EUROPÄISCHES PARLAMENT AUSSCHUSS FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN, MENSCHENRECHTE, GEMEINSAME SICHERHEIT UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER NR. 16 Betrifft: SACHAROW-PREIS 2000 In Übereinstimmung mit dem Statut des Sacharow-Preises für Geistige Freiheit (PE 293.493/BUR) wurden folgende Personen von jeweils mindestens 25 Mitgliedern des Europäischen Parlaments vorgeschlagen: Mumia ABU-JAMAL (vorgeschlagen von Lucio MANISCO, Per GAHRTON und anderen) Ehemaliger Radioreporter und Angehöriger der Black Panther, 1982 zum Tode verurteilt, in Pennsylvania inhaftiert Mitbegründerin der Vereinigung betroffener Angelina Acheng ATYAM (vorgeschlagen von Enrique BARON CRESPO, Patrick Eltern gegen den Einsatz von Kindersoldaten, COX und anderen) Uganda Andrei BABITSKY (vorgeschlagen von Lord BETHELL und anderen) Russischer Journalist in Russland inhaftiert Bürgerinitiative für Menschenrechte, ¡ BASTA YA ! (vorgeschlagen von Gerardo GALEOTE QUECEDO, Demokratie und Toleranz im Baskenland José Ignacio SALAFRANCA und anderen) Leiterin "Förderung und Unterstützung von Immaculée BIRHAHEKA (vorgeschlagen von Glenys KINNOCK, Caroline LUCAS Fraueninitiativen" (PIAF), und anderen) Demokratische Republik Kongo Menschenrechtsanwältin, Tunesien Radhia NASRAOUI (vorgeschlagen von Hélène FLAUTRE, Daniel COHNBENDIT und anderen) Umwelt- und Antiatomkraftaktivist, Alexander NIKITIN (vorgeschlagen von Elisabeth SCHROEDTER und St. Petersburg anderen) Ngawang SANGDROL (vorgeschlagen von Olivier DUPUIS, Thomas MANN, Reinhold MESSNER und anderen) Tibetische Nonne, Menschenrechtsaktivistin, in Tibet inhaftiert Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik wird auf seiner Sitzung am 11. Oktober 2000 entscheiden, welche drei Kandidaten vorgeschlagen werden sollen, unter denen die Konferenz der Präsidenten dann den Preisträger auswählen wird. CM\418960DE.doc PE 294.786 Externe Übersetzung In der Anlage sind genauere Informationen der Abgeordneten über die jeweils von ihnen vorgeschlagenen Kandidaten enthalten. 27. September 2000 CH/akö PE 294.786 Externe Übersetzung 2 CM/418960DE.doc MUMIA ABU-JAMAL Wir schlagen Mumia Abu-Jamal aus folgenden Gründen für den Sacharow-Preis vor: Er ist ein hervorragender afroamerikanischer Journalist und Schriftsteller, der vor 18 Jahren im Bundesstaat Pennsylvania wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde, und zwar nach einem Prozess, über den Amnesty International schrieb, dass hierbei internationale Mindeststandards für faire Gerichtsverhandlungen missachtet worden wären. Seiner Verurteilung lagen eindeutig Rassenvorurteile und politische Voreingenommenheit zugrunde. Amnesty International hat wiederholt zu seinen Gunsten interveniert und erklärt, dass der Gerechtigkeit am besten mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gedient wäre. Die Verleihung des Sacharow-Preises an Mumia Abu-Jamal hat nicht nur zum Ziel, ihn vor einer unmittelbar drohenden Hinrichtung zu bewahren, sondern auch den Einsatz der Europäischen Union für den Kampf gegen die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten von Amerika und in den anderen Ländern, in denen diese barbarische Bestrafung noch angewandt wird, ganz entschieden und konkret zu bekräftigen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Mumia nicht nur für sein eigenes Überleben und für die völlige Emanzipation der Afroamerikaner kämpft, sondern dass er mit seinem hochmoralischen, intellektuellen und politischen Engagement auch zum Vorkämpfer in dem Kreuzzug gegen staatlichen Mord geworden ist. Seine Bücher, "Alive from death row" (Lebend aus dem Todestrakt) und "Death blossoms: Impressions of a prisoner of conscience" (Blumen des Todes: Eindrücke eines politischen Häftlings), wurden in Hunderttausenden von Exemplaren verkauft und von berühmten Juristen als grundlegende Zeugnisse gegen die Todesstrafe zitiert. Die eiligen und immer häufigeren Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und die Zurückweisung der von dem Präsidenten unseres Parlaments, von Staatsoberhäuptern und von Papst Johannes Paul II vorgebrachten Einsprüche in dem jüngsten Fall von Rocco Derek Barnabei, der am 14. September 2000 hingerichtet wurde, lassen Schlimmes für den Ausgang des letzten Einspruchs an den Bundesrichter, William H. Yohn, ahnen. Die Verleihung des Sacharow-Preises an Mumia Abu-Jamal könnte daher eine wichtige und positive Wirkung im Hinblick auf die Verteidigung der wahren Gerechtigkeit und der Menschenrechte haben. CM\418960DE.doc Externe Übersetzung 3 PE 294.786 ANGELINA ACHENG ATYAM Die ugandische Staatsbürgerin, Angelina Atyam, ist eine 49-jährige Krankenschwester und Hebamme und Mutter von sechs Kindern. Ihr viertes Kind, Charlotte, wurde im Oktober 1996 zusammen mit 139 anderen Mädchen aus dem St. Mary's College Aboke in Norduganda entführt. Dieses schreckliche Ereignis veranlasste Angelina dazu, an der Gründung der Vereinigung betroffener Eltern mitzuwirken, die sich zum Sprachrohr von Tausenden von Familien gemacht hat, deren Kinder von der Rebellengruppe, Lord's Resistance Army (LRA), entführt wurden und als Soldaten eingesetzt werden. Die LRA wird von Joseph Kony angeführt, einem fanatischen Ordensmann, der von sich behauptet, in Kontakt mit dem Heiligen Geist zu stehen. Die LRA ist eine Rebellengruppe, die vorgibt, eine Gesellschaft auf der Grundlage der zehn Gebote der Bibel schaffen zu wollen. Sie versucht, die ugandische Regierung zu stürzen und kämpft im sudanesischen Bürgerkrieg auch gegen die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung. 80 % der Rekruten der LRA sind entführte Kinder. Angelina (Vizevorsitzende der Vereinigung) und die Vereinigung betroffener Eltern haben unermüdlich gearbeitet, um die Freilassung der schätzungsweise 10000 entführten Kinder zu bewirken und um die Welt auf die Situation der Kindersoldaten aufmerksam zu machen. Diese Kinder sieht man nicht, und deshalb weiß die internationale Gemeinschaft vielfach nichts von ihnen. Menschenrechtsexperten schätzen jedoch, dass zurzeit über 30000 Kinder unter 18 Jahren in mehr als 30 Ländern in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. Der stellvertretende geschäftsführende Direktor von UNICEF, Stephen Lewis, berichtete der Menschenrechtskommission 1998, dass sich das standardisierte Vorgehen der LRA, die Entführung von Kindern, bereits zu einer langen Reihe von Verschwundenen und von Folter summiert habe, die beispiellos auf der Welt sei ... die LRA raube Kinder, ausnahmslos Kinder. Es sei eine Psychose, eine Obsession. Es sei der entschiedene Wille, Kinder unter allen Umständen zu vernichten ... Kinder, die gezwungen würden, sich gegenseitig töten, Erwachsene zu töten, Kinder, die vergewaltigt würden, Kinder, die im Krieg als Träger eingesetzt würden, Kinder, die zu Bestien gemacht würden, Kinder, die umgebracht würden. Frau Atyam hat ihr Anliegen direkt dem ugandischen Präsidenten, Yoweri Museveni, der Gattin des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Hillary Clinton, Vertretern der sudanesischen Regierung, Mitgliedern des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika und Einrichtungen der Vereinten Nationen vorgetragen. Ihr Einsatz hatte im Oktober die Annahme einer Resolution im Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika zur Folge, in der die Vereinigten Staaten dringend um Unterstützung der Bemühungen ersucht werden, den Entführungen ugandischer Kinder und dem Einsatz von Kindersoldaten weltweit ein Ende zu setzen. PE 294.786 Externe Übersetzung 4 CM/418960DE.doc ANDREI BABITSKY Andrei Babitskys langjährige journalistische Arbeit ist eine Heldentat, ein Kampf für die Wahrheit, ein Kampf für das Recht, "Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten". So ist dieses Recht in Artikel 19 der allgemeinen Menschenrechtserklärung festgeschrieben. In den ersten Jahren der "Perestroika" wurde Babitsky wegen seiner Artikel in einer unabhängigen Zeitschrift gefangen genommen. Im August 1991 berichtete er von dem Weißen Haus in Russland und von dem Platz, auf dem Tausende von Moskowitern für ihre neu gewonnene Freiheit eintraten, während das Fernsehen auf Anordnung der Putschisten bis zum Überdruss Tschaikowskys Schwanensee ausstrahlte. Dies war einer der engagiertesten Zweikämpfe zwischen Lüge und Wahrheit. Damals siegte die Wahrheit. 1993 berichtete Babitsky über das belagerte russische Parlament. Die ganze Welt erinnert sich an die Bilder im Fernsehen, auf denen Panzer zu sehen waren, die das Gebäude direkt beschossen. Babitsky war zugegen. Während des ersten Tschetschenienkrieges befand sich Babitsky im Zentrum des Kriegsschauplatzes. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich in Russland schließlich das Bewusstsein durchsetzte, dass diese Aktion nicht die Durchsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung war, wie es die offizielle Propaganda den Bürgern vorzumachen versuchte, sondern ein grausamer Krieg gegen ein ganzes Volk. Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges hat er wieder berichtet, im Bomben- und Granatenhagel, und seine heisere, gepresste Stimme hat uns über den Tod von russischen jungen Männern und von Tausenden unschuldiger Zivilisten aufgeklärt. Bis zu dem Augenblick seiner Verhaftung führte Babitsky mit den Mitteln eines Journalisten, mit Mikrophon und Telefon, jede Minute sein Leben riskierend, einen kompromisslosen Kampf gegen die offizielle falsche Propaganda und für unser Recht auf Informationen, für Glasnost und im Grunde für Demokratie und Menschenrechte. Aus diesem Grunde schlagen wir Andrei Babitsky für den Andrej Sacharow Preis vor. CM\418960DE.doc Externe Übersetzung 5 PE 294.786 BASTA YA Die Bürgerinitiative ¡BASTA YA! (Jetzt ist es genug!) besteht aus einer Gruppe von Bürgern, die sich für die grundlegenden Menschenrechte, für Demokratie, Harmonie und Toleranz im Baskenland einsetzen. Gegenwärtig sind die meisten Grundfreiheiten vieler Basken erheblich eingeschränkt. Sie können nicht ihre Meinung frei äußern oder ihre Rechte ausüben, ohne sich sehr großen Gefahren auszusetzen. Hunderte von Menschen (805) wurden ermordet oder ins Exil gedrängt. Sehr viel mehr Menschen werden auf der Straße, am Arbeitsplatz oder sogar zu Hause bedroht oder angegriffen. Viele Bürger sind schutzlos, und die Terroristen machen sich dies zunutze, um das friedliche Zusammenleben in der baskischen Gesellschaft zu stören und die Grundrechte aller Basken zu beeinträchtigen. Mitglieder der Bürgerinitiative ¡BASTA YA! riskieren ihr Leben im Kampf gegen Totalitarismus, und die einzigen "Waffen", die ihnen zur Verfügung stehen, sind die friedliche Aktivierung zur Unterstützung der Grundfreiheiten. Der Mut und die Heldenhaftigkeit, mit denen diese Bürger Werte, Grundsätze und Rechte verteidigen, die von der Europäischen Union anerkannt und voll und ganz unterstützt werden, verdienen zweifellos angemessene Anerkennung durch das Europäische Parlament. ¡BASTA YA! ist eine Gruppe von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um sich für Menschenrechte und Toleranz einzusetzen, und die im wesentlichen folgende Ideale anstreben: Eindeutiger und friedlicher Widerstand gegen jede Form von Terrorismus, Unterstützung aller Opfer des Terrorismus' und der Gewalt und Sicherstellung, dass die Verantwortlichen dieser kriminellen Handlungen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden, Recht, andere Ideen als das extreme und ausschließlich nationalistische Gedankengut ohne Aggression, Marginalisierung oder Diskriminierung vertreten zu dürfen, Forderung an die demokratischen Institutionen im Baskenland, ihren Pflichten nachzukommen und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Von den Aktivitäten von ¡BASTA YA! möchten wir folgende besonders herausstellen: - Februar 2000: ¡BASTA YA! organisierte eine Demonstration in San Sebastián unter dem Motto "Por la libertad, ETA kampora" (Für den Frieden, ETA raus), - Seit Juni 2000: Die Bürgerinitiative rief zu einer Massenversammlung auf, die jeden ersten Donnerstag im Monat in San Sebastián stattfinden soll, als Zeichen der Solidarität mit allen Bürgern, die bedroht und angegriffen werden, weil sie sich für demokratische Werte einsetzen, - September 2000: am 23. September rief die Initiative zu einer Demonstration in San Sebastián auf, die sie unter das Motto "Por la vida y la libertad. Defendamos lo que nos une: PE 294.786 Externe Übersetzung 6 CM/418960DE.doc Estatuto y Constitución" (Für Leben und Freiheit. Wir treten für das ein, was uns verbindet: Regionalverfassung und Verfassung) stellte. CM\418960DE.doc Externe Übersetzung 7 PE 294.786 IMMACULÉE BIRHAHEKA Immaculée Birhaheka, Leiterin "Förderung und Unterstützung von Fraueninitiativen" (PIAF), Demokratische Republik Kongo, hat sich viele Jahre dafür eingesetzt, kongolesische Frauen über ihre Rechte zu unterrichten und sie dabei zu unterstützen, sich mit den Behörden auseinanderzusetzen und sich gegen Diskriminierung wegen des Geschlechts innerhalb des Rechtssystems zu wehren. Sie hat Methoden zur Selbsthilfe vermittelt, gemeinschaftsfinanzierte Projekte eingeleitet und Frauen Hilfestellung gegeben, die sich gegen unrechtmäßige Steuern und Erpressung wehren. Sie war eine der wenigen, die den Mut aufbrachten, die Behörden mit so sensiblen Themen, wie Vergewaltigung, zu konfrontieren. 1995 haben sie und ihre Kollegen mit der Ausstrahlung eines wöchentlichen Radioprogramms über die Rechte der Frau in Kisuaheli begonnen. In den vergangenen Jahren hat sich Immaculée Birhaheka klar und deutlich gegen Menschenrechtsverstöße in ihrem Land ausgesprochen und nicht gezögert, Massenmorde und ethnische Intoleranz öffentlich anzuprangern. Dies hat ihr Drohungen sowohl von Rebellengruppen als auch von dem Ruandischen Militär in Goma eingetragen. Am 16. Januar wurde sie festgenommen und in einem Militärgefängnis festgehalten, wo sie gedemütigt und geschlagen wurde. Sie kam am selben Tag frei, wurde aber erneut von Soldaten der Rebellen bedroht. Bei der Überreichung des Martin Ennals-Preises an Immaculée dieses Jahr in Genf erklärte die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Mary Robinson: Ich weiß sehr gut, wie notwendig Engagement ist, wie Immaculée Birhaheka es gezeigt hat, und ich weiß von unseren Büros in Kinshasa und Goma, wie wichtig ihre Arbeit ist und wie gerne wir sie in ihrem Tun unterstützen möchten. PE 294.786 Externe Übersetzung 8 CM/418960DE.doc RADHIA NASRAOUI Radhia Nasraoui ist Anwältin. Sie ist Verfechterin der Menschenrechte und der Rechte der Frau, Mitglied des Verbands der tunesischen Anwaltskammer und übt ihren Beruf seit bald 25 Jahren in Tunesien aus, ohne sich durch den Druck und die täglichen Belästigungen einschüchtern zu lassen, die sie, sie persönlich und ihre Familie, wegen ihres Einsatzes für die Wahrung der Menschenrechte erdulden muss. Die tunesische Anwältin der Armen und der "Sprachlosen", wie manche sie in ihrem Land auch nennen, nimmt sich aller Fälle an: Fälle von Unterdrückung und Belästigung durch den Staat, schlechte Bedingungen in den Gefängnissen, Fälle von Misshandlung und Folter auf den Polizeistationen und im Gefängnis, Festnahmen protestierender Studenten oder Schüler, Inhaftierungen wegen Gesinnungstaten oder wegen Zugehörigkeit zu einer nicht anerkannten Vereinigung. Radhia Nasraoui verteidigt vorurteilsfrei alle Personen, die Opfer von Verletzungen von Menschenrechten sind. Im März 1998 wurde Radhia Nasraoui mit der Verteidigung von Studenten beauftragt, die einen Monat zuvor festgenommen worden waren, weil sie friedlich demonstriert und auf die Bedingungen ihres Studentenlebens aufmerksam gemacht hatten. Diese jungen Menschen wurden daraufhin wegen "terroristischer Taten" und der Zugehörigkeit zu einer "Verbrecherbande" angeklagt. Da die Studenten während ihrer Inhaftierung misshandelt wurden, erstattete Frau Nasraoui Anzeige und forderte eine ärztliche Untersuchung. Daraufhin wurde sie ihrerseits aus den gleichen Gründen angeklagt. Radhia Nasraoui wurde förmlich untersagt, den Bezirk Tunis bis zu ihrem Prozess im Juli 1999 zu verlassen. Das Verbot, im Land zu reisen, stellt eine ernstzunehmende Behinderung der Ausübung ihres Berufs dar, da sie weder ihre Klienten im Gefängnis besuchen noch an Prozessen außerhalb von Tunis teilnehmen kann. Die gegen Radhia Nasraoui vorgebrachten Anklagen, die sechsmonatige Unterbrechung ihrer anwaltlichen Tätigkeit, ihre Verurteilung zu vierzehn Tagen Gefängnis, weil sie sich 24 Stunden lang außerhalb der Grenzen von Tunis aufgehalten hatte, um an dem Begräbnis ihrer Schwiegermutter teilnehmen zu können, die wiederholte Einziehung ihres Passes, die täglichen Beschattungen, die Störung ihrer Telefonleitung, das Abfangen ihrer Post und die mehrfachen Einbrüche in ihr Anwaltsbüro fügen sich in die Reihe der Einschüchterungsmaßnahmen ein und gehören seither zu ihrem Alltag. Es ist ein schwieriger Alltag für ihre drei Kinder. Nadia trat im vergangenen Juli im Alter von 15 Jahren in den Hungerstreik, um gegen die unmenschliche und ungerechte Situation ihres Vaters, Hamma Hammami, des Sprechers der verbotenen kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens, PCOT, zu protestieren, der seit 30 Jahren abwechselnd im Gefängnis und im Untergrund lebt. CM\418960DE.doc Externe Übersetzung 9 PE 294.786 ALEXANDER NIKITIN "Ich bin davon überzeugt, dass Informationen über die ökologische Situation nicht geheim sein können. Offenheit in Umweltbelangen ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Jeder Versuch, Informationen über schädliche Auswirkungen auf Menschen und auf die Menschheit zu verbergen, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Alexander Nikitin wurde 1952 in der Ukraine geboren. Bis 1985 war er Schiffskapitän bei der russischen Nordflotte. Zwischen 1987 und 1992 arbeitete er als leitender Inspekteur für die mit der Kontrolle der Nuklear- und Strahlensicherheit befaßten Abteilung im Verteidigungsministerium. Als er die Marine verließ, fühlte er sich verpflichtet, die Welt über die möglichen Risiken einer atomaren Katastrophe aufzuklären und Russland dabei zu helfen, seine Flotte stillgelegter Atomunterseeboote in den Griff zu bekommen. 1995 schloss sich Nikitin der Bellona-Stiftung an, die sich bereits seit 1989 mit diesem Thema beschäftigt und einen Bericht über sämtliche möglichen Quellen radioaktiver Verseuchung im Nordwesten Russlands vorgelegt hatte. 1996 wirkte Nikitin als Mitverfasser eines Berichts mit dem Titel "Die russische Nordflotte - Quellen radioaktiver Verseuchung" mit. Dieser Bericht wurde von der Europäischen Kommission für die Vorbereitung des Umweltbereichs der politischen Strategie im Hinblick auf die "nördliche Dimension" herangezogen. Im Oktober 1995 wurden die russischen Büros der Bellona-Stiftung vom Inlandssicherheitsdienst - dem Nachfolger des KGB - durchstöbert und alle Unterlagen zu dem Bericht beschlagnahmt. Im Februar 1996 wurde Alexander Nikitin festgenommen und des Hochverrats und der Weitergabe von Staatsgeheimnissen für die Arbeit an dem Bericht angeklagt, obwohl diese Informationen bereits an anderer Stelle veröffentlicht waren. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er gegen Geheimerlasse des Verteidigungsministeriums verstoßen habe. Er erfuhr jedoch nicht, welche Gesetze dies waren. Später zeigte sich, dass die bei Nikitin angewandten Gesetze erst sechs Monate nach seiner Festnahme erlassen wurden. Der Bericht über die Nordflotte ist zurzeit die einzige Veröffentlichung in Russland, die offiziell verboten ist. Nikitin hatte ein Kapitel über Unfälle in Atomunterseebooten zu dem Bericht beigetragen. Vielleicht hätte sich das Unglück mit dem Unterseeboot Kursk nicht ereignet, wenn diese Informationen bekannt gewesen wären und die Hintergründe über die Ursachen des Unfalls dazu genutzt worden wären, sicherzustellen, dass sich nicht ähnliche Unfälle wiederholten. Am 13. September 2000 wurde Alexander Nikitin schließlich von allen Beschuldigungen freigesprochen. Die Geheimhaltung hat in Russland eine lange Tradition. Nikitins Kampf gegen den Inlandssicherheitsdienst war ganz außergewöhnlich - nie zuvor ist jemand in Russland von derartigen Beschuldigungen freigesprochen worden. Durch den Freispruch haben die Urteile ganz wichtige Rechtsprinzipien bestätigt, nämlich dass es nicht zulässig ist, Geheimerlasse rückwirkend anzuwenden, und dass jemand, der angeklagt ist, nicht automatisch auch schuldig ist. Dies ist sowohl für die Entwicklung der Industrie in Russland als auch für die Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft in Russland von großer Bedeutung. Bisher hat der Fall Nikitin Befürchtungen hervorgerufen - jetzt weckt er Hoffnung, Konsequenz und Mut. Nach dem ersten Freispruch für Nikitin im Amtsgericht von St. Petersburg im Dezember 1999 brachte CNN die Schlagzeile: Dieser Freispruch ist das bedeutendste Ereignis der russischen Demokratie während der vergangenen 50 Jahre. Alexander Nikitin hat beschlossen, seine Arbeit in Russland fortzusetzen, um radioaktive Verschmutzung zu verhindern und die Umweltschutzrechte durch das mit seiner Mithilfe PE 294.786 Externe Übersetzung 10 CM/418960DE.doc eingerichtete Zentrum für Umweltschutzrechte umzusetzen. Dieser Stelle ist es im wesentlichen zu verdanken, dass Informationen über das Unglück des Unterseebootes Kursk im August 2000 an die Öffentlichkeit gelangt sind. Mit dem Sacharow-Preis könnte Nikitin die besondere Erfahrung seines fünfjährigen juristischen und politischen Kampfes einem möglichst breiten Publikum in und außerhalb von Russland bekannt machen. CM\418960DE.doc Externe Übersetzung 11 PE 294.786 NGAWANG SANGDROL Die tibetische Nonne, Ngawang Sangdrol, befindet sich seit 1992 im Drapchi Gefängnis und ist damit von allen politischen Gefangenen in Tibet die längste Zeit in Haft. Sie wurde zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren festgenommen, weil sie sich für die Rechte ihres Volkes auf Befreiung ihres Landes von der Besetzung und der Unterdrückung durch die Kommunisten eingesetzt hatte. Heute, im Alter von 24 Jahren, hat sie bereits Folter, Schläge und Einzelhaft in dem Sektor 3, dem politischen Gefangenen vorbehaltenen Flügel des Gefängnisses, durchgemacht. Sie wird nicht vor 2013 frei kommen. Vielleicht sogar noch später, wenn die kommunistischen Behörden Chinas Haftverlängerung beschließen, wie sie es bereits mehrmals getan haben. Auf einer Kassette, die sie hat aus dem Gefängnis schmuggeln können, singen sie und ihre Mitgefangenen: "Wir sind Freunde und Gefangene Wir hoffen auf Freude [den Dalai Lama] Gleichgültig, ob wir geschlagen werden, /Unsere Arme können nicht getrennt werden Die östliche Wolke ist nicht für immer am Horizont Die Zeit wird kommen, wo die Sonne wieder scheinen wird." Für das Singen, Aufnehmen und aus dem Gefängnis Schmuggeln dieses Liedes wurde sie zu drei weiteren Jahren Haft verurteilt. In einem Brief vom 15. August 1997 schrieb sie ihrer Familie, die sie gebeten hatte, sich nicht noch weiter in Schwierigkeiten zu bringen: "Ich bedaure nichts an meiner gegenwärtigen Lage (...). Ich vermisse euch sehr, meine Brüder und Schwestern, aber es ist unwahrscheinlich, dass wir uns wiedersehen, bevor die Sonne wieder über dem Land aus Schnee aufgehen wird [bevor Tibet befreit ist]." Für ihren Mut und ihre Entschlossenheit wurde sie mit dem Preis des tibetischen Jugendkongresses ausgezeichnet. Ngawang Sangdrol verkörpert heute Stärke und Hoffnung, die mit dem gewaltlosen Kampf für die Befreiung der Tibeter aus der Unterdrückung durch die Volksrepublik China verbunden sind. PE 294.786 Externe Übersetzung 12 CM/418960DE.doc