internationalen Recht ausgewählt werden. Diese Liste sollte dann von den
Mitgliedern des Schiedsgerichts von Fall zu Fall ergänzt werden.
Die für den Fall Alabama gewählte Vorgehensweise war ein Kompromiss zwischen der
revolutionären Idee Bluntschlis und dem traditionellen Verfahren, den Schiedsspruch eines
Herrschers heranzuziehen.
15
Warum Genf?
Was hat dazu beigetragen, dass für einen Schiedsspruch von so grosser Bedeutung die
Wahl auf Genf fiel?
Wir wollen dieser Frage nur kurz nachgehen und versuchen, schmeichelhafte
Anachronismen zu vermeiden. Während der Verhandlungen des Vertrags von Washington
herrschte ein Krieg in Europa, dessen Ausgang nicht wirklich vorauszusehen war. Die
Schweiz bot sich als idealer Zufluchtsort für internationale Konferenzen an. Genf, die
damals grösste Stadt der Schweiz und international erschlossen, war die beste Wahl. Diese
Entscheidung, die in erster Linie aufgrund ihres helvetischen und nicht etwa ihres
internationalen Charakters wegen getroffen wurde, trug später zur Blüte dieser
aussergewöhnlichen Stadt bei.
Die Schiedsrichter
Aus dem Vertrag von Washington gingen fünf Schiedsrichter hervor, drei davon
unparteiisch und zwei die beiden Parteien vertretend, die folgendermassen ernannt wurden:
jeweils einer vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, von der englischen Königin, vom
König Italiens, vom Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Kaiser
Brasiliens. Die Höflichkeit gegenüber dem Gastgeberland verlangte die Ernennung eines
Schweizer Schiedsrichters. Auch die Wahl der unparteiischen Schiedsrichter kam nicht
von ungefähr. Da nationale Präferenzen die Schiedsrichter durchaus beinflussen konnten,
bedurfte es eines Ausgleichs; die republikanische Schweiz sympathisierte mit der grossen
Republik jenseits des Atlantik, während das brasilianische Kaiserreich eher den
Standpunkt des Vereinigten Königreichs verstand. Was Italien betraf, so scheint dieses
Land als eine Art Überschiedsrichter gewählt worden zu sein.
Die genannten Staatsoberhäupter entschieden sich für Persönlichkeiten aus der Politik, die
hervorragende Kenntnisse in rechtlichen Belangen besassen, ohne jedoch reine Theoretiker
zu sein. Der Präsident der Vereinigten Staaten entsandte den Diplomaten C. F. Adams, der
auch in England während des Sezessionskriegs tätig war. Dieser war mit der
Beschwerdeakte bestens vertraut, da er in einem ähnlichen Rechtsstreit mit England die
Funktion des Richters besetzt hatte. C.F. Adams, eine beeindruckende Persönlichkeit,
stammte aus einer Familie bedeutender Politiker wie sie Amerika von Zeit zu Zeit
hervorbringt. Er war der Sohn des sechsten amerikanischen Präsidenten, John Quincy
Adams, und der Enkel von John Adams, Nachfolger von George Washington im Weissen
Haus. Er selbst, ein vehementer Gegner der Sklaverei, war im Jahre 1848 Kandidat für die
Vizepräsidentschaft, jedoch ohne Erfolg. 1872, während seines Aufenthalts in Genf als
Schiedsrichter, willigte er ein, sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufstellen
zu lassen, wurde aber nicht bestätigt.
Der Präsident der Schweizer Eidgenossenschaft entsandte Jacob Stämpfli, damals Direktor
der Nationalbank. Nach seiner Amtszeit als Abgeordneter des Kanton Bern im Nationalrat
und als Mitglied des Bundesgerichts wurde er 1854 zum Bundesrat gewählt. In den Jahren
1856, 1859 und 1862 leitete er als Bundespräsident nacheinander das Justiz- und
Polizeiministerium, das Finanzministerium und das Militärwesen. Während des
Sezessionskriegs war er einer der grössten Anführer der Volksbewegung, die die Interessen
der Nordstaaten vertrat. Obwohl er das jüngste Mitglied im Schiedsgericht war, nahm er
16
dank seiner starken Persönlichkeit und seiner perfekten Kenntnisse der Akte eine
bedeutende Rolle ein. Bevor er sich in Genf beriet, zog sich Stämpfli mit den Rechtsakten
in die Berge zurück. Bei seiner Rückkehr führte er wichtige Notizen und einen Plan mit
sich, der dem Gericht als Leitfaden diente. Für den Schweizer Stämpfli war Neutralität nur
im engsten Sinn zu verstehen, umso mehr als der Sezessionskrieg in ihm die schmerzvollen
Erinnerungen an den Sonderbundkrieg hervorrief. Daher rührte auch seine strenge Haltung
im Fall Alabama England gegenüber, was gelegentlich zu Konflikten mit dem englischen
Richter führte.
Das englische Königshaus entsandte Alexander Cockburn, Lord Chief Justice, und somit
Oberster Richter des Landes. Merkwürdigerweise hat sich genau dieser Schiedsrichter, der
einzige Berufsrichter im Schiedsgericht, wie ein Anwalt verhalten, der sich
leidenschaftlich für die Interessen Grossbritanniens einsetzte und royalistischer erschien
als die Royalen.
Der von Brasilien beauftragte Schiedsrichter war Diplomat in Paris. Marcos Antonio
d’Araujao, Baron von Itajuba, begann seine Karriere als Rechtsprofessor an der Universität
in Pernambuco. Danach diente er seinem Land als Generalkonsul in Hamburg und später
als zweiter Botschafter in Hannover, Kopenhagen, Berlin und schliesslich in Paris. Seiner
Rolle in Genf wurde nur geringe Bedeutung beigemessen.
Graf Sclopis sass dem Schiedsgericht vor. Diese Ehre wurde ihm aus verschiedenen
Gründen erwiesen; er war Alterspräsident des Schiedsgerichts und besass von allen die
meiste Erfahrung in der Rechtswissenschaft. Darüber hinaus war sein Land das erste unter
den neutralen Ländern, das im Vertrag von Washington auserwählt wurde. Graf Sclopis
hielt in Genf in Fragen, in denen die Verantwortung Grossbritanniens besonders
zweifelhaft war, die Waage. Er war es, der die Entscheidung herbeiführte.
Sekretär des Genfer Gerichts war Alexandre Favrot aus Porrentruy, Sprachlehrer in Bern,
der von Stämpfli eingestellt wurde. Einen Dolmetscher gab es nicht. Der Italiener Sclopis
und seine Deutschschweizer, brasilianischen, englischen und amerikanischen Kollegen
konnten gewiss in Französisch kommunizieren. Leider verstanden die neutralen Vertreter
die Sprache Shakespeares schlecht, die während einiger mündlicher Referate benutzt
wurde. Der Vertreter Englands überlegte sich einen kurzen Moment lang, dies als Vorwand
zu benützen, um Sclopis, Stämpfli und Araujao ersetzen zu lassen. In Wirklichkeit aber
war das sprachliche Manko nicht allzu bedeutsam, da das Wesentliche des
Gerichtsverfahrens in Prozessschriften festgehalten wurde, die in Englisch verfasst und
von der Prozesspartei ins Französische übersetzt wurden. Bedenklicher hingegen war die
Tatsache, dass die neutralen Vertreter mit dem angelsächsischen Rechtssystem nicht
besonders vertraut waren.
Beide Prozessparteien wurden in Genf offiziell von „Vertretern“ repräsentiert. Lord
Tenterden, Vizekanzler des Foreign Office übernahm diese Rolle für das Vereinigte
Königreich; Bancroft Davis, Vizeaussenminister des State Department war sein
amerikanischer Kollege7. Sie waren beide an der Aushandlung des Vertrags von
Washington, der die Bedingungen des Schiedsverfahrens von Genf festsetzte, beteiligt
gewesen.
7
Davis gab seine Funktion als Vizeaussenminister während seines Mandates in Genf auf.
17
Von den Ufern des Genfer Sees aus blieben die „Vertreter“ in engem Kontakt mit ihrer
jeweiligen Regierung.
Der Vertrag von Washington hatte nicht ausdrücklich die Anwesenheit von „Beratern“
vorgesehen, das heisst von Juristen, die den Prozess betreuten; ihre Notwendigkeit wurde
dennoch als selbstverständlich angesehen. Sie wurden nach allen Regeln der Kunst
ausgewählt. Für Amerika: Caleb Cushing und W. M. Evarts, die auch aufgrund ihrer engen
Verbindungen mit dem Grosshandel von New York – Hauptinteressent an einer
finanziellen Entschädigung – und M. R. Waite aus Ohio. Die Vereinigten Staaten standen
zum Zeitpunkt des Schiedsverfahrens vor den Wahlen. Der pazifistische Präsident Grant,
der sich bereit erklärt hatte, die heikle Angelegenheit um die Alabama einem
Vergleichsverfahren zu unterziehen, verfügte mit ihnen und mit C. F. Adams über
nützliche Bürgen, sollte diese Angelegenheit Gegenstand einer Parteikontroverse werden.
England wählte als „Berater“ zwei halb-öffentliche Persönlichkeiten: Sir Roundell Palmer,
Rechtsberater der Krone, und Professor Montague Bernard aus Oxford.
Das amerikanische Memorandum
Der Vertrag von Washington hatte vorgesehen, dass beide Parteien ihre Beweisführung
gleichzeitig und in zwei Anläufen vorlegen würden: sie würden zuerst zum gleichen
Datum ein „Memorandum“ vorlegen, das ihren Standpunkt verdeutlichte; vier Monate
später dann ein Gegenmemorandum. Dies benachteiligte die englischen „Berater“, da sie
ihre Verteidigung ausarbeiten mussten, ohne vorher Amerikas Angriffsstrategie zu kennen.
Dieser Angriff wurde mit unerwartetem Enthusiasmus und erstaunlicher Präzision unter
der Leitung des „Vertreters“ Bancroft Davis geführt, der direkt an der Ausarbeitung des
amerikanischen Memorandums teilnahm und der die Strategie seines Landes in diesem
Rechtsstreit effizient leitete. Mehrere Spezialisten für internationales Recht wurden
herangezogen, um ihre Meinung bezüglich des Projekts des Memorandums darzulegen,
bevor der Prozess offiziell eröffnet wurde. Vorsichtshalber wurde die amerikanische
Beweisführung und ein Teil der Beweise im Voraus ins Französische übersetzt. Auch eine
spanische Übersetzung wurde angefertigt. Der amerikanische „Vertreter“ begab sich sogar
nach Rom, wo er versuchte innerhalb der vorgegebenen Zeit eine italienische Version
anfertigen zu lassen. Mit einem ausgeprägten Gefühl für Öffentlichkeitsarbeit liess er in
Leipzig im Kleinformat mit einem detaillierten Stichwortverzeichnis eine englische und
eine französische Ausgabe des amerikanischen Memorandums drucken. Nachdem diese
Ausgabe offiziell dem Gericht und der Gegenpartei übergeben worden war, wurden
Exemplare zu allen Seiten verteilt, um die Diskussion in der Öffentlichkeit und in
juristischen Kreisen zu Gunsten Amerikas zu beeinflussen. Man ging sogar so weit, einen
Teil der deutschen und französischen Presse zu bestechen!8
Am 13. Dezember 1871 reisten die „Vertreter“ Davis und Tenterden zusammen mit ihren
Schiedsrichtern Cockburn und Adams nach Paris; in ihren Koffern befanden sich die
jeweiligen Memoranda. Unterwegs führten sie in gegenseitigem Einvernehmen einige
Vorbesprechungen zum Schiedsverfahren. Am 15. Dezember statteten sie dem Genfer
Bancroft Davis Papers, zitiert von A. Nevins: „Hamilton Fish: the inner History of the Grant
Administration“, Seiten 555 und 556
8
18
Staatsrat einen Höflichkeitsbesuch ab. Der Rat stellte ihnen einen Konferenzsaal im
Rathaus zur Verfügung, der schon während der internationalen Genfer Konvention (Rotes
Kreuz) genutzt wurde und noch heute den Namen „Alabama-Saal“ trägt.
Nach den üblichen Formalitäten und der Übergabe der Memoranda an die Schiedsrichter
und die „Vertreter“ vertagte sich das Gericht auf den 15. Juni. In der Zwischenzeit sollte
der Austausch der Gegenmemoranda in Anwesenheit des Sekretärs Favrot am 15. April
vorgenommen werden.
Die Reaktionen Englands
Die englischen „Vertreter“ und „Berater“ kehrten nach London zurück, um die Anklage
Punkt für Punkt durchzugehen und in Eile ihre eigene Verteidigung auszuarbeiten. Die
Amerikaner wählten Paris als ihre Basis, da Genf nicht über die nötigen Hilfsmittel für
eine derartig beachtliche juristische Arbeit verfügte. Sie hielten dort ihre Sitzung in
Anwesenheit des neuen amerikanischen Botschafters in London und des Konsuls in
Liverpool ab, der ein direkter Zeuge des Falles war. Im Grossen und Ganzen fügte ihr
Gegenmemorandum keine grundlegenden Neuerungen an.
Die englischen „Vertreter“ dagegen hatten die schwierige Aufgabe, innerhalb einer kurzen
Frist die Anschuldigungen gegen ihre Regierung zu entkräften. Und diese waren
beachtlicher als vorgesehen und in einem aggressiveren Ton als erwartet. Das
amerikanische Memorandum schlug, sobald sein Inhalt bekannt war, wie eine Bombe in
England ein. Die grossen Zeitungen der Insel, wie Times, Daily Telegraph und Manchester
Guardian brachen in Schreie der Entrüstung aus. Die amerikanischen Forderungen waren
gigantisch. Zusätzlich zu den direkten Schäden, die durch die Alabama und die Florida
und durch die anderen Schiffe, die aus England ausgelaufen waren, verursacht worden
waren, forderte das amerikanische Memorandum eine Entschädigung für alle indirekt
erlittenen Schäden. Das heisst, dass abgesehen von den tatsächlichen Verlusten
(Handelsschiffe und amerikanische Waren oder unter amerikanischer Flagge laufende
Schiffe, die im Meer versenkt worden waren) die vorliegende Forderung alle Ausgaben
enthielt, die durch die Alabama und die anderen beteiligten Schiffe verursacht wurden:
Kosten für die Verfolgung dieser Schiffe durch die Kriegsmarine; Einschränkung der
Gewinnchancen durch die Tatsache, dass der Transfer eines Teils der amerikanischen
Handelsflotte unter neutraler Flagge stattgefunden hatte; Erhöhung der
Versicherungsprämien, die von den Schiffen mit amerikanischer Flagge zu zahlen waren;
grosse Verluste durch die Verlängerung des Bürgerkriegs. Das Ganze belief sich auf eine
enorme Summe, die man nicht beziffern konnte; ausserdem wurde von England auf die
verlangte Summe ein Zins von 7% gefordert, der sich schon auf 9 Jahre belief.
Die Frage einer Entschädigung wurde von den Unterhändlern des Vertrags von
Washington im Dunkeln gelassen. Man war der klassischen Vorgangsweise der
Diplomaten gefolgt, die trotz eines ungelösten Streitpunkts auf einen Kompromiss hofften.
Auf diese Weise konnten die Amerikaner annehmen, dass die indirekten Schäden nicht
vom Schiedsgericht ausgeschlossen waren, und die Engländer, dass sie nicht in Betracht
gezogen wurden.
Am 10. Januar 1871 sendete Sir Roundell Palmer, einer der englischen „Berater“, folgende
Nachricht an Lord Granville, Chef des Foreign Office: „[…] niemand hätte akzeptiert,
derartige Forderungen, die auf solch fortgeschrittenen Grundlagen bestehen, einem
Schiedsverfahren zu unterziehen, wenn das Memorandum schon im Voraus bekannt
19
gewesen wäre. Dass Forderungen einem Land gegenüber, die sich auf mehrere Hunderte
Millionen Pfund belaufen […], der Entscheidung eines schweizerischen, eines
brasilianischen und eines italienischen Juristen überlassen werden – falls man sie
überhaupt als Juristen bezeichnen kann – genügt schon als Grund zur Beunruhigung. Ich
betrachte dieses Memorandum als einen Versuch der Schiedsrichter, den Rechtsstreit aus
den durch den Vertrag von Washington auferlegten Schranken zu heben und enorme und
unzulässige Forderungen zu stellen, indem man sich auf die Erweiterung eben dieser
Schranken stützt.“
Am 2. Februar telegraphierte General Schenk, Gesandter in London an Aussenminister
Fish: „Sämtliche Londoner Zeitungen verlangen, dass die Vereinigten Staaten ihre
Forderungen bezüglich der indirekten Schäden zurückziehen, da sie nicht Teil des
Vertrages sind. Das Ministerium ist beunruhigt. Ich unternehme alles, was in meiner Macht
liegt, um diese Regierung daran zu hindern, etwas Überstürztes oder Schwerwiegendes zu
sagen oder zu tun.“ Die amerikanische Regierung zeigte sich wenig versöhnlich. Am
nächsten Tag, dem 3. Februar schickte Fish seinem Gesandten in London folgende
Anweisungen: „Kein Teil der vorliegenden Forderungen darf zurückgezogen werden. Der
(amerikanische) „Berater“ wird seine Beweisführung wie vorbereitet ausführen und wenn
es nur ist, um dieser Regierung zu zeigen, dass es keine Gründe für Änderungen gibt.“
Am 6. Februar kam dem Parlament eine königliche Botschaft zu, dass die Vereinigten
Staaten in Genf Forderungen vorgebracht hatten, die, nach Erachten der Regierung Ihrer
Majestät, nicht in den Zuständigkeitsbereich der Schiedsrichter fiel; eine freundliche
Mitteilung wurde in dieser Sache an die Regierung der Vereinigten Staaten gerichtet.
Neue Verhandlungen
Ab dem 3. Februar 1872 wurden die Gespräche zwischen dem Foreign Office und dem
State Department offiziell aufgenommen und wenige Wochen später wurde von Lord
Granville ein Vergleich vorgeschlagen: England würde die Zurücknahme des
amerikanischen Memorandums nicht mehr fordern, unter der Bedingung, dass der
„Vertreter“ der Vereinigten Staaten die Schiedsrichter in Genf darüber informierte, dass
sein Land nichts mehr für die indirekten Schäden fordere. Doch Aussenminister Fish
weigerte sich und die Lage der Engländer wurde zunehmend unbehaglicher: Das Kabinett
Gladstone war zur Zielscheibe von Opposition und Presse geworden, die ihm vorwarfen
das Risiko einzugehen, eventuell nach einem friedlichen Schiedsspruch über 5 Milliarden
Goldfranken bezahlen zu müssen, die Frankreich von Bismarck als Kriegstribut auferlegt
worden waren. Was aber würde in Genf passieren, wenn die zwei Parteien ihre
Abmachung einhielten? Wer hätte die juristische Fachkenntnis, um zu entscheiden, ob das
Genfer Gericht in dieser Angelegenheit zuständig sei. Nach Ansicht der Vereinigten
Staaten war es Aufgabe der Schiedsrichter, die vorausgehenden Einwände Englands zu
überprüfen und zu entscheiden, ob die indirekten Schäden in den Zuständigkeitsbereich der
Schiedsrichter fielen. England wollte davon jedoch nichts wissen, da es in keinem Fall eine
derartige Verpflichtung eingehen wollte und das Genfer Gericht in diesem Punkt den
amerikanischen Behauptungen wohl kaum Recht geben würde.
Die Spannung steigt
In Anbetracht der ernsten Spannung, die dieser unterschiedlichen Auffassung folgte,
erforschten die beiden Hauptakteure die Stimmung in der internationalen Öffentlichkeit.
20
Die britische Regierung fühlte sich in ihrer Haltung gestärkt, da sich die Krise Europas, die
durch den deutsch-französischen Krieg entstanden war, einem Ende näherte. Die
Amerikaner nahmen die Presse der Grossmächte unter die Lupe und folgerten daraus, dass
die Öffentlichkeit in Europa einen Bruch zwischen Grossbritannien und den Vereinigten
Staaten befürchtete. Dies hätte zu einer Destabilisierung des europäischen Finanzmarkts
führen können, der dringend einer Erholung bedurfte, um die Fristen der
Kriegsentschädigungen von Frankreich an Deutschland zu regeln.
Am 15. April 1872 sollten die Gegenmemoranda ausgetauscht werden. An diesem Tag
waren die Verhandlungen zwischen beiden Ländern, welche die genaue Tragweite des
Vertrags von Washington festlegen sollten, noch nicht abgeschlossen. Grossbritannien
unterbreitete dennoch seine Verteidigung, der eine Mitteilung des englischen „Vertreters“
beigelegt war, welche bestätigte, dass England die indirekten Schäden nicht als Teil des
Schiedsspruchs anerkannte. Auf diese Weise vermied England, seine Engagements
vorzeitig abzuerkennen und hielt sich gleichzeitig ein Hintertürchen offen.
Die Spannung stieg spürbar. Am 22. April kündigte Russell dem House of Lords an, er
würde einen Antrag an Seine Majestät stellen, in dem er Grossbritannien darum ersuchte,
sich so lange von dem Verfahren in Genf zurückzuziehen, bis die Amerikaner auf die
Erstattung der indirekten Schäden verzichten würden. Das Kabinett hingegen befand sich
in einer sehr unangenehmen Lage. Die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zeigten
zwar einige Fortschritte, man war jedoch noch nicht zu einer Einigung gekommen und das
Schiedsgericht sollte seine Arbeit planmässig bereits am 15. Juni wieder aufnehmen. Wie
aber kam es zu all diesen Komplikationen? Da sie kurz vor den Wahlen stand, konnte oder
wollte die amerikanische Regierung weder einseitig auf ihre Höchstforderungen
verzichten, noch öffentlich von ihrem bisherigen Standpunkt abweichen, da sie sonst
Gefahr gelaufen wären, ihr Gesicht zu verlieren. Es blieb nur noch die Möglichkeit, den
Vertrag von Washington entsprechend zu verändern. Die Vereinigten Staaten waren bereit,
einen zusätzlichen Artikel beizufügen, aus dem hervorgehen sollte, dass einem Staat keine
Verantwortung für indirekte und mittelbare Folgen zugewiesen werden konnte, die sich aus
einer zufälligen oder unbeabsichtigten Verletzung der Neutralitätspflichten ergeben
würden. Wenn sie freiwillig auf den fragwürdigen Anspruch auf eine eventuelle
Entschädigung verzichteten, hätten sie im Gegenzug die Garantie erhalten, dass im Falle
eines erneuten europäischen Krieges, in den sie höchstwahrscheinlich nicht involviert sein
würden, ihre Pflichten als neutraler Staat eingeschränkt wären. Der britische Standpunkt
war dieser Sichtweise jedoch genau entgegengesetzt. Die Engländer weigerten sich, sich
einem Schiedsspruch zu unterwerfen, der finanzielle Risiken beinhaltete, die sie generell
ablehnten; sie wollten auch keine Einigung, die eindeutig auf einem Verzicht auf die
Erstattung der indirekten Schäden beruhte. Während es also im Interesse der Amerikaner
lag, eine Klärung der Situation herbeizuführen, wollte das Vereinigte Königreich volle
Gewissheit über das Ausmass der Risiken, die es in Genf zu erwarten hatte, jedoch ohne
das die Pflichten neutraler Staaten in Zukunft eingeschränkt werden könnten.
Spannung
Mitte Juni stieg die Spannung erneut. Ein weiteres Mal richtete sich das Interesse der
internationalen Presse und der Diplomatenkreise auf Genf. Wobei zugegeben werden
muss, dass die grossen Zeitungen einen Aufsehen erregenden Skandal begrüsst hätten, also
einen einseitigen Verzicht Grossbritanniens auf einen Schiedsspruch und nicht so sehr eine
Annäherung an eine friedliche Lösung des Konflikts. Der New York Herald entsendete
21
seinen Chef der Auslandsredaktion, einen Sonderkorrespondenten, sowie einen
angesehenen freien Mitarbeiter nach Genf. Ein aussergewöhnliches Aufgebot für die
damalige Zeit. Auch die New York Tribune und der Boston Daily Advertiser schickten
Sonderberichterstatter, ebenso wie die Londoner Times, der Daily Telegraph und der
Manchester Guardian.
Zur Mittagszeit des 15. Juni übten sich etwa 15 Journalisten im Hof des Genfer Rathauses
in Geduld und spekulierten darüber, was sich wohl gegen 14 Uhr im Inneren des Gerichtes
zutragen würde. Beim gegenseitigen Austausch ihrer Informationen mussten sie allerdings
feststellen, dass der eine so wenig wusste wie der andere. Eines war jedoch sicher: alle
Richter, einschliesslich des englischen, hielten sich in Genf auf. Alles andere waren
lediglich Gerüchte.
Währenddessen herrschte im Londoner Kabinett äusserste Unruhe. Es war natürlich besser
informiert, als alle anderen; es wurde von der amerikanische Auslandsvertretung hatte es
davon unterrichtet, dass der amerikanische Schiedsrichter das Problem inoffiziell mit
seinen Genfer Kollegen beilegen wollte. Trotzdem wartete man mit Sorge auf die Lösung
der vorangegangenen Schwierigkeit. Dank der Aufzeichnungen, die einer der Richter, W.
E. Forster, führte, wissen wir heute, welche Atmosphäre unter den Regierungsmitgliedern
herrschte. Zur Mittagszeit kam das Kabinett also zusammen, um ungeduldig auf Nachricht
aus Genf zu warten. Doch bis in den Nachmittag hinein erreichte sie nichts ausser einer
Kabeldepesche, die der englische „Vertreter“ vor der Verhandlung um 11:30 Uhr geschickt
hatte und die vier Stunden benötigte, um an ihr Ziel zu gelangen. „Alle Gesprächsthemen
waren ausgeschöpft“, so Forster, „und wir schauten uns wortlos an.“ Also ging man zum
Schachspiel über. Nach drei aufeinander folgenden Partien war immer noch kein
Telegramm aus Genf mit tatsächlichen Neuigkeiten eingetroffen. Nach dem Abendessen
wandte man sich an die amerikanische Auslandsvertretung, aber auch dort war nur ein
nichts sagendes Telegramm eingegangen.
Die Verhandlung des 15. Juni
Wie man sich sicher vorstellen kann, war die Verwirrung gross. Was hatte sich nun hinter
den Türen des Konferenzzimmers zugetragen, das von einem Amtsdiener in rot-gelber
Robe streng bewacht wurde?
Bei der Verhandlungseröffnung erhob sich Davis und überreichte jedem Richter eine
Abschrift der amerikanischen Schlussargumentation sowie eine französische Übersetzung,
damit die neutralen Vertreter diese auch verstanden. „Alle Augen richteten sich dann auf
Lord Tenterden“, so die Erinnerung eines Anwesenden9.
Die Briten hätten mit ihrer Argumentation vorgehen sollen. Sie beschränkten sich jedoch
darauf, ein Schreiben vorzulegen, das ihr Bedauern ausdrückte, dass die
Meinungsverschiedenheiten der beiden Regierungen noch nicht beigelegt werden konnten.
Zusätzlich beantragten sie eine Vertagung der Verhandlung, um eine Lösung zu finden und
die Bewilligung eines Protokolls durch die beiden Staaten zu erhalten, das den Vertrag von
Washington an den nötigen Stellen ergänzen sollte. Vom Präsidenten um Auskunft
gebeten, erklärte Tenterden, er beantrage eine Vertagung von acht Monaten. Woraufhin
sein amerikanischer Kollege, Bancroft Davis, eine Aufschiebung von achtundvierzig
9
Hackett, „Reminiscences of the Geneva tribunal“
22
Stunden erwirkte, um sich telegraphisch mit Washington zu beraten, bevor er sich zum
britischen Antrag äussern würde.
Vertagung?
Diese Aufschiebung gestattete vertrauliche Konferenzen zwischen dem Richter Adams,
dem „Vertreter“ und den „Beratern“ Amerikas sowie inoffizielle Gespräche der Briten. In
Wirklichkeit schlugen die Amerikaner vor, ein schnelles Urteil und eine baldige Einigung
zu treffen, falls die indirekten Schäden erstattet werden sollten. Erkundigungen, die Richter
Adams bei den anderen Richtern einzog, hatten den Weg dafür geebnet. Auf
amerikanischer Seite hielt man es für nötig, bezüglich der indirekten Schäden zu einer
Einigung zu kommen und das Schiedsgerichtsverfahren nicht weiter zu behindern. Die
Briten rückten jedoch nicht von ihrem Standpunkt, der darin bestand, dass die indirekten
Forderungen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtes fielen, weshalb dieses auch
nicht an den entsprechenden Diskussionen teilhaben sollte, auch wenn nach britischer
Meinung ein baldiges Ergebnis vorliegen müsse. Schliesslich wurde ein Kompromiss
gefunden. Die Richter einigten sich aussergerichtlich über die Frage der indirekten
Schäden und kamen so den Erwartungen beider Parteien nach. Die Formulierung dieser
Entscheidung brachte jedoch einige Probleme mit sich und verursachte einen regen
Notizenaustausch zwischen den verschiedenen Repräsentanten der beiden Parteien, den
Richtern, Anwälten und „Vertretern“. Des Weiteren wurde schliesslich Präsident Sclopis
eingeweiht. Das Unterfangen glückte. Bei der Verhandlungseröffnung am 17. Juni erklärte
dann der amerikanische „Vertreter“, noch keine „positiven Instruktionen“ seiner Regierung
„bezüglich des Antrags von Lord Tenterden auf eine Vertagung des Verfahrens“ erhalten
zu haben und erreichte damit eine neuerliche Aufschiebung um achtundvierzig Stunden.
Die Richter sollten den 18. Juni dazu nutzen, sich aussergerichtlich zum Thema zu äussern,
so der Plan, der am Vorabend hinter den Kulissen geschmiedet worden war. Blieb
allerdings noch ein technisches Problem zu lösen. In welcher Art und Weise sollte das
Gericht seine „aussergerichtliche Entscheidung“ vorbringen? Während ein inoffiziell
getroffenes Urteil nicht im Sinne der Amerikaner wäre, würde eine formelle Entscheidung
nicht mit dem Standpunkt der Briten vereinbar sein.
Ein Ausweg
Man fand folgenden Ausweg: Bei der Wiederaufnahme der Verhandlung am 19. Juni
erneuerte Lord Tenterden seinen Antrag auf Vertagung. Daraufhin erklärte Graf Sclopis, in
seiner Eigenschaft als Präsident des Gerichts, bevor er sich diesbezüglich äussere, werde er
den beiden betroffenen Parteien den einstimmigen Entschluss vorstellen, zu dem die
Richter im Falle der indirekten Schäden seitens der Vereinigten Staaten gekommen waren.
Ohne auch nur im Mindesten überrascht zu sein, erfuhren also „Vertreter“ und „Berater“,
dass die Richter sowohl einzeln als auch geschlossen zu der Auffassung gelangt waren,
dass, „nach den Prinzipien des internationalen Rechts“*, der Antrag auf Erstattung der
indirekten Schäden seitens der Amerikaner „keine hinreichende Grundlage bieten würden,
um ein Entschädigungsurteil zu fällen oder eine Entschädigungssumme festzusetzen und
dass diese, nach denselben Prinzipien, nicht Teil des Schiedsgerichtsverfahren sein
könnten, auch wenn es zwischen den beiden Staaten hinsichtlich der Zuständigkeit des
Gerichts nie zu Unstimmigkeiten gekommen war.“* Zudem wurde gesagt, dass die Richter
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
23
nicht beabsichtigten, „explizit oder implizit eine Meinung im Hinblick auf die Streitfrage
zwischen den beiden Regierungen bezüglich der Auslegung bzw. der Auswirkungen des
Vertrags“* von Washington verlauten zu lassen. Man wollte keinen Anlass für etwaigen
Protest liefern. Aus demselben Grund war die Entscheidung vertraulich getroffen worden.
Des Weiteren überliessen es die „Vertreter“ ihren jeweiligen Regierungen, diese Erklärung
nach eigenem Belieben auszulegen. Die Briten, die seit der ihrer Meinung nach völlig
unberechtigten Antragstellung auf Entschädigung, einige Zweifel an den guten Absichten
ihrer amerikanischen Kontrahenten hegten, waren nun vor Überraschungen gefeit.
Man erinnerte sich, dass der Antrag auf Vertagung von Lord Tenterden auf der
Tagesordnung der offiziellen Verhandlung stand. Präsident Sclopis, der das Intermezzo um
die Erstattung der indirekten Schäden nun beendet hatte, vertagte die Verhandlung um eine
Woche. Bei Wiederaufnahme des Verfahrens am 25. Juni verlas der amerikanische
„Vertreter“ eine Erklärung seiner Regierung, in der es hiess, dass die Vereinigten Staaten
die umstrittene Frage als endgültig geklärt betrachten. Daraufhin wurde das Verfahren
erneut um achtundvierzig Stunden vertagt, so dass man im Stillen eine britische
Zustimmungserklärung ausarbeiten konnte. Die Erklärung wurde von Lord Tenterden in
Zusammenarbeit mit dem „Berater“ und dem Schiedsrichter Grossbritanniens formuliert
und abgeändert, um einige Einwände seitens der Amerikaner zu berücksichtigen. Am 27.
Juni endlich verlas Tenterden die Erklärung, in der es hiess, dass die Regierung Seiner
Majestät Kenntnis von der zwei Tage zuvor erfolgten Erklärung durch den „Vertreter“ der
Vereinigten Staaten genommen habe und zog seinen Antrag auf Vertagung zurück.
Daraufhin erfolgte die Übergabe zur abschliessenden Stellungnahme von britischer Seite.
Schliesslich hatte man einen Ausweg aus dieser heiklen Situation gefunden. In beiden
Ländern war die Erleichterung gross.
Verfahren
Die Arbeit des Schiedsgerichts ging nun endlich in eine aktive Phase über, die jedoch von
vielen Zwischenfällen geprägt war. Ein erster wurde bereits durch die abschliessende
Stellungnahme ausgelöst, die kurz zuvor unterbreitet worden war. Seinen Verfassern
schien es nicht genügend ausgereift.
Das ist verständlich, schliesslich mussten sie bis zur letzten Minute entweder mit einem
Scheitern oder einer längeren Unterbrechung des Verfahrens rechnen. Roundell Palmer
beantragte daher, einige zusätzliche Ausführungen zu bestimmten Punkten machen zu
dürfen. Im Vorhinein hatte er den amerikanischen „Berater“ vergeblich darum gebeten, ihn
bei diesem Schritt zu unterstützen, wobei er ihm das Schlusswort vor den Richtern als
Gegenleistung anbot. Präsident Sclopis antwortete hierauf, dass es nicht Sache der
prozessführenden Parteien sei, eine solche Initiative zu ergreifen. Cockburn eilte dann
seinen Landsleuten zu Hilfe, indem er vorschlug in der Verhandlung vom 28. Juni die
„Berater“ der beiden Parteien dazu aufzufordern, die rechtlichen Verpflichtungen neutraler
Staaten zu präzisieren. Das Gericht lehnte ab. Später, während der Verhandlung am 16.
Juli, schlug der Chief Justice vor, die „Berater“ um eine kurze Schlusszusammenfassung
zu bitten, was von seinen Kollegen jedoch abgelehnt wurde.
24
Ein etwas unvornehmer Richter
Als das Ende des Prozesses näher rückte, machte Cockburn seinem Ärger in einem
vertraulichen Brief an den britischen Aussenminister Luft: „Es sieht hier nicht gut für uns
aus“, vertraute er Lord Granville an. „ Ich habe es schon seit der ersten Sitzung im Juli
befürchtet. Wir hätten keine schlechteren Männer als Stämpfli oder den Präsidenten
(Sclopis) bekommen können. Ersterer ist ein fanatischer Republikaner, der die
monarchistischen Regierungen und die Ministerien, denen Männer von hohem Rang
angehören, hasst, dumm wie ein Esel und eigensinnig wie ein Maultier. Letzterer ist
farblos und will unbedingt ein Urteil verkünden, das in der Welt Aufsehen erregt und
Reden über die Gesellschaft, die Menschheit usw. halten, kurzum ein Redenschwinger.
Der Baron d’Itajuba gefällt mir wesentlich besser, jedoch ist er nicht gut genug informiert,
ausserdem sehr träge und neigt deshalb dazu, an einem herausragenden Punkt kleben zu
bleiben, ohne ins Detail zu gehen. Darüber hinaus beharrt er mit einer ungewöhnlichen
Starrsinnigkeit auf seiner Meinung, hat er sich erst einmal eine gebildet.“* Aber der
Aussenminister wusste, wie er die Berichte seines Chief Justice einzuschätzen hatte. „Was
ist denn mit ihrem Schiedsrichter los?“, hatte ihm der „Vertreter“ der englischen Regierung
ein paar Wochen zuvor aus Genf geschrieben. „Er benimmt sich wie ein Wahnsinniger,
letzte Woche hat er uns immer wieder beleidigt und heute erneut, alle auf einmal. Hat er
vor den Vertrag zu brechen? Sein Verhalten hat für uns bisher sehr viel Schaden
angerichtet.“*
Stämpflis Plan
Am 16. Juli begann die entscheidende Phase des Schiedsverfahrens. Das Gericht nahm
einen von Stämpfli ausgearbeiteten Plan an. Stämpfli hatte der Untersuchung des Streitfalls
persönlich beigewohnt, weshalb er, wie er zugab, schon zu diesem Zeitpunkt zu einer
vorläufigen Meinung über alle zu entscheidenden Punkte hatte gelangen können. Der
Schweizerische Schiedsrichter schlug vor, man solle zuerst die Probleme benennen:
Welche Fragen gab es zu klären? Welche Fakten zu berücksichtigen? Welche allgemeinen
Grundsätze des Rechts waren hier anzuwenden? Danach würde man sehen, ob eine
Entschädigung angebracht sei. Man würde sich mit jedem Schiff einzeln befassen, und
zwar eins nach dem anderen, die Gründe die zu einer Entscheidung geführt haben erklären
und für jeden Fall ein Urteil sprechen. Cockburn hingegen wollte einen theoretischeren
Ansatz. Er war der Ansicht, man solle damit beginnen, die allgemeinen Prinzipien des
Völkerrechts bezüglich der Verpflichtungen neutraler Staaten herauszuarbeiten, um sie
dann auf die Tatsachen anzuwenden. Doch diese Methode erschien seinen Kollegen zu
zeitaufwendig, sie wollten so schnell wie möglich zu einem Ergebnis kommen.
Am 17. Juli begann man, Stämpflis Memorandum folgend, mit der Florida. Der
Schweizerische Schiedsrichter verkündete als erster sein provisorisches Urteil, er war der
Meinung, dass England nicht genug getan hatte, um seine Neutralität zu bewahren. Danach
ergriff Cockburn das Wort. In einem Brief an seine Regierung beschreibt der
amerikanische „Vertreter“, wie Cockburn „mit errötetem Gesicht und Tränen in den
Augen“*, vehement die Vorwürfe, die gegen sein Land vorgebracht worden waren,
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
25
zurückwies. Ein paar Tage später legten Adams, d’Itajuba und Sclopis ihre Meinung dar;
sie stimmte mit jener Stämpflis überein.
Nachdem der Fall der Florida gelöst worden war, befasste man sich mit der Alabama.
Cockburn protestierte ein weiteres Mal gegen die Arbeitsweise und beschwor seine
Kollegen, die Rechtsprinzipien vor den Fakten zu prüfen. In der Sitzung des 25. Juli
schloss sich d’Itajuba ihm an und bat darum die „Berater“ anzuhören, um einige
Rechtsfragen zu klären. Die Schiedsrichter lasen in alphabetischer Reihenfolge ihre
provisorische Meinung vor. Adams, Cockburn, d’Itajuba, Sclopis und Stämpfli sprachen
England der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Alabama schuldig.
Es gab nun noch weitere Fälle zu klären. Mit drei Stimmen gegen zwei (Cockburn und
d’Itajuba) wurde England im Fall der Shenandoah für schuldig erklärt, ein englisches
Handelsschiff, das gegen Kriegsende von den konföderierten Staaten gekauft und in ein
Passagierschiff umgebaut worden war. Britische Matrosen waren während eines
Aufenthalts in Melbourne rekrutiert worden, ohne dass die Behörden das Nötige getan
hätten, um dem „Foreign Enlistment Act“ durchzusetzen. England wurde hingegen
einstimmig freigesprochen, was die anderen in Frage stehenden Seeschiffe betraf: Die
Georgia, die Sumter, die Nashville, die Tallahasse, die Chikamauga, die Sallie. J. Davis,
die M. Boston, die V.H. Jay (im Falle der vier letzteren, aus Mangel an Beweisen).10
Das Urteil
Die Entschädigung betreffend liess der Vertrag von Washington den Schiedsrichtern die
Wahl zwischen der Festlegung einer pauschalen Summe oder der Weitergabe des Falls an
eine englisch-amerikanische Kommission. Man entschied sich für die erste Lösung, die
den Vorteil hatte, der Sache ein Ende zu bereiten.
Den rechnungsführenden, amerikanischen Experten zufolge belief sich der durch die
Alabama, die Florida, die Shenandoah und ihre Begleitschiffe entstandene Schaden auf
14’437’143 Dollar. Die britische Regierung entsandte zwei Experten nach Genf, die diese
Summe beanstandeten und lediglich einen Betrag von 7'074’715 Dollar zugestanden.
Selbstverständlich konnte das Gericht nur ein Rechungsgutachten akzeptieren in dem alles
berücksichtigt worden war. Einige Posten der amerikanischen Rechnung wurden vom
Gericht zurückgewiesen, da sie zweimal aufgeführt waren. Andere wurden als rechtlich
ungültig angesehen. Was den Rest anging, nahm man einfach das arithmetische Mittel aus
den amerikanischen Forderungen und dem, was von den Engländern zugestanden worden
war. Die Zahl, die das Gericht am Ende festlegte, betrug 15’500’000 Golddollar, darin
inbegriffen ungefähr 5 Millionen Dollar Zinsen, festgelegt auf 6% und berechnet für den
Zeitraum vom ersten Januar 1864 bis zum 15. September 1873.
Nachdem die Entschädigungssumme feststand, verfasste das Gericht den Urteilstext.
Dieser wurde zuerst in französischer Sprache aufgesetzt, danach fertigten Cockburn und
Adams eine englische Übersetzung an, die zur offiziellen Version wurde.
10
Die Alabama und die Florida waren zusätzlich mit Begleitschiffen (tenders) ausgestattet. Es handelte sich
hierbei um von ihnen auf dem offenen Meer gekaperte, in Satelliten umgewandelte Handelsschiffe. England
wurde auch für Plünderungen schuldig befunden, die von diesen Schiffen ausgegangen waren.
26
Das Gericht gönnte sich im Anschluss daran eine Woche Ferien, die Entscheidung sollte
jedoch nicht vor der Schlusssitzung bekannt werden.
Am Abend des 7. September, nach der letzten Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit,
fand ein großes offizielles Abendessen im Hotel de la Paix statt, zu dem der Staatsrat der
Republik und des Kantons Genf das Gericht einlud. Graf Sclopis hielt dort eine hoch
geschätzte Rede. Vier Tage später lud die schweizerische Regierung ihrerseits ein. Ein
Sonderzug brachte alle am Schiedsspruch beteiligten nach Bern, wo sie vom Präsidenten
der Eidgenossenschaft empfangen wurden. Am nächsten Tag fanden ein Ausflug nach
Interlaken und ein offizielles Essen in Anwesenheit des diplomatischen Corps statt.
Die Schlusssitzung
Am 14. September, dem Tag an dem das Urteil verkündet werden sollte, wurde es dank
Sclopis den Journalisten erlaubt, dieser letzten Sitzung beizuwohnen. Anwesend waren der
Staatsrat sowie einige geladene Gäste.
Man begann, wie gewöhnlich, mit dem Protokoll der vorangegangenen Sitzung. Danach
verlas Sekretär Favrot das Urteil auf Englisch. Es fehlte nur noch eine Formalität – die
Unterschrift der Richter. Zur Überraschung aller weigerte sich Cockburn seinen Namen
unter das Dokument zu setzen und erklärte, er habe in dem Text, den er in der Hand hielt,
seine abtrünnige Meinung dargelegt. Er hielt Favrot ein viele Seiten umfassendes
Dokument hin und wünschte, dass es dem Protokoll beigefügt werde. Niemand hatte
vorher davon gewusst, doch Sclopis bewahrte Ruhe und gab Cockburns Gesuch statt.
Die abtrünnige Meinung des englischen Schiedsrichters umfasste 250 grosse, gedruckte
Seiten und sorgte wegen ihres aggressiven Stils für Aufruhr. Und dennoch hatte der
ungestüme Cockburn den Auftrag des englischen Aussenministers nicht ganz zu dessen
Zufriedenheit ausgeführt, denn Granville hatte ihm am 21. August geschrieben:
„Mein lieber Cockburn,
Ich habe mit viel Bewunderung gelesen, was Sie mir von Ihrem Urteil mitteilten. Es ist mit
einer Klarheit geschrieben, wie sie fast nur Sie beherrschen. Es ist interessant zu lesen und
doch so leicht zu verstehen wie ein Roman.
Dennoch bedaure ich, dass Sie in ihrer Einführung den Vertrag, die Verhandlungen und
die Regierung kritisieren. [...]
Es ist nachvollziehbar, dass Ihnen der Gedanke kam, Kritik zu üben an diesem Vertrag, mit
dem Sie nie einverstanden waren. Doch dieser Vertrag ist vom Land akzeptiert worden und
sowohl die Nation als auch die Regierung waren sehr erleichtert darüber, dass er auch
weiterhin Bestand haben wird. [...] Ihr Urteil wird ein sehr wichtiges Staatsdokument sein,
das in der ganzen Welt von den kompetentesten Personen gelesen werden wird. Ich halte
es nicht für angebracht, dass ein Vertreter Englands seine Regierung und seine
diplomatischen Vertreter in den Schmutz zieht. Auch weiss ich nicht, was die Öffentlichkeit
davon hat, noch was es Ihrer bewundernswerten Argumentation nützt.“ *
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
27
Nachdem der Chief Justice seine abtrünnige Meinung übergeben hatte, hielt Präsident
Sclopis seine Abschlussrede. Artilleriesalven, abgefeuert von der Promenade de la Treille,
standen unter Aufbietung Genfer, schweizer, amerikanischer und britischer Flaggen am
Ende der Zeremonie.
Reaktionen
Wie wurde die Entscheidung des Genfer Schiedsgerichts von den Betroffenen
aufgenommen?
Die Vereinigten Staaten zeigten sich zufrieden mit ihrem „Sieg“11, nicht nur wegen der
zugesprochenen Entschädigung. Das Prestige war gleichermassen wichtig.
General Grant machte das positive Ergebnis des Schiedsspruchs sogar zum
Wahlkampfthema.
In England gab es keinen Grund zur Freude. Bei den darauffolgenden Wahlen verloren die
Liberalen die Mehrheit, eine Niederlage, die teilweise auch auf den durch die Genfer
Entscheidung verletzten Stolz der ersten Weltmacht zurückzuführen war. Wie Fitzmaurice
in seiner bemerkenswerten Biographie Granvilles schreibt: „Eine hochmütige Nation, noch
sehr überzeugt von den Traditionen der Epoche Lord Palmerstons, in der einige
einflussreiche Schichten noch von einer lebhaften und unvernünftigen Feindseligkeit
gegenüber den Vereinigten Staaten erfüllt waren, war vor ein Gericht ohne Vorgänger in
der Geschichte der Nationen gestellt worden, und das unter Umständen unter denen das
Urteil, zumindest in den wichtigsten Zügen, zu ihrem Nachteil ausfallen musste.“* Der
Vertrag von Washington und der Schiedsspruch von Genf müssen in Wirklichkeit zu den
Fällen gezählt werden, in denen sich die Regierungen weiser zeigten als die Nationen, die
sie regierten.
Am 13. September 1872 hatte die Times jedoch ihre Leser bereits darauf vorbereitet, den
Schiedsspruch zu akzeptieren, mit der Begründung, das Land sei auf lange Sicht nicht der
Verlierer. „Wie hoch auch immer die Entschädigungszahlungen ausfallen werden, England
kann dabei nur gewinnen: Im Falle eines Krieges, könnte es sich gegenüber den anderen
auf die neue Rechtsordnung berufen, die man ihm gegenüber angewendet hat.“
Es lohnt sich, einen Brief von Tenterden, dem „Vertreter“ der britischen Regierung, an
Aussenminister Granville vom 8. September 1872 zu zitieren, kurz nachdem er die
Entscheidung des Schiedsgerichtes erfahren hatte. Dieser Brief setzt mehrere Aspekte in
ein interessantes Licht. „Es ist in der Tat so,“, schrieb er, „dass wir in dem Augenblick, wo
wir uns mit dem Schiedsgericht einverstanden erklärt haben (und, wie Sie wissen, halte ich
es für politisch richtig), damit akzeptiert haben, uns einer Rechtsordnung zu unterwerfen,
die, in diesen Fragen des internationalen Rechts, sehr von unserer abweicht. Wir stützen
11
Dies wurde noch bestärkt durch die Tatsache, dass der Schiedsspruch des deutschen Kaisers in der Frage
der amerikanisch-kanadischen Seegrenze (San Juan Insel) den Vereinigten Staaten uneingeschränkt Recht
gab. Zwei britisch-amerikanische Kommissionen, eingesetzt gemäss des Vertrages von Washington, vergaben
dagegen: a) eine Entschädigung von fast 2 Millionen Dollar für Verluste, die Seine Majestät während des
Bürgerkrieges in Amerika erlitten hatte; b) eine Entschädigung von 5,5 Millionen Dollar für die an die USA
abgetretenen Fischereirechte Kanadas.
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
28
unser Rechtssystem auf Präzedenzfälle und auf die angloamerikanische Rechtssprechung.
Einem Aussenstehenden erscheint unser rechtliches Verfahren kompliziert.
In einer Angelegenheit wie dieser, ist es schwierig zu beurteilen, ob die fremde Sicht
richtig ist oder nicht. Für jemanden wie mich, der ganz in den Disput involviert war,
erscheint es im Augenblick als völlig falsch. Wir können diese Sichtweise nicht begreifen,
die uns oberflächlich und uninformiert erscheint. Für einen Aussenstehenden hingegen, ist
auch die uns eigene Sichtweise nur schwer nachvollziehbar; sie erscheint ihm unlogisch
und dem Code Napoléon widersprechend (der auf dem Kontinent das Gesetz ist).
Im vorliegenden Fall, erweist es sich vielleicht als gut, dass wir uns an ein Gericht gewandt
haben, dessen Mitglieder sich auf eine andere Rechtsquelle stützen, als die, bei uns in
Ehren gehalten wird.
Die Wahl der Schiedsrichter erschien mir persönlich willkürlich, und dadurch, dass sie des
Englischen nicht mächtig waren, ergaben sich natürlich grosse Schwierigkeiten. Betrachte
ich jedoch in aller Ruhe das Verfahren, jetzt, wo es abgeschlossen ist, gestatte ich mir den
Gedanken, dass es enorme Vorteile bietet, wenn sich ein Gericht aus einer bestimmten
Anzahl bekannter Männer zusammensetzt, die sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst
sind. So neutralisieren sie sich gegenseitig. Hätte man ein Staatsoberhaupt ausgewählt,
wäre von diesem wiederum jemand bestimmt worden, den Fall an seiner Stelle zu
untersuchen. Auf diese Weise hätten wir es nicht mit einem so genannten Juristen wie dem
Spanier Colos zu tun gehabt, der im gerade veröffentlichten zweiten Band seiner
„Geschichte des Internationalen Rechts“, nach einem langen Kapitel über die Forderungen
der Alabama im Grunde zur selben Schlussfolgerung wie die Schiedsrichter gelangt.
Ich gestehe für meinen Teil, dass ich keinen Moment lang zu hoffen wagte, im Fall der
Alabama zu gewinnen. Ich hatte meine Zweifel im Fall der Florida [...] und [...]
Befürchtungen im Fall der Shenandoah. [...] Aber, gesteht man sich erst einmal ein, dass
wir den Prozess verlieren mussten, so ist die Entschädigung noch gemässigt ausgefallen.
Hätte sich mein brasilianischer Freund nicht für uns eingesetzt, wäre sie sicherlich
mindestens anderthalb Millionen Pfund Sterling höher gewesen (d.h. mehr als 50%). [...]
Historische Bedeutung
Bei all den kleineren Zwischenfällen, die für dieses erste grosse Schiedsverfahren
charakteristisch sind, den manchmal etwas bitteren Bewertungen der Beteiligten, den
Hintergedanken der Regierungen, darf das Wesentliche nicht aus den Augen verloren
werden. Eine Affäre, in der die Empfindlichkeit einer Grossmacht und der Groll einer
anderen aufeinander trafen, wo beträchtliche materielle Interessen auf dem Spiel standen
und in der es noch kein festgelegtes Verfahren gab, ist auf eine Weise geregelt worden, die
letztlich zufriedenstellend war für die betroffenen Parteien, wie auch im Hinblick auf die
rechtliche Doktrin. Es ist nicht nötig, die Geschichte zu mystifizieren und so zu tun, als ob
die Richter auf dem Olymp gesessen hätten.
Die Zeitgenossen waren von dem spektakulären Erfolg dieses Schiedsverfahrens
beeindruckt, besonders, da es zuerst den Anschein gehabt hatte, als würde es scheitern12.
12
CL A. Strindberg: „Schweizer Novellen“, Seiten 205-208.
29
In einigen pazifistischen Kreisen glaubte man, ein Allheilmittel gefunden zu haben und
übersah, für wie viel Zündstoff die Annektierung der Region Elsass-Lothringen durch
Deutschland in Europa gesorgt hatte.
Es gab jedoch zahlreiche Warnungen vor einem allzu grossen Enthusiasmus. „Es scheint
mir“, schrieb beispielsweise A. River in seiner „Bibliothèque Universelle et Revue Suisse“,
dass die breite Masse die Tragweite dieses internationalen rechtlichen Einsatzes
überschätzte und sich in dieser Angelegenheit einigen Illusionen hingab, wobei sie
vielleicht die Schiedsrichter selbst imitierte. [...] Das Schiedsgericht von Genf wird als
Innovation gepriesen. [...] Man stellt das Schiedsgericht als die Regel der Zukunft dar, das
dazu bestimmt ist, den alten und abscheulichen Brauch der Durchsetzung von Recht durch
Waffengewalt zu entthronen. Man lobt Grossbritannien und die Vereinigten Staaten in den
höchsten Tönen dafür, nicht zu den Waffen gegriffen zu haben und für ihren Willen, das
Recht über die Waffengewalt zu stellen. Ich glaube, es ist angebracht, sich vor allzu
grosszügigen Utopien in Acht zu nehmen.“*
Zwar hat die Geschichte gezeigt, dass eine solche Skepsis zum Teil gerechtfertigt war;
würde man jedoch nur diesen Aspekt betrachten, liesse man einen grossen Teil der
historischen Realität ausser Acht.
Worin besteht also die historische Bedeutung des Schiedsgerichts von Genf?
Zunächst einmal war dieses wichtige Ereignis für die Stadt Genf insofern von Bedeutung,
als dass es ihr ein beträchtliches internationales Ansehen verschaffte. Am Ende des Ersten
Weltkriegs, als sich die Frage nach dem Sitz der Vereinten Nationen stellte, riefen die
lokalen Stadträte die Erinnerung an das Alabama-Schiedsgericht wieder hervor, mit dem
Sitz des Roten Kreuzes als dem wichtigsten subjektiven Argument für eine Kandidatur
Genfs; ohne in irgendeiner Weise die objektiven Vorteile herabzusetzen, die der Kanton
diesbezüglich besass.
Auf internationaler Ebene, bedeuteten der Vertrag von Washington und das AlabamaSchiedsgericht sicherlich einen Wendepunkt in den anglo-amerikanischen Beziehungen. Es
konnten so die Hauptursachen gegenseitiger Spannungen zwischen den beiden Ländern
dauerhaft aus dem Weg geräumt werden; so dass die Grenze zwischen Kanada und den
Vereinigten Staaten seitdem nicht mehr militärisch bewacht wird. Und war es England,
während des Ersten Weltkrieges möglich, eine wirkungsvolle Blockade in der Nordsee zu
errichten, ohne die Vereinigten Staaten gegen sich aufzubringen, so ist auch dies
grösstenteils auf die Vereinbarungen von 1871-1872 zurückzuführen.
Das Schiedsgericht von Genf stellt schliesslich eine bedeutende Etappe in der Entwicklung
der internationalen Justiz dar. Schon 1871-1872 entwickelten zwei bedeutende Juristen, der
Genfer G. Moynier und der Amerikaner E. Lieber die Idee einer internationalen Konferenz
von Juristen, um über Möglichkeiten der Förderung und Weiterentwicklung des
Internationalen Rechts zu beraten. Es entwickelte sich eine lebhafte Korrespondenz und im
November 1872 schlug Bluntschli vor, eine Akademie oder ein Institut des Internationalen
Rechts zu gründen.
Als Standort wählte man Gent, da dort zu jener Zeit eine der bedeutendsten Zeitschriften
des Internationalen Rechts publiziert wurde. Die ersten Arbeiten des Instituts galten dem
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
30
Schiedsverfahren und dem Studium der drei Regeln des Seerechts aus dem Vertrag von
Washington; „man war sich einig darüber, dass Genf nahezu prädestiniert war“ für diese
Session (1874). „Diese berühmte Stadt“, so hiess es weiter im Bericht, „empfahl sich nicht
nur durch ihre aussergewöhnliche Lage, durch den besonders hohen Rang, den sie in der
Geschichte der Wissenschaften und der Philosophie bekleidet, sondern noch mehr durch
die noch frische Erinnerung an die Genfer Konvention und das Alabama-Schiedsgericht.“
Der Erfolg des Alabama-Schiedsgerichts hat andere Vereinbarungen ähnlicher Art
beträchtlich angeregt. Um die hundert Streitfälle sind in den nachfolgenden dreissig Jahren
durch ein Schiedsverfahren beigelegt worden; die Einführung der Schiedsklausel hat sich
im 20. Jahrhundert in bilateralen und multilateralen Verträgen vervielfacht. Heute tagt der
Internationale Gerichtshof regelmässig in Den Haag.
Trotz allem ist das Gespenst des Krieges nicht verschwunden. Es ist ein tragisches
Paradox, dass die Entwicklung des Völkerrechts – und insbesondere des Friedensrechts –
mit der Zunahme an Möglichkeiten, Völker zu vernichten und zu unterdrücken –
einherging!
ALABAMA
SEEWEG MÄRZ 1862 BIS JUNI 1864

Kurze Zusammenfassung der Ereignisse:
März 1862
Die Oreto, das erste von den Briten gebaute Kriegsschiff, verlässt
den Hafen von Liverpool
„ORETO“
umgetauft in
„FLORIDA“
„NO 290“
umgetauft in
„ALABAMA“
Die No 290, das zweite vom Stapel gelaufene Kriegsschiff, dessen
Beschlagnahme für Montagnachmittag, den 28. Juli 1862
vorgesehen ist, läuft unbotmässig schon am Morgen aus. Es nimmt
Kurs auf die Azoren, wo es mit Kanonen ausgerüstet und in
„Alabama“ umgetauft wird. Unter dem Kommando von Kapitän
Semmes und seiner britischen Mannschaft, überquert die Alabama
mehrere Male den Atlantik, durchkreuzt den Golf von Mexiko,
segelt entlang der Küsten Brasiliens, passiert das Kap der Guten
Hoffnung bis zum Indischen Ozean. Sie bringt 60 feindliche Schiffe
auf.
11. Juni 1864
Die Alabama läuft in den Hafen von Cherbourg ein, wo einige
Reparaturen vorgenommen werden sollen. Sie geht innerhalb der
Hafenbegrenzung vor Anker.
„USS
KEARSARGE“
Auf Patrouille im Ärmelkanal, postiert sich der Kreuzer zu
31
Überwachungszwecken ausserhalb der Hafenbegrenzung.
Vereinigte Staaten von Amerika, Golf von Mexiko, Brasilianische Küste, Atlantischer
Ozean, Azoren, Kap der Guten Hoffnung, Indischer Ozean, Grossbritannien, Liverpool,
Cherbourg, Frankreich,
Alabama Seeweg März 1862 bis Juni 1864
19. Juni zwischen
8 und 10 Uhr
Die Alabama, mit acht Kanonen bewaffnet, verlässt die Reede und
nimmt Kurs auf die Kearsarge, mit 7 Kanonen grösseren Kalibers
und durch eine Kettenpanzerung geschützt. Die Kearsarge steht
unter dem Kommando von Kapitän Winslow. Es kommt zu einem
der spannendsten Seegefechte der Geschichte. Die zwei Schiffe
drehen sich scheinbar endlos in einer engen Ellipse, passieren sich
sieben Mal querschiffs, feuern alle ihre Kanonen aus nächster Nähe
ab. Als sie sich das siebte Mal passieren, trifft eine Kanonenkugel
die Dampfmaschine und macht so der Odyssee der Alabama ein
Ende.
Zwei andere
Kriegsschiffe
Mit Kettenpanzerung, gebaut im Hafen von Liverpool, werden von
der englischen Regierung erworben.
Porträts der Kapitäne Semmes und Winslow, die die Alabama und die Kearsarge
kommandierten.
Modell der Alabama von E.W. Wanner, Maler und Modellbauer, als Geschenk an den
Kanton Genf 1976.
JAHRHUNDERT-RETROSPEKTIVE ZUM ALABAMASCHIEDSSPRUCH

von Professor Clive Parry, Professor für Internationales Recht an der Universität
Cambridge, Fellow of Downing College of Cambridge
Heute pflegt man berühmte Ereignisse vergangener Zeiten herabzusetzen. In diesem
Zusammenhang mag das Alabama-Urteil womöglich als ungerecht oder belanglos – oder
beides zugleich – angesehen werden.
Unumstössliche Tatsache ist jedoch, dass sich zwei Grossmächte – die eine auf dem
Höhepunkt ihrer Imperialmacht, die andere noch immer bewaffnet und von einem
Bürgerkrieg geplagt – plötzlich ihrer gemeinsamen, unvergleichlichen Rechtstradition
besinnen und ein Schiedsgericht einem bewaffneten Konflikt vorziehen.
32
Selbst nach all den vergangenen Jahren tut man sich noch schwer damit, dass der
Schuldspruch nicht unbedingt stichhaltig begründet war, denn in England wurde nie gross
Wert auf die berühmten drei Regeln des Vertrages von Washington gelegt.
Tut uns leid, aber...
So stand es schon im Vertrag. Die Regierung Ihrer Majestät, heisst es darin, möchte ihr
Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass die Alabama und andere Schiffe, unter
welchen Umständen auch immer, erneut von britischen Häfen in See gestochen seien und
Schäden verursacht hätten. Obwohl eingeräumt wurde, dass die Sache vorschriftsmässig
behandelt würde, hiess es ausdrücklich im Vertrag, dass besagte Vorschriften keinesfalls
als „Ausdruck der Prinzipien des bei Auftreten der Meinungsverschiedenheit gültigen
internationalen Rechts“ anerkannt werden.
Womöglich sind die Regeln akzeptabler als sie diese Erklärung erscheinen lässt, denn im
Grunde verlangen sie bloss, dass die Staaten sämtliche Anstrengungen unternehmen, dass
innerhalb ihres Hoheitsgebiets keine Schiffe bewaffnet werden, die im Verdacht stehen, zu
Kriegszwecken gegen eine befreundete Nation eingesetzt zu werden.
Inakzeptabel ist jedoch die Schlussfolgerung des Schiedsgerichtes, wonach der Umfang
dieser vom neutralen Staat geforderten Massnahmen nicht von den Mitteln abhängt, die
ihm dazu zur Verfügung stehen, sondern vom Risiko, dem die angegriffene Nation
ausgesetzt war.
Grünes Licht
Es mutet schon eigenartig an, wenn ein Schiff wie die Alabama in einem Hafen der Grösse
Liverpools praktisch ungestört bewaffnet werden kann. Tatsache ist ausserdem, wie das
Schiedsgericht anmerkte, dass die Alabama – nachdem sie das erste Mal ausgelaufen war–
wiederholt britische Häfen (obschon weitentfernte in den Kolonien) angelaufen hat um von
dort erneut ungehindert in See zu stechen.
Ein Grund hierfür hätte sein können, dass sich der geistige Zustand des königlichen
Anwalts verschlechtert hatte, was von Lady Harding – die „als Ehefrau mehr taugte denn
als Staatsbürgerin“* – verschwiegen wurde. Plausibler ist jedoch, dass das Landrecht
Englands der Regierung jedwedes Einschreiten untersagte.
Auf jeden Fall wurde die Alabama nicht am Auslaufen gehindert und die britische
Regierung behauptete diesbezüglich, dass das internationale Recht nicht explizit gewesen
sei. So gesehen war der Fall wie geschaffen für ein Schiedsgericht.
Juristen, besonders anglo-amerikanische, überschätzen häufig die rechtlichen
Möglichkeiten zur Beilegung eines zwischenstaatlichen Konflikts. Die Feststellung des
verstorbenen George Scelle, wonach es noch nie einen volksnahen Gerichtsentscheid
gegeben habe, bleibt zutreffend. Genau wie rechtliche Bestimmungen, einschliesslich des
Alabama-Urteils, sind Schiedssprüche in ihrem jeweiligen Zusammenhang zu sehen.
Fortsetzung einer Tradition
Ein Schiedsgericht anstelle eines bewaffneten Konflikts zwischen Grossbritannien und den
Vereinigten Staaten ist an sich kein Novum, sondern ganz einfach die Fortsetzung einer
Schiedsgerichtstradition, die unmittelbar nach der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten
ein Jahrhundert zuvor ihren Anfang genommen hatte.
*
Anm.d.Übers. : Eigene Übersetzung
33
Gewiss wurde Grossbritannien zur Zahlung von 15,5 Mio. Dollar verurteilt. Bevor jedoch
naiverweise behauptet wird, der Scheck sei eingelöst worden, so sollte man wissen, dass
die Schuld in Tat und Wahrheit mittels Rückzahlungen ausstehender Schulden an die
Amerikaner getilgt wurde.
Ist sich jedermann bewusst, dass die Halifax-Kommission noch im gleichen Jahrzehnt
unter dem Deckmantel des Vertrages von Washington vom 8. Mai 1871, der die
Rechtsgrundlage für das Alabama-Urteil bildete, Grossbritannien 5,5 Mio. Dollar zu
Lasten der Vereinigten Staaten zugesprochen hat?
Hätte sich die in einem der Verfahren voraussichtlich unterliegende Partei auch dann der
Rechtsprechung gebeugt, wenn sie sich im anderen Verfahren des Sieges nicht sicher
gewesen wäre?
Friedliche Lösung
Die Bedeutung des Alabama-Urteils liegt in der Tatsache, dass es die englischamerikanische Schiedsgerichtstradition nicht begründete, sondern bekräftigte. Es handelt
sich hierbei um ein ähnliches Phänomen wie bei gewissen Autoren oder Staatschefs, deren
Bekanntheitsgrad im Ausland höher als im Heimatland ist.
Im Ausland hinterliess das Urteil zweifellos einen bleibenden Eindruck, da sich diese
Methode zur Konfliktlösung grundlegend von derjenigen unterschied, die Deutschland und
Frankreich bei ihren damaligen Streitfragen anwandten.
Mit Genugtuung darf festgestellt werden, dass der Schiedsspruch zum Ruf der Stadt Genf
als Hauptstadt der Nationen beitrug. Nicht vergessen darf man, dass dank der betreffenden
Parteien nicht nur deren Gesetzgebung, d. h. die drei Regeln, sondern auch deren bewährte
Gepflogenheit zur Verteidigung vor Gericht Einzug hielt.
DIE BEDEUTUNG DES ALABAMA-SCHIEDSSPRUCHS

Francis Stephen Ruddy,
Member of the New York and District of Columbia bars, Co-Editor, American international
law cases.
Die politische Realität der Staatssouveränität und das Wunschdenken eines
zwischenstaatlichen Gesetzes in Einklang zu bringen ist – vom Westfälischen Frieden bis
zum Frankfurter Vertrag – ein immer wiederkehrendes Thema im internationalen Recht.
So ist es Ironie der Geschichte, dass just in der Zeit um 1870, als in Europa nach drei
Jahrhunderten des Idealismus der politische Individualismus vergangener Zeiten wieder
Einzug hielt, auch neue Hoffung auf einen Kompromiss zwischen traditionellen Idealen
und politischen Tatsachen entstand.
Begreifbar wird diese Hoffnung durch die neue Ära des Nationalismus, des Realismus, die
die Notwendigkeit eines Systems deutlich machte, das die souveränen Staaten vor dem
Imperialismus zu Beginn des 19. Jh. bewahrt hatte.
34
Angesichts des ungeordneten Zustandes der internationalen Politik käme jedoch nur ein
System in Frage, das in kollektiver Zusammenarbeit der souveränen Staaten entstanden
wäre.
Die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit gaben eine Vorahnung, in welche Richtung es dabei
gehen sollte. Die Auflösung des Deutschen Staatenbundes, das französische Desaster in
Sedan, Russlands Lossagung von seinen Verpflichtungen im Schwarzen Meer und das
Verschwinden der Kirchenstaaten liessen hierbei auf einen Kompromiss schliessen.
Klarheit darüber, wie das Problem anzugehen ist, herrscht jedoch erst nach 1900, und die
zwei Weltkriege waren weniger von Kampf um Unabhängigkeit des Staates, als vielmehr
vom Ringen um Vorherrschaft im Staat selber geprägt.
Dennoch führt der Vertrag von Washington noch im selben Jahr, als der Frankfurter
Vertrag nach dem Deutsch-Französischen Krieg den Frieden vorschreibt, zum AlabamaSchiedsgericht und zeigt somit, wie die Weltordnung im neuen politischen Zeitalter
aussehen könnte.
Die Bedeutung des Alabama-Schiedsspruchs rührt nicht daher, dass er die internationalen
Beziehungen in eine andere Richtung lenkte, die Lösung internationaler Probleme
darstellte oder das Geben und Nehmen in einer Epoche der Aggression und
Unnachgiebigkeit symbolisierte, sondern in erster Linie daher, dass er das internationale
Recht in der Sprache der souveränen Staaten bekräftigte, was heutzutage für die
internationalen Beziehungen kennzeichnend ist.
Der Alabama-Schiedsspruch unterstrich ausserdem die Pflichten, die die Neutralität mit
sich bringt. Das Schiedsgericht bestätigte, was Calvo mit den Worten "... die seit langem
anerkannten Grundsätze, die das Verhalten der neutralen Staaten regelten"* umschrieben
hatte.
Die durch den Vertrag von Washington festgelegten Neutralitätspflichten, die das
Schiedsgericht geltend machte, sind schon seit langem praktisch weltweit als Teil der Den
Haager Konvention von 1907 betreffend die Neutralität im Seekrieg anerkannt worden.
Nicht so eindeutig wie die Neutralitätsregeln ist die erfolgreiche Überwindung des so
genannten „verfahrensrechtlichen Schutzes“ vor internationalen Verpflichtungen durch das
Schiedsgericht.
Weshalb auch immer England den internationalen Neutralitätspflichten nicht
nachgekommen war: Nach englischem Recht handelte England nicht gesetzeswidrig, denn
die konföderierten „Vetreter“ waren durch das Gesetz von 1819 (über die Verpflichtung
gegenüber Fremdmächten) vor der Strafverfolgung geschützt, sofern sie entsprechend der
etwas eigenartigen Formel des Falles Alexandra handelten. Trotz Einwänden der
Amerikaner bezüglich des Baus von Schiffen für die Konföderierten, lehnte es das
englische Parlament während des Bürgerkrieges ab, diesem Umstand durch den Erlass
eines Gesetzes Abhilfe zu schaffen.
Mit dieser Vorgehensweise verfügten die Staaten über einen verfahrensrechtlichen Schutz
vor fremder Überprüfung; sie waren sozusagen gerichtlich nicht belangbar. Vattel drückte
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
35
es folgendermassen aus: „Jeder selbständige und souveräne Staat kann nach eigenem
Wissen und Gewissen beurteilen, was seine Pflichten von ihm abverlangen, was rechtlich
möglich ist und was nicht. Urteilen aber andere über ihn, so wird er in seinen kostbarsten
Rechten, den Grundrechten, verletzt.“*
Vor Gewaltanwendung und Krieg war indes niemand gefeit. „Das Recht ..., gewaltsam zu
seinem Recht zu kommen gegenüber demjenigen, der ... es nicht anerkannt..., erwies sich
als legitimes Mittel für die geschädigte Partei.“*
Durch den Alabama-Schiedsspruch und, in geringerem Masse, den zum Abschluss des JayVertrags von 1794 führenden Schiedsspruch wurde ein Ausweg aus diesem Dilemma
gefunden. Grossbritannien akzeptierte, dass ihm positivrechtliche Verpflichtungen
auferlegt wurden, welche nicht ausdrücklich aus der Neutralitätserklärung hervorgingen.
Der Alabama-Schiedsspruch bestätigte so nicht nur die internationalen Rechtsgrundsätze,
sondern setzte diese mit der näheren Bestimmung der Pflichten des souveränen Staates
auch in die Tat um.
Der Alabama-Schiedsspruch soll gewürdigt werden, nur schon deshalb, weil dadurch ein
Konflikt friedlich gelöst wurde, den nur kriegerische Auseinandersetzungen hätten
beenden können. Erst recht aber deshalb, da er einen Meilenstein in der
Entwicklungsgeschichte der internationalen Verantwortlichkeit darstellt.

DIE DREI REGELN
aufgeführt in Artikel VI des Vertrages von Washington*
Eine neutrale Regierung ist verpflichtet
1.
Alle nötigen Massnahmen zu ergreifen, um mit ihrer Rechtsprechung zu verhindern,
dass sich ein Schiff mit Waffen oder Besatzung in ihren Gewässern aufhält, wenn die
Regierung Grund genug hat zur Annahme, dass das Schiff dazu bestimmt ist, in See zu
stechen und Kriegshandlungen gegen eine Macht auszuführen, mit der sie selbst in
Frieden ist. Auch muss die Regierung alle nötigen Massnahmen ergreifen, um zu
verhindern, dass ein vollständig oder teilweise zur Kriegsführung gerüstetes Schiff,
das dazu bestimmt ist, in See zu stechen oder andere Kriegshandlungen auszuführen,
wie oben beschrieben, das Gebiet ihrer Rechtssprechung nicht verlässt.
2.
Eine neutrale Regierung darf weder erlauben noch tolerieren, dass eine der
Kriegsparteien ihre Häfen oder Gewässer als Basis für eine Operation zu See gegen
einen anderen Gegner benutzt; auch darf die Regierung nicht tolerieren, dass eine der
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
36
Kriegsparteien ihre militärische Versorgung aufstockt oder erneuert, ob es sich um
Waffen oder um Besatzung handelt.
3.
Die Regierung muss alle erforderlichen Massnahmen in ihren Häfen und Gewässern
ergreifen, damit jeglicher Verletzung der oben aufgeführten Vorschriften und
Aufgaben vorgebeugt werden kann; die Regierung verhält sich gegenüber allen
Personen, die sich innerhalb ihrer Rechtssprechung befinden, gleich.
37
ANHANG I DES PROTOKOLLS XXXII

____________
ENTSCHEID
des
SCHIEDSGERICHTES
Gebildet gemäss Artikel I des am 8. Mai 1871 in Washington zwischen den Vereinigten
Staaten von Amerika und Ihrer Majestät der Königin des Vereinigten Königreichs von
Grossbritannien und Irland abgeschlossenen Vertrags.
____________________
Die Vereinigten Staaten von Amerika und Ihre Majestät die Königin des Vereinigten
Königreichs von Grossbritannien und Irland,
sind gemäss Artikel I des am 8. Mai 1871 in Washington unterzeichneten und
abgeschlossenen Vertrags übereingekommen, dass sämtliche unter dem Überbegriff
„Alabamaforderungen“ bekannten Forderungen einem fünfköpfigen Schiedsgericht
unterbreitet werden, dessen Mitglieder wie folgt ernannt werden:
eines durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten;
eines durch Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien;
eines durch Seine Majestät den König von Italien;
eines durch den Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft;
eines durch Seine Majestät den Kaiser von Brasilien;
und in Anbetracht, dass
der Präsident der Vereinigten Staaten;
Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien;
Seine Majestät der König von Italien;
der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft;
und Seine Majestät der Kaiser von Brasilien;
jeweils einen Schiedsrichter ernannt haben, namentlich:
Der Präsident der Vereinigten Staaten:
Charles Francis Adams, Esquire;
Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien:
The Right Honourable Sir Alexander James Edmund Cockburn, Berater Ihrer Majestät
im Privy Council, Chief Justice von England;
Seine Majestät der König von Italien:
Seine Exzellenz Graf Frederico Sclopis von Salerano, Ordensritter der
Annonciaden, Staatssekretär, Senator des Königreichs Italien;
Der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft:
Herrn Jakob Stämpfli;
Seine Majestät der Kaiser von Brasilien:
38
Seine Exzellenz Herr Marcos Antonio d’Araujo, Comte d’Itajubà, Graò de l’Empirio do
Brasil, Mitglied im Rat Ihrer Majestät des Kaisers von Brasilien, und Sondergesandter und
bevollmächtigter Minister in Frankreich;
und dass die fünf oben erwähnten Schiedsrichter am 15. Dezember 1871 gemäss Artikel
II des Vertrags von Washington desselben Jahres in Genf (Schweiz) in einem der Säle des
Rathauses zusammengekommen sind und nach der Prüfung und Authentifizierung ihrer
Ernennungsurkunden diese als ordnungsgemäss befunden haben
hat sich das Schiedsgericht als konstituiert erklärt.
Die von den Vertragsparteien gestützt auf Artikel II benannten Vertreter, namentlich:
Für die Vereinigten Staaten von Amerika:
Herr John C. Bancroft, Esquire
und
Für Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien:
Charles Stuart Aubrey, Lord Tenterden, Peer of the United Kingdom,
Companion of the Most Honourable Order of the Bath, Assistant-UnderSecretary of State for Foreign Affairs,
deren Befugnisse gleichermassen für ordnungsgemäss befunden wurden,
haben gemäss Artikel III des genannten Vertrags jedem der Schiedsrichter das von jeder
Vertragspartei ausgefertigte schriftliche Memorandum zusammen mit Schriftstücken, der
offiziellen Korrespondenz und anderen Beweisstücken, auf die jede Partei sich stützt,
vorgelegt.
Kraft der Entscheidung des Schiedsgerichts in der ersten Sitzung wurde das
Gegenmemorandum, zusammen mit Schriftstücken, der offiziellen Korrespondenz und
zusätzlichen Beweisstücken, die in Artikel IV des genannten Vertrags erwähnt werden,
von den jeweiligen Vertretern der beiden Parteien am 15. April 1872 im Konferenzsaal des
Rathauses von Genf dem Sekretär des Schiedsgerichts ausgehändigt.
Das Schiedsgericht hat sich, gemäss der in der zweiten Sitzung vom 16. Dezember
1871 festgelegten Vertagung, am 15. Juni 1872 erneut in Genf versammelt, und der
Vertreter jeder Partei hat dort jedem der Schiedsrichter sowie dem Vertreter der anderen
Partei die in Artikel V des Vertrags genannte abschliessende Stellungnahme ausgehändigt.
Das Schiedsgericht, nachdem es vom genannten Vertrag, den erwähnten Memoranda,
Gegenmemoranda, Schriftstücken, Beweisstücken und abschliessenden Stellungnahmen
sowie anderen Mitteilungen, die ihm durch die Parteien während der Sitzungen gemacht
wurden Kenntnis genommen hat, und nachdem es diese unvoreingenommen und sorgfältig
geprüft hat,
hat gestützt auf Artikel VI und VII des genannten Vertrags folgendermassen entschieden:
In Anbetracht,
dass sich die Schiedsrichter laut Artikel VI in der Entscheidung der Streitfragen, die
ihnen unterbreitet sind, an die drei dort festgehaltenen Regeln und an die Prinzipien des
Völkerrechtes, die mit diesen Regeln nicht unvereinbar sind und von den Schiedsrichtern
für den vorliegenden Fall als anwendbar betrachtet werden, halten müssen;
In Anbetracht,
39
dass die „gebührende Sorgfalt“, von welcher die erste und dritte der besagten Regel
handelt, von den neutralen Regierungen angewendet werden muss, da für die eine oder
andere Krieg führende Partei eine direkte Gefahr entstehen könnte, wenn die
Neutralitätspflichten nicht eingehalten werden;
In Anbetracht,
dass die Umstände, unter welchen sich der Sachverhalt des vorliegenden Falles ereignete,
derartiger Natur waren, dass sie die Besorgnis der Regierung Ihrer Majestät der Königin
von Grossbritannien erregen mussten, denn sie betrafen die Rechte und Pflichten der am
13. Mai 1861 von der Königin verkündeten Neutralität;
In Anbetracht,
dass die Konsequenzen der Neutralitätsverletzung durch den Bau eines Schiffes, dessen
Ausrüstung und Ausstattung mit Waffen nicht durch den Einsatz eines
Regierungsausschusses hätten beseitigt werden können, den die Krieg führende Partei, zu
Gunsten derer die Neutralität verletzt wurde, dem besagten Schiff gewährt hätte;
dass es in der Tat unzulässig ist, dass der Endzweck der Straftat zum Motiv wird,
um den Straftäter freizusprechen und dass der Betrug zum Mittel wird, um den Betrüger
für unschuldig zu erklären;
In Anbetracht,
dass das Privileg der Exterritorialität, das Kriegsschiffen gewährt wird, im Völkerrecht
nicht als absolutes Recht gilt, sondern eine Frage der Courtoisie und des
zwischenstaatlichen Respekts ist, und dass man sich nicht auf dieses Privileg berufen kann,
um neutralitätswidrige Handlungen zu rechtfertigen;
In Anbetracht,
dass das Unterlassen einer vorherigen Benachrichtigung nicht bloss als Verletzung der
völkerrechtlichen Courtoisie betrachtet werden kann, wenn die Neutralitätspflichten durch
das Schiff selbst verletzt werden;
In Anbetracht,
dass die Belieferung mit Kohle nur unter besonderen zeitlichen, persönlichen oder
örtlichen Umständen der zweiten Regel widerspricht, wonach es verboten ist, dass ein
Hafen oder neutrale Gewässer von einer Krieg führenden Partei als Operationsbasis für
den Seekrieg benutzt werden;
In Anbetracht,
betreffend das Schiff « Alabama »
dass aus allen Fakten, die mit dem Bau dieses Schiffes, welches zunächst mit der Zahl
„290“ bezeichnet wurde, im Hafen von Liverpool und mit seiner Ausrüstung und
Ausstattung mit Waffen an der Küste von Terceira durch die Schiffe „Agrippina“ und
„Bahama“, die von England her kamen, in Verbindung stehen, deutlich hervorgeht, dass es
40
die Regierung von Grossbritannien versäumt hat, die für die Einhaltung ihrer
Neutralitätspflichten gebührende Sorgfalt einzusetzen, da die besagte Regierung während
der Bauphase der „290“ trotz der Stellungnahmen und offiziellen Beschwerden der
diplomatischen Vertreter der Vereinigten Staaten nicht rechtzeitig angemessenen
Massnahmen ergriffen hat, und dass jene, die schliesslich getroffen wurden, um das
besagte Schiff anzuhalten, so spät angeordnet worden waren, dass sie nicht mehr
durchgeführt werden konnten;
In Anbetracht,
dass die nach der Flucht des besagten Schiffes getroffenen Massnahmen, um dieses zu
verfolgen und anzuhalten, so unvollständig waren, dass sie zu keinem Resultat führten und
somit nicht als ausreichend betrachtet werden können, um Grossbritannien von seiner
Verantwortlichkeit zu befreien;
In Anbetracht,
dass trotz der von der „290“ begangenen Verletzungen der Neutralitätspflicht
Grossbritanniens, das selbe Schiff, nun bekannt als konföderierter Kreuzer „Alabama“, in
den Häfen britischer Kolonien noch mehrere Male ohne Beschränkung zugelassen wurde,
obwohl in allen Häfen, die der britischen Hoheitsgewalt unterstellt waren und in denen das
Schiff angetroffen wurde, gegen dieses hätte vorgegangen werden müssen;
In Anbetracht,
dass die Regierung Ihrer Majestät der Königin von Grossbritannien sich in Bezug auf das
Versäumnis der gebührenden Sorgfalt nicht rechtfertigen kann, indem sie die
Unzulänglichkeit der rechtlichen Mittel, über welche sie verfügen konnte, anbringt,
sind vier Mitglieder des Schiedsgerichts aus diesen Gründen und das fünfte aus eigenen
Gründen der Meinung,
„dass Grossbritannien durch Unterlassung die in der ersten und dritten Regel von
Artikel VI des Vertrags von Washington vorgesehenen Pflichten verletzt hat.“
In Anbetracht,
Betreffend das Schiff „Florida“,
dass aus allen Fakten, die mit dem Bau der „Oreto“ im Hafen von Liverpool, und ihrem
Auslaufen aus diesem Hafen in Verbindung stehen, hervorgeht, dass die Regierung Ihrer
Majestät der Königin von Grossbritannien es versäumt hat, die gebührende Sorgfalt für die
Einhaltung der Neutralitätspflichten walten zu lassen, da die britischen Behörden nicht die
geeigneten Massnahmen ergriffen haben, um die Verletzung der britischen Neutralität zu
verhindern, obwohl die Vertreter der Vereinigten Staaten dies mehrmals verlangt hatten;
In Anbetracht,
dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der „Oreto“ in Nassau,
ihrem Auslaufen aus dem Hafen, dem Anheuern einer Besatzung, der Aufnahme von
Nahrungsmitteln und der Bewaffnung mit Hilfe des englischen Schiffes „Prince Alfred“ in
41
Green Cay hervorgeht, dass Fahrlässigkeit von Seiten der britischen Kolonialbehörden
vorliegt;
In Anbetracht,
dass trotz der Verletzung der Neutralitätspflichten seitens Grossbritanniens durch die
„Oreto“ dasselbe Schiff als konföderierter Kreuzer „Florida“ noch mehrfach in britischen
Kolonialhäfen frei eingelassen wurde;
In Anbetracht,
dass der Freispruch der „Oreto“ in Nassau, Grossbritannien nicht von seiner
völkerrechtlichen Verantwortlichkeit befreit;
In Anbetracht,
dass das Einlaufen der „Florida“ in den konföderierten Hafen von Mobile und deren
viermonatiger Aufenthalt in diesem Hafen die Verantwortlichkeit Grossbritanniens nicht
verhindern kann:
Aus diesen Gründen,
ist das Schiedsgericht
mit einer Mehrheit von vier Stimmen gegen eine der Meinung,
dass Grossbritannien durch Unterlassung die Pflichten, die in der ersten, zweiten und
dritten Regel von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten sind, verletzt hat.
In Anbetracht,
betreffend das Schiff „Shenandoah“
dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Handelsschiffes „SeaKing“ aus London und der Umwandlung dieses Schiffes in den konföderierten Kreuzer
„Shenandoah“ nahe der Insel Madeira hervorgeht, dass der Regierung Ihrer Majestät der
Königin von Grossbritannien nicht vorgeworfen werden kann, es bis zu diesem Zeitpunkt
versäumt zu haben, die gebührende Sorgfalt für die Einhaltung der Neutralitätspflichten
walten zu lassen;
In Anbetracht jedoch,
dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der „Shenandoah“ in
Melbourne und vor allem der heimlichen Aufstockung der Besatzung in diesem Hafen, wie
sie von der britischen Regierung selbst zugegeben wurde, hervorgeht, dass Fahrlässigkeit
von Seiten der britischen Regierung vorliegt;
Aus diesen Gründen,
ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung:
dass Grossbritannien betreffend das Schiff „Shenandoah“ vor dessen Einlaufen in den
Hafen von Melbourne weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in
den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den
Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt
sind, verletzt hat;
und entscheidet mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen:
dass Grossbritannien betreffend desselben Schiffes nach dessen Einlaufen in Hobson’s
Bay durch Unterlassung Pflichten nach der zweiten und dritten oben erwähnten Regel nicht
42
nachgekommen ist, und dass Grossbritannien für die Handlungen, die dieses Schiff nach
dem Auslaufen aus Melbourne am 18. Februar 1865 begangen hat, verantwortlich ist.
Betreffend die Schiffe
„Tuscaloosa“,
(Begleitschiff der „Alabama“)
„Clarence“,
„Tacony“,
„Archer“,
(Begleitschiffe der „Florida“)
ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung:
dass die Tender oder Begleitschiffe als Zubehör zu betrachten sind und daher das
Schicksal der Hauptschiffe teilen und den gleichen Entscheidungen unterstehen.
Betreffend das Schiff „Retribution“
ist das Schiedsgericht mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen der
Meinung:
dass Grossbritannien weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in
den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den
Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt
sind, verletzt hat.
Betreffend die Schiffe
„Georgia“,
„Sumter“,
„Nashville“,
„Tallahassee“,
„Chickamauga“,
ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung:
dass Grossbritannien weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in
den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den
Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt
sind, verletzt hat.
Betreffend die Schiffe
„Sallie“,
„Jefferson Davis“,
„Music“,
„Boston“,
„V. H. Joy“,
ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung:
sie mangels Beweisen aus dem Schiedsverfahren auszuschliessen.
43
Bezüglich der Entschädigungsforderung der Vereinigten Staaten
zieht das Schiedsgericht in Erwägung,
dass die Kosten für die Verfolgung der konföderierten Kreuzer als Teil der allgemeinen
Kriegskosten der Vereinigten Staaten zu betrachten sind;
und ist mit drei gegen zwei Stimmen der Meinung,
dass den Vereinigten Staaten dafür keine Entschädigung zusteht.
In Erwägung,
dass der „mögliche Gewinn“ nicht kompensiert werden kann, da es sich um zukünftige
und unsichere Werte handelt;
ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung,
dass den Vereinigten Staaten dafür keine Entschädigung zusteht.
In Erwägung,
dass zur Berechnung einer angemessenen Entschädigungssumme für die erlittenen
Schäden alle „doppelten Forderungen“ ausgeschlossen werden müssen und bei Forderungen
für „Fracht“ nur die „Nettofracht“ in Betracht gezogen werden darf.
In Erwägung,
dass es richtig und vernünftig ist, Zinsen in einem angemessenen Verhältnis zu
gewähren.
In Erwägung,
dass es nach dem Geist und Wortlaut des Vertrags von Washington vorzuziehen ist, für
die Zusprechung einer einmaligen Summe zu optieren, anstatt die weiteren
Verhandlungen und Entscheidungen dem „Rat der Beisitzer“ zu überlassen, wie es in
Artikel X des genannten Vertrags vorgesehen ist, und von den im Artikel VII des
genannten Vertrags festgelegten Befugnissen Gebrauch zu machen;
entscheidet das Schiedsgericht somit mit vier Stimmen gegen eine,
dass den Vereinigten Staaten die einmalige Summe von fünfzehn Millionen und
fünfhunderttausend Golddollar als Entschädigung zugesprochen wird,
die Grossbritannien nach Artikel VII für alle dem Schiedsgericht vorgebrachten
Forderungen bezahlen muss.
Und nach Artikel XI des genannten Vertrags
erklärt das Schiedsgericht,
44
dass alle im Vertrag erwähnten Forderungen, die dem Gericht unterbreitet wurden, hiermit
endgültig, absolut und unwiderruflich abgegolten sind.
Es erklärt ebenfalls, dass jede der erwähnten Forderungen, sei sie ihm mitgeteilt,
vorgebracht oder unterbreitet worden oder nicht, hiermit endgültig abgegolten und
erloschen ist und somit von jetzt an unzulässig ist.
Zu Urkund dessen wurde der vorliegende Entscheid nach Artikel VII des Vertrags von
Washington in zwei Urschriften zugestellt, versehen mit den Unterschriften der
Schiedsrichter, die ihm zugestimmt haben.
Geschehen und verhandelt im Rathaus von Genf (Schweiz) am vierzehnten September
1872.
(Unterzeichnet) C.F.ADAMS.
(Unterzeichnet) FREDERIC SCLOPIS.
(Unterzeichnet) STAEMPFLI.
(Unterzeichnet) VICOMTE D’ITAJUBA.
45
EIN FASZINIERENDES UND BEGEHRTES WRACK

Von Patrice Enault
(Der Autor dieses Textes nahm an einem Tauchgang zum Wrack teil)
Wo genau ist die Alabama gesunken? Seit jeher waren Historiker und Wracksucher,
obwohl letztere wohl aus eher nüchternen Gründen, von dieser Frage fasziniert. Gleich
nach der Schlacht schrieb Admiral Dupouy auf Anfrage von Kaiser Napoleon III: "Die
Schlacht fand fünfzehn Meilen nördlich der Mole der Hauptfestung des Deiches statt. Die
Alabama ist von der Festung aus acht Meilen weit nördlich Richtung Nordosten
ausgelaufen." Erschreckende Ungenauigkeit... Merkwürdigerweise hat trotz der
versammelten Menschenmenge kein einziger Beobachter daran gedacht, die genaue Stelle
festzuhalten.
Auf der Suche nach der Schiffbruchstelle
Admiral Porter hat in seinem Buch Histoire de la guerre civile américaine sur mer
(Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges zu Wasser, 1886) als erster eine Karte des
Schiffbruchs gezeichnet, doch der unangepasste Massstab und die Ungenauigkeit der
Daten machen die Karte lediglich zu einem weiteren Indiz. Allerdings reichten diese Karte,
sowie andere geduldig aus archivierten Dokumenten zusammengesuchte Elemente aus,
dass im Juli 1962 eine Mannschaft von Spezialisten des hydrographischen Dienstes der
Marine* (Service hydrographique de la Marine) – scheinbar zum ersten Mal – eine auf drei
Tage beschränkte Suchaktion vor Ort unternehmen konnte.
Aus der Kompilation der alten Dokumente ergeben sich zwei mögliche Positionen:
- 335°5' und 6,0 Meilen vom Wachturm von Homet
- 331°5' und 6,6 Meilen vom Wachturm von Homet
Aber wie der Verantwortliche der Aktion in seinem Bericht13 angibt "liegt das Datum des
Schiffbruchs schon lange zurück, Position und Zustand des Wracks sind unsicher, was die
Entdeckung, die hydrographisch gesehen ohnehin uninteressant ist, fast unmöglich macht."
Tatsächlich wurden nach der Suchaktion und der Erforschung mit Sonar drei neue Wracks
entdeckt und in die Kartei des hydrographischen Dienstes aufgenommen, doch keines
davon trägt die Merkmale der Alabama.
Kurz zuvor hatte sich aus Bogota in Kolumbien Robert Sténuit, ein anderer berühmter
Spezialist der Wracksuche, bei der Admiralität nach Möglichkeiten erkundigt, das
verbündete Schiff zu finden. Er wollte die Risiken einer solchen Suche "an einer Stelle, wo
die Wasserläufe eine Geschwindigkeit von bis zu dreieinhalb Knoten erreichen, das Meer
bis zu fünfundfünfzig Meter tief ist und die Sicht weniger als einen Meter beträgt",
umgehen.
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
Annales hydrographiques, 4e série, Tome 14e (Hydrographische Annalen, 4. Serie, Band 14, Paris, 1968)
13
46
Weder Magnetometer, noch Sonar und ganz sicher keine Ortungsgeräte konnten damals
mit der heutigen Genauigkeit messen.
Schatz an Bord?
Der Mangel an richtigen Geräten vereitelte die Suchaktion in einem Gebiet, wo zusätzlich
auch noch die Spuren von zwei Kriegen den Meeresgrund bedecken. R. Sténuit tröstete
sich damit, die Ergebnisse seiner Nachforschungen als Kapitel in seinem Livre des trésors
perdu14s (Buch der verlorenen Schätze) niederzuschreiben, wo er die These, das Wrack der
Alabama berge einen echten Schatz, sozusagen beglaubigt... Ist das so sicher?
Es bestehen nicht die geringsten Zweifel, dass Semmes bei jeder Eroberung alles an Bord
bringen liess, was das aufgebrachte Schiff an Wertgegenständen bei sich hatte und sein
Tagebuch ist gespickt mit desillusionierten Gedanken über den Geschmack des Luxus’, der
seiner Meinung nach die Psychologie der Nordstaaten ausmachte. Bei der Ergreifung der
Ariel wurden beispielsweise drei Kisten mit Wertgegenständen an Bord der Alabama
gebracht und es ist fast unleugbar, dass das Kaperschiff bei seiner Ankunft in Cherbourg
ein richtiges treasure-ship war.
Beim Lesen von Berichten und diplomatischer Korrespondenz zeigt sich, dass die Alabama
– zum Leidwesen der Schatzsucher – wahrscheinlich nicht mit vollem Laderaum in die
Schlacht gezogen ist. Am Vorabend des Zusammentreffens musste die ganze Mannschaft
ihre Wertgegenstände mit dem Familiennamen versehen bei Monsieur Bonfils, Konsul in
Cherbourg, abgeben. Am selben Tag hinterlegte der Kommandant der Alabama beim Zoll
(wo alles festgehalten wurde) Goldbarren im Wert von zwanzig tausend Dollar. Semmes
hatte in seiner Kabine fünfundvierzig sorgfältig gepflegte Seechronometer, die von
aufgebrachten Schiffen stammten. Er wollte sie in Cherbourg an Händler verkaufen, doch
die Militärbehörden des Hafens stellten sich dagegen. Sind sie an Bord geblieben? In
einem Bericht vom 22. Juni 1864 sollte das abgekartete Spiel der Besatzung der Alabama
und von John Lancaster, der dem Zusammentreffen als Besitzer der Yacht Deerhound in
der Nähe beiwohnte, deutlich gemacht werden. Darin bestätigt Dayton, amerikanischer
Minister in Paris, dass "Semmes am Tag der Schlacht um drei Uhr morgens, nachdem er
vorher Schmuck und andere Wertgegenstände im Wert von zwanzig tausend Francs in
Sicherheit gebracht hatte, Chronometer an Bord der Deerhound bringen liess"...15
Einsatz des Sonars
Ob mit oder ohne Schatz ist das geheimnisvolle Wrack immer noch faszinierend und im
Laufe der Jahre wurden an die örtlichen Archive immer wieder Fragen gestellt, um mit
deren Hilfe die wahre Position der Alabama herauszufinden.
Einige suchten verbissen weiter. Engländer, Amerikaner, so beispielsweise Clive Cussler,
Autor des Bestsellers Hebt die Titanic! und bekannter Entdecker historischer Wracks. 1984
verbrachte Cussler acht Tage in Cherbourg, erhielt jedoch von den Militärbehörden wegen
nuklearer Unterseeboote nicht die Erlaubnis, das wahrscheinliche Schiffbruchsgebiet mit
einem Side Scan Sonar zu durchkämmen...
14
Paris, 1964
Brief von Dayton an Seward, Paris, 22. Juni 1864. Papers relating to the Foreign Relations of the United
States, Washington, 1865. III
15
47
Der Besuch von Cussler und seiner Mannschaft in Cherbourg blieb von der Royale, der
französischen Kriegsflotte, nicht unentdeckt und unter den im Hafen stationierten
Minensuchern brach Begeisterung aus. Die fast mythische Präsenz des geheimnisvollen
Wracks irgendwo im Norden des Dammes wurde für die Minensucher immer mehr zu
einer unerträglichen Provokation. Wenn das hochleistungsfähige Rumpfsonar der
Schatzsucher eine einfache Konservendose in sechzig Metern Tiefe ausfindig machen
konnte, warum sollte es nicht auch ein grosses Holzschiff orten können, das vom Sand
wahrscheinlich noch gar nicht vollständig bedeckt war?
So ähnlich waren vermutlich die Überlegungen von Kommandant Duclos, denn am 30.
Oktober desselben Jahres erschien sein Minensuchschiff Circé im Militärhafen, um mit
dem Rumpfsonar das "Gebiet der Unsicherheit" systematisch abzusuchen. Nicht einmal
drei Stunden später kündigte der Sonarzuständige an, in 58-60 Metern Tiefe, bei
Querqueville liege ein grosses Etwas, anscheinend aus Holz, etwa 70 Meter lang und 9
Meter breit.
Die Entdeckung der Alabama
Während des aus Sicherheitsgründen auf fünfzehn Minuten beschränkten Tauchvorganges,
filmten die Minentaucher der Circé die Fundstelle. Auf dem Videofilm konnte man das
sehr schmutzige, von einer Sanddüne verdeckte Wrack erkennen. Ausserdem wurde ein
Plan erstellt, der das Wichtigste beinhaltete, wie die Kanonen, den Anker, den Schornstein
und auf dem Grund verstreute Teller, sowie Stofffetzen, die aus dem Sand hervorragten.
Die hohe Seite des Fundes, den noch niemand als Alabama zu bezeichnen wagt, erhebt
sich kaum mehr als drei Meter über den Sandboden und merkwürdigerweise ist ein grosser
Teil des Wracks mit einem Teppich leerer Muschelschalen bedeckt.
Noch bleibt die Entdeckung fast völlig geheim und die Dokumente werden mit der
Bürgschaft
der
Direktion
für
Unterwasser-archäologische
Forschung des
*
Kulturministeriums (Direction des recherches archéologiques sous-marines du ministère
de la Culture) Kommandant Guérout anvertraut. Letzterer, bekannt durch seine früheren
Suchaktionen im Meer (besonders nach dem genuesischen Wrack, der Slava Rossilli, in
Villefranche, bei der île du Levant, nach der Flüte La Balaine in Port-Cros oder nach der
Le Patriote in Ägypten), kümmerte sich hauptsächlich um die Identifizierung des
gefundenen Wracks. Er analysierte die Gliederung und die Merkmale der an der Stelle
gefundenen Gegenstände: den Holzrumpf, die Fragmente des Mastes, die Kohle, den
Schornstein und den Staketenzaun, die Artilleriegegenstände und vor allem drei Teller, die
aus einer Werkstatt in Staffordshire stammten. Im Dezember 1984 waren alle Zweifel
beseitigt und es war sicher: Das gefundene Wrack ist die Alabama!
Ein Pilotprojekt: Die Bergung der Alabama
Im Mikrokosmos der Unterwasserarchäologie animierte die schnell verbreitete Nachricht
der grossartigen Entdeckung zum Träumen. Sechzig Meter unter der Wasseroberfläche war
das Schiff vor den zerstörerischen Auswirkungen des Seegangs geschützt und blieb relativ
gut erhalten.
Kommandant Max Guérout der französischen Kriegsmarine, ein passionierter Archäologe,
investierte also seine Energie und Zeit von nun an hauptsächlich in das Projekt, das
zumindest in der „industriellen“ Unterwasserarchäologie zum Projekt des Jahrzehnts
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
48
werden sollte. Für die Operation Alabama wollte der ehemalige Kommandant der Triton,
einer Tauchkapsel der französischen Marine, alle Kräfte vereinen und somit die
französische Unterwasser-Technik unter Beweis stellen. Dieses Projekt sollte sehr präzise,
sachlich und wissenschaftlich sein, d.h. keine private Aneignung der geborgenen Objekte,
kein Medienauflauf. Die Titanic hatte Franzosen und Amerikaner entzweit – die Alabama
sollte sie wieder vereinen. Zu beiden Seiten des Atlantiks zeichneten sich nach und nach
die Konturen eines unglaublichen gemeinsamen Projekts ab: Die Bergung der Alabama!
Im Herbst 1987 wurde in Washington ein Team aus französischen, amerikanischen und
englischen Wissenschaftlern zusammengestellt. In Paris bildete sich ein weiteres Team,
unter dem Vorsitz von Frau Ulane Bonnel von der französischen Marine-Akademie,
Präsidentin der französischen Kommission für die Geschichte der Schifffahrt* und
französisch-amerikanische Doppelbürgerin. Unter den Gründungsmitgliedern befand sich
auch William Wright, ein Nachfahre von Raphael Semmes.
Gewiss, die Spuren von Meer und Zeit, ganz zu schweigen von den Schäden durch die
Kearsage, konnten ein viel versprechendes Projekt schon im Voraus zum Scheitern
verurteilen. Deshalb fanden die Tauchgänge seit Anfang Mai 1988 nur bei schwacher
Strömung statt, um mittels hochpräziser Bildmessungstechnik möglichst genaue
Informationen über die Lage des Schiffs zu erhalten. Würde sich nach diesen ersten
Untersuchungen herausstellen, dass der Zustand des Unterschiffs sowie die allgemeine
Lage eine Bergung erlauben, stünde dieser theoretisch nichts mehr im Wege, wobei im
Allgemeinen weniger die technischen Möglichkeiten, als vielmehr die finanziellen Mittel
ausschlaggebend sein würden. Bereits 1966 war es der niederländischen Firma Van den
Tak möglich, die 4'200 Tonnen schwere Martin S. aus einer Tiefe von 52 Metern zu
bergen. Das ist mehr als viermal das Gewicht der Alabama. Das dänische Frachtschiff war
im offenen Meer vor Grönland gesunken, einem Gebiet mit einer ähnlichen
Untergrundstruktur wie jener des Meeresbodens vor der Halbinsel Cotentin.
Eintauchen in den Mythos
Am Dienstag 24. Mai 1988, sechzig Meter unter dem Meer, die ersten Symptome eines
bedrohlichen Tiefenrauschs machen sich bemerkbar, wir tasten uns durch das schwarze
Nass, und da ist sie: Die Alabama! Mehr als ein Jahrzehnt hatten wir davon geträumt. Der
Name allein schon erfüllt unsere Köpfe, während wir uns mit vorsichtigen Bewegungen an
der aus dem Sand ragenden Breitseite des Schiffes entlang hangeln, auf der Semmes und
seine Männer einst dem Feind ins Auge blickten.
Das Wrack erscheint uns riesig und voller Geheimnisse, wie ein Geisterschiff. Es ist uns
auch der Tiefe wegen nicht möglich, das Wrack in seiner ganzen Länge auf einen Blick zu
erfassen. Die Lichtstrahlen unserer Lampen enthüllen zu allen Seiten erstaunliche Dinge;
in einem der Schattenlöcher blitzt ein Bronze- oder Kupfersplitter auf und glänzt wie Gold.
Aus der Mitte des Schauplatzes ragt der völlig intakte Schornstein empor. Drei Taucher
könnten sich bequem daran festhalten. Hier und dort lasten Kanonen mit ihrem ganzen
Gewicht auf dem, was vielleicht einmal die obere Brücke gewesen ist. Unsere Flossen
wirbeln Meeresschaum auf und die schlechte Sicht zwingt uns zur Signalleine zurück, dem
wertvollen Ariadnefaden, zu dem die Verbindung nie abreissen darf. Dort drüben im
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
49
Dunkeln breitet ein altes Schleppnetz langsam seine Fallen aus. Aber die Luft unserer
Flaschen ist fast aufgebraucht! Die Minuten verfliegen viel zu schnell. Nach einer knappen
Viertelstunde müssen wir wieder rauf, obwohl wir so gerne bleiben würden. Unbedingt.
Uns der Benommenheit, dem Rausch entreissen, der stärker ist als die Kälte, der Hypnose
eines vielleicht wahrhaftigen Ausflugs in die Geschichte. Wieder an der Oberfläche,
erkennen wir in der Ferne die Gebirgsausläufer von La Hague in verschleierten Farben und
wir fühlen uns nicht im Stande, das Erlebte in Worte zu fassen. Wir wissen einzig, dass
diese ersten Tauchgänge zur Alabama den Beginn eines grossen Abenteuers bedeuten.
Erste Tauchgänge
Die erste Untersuchung des Alabama-Wracks vor Ort, im offenen Meer vor Cherbourg,
war vor allem dank eines Kolloquiums über die Zukunft des Wracks erfolgreich, das im
Juni 1988, im normannischen Hafen stattfand und mehrere amerikanische, englische und
französische Spezialisten unter dem Vorsitz von Frau Bonnel vereinte.
Der Initiator des Projekts, Kommandanten Guérout wollte „vor allem den seriösen,
wissenschaftlichen Aspekt seines Projekts in den Vordergrund stellen, absolut ohne
wirtschaftliche, profitgierige Interessen.“*
Ziel dieser ersten Tauchgänge, die bisher vor allem durch französische Gelder finanziert
wurden, (Cogema, Fondation E.D.F Stiftung, Stadt Cherbourg) war es nicht in erster Linie,
Gegenstände zu bergen, sondern vor allem, sich ein Bild der Alabama auf dem
Meeresgrund zu machen, ohne in irgendeiner Weise etwas am Wrack oder dessen
Umgebung zu verändern.
Dafür war die technische Unterstützung der Marine von grosser Bedeutung: die
Ausrüstung durch die Hafendirektion, die medizinische Betreuung der Taucher, die
Verfügung über Örtlichkeiten in Querqueville und schliesslich die Unterstützung mit dem
Beobachtungs-U-Boot SO-450 der Intersub-Gesellschaft (7 Meter, 11 Tonnen). Dieses UBoot ermöglichte zum ersten Mal in der Unterwasserarchäologie die Benutzung eines
Systems für videotopografische Aufnahmen. Die Gesellschaft Secia, aus La Seyne-sur-Mer
die auf Beobachtungsgeräte in feindlichen Gebieten spezialisiert ist, hat das U-Boot auf
das Projekt ausgerichtet.
Neben diesen hoch entwickelten Geräten und dank idealer Wetterbedingungen, konnten
die rund zehn erfahrenen Taucher, die für das Projekt beschäftigt wurden, jedes Mal, wenn
die Strömung es zuliess, mit der systematischen Untersuchung des Wracks auf dem Grund
vorschreiten.
Dank den Schlüssen, die aus den Untersuchungen der ersten Ergebnisse gezogen wurden,
konnte dem Projekt für die kommenden Jahre eine Untersuchungsstrategie zugrunde gelegt
werden. Nach Kommandant Guérout wird das Projekt fünf bis zehn Jahre dauern und mit
der Errichtung eines Museums zu Ehren der Alabama in Cherbourg vollendet werden.
*
Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung
50
Gründung zweier Vereine nach der Entdeckung des Wracks
Im Jahre 1987 wurden zwei Vereine CSS16 Alabama gegründet, eine in Paris, die andere in
Washington, beide mit dem Ziel, der archäologischen Untersuchung des Wracks
logistische, finanzielle und administrative Unterstützung zu gewähren.
Nach Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten, Eigentümer der Alabama, und
Frankreich, in dessen Hoheitsgewässern das Wrack liegt, wurde am 3. Oktober 1989 ein
Zweimächteabkommen über die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Fall der Alabama
unterzeichnet.
Von 1987 bis 1995 wurden die Forschungsstauchgänge und Bergungskampagnen von Max
Guérout geleitet, einem Kapitän der französischen Kriegsmarine.
Im Februar 1991 wurden die ersten Fundstücke des Alabama-Wracks (Teller, Flaschen,
Töpfe, Stücke des Steuerrads, Kanonenräder) in Paris präsentiert.
1994 wurde eine Blakely-Drehkanone aus dem Schiffswrack geborgen, sowie diverse
andere Objekte: Revolverkugeln, Geldstücke, Nähsachen.
Von 1996 bis 2000 wurden die Bergungsarbeiten aus Mangel an technischen und
finanziellen Mitteln unterbrochen.
Seit 1998 ist der Amerikaner Gordon Watts Chefarchäologe des Projekts. Unter seiner
Leitung wurden 1999 die Tauchgänge wieder aufgenommen und im Sommer 2000 wurden
neue Bergungsaktionen gestartet. Eine 14,5 Kilogramm schwere Drehkanone konnte an die
Oberfläche gebracht werden.
2001 fand unter Professor Gordon Watts eine neue Bergungskampagne statt. Im ganzen
wurden 52 Objekte aus dem Wasser geholt, darunter eine 14,5 Kilogramm schwere
Blakely-Kanone, von der Royal Navy patentiert, ausserdem Glasflaschen,
Keramikgeschirr, Konservierungskrüge sowie ein dekorierter Pfeifenhalter, der noch
immer nach Tabak roch, einer der raren persönlichen Gegenstände die auf der Alabama
gefunden wurden.
Die gefundenen Gegenstände zeigen den archäologischen Wert des Wracks. Sie sind
ausserdem Zeugen des täglichen Lebens der Offiziere, der Mannschaft und der Gefangenen
an Bord der Alabama.
16
Confederate States Ship
51
EINIGUNG ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK
FRANKREICH UND DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN
STAATEN VON AMERIKA

Die Regierung der Republik Frankreich einerseits,
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika andrerseits,
sind sich der historischen und archäologischen Bedeutung des Wracks der CSS Alabama
bewusst, die am 19. Juni 1864 während der Seeschlacht mit der USS Kearsarge ungefähr
sieben Seemeilen vor der Küste von Cherbourg (Frankreich) gesunken ist;
sind zur Kooperation gewillt, um den Schutz und die Untersuchung des Wracks, das sich in
französischen Hoheitsgewässern befindet, sicherzustellen und
stimmen in Folgendem überein:
Artikel 1
Es wird ein wissenschaftlicher und paritätischer Ausschuss gegründet, der aus je zwei
Vertretern der beiden Regierungen sowie Experten besteht, die von diesem Ausschuss
gutgeheissen wurden.
Artikel 2
Jegliche Massnahmen, die mit der wissenschaftlichen Untersuchung zusammenhängen und
jedes Projekt, das die Instandsetzung des Alabama-Wracks betrifft, werden vom
wissenschaftlichen Ausschuss untersucht, welches die gemeinsame Übereinstimmung der
Vertreter der beiden Regierungen sicherstellt.
Artikel 3
Die von der französischen Regierung angenommenen Verfügungen über die Erstellung
einer Schutzzone um das Wrack der CSS Alabama bleiben so lange in Kraft, wie das
vorliegende Abkommen, es sei denn die beiden Parteien treffen eine andere Entscheidung.
Die zuständigen französischen Behörden sind ermächtigt, notwendige Änderungen an
diesen Verfügungen vorzunehmen. Keine der beiden Parteien darf ohne das Einverständnis
der anderen Partei Massnahmen ergreifen, die dem Wrack oder den dazugehörigen
Gegenständen Schaden zufügen könnten.
Sollte die Konservierung des Wracks gefährdet sein, können die zuständigen französischen
Behörden kraft ihres Amtes oder auf Anfrage der amerikanischen Behörden, die
notwendigen Schritte zur Konservierung vornehmen. Falls eine dringende Massnahme von
französischer Seite ergriffen wird, ist diese verpflichtet, den amerikanischen Zuständigen
sofort jegliche Informationen darüber mitzuteilen.
Artikel 4
Der Ausschuss legt seine Anträge dem französischen Kultusminister vor, welcher die
nötigen Bewilligungen unter Berücksichtigung der von der französischen Legislative
vorgesehenen Verfahren erteilt.
52
Artikel 5
Der wissenschaftliche Ausschuss stellt die Ausführung der bewilligten Projekte sicher und
folgt dem Ablauf der entsprechenden Programme.
Artikel 6
Jede Partei trägt die Kosten für ihre Repräsentanten und Experten.
Artikel 7
Jede Partei hat das Recht, dass bei jeder Bergung mindestens ein Beobachter anwesend ist.
Artikel 8
Der Ausschuss vereinbart falls nötig mit dem Vereinigten Königreich Grossbritannien und
Nordirland Teilnahmemodalitäten über die unternommenen Aktionen.
Artikel 9
Der Handlungsspielraum der beiden Parteien bewegt sich gemäss dem vorliegenden
Abkommen innerhalb der Verfügung der nötigen Mittel.
Artikel 10
Dieses Abkommen tritt mit Datum seiner Unterzeichnung in Kraft. Es kann von jeder der
beiden unterzeichnenden Parteien durch eine schriftliche Mitteilung an die andere Partei
gekündigt werden, sofern diese auf diplomatischem Weg drei Monate im Voraus erfolgt.
Paris, den 3. Oktober 1989, in doppelter Ausfertigung englisch und französisch, beide
gleichermassen gültig.
Für die Regierung der Republik Frankreich:
JEAN-PIERRE PUISSOCHET
Für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika:
PETER BERNHARDT
Erlass Nr. 89-914 vom 20. Dezember 1989 zur Veröffentlichung des Abkommens
zwischen der Regierung der Republik Frankreich und der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika betreffend des Wracks der CSS Alabama, unterzeichnet in Paris, den
3. Oktober 1989(1)
Der Präsident der Republik,
auf Berichterstattung des Premierministers und des Aussenministers hin,
unter Berücksichtigung der Artikel 52-55 der Verfassung;
unter Berücksichtigung des Erlasses Nr. 53-192 vom 14. März 1953, abgeändert in Bezug
auf die Bestätigung und die Veröffentlichung der internationalen Verpflichtungen,
unterzeichnet von Frankreich,
erlässt:
(1)
Das Abkommen ist am 3. Oktober 1989 in Kraft getreten
53
Artikel 1 – Das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Frankreich und der
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend des Wracks der CSS Alabama,
unterzeichnet in Paris, den 3. Oktober 1989, wird im Journal officiel der Republik
Frankreich veröffentlicht.
Artikel 2 – Der Premierminister und der Aussenminister sind beauftragt, jeder in seinem
Ressort, den Vollzug des vorliegenden Abkommens sicherzustellen, welches im Journal
officiel der Republik Frankreich veröffentlicht wird.
Paris, den 20. Dezember 1989.
FRANÇOIS MITTERRAND
Der Präsident der Republik
Der Premierminister,
MICHEL ROCARD
Der Aussenminister,
ROLAND DUMAS
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Deutsche Übersetzung erstellt unter der Leitung von:
Prof. Dr. Hannelore Lee-Jahnke; Suzanne Ballansat, Juristin und Übersetzerin,
Lehrbeauftragte an der Universität Genf; Evelyn Schwob.
Übersetzung : Charlotte Alleman, Irene Beaumont, Anna Bernhardt, Carmen Delgado,
Anne Draeger, Carmela Dugaro, Cornelia Heimgärtner, Andrea Hofmann, Caroline Lehr,
Barbara Liardet, Martin Rohrer, Sarah Schwerzmann, Evelyn Schwob, Meret Stüssi, Maja
Sutter
Ein besonderer Dank geht an Frau Prof. Dr. Anne Liese Head für Ihre Expertise in
historischen Belangen.
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