D e r F al l A l a b a m a Genf 1872 Erweiterte Ausgabe, 2004 Staatskanzlei Genf Presse- und Informationsdienst - Haben Sie schon mal vom Grab der Matrosen der Alabama gehört? Ich kenne das Grab der Besatzung eines U-Boots, der Prométhée. Es ist auf der Höhe von Cherbourg untergegangen, weil einer vergessen hatte, die Türe zu schliessen! Nein, es geht um eine andere Geschichte… um eine Seeschlacht, die sich 1864 genau hier abgespielt hat... Ach wissen Sie, ich bin nicht von hier, aber meine Schwiegereltern ... Kennen Sie das Grab der Alabama? Wie sagten Sie? Ja, das ist der Name eines amerikanischen Schiffs, das untergegangen sein soll... Ein Amerikaner der untergegangen ist? Na so was! (Dialogfragmente, die der Journalist Raoul Riesen bei Nachforschungen zum AlabamaFall in Cherbourg aufgezeichnet hat.) 1 INDEX VORWORT.......................................................................................................................... 3 HISTORISCHE EREIGNISSE .......................................................................................... 4 GESCHICHTE DES ALABAMA-SAALES ..................................................................... 5 HISTORISCHES ZUM ALABAMA-FALL ..................................................................... 6 ALABAMA ........................................................................................................................ 31 SEEWEG MÄRZ 1862 BIS JUNI 1864 ........................................................................... 31 JAHRHUNDERT-RETROSPEKTIVE ZUM ALABAMA-SCHIEDSSPRUCH ....... 32 DIE BEDEUTUNG DES ALABAMA-SCHIEDSSPRUCHS ........................................ 34 DIE DREI REGELN ......................................................................................................... 36 EIN FASZINIERENDES UND BEGEHRTES WRACK .............................................. 46 EINIGUNG ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK FRANKREICH UND DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ........ 52 2 VORWORT Der Alabama-Saal gilt als Sinnbild der internationalen Stadt Genf. Der Besucher dieses magischen Saals im Herzen des alten Ratshauses der Stadt fragt sich zu Recht, was den Namen eines Staates im Süden der USA mit unserer Republik und unserem Kanton verbindet. Um diese Frage zu beantworten, muss man die Geschichte bis zum amerikanischen Bürgerkrieg, der sich zwischen 1861 und 1865 zwischen dem Norden und dem Süden des Landes abgespielt hat, zurückverfolgen. Ursache dieses Falles war ein diplomatischer Streit zwischen der amerikanischen Regierung und England um Kriegsschäden, die die amerikanische Flotte durch die Freibeuter-Flotte des Südstaatenbundes und insbesondere durch die Alabama, ein von den Briten erbautes Kriegsschiff, erlitten hatte. Nach Abschluss des Vertrages von Washington am 8. Mai 1871 wurde dieser Fall im Sommer 1872 einem internationalen Schiedsgericht vorgelegt. Im September desselben Jahres äusserte sich der italienische Graf Federico Sclopis, der die Funktion des Oberschiedsrichters inne hatte zum Fall und fragte: „Warum hat der Vertrag von Washington, dem wir dieses Schiedsgericht verdanken, vorgesehen, dass dies Gericht in der Schweiz tagt? Das hat seinen Grund. Man musste ein Land finden, in dem ein angemessenes Klima für unsere heiklen Debatten herrscht. Einen Ort, an dem sich ein ausgeglichener Freiheitsgeist mit einem Sinn für öffentliche Ordnung verbindet und wo Tradition nicht nur die Taten der Gegenwart prägt, sondern auch die der Zukunft gewährleistet.“* Nachdem im Rathaus am 22. August 1864 die Genfer Konvention zur Hilfe von Kriegsverwundeten unterschrieben worden war, wurde mit dem Schiedsspruch im Fall Alabama, der ebenfalls im Rathaus gesprochen wurde, genauer in der alten Empfangshalle der Seigneurie, das Schicksal Genfs als Stadt des Friedens besiegelt. Am 26. November 1997 dann, trafen Vertreter der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Alabama-Saal die Entscheidung zur Gründung des Internationalen Zentrums für Humanitäre Minenräumung in Genf (GICHD)1. Somit haben wir einen dritten Meilenstein, der diesem Saal seine besondere Bedeutung verleiht. Haben doch hier Ereignisse und internationale Verhandlungen stattgefunden, die auf eindrückliche Art und Weise bewiesen haben, dass Rechtssprechung über Gewaltanwendung gestellt wird. Der Alabama-Saal zeugt aber auch von Menschenrechten und dem „Esprit de Genève“. einer tiefen Verbindung zwischen Der Schriftsteller Robert de Traz schrieb: „Friede ist nicht totale Ruhe - eine nicht umsetzbare Immobilität. Friede ist eine unaufhörliche Wiederaufnahme von Gegebenheiten, die sich von Natur aus widersprechen. Friede ist der Punkt, an dem man immer und immer wieder neu ansetzt.“* Der Alabama-Saal stellt den idealen Ort für diese ständige Wiederaufnahme, diesen Neubeginn dar. * 1 Anm. d Übers.: Eigene Übersetzung Geneva International Centre for Humanitarian Deminig (Anm. d. Übers.) 3 Robert Hensler Staatskanzler HISTORISCHE EREIGNISSE welche im Alabama-Saal stattgefunden haben: 1864 Erste Unterzeichung der Genfer Konvention zur Hilfe von Kriegsverwundeten 1950 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Ölkonzernen und den Öl produzierenden Ländern 1953 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Frankreich und Spanien um den See von Lanoux (Pyrenäen) 1958 Entstehung erster Ideen zur Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) 1963 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts bezüglich der Auslegung des Abkommens zur Luftfahrt zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich 1966-68 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Pakistan und Indien um Kaschmir 1976 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich bezüglich dem „Mer d’Iroise“ 1976 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Chile und Argentinien um den Beagle Channel 1978 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten bezüglich der Bruchlast im Luftverkehr der PanAm auf der Strecke San Francisco-Paris via London 1986 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen der kanadischen und der französischen Regierung bezüglich der Auslegung des Abkommens des gegenseitigen Fischereirechts, 1972 in Ottawa unterzeichnet 1986-88 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen Ägypten und Israel bezüglich der Enklave Taba in der Wüste Sinai am Golf von Akaba 1988 Schiedsgerichtliche Entscheidung zur Beilegung des Konflikts zwischen GuineaBissau und dem Senegal bezüglich der Aufhebung der gemeinsamen Seegrenze 1998 Offizielle Gründung des Internationalen Minenräumung in Genf (GICHD) 4 Zentrums für Humanitäre 1999 Unterzeichung des „Appel de Genève“. Eine Beitrittserklärung für nicht staatliche Organisationen (NGO) zum Gesamtverbot von Minen und anderen humanitären Normen anlässlich des 50. Jahrestags der Genfer Konvention 2001 Übergabe der Deklaration des Bundesrates zur Anerkennung des armenischen Genozids von 1915 an den ständigen Vertreter Armeniens in Genf. GESCHICHTE DES ALABAMA-SAALES Von M. W. Zurbuchen, ehemaliger Archivar des Kantons Genf Der Platz, auf dem heute der Flügel des Genfer Rathauses steht, in dem sich der AlabamaSaal befindet, gehörte früher zum von den Allobrogern besetzten Gebiet und wurde im Jahre 58 vor Christus von Cäsar bei seiner Ankunft in Genf entdeckt. Er befand sich innerhalb des Römerwalles, der um 270 bis 280 nach Christus zur Zeit der ersten alemannischen Angriffe erbaut worden war. Diese Mauer wurde durch den sogenannten Bischofswall ersetzt und im XIV. Jahrhundert verstärkt. Die Südfassade des heutigen Gebäudes steht genau am Platz der früheren Mauer. Verschiedene Gebäude wurden nach und nach an der selben Stelle errichtet; das vorletzte, „Maison Turretin“ genannt, wurde im Jahre 1700 von den Behörden zurück gekauft, um den Bau eines Saales für den Rat der Zweihundert zu ermöglichen. Dieser Saal, in dem heute der Grosse Rat tagt, nahm den ersten Stock des Gebäudes ein, das damals den Rathaushof im Süden begrenzte. Im Erdgeschoss wurde der grosse Festsaal eingerichtet, im Westen dominiert von einem Vorzimmer und einer Anrichte. Bis 1792 diente dieser Festsaal (der nicht nur aus dem heutigen Alabama-Saal, sondern auch aus einem Salon und einem angrenzenden Vorzimmer bestand) für Empfänge, die die Regierung der Genfer Republik zu Ehren bedeutender Persönlichkeiten gab: Prinzen, Generäle, Botschafter, in Genf residierende Minister der Könige Frankreichs und Sardiniens. Mit der Revolution änderte sich dies: Der frühere Festsaal wurde in einen Audienzsaal und Büroräume umgewandelt, um die neu geschaffenen, von der Exekutive unabhängigen Gerichte unterzubringen. Aus dieser Zeit stammt die heutige Aufteilung in drei Säle. 1798, kurze Zeit später, nach der Annektierung durch Frankreich wurde Genf Hauptstadt des Departements Léman und aus den drei Sälen entstanden die Räumlichkeiten für ein Strafgericht (der heutige Alabama-Saal), eine Gerichtskanzlei und ein kleines Zimmer für den Generalstab. Das Strafgericht befand sich so lange in diesem Saal, bis die 1856 begonnene Errichtung des Kantonspitals abgeschlossen war und den jetzigen Palais de Justice freigab, so dass 1861 alle Justizbehörden dorthin verlegt werden konnten. Von 1789 bis 1861 wurden innerhalb dieser Mauern, ungeachtet der Abwesenheitsurteile, 38 Todesurteile gefällt, davon 33 unter dem französischen Regime, also noch vor 1813. Die alten Räumlichkeiten sollten bis spätestens 1864 komplett renoviert werden, da in diesem Jahr im grössten Saal, der speziell für diese Gelegenheit möbliert und dekoriert wurde, die Sitzungen des internationalen Kongresses stattfanden, welche am 22. August zum Abschluss der Genfer Konvention führten und das Rote Kreuz ins Leben riefen. 5 Seit jener Zeit steht dieser Saal der Staatskanzlei permanent zur Verfügung und wird für internationale Verhandlungen auf neutralem Boden genutzt. Ursprünglich war der Saal für das Schiedsgericht bestimmt, das für den Vertrag von Washington im Jahre 1871 errichtet worden war. Dieser Vertrag gab ihm seinen Namen, den er auch heute noch trägt: Salle de l’Alabama. Seither haben jedoch auch andere Schiedsgerichte ihre Verhandlungen hier abgehalten. Gelegentlich werden der Saal und die angrenzenden Räumlichkeiten für Empfänge genutzt, wobei derjenige zu Ehren von Papst Paul VI am 10. Juni 1969 zweifellos zu den bedeutendsten zählte. HISTORISCHES ZUM ALABAMA-FALL Von Ladislas Mysyrowicz, Forschungsbeauftragter der Universität Genf Im Frühling 1861 entbrannte mit dem Sezessionskrieg ein Bürgerkrieg auf amerikanischem Boden. Es stand viel auf dem Spiel: Über die Befreiung der Sklaven und die Zukunft der Vereinigten Staaten als Grossmacht würden somit endgültig die Waffen entscheiden. Das Kräfteverhältnis zwischen dem demokratischen und industriellen Norden und dem konservativen und landwirtschaftlichen Süden war auf den ersten Blick alles andere als ausgeglichen. Ohne das Eingreifen Europas, insbesondere Grossbritanniens, sollte eigentlich die Seite mit dem grössten Heer und dem meisten Kriegsmaterial – also diejenige unter der Führung Abraham Lincolns – den Sieg davontragen. Die Kämpfe hielten jedoch für die damalige Zeit ungewöhnlich lange an (1861-1865). Das Ausmass des Krieges und die Art der Kriegsführung gab einen Vorgeschmack auf die grossen Konflikte des 20. Jahrhunderts. England auf der Anklagebank Nach Ende des Bürgerkriegs machten es sich die Vereinigten Staaten leicht und schoben die Schuld für die lange Dauer des Konfliktes auf England. Die aufständische Konföderation wäre schneller und kostengünstiger besiegt worden, wenn sie von Seiten der Engländer keine Unterstützung erhalten hätte, vor allem, wenn sie nicht die 20 englischen Kriegsschiffe – darunter die berühmte Alabama – hätte beschaffen können. England wurde für die unnötige Verlängerung der Feindseligkeiten verantwortlich gemacht; früher oder später würde es dafür bezahlen müssen! Die lang gehegte Abneigung gegen die ehemalige Kolonialmacht vertiefte sich. Die Sieger des Bürgerkrieges beschuldigten England, der grossen Republik der Neuen Welt bewusst einen schweren Schlag versetzt zu haben. Zu Beginn des amerikanischen Konfliktes stellte sich die britische Öffentlichkeit hinter den Norden, wobei ihre Haltung gegen die Sklaverei eine wichtige Rolle spielte. Seit mehreren Jahrzehnten war Grossbritannien ein Vorreiter der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. Die Tatsache, dass die Baumwollpflanzer des Südens, denen die Sklaverei in ihrer eigenen Region nicht genügte, ihr abstossendes System in die unbesiedelten Gegenden des Westens ausweiten wollten, schockierte die britische Öffentlichkeit. 6 Eine geteilte Meinung in der Öffentlichkeit Ein Faktor trug jedoch dazu bei, die Begeisterung für den Norden zu dämpfen und eine rein moralische Betrachtung des Konfliktes zu verhindern: Die vorsichtige Taktik von Präsident Lincoln, der deutlich erklärte, er hätte keinerlei Absicht, direkt oder indirekt gegen die Sklaverei vorzugehen. Die englischen Handelsleute, gewohnt daran, das internationale Geschehen aus wirtschaftlicher Perspektive zu betrachten, fragten sich natürlich, ob man sich in Amerika denn wirklich aus edlen Gründen bekämpfte oder ob nicht materielle Interessen im Vordergrund standen. Sollte man nicht besser Skepsis bewahren und auch in dieser Angelegenheit auf den eigenen Vorteil bedacht sein? Allmählich spaltete sich die Meinung der englischen Öffentlichkeit in Bezug auf den Sezessionskrieg. Dabei standen die Arbeiter trotz des so genannten „Baumwollhungers“, der eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, geschlossen hinter den Nordstaaten. Industrie und Handel dagegen zeigten eine wachsende Sympathie für die Sezessionisten, denn das liberale England war nicht nur Befürworter der Abolition, sondern auch des Abbaus von Zöllen. Obwohl der Süden der Vereinigten Staaten eine Bastion zur Unterdrückung der Schwarzen darstellte, war man dort aufgrund des Wirtschaftssystems gleichzeitig überzeugt vom Prinzip des Freihandels. Die Baumwollpflanzer beuteten die Arbeitskraft der Sklaven aus, predigten jedoch Freiverkehr, während die Industriellen unter den „Yankees“ sich durch prohibitive Zölle gegen die englische Konkurrenz schützten. Eine realistische Aussenpolitik Während dieser Konjunktur strebte die englische Regierung nicht danach, die interne amerikanische Krise auszunutzen. Sie zeigte weder Hinterhältigkeit noch Grosszügigkeit. Ihr Verhalten? Die vollständige Wahrung der nationalen britischen Interessen ohne offensichtliche Verletzung des Rechts und ohne Herstellung eines zu guten Verhältnisses zu den Amerikanern, seien es Nord- oder Südstaaten; keine unklaren Machenschaften, aber auch nichts, das dem guten Zweck, nämlich der Legalität und den Menschenrechten, diente. Mit Washington unterhielt man eine möglichst korrekte Beziehung, während inoffiziell Kontakt zur Führung der Rebellen aufgenommen wurde. Dies verlief nicht ohne Probleme. Für einige davon war der amerikanische Aussenminister Seward, verantwortlich, der in einem Krieg gegen eine europäische Grossmacht eine willkommene Abwechslung zu den internen Konflikten seines Landes sah. Die hartnäckigsten Schwierigkeiten ergaben sich jedoch aus der unklaren Haltung der Engländer. Bürgerkrieg und Seerecht Von Anfang an war auch das Meer Schauplatz des amerikanischen Bürgerkrieges. Am 13. April 1861 bombardierten die Sezessionisten Fort Sumter im Hafen von Charleston, das von Truppen der Union bewacht wurde. Einige Tage nach Beginn der Feindseligkeiten rekrutierte Jefferson Davis, Präsident der aufständischen Konföderation, Korsaren für Angriffe auf die Handelsschiffe der Union. Präsident Lincoln reagierte unverzüglich mit einer Blockade von Häfen der Konföderation. Am 13. Mai bereits galten die Sezessionisten nach Auffassung des britischen Kabinetts offiziell als Krieg führende Partei. Gleichzeitig betonte das Kabinett seine Neutralität in diesem Konflikt und legte grössten Wert darauf, 7 seine Verpflichtungen der Krone gegenüber in Erinnerung zu rufen. Aufgrund ihrer Neutralität war es den Briten rechtlich verboten, unter der Flagge der einen oder anderen Partei zu kämpfen oder Kriegsschiffe für eine Kriegspartei auszurüsten. Im Gegenzug konnte England darauf hoffen, seinen Überseehandel vor den direkten Auswirkungen des Krieges zu schützen. Das heisst, nach dem Völkerrecht konnten weder neutrale Güter unter feindlicher Flagge, noch feindliche Güter unter neutraler Flagge (ausser bei Schmuggel) beschlagnahmt werden. Wenn es also der amerikanischen Kriegsmarine nicht gelang, ein enges Überwachungsnetz um die Häfen der Aufständischen zu legen, könnten die „Konföderierten Staaten“ ihre wertvolle Baumwolle weiterhin exportieren und im Gegenzug Waffen, Munition und anderes Kriegsmaterial beziehen. Auf offener See wären die Transporte der Südstaaten durch den neutralen Union Jack geschützt; ausserhalb der schmalen Blockadezone, die durch das internationale Recht streng limitiert und strikten Konditionen unterworfen war, wären sie unangreifbar. Blockade und Waffenlieferungen Im Gegensatz zu den Plänen der britischen Diplomatie zeigte sich die von Lincoln ausgerufene Blockade sehr wirksam. Selbstverständlich war eine rigorose Überwachung der mehr als dreitausend Kilometer langen Küste mit ihren vielen Buchten und Einschnitten, die für Schiffe mit geringem Tiefgang leicht zugänglich waren, unmöglich. Die wichtigsten Häfen des Südens jedoch, die als einzige für den Export der voluminösen Baumwollballen in Frage kamen, wurden nach und nach für die Schifffahrt gesperrt. Mit der Beschaffung von Waffen und Munition aus dem Ausland, d.h. hauptsächlich aus Grossbritannien, hatten die Aufständischen keine Mühe. Der Waffenhandel galt als eine absolut private Angelegenheit. So hatten Privatleute aus den neutralen Staaten freie Hand beim Verkauf von Kriegsmaterial. Einzige Einschränkung war, dass sie im Falle einer Beschlagnahme der Ware in Blockadezonen keinerlei diplomatischen Schutz in Anspruch nehmen konnten. Die Vertreter des Militärs der Südstaaten hatten also ein leichtes Spiel: Sie kauften Waffen in England und liessen sie zu einer der Kronkolonien nahe der amerikanischen Küste bringen. Dort wurde die Kriegsfracht auf leichte Segelschiffe der Südstaaten umgeladen, denen es im Allgemeinen problemlos gelang, den „Yankee“Patrouillen zu entkommen. Dieser Güterverkehr irritierte die Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten. Aber was tun? Ein Konflikt mit England wäre den Rebellen nur entgegengekommen. Und Protest wäre zwecklos gewesen, da die Stellung der Briten rechtlich unangreifbar war und durch Präzedenzfälle der amerikanischen Regierung gestützt wurde. Denn 1793 hatte Präsident Thomas Jefferson das Recht gegen England verteidigt, dass neutrale Bürger seines Landes Waffen und Munition nach Europa, das damals unter britischer Blockade stand, liefern konnten. Anlässlich des erst vor kurzem beendeten Krimkrieges hatten die amerikanischen Diplomaten das gleiche Prinzip geltend gemacht. Überdies: Tätigten die Vereinigten Staaten nicht zur gleichen Zeit Waffenkäufe in viel grösserem Ausmass mit England als die Konföderierten? Das Problem der Kriegsschiffe Aber bald wollten die Südstaaten nicht mehr nur Waffen für ihre Soldaten. Sie benötigten auch Kriegsschiffe für die Kaperfahrten, die seit April 1861 von ihrem Präsidenten verlangt wurden. Da sie über keine Militärmarine verfügten, um die Handelsschiffe der 8 Union anzugreifen und um sich aus dem Dilemma, in dem sie sich befanden, zu befreien, beabsichtigten sie, ihre Bestellung an die englischen Schiffswerften zu richten. Ein solcher Handel war jedoch laut der Gesetze zur Neutralität Englands ausdrücklich verboten. Es stand daher für die Militäragenten der Südstaaten ausser Frage, Kriegsschiffe offenkundig in den englischen Häfen bauen zu lassen. Aber warum sollte man nicht versuchen, das Gesetz zu umgehen, indem man einen falschen Schein wahrte und auf mehr oder weniger geheime Zusammenarbeit zählte? Umso mehr, als das geltende Gesetz in England die Beschlagnahmung eines verdächtigen Schiffes nur nach einer formgerechten Beweisführung hinsichtlich eines Vergehens erlaubte. Ein Verdacht, war er auch noch so stark, genügte nicht. Diesbezüglich wurden die englischen Vorschriften besonders genau genommen. Bulloch, der Agent der Konföderation, der mit den Waffenbestellungen in England beauftragt war, beriet sich mit englischen Experten. Unter der Bedingung, den Foreign Enlistment Act zu befolgen, der die englischen Neutralitätsverpflichtungen regelte, gäbe es sicher einen Weg, gegen dessen Sinn und Zweck ungestraft zu verstossen. Einige grundlegende Vorkehrungen mussten jedoch getroffen werden. Es durfte nicht offiziell zugegeben werden, dass die Regierung der Konföderation hinter dem Kauf der Schiffe stand und zudem durften die Kanonen erst an Bord installiert werden, wenn die Schiffe die britischen Gewässer verlassen hatten. Oreto-Florida Im März 1862 verliess das erste unter diesen Bedingungen gebaute Schiff den Hafen von Liverpool. Es war ein stattlicher Dreimaster namens Oreto. Ein englischer Strohmann war mit der Bestellung, die angeblich für die italienische Regierung bestimmt war, beauftragt worden. Dass das Schiff, versehen mit Luken für zehn Kanonen, eigentlich für die Südstaaten gebaut worden war, erfuhr der amerikanische Konsul in Liverpool ziemlich bald. Lord Russell, Leiter des Aussenministeriums, wurde von C.F. Adams, dem von ihm akkreditierten bevollmächtigten amerikanischen Minister, darüber informiert. Russell gab sich damit zufrieden, die Klage der amerikanischen Auslandsvertretung an die Zollverwaltung von Liverpool weiterzureichen, die die falschen Erklärungen blind akzeptierte. Die Oreto konnte also ungehindert auslaufen und Kurs auf den Golf von Mexiko nehmen. Beim Zwischenstopp in Nassau legte zur gleichen Zeit auch ein konföderierter Dampfer mit Kanonen an Bord an. Dieser seltsame Zufall erregte die Aufmerksamkeit des amerikanischen Konsuls der Insel, der sich beim Gouverneur der britischen Kolonie beschwerte. Es folgte ein Prozess, im Laufe dessen der Kapitän der Oreto unter seltsamen Bedingungen freigesprochen wurde. Wenig später erhielt die Oreto, vor neugierigen Blicken geschützt, die zur Ausstattung eines Korsarenschiffes nötigen Kanonen und Pulverfässer. Mit ihrer britischen Besatzung erreichte sie den Südstaatenhafen von Mobile, erhielt den Namen Florida und begann ihre Karriere als Korvette der Konföderation2. Das Unterfangen der Alabama Der Freispruch der Oreto-Florida war für die Aufständischen ein zusätzlicher Ansporn, weil sich in eben diesem Hafen von Liverpool gerade ein anderes Schiff in der letzten 2 Die Florida wurde am 6. Oktober 1864 im Hafen von Bahia (Brasilien) durch den Kreuzer USS Wachusett gekapert, was eine offensichtliche Verletzung der brasilianischen Souveränität bedeutete. 9 Bauphase befand. Es war für den gleichen Zweck bestimmt wie die Oreto, nur vollendeter in der Ausführung. Zu diesem Zeitpunkt wurde es noch als „Nr. 290“ bezeichnet, später aber sollte es mit dem Namen Alabama für seine Plünderungen berühmt werden und der gesamten Affäre um die in England für die Konföderation gebauten Schiffe den Namen geben. Der Bau der 290 wurde von Bulloch im Geheimen bei der Schiffswerft Laird in Auftrag gegeben. Einer der Betriebsführer dieses Unternehmens hatte einen Sitz im Parlament von Westminster. Aus Vorsicht wurde das Gerücht in Umlauf gebracht, das Schiff wäre für das Reich der Mitte bestimmt, jedoch erfuhr der amerikanische Konsul ohne grosse Mühe, dass es sich hierbei nicht um einen chinesischen Auftrag handelt – dies war ein „offenes Geheimnis“ in der Stadt. Lord Russell wurde von Minister Adams auf die 290, deren Konstruktion beinahe beendet war, aufmerksam gemacht. Er begnügte sich aber ein weiteres Mal damit, die Angelegenheit der Zollbehörde von Liverpool zu melden, nach deren Einschätzung keine juristischen Grundlagen vorlägen, die eine Beschlagnahme rechtfertigten. Im folgenden Monat erhielt Russell von C. F. Adams einen weiteren Bericht, zusammen mit einem ausführlichen Dossier, worauf er aber nicht weiter einging. Einige Tage später jedoch wurde der Chef des Aussenministeriums aktiv, als ihm der amerikanische Minister das Gutachten eines hervorragenden Juristen zukommen liess. Darin wurde deutlich auf die Pflicht der Regierung Ihrer Majestät hingewiesen, die 290 zu beschlagnahmen. Daraufhin verlangte Russell eindringlich ein Gegengutachten, welches von Juristen mit Bewilligung der Krone erstellt werden sollte. Dies führte zu einem grossen Zeitverlust. Unglücklicherweise verlor der zuständige Experte plötzlich den Verstand; das sakrosankte englische Wochenende sorgte schliesslich für noch mehr Verzögerung. Die Beschlagnahme der 290 wurde dann auf den Nachmittag des 28. Juli 1862 verlegt. Am Morgen desselben Tages gelang dem Schiff jedoch dank einer "undichten Stelle" unter einem falschen Vorwand die Flucht. Russell sah sich hintergangen und suchte eine Gelegenheit, seine Nachlässigkeit wieder gut zu machen. Er bot der britischen Marine an, den Deserteur selbst zu verfolgen und forderte die königliche Hafenbehörde auf, sich des Schiffes zu bemächtigen, falls es sich in ihrer Reichweite befinden sollte. Das Kabinett weigerte sich jedoch, diese Massnahme zu ergreifen. Die 290 erreichte mühelos die Azoren, wo sich ihr ein Dampfer anschloss, der sie mit Kanonen und Munition belieferte. Mit all den Waffen versehen, erhielt sie nun den Namen Alabama und wurde mitsamt eines grossen Teils ihrer englischen Besatzung als südstaatliches Korsarenschiff angemustert. Der sachkundige und kompromisslose Kapitän Semmes steuerte die Alabama mehrmals durch den Atlantik, führte sie durch den Golf von Mexiko, entlang der brasilianischen Küste, am Kap der Guten Hoffnung vorbei bis in den Indischen Ozean. Die Alabama plünderte Handelsschiffe und amerikanische Fischerboote. Sie brachte mehr als sechzig Schiffe auf, die meisten davon steckte sie auf hoher See in Brand. Dies hatte zur Folge, dass die Versicherungsprämien für Schiffe mit amerikanischer Flagge blitzartig in die Höhe schossen. Es kam sogar soweit, dass ein beachtlicher Anteil des amerikanischen Überseehandels in die Hände von Firmen aus neutralen Staaten gegeben wurde, was in erster Linie natürlich England zu Gute kam. Ein Duell auf See Die schicksalhafte Laufbahn der Alabama endete erst 22 Monate nachdem sie England verlassen hatte. Von der turbulenten Reise gezeichnet, lief sie am 11. Juni 1864 den Hafen von Cherbourg an. Hierzu ist in einer Korrespondenz aus dem "Journal de Genève" 10 Folgendes zu lesen: "Das berühmte südstaatliche Korsarenschiff3 hat zwar grossen Seeschaden erlitten, es scheint jedoch bei der letzten Eroberung viel Beute gemacht zu haben. In Zusammenhang mit der letzten Plünderung spricht man von 60'000 Franken pro Matrose. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, wie hoch ist dann der Anteil eines Offiziers?“ Admiral Semmes bat den örtlichen Küstenbefehlshaber um Erlaubnis, sein Schiff auf der Laderampe reparieren zu lassen. Angesichts der Neutralität Frankreichs galt dieser Fall jedoch als zweifelhaft und man bat die Regierung in Paris um eine Beurteilung. Zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte tauchte nun die USS Kearsarge auf, die sich gerade im Ärmelkanal befand. Die Alabama hatte auf der inneren Seite des Dammes von Cherbourg Anker geworfen, während die Kearsarge ausserhalb Stellung bezog und ihren Gegner stets im Auge behielt. Jeden Abend segelte sie den Damm entlang, kehrte aber gegen zehn Uhr stets in die unmittelbare Nähe der Alabama zurück. Die französischen Behörden befürchteten, das Hafenbecken von Cherbourg könne zum Schauplatz einer Seeschlacht werden. Bereits im Oktober 1863 kam es im Hafen von Brest fast zu einem bewaffneten Zwischenfall zwischen der Florida und der Kearsarge. Kapitän Semmes wurde der ständigen Provokation durch den Kommandanten Winslow überdrüssig, den er noch aus seiner Studienzeit kannte. Er gab öffentlich bekannt, dass er am Morgen des 19. Juni zwischen acht und zehn Uhr den Ankerplatz von Cherbourg verlassen werde. An diesem Tag "waren ab acht Uhr der Damm, die Mäste der Schiffe im Militärhafen und auf dem Ankerplatz, sowie die Erhöhungen rund um den Hafen restlos überlaufen"*, meldete der Berichterstatter des "Journal des Débats". In einer Depesche, erschienen im "Journal de Genève", wurde berichtet, dass ein "Vergnügungszug" 1500 Neugierige aus der französischen Hauptstadt zum Schauplatz brachte. Dabei ist zu erwähnen, dass der Maler Eduard Manet sich auf ein Segelschiff begab, von wo aus er die beeindruckende Szene bewundern und gleichzeitig auf Leinwand festhalten konnte. Die beiden Schiffe waren etwa gleich stark; während die Alabama mit acht Kanonen ausgerüstet war, verfügte das Schiff der Vereinigten Staaten nur über sieben, dafür aber von grösserem Kaliber, und war zusätzlich durch eine aus riesigen Ketten bestehende Panzerung geschützt. Dieses war also ein wahrhaftiges Kriegsschiff, während sein Gegner bisher nur Kämpfe gegen wehrlose Handelsschiffe gewonnen hatte. Der Sonderbeauftragte 3 Die Nordstaatler betrachteten die Alabama schlichtweg als Piratenschiff, die Südstaatler hingegen behaupteten, es handle sich um ein Schiff der regulären Kriegsmarine ihres Staates. Die neutralen Staaten stuften es ebenfalls als Korsarenschiff ein, obwohl man sich die Frage stellen kann, ob es technisch gesehen wirklich als solches gelten kann. Aus Gründen der Verständlichkeit werden wir auf diese Frage nicht ausführlicher eingehen. Entscheidend ist, dass die Vereinigten Staaten bis zum Sezessionskrieg der "Pariser Deklaration" (1856), welche die Kaperfahrt abschaffte, nicht beigetreten waren. Dieser Umstand erlaubte der Alabama und ihren Wetteiferern, sich in den neutralen Häfen niederzulassen ohne als gesetzlos zu gelten. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Besatzung britischer Herkunft war und dass sie Anspruch auf die Beute hatte, besonders aber die Tatsache, dass Semmes auf hoher See aufgrund eines Scheinurteils die gekaperten Schiffe anzündete, erlaubt es uns, dieses Schiff – zumindest de facto – als Korsarenschiff zu bezeichnen. * Anm. d. Übers.: eigene Übersetzung 11 des "Journal de Genève" fuhr folgendermassen mit seiner Berichterstattung fort: "Die Alabama verliess den Ankerplatz gegen zehn Uhr und wurde dabei von der gepanzerten Fregatte Couronne beobachtet, die dafür sorgen sollte, dass die Schlacht nicht in französischen Gewässern stattfand. Die Alabama nahm Kurs auf die Kearsarge; sie hegte ohne Zweifel die Absicht, sie zu entern. Ein geschicktes Manöver ermöglichte es der Kearsarge, sich mit Volldampf zu entfernen und als sie bemerkte, dass sie vom konföderierten Schiff verfolgt wurde, hielt sie an, um ihre erste Breitseite abzufeuern. So begann ein ausserordentlich brillantes Duell auf See. Die beiden Schiffe, die sich immerfort in einer engen Ellipse drehten, umkreisten einander im Ganzen siebenmal, wobei sie jedes Mal aus nächster Nähe Kanonen abfeuerten. Beim siebten Mal traf eine Kanonenkugel die ungeschützte Dampfmaschine der Alabama und verursachte grossen Schaden. Plötzlich stiegen riesige Rauchschwaden aus dem Schiff empor, so dass wir, die Zuschauer auf dem Damm, glaubten, an Bord des konföderierten Korsarenschiffes sei ein Feuer ausgebrochen. Die Beschädigung des Dampfantriebes zwang das Schiff, die Segel zu spannen und Kurs auf den Ankerplatz zu nehmen, um dem nun unausgeglichenen Kampf zu entkommen. Die Kearsarge nahm die Verfolgung auf und schnitt der Alabama den Weg ab. Wir erwarteten angsterfüllt den ungestümen Fortgang des Kampfes, als das Schiff der Föderation überraschend das Feuer einstellte und die Flagge als Zeichen des Sieges auf den grossen Mast setzte. Fast alle Kugeln des Schiffes der Union hatten den Rumpf des gegnerischen Schiffes getroffen, während die Kugeln des anderen über die Reling geschossen, abgeprallt und im Meer versunken waren."4 Die Amerikaner fordern Entschädigung Der letzte Abschnitt der abenteuerlichen Reise der Alabama ging in die Geschichte der Konflikte zwischen England und Amerika ein. Ein reicher Engländer, der mit seiner Yacht auf dem Schauplatz erschien, nahm die sich in Seenot befindende Besatzung an Bord. Der Minister C. F. Adams beschwerte sich darüber bei Lord Russell und unterstrich, dass die Kearsarge auf diese Weise um ihren Triumph gebracht wurde: Denn die Korsaren hätten entweder ausnahmslos in den Fluten untergehen oder Gefangene der Kearsarge werden sollen5. Diese Beschwerde war nur die letzte einer ganzen Reihe von Beschwerden. Ab dem Sommer 1862, und während die zweifelhaften Taten der Alabama schriftlich festgehalten wurden, beschwerte sich das State Department mehrmals beim Foreign Office. Man wollte erreichen, dass Amerika ein gesichertes Anrecht auf eine zukünftige Entschädigung für den von den Engländern verursachten Schaden hatte. Gleichzeitig wurde die englische Regierung unter Druck gesetzt und dazu veranlasst, das Entstehen weiterer solcher „Alabamas“ in England zu verhindern. Denn kaum hatte die 290 ihr Dock verlassen, unterschrieb Bulloch bereits einen weiteren Vertrag mit der Firma Laird, mit dem Ziel, 4 Aus dem Journal des Débats, 22. Juni 1864 5 Zwölf Matrosen kamen während des Kampfes in den Fluten um, die Überlebenden wurden von kleinen französischen Booten, von den Rettungsbooten der Kearsarge und von der britischen Yacht Deerhound geborgen. Aussenminister Seward gab die offizielle Bestätigung, dass „es für die Kearsarge nur gerecht war, dass die Piraten ertrunken und nicht von Offizieren, von der Besatzung des Schiffes gerettet worden wären, oder wenn sie sich aus eigenen Kräften ohne Hilfe der Deerhound hätten retten können. Indem die Deerhound die Besatzung rettete, geleitete sie diese unter eine fremde Gerichtsbarkeit und verhinderte dadurch, dass die Vereinigten Staaten in den Genuss einer gesetzlichen Entschädigung für die lange und kostspielige Verfolgung kamen und dass sie schließlich als Gewinner aus der Schlacht hervorgingen.“ 12 noch kühnere Schiffe zu entwickeln. Es handelte sich um zwei gepanzerte Schiffe, die eindeutig militärischen Zwecken dienen sollten. Sie wurden zum Geschwaderkampf entworfen und nicht zum Kapern von Handelsschiffen, wie es bei der Florida und der Alabama der Fall war. Die Schiffe waren mit einem stählernen Rammsporn am Bug versehen, was bei den Experten Misstrauen erweckte. Diese Eigenheit schien für Seeschlachten im eigentlichen Sinne ungeeignet, hätte sich aber im Kampf gegen die alten Holzschiffe, welche die südstaatlichen Häfen blockierten, als sehr wirksam erweisen können. Die Öffentlichkeit und die Zeitungen der Vereinigten Staaten zeigten sich empört über den Bau solcher Kampfschiffe, da sie befürchteten, diese seien zur Verwüstung ihrer schutzlosen Küstenstädte vorgesehen. Russell ergriff energische Massnahmen: Sobald der Bau der Schiffe beendet war, kaufte er sie eigenmächtig auf Rechnung des Staates6. Erste Entwürfe für einen Schiedsspruch Seit 1863 schlug C. F. Adams Russell vor, die Schadensersatzforderungen der amerikanischen Regierung an England für die Plünderungen der Alabama und anderer südstaatlicher Schiffe englischer Herkunft einem richterlichen Verfahren zu unterziehen. Der Chef des Foreign Office lehnte dies jedoch rundweg ab. Die Idee eines Schiedsspruches, die in der angelsächsischen Tradition verwurzelt ist, geriet dennoch nicht ganz in Vergessenheit. Im Jahre 1864 setzte sich der amerikanische Anwalt Thomas Balch für den Schiedsspruch ein. Im folgenden Jahr wurde der Vorschlag von der New York Times erneut auf den Tisch gebracht und als der Frieden wieder hergestellt war, setzten sich mehrere englische Vereinigungen ebenfalls dafür ein. 1866 trat Lord Russell seine Macht ab und das neue englische Kabinett musste sich entgegenkommend zeigen, da es ein Vorstossen der USA in Richtung Kanada befürchtete. Mittlerweile besassen die Amerikaner, die gerade eine innenpolitische Krise überwunden hatten, eine mächtige Armee aus Veteranen. 1867 kaufte der amerikanische Aussenminister Seward von Russland Alaska ab; er machte sich auch die Midway-Inseln zu eigen und beabsichtigte, mit den Hawaii-Inseln ebenso vorzugehen. Sein Ziel schien kein geringeres zu sein, als Kanada in die Union aufzunehmen, wenn es sein musste unter Anwendung von Gewalt. Ein grosser Teil der amerikanischen Öffentlichkeit stand hinter dieser Expansionspolitik. War dies nicht eine einmalige Gelegenheit die Verluste des Sezessionskriegs auszugleichen, für die die Engländer teilweise verantwortlich gemacht wurden? Zum gleichen Zeitpunkt zogen über dem europäischen Himmel dunkle Wolken auf: 1864 erklärte Preussen Dänemark den Krieg, 1866 machte es Österreich bei der Schlacht von Königgrätz dem Erdboden gleich. Eine kommende Abrechnung mit Frankreich war bereits vorauszusehen. Die Nachfolger Russells im Foreign Office sahen die Notwendigkeit, die angloamerikanischen Streitigkeiten beizulegen, um sich ein Türchen offen zu lassen, falls es in Europa zu schwerwiegenden Konflikten kommen würde. Im Jahre 1869 wurde die nach ihren Urhebern benannte Clarendon-Johnson-Konvention unterschrieben, die ein Reglement zur Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen England und den Vereinigten 6 Diese Massnahme war nicht völlig legal und wurde für den englischen Staatsmann zu einer Gewissenfrage, das Risiko aber war gross. C. F. Adams hatte ihm am 5. September 1863 mitgeteilt: „Es wäre unnötig Ihrer Exzellenz mitzuteilen, dass eine Aushändigung dieser Schiffe an die Konföderation Krieg bedeuten würde. („It would be superfluous in me to point out to your lordship that this is war.”) 13 Staaten beinhaltet; eventuell musste ein Schiedsspruch in Betracht gezogen werden. Aber der unnachgiebige amerikanische Senat weigerte sich einstimmig (mit Ausnahme einer Stimme), dieses Abkommen zu ratifizieren. Ein Schritt vorwärts Im Jahre 1870, mitten im deutsch-französischen Krieg, den sich Russland zu seinem Vorteil machte, um die Bestimmungen des Pariser Friedens (1856), welche die Neutralisierung des Schwarzen Meeres beinhalteten, anzuprangern, beschloss das beunruhigte Grossbritannien einen Schritt nach vorn zu machen, um sich mit den Vereinigten Staaten zu versöhnen. Neue Verhandlungen wurden in die Wege geleitet, die im Mai 1871 zur Unterzeichnung des Vertrags von Washington führten. Dieser Vertrag enthielt das offizielle Schuldgeständnis bezüglich der Alabama und anderer Schiffe, die aus einem englischen Hafen ausliefen – ein nicht gerade einfaches Zugeständnis für das selbstgefällige Grossbritannien. Alle daraus hervorgehenden Forderungen der Vereinigten Staaten mussten vor ein in Genf einberufenes Schiedsgericht gebracht werden, das die Streitfrage endgültig klären sollte. Der Vertrag von Washington gab ebenso Antwort auf andere ungelöste Probleme zwischen den beiden Ländern, unter anderem das Fischereirecht für Amerikaner in kanadischen Küstengebieten, das Schifffahrtsrecht auf dem Saint-Laurent und anderen kanadischen Flüssen und Grenzbestimmungen auf dem Michigansee. Überdies wurde der Schiedsspruch des deutschen Kaisers dringend erbeten, um den Verlauf eines umstrittenen Teils der amerikanisch-kanadischen Seegrenze in der Nähe von Vancouver festzulegen. Wer trifft den Schiedsspruch? Diejenigen, die ein internationales Schiedsgericht befürworteten, berieten lange darüber, wie man am besten zu einem unparteiischen Urteil gelangen könnte. Bisher war es üblich, einen Herrscher zu Rate zu ziehen, was hier schwierig schien. Die Forderungen im Fall Alabama bereiteten erhebliche Probleme. Es war zu befürchten, dass das Staatsoberhaupt einer Seemacht zu grosses Interesse an der Lösung des Konflikts hätte, während eine Kontinentalmacht in einer Angelegenheit, die vornehmlich das Seerecht betraf, die Zustimmung Grossbritanniens nicht erhalten würde. Es handelte sich nicht etwa um die Festlegung einer Grenze, wie jene zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten, für die man ein unklares Abkommen getroffen hatte und die keineswegs im Interesse des deutschen Kaisers lag, der zur Grenzfestlegung zu Rate gezogen wurde. Ausserdem war der Streitfall rein materieller Natur, ohne die geringsten Konsequenzen für die Drittländer. Der Fall Alabama stellte sich anders dar. England erklärte sich bereit, sich einem Schiedsgericht zu stellen, in dem es sich automatisch auf die Anklagebank begab. Als Gegenleistung hatte das Urteil eine Begründung zu beinhalten, auf die man sich später berufen konnte. Demnach musste der Entscheid durchaus fundiert sein – etwas, das Herrscher aus Prestigegründen ablehnten. Darüber hinaus sollte das Urteil viele Länder einbeziehen, damit der Präzedenzfall eine grösstmögliche Tragweite erhielt. Für England ging es nicht nur darum, sich mit Amerika zu versöhnen, es war ebenso wichtig, keinen Präzedenzfall entstehen zu lassen. 14 Gestern und morgen Während des Sezessionskriegs wurden die Rollen der neutralen Staaten und der kriegsführenden Mächte gewissermassen vertauscht. Ein Grundsatz im 19. Jahrhundert, der erst in der jüngsten Vergangenheit seine Gültigkeit verloren hat, besagt, dass sich die grossen Konflikte in Europa abspielen; England greift, je nach Interesse, zur Beibehaltung des politischen Gleichgewichts in Europa in den Konflikt ein. Im gegebenen Fall war es die Seeblockade, die das Vereinigte Königreich einsetzte. Die Vereinigten Staaten hielten jedoch an ihren politischen Grundsätzen fest und blieben im Hintergrund. Ihr Bestreben, eine grosse und neutrale Seemacht zu sein, schien mit Englands Interessen unvereinbar. Was würde in einem neuen europäischen Krieg aus der britischen Seeherrschaft werden, sollte Amerika aus seiner Erfahrung mit dem Fall Alabama für Deutschland oder Russland Panzerschiffe bauen? Dies war durchaus eine Frage, die man sich zu jener Zeit hätte stellen können. Die britischen Mittelsmänner im Vertrag von Washington akzeptierten es, die Vorgehensweise ihrer Regierung in der Alabamafrage weder nach damals geltendem englischem Recht (was sie wahrscheinlich entlastet hätte) noch nach den Gesetzen derjenigen, die mit der Auslegung und der Anfechtung beauftragt waren, beurteilen zu lassen (was zu einer unvorhersehbaren Entscheidung hätte führen können). Der Entscheid sollte statt dessen von Schiedsrichtern herbeigeführt werden, die sich an genaue, im Vertrag selbst festgelegte Regeln halten sollten. Die Lösung der Streitfrage Um die Streitfrage im Fall Alabama zu lösen, haben sich die Vermittler mit dem Vertrag von Washington eine subtile Herangehensweise ausgedacht. Es war vorgesehen, dass sich das Schiedsgericht in seinen Entscheidungen in erster Linie nach den von Grossbritannien und den Vereinigten Staaten zuvor festgelegten Regeln richtete. In zweiter Linie sollte es damit vereinbarte allgemeine Rechtsgrundsätze in Erwägung ziehen. Dem Vertrag wurde erklärend hinzugefügt, dass Grossbritannien nicht akzeptiere, dass diese Regeln zum Zeitpunkt des Vergehens im Sinne eines internationalen Rechtsprinzips unbedingt Gültigkeit hatten. Um jedoch zu einem besseren Verhältnis zwischen den beiden Ländern beizutragen und einen beständigen Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen, gestattete Grossbritannien den Schiedsrichtern so vorzugehen, als hätte es diese Regeln zu jener Zeit stillschweigend als gültig anerkannt. Darüber hinaus verpflichteten sich beide Parteien, diese Grundsätze künftig zu respektieren, sie an andere Staatsmächte heranzutragen und sie zu ermutigen, daran festzuhalten. Der teils diplomatische Charakter des Alabama-Schiedsgerichts war vielleicht Grund dafür, dass man den für seine Zeit durchaus revolutionären Vorschlag des berühmten Schweizer Juristen Bluntschli nicht annahm. Dieser grosse Denker hatte vorgeschlagen, dass die zuständigen Behörden der einzelnen zivilisierten Länder eine stehende Liste von Geschworenen erstellten, die unter den besten Spezialisten im Internationalen Recht ausgewählt werden. Diese Liste sollte dann von den Mitgliedern des Schiedsgerichts von Fall zu Fall ergänzt werden. Die für den Fall Alabama gewählte Vorgehensweise war ein Kompromiss zwischen der revolutionären Idee Bluntschlis und dem traditionellen Verfahren, den Schiedsspruch eines Herrschers heranzuziehen. 15 Warum Genf? Was hat dazu beigetragen, dass für einen Schiedsspruch von so grosser Bedeutung die Wahl auf Genf fiel? Wir wollen dieser Frage nur kurz nachgehen und versuchen, schmeichelhafte Anachronismen zu vermeiden. Während der Verhandlungen des Vertrags von Washington herrschte ein Krieg in Europa, dessen Ausgang nicht wirklich vorauszusehen war. Die Schweiz bot sich als idealer Zufluchtsort für internationale Konferenzen an. Genf, die damals grösste Stadt der Schweiz und international erschlossen, war die beste Wahl. Diese Entscheidung, die in erster Linie aufgrund ihres helvetischen und nicht etwa ihres internationalen Charakters wegen getroffen wurde, trug später zur Blüte dieser aussergewöhnlichen Stadt bei. Die Schiedsrichter Aus dem Vertrag von Washington gingen fünf Schiedsrichter hervor, drei davon unparteiisch und zwei die beiden Parteien vertretend, die folgendermassen ernannt wurden: jeweils einer vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, von der englischen Königin, vom König Italiens, vom Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Kaiser Brasiliens. Die Höflichkeit gegenüber dem Gastgeberland verlangte die Ernennung eines Schweizer Schiedsrichters. Auch die Wahl der unparteiischen Schiedsrichter kam nicht von ungefähr. Da nationale Präferenzen die Schiedsrichter durchaus beinflussen konnten, bedurfte es eines Ausgleichs; die republikanische Schweiz sympathisierte mit der grossen Republik jenseits des Atlantik, während das brasilianische Kaiserreich eher den Standpunkt des Vereinigten Königreichs verstand. Was Italien betraf, so scheint dieses Land als eine Art Überschiedsrichter gewählt worden zu sein. Die genannten Staatsoberhäupter entschieden sich für Persönlichkeiten aus der Politik, die hervorragende Kenntnisse in rechtlichen Belangen besassen, ohne jedoch reine Theoretiker zu sein. Der Präsident der Vereinigten Staaten entsandte den Diplomaten C. F. Adams, der auch in England während des Sezessionskriegs tätig war. Dieser war mit der Beschwerdeakte bestens vertraut, da er in einem ähnlichen Rechtsstreit mit England die Funktion des Richters besetzt hatte. C.F. Adams, eine beeindruckende Persönlichkeit, stammte aus einer Familie bedeutender Politiker wie sie Amerika von Zeit zu Zeit hervorbringt. Er war der Sohn des sechsten amerikanischen Präsidenten, John Quincy Adams, und der Enkel von John Adams, Nachfolger von George Washington im Weissen Haus. Er selbst, ein vehementer Gegner der Sklaverei, war im Jahre 1848 Kandidat für die Vizepräsidentschaft, jedoch ohne Erfolg. 1872, während seines Aufenthalts in Genf als Schiedsrichter, willigte er ein, sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufstellen zu lassen, wurde aber nicht bestätigt. Der Präsident der Schweizer Eidgenossenschaft entsandte Jacob Stämpfli, damals Direktor der Nationalbank. Nach seiner Amtszeit als Abgeordneter des Kanton Bern im Nationalrat und als Mitglied des Bundesgerichts wurde er 1854 zum Bundesrat gewählt. In den Jahren 1856, 1859 und 1862 leitete er als Bundespräsident nacheinander das Justiz- und Polizeiministerium, das Finanzministerium und das Militärwesen. Während des Sezessionskriegs war er einer der grössten Anführer der Volksbewegung, die die Interessen der Nordstaaten vertrat. Obwohl er das jüngste Mitglied im Schiedsgericht war, nahm er 16 dank seiner starken Persönlichkeit und seiner perfekten Kenntnisse der Akte eine bedeutende Rolle ein. Bevor er sich in Genf beriet, zog sich Stämpfli mit den Rechtsakten in die Berge zurück. Bei seiner Rückkehr führte er wichtige Notizen und einen Plan mit sich, der dem Gericht als Leitfaden diente. Für den Schweizer Stämpfli war Neutralität nur im engsten Sinn zu verstehen, umso mehr als der Sezessionskrieg in ihm die schmerzvollen Erinnerungen an den Sonderbundkrieg hervorrief. Daher rührte auch seine strenge Haltung im Fall Alabama England gegenüber, was gelegentlich zu Konflikten mit dem englischen Richter führte. Das englische Königshaus entsandte Alexander Cockburn, Lord Chief Justice, und somit Oberster Richter des Landes. Merkwürdigerweise hat sich genau dieser Schiedsrichter, der einzige Berufsrichter im Schiedsgericht, wie ein Anwalt verhalten, der sich leidenschaftlich für die Interessen Grossbritanniens einsetzte und royalistischer erschien als die Royalen. Der von Brasilien beauftragte Schiedsrichter war Diplomat in Paris. Marcos Antonio d’Araujao, Baron von Itajuba, begann seine Karriere als Rechtsprofessor an der Universität in Pernambuco. Danach diente er seinem Land als Generalkonsul in Hamburg und später als zweiter Botschafter in Hannover, Kopenhagen, Berlin und schliesslich in Paris. Seiner Rolle in Genf wurde nur geringe Bedeutung beigemessen. Graf Sclopis sass dem Schiedsgericht vor. Diese Ehre wurde ihm aus verschiedenen Gründen erwiesen; er war Alterspräsident des Schiedsgerichts und besass von allen die meiste Erfahrung in der Rechtswissenschaft. Darüber hinaus war sein Land das erste unter den neutralen Ländern, das im Vertrag von Washington auserwählt wurde. Graf Sclopis hielt in Genf in Fragen, in denen die Verantwortung Grossbritanniens besonders zweifelhaft war, die Waage. Er war es, der die Entscheidung herbeiführte. Sekretär des Genfer Gerichts war Alexandre Favrot aus Porrentruy, Sprachlehrer in Bern, der von Stämpfli eingestellt wurde. Einen Dolmetscher gab es nicht. Der Italiener Sclopis und seine Deutschschweizer, brasilianischen, englischen und amerikanischen Kollegen konnten gewiss in Französisch kommunizieren. Leider verstanden die neutralen Vertreter die Sprache Shakespeares schlecht, die während einiger mündlicher Referate benutzt wurde. Der Vertreter Englands überlegte sich einen kurzen Moment lang, dies als Vorwand zu benützen, um Sclopis, Stämpfli und Araujao ersetzen zu lassen. In Wirklichkeit aber war das sprachliche Manko nicht allzu bedeutsam, da das Wesentliche des Gerichtsverfahrens in Prozessschriften festgehalten wurde, die in Englisch verfasst und von der Prozesspartei ins Französische übersetzt wurden. Bedenklicher hingegen war die Tatsache, dass die neutralen Vertreter mit dem angelsächsischen Rechtssystem nicht besonders vertraut waren. Beide Prozessparteien wurden in Genf offiziell von „Vertretern“ repräsentiert. Lord Tenterden, Vizekanzler des Foreign Office übernahm diese Rolle für das Vereinigte Königreich; Bancroft Davis, Vizeaussenminister des State Department war sein amerikanischer Kollege7. Sie waren beide an der Aushandlung des Vertrags von Washington, der die Bedingungen des Schiedsverfahrens von Genf festsetzte, beteiligt gewesen. 7 Davis gab seine Funktion als Vizeaussenminister während seines Mandates in Genf auf. 17 Von den Ufern des Genfer Sees aus blieben die „Vertreter“ in engem Kontakt mit ihrer jeweiligen Regierung. Der Vertrag von Washington hatte nicht ausdrücklich die Anwesenheit von „Beratern“ vorgesehen, das heisst von Juristen, die den Prozess betreuten; ihre Notwendigkeit wurde dennoch als selbstverständlich angesehen. Sie wurden nach allen Regeln der Kunst ausgewählt. Für Amerika: Caleb Cushing und W. M. Evarts, die auch aufgrund ihrer engen Verbindungen mit dem Grosshandel von New York – Hauptinteressent an einer finanziellen Entschädigung – und M. R. Waite aus Ohio. Die Vereinigten Staaten standen zum Zeitpunkt des Schiedsverfahrens vor den Wahlen. Der pazifistische Präsident Grant, der sich bereit erklärt hatte, die heikle Angelegenheit um die Alabama einem Vergleichsverfahren zu unterziehen, verfügte mit ihnen und mit C. F. Adams über nützliche Bürgen, sollte diese Angelegenheit Gegenstand einer Parteikontroverse werden. England wählte als „Berater“ zwei halb-öffentliche Persönlichkeiten: Sir Roundell Palmer, Rechtsberater der Krone, und Professor Montague Bernard aus Oxford. Das amerikanische Memorandum Der Vertrag von Washington hatte vorgesehen, dass beide Parteien ihre Beweisführung gleichzeitig und in zwei Anläufen vorlegen würden: sie würden zuerst zum gleichen Datum ein „Memorandum“ vorlegen, das ihren Standpunkt verdeutlichte; vier Monate später dann ein Gegenmemorandum. Dies benachteiligte die englischen „Berater“, da sie ihre Verteidigung ausarbeiten mussten, ohne vorher Amerikas Angriffsstrategie zu kennen. Dieser Angriff wurde mit unerwartetem Enthusiasmus und erstaunlicher Präzision unter der Leitung des „Vertreters“ Bancroft Davis geführt, der direkt an der Ausarbeitung des amerikanischen Memorandums teilnahm und der die Strategie seines Landes in diesem Rechtsstreit effizient leitete. Mehrere Spezialisten für internationales Recht wurden herangezogen, um ihre Meinung bezüglich des Projekts des Memorandums darzulegen, bevor der Prozess offiziell eröffnet wurde. Vorsichtshalber wurde die amerikanische Beweisführung und ein Teil der Beweise im Voraus ins Französische übersetzt. Auch eine spanische Übersetzung wurde angefertigt. Der amerikanische „Vertreter“ begab sich sogar nach Rom, wo er versuchte innerhalb der vorgegebenen Zeit eine italienische Version anfertigen zu lassen. Mit einem ausgeprägten Gefühl für Öffentlichkeitsarbeit liess er in Leipzig im Kleinformat mit einem detaillierten Stichwortverzeichnis eine englische und eine französische Ausgabe des amerikanischen Memorandums drucken. Nachdem diese Ausgabe offiziell dem Gericht und der Gegenpartei übergeben worden war, wurden Exemplare zu allen Seiten verteilt, um die Diskussion in der Öffentlichkeit und in juristischen Kreisen zu Gunsten Amerikas zu beeinflussen. Man ging sogar so weit, einen Teil der deutschen und französischen Presse zu bestechen!8 Am 13. Dezember 1871 reisten die „Vertreter“ Davis und Tenterden zusammen mit ihren Schiedsrichtern Cockburn und Adams nach Paris; in ihren Koffern befanden sich die jeweiligen Memoranda. Unterwegs führten sie in gegenseitigem Einvernehmen einige Vorbesprechungen zum Schiedsverfahren. Am 15. Dezember statteten sie dem Genfer Bancroft Davis Papers, zitiert von A. Nevins: „Hamilton Fish: the inner History of the Grant Administration“, Seiten 555 und 556 8 18 Staatsrat einen Höflichkeitsbesuch ab. Der Rat stellte ihnen einen Konferenzsaal im Rathaus zur Verfügung, der schon während der internationalen Genfer Konvention (Rotes Kreuz) genutzt wurde und noch heute den Namen „Alabama-Saal“ trägt. Nach den üblichen Formalitäten und der Übergabe der Memoranda an die Schiedsrichter und die „Vertreter“ vertagte sich das Gericht auf den 15. Juni. In der Zwischenzeit sollte der Austausch der Gegenmemoranda in Anwesenheit des Sekretärs Favrot am 15. April vorgenommen werden. Die Reaktionen Englands Die englischen „Vertreter“ und „Berater“ kehrten nach London zurück, um die Anklage Punkt für Punkt durchzugehen und in Eile ihre eigene Verteidigung auszuarbeiten. Die Amerikaner wählten Paris als ihre Basis, da Genf nicht über die nötigen Hilfsmittel für eine derartig beachtliche juristische Arbeit verfügte. Sie hielten dort ihre Sitzung in Anwesenheit des neuen amerikanischen Botschafters in London und des Konsuls in Liverpool ab, der ein direkter Zeuge des Falles war. Im Grossen und Ganzen fügte ihr Gegenmemorandum keine grundlegenden Neuerungen an. Die englischen „Vertreter“ dagegen hatten die schwierige Aufgabe, innerhalb einer kurzen Frist die Anschuldigungen gegen ihre Regierung zu entkräften. Und diese waren beachtlicher als vorgesehen und in einem aggressiveren Ton als erwartet. Das amerikanische Memorandum schlug, sobald sein Inhalt bekannt war, wie eine Bombe in England ein. Die grossen Zeitungen der Insel, wie Times, Daily Telegraph und Manchester Guardian brachen in Schreie der Entrüstung aus. Die amerikanischen Forderungen waren gigantisch. Zusätzlich zu den direkten Schäden, die durch die Alabama und die Florida und durch die anderen Schiffe, die aus England ausgelaufen waren, verursacht worden waren, forderte das amerikanische Memorandum eine Entschädigung für alle indirekt erlittenen Schäden. Das heisst, dass abgesehen von den tatsächlichen Verlusten (Handelsschiffe und amerikanische Waren oder unter amerikanischer Flagge laufende Schiffe, die im Meer versenkt worden waren) die vorliegende Forderung alle Ausgaben enthielt, die durch die Alabama und die anderen beteiligten Schiffe verursacht wurden: Kosten für die Verfolgung dieser Schiffe durch die Kriegsmarine; Einschränkung der Gewinnchancen durch die Tatsache, dass der Transfer eines Teils der amerikanischen Handelsflotte unter neutraler Flagge stattgefunden hatte; Erhöhung der Versicherungsprämien, die von den Schiffen mit amerikanischer Flagge zu zahlen waren; grosse Verluste durch die Verlängerung des Bürgerkriegs. Das Ganze belief sich auf eine enorme Summe, die man nicht beziffern konnte; ausserdem wurde von England auf die verlangte Summe ein Zins von 7% gefordert, der sich schon auf 9 Jahre belief. Die Frage einer Entschädigung wurde von den Unterhändlern des Vertrags von Washington im Dunkeln gelassen. Man war der klassischen Vorgangsweise der Diplomaten gefolgt, die trotz eines ungelösten Streitpunkts auf einen Kompromiss hofften. Auf diese Weise konnten die Amerikaner annehmen, dass die indirekten Schäden nicht vom Schiedsgericht ausgeschlossen waren, und die Engländer, dass sie nicht in Betracht gezogen wurden. Am 10. Januar 1871 sendete Sir Roundell Palmer, einer der englischen „Berater“, folgende Nachricht an Lord Granville, Chef des Foreign Office: „[…] niemand hätte akzeptiert, derartige Forderungen, die auf solch fortgeschrittenen Grundlagen bestehen, einem Schiedsverfahren zu unterziehen, wenn das Memorandum schon im Voraus bekannt 19 gewesen wäre. Dass Forderungen einem Land gegenüber, die sich auf mehrere Hunderte Millionen Pfund belaufen […], der Entscheidung eines schweizerischen, eines brasilianischen und eines italienischen Juristen überlassen werden – falls man sie überhaupt als Juristen bezeichnen kann – genügt schon als Grund zur Beunruhigung. Ich betrachte dieses Memorandum als einen Versuch der Schiedsrichter, den Rechtsstreit aus den durch den Vertrag von Washington auferlegten Schranken zu heben und enorme und unzulässige Forderungen zu stellen, indem man sich auf die Erweiterung eben dieser Schranken stützt.“ Am 2. Februar telegraphierte General Schenk, Gesandter in London an Aussenminister Fish: „Sämtliche Londoner Zeitungen verlangen, dass die Vereinigten Staaten ihre Forderungen bezüglich der indirekten Schäden zurückziehen, da sie nicht Teil des Vertrages sind. Das Ministerium ist beunruhigt. Ich unternehme alles, was in meiner Macht liegt, um diese Regierung daran zu hindern, etwas Überstürztes oder Schwerwiegendes zu sagen oder zu tun.“ Die amerikanische Regierung zeigte sich wenig versöhnlich. Am nächsten Tag, dem 3. Februar schickte Fish seinem Gesandten in London folgende Anweisungen: „Kein Teil der vorliegenden Forderungen darf zurückgezogen werden. Der (amerikanische) „Berater“ wird seine Beweisführung wie vorbereitet ausführen und wenn es nur ist, um dieser Regierung zu zeigen, dass es keine Gründe für Änderungen gibt.“ Am 6. Februar kam dem Parlament eine königliche Botschaft zu, dass die Vereinigten Staaten in Genf Forderungen vorgebracht hatten, die, nach Erachten der Regierung Ihrer Majestät, nicht in den Zuständigkeitsbereich der Schiedsrichter fiel; eine freundliche Mitteilung wurde in dieser Sache an die Regierung der Vereinigten Staaten gerichtet. Neue Verhandlungen Ab dem 3. Februar 1872 wurden die Gespräche zwischen dem Foreign Office und dem State Department offiziell aufgenommen und wenige Wochen später wurde von Lord Granville ein Vergleich vorgeschlagen: England würde die Zurücknahme des amerikanischen Memorandums nicht mehr fordern, unter der Bedingung, dass der „Vertreter“ der Vereinigten Staaten die Schiedsrichter in Genf darüber informierte, dass sein Land nichts mehr für die indirekten Schäden fordere. Doch Aussenminister Fish weigerte sich und die Lage der Engländer wurde zunehmend unbehaglicher: Das Kabinett Gladstone war zur Zielscheibe von Opposition und Presse geworden, die ihm vorwarfen das Risiko einzugehen, eventuell nach einem friedlichen Schiedsspruch über 5 Milliarden Goldfranken bezahlen zu müssen, die Frankreich von Bismarck als Kriegstribut auferlegt worden waren. Was aber würde in Genf passieren, wenn die zwei Parteien ihre Abmachung einhielten? Wer hätte die juristische Fachkenntnis, um zu entscheiden, ob das Genfer Gericht in dieser Angelegenheit zuständig sei. Nach Ansicht der Vereinigten Staaten war es Aufgabe der Schiedsrichter, die vorausgehenden Einwände Englands zu überprüfen und zu entscheiden, ob die indirekten Schäden in den Zuständigkeitsbereich der Schiedsrichter fielen. England wollte davon jedoch nichts wissen, da es in keinem Fall eine derartige Verpflichtung eingehen wollte und das Genfer Gericht in diesem Punkt den amerikanischen Behauptungen wohl kaum Recht geben würde. Die Spannung steigt In Anbetracht der ernsten Spannung, die dieser unterschiedlichen Auffassung folgte, erforschten die beiden Hauptakteure die Stimmung in der internationalen Öffentlichkeit. 20 Die britische Regierung fühlte sich in ihrer Haltung gestärkt, da sich die Krise Europas, die durch den deutsch-französischen Krieg entstanden war, einem Ende näherte. Die Amerikaner nahmen die Presse der Grossmächte unter die Lupe und folgerten daraus, dass die Öffentlichkeit in Europa einen Bruch zwischen Grossbritannien und den Vereinigten Staaten befürchtete. Dies hätte zu einer Destabilisierung des europäischen Finanzmarkts führen können, der dringend einer Erholung bedurfte, um die Fristen der Kriegsentschädigungen von Frankreich an Deutschland zu regeln. Am 15. April 1872 sollten die Gegenmemoranda ausgetauscht werden. An diesem Tag waren die Verhandlungen zwischen beiden Ländern, welche die genaue Tragweite des Vertrags von Washington festlegen sollten, noch nicht abgeschlossen. Grossbritannien unterbreitete dennoch seine Verteidigung, der eine Mitteilung des englischen „Vertreters“ beigelegt war, welche bestätigte, dass England die indirekten Schäden nicht als Teil des Schiedsspruchs anerkannte. Auf diese Weise vermied England, seine Engagements vorzeitig abzuerkennen und hielt sich gleichzeitig ein Hintertürchen offen. Die Spannung stieg spürbar. Am 22. April kündigte Russell dem House of Lords an, er würde einen Antrag an Seine Majestät stellen, in dem er Grossbritannien darum ersuchte, sich so lange von dem Verfahren in Genf zurückzuziehen, bis die Amerikaner auf die Erstattung der indirekten Schäden verzichten würden. Das Kabinett hingegen befand sich in einer sehr unangenehmen Lage. Die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zeigten zwar einige Fortschritte, man war jedoch noch nicht zu einer Einigung gekommen und das Schiedsgericht sollte seine Arbeit planmässig bereits am 15. Juni wieder aufnehmen. Wie aber kam es zu all diesen Komplikationen? Da sie kurz vor den Wahlen stand, konnte oder wollte die amerikanische Regierung weder einseitig auf ihre Höchstforderungen verzichten, noch öffentlich von ihrem bisherigen Standpunkt abweichen, da sie sonst Gefahr gelaufen wären, ihr Gesicht zu verlieren. Es blieb nur noch die Möglichkeit, den Vertrag von Washington entsprechend zu verändern. Die Vereinigten Staaten waren bereit, einen zusätzlichen Artikel beizufügen, aus dem hervorgehen sollte, dass einem Staat keine Verantwortung für indirekte und mittelbare Folgen zugewiesen werden konnte, die sich aus einer zufälligen oder unbeabsichtigten Verletzung der Neutralitätspflichten ergeben würden. Wenn sie freiwillig auf den fragwürdigen Anspruch auf eine eventuelle Entschädigung verzichteten, hätten sie im Gegenzug die Garantie erhalten, dass im Falle eines erneuten europäischen Krieges, in den sie höchstwahrscheinlich nicht involviert sein würden, ihre Pflichten als neutraler Staat eingeschränkt wären. Der britische Standpunkt war dieser Sichtweise jedoch genau entgegengesetzt. Die Engländer weigerten sich, sich einem Schiedsspruch zu unterwerfen, der finanzielle Risiken beinhaltete, die sie generell ablehnten; sie wollten auch keine Einigung, die eindeutig auf einem Verzicht auf die Erstattung der indirekten Schäden beruhte. Während es also im Interesse der Amerikaner lag, eine Klärung der Situation herbeizuführen, wollte das Vereinigte Königreich volle Gewissheit über das Ausmass der Risiken, die es in Genf zu erwarten hatte, jedoch ohne das die Pflichten neutraler Staaten in Zukunft eingeschränkt werden könnten. Spannung Mitte Juni stieg die Spannung erneut. Ein weiteres Mal richtete sich das Interesse der internationalen Presse und der Diplomatenkreise auf Genf. Wobei zugegeben werden muss, dass die grossen Zeitungen einen Aufsehen erregenden Skandal begrüsst hätten, also einen einseitigen Verzicht Grossbritanniens auf einen Schiedsspruch und nicht so sehr eine Annäherung an eine friedliche Lösung des Konflikts. Der New York Herald entsendete 21 seinen Chef der Auslandsredaktion, einen Sonderkorrespondenten, sowie einen angesehenen freien Mitarbeiter nach Genf. Ein aussergewöhnliches Aufgebot für die damalige Zeit. Auch die New York Tribune und der Boston Daily Advertiser schickten Sonderberichterstatter, ebenso wie die Londoner Times, der Daily Telegraph und der Manchester Guardian. Zur Mittagszeit des 15. Juni übten sich etwa 15 Journalisten im Hof des Genfer Rathauses in Geduld und spekulierten darüber, was sich wohl gegen 14 Uhr im Inneren des Gerichtes zutragen würde. Beim gegenseitigen Austausch ihrer Informationen mussten sie allerdings feststellen, dass der eine so wenig wusste wie der andere. Eines war jedoch sicher: alle Richter, einschliesslich des englischen, hielten sich in Genf auf. Alles andere waren lediglich Gerüchte. Währenddessen herrschte im Londoner Kabinett äusserste Unruhe. Es war natürlich besser informiert, als alle anderen; es wurde von der amerikanische Auslandsvertretung hatte es davon unterrichtet, dass der amerikanische Schiedsrichter das Problem inoffiziell mit seinen Genfer Kollegen beilegen wollte. Trotzdem wartete man mit Sorge auf die Lösung der vorangegangenen Schwierigkeit. Dank der Aufzeichnungen, die einer der Richter, W. E. Forster, führte, wissen wir heute, welche Atmosphäre unter den Regierungsmitgliedern herrschte. Zur Mittagszeit kam das Kabinett also zusammen, um ungeduldig auf Nachricht aus Genf zu warten. Doch bis in den Nachmittag hinein erreichte sie nichts ausser einer Kabeldepesche, die der englische „Vertreter“ vor der Verhandlung um 11:30 Uhr geschickt hatte und die vier Stunden benötigte, um an ihr Ziel zu gelangen. „Alle Gesprächsthemen waren ausgeschöpft“, so Forster, „und wir schauten uns wortlos an.“ Also ging man zum Schachspiel über. Nach drei aufeinander folgenden Partien war immer noch kein Telegramm aus Genf mit tatsächlichen Neuigkeiten eingetroffen. Nach dem Abendessen wandte man sich an die amerikanische Auslandsvertretung, aber auch dort war nur ein nichts sagendes Telegramm eingegangen. Die Verhandlung des 15. Juni Wie man sich sicher vorstellen kann, war die Verwirrung gross. Was hatte sich nun hinter den Türen des Konferenzzimmers zugetragen, das von einem Amtsdiener in rot-gelber Robe streng bewacht wurde? Bei der Verhandlungseröffnung erhob sich Davis und überreichte jedem Richter eine Abschrift der amerikanischen Schlussargumentation sowie eine französische Übersetzung, damit die neutralen Vertreter diese auch verstanden. „Alle Augen richteten sich dann auf Lord Tenterden“, so die Erinnerung eines Anwesenden9. Die Briten hätten mit ihrer Argumentation vorgehen sollen. Sie beschränkten sich jedoch darauf, ein Schreiben vorzulegen, das ihr Bedauern ausdrückte, dass die Meinungsverschiedenheiten der beiden Regierungen noch nicht beigelegt werden konnten. Zusätzlich beantragten sie eine Vertagung der Verhandlung, um eine Lösung zu finden und die Bewilligung eines Protokolls durch die beiden Staaten zu erhalten, das den Vertrag von Washington an den nötigen Stellen ergänzen sollte. Vom Präsidenten um Auskunft gebeten, erklärte Tenterden, er beantrage eine Vertagung von acht Monaten. Woraufhin sein amerikanischer Kollege, Bancroft Davis, eine Aufschiebung von achtundvierzig 9 Hackett, „Reminiscences of the Geneva tribunal“ 22 Stunden erwirkte, um sich telegraphisch mit Washington zu beraten, bevor er sich zum britischen Antrag äussern würde. Vertagung? Diese Aufschiebung gestattete vertrauliche Konferenzen zwischen dem Richter Adams, dem „Vertreter“ und den „Beratern“ Amerikas sowie inoffizielle Gespräche der Briten. In Wirklichkeit schlugen die Amerikaner vor, ein schnelles Urteil und eine baldige Einigung zu treffen, falls die indirekten Schäden erstattet werden sollten. Erkundigungen, die Richter Adams bei den anderen Richtern einzog, hatten den Weg dafür geebnet. Auf amerikanischer Seite hielt man es für nötig, bezüglich der indirekten Schäden zu einer Einigung zu kommen und das Schiedsgerichtsverfahren nicht weiter zu behindern. Die Briten rückten jedoch nicht von ihrem Standpunkt, der darin bestand, dass die indirekten Forderungen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtes fielen, weshalb dieses auch nicht an den entsprechenden Diskussionen teilhaben sollte, auch wenn nach britischer Meinung ein baldiges Ergebnis vorliegen müsse. Schliesslich wurde ein Kompromiss gefunden. Die Richter einigten sich aussergerichtlich über die Frage der indirekten Schäden und kamen so den Erwartungen beider Parteien nach. Die Formulierung dieser Entscheidung brachte jedoch einige Probleme mit sich und verursachte einen regen Notizenaustausch zwischen den verschiedenen Repräsentanten der beiden Parteien, den Richtern, Anwälten und „Vertretern“. Des Weiteren wurde schliesslich Präsident Sclopis eingeweiht. Das Unterfangen glückte. Bei der Verhandlungseröffnung am 17. Juni erklärte dann der amerikanische „Vertreter“, noch keine „positiven Instruktionen“ seiner Regierung „bezüglich des Antrags von Lord Tenterden auf eine Vertagung des Verfahrens“ erhalten zu haben und erreichte damit eine neuerliche Aufschiebung um achtundvierzig Stunden. Die Richter sollten den 18. Juni dazu nutzen, sich aussergerichtlich zum Thema zu äussern, so der Plan, der am Vorabend hinter den Kulissen geschmiedet worden war. Blieb allerdings noch ein technisches Problem zu lösen. In welcher Art und Weise sollte das Gericht seine „aussergerichtliche Entscheidung“ vorbringen? Während ein inoffiziell getroffenes Urteil nicht im Sinne der Amerikaner wäre, würde eine formelle Entscheidung nicht mit dem Standpunkt der Briten vereinbar sein. Ein Ausweg Man fand folgenden Ausweg: Bei der Wiederaufnahme der Verhandlung am 19. Juni erneuerte Lord Tenterden seinen Antrag auf Vertagung. Daraufhin erklärte Graf Sclopis, in seiner Eigenschaft als Präsident des Gerichts, bevor er sich diesbezüglich äussere, werde er den beiden betroffenen Parteien den einstimmigen Entschluss vorstellen, zu dem die Richter im Falle der indirekten Schäden seitens der Vereinigten Staaten gekommen waren. Ohne auch nur im Mindesten überrascht zu sein, erfuhren also „Vertreter“ und „Berater“, dass die Richter sowohl einzeln als auch geschlossen zu der Auffassung gelangt waren, dass, „nach den Prinzipien des internationalen Rechts“*, der Antrag auf Erstattung der indirekten Schäden seitens der Amerikaner „keine hinreichende Grundlage bieten würden, um ein Entschädigungsurteil zu fällen oder eine Entschädigungssumme festzusetzen und dass diese, nach denselben Prinzipien, nicht Teil des Schiedsgerichtsverfahren sein könnten, auch wenn es zwischen den beiden Staaten hinsichtlich der Zuständigkeit des Gerichts nie zu Unstimmigkeiten gekommen war.“* Zudem wurde gesagt, dass die Richter * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 23 nicht beabsichtigten, „explizit oder implizit eine Meinung im Hinblick auf die Streitfrage zwischen den beiden Regierungen bezüglich der Auslegung bzw. der Auswirkungen des Vertrags“* von Washington verlauten zu lassen. Man wollte keinen Anlass für etwaigen Protest liefern. Aus demselben Grund war die Entscheidung vertraulich getroffen worden. Des Weiteren überliessen es die „Vertreter“ ihren jeweiligen Regierungen, diese Erklärung nach eigenem Belieben auszulegen. Die Briten, die seit der ihrer Meinung nach völlig unberechtigten Antragstellung auf Entschädigung, einige Zweifel an den guten Absichten ihrer amerikanischen Kontrahenten hegten, waren nun vor Überraschungen gefeit. Man erinnerte sich, dass der Antrag auf Vertagung von Lord Tenterden auf der Tagesordnung der offiziellen Verhandlung stand. Präsident Sclopis, der das Intermezzo um die Erstattung der indirekten Schäden nun beendet hatte, vertagte die Verhandlung um eine Woche. Bei Wiederaufnahme des Verfahrens am 25. Juni verlas der amerikanische „Vertreter“ eine Erklärung seiner Regierung, in der es hiess, dass die Vereinigten Staaten die umstrittene Frage als endgültig geklärt betrachten. Daraufhin wurde das Verfahren erneut um achtundvierzig Stunden vertagt, so dass man im Stillen eine britische Zustimmungserklärung ausarbeiten konnte. Die Erklärung wurde von Lord Tenterden in Zusammenarbeit mit dem „Berater“ und dem Schiedsrichter Grossbritanniens formuliert und abgeändert, um einige Einwände seitens der Amerikaner zu berücksichtigen. Am 27. Juni endlich verlas Tenterden die Erklärung, in der es hiess, dass die Regierung Seiner Majestät Kenntnis von der zwei Tage zuvor erfolgten Erklärung durch den „Vertreter“ der Vereinigten Staaten genommen habe und zog seinen Antrag auf Vertagung zurück. Daraufhin erfolgte die Übergabe zur abschliessenden Stellungnahme von britischer Seite. Schliesslich hatte man einen Ausweg aus dieser heiklen Situation gefunden. In beiden Ländern war die Erleichterung gross. Verfahren Die Arbeit des Schiedsgerichts ging nun endlich in eine aktive Phase über, die jedoch von vielen Zwischenfällen geprägt war. Ein erster wurde bereits durch die abschliessende Stellungnahme ausgelöst, die kurz zuvor unterbreitet worden war. Seinen Verfassern schien es nicht genügend ausgereift. Das ist verständlich, schliesslich mussten sie bis zur letzten Minute entweder mit einem Scheitern oder einer längeren Unterbrechung des Verfahrens rechnen. Roundell Palmer beantragte daher, einige zusätzliche Ausführungen zu bestimmten Punkten machen zu dürfen. Im Vorhinein hatte er den amerikanischen „Berater“ vergeblich darum gebeten, ihn bei diesem Schritt zu unterstützen, wobei er ihm das Schlusswort vor den Richtern als Gegenleistung anbot. Präsident Sclopis antwortete hierauf, dass es nicht Sache der prozessführenden Parteien sei, eine solche Initiative zu ergreifen. Cockburn eilte dann seinen Landsleuten zu Hilfe, indem er vorschlug in der Verhandlung vom 28. Juni die „Berater“ der beiden Parteien dazu aufzufordern, die rechtlichen Verpflichtungen neutraler Staaten zu präzisieren. Das Gericht lehnte ab. Später, während der Verhandlung am 16. Juli, schlug der Chief Justice vor, die „Berater“ um eine kurze Schlusszusammenfassung zu bitten, was von seinen Kollegen jedoch abgelehnt wurde. 24 Ein etwas unvornehmer Richter Als das Ende des Prozesses näher rückte, machte Cockburn seinem Ärger in einem vertraulichen Brief an den britischen Aussenminister Luft: „Es sieht hier nicht gut für uns aus“, vertraute er Lord Granville an. „ Ich habe es schon seit der ersten Sitzung im Juli befürchtet. Wir hätten keine schlechteren Männer als Stämpfli oder den Präsidenten (Sclopis) bekommen können. Ersterer ist ein fanatischer Republikaner, der die monarchistischen Regierungen und die Ministerien, denen Männer von hohem Rang angehören, hasst, dumm wie ein Esel und eigensinnig wie ein Maultier. Letzterer ist farblos und will unbedingt ein Urteil verkünden, das in der Welt Aufsehen erregt und Reden über die Gesellschaft, die Menschheit usw. halten, kurzum ein Redenschwinger. Der Baron d’Itajuba gefällt mir wesentlich besser, jedoch ist er nicht gut genug informiert, ausserdem sehr träge und neigt deshalb dazu, an einem herausragenden Punkt kleben zu bleiben, ohne ins Detail zu gehen. Darüber hinaus beharrt er mit einer ungewöhnlichen Starrsinnigkeit auf seiner Meinung, hat er sich erst einmal eine gebildet.“* Aber der Aussenminister wusste, wie er die Berichte seines Chief Justice einzuschätzen hatte. „Was ist denn mit ihrem Schiedsrichter los?“, hatte ihm der „Vertreter“ der englischen Regierung ein paar Wochen zuvor aus Genf geschrieben. „Er benimmt sich wie ein Wahnsinniger, letzte Woche hat er uns immer wieder beleidigt und heute erneut, alle auf einmal. Hat er vor den Vertrag zu brechen? Sein Verhalten hat für uns bisher sehr viel Schaden angerichtet.“* Stämpflis Plan Am 16. Juli begann die entscheidende Phase des Schiedsverfahrens. Das Gericht nahm einen von Stämpfli ausgearbeiteten Plan an. Stämpfli hatte der Untersuchung des Streitfalls persönlich beigewohnt, weshalb er, wie er zugab, schon zu diesem Zeitpunkt zu einer vorläufigen Meinung über alle zu entscheidenden Punkte hatte gelangen können. Der Schweizerische Schiedsrichter schlug vor, man solle zuerst die Probleme benennen: Welche Fragen gab es zu klären? Welche Fakten zu berücksichtigen? Welche allgemeinen Grundsätze des Rechts waren hier anzuwenden? Danach würde man sehen, ob eine Entschädigung angebracht sei. Man würde sich mit jedem Schiff einzeln befassen, und zwar eins nach dem anderen, die Gründe die zu einer Entscheidung geführt haben erklären und für jeden Fall ein Urteil sprechen. Cockburn hingegen wollte einen theoretischeren Ansatz. Er war der Ansicht, man solle damit beginnen, die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts bezüglich der Verpflichtungen neutraler Staaten herauszuarbeiten, um sie dann auf die Tatsachen anzuwenden. Doch diese Methode erschien seinen Kollegen zu zeitaufwendig, sie wollten so schnell wie möglich zu einem Ergebnis kommen. Am 17. Juli begann man, Stämpflis Memorandum folgend, mit der Florida. Der Schweizerische Schiedsrichter verkündete als erster sein provisorisches Urteil, er war der Meinung, dass England nicht genug getan hatte, um seine Neutralität zu bewahren. Danach ergriff Cockburn das Wort. In einem Brief an seine Regierung beschreibt der amerikanische „Vertreter“, wie Cockburn „mit errötetem Gesicht und Tränen in den Augen“*, vehement die Vorwürfe, die gegen sein Land vorgebracht worden waren, * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 25 zurückwies. Ein paar Tage später legten Adams, d’Itajuba und Sclopis ihre Meinung dar; sie stimmte mit jener Stämpflis überein. Nachdem der Fall der Florida gelöst worden war, befasste man sich mit der Alabama. Cockburn protestierte ein weiteres Mal gegen die Arbeitsweise und beschwor seine Kollegen, die Rechtsprinzipien vor den Fakten zu prüfen. In der Sitzung des 25. Juli schloss sich d’Itajuba ihm an und bat darum die „Berater“ anzuhören, um einige Rechtsfragen zu klären. Die Schiedsrichter lasen in alphabetischer Reihenfolge ihre provisorische Meinung vor. Adams, Cockburn, d’Itajuba, Sclopis und Stämpfli sprachen England der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Alabama schuldig. Es gab nun noch weitere Fälle zu klären. Mit drei Stimmen gegen zwei (Cockburn und d’Itajuba) wurde England im Fall der Shenandoah für schuldig erklärt, ein englisches Handelsschiff, das gegen Kriegsende von den konföderierten Staaten gekauft und in ein Passagierschiff umgebaut worden war. Britische Matrosen waren während eines Aufenthalts in Melbourne rekrutiert worden, ohne dass die Behörden das Nötige getan hätten, um dem „Foreign Enlistment Act“ durchzusetzen. England wurde hingegen einstimmig freigesprochen, was die anderen in Frage stehenden Seeschiffe betraf: Die Georgia, die Sumter, die Nashville, die Tallahasse, die Chikamauga, die Sallie. J. Davis, die M. Boston, die V.H. Jay (im Falle der vier letzteren, aus Mangel an Beweisen).10 Das Urteil Die Entschädigung betreffend liess der Vertrag von Washington den Schiedsrichtern die Wahl zwischen der Festlegung einer pauschalen Summe oder der Weitergabe des Falls an eine englisch-amerikanische Kommission. Man entschied sich für die erste Lösung, die den Vorteil hatte, der Sache ein Ende zu bereiten. Den rechnungsführenden, amerikanischen Experten zufolge belief sich der durch die Alabama, die Florida, die Shenandoah und ihre Begleitschiffe entstandene Schaden auf 14’437’143 Dollar. Die britische Regierung entsandte zwei Experten nach Genf, die diese Summe beanstandeten und lediglich einen Betrag von 7'074’715 Dollar zugestanden. Selbstverständlich konnte das Gericht nur ein Rechungsgutachten akzeptieren in dem alles berücksichtigt worden war. Einige Posten der amerikanischen Rechnung wurden vom Gericht zurückgewiesen, da sie zweimal aufgeführt waren. Andere wurden als rechtlich ungültig angesehen. Was den Rest anging, nahm man einfach das arithmetische Mittel aus den amerikanischen Forderungen und dem, was von den Engländern zugestanden worden war. Die Zahl, die das Gericht am Ende festlegte, betrug 15’500’000 Golddollar, darin inbegriffen ungefähr 5 Millionen Dollar Zinsen, festgelegt auf 6% und berechnet für den Zeitraum vom ersten Januar 1864 bis zum 15. September 1873. Nachdem die Entschädigungssumme feststand, verfasste das Gericht den Urteilstext. Dieser wurde zuerst in französischer Sprache aufgesetzt, danach fertigten Cockburn und Adams eine englische Übersetzung an, die zur offiziellen Version wurde. 10 Die Alabama und die Florida waren zusätzlich mit Begleitschiffen (tenders) ausgestattet. Es handelte sich hierbei um von ihnen auf dem offenen Meer gekaperte, in Satelliten umgewandelte Handelsschiffe. England wurde auch für Plünderungen schuldig befunden, die von diesen Schiffen ausgegangen waren. 26 Das Gericht gönnte sich im Anschluss daran eine Woche Ferien, die Entscheidung sollte jedoch nicht vor der Schlusssitzung bekannt werden. Am Abend des 7. September, nach der letzten Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, fand ein großes offizielles Abendessen im Hotel de la Paix statt, zu dem der Staatsrat der Republik und des Kantons Genf das Gericht einlud. Graf Sclopis hielt dort eine hoch geschätzte Rede. Vier Tage später lud die schweizerische Regierung ihrerseits ein. Ein Sonderzug brachte alle am Schiedsspruch beteiligten nach Bern, wo sie vom Präsidenten der Eidgenossenschaft empfangen wurden. Am nächsten Tag fanden ein Ausflug nach Interlaken und ein offizielles Essen in Anwesenheit des diplomatischen Corps statt. Die Schlusssitzung Am 14. September, dem Tag an dem das Urteil verkündet werden sollte, wurde es dank Sclopis den Journalisten erlaubt, dieser letzten Sitzung beizuwohnen. Anwesend waren der Staatsrat sowie einige geladene Gäste. Man begann, wie gewöhnlich, mit dem Protokoll der vorangegangenen Sitzung. Danach verlas Sekretär Favrot das Urteil auf Englisch. Es fehlte nur noch eine Formalität – die Unterschrift der Richter. Zur Überraschung aller weigerte sich Cockburn seinen Namen unter das Dokument zu setzen und erklärte, er habe in dem Text, den er in der Hand hielt, seine abtrünnige Meinung dargelegt. Er hielt Favrot ein viele Seiten umfassendes Dokument hin und wünschte, dass es dem Protokoll beigefügt werde. Niemand hatte vorher davon gewusst, doch Sclopis bewahrte Ruhe und gab Cockburns Gesuch statt. Die abtrünnige Meinung des englischen Schiedsrichters umfasste 250 grosse, gedruckte Seiten und sorgte wegen ihres aggressiven Stils für Aufruhr. Und dennoch hatte der ungestüme Cockburn den Auftrag des englischen Aussenministers nicht ganz zu dessen Zufriedenheit ausgeführt, denn Granville hatte ihm am 21. August geschrieben: „Mein lieber Cockburn, Ich habe mit viel Bewunderung gelesen, was Sie mir von Ihrem Urteil mitteilten. Es ist mit einer Klarheit geschrieben, wie sie fast nur Sie beherrschen. Es ist interessant zu lesen und doch so leicht zu verstehen wie ein Roman. Dennoch bedaure ich, dass Sie in ihrer Einführung den Vertrag, die Verhandlungen und die Regierung kritisieren. [...] Es ist nachvollziehbar, dass Ihnen der Gedanke kam, Kritik zu üben an diesem Vertrag, mit dem Sie nie einverstanden waren. Doch dieser Vertrag ist vom Land akzeptiert worden und sowohl die Nation als auch die Regierung waren sehr erleichtert darüber, dass er auch weiterhin Bestand haben wird. [...] Ihr Urteil wird ein sehr wichtiges Staatsdokument sein, das in der ganzen Welt von den kompetentesten Personen gelesen werden wird. Ich halte es nicht für angebracht, dass ein Vertreter Englands seine Regierung und seine diplomatischen Vertreter in den Schmutz zieht. Auch weiss ich nicht, was die Öffentlichkeit davon hat, noch was es Ihrer bewundernswerten Argumentation nützt.“ * * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 27 Nachdem der Chief Justice seine abtrünnige Meinung übergeben hatte, hielt Präsident Sclopis seine Abschlussrede. Artilleriesalven, abgefeuert von der Promenade de la Treille, standen unter Aufbietung Genfer, schweizer, amerikanischer und britischer Flaggen am Ende der Zeremonie. Reaktionen Wie wurde die Entscheidung des Genfer Schiedsgerichts von den Betroffenen aufgenommen? Die Vereinigten Staaten zeigten sich zufrieden mit ihrem „Sieg“11, nicht nur wegen der zugesprochenen Entschädigung. Das Prestige war gleichermassen wichtig. General Grant machte das positive Ergebnis des Schiedsspruchs sogar zum Wahlkampfthema. In England gab es keinen Grund zur Freude. Bei den darauffolgenden Wahlen verloren die Liberalen die Mehrheit, eine Niederlage, die teilweise auch auf den durch die Genfer Entscheidung verletzten Stolz der ersten Weltmacht zurückzuführen war. Wie Fitzmaurice in seiner bemerkenswerten Biographie Granvilles schreibt: „Eine hochmütige Nation, noch sehr überzeugt von den Traditionen der Epoche Lord Palmerstons, in der einige einflussreiche Schichten noch von einer lebhaften und unvernünftigen Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten erfüllt waren, war vor ein Gericht ohne Vorgänger in der Geschichte der Nationen gestellt worden, und das unter Umständen unter denen das Urteil, zumindest in den wichtigsten Zügen, zu ihrem Nachteil ausfallen musste.“* Der Vertrag von Washington und der Schiedsspruch von Genf müssen in Wirklichkeit zu den Fällen gezählt werden, in denen sich die Regierungen weiser zeigten als die Nationen, die sie regierten. Am 13. September 1872 hatte die Times jedoch ihre Leser bereits darauf vorbereitet, den Schiedsspruch zu akzeptieren, mit der Begründung, das Land sei auf lange Sicht nicht der Verlierer. „Wie hoch auch immer die Entschädigungszahlungen ausfallen werden, England kann dabei nur gewinnen: Im Falle eines Krieges, könnte es sich gegenüber den anderen auf die neue Rechtsordnung berufen, die man ihm gegenüber angewendet hat.“ Es lohnt sich, einen Brief von Tenterden, dem „Vertreter“ der britischen Regierung, an Aussenminister Granville vom 8. September 1872 zu zitieren, kurz nachdem er die Entscheidung des Schiedsgerichtes erfahren hatte. Dieser Brief setzt mehrere Aspekte in ein interessantes Licht. „Es ist in der Tat so,“, schrieb er, „dass wir in dem Augenblick, wo wir uns mit dem Schiedsgericht einverstanden erklärt haben (und, wie Sie wissen, halte ich es für politisch richtig), damit akzeptiert haben, uns einer Rechtsordnung zu unterwerfen, die, in diesen Fragen des internationalen Rechts, sehr von unserer abweicht. Wir stützen 11 Dies wurde noch bestärkt durch die Tatsache, dass der Schiedsspruch des deutschen Kaisers in der Frage der amerikanisch-kanadischen Seegrenze (San Juan Insel) den Vereinigten Staaten uneingeschränkt Recht gab. Zwei britisch-amerikanische Kommissionen, eingesetzt gemäss des Vertrages von Washington, vergaben dagegen: a) eine Entschädigung von fast 2 Millionen Dollar für Verluste, die Seine Majestät während des Bürgerkrieges in Amerika erlitten hatte; b) eine Entschädigung von 5,5 Millionen Dollar für die an die USA abgetretenen Fischereirechte Kanadas. * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 28 unser Rechtssystem auf Präzedenzfälle und auf die angloamerikanische Rechtssprechung. Einem Aussenstehenden erscheint unser rechtliches Verfahren kompliziert. In einer Angelegenheit wie dieser, ist es schwierig zu beurteilen, ob die fremde Sicht richtig ist oder nicht. Für jemanden wie mich, der ganz in den Disput involviert war, erscheint es im Augenblick als völlig falsch. Wir können diese Sichtweise nicht begreifen, die uns oberflächlich und uninformiert erscheint. Für einen Aussenstehenden hingegen, ist auch die uns eigene Sichtweise nur schwer nachvollziehbar; sie erscheint ihm unlogisch und dem Code Napoléon widersprechend (der auf dem Kontinent das Gesetz ist). Im vorliegenden Fall, erweist es sich vielleicht als gut, dass wir uns an ein Gericht gewandt haben, dessen Mitglieder sich auf eine andere Rechtsquelle stützen, als die, bei uns in Ehren gehalten wird. Die Wahl der Schiedsrichter erschien mir persönlich willkürlich, und dadurch, dass sie des Englischen nicht mächtig waren, ergaben sich natürlich grosse Schwierigkeiten. Betrachte ich jedoch in aller Ruhe das Verfahren, jetzt, wo es abgeschlossen ist, gestatte ich mir den Gedanken, dass es enorme Vorteile bietet, wenn sich ein Gericht aus einer bestimmten Anzahl bekannter Männer zusammensetzt, die sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst sind. So neutralisieren sie sich gegenseitig. Hätte man ein Staatsoberhaupt ausgewählt, wäre von diesem wiederum jemand bestimmt worden, den Fall an seiner Stelle zu untersuchen. Auf diese Weise hätten wir es nicht mit einem so genannten Juristen wie dem Spanier Colos zu tun gehabt, der im gerade veröffentlichten zweiten Band seiner „Geschichte des Internationalen Rechts“, nach einem langen Kapitel über die Forderungen der Alabama im Grunde zur selben Schlussfolgerung wie die Schiedsrichter gelangt. Ich gestehe für meinen Teil, dass ich keinen Moment lang zu hoffen wagte, im Fall der Alabama zu gewinnen. Ich hatte meine Zweifel im Fall der Florida [...] und [...] Befürchtungen im Fall der Shenandoah. [...] Aber, gesteht man sich erst einmal ein, dass wir den Prozess verlieren mussten, so ist die Entschädigung noch gemässigt ausgefallen. Hätte sich mein brasilianischer Freund nicht für uns eingesetzt, wäre sie sicherlich mindestens anderthalb Millionen Pfund Sterling höher gewesen (d.h. mehr als 50%). [...] Historische Bedeutung Bei all den kleineren Zwischenfällen, die für dieses erste grosse Schiedsverfahren charakteristisch sind, den manchmal etwas bitteren Bewertungen der Beteiligten, den Hintergedanken der Regierungen, darf das Wesentliche nicht aus den Augen verloren werden. Eine Affäre, in der die Empfindlichkeit einer Grossmacht und der Groll einer anderen aufeinander trafen, wo beträchtliche materielle Interessen auf dem Spiel standen und in der es noch kein festgelegtes Verfahren gab, ist auf eine Weise geregelt worden, die letztlich zufriedenstellend war für die betroffenen Parteien, wie auch im Hinblick auf die rechtliche Doktrin. Es ist nicht nötig, die Geschichte zu mystifizieren und so zu tun, als ob die Richter auf dem Olymp gesessen hätten. Die Zeitgenossen waren von dem spektakulären Erfolg dieses Schiedsverfahrens beeindruckt, besonders, da es zuerst den Anschein gehabt hatte, als würde es scheitern12. 12 CL A. Strindberg: „Schweizer Novellen“, Seiten 205-208. 29 In einigen pazifistischen Kreisen glaubte man, ein Allheilmittel gefunden zu haben und übersah, für wie viel Zündstoff die Annektierung der Region Elsass-Lothringen durch Deutschland in Europa gesorgt hatte. Es gab jedoch zahlreiche Warnungen vor einem allzu grossen Enthusiasmus. „Es scheint mir“, schrieb beispielsweise A. River in seiner „Bibliothèque Universelle et Revue Suisse“, dass die breite Masse die Tragweite dieses internationalen rechtlichen Einsatzes überschätzte und sich in dieser Angelegenheit einigen Illusionen hingab, wobei sie vielleicht die Schiedsrichter selbst imitierte. [...] Das Schiedsgericht von Genf wird als Innovation gepriesen. [...] Man stellt das Schiedsgericht als die Regel der Zukunft dar, das dazu bestimmt ist, den alten und abscheulichen Brauch der Durchsetzung von Recht durch Waffengewalt zu entthronen. Man lobt Grossbritannien und die Vereinigten Staaten in den höchsten Tönen dafür, nicht zu den Waffen gegriffen zu haben und für ihren Willen, das Recht über die Waffengewalt zu stellen. Ich glaube, es ist angebracht, sich vor allzu grosszügigen Utopien in Acht zu nehmen.“* Zwar hat die Geschichte gezeigt, dass eine solche Skepsis zum Teil gerechtfertigt war; würde man jedoch nur diesen Aspekt betrachten, liesse man einen grossen Teil der historischen Realität ausser Acht. Worin besteht also die historische Bedeutung des Schiedsgerichts von Genf? Zunächst einmal war dieses wichtige Ereignis für die Stadt Genf insofern von Bedeutung, als dass es ihr ein beträchtliches internationales Ansehen verschaffte. Am Ende des Ersten Weltkriegs, als sich die Frage nach dem Sitz der Vereinten Nationen stellte, riefen die lokalen Stadträte die Erinnerung an das Alabama-Schiedsgericht wieder hervor, mit dem Sitz des Roten Kreuzes als dem wichtigsten subjektiven Argument für eine Kandidatur Genfs; ohne in irgendeiner Weise die objektiven Vorteile herabzusetzen, die der Kanton diesbezüglich besass. Auf internationaler Ebene, bedeuteten der Vertrag von Washington und das AlabamaSchiedsgericht sicherlich einen Wendepunkt in den anglo-amerikanischen Beziehungen. Es konnten so die Hauptursachen gegenseitiger Spannungen zwischen den beiden Ländern dauerhaft aus dem Weg geräumt werden; so dass die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten seitdem nicht mehr militärisch bewacht wird. Und war es England, während des Ersten Weltkrieges möglich, eine wirkungsvolle Blockade in der Nordsee zu errichten, ohne die Vereinigten Staaten gegen sich aufzubringen, so ist auch dies grösstenteils auf die Vereinbarungen von 1871-1872 zurückzuführen. Das Schiedsgericht von Genf stellt schliesslich eine bedeutende Etappe in der Entwicklung der internationalen Justiz dar. Schon 1871-1872 entwickelten zwei bedeutende Juristen, der Genfer G. Moynier und der Amerikaner E. Lieber die Idee einer internationalen Konferenz von Juristen, um über Möglichkeiten der Förderung und Weiterentwicklung des Internationalen Rechts zu beraten. Es entwickelte sich eine lebhafte Korrespondenz und im November 1872 schlug Bluntschli vor, eine Akademie oder ein Institut des Internationalen Rechts zu gründen. Als Standort wählte man Gent, da dort zu jener Zeit eine der bedeutendsten Zeitschriften des Internationalen Rechts publiziert wurde. Die ersten Arbeiten des Instituts galten dem * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 30 Schiedsverfahren und dem Studium der drei Regeln des Seerechts aus dem Vertrag von Washington; „man war sich einig darüber, dass Genf nahezu prädestiniert war“ für diese Session (1874). „Diese berühmte Stadt“, so hiess es weiter im Bericht, „empfahl sich nicht nur durch ihre aussergewöhnliche Lage, durch den besonders hohen Rang, den sie in der Geschichte der Wissenschaften und der Philosophie bekleidet, sondern noch mehr durch die noch frische Erinnerung an die Genfer Konvention und das Alabama-Schiedsgericht.“ Der Erfolg des Alabama-Schiedsgerichts hat andere Vereinbarungen ähnlicher Art beträchtlich angeregt. Um die hundert Streitfälle sind in den nachfolgenden dreissig Jahren durch ein Schiedsverfahren beigelegt worden; die Einführung der Schiedsklausel hat sich im 20. Jahrhundert in bilateralen und multilateralen Verträgen vervielfacht. Heute tagt der Internationale Gerichtshof regelmässig in Den Haag. Trotz allem ist das Gespenst des Krieges nicht verschwunden. Es ist ein tragisches Paradox, dass die Entwicklung des Völkerrechts – und insbesondere des Friedensrechts – mit der Zunahme an Möglichkeiten, Völker zu vernichten und zu unterdrücken – einherging! ALABAMA SEEWEG MÄRZ 1862 BIS JUNI 1864 Kurze Zusammenfassung der Ereignisse: März 1862 Die Oreto, das erste von den Briten gebaute Kriegsschiff, verlässt den Hafen von Liverpool „ORETO“ umgetauft in „FLORIDA“ „NO 290“ umgetauft in „ALABAMA“ Die No 290, das zweite vom Stapel gelaufene Kriegsschiff, dessen Beschlagnahme für Montagnachmittag, den 28. Juli 1862 vorgesehen ist, läuft unbotmässig schon am Morgen aus. Es nimmt Kurs auf die Azoren, wo es mit Kanonen ausgerüstet und in „Alabama“ umgetauft wird. Unter dem Kommando von Kapitän Semmes und seiner britischen Mannschaft, überquert die Alabama mehrere Male den Atlantik, durchkreuzt den Golf von Mexiko, segelt entlang der Küsten Brasiliens, passiert das Kap der Guten Hoffnung bis zum Indischen Ozean. Sie bringt 60 feindliche Schiffe auf. 11. Juni 1864 Die Alabama läuft in den Hafen von Cherbourg ein, wo einige Reparaturen vorgenommen werden sollen. Sie geht innerhalb der Hafenbegrenzung vor Anker. „USS KEARSARGE“ Auf Patrouille im Ärmelkanal, postiert sich der Kreuzer zu 31 Überwachungszwecken ausserhalb der Hafenbegrenzung. Vereinigte Staaten von Amerika, Golf von Mexiko, Brasilianische Küste, Atlantischer Ozean, Azoren, Kap der Guten Hoffnung, Indischer Ozean, Grossbritannien, Liverpool, Cherbourg, Frankreich, Alabama Seeweg März 1862 bis Juni 1864 19. Juni zwischen 8 und 10 Uhr Die Alabama, mit acht Kanonen bewaffnet, verlässt die Reede und nimmt Kurs auf die Kearsarge, mit 7 Kanonen grösseren Kalibers und durch eine Kettenpanzerung geschützt. Die Kearsarge steht unter dem Kommando von Kapitän Winslow. Es kommt zu einem der spannendsten Seegefechte der Geschichte. Die zwei Schiffe drehen sich scheinbar endlos in einer engen Ellipse, passieren sich sieben Mal querschiffs, feuern alle ihre Kanonen aus nächster Nähe ab. Als sie sich das siebte Mal passieren, trifft eine Kanonenkugel die Dampfmaschine und macht so der Odyssee der Alabama ein Ende. Zwei andere Kriegsschiffe Mit Kettenpanzerung, gebaut im Hafen von Liverpool, werden von der englischen Regierung erworben. Porträts der Kapitäne Semmes und Winslow, die die Alabama und die Kearsarge kommandierten. Modell der Alabama von E.W. Wanner, Maler und Modellbauer, als Geschenk an den Kanton Genf 1976. JAHRHUNDERT-RETROSPEKTIVE ZUM ALABAMASCHIEDSSPRUCH von Professor Clive Parry, Professor für Internationales Recht an der Universität Cambridge, Fellow of Downing College of Cambridge Heute pflegt man berühmte Ereignisse vergangener Zeiten herabzusetzen. In diesem Zusammenhang mag das Alabama-Urteil womöglich als ungerecht oder belanglos – oder beides zugleich – angesehen werden. Unumstössliche Tatsache ist jedoch, dass sich zwei Grossmächte – die eine auf dem Höhepunkt ihrer Imperialmacht, die andere noch immer bewaffnet und von einem Bürgerkrieg geplagt – plötzlich ihrer gemeinsamen, unvergleichlichen Rechtstradition besinnen und ein Schiedsgericht einem bewaffneten Konflikt vorziehen. 32 Selbst nach all den vergangenen Jahren tut man sich noch schwer damit, dass der Schuldspruch nicht unbedingt stichhaltig begründet war, denn in England wurde nie gross Wert auf die berühmten drei Regeln des Vertrages von Washington gelegt. Tut uns leid, aber... So stand es schon im Vertrag. Die Regierung Ihrer Majestät, heisst es darin, möchte ihr Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass die Alabama und andere Schiffe, unter welchen Umständen auch immer, erneut von britischen Häfen in See gestochen seien und Schäden verursacht hätten. Obwohl eingeräumt wurde, dass die Sache vorschriftsmässig behandelt würde, hiess es ausdrücklich im Vertrag, dass besagte Vorschriften keinesfalls als „Ausdruck der Prinzipien des bei Auftreten der Meinungsverschiedenheit gültigen internationalen Rechts“ anerkannt werden. Womöglich sind die Regeln akzeptabler als sie diese Erklärung erscheinen lässt, denn im Grunde verlangen sie bloss, dass die Staaten sämtliche Anstrengungen unternehmen, dass innerhalb ihres Hoheitsgebiets keine Schiffe bewaffnet werden, die im Verdacht stehen, zu Kriegszwecken gegen eine befreundete Nation eingesetzt zu werden. Inakzeptabel ist jedoch die Schlussfolgerung des Schiedsgerichtes, wonach der Umfang dieser vom neutralen Staat geforderten Massnahmen nicht von den Mitteln abhängt, die ihm dazu zur Verfügung stehen, sondern vom Risiko, dem die angegriffene Nation ausgesetzt war. Grünes Licht Es mutet schon eigenartig an, wenn ein Schiff wie die Alabama in einem Hafen der Grösse Liverpools praktisch ungestört bewaffnet werden kann. Tatsache ist ausserdem, wie das Schiedsgericht anmerkte, dass die Alabama – nachdem sie das erste Mal ausgelaufen war– wiederholt britische Häfen (obschon weitentfernte in den Kolonien) angelaufen hat um von dort erneut ungehindert in See zu stechen. Ein Grund hierfür hätte sein können, dass sich der geistige Zustand des königlichen Anwalts verschlechtert hatte, was von Lady Harding – die „als Ehefrau mehr taugte denn als Staatsbürgerin“* – verschwiegen wurde. Plausibler ist jedoch, dass das Landrecht Englands der Regierung jedwedes Einschreiten untersagte. Auf jeden Fall wurde die Alabama nicht am Auslaufen gehindert und die britische Regierung behauptete diesbezüglich, dass das internationale Recht nicht explizit gewesen sei. So gesehen war der Fall wie geschaffen für ein Schiedsgericht. Juristen, besonders anglo-amerikanische, überschätzen häufig die rechtlichen Möglichkeiten zur Beilegung eines zwischenstaatlichen Konflikts. Die Feststellung des verstorbenen George Scelle, wonach es noch nie einen volksnahen Gerichtsentscheid gegeben habe, bleibt zutreffend. Genau wie rechtliche Bestimmungen, einschliesslich des Alabama-Urteils, sind Schiedssprüche in ihrem jeweiligen Zusammenhang zu sehen. Fortsetzung einer Tradition Ein Schiedsgericht anstelle eines bewaffneten Konflikts zwischen Grossbritannien und den Vereinigten Staaten ist an sich kein Novum, sondern ganz einfach die Fortsetzung einer Schiedsgerichtstradition, die unmittelbar nach der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten ein Jahrhundert zuvor ihren Anfang genommen hatte. * Anm.d.Übers. : Eigene Übersetzung 33 Gewiss wurde Grossbritannien zur Zahlung von 15,5 Mio. Dollar verurteilt. Bevor jedoch naiverweise behauptet wird, der Scheck sei eingelöst worden, so sollte man wissen, dass die Schuld in Tat und Wahrheit mittels Rückzahlungen ausstehender Schulden an die Amerikaner getilgt wurde. Ist sich jedermann bewusst, dass die Halifax-Kommission noch im gleichen Jahrzehnt unter dem Deckmantel des Vertrages von Washington vom 8. Mai 1871, der die Rechtsgrundlage für das Alabama-Urteil bildete, Grossbritannien 5,5 Mio. Dollar zu Lasten der Vereinigten Staaten zugesprochen hat? Hätte sich die in einem der Verfahren voraussichtlich unterliegende Partei auch dann der Rechtsprechung gebeugt, wenn sie sich im anderen Verfahren des Sieges nicht sicher gewesen wäre? Friedliche Lösung Die Bedeutung des Alabama-Urteils liegt in der Tatsache, dass es die englischamerikanische Schiedsgerichtstradition nicht begründete, sondern bekräftigte. Es handelt sich hierbei um ein ähnliches Phänomen wie bei gewissen Autoren oder Staatschefs, deren Bekanntheitsgrad im Ausland höher als im Heimatland ist. Im Ausland hinterliess das Urteil zweifellos einen bleibenden Eindruck, da sich diese Methode zur Konfliktlösung grundlegend von derjenigen unterschied, die Deutschland und Frankreich bei ihren damaligen Streitfragen anwandten. Mit Genugtuung darf festgestellt werden, dass der Schiedsspruch zum Ruf der Stadt Genf als Hauptstadt der Nationen beitrug. Nicht vergessen darf man, dass dank der betreffenden Parteien nicht nur deren Gesetzgebung, d. h. die drei Regeln, sondern auch deren bewährte Gepflogenheit zur Verteidigung vor Gericht Einzug hielt. DIE BEDEUTUNG DES ALABAMA-SCHIEDSSPRUCHS Francis Stephen Ruddy, Member of the New York and District of Columbia bars, Co-Editor, American international law cases. Die politische Realität der Staatssouveränität und das Wunschdenken eines zwischenstaatlichen Gesetzes in Einklang zu bringen ist – vom Westfälischen Frieden bis zum Frankfurter Vertrag – ein immer wiederkehrendes Thema im internationalen Recht. So ist es Ironie der Geschichte, dass just in der Zeit um 1870, als in Europa nach drei Jahrhunderten des Idealismus der politische Individualismus vergangener Zeiten wieder Einzug hielt, auch neue Hoffung auf einen Kompromiss zwischen traditionellen Idealen und politischen Tatsachen entstand. Begreifbar wird diese Hoffnung durch die neue Ära des Nationalismus, des Realismus, die die Notwendigkeit eines Systems deutlich machte, das die souveränen Staaten vor dem Imperialismus zu Beginn des 19. Jh. bewahrt hatte. 34 Angesichts des ungeordneten Zustandes der internationalen Politik käme jedoch nur ein System in Frage, das in kollektiver Zusammenarbeit der souveränen Staaten entstanden wäre. Die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit gaben eine Vorahnung, in welche Richtung es dabei gehen sollte. Die Auflösung des Deutschen Staatenbundes, das französische Desaster in Sedan, Russlands Lossagung von seinen Verpflichtungen im Schwarzen Meer und das Verschwinden der Kirchenstaaten liessen hierbei auf einen Kompromiss schliessen. Klarheit darüber, wie das Problem anzugehen ist, herrscht jedoch erst nach 1900, und die zwei Weltkriege waren weniger von Kampf um Unabhängigkeit des Staates, als vielmehr vom Ringen um Vorherrschaft im Staat selber geprägt. Dennoch führt der Vertrag von Washington noch im selben Jahr, als der Frankfurter Vertrag nach dem Deutsch-Französischen Krieg den Frieden vorschreibt, zum AlabamaSchiedsgericht und zeigt somit, wie die Weltordnung im neuen politischen Zeitalter aussehen könnte. Die Bedeutung des Alabama-Schiedsspruchs rührt nicht daher, dass er die internationalen Beziehungen in eine andere Richtung lenkte, die Lösung internationaler Probleme darstellte oder das Geben und Nehmen in einer Epoche der Aggression und Unnachgiebigkeit symbolisierte, sondern in erster Linie daher, dass er das internationale Recht in der Sprache der souveränen Staaten bekräftigte, was heutzutage für die internationalen Beziehungen kennzeichnend ist. Der Alabama-Schiedsspruch unterstrich ausserdem die Pflichten, die die Neutralität mit sich bringt. Das Schiedsgericht bestätigte, was Calvo mit den Worten "... die seit langem anerkannten Grundsätze, die das Verhalten der neutralen Staaten regelten"* umschrieben hatte. Die durch den Vertrag von Washington festgelegten Neutralitätspflichten, die das Schiedsgericht geltend machte, sind schon seit langem praktisch weltweit als Teil der Den Haager Konvention von 1907 betreffend die Neutralität im Seekrieg anerkannt worden. Nicht so eindeutig wie die Neutralitätsregeln ist die erfolgreiche Überwindung des so genannten „verfahrensrechtlichen Schutzes“ vor internationalen Verpflichtungen durch das Schiedsgericht. Weshalb auch immer England den internationalen Neutralitätspflichten nicht nachgekommen war: Nach englischem Recht handelte England nicht gesetzeswidrig, denn die konföderierten „Vetreter“ waren durch das Gesetz von 1819 (über die Verpflichtung gegenüber Fremdmächten) vor der Strafverfolgung geschützt, sofern sie entsprechend der etwas eigenartigen Formel des Falles Alexandra handelten. Trotz Einwänden der Amerikaner bezüglich des Baus von Schiffen für die Konföderierten, lehnte es das englische Parlament während des Bürgerkrieges ab, diesem Umstand durch den Erlass eines Gesetzes Abhilfe zu schaffen. Mit dieser Vorgehensweise verfügten die Staaten über einen verfahrensrechtlichen Schutz vor fremder Überprüfung; sie waren sozusagen gerichtlich nicht belangbar. Vattel drückte * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 35 es folgendermassen aus: „Jeder selbständige und souveräne Staat kann nach eigenem Wissen und Gewissen beurteilen, was seine Pflichten von ihm abverlangen, was rechtlich möglich ist und was nicht. Urteilen aber andere über ihn, so wird er in seinen kostbarsten Rechten, den Grundrechten, verletzt.“* Vor Gewaltanwendung und Krieg war indes niemand gefeit. „Das Recht ..., gewaltsam zu seinem Recht zu kommen gegenüber demjenigen, der ... es nicht anerkannt..., erwies sich als legitimes Mittel für die geschädigte Partei.“* Durch den Alabama-Schiedsspruch und, in geringerem Masse, den zum Abschluss des JayVertrags von 1794 führenden Schiedsspruch wurde ein Ausweg aus diesem Dilemma gefunden. Grossbritannien akzeptierte, dass ihm positivrechtliche Verpflichtungen auferlegt wurden, welche nicht ausdrücklich aus der Neutralitätserklärung hervorgingen. Der Alabama-Schiedsspruch bestätigte so nicht nur die internationalen Rechtsgrundsätze, sondern setzte diese mit der näheren Bestimmung der Pflichten des souveränen Staates auch in die Tat um. Der Alabama-Schiedsspruch soll gewürdigt werden, nur schon deshalb, weil dadurch ein Konflikt friedlich gelöst wurde, den nur kriegerische Auseinandersetzungen hätten beenden können. Erst recht aber deshalb, da er einen Meilenstein in der Entwicklungsgeschichte der internationalen Verantwortlichkeit darstellt. DIE DREI REGELN aufgeführt in Artikel VI des Vertrages von Washington* Eine neutrale Regierung ist verpflichtet 1. Alle nötigen Massnahmen zu ergreifen, um mit ihrer Rechtsprechung zu verhindern, dass sich ein Schiff mit Waffen oder Besatzung in ihren Gewässern aufhält, wenn die Regierung Grund genug hat zur Annahme, dass das Schiff dazu bestimmt ist, in See zu stechen und Kriegshandlungen gegen eine Macht auszuführen, mit der sie selbst in Frieden ist. Auch muss die Regierung alle nötigen Massnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass ein vollständig oder teilweise zur Kriegsführung gerüstetes Schiff, das dazu bestimmt ist, in See zu stechen oder andere Kriegshandlungen auszuführen, wie oben beschrieben, das Gebiet ihrer Rechtssprechung nicht verlässt. 2. Eine neutrale Regierung darf weder erlauben noch tolerieren, dass eine der Kriegsparteien ihre Häfen oder Gewässer als Basis für eine Operation zu See gegen einen anderen Gegner benutzt; auch darf die Regierung nicht tolerieren, dass eine der * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 36 Kriegsparteien ihre militärische Versorgung aufstockt oder erneuert, ob es sich um Waffen oder um Besatzung handelt. 3. Die Regierung muss alle erforderlichen Massnahmen in ihren Häfen und Gewässern ergreifen, damit jeglicher Verletzung der oben aufgeführten Vorschriften und Aufgaben vorgebeugt werden kann; die Regierung verhält sich gegenüber allen Personen, die sich innerhalb ihrer Rechtssprechung befinden, gleich. 37 ANHANG I DES PROTOKOLLS XXXII ____________ ENTSCHEID des SCHIEDSGERICHTES Gebildet gemäss Artikel I des am 8. Mai 1871 in Washington zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Ihrer Majestät der Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland abgeschlossenen Vertrags. ____________________ Die Vereinigten Staaten von Amerika und Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland, sind gemäss Artikel I des am 8. Mai 1871 in Washington unterzeichneten und abgeschlossenen Vertrags übereingekommen, dass sämtliche unter dem Überbegriff „Alabamaforderungen“ bekannten Forderungen einem fünfköpfigen Schiedsgericht unterbreitet werden, dessen Mitglieder wie folgt ernannt werden: eines durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten; eines durch Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien; eines durch Seine Majestät den König von Italien; eines durch den Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft; eines durch Seine Majestät den Kaiser von Brasilien; und in Anbetracht, dass der Präsident der Vereinigten Staaten; Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien; Seine Majestät der König von Italien; der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft; und Seine Majestät der Kaiser von Brasilien; jeweils einen Schiedsrichter ernannt haben, namentlich: Der Präsident der Vereinigten Staaten: Charles Francis Adams, Esquire; Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien: The Right Honourable Sir Alexander James Edmund Cockburn, Berater Ihrer Majestät im Privy Council, Chief Justice von England; Seine Majestät der König von Italien: Seine Exzellenz Graf Frederico Sclopis von Salerano, Ordensritter der Annonciaden, Staatssekretär, Senator des Königreichs Italien; Der Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Herrn Jakob Stämpfli; Seine Majestät der Kaiser von Brasilien: 38 Seine Exzellenz Herr Marcos Antonio d’Araujo, Comte d’Itajubà, Graò de l’Empirio do Brasil, Mitglied im Rat Ihrer Majestät des Kaisers von Brasilien, und Sondergesandter und bevollmächtigter Minister in Frankreich; und dass die fünf oben erwähnten Schiedsrichter am 15. Dezember 1871 gemäss Artikel II des Vertrags von Washington desselben Jahres in Genf (Schweiz) in einem der Säle des Rathauses zusammengekommen sind und nach der Prüfung und Authentifizierung ihrer Ernennungsurkunden diese als ordnungsgemäss befunden haben hat sich das Schiedsgericht als konstituiert erklärt. Die von den Vertragsparteien gestützt auf Artikel II benannten Vertreter, namentlich: Für die Vereinigten Staaten von Amerika: Herr John C. Bancroft, Esquire und Für Ihre Majestät die Königin von Grossbritannien: Charles Stuart Aubrey, Lord Tenterden, Peer of the United Kingdom, Companion of the Most Honourable Order of the Bath, Assistant-UnderSecretary of State for Foreign Affairs, deren Befugnisse gleichermassen für ordnungsgemäss befunden wurden, haben gemäss Artikel III des genannten Vertrags jedem der Schiedsrichter das von jeder Vertragspartei ausgefertigte schriftliche Memorandum zusammen mit Schriftstücken, der offiziellen Korrespondenz und anderen Beweisstücken, auf die jede Partei sich stützt, vorgelegt. Kraft der Entscheidung des Schiedsgerichts in der ersten Sitzung wurde das Gegenmemorandum, zusammen mit Schriftstücken, der offiziellen Korrespondenz und zusätzlichen Beweisstücken, die in Artikel IV des genannten Vertrags erwähnt werden, von den jeweiligen Vertretern der beiden Parteien am 15. April 1872 im Konferenzsaal des Rathauses von Genf dem Sekretär des Schiedsgerichts ausgehändigt. Das Schiedsgericht hat sich, gemäss der in der zweiten Sitzung vom 16. Dezember 1871 festgelegten Vertagung, am 15. Juni 1872 erneut in Genf versammelt, und der Vertreter jeder Partei hat dort jedem der Schiedsrichter sowie dem Vertreter der anderen Partei die in Artikel V des Vertrags genannte abschliessende Stellungnahme ausgehändigt. Das Schiedsgericht, nachdem es vom genannten Vertrag, den erwähnten Memoranda, Gegenmemoranda, Schriftstücken, Beweisstücken und abschliessenden Stellungnahmen sowie anderen Mitteilungen, die ihm durch die Parteien während der Sitzungen gemacht wurden Kenntnis genommen hat, und nachdem es diese unvoreingenommen und sorgfältig geprüft hat, hat gestützt auf Artikel VI und VII des genannten Vertrags folgendermassen entschieden: In Anbetracht, dass sich die Schiedsrichter laut Artikel VI in der Entscheidung der Streitfragen, die ihnen unterbreitet sind, an die drei dort festgehaltenen Regeln und an die Prinzipien des Völkerrechtes, die mit diesen Regeln nicht unvereinbar sind und von den Schiedsrichtern für den vorliegenden Fall als anwendbar betrachtet werden, halten müssen; In Anbetracht, 39 dass die „gebührende Sorgfalt“, von welcher die erste und dritte der besagten Regel handelt, von den neutralen Regierungen angewendet werden muss, da für die eine oder andere Krieg führende Partei eine direkte Gefahr entstehen könnte, wenn die Neutralitätspflichten nicht eingehalten werden; In Anbetracht, dass die Umstände, unter welchen sich der Sachverhalt des vorliegenden Falles ereignete, derartiger Natur waren, dass sie die Besorgnis der Regierung Ihrer Majestät der Königin von Grossbritannien erregen mussten, denn sie betrafen die Rechte und Pflichten der am 13. Mai 1861 von der Königin verkündeten Neutralität; In Anbetracht, dass die Konsequenzen der Neutralitätsverletzung durch den Bau eines Schiffes, dessen Ausrüstung und Ausstattung mit Waffen nicht durch den Einsatz eines Regierungsausschusses hätten beseitigt werden können, den die Krieg führende Partei, zu Gunsten derer die Neutralität verletzt wurde, dem besagten Schiff gewährt hätte; dass es in der Tat unzulässig ist, dass der Endzweck der Straftat zum Motiv wird, um den Straftäter freizusprechen und dass der Betrug zum Mittel wird, um den Betrüger für unschuldig zu erklären; In Anbetracht, dass das Privileg der Exterritorialität, das Kriegsschiffen gewährt wird, im Völkerrecht nicht als absolutes Recht gilt, sondern eine Frage der Courtoisie und des zwischenstaatlichen Respekts ist, und dass man sich nicht auf dieses Privileg berufen kann, um neutralitätswidrige Handlungen zu rechtfertigen; In Anbetracht, dass das Unterlassen einer vorherigen Benachrichtigung nicht bloss als Verletzung der völkerrechtlichen Courtoisie betrachtet werden kann, wenn die Neutralitätspflichten durch das Schiff selbst verletzt werden; In Anbetracht, dass die Belieferung mit Kohle nur unter besonderen zeitlichen, persönlichen oder örtlichen Umständen der zweiten Regel widerspricht, wonach es verboten ist, dass ein Hafen oder neutrale Gewässer von einer Krieg führenden Partei als Operationsbasis für den Seekrieg benutzt werden; In Anbetracht, betreffend das Schiff « Alabama » dass aus allen Fakten, die mit dem Bau dieses Schiffes, welches zunächst mit der Zahl „290“ bezeichnet wurde, im Hafen von Liverpool und mit seiner Ausrüstung und Ausstattung mit Waffen an der Küste von Terceira durch die Schiffe „Agrippina“ und „Bahama“, die von England her kamen, in Verbindung stehen, deutlich hervorgeht, dass es 40 die Regierung von Grossbritannien versäumt hat, die für die Einhaltung ihrer Neutralitätspflichten gebührende Sorgfalt einzusetzen, da die besagte Regierung während der Bauphase der „290“ trotz der Stellungnahmen und offiziellen Beschwerden der diplomatischen Vertreter der Vereinigten Staaten nicht rechtzeitig angemessenen Massnahmen ergriffen hat, und dass jene, die schliesslich getroffen wurden, um das besagte Schiff anzuhalten, so spät angeordnet worden waren, dass sie nicht mehr durchgeführt werden konnten; In Anbetracht, dass die nach der Flucht des besagten Schiffes getroffenen Massnahmen, um dieses zu verfolgen und anzuhalten, so unvollständig waren, dass sie zu keinem Resultat führten und somit nicht als ausreichend betrachtet werden können, um Grossbritannien von seiner Verantwortlichkeit zu befreien; In Anbetracht, dass trotz der von der „290“ begangenen Verletzungen der Neutralitätspflicht Grossbritanniens, das selbe Schiff, nun bekannt als konföderierter Kreuzer „Alabama“, in den Häfen britischer Kolonien noch mehrere Male ohne Beschränkung zugelassen wurde, obwohl in allen Häfen, die der britischen Hoheitsgewalt unterstellt waren und in denen das Schiff angetroffen wurde, gegen dieses hätte vorgegangen werden müssen; In Anbetracht, dass die Regierung Ihrer Majestät der Königin von Grossbritannien sich in Bezug auf das Versäumnis der gebührenden Sorgfalt nicht rechtfertigen kann, indem sie die Unzulänglichkeit der rechtlichen Mittel, über welche sie verfügen konnte, anbringt, sind vier Mitglieder des Schiedsgerichts aus diesen Gründen und das fünfte aus eigenen Gründen der Meinung, „dass Grossbritannien durch Unterlassung die in der ersten und dritten Regel von Artikel VI des Vertrags von Washington vorgesehenen Pflichten verletzt hat.“ In Anbetracht, Betreffend das Schiff „Florida“, dass aus allen Fakten, die mit dem Bau der „Oreto“ im Hafen von Liverpool, und ihrem Auslaufen aus diesem Hafen in Verbindung stehen, hervorgeht, dass die Regierung Ihrer Majestät der Königin von Grossbritannien es versäumt hat, die gebührende Sorgfalt für die Einhaltung der Neutralitätspflichten walten zu lassen, da die britischen Behörden nicht die geeigneten Massnahmen ergriffen haben, um die Verletzung der britischen Neutralität zu verhindern, obwohl die Vertreter der Vereinigten Staaten dies mehrmals verlangt hatten; In Anbetracht, dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der „Oreto“ in Nassau, ihrem Auslaufen aus dem Hafen, dem Anheuern einer Besatzung, der Aufnahme von Nahrungsmitteln und der Bewaffnung mit Hilfe des englischen Schiffes „Prince Alfred“ in 41 Green Cay hervorgeht, dass Fahrlässigkeit von Seiten der britischen Kolonialbehörden vorliegt; In Anbetracht, dass trotz der Verletzung der Neutralitätspflichten seitens Grossbritanniens durch die „Oreto“ dasselbe Schiff als konföderierter Kreuzer „Florida“ noch mehrfach in britischen Kolonialhäfen frei eingelassen wurde; In Anbetracht, dass der Freispruch der „Oreto“ in Nassau, Grossbritannien nicht von seiner völkerrechtlichen Verantwortlichkeit befreit; In Anbetracht, dass das Einlaufen der „Florida“ in den konföderierten Hafen von Mobile und deren viermonatiger Aufenthalt in diesem Hafen die Verantwortlichkeit Grossbritanniens nicht verhindern kann: Aus diesen Gründen, ist das Schiedsgericht mit einer Mehrheit von vier Stimmen gegen eine der Meinung, dass Grossbritannien durch Unterlassung die Pflichten, die in der ersten, zweiten und dritten Regel von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten sind, verletzt hat. In Anbetracht, betreffend das Schiff „Shenandoah“ dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Handelsschiffes „SeaKing“ aus London und der Umwandlung dieses Schiffes in den konföderierten Kreuzer „Shenandoah“ nahe der Insel Madeira hervorgeht, dass der Regierung Ihrer Majestät der Königin von Grossbritannien nicht vorgeworfen werden kann, es bis zu diesem Zeitpunkt versäumt zu haben, die gebührende Sorgfalt für die Einhaltung der Neutralitätspflichten walten zu lassen; In Anbetracht jedoch, dass aus allen Fakten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der „Shenandoah“ in Melbourne und vor allem der heimlichen Aufstockung der Besatzung in diesem Hafen, wie sie von der britischen Regierung selbst zugegeben wurde, hervorgeht, dass Fahrlässigkeit von Seiten der britischen Regierung vorliegt; Aus diesen Gründen, ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung: dass Grossbritannien betreffend das Schiff „Shenandoah“ vor dessen Einlaufen in den Hafen von Melbourne weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt sind, verletzt hat; und entscheidet mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen: dass Grossbritannien betreffend desselben Schiffes nach dessen Einlaufen in Hobson’s Bay durch Unterlassung Pflichten nach der zweiten und dritten oben erwähnten Regel nicht 42 nachgekommen ist, und dass Grossbritannien für die Handlungen, die dieses Schiff nach dem Auslaufen aus Melbourne am 18. Februar 1865 begangen hat, verantwortlich ist. Betreffend die Schiffe „Tuscaloosa“, (Begleitschiff der „Alabama“) „Clarence“, „Tacony“, „Archer“, (Begleitschiffe der „Florida“) ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung: dass die Tender oder Begleitschiffe als Zubehör zu betrachten sind und daher das Schicksal der Hauptschiffe teilen und den gleichen Entscheidungen unterstehen. Betreffend das Schiff „Retribution“ ist das Schiedsgericht mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen der Meinung: dass Grossbritannien weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt sind, verletzt hat. Betreffend die Schiffe „Georgia“, „Sumter“, „Nashville“, „Tallahassee“, „Chickamauga“, ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung: dass Grossbritannien weder durch Handlung noch Unterlassung die Pflichten, wie sie in den drei Regeln von Artikel VI des Vertrags von Washington festgehalten oder nach den Prinzipien des Völkerrechts, die nicht im Widerspruch zu diesen Regeln stehen, anerkannt sind, verletzt hat. Betreffend die Schiffe „Sallie“, „Jefferson Davis“, „Music“, „Boston“, „V. H. Joy“, ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung: sie mangels Beweisen aus dem Schiedsverfahren auszuschliessen. 43 Bezüglich der Entschädigungsforderung der Vereinigten Staaten zieht das Schiedsgericht in Erwägung, dass die Kosten für die Verfolgung der konföderierten Kreuzer als Teil der allgemeinen Kriegskosten der Vereinigten Staaten zu betrachten sind; und ist mit drei gegen zwei Stimmen der Meinung, dass den Vereinigten Staaten dafür keine Entschädigung zusteht. In Erwägung, dass der „mögliche Gewinn“ nicht kompensiert werden kann, da es sich um zukünftige und unsichere Werte handelt; ist das Schiedsgericht einstimmig der Meinung, dass den Vereinigten Staaten dafür keine Entschädigung zusteht. In Erwägung, dass zur Berechnung einer angemessenen Entschädigungssumme für die erlittenen Schäden alle „doppelten Forderungen“ ausgeschlossen werden müssen und bei Forderungen für „Fracht“ nur die „Nettofracht“ in Betracht gezogen werden darf. In Erwägung, dass es richtig und vernünftig ist, Zinsen in einem angemessenen Verhältnis zu gewähren. In Erwägung, dass es nach dem Geist und Wortlaut des Vertrags von Washington vorzuziehen ist, für die Zusprechung einer einmaligen Summe zu optieren, anstatt die weiteren Verhandlungen und Entscheidungen dem „Rat der Beisitzer“ zu überlassen, wie es in Artikel X des genannten Vertrags vorgesehen ist, und von den im Artikel VII des genannten Vertrags festgelegten Befugnissen Gebrauch zu machen; entscheidet das Schiedsgericht somit mit vier Stimmen gegen eine, dass den Vereinigten Staaten die einmalige Summe von fünfzehn Millionen und fünfhunderttausend Golddollar als Entschädigung zugesprochen wird, die Grossbritannien nach Artikel VII für alle dem Schiedsgericht vorgebrachten Forderungen bezahlen muss. Und nach Artikel XI des genannten Vertrags erklärt das Schiedsgericht, 44 dass alle im Vertrag erwähnten Forderungen, die dem Gericht unterbreitet wurden, hiermit endgültig, absolut und unwiderruflich abgegolten sind. Es erklärt ebenfalls, dass jede der erwähnten Forderungen, sei sie ihm mitgeteilt, vorgebracht oder unterbreitet worden oder nicht, hiermit endgültig abgegolten und erloschen ist und somit von jetzt an unzulässig ist. Zu Urkund dessen wurde der vorliegende Entscheid nach Artikel VII des Vertrags von Washington in zwei Urschriften zugestellt, versehen mit den Unterschriften der Schiedsrichter, die ihm zugestimmt haben. Geschehen und verhandelt im Rathaus von Genf (Schweiz) am vierzehnten September 1872. (Unterzeichnet) C.F.ADAMS. (Unterzeichnet) FREDERIC SCLOPIS. (Unterzeichnet) STAEMPFLI. (Unterzeichnet) VICOMTE D’ITAJUBA. 45 EIN FASZINIERENDES UND BEGEHRTES WRACK Von Patrice Enault (Der Autor dieses Textes nahm an einem Tauchgang zum Wrack teil) Wo genau ist die Alabama gesunken? Seit jeher waren Historiker und Wracksucher, obwohl letztere wohl aus eher nüchternen Gründen, von dieser Frage fasziniert. Gleich nach der Schlacht schrieb Admiral Dupouy auf Anfrage von Kaiser Napoleon III: "Die Schlacht fand fünfzehn Meilen nördlich der Mole der Hauptfestung des Deiches statt. Die Alabama ist von der Festung aus acht Meilen weit nördlich Richtung Nordosten ausgelaufen." Erschreckende Ungenauigkeit... Merkwürdigerweise hat trotz der versammelten Menschenmenge kein einziger Beobachter daran gedacht, die genaue Stelle festzuhalten. Auf der Suche nach der Schiffbruchstelle Admiral Porter hat in seinem Buch Histoire de la guerre civile américaine sur mer (Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges zu Wasser, 1886) als erster eine Karte des Schiffbruchs gezeichnet, doch der unangepasste Massstab und die Ungenauigkeit der Daten machen die Karte lediglich zu einem weiteren Indiz. Allerdings reichten diese Karte, sowie andere geduldig aus archivierten Dokumenten zusammengesuchte Elemente aus, dass im Juli 1962 eine Mannschaft von Spezialisten des hydrographischen Dienstes der Marine* (Service hydrographique de la Marine) – scheinbar zum ersten Mal – eine auf drei Tage beschränkte Suchaktion vor Ort unternehmen konnte. Aus der Kompilation der alten Dokumente ergeben sich zwei mögliche Positionen: - 335°5' und 6,0 Meilen vom Wachturm von Homet - 331°5' und 6,6 Meilen vom Wachturm von Homet Aber wie der Verantwortliche der Aktion in seinem Bericht13 angibt "liegt das Datum des Schiffbruchs schon lange zurück, Position und Zustand des Wracks sind unsicher, was die Entdeckung, die hydrographisch gesehen ohnehin uninteressant ist, fast unmöglich macht." Tatsächlich wurden nach der Suchaktion und der Erforschung mit Sonar drei neue Wracks entdeckt und in die Kartei des hydrographischen Dienstes aufgenommen, doch keines davon trägt die Merkmale der Alabama. Kurz zuvor hatte sich aus Bogota in Kolumbien Robert Sténuit, ein anderer berühmter Spezialist der Wracksuche, bei der Admiralität nach Möglichkeiten erkundigt, das verbündete Schiff zu finden. Er wollte die Risiken einer solchen Suche "an einer Stelle, wo die Wasserläufe eine Geschwindigkeit von bis zu dreieinhalb Knoten erreichen, das Meer bis zu fünfundfünfzig Meter tief ist und die Sicht weniger als einen Meter beträgt", umgehen. * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung Annales hydrographiques, 4e série, Tome 14e (Hydrographische Annalen, 4. Serie, Band 14, Paris, 1968) 13 46 Weder Magnetometer, noch Sonar und ganz sicher keine Ortungsgeräte konnten damals mit der heutigen Genauigkeit messen. Schatz an Bord? Der Mangel an richtigen Geräten vereitelte die Suchaktion in einem Gebiet, wo zusätzlich auch noch die Spuren von zwei Kriegen den Meeresgrund bedecken. R. Sténuit tröstete sich damit, die Ergebnisse seiner Nachforschungen als Kapitel in seinem Livre des trésors perdu14s (Buch der verlorenen Schätze) niederzuschreiben, wo er die These, das Wrack der Alabama berge einen echten Schatz, sozusagen beglaubigt... Ist das so sicher? Es bestehen nicht die geringsten Zweifel, dass Semmes bei jeder Eroberung alles an Bord bringen liess, was das aufgebrachte Schiff an Wertgegenständen bei sich hatte und sein Tagebuch ist gespickt mit desillusionierten Gedanken über den Geschmack des Luxus’, der seiner Meinung nach die Psychologie der Nordstaaten ausmachte. Bei der Ergreifung der Ariel wurden beispielsweise drei Kisten mit Wertgegenständen an Bord der Alabama gebracht und es ist fast unleugbar, dass das Kaperschiff bei seiner Ankunft in Cherbourg ein richtiges treasure-ship war. Beim Lesen von Berichten und diplomatischer Korrespondenz zeigt sich, dass die Alabama – zum Leidwesen der Schatzsucher – wahrscheinlich nicht mit vollem Laderaum in die Schlacht gezogen ist. Am Vorabend des Zusammentreffens musste die ganze Mannschaft ihre Wertgegenstände mit dem Familiennamen versehen bei Monsieur Bonfils, Konsul in Cherbourg, abgeben. Am selben Tag hinterlegte der Kommandant der Alabama beim Zoll (wo alles festgehalten wurde) Goldbarren im Wert von zwanzig tausend Dollar. Semmes hatte in seiner Kabine fünfundvierzig sorgfältig gepflegte Seechronometer, die von aufgebrachten Schiffen stammten. Er wollte sie in Cherbourg an Händler verkaufen, doch die Militärbehörden des Hafens stellten sich dagegen. Sind sie an Bord geblieben? In einem Bericht vom 22. Juni 1864 sollte das abgekartete Spiel der Besatzung der Alabama und von John Lancaster, der dem Zusammentreffen als Besitzer der Yacht Deerhound in der Nähe beiwohnte, deutlich gemacht werden. Darin bestätigt Dayton, amerikanischer Minister in Paris, dass "Semmes am Tag der Schlacht um drei Uhr morgens, nachdem er vorher Schmuck und andere Wertgegenstände im Wert von zwanzig tausend Francs in Sicherheit gebracht hatte, Chronometer an Bord der Deerhound bringen liess"...15 Einsatz des Sonars Ob mit oder ohne Schatz ist das geheimnisvolle Wrack immer noch faszinierend und im Laufe der Jahre wurden an die örtlichen Archive immer wieder Fragen gestellt, um mit deren Hilfe die wahre Position der Alabama herauszufinden. Einige suchten verbissen weiter. Engländer, Amerikaner, so beispielsweise Clive Cussler, Autor des Bestsellers Hebt die Titanic! und bekannter Entdecker historischer Wracks. 1984 verbrachte Cussler acht Tage in Cherbourg, erhielt jedoch von den Militärbehörden wegen nuklearer Unterseeboote nicht die Erlaubnis, das wahrscheinliche Schiffbruchsgebiet mit einem Side Scan Sonar zu durchkämmen... 14 Paris, 1964 Brief von Dayton an Seward, Paris, 22. Juni 1864. Papers relating to the Foreign Relations of the United States, Washington, 1865. III 15 47 Der Besuch von Cussler und seiner Mannschaft in Cherbourg blieb von der Royale, der französischen Kriegsflotte, nicht unentdeckt und unter den im Hafen stationierten Minensuchern brach Begeisterung aus. Die fast mythische Präsenz des geheimnisvollen Wracks irgendwo im Norden des Dammes wurde für die Minensucher immer mehr zu einer unerträglichen Provokation. Wenn das hochleistungsfähige Rumpfsonar der Schatzsucher eine einfache Konservendose in sechzig Metern Tiefe ausfindig machen konnte, warum sollte es nicht auch ein grosses Holzschiff orten können, das vom Sand wahrscheinlich noch gar nicht vollständig bedeckt war? So ähnlich waren vermutlich die Überlegungen von Kommandant Duclos, denn am 30. Oktober desselben Jahres erschien sein Minensuchschiff Circé im Militärhafen, um mit dem Rumpfsonar das "Gebiet der Unsicherheit" systematisch abzusuchen. Nicht einmal drei Stunden später kündigte der Sonarzuständige an, in 58-60 Metern Tiefe, bei Querqueville liege ein grosses Etwas, anscheinend aus Holz, etwa 70 Meter lang und 9 Meter breit. Die Entdeckung der Alabama Während des aus Sicherheitsgründen auf fünfzehn Minuten beschränkten Tauchvorganges, filmten die Minentaucher der Circé die Fundstelle. Auf dem Videofilm konnte man das sehr schmutzige, von einer Sanddüne verdeckte Wrack erkennen. Ausserdem wurde ein Plan erstellt, der das Wichtigste beinhaltete, wie die Kanonen, den Anker, den Schornstein und auf dem Grund verstreute Teller, sowie Stofffetzen, die aus dem Sand hervorragten. Die hohe Seite des Fundes, den noch niemand als Alabama zu bezeichnen wagt, erhebt sich kaum mehr als drei Meter über den Sandboden und merkwürdigerweise ist ein grosser Teil des Wracks mit einem Teppich leerer Muschelschalen bedeckt. Noch bleibt die Entdeckung fast völlig geheim und die Dokumente werden mit der Bürgschaft der Direktion für Unterwasser-archäologische Forschung des * Kulturministeriums (Direction des recherches archéologiques sous-marines du ministère de la Culture) Kommandant Guérout anvertraut. Letzterer, bekannt durch seine früheren Suchaktionen im Meer (besonders nach dem genuesischen Wrack, der Slava Rossilli, in Villefranche, bei der île du Levant, nach der Flüte La Balaine in Port-Cros oder nach der Le Patriote in Ägypten), kümmerte sich hauptsächlich um die Identifizierung des gefundenen Wracks. Er analysierte die Gliederung und die Merkmale der an der Stelle gefundenen Gegenstände: den Holzrumpf, die Fragmente des Mastes, die Kohle, den Schornstein und den Staketenzaun, die Artilleriegegenstände und vor allem drei Teller, die aus einer Werkstatt in Staffordshire stammten. Im Dezember 1984 waren alle Zweifel beseitigt und es war sicher: Das gefundene Wrack ist die Alabama! Ein Pilotprojekt: Die Bergung der Alabama Im Mikrokosmos der Unterwasserarchäologie animierte die schnell verbreitete Nachricht der grossartigen Entdeckung zum Träumen. Sechzig Meter unter der Wasseroberfläche war das Schiff vor den zerstörerischen Auswirkungen des Seegangs geschützt und blieb relativ gut erhalten. Kommandant Max Guérout der französischen Kriegsmarine, ein passionierter Archäologe, investierte also seine Energie und Zeit von nun an hauptsächlich in das Projekt, das zumindest in der „industriellen“ Unterwasserarchäologie zum Projekt des Jahrzehnts * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 48 werden sollte. Für die Operation Alabama wollte der ehemalige Kommandant der Triton, einer Tauchkapsel der französischen Marine, alle Kräfte vereinen und somit die französische Unterwasser-Technik unter Beweis stellen. Dieses Projekt sollte sehr präzise, sachlich und wissenschaftlich sein, d.h. keine private Aneignung der geborgenen Objekte, kein Medienauflauf. Die Titanic hatte Franzosen und Amerikaner entzweit – die Alabama sollte sie wieder vereinen. Zu beiden Seiten des Atlantiks zeichneten sich nach und nach die Konturen eines unglaublichen gemeinsamen Projekts ab: Die Bergung der Alabama! Im Herbst 1987 wurde in Washington ein Team aus französischen, amerikanischen und englischen Wissenschaftlern zusammengestellt. In Paris bildete sich ein weiteres Team, unter dem Vorsitz von Frau Ulane Bonnel von der französischen Marine-Akademie, Präsidentin der französischen Kommission für die Geschichte der Schifffahrt* und französisch-amerikanische Doppelbürgerin. Unter den Gründungsmitgliedern befand sich auch William Wright, ein Nachfahre von Raphael Semmes. Gewiss, die Spuren von Meer und Zeit, ganz zu schweigen von den Schäden durch die Kearsage, konnten ein viel versprechendes Projekt schon im Voraus zum Scheitern verurteilen. Deshalb fanden die Tauchgänge seit Anfang Mai 1988 nur bei schwacher Strömung statt, um mittels hochpräziser Bildmessungstechnik möglichst genaue Informationen über die Lage des Schiffs zu erhalten. Würde sich nach diesen ersten Untersuchungen herausstellen, dass der Zustand des Unterschiffs sowie die allgemeine Lage eine Bergung erlauben, stünde dieser theoretisch nichts mehr im Wege, wobei im Allgemeinen weniger die technischen Möglichkeiten, als vielmehr die finanziellen Mittel ausschlaggebend sein würden. Bereits 1966 war es der niederländischen Firma Van den Tak möglich, die 4'200 Tonnen schwere Martin S. aus einer Tiefe von 52 Metern zu bergen. Das ist mehr als viermal das Gewicht der Alabama. Das dänische Frachtschiff war im offenen Meer vor Grönland gesunken, einem Gebiet mit einer ähnlichen Untergrundstruktur wie jener des Meeresbodens vor der Halbinsel Cotentin. Eintauchen in den Mythos Am Dienstag 24. Mai 1988, sechzig Meter unter dem Meer, die ersten Symptome eines bedrohlichen Tiefenrauschs machen sich bemerkbar, wir tasten uns durch das schwarze Nass, und da ist sie: Die Alabama! Mehr als ein Jahrzehnt hatten wir davon geträumt. Der Name allein schon erfüllt unsere Köpfe, während wir uns mit vorsichtigen Bewegungen an der aus dem Sand ragenden Breitseite des Schiffes entlang hangeln, auf der Semmes und seine Männer einst dem Feind ins Auge blickten. Das Wrack erscheint uns riesig und voller Geheimnisse, wie ein Geisterschiff. Es ist uns auch der Tiefe wegen nicht möglich, das Wrack in seiner ganzen Länge auf einen Blick zu erfassen. Die Lichtstrahlen unserer Lampen enthüllen zu allen Seiten erstaunliche Dinge; in einem der Schattenlöcher blitzt ein Bronze- oder Kupfersplitter auf und glänzt wie Gold. Aus der Mitte des Schauplatzes ragt der völlig intakte Schornstein empor. Drei Taucher könnten sich bequem daran festhalten. Hier und dort lasten Kanonen mit ihrem ganzen Gewicht auf dem, was vielleicht einmal die obere Brücke gewesen ist. Unsere Flossen wirbeln Meeresschaum auf und die schlechte Sicht zwingt uns zur Signalleine zurück, dem wertvollen Ariadnefaden, zu dem die Verbindung nie abreissen darf. Dort drüben im * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 49 Dunkeln breitet ein altes Schleppnetz langsam seine Fallen aus. Aber die Luft unserer Flaschen ist fast aufgebraucht! Die Minuten verfliegen viel zu schnell. Nach einer knappen Viertelstunde müssen wir wieder rauf, obwohl wir so gerne bleiben würden. Unbedingt. Uns der Benommenheit, dem Rausch entreissen, der stärker ist als die Kälte, der Hypnose eines vielleicht wahrhaftigen Ausflugs in die Geschichte. Wieder an der Oberfläche, erkennen wir in der Ferne die Gebirgsausläufer von La Hague in verschleierten Farben und wir fühlen uns nicht im Stande, das Erlebte in Worte zu fassen. Wir wissen einzig, dass diese ersten Tauchgänge zur Alabama den Beginn eines grossen Abenteuers bedeuten. Erste Tauchgänge Die erste Untersuchung des Alabama-Wracks vor Ort, im offenen Meer vor Cherbourg, war vor allem dank eines Kolloquiums über die Zukunft des Wracks erfolgreich, das im Juni 1988, im normannischen Hafen stattfand und mehrere amerikanische, englische und französische Spezialisten unter dem Vorsitz von Frau Bonnel vereinte. Der Initiator des Projekts, Kommandanten Guérout wollte „vor allem den seriösen, wissenschaftlichen Aspekt seines Projekts in den Vordergrund stellen, absolut ohne wirtschaftliche, profitgierige Interessen.“* Ziel dieser ersten Tauchgänge, die bisher vor allem durch französische Gelder finanziert wurden, (Cogema, Fondation E.D.F Stiftung, Stadt Cherbourg) war es nicht in erster Linie, Gegenstände zu bergen, sondern vor allem, sich ein Bild der Alabama auf dem Meeresgrund zu machen, ohne in irgendeiner Weise etwas am Wrack oder dessen Umgebung zu verändern. Dafür war die technische Unterstützung der Marine von grosser Bedeutung: die Ausrüstung durch die Hafendirektion, die medizinische Betreuung der Taucher, die Verfügung über Örtlichkeiten in Querqueville und schliesslich die Unterstützung mit dem Beobachtungs-U-Boot SO-450 der Intersub-Gesellschaft (7 Meter, 11 Tonnen). Dieses UBoot ermöglichte zum ersten Mal in der Unterwasserarchäologie die Benutzung eines Systems für videotopografische Aufnahmen. Die Gesellschaft Secia, aus La Seyne-sur-Mer die auf Beobachtungsgeräte in feindlichen Gebieten spezialisiert ist, hat das U-Boot auf das Projekt ausgerichtet. Neben diesen hoch entwickelten Geräten und dank idealer Wetterbedingungen, konnten die rund zehn erfahrenen Taucher, die für das Projekt beschäftigt wurden, jedes Mal, wenn die Strömung es zuliess, mit der systematischen Untersuchung des Wracks auf dem Grund vorschreiten. Dank den Schlüssen, die aus den Untersuchungen der ersten Ergebnisse gezogen wurden, konnte dem Projekt für die kommenden Jahre eine Untersuchungsstrategie zugrunde gelegt werden. Nach Kommandant Guérout wird das Projekt fünf bis zehn Jahre dauern und mit der Errichtung eines Museums zu Ehren der Alabama in Cherbourg vollendet werden. * Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung 50 Gründung zweier Vereine nach der Entdeckung des Wracks Im Jahre 1987 wurden zwei Vereine CSS16 Alabama gegründet, eine in Paris, die andere in Washington, beide mit dem Ziel, der archäologischen Untersuchung des Wracks logistische, finanzielle und administrative Unterstützung zu gewähren. Nach Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten, Eigentümer der Alabama, und Frankreich, in dessen Hoheitsgewässern das Wrack liegt, wurde am 3. Oktober 1989 ein Zweimächteabkommen über die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Fall der Alabama unterzeichnet. Von 1987 bis 1995 wurden die Forschungsstauchgänge und Bergungskampagnen von Max Guérout geleitet, einem Kapitän der französischen Kriegsmarine. Im Februar 1991 wurden die ersten Fundstücke des Alabama-Wracks (Teller, Flaschen, Töpfe, Stücke des Steuerrads, Kanonenräder) in Paris präsentiert. 1994 wurde eine Blakely-Drehkanone aus dem Schiffswrack geborgen, sowie diverse andere Objekte: Revolverkugeln, Geldstücke, Nähsachen. Von 1996 bis 2000 wurden die Bergungsarbeiten aus Mangel an technischen und finanziellen Mitteln unterbrochen. Seit 1998 ist der Amerikaner Gordon Watts Chefarchäologe des Projekts. Unter seiner Leitung wurden 1999 die Tauchgänge wieder aufgenommen und im Sommer 2000 wurden neue Bergungsaktionen gestartet. Eine 14,5 Kilogramm schwere Drehkanone konnte an die Oberfläche gebracht werden. 2001 fand unter Professor Gordon Watts eine neue Bergungskampagne statt. Im ganzen wurden 52 Objekte aus dem Wasser geholt, darunter eine 14,5 Kilogramm schwere Blakely-Kanone, von der Royal Navy patentiert, ausserdem Glasflaschen, Keramikgeschirr, Konservierungskrüge sowie ein dekorierter Pfeifenhalter, der noch immer nach Tabak roch, einer der raren persönlichen Gegenstände die auf der Alabama gefunden wurden. Die gefundenen Gegenstände zeigen den archäologischen Wert des Wracks. Sie sind ausserdem Zeugen des täglichen Lebens der Offiziere, der Mannschaft und der Gefangenen an Bord der Alabama. 16 Confederate States Ship 51 EINIGUNG ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK FRANKREICH UND DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA Die Regierung der Republik Frankreich einerseits, Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika andrerseits, sind sich der historischen und archäologischen Bedeutung des Wracks der CSS Alabama bewusst, die am 19. Juni 1864 während der Seeschlacht mit der USS Kearsarge ungefähr sieben Seemeilen vor der Küste von Cherbourg (Frankreich) gesunken ist; sind zur Kooperation gewillt, um den Schutz und die Untersuchung des Wracks, das sich in französischen Hoheitsgewässern befindet, sicherzustellen und stimmen in Folgendem überein: Artikel 1 Es wird ein wissenschaftlicher und paritätischer Ausschuss gegründet, der aus je zwei Vertretern der beiden Regierungen sowie Experten besteht, die von diesem Ausschuss gutgeheissen wurden. Artikel 2 Jegliche Massnahmen, die mit der wissenschaftlichen Untersuchung zusammenhängen und jedes Projekt, das die Instandsetzung des Alabama-Wracks betrifft, werden vom wissenschaftlichen Ausschuss untersucht, welches die gemeinsame Übereinstimmung der Vertreter der beiden Regierungen sicherstellt. Artikel 3 Die von der französischen Regierung angenommenen Verfügungen über die Erstellung einer Schutzzone um das Wrack der CSS Alabama bleiben so lange in Kraft, wie das vorliegende Abkommen, es sei denn die beiden Parteien treffen eine andere Entscheidung. Die zuständigen französischen Behörden sind ermächtigt, notwendige Änderungen an diesen Verfügungen vorzunehmen. Keine der beiden Parteien darf ohne das Einverständnis der anderen Partei Massnahmen ergreifen, die dem Wrack oder den dazugehörigen Gegenständen Schaden zufügen könnten. Sollte die Konservierung des Wracks gefährdet sein, können die zuständigen französischen Behörden kraft ihres Amtes oder auf Anfrage der amerikanischen Behörden, die notwendigen Schritte zur Konservierung vornehmen. Falls eine dringende Massnahme von französischer Seite ergriffen wird, ist diese verpflichtet, den amerikanischen Zuständigen sofort jegliche Informationen darüber mitzuteilen. Artikel 4 Der Ausschuss legt seine Anträge dem französischen Kultusminister vor, welcher die nötigen Bewilligungen unter Berücksichtigung der von der französischen Legislative vorgesehenen Verfahren erteilt. 52 Artikel 5 Der wissenschaftliche Ausschuss stellt die Ausführung der bewilligten Projekte sicher und folgt dem Ablauf der entsprechenden Programme. Artikel 6 Jede Partei trägt die Kosten für ihre Repräsentanten und Experten. Artikel 7 Jede Partei hat das Recht, dass bei jeder Bergung mindestens ein Beobachter anwesend ist. Artikel 8 Der Ausschuss vereinbart falls nötig mit dem Vereinigten Königreich Grossbritannien und Nordirland Teilnahmemodalitäten über die unternommenen Aktionen. Artikel 9 Der Handlungsspielraum der beiden Parteien bewegt sich gemäss dem vorliegenden Abkommen innerhalb der Verfügung der nötigen Mittel. Artikel 10 Dieses Abkommen tritt mit Datum seiner Unterzeichnung in Kraft. Es kann von jeder der beiden unterzeichnenden Parteien durch eine schriftliche Mitteilung an die andere Partei gekündigt werden, sofern diese auf diplomatischem Weg drei Monate im Voraus erfolgt. Paris, den 3. Oktober 1989, in doppelter Ausfertigung englisch und französisch, beide gleichermassen gültig. Für die Regierung der Republik Frankreich: JEAN-PIERRE PUISSOCHET Für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika: PETER BERNHARDT Erlass Nr. 89-914 vom 20. Dezember 1989 zur Veröffentlichung des Abkommens zwischen der Regierung der Republik Frankreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend des Wracks der CSS Alabama, unterzeichnet in Paris, den 3. Oktober 1989(1) Der Präsident der Republik, auf Berichterstattung des Premierministers und des Aussenministers hin, unter Berücksichtigung der Artikel 52-55 der Verfassung; unter Berücksichtigung des Erlasses Nr. 53-192 vom 14. März 1953, abgeändert in Bezug auf die Bestätigung und die Veröffentlichung der internationalen Verpflichtungen, unterzeichnet von Frankreich, erlässt: (1) Das Abkommen ist am 3. Oktober 1989 in Kraft getreten 53 Artikel 1 – Das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Frankreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend des Wracks der CSS Alabama, unterzeichnet in Paris, den 3. Oktober 1989, wird im Journal officiel der Republik Frankreich veröffentlicht. Artikel 2 – Der Premierminister und der Aussenminister sind beauftragt, jeder in seinem Ressort, den Vollzug des vorliegenden Abkommens sicherzustellen, welches im Journal officiel der Republik Frankreich veröffentlicht wird. Paris, den 20. Dezember 1989. FRANÇOIS MITTERRAND Der Präsident der Republik Der Premierminister, MICHEL ROCARD Der Aussenminister, ROLAND DUMAS 54 Deutsche Übersetzung erstellt unter der Leitung von: Prof. Dr. Hannelore Lee-Jahnke; Suzanne Ballansat, Juristin und Übersetzerin, Lehrbeauftragte an der Universität Genf; Evelyn Schwob. Übersetzung : Charlotte Alleman, Irene Beaumont, Anna Bernhardt, Carmen Delgado, Anne Draeger, Carmela Dugaro, Cornelia Heimgärtner, Andrea Hofmann, Caroline Lehr, Barbara Liardet, Martin Rohrer, Sarah Schwerzmann, Evelyn Schwob, Meret Stüssi, Maja Sutter Ein besonderer Dank geht an Frau Prof. Dr. Anne Liese Head für Ihre Expertise in historischen Belangen. 55