GR_Comics_Gegendisku

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Guido Rings
Comics als Gegendiskurs?
Ein Beitrag zum Revolutionsbild im mexikanischen "Anti-Comic".1
1. Vorüberlegungen
Der offizielle Mythos einer "gran Revolución",2 die unter der mittlerweile 65jährigen "de facto" Einparteienherrschaft3 bis in das aktuelle
Mexiko fortgesetzt werde,4 wurde noch unlängst erheblich destabilisiert.
Die Aufstände sogenannter Zapatisten im Süden des Landes (Winter
1993/94) und auch die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten des
"Partido Revolucionario Institucional" (Luis Donaldo Colosio/ März 1994)
haben zur Reaktualisierung und Intensivierung allgemeiner Zweifel an der
Glaubwürdigkeit der staatlichen "interprétation oratoire du passé"5
beigetragen. Dies betrifft allgemein die Mythen einer kontinuierlichen
"democratización" und "modernización" Mexikos und insbesondere den
Versuch einer historischen Legitimation der PRI-Präsidenten als geistige
Nachfolger Emiliano Zapatas,6 den die kürzlich noch aufständischen
"Zapatisten" schon über ihre Namengebung zurückweisen. Sowohl bei dePlease note: This is a pre-print! For the final version, see Guido Rings: ‘Comics als Gegendiskurs.
Ein Beitrag zum Revolutions-bild im mexikanischen „Anti-Comic”’), in: Iberoamericana 55/56, pp.
37-67.
2Vgl. den Präsidenten Salinas de Gortari (1987: 3)
31929 wird der "Partido Nacional Revolucionario" (PNR) gegründet, 1938 erfolgt eine Umbenennung
zum "Partido de la Revolución Mexicana" (PRM), 1946 zum "Partido Revolucionario Institucional"
(PRI). Von einem politischen Strukturwandel kann im Rahmen dieser Prozesse nicht ausgegangen
werden. Vgl. Manfred Mols (1980): "Faktoren der politischen Stabilität Mexikos", in: Steger, HannsAlbert / Schneider, Jürgen: Wirtschaft und gesellschaftliches Bewußtsein in Mexiko seit der
Kolonialzeit. München, S. 521-543 // Volker G. Lehr (1980): "Zur Erneuerung des mexikanischen
Parteien- und Wahlsystems", ebda., S. 451-497 // Hanns-Albert Steger (1980): "Participación política
y resistencia cultural en México", ebda., S. 383-397 // Zu neueren Veränderungen vgl. Stephen D.
Morris (1993): "Political Reformism in Mexico. Past and Present", in: Latin American Research
Review 28, 2, 191-205.
4Salinas de Gortari (1987: 5) bezeichnet die PRI-Regierungen als "gobiernos de la Revolución". Vgl.
auch Alberto Morales Jiménez (1961): Historia de la Revolución Mexicana. México, S. 177: "México
marcha con el signo de su Revolución. Nada podrá detener su gran destino." / Sehr viel detaillierter
sind die offiziellen Jubiläumsbände, so: Marta Eugenia Curiel (u.a. / 1988): México, 75 años de
Revolución. México
5Enrique Florescano: "Le pouvoir et la lutte pour le pouvoir", in: GRAL (1982: 165-188, 179)
6Ricardo Romero Aceves (1982): De la Madrid y el futuro inmediato de México. México, S. 56 behandelt Zapata exemplarisch als "apóstol" und "paladín [que] reencarna en la Revolución Mexicana".
Salinas de Gortari (1987: 124) bestätigt: "la inspiración zapatista sigue siendo válida hoy." Der
Versuch einer historischen Legitimierung der postrevolutionären Regierungen durch eine angebliche
Vertretung zapatistischer Ideale findet sich bereits bei Calles. Vgl. dessen Rede zum fünften Jahrestag
der Ermordung Zapatas in Cuautla, Morelos, am 12.4.1924, in: Luis L. León (1987): Crónica del
poder. En los recuerdos de un político en el México revolucionario. México, S. 187: "Ese programa
revolucionario de Zapata, ese programa agrarista, es mío [...] los puntos que Zapata no pudo condensar
en su plan los continuaremos los buenos revolucionarios."
1
ren Guerilla-Erhebung im Süden Mexikos als auch bei dem Attentat sind jedoch Fragen an die Rationalität der Mittel zu stellen und insbesondere ist
der politische Mord als Medium zur Systemveränderung vor dem Hintergrund einer jahrhundertealten Tradition politischer Gewalt in Mexiko auf
seine Effektivität und moralisch-ethische Akzeptabilität zu hinterfragen.
Dies führt den Blick auf alternative Angebote zur Herrschaftsemanzipation, in deren Rahmen potentielle Gegendiskurse und deren Möglichkeiten,
durch
einen
langsamen
Bewußtseinsbildungsoder
auch
Bestätigungsprozeß indirekt einen Beitrag zu sozialen Veränderungen zu
leisten,7 immer wichtiger werden. Eine neuere Form des Comic, der
sogenannte Anti-Comic von Autoren wie Eduardo del Río und Abel
Quezada, bietet das Potential für einen solchen "Diskurs" im Sinne
Foucaults. Auch wenn der "Anti-Comic" für ein umfassendes Verständnis
"more than a grammar school education" voraussetzt,8 so kann im
Vergleich mit anderen potentiellen Gegendiskursformen9 doch von einer
erheblich größeren Breitenwirkung ausgegangen werden. Dafür sprechen
eine
zunehmende
Popularität
von
"Anti-Comics"
und
die
Rezeptionsgewohnheiten einer Bevölkerungsmehrheit: Immerhin ist
Mexiko das Land mit der höchsten Comics-Rezeption der Welt10 und die
Rezipienten sind - im Gegensatz zum europäischen Kulturkreis - hauptsäch7Es
kann nur noch von einer beschränkten Glaubwürdigkeit des offiziellen Revolutionsmythos
ausgegangen werden. Dies erlaubt freilich nicht, von einem ausgebildeten soziopolitisch-kritischen
Bewußtsein einer überwiegenden Bevölkerungsmehrheit zu sprechen. Wir setzen voraus, daß in der
Bevölkerung unterschiedlichste Tiefengrade der Erkenntnis oder auch des Erkennenwollens staatlicher
Herrschaftslegitimierungsmethoden existieren, nicht zuletzt weil Faktoren wie eine (wenn auch noch
so bescheidene) profitable Teilhabe am PRI-System oder eine fatalistische Grundeinstellung zu
Formen der Realitätsverdrängung und -verzerrung führen. Die kontinuierliche Präsenz verschiedener
Gegendiskurse könnte über eine Bestätigung, d.h. Festigung und Vertiefung rudimentärer kritischer
Bewußtseinsinhalte und Widerstandsprojektionen eine Zersetzung der Schutzmechanismen einleiten
und im günstigsten Fall die zunehmende Distanzierung von Partei und offizieller Rhetorik bis hin zu
einem graduell steigenden Widerstand verstärken.
8Hinds (1985: 25)
9Eine Gegendiskursform ist mit dem Revolutionsroman gegeben, der sich über den modernen
mexikanischen Roman, d.h. über Autoren wie Fuentes, del Paso, Pitol und Sefchovich, bis heute
fortsetzt. Es wäre untersuchenswert, ob die "crónicas" eines Carlos Monsivais und José Agustín als
Exemplare einer weiteren Gegendiskursform angesehen werden können. Zum kritischen Potential in
der modernen mexikanischen Literatur vgl. Borsó (1992).
10Vgl. Ochoa González (1985: 524) / Hinds (1985: 24) formuliert: "Mexican comic books are immensely popular. Estimates for total production of comic books and photonovels in the early 1980s suggest
that 100 million copies are sold each month, or more than 1 billion annually. Data for 1975, when
comics and photonovels sold some 70 million per month, suggest that comic book production alone
accounted for nearly 56 million monthly, 671 million annually. And if one takes into consideration that
many copies are reread, perhaps an average of three or four times, then monthly consumption may
reach one quarter of a billion." / Weitere Untersuchungen zur Popularität von Bildgeschichten in
Mexiko sind: Irene Herner (1979): Mitos y monitos: Historietas y fotonovelas en México. México /
Gordon D. Mott (1982): "Where Comic Books are King", in: San Francisco Examiner and Chronicle
vom 18.4. / Adriana Malvido (1981): "Reunidos en Cocoyoc, trece de los más importantes
historietistas del momento", in: Uno Más Uno, 4, 1355
2
lich Erwachsene. Mit Blick auf Comics, Fernsehen und Radio formuliert
Ochoa González (1985: 24): "La cultura de la mayor parte de los mexicanos, se construye y se elabora, por la información que proporcionan [estos
medios]."11 Berücksichtigt man die strenge staatliche Zensur von Fernsehund Radiosendungen gegenüber dem "relative lack of censorship" bei
Comics,12 so handelt es sich bei letzterem um ein für kollektive Bewußtseinsveränderungen sehr erfolgversprechendes Medium. All dies sind
Gründe für eine detailliertere Betrachtung der mexikanischen Bildgeschichte. Im folgenden werden zunächst einige Charakteristika der Gattung in Erinnerung gerufen, bevor auf die emanzipatorischen Möglichkeiten des
"Anti-Comic" eingegangen und das Revolutionsbild bei del Río und Quezada in seiner Opposition zum offiziellen Geschichtsbild behandelt wird.
Mit der Frage nach der Charakterisierbarkeit des "Anti-Comic" als
"Gegendiskurs" schließt der Aufsatz.
2. Comics - ein Definitionsansatz
Die Comics sind als moderne Form der Bildgeschichte einem jahrhundertealten Erzählprinzip zuzuordnen, dessen erste Formen steinzeitliche
Höhlenmalereien, die ägyptischen Totenbücher, die römische Trajansäule
oder auch - im Gebiet des heutigen Mexiko - die Kunst der Tlacuilos sind.
Auf Amate-Papier, Maguey-Stoff oder Hirschleder fixierte bereits dieser
präkolumbische Stamm für sich und die Nachwelt "con imágenes las
costumbres de sus pueblos y las características de su cultura."13
Von diesen ersten Formen der Bildgeschichte unterscheiden sich die Comics im wesentlichen durch ihren Charakter als Massenmedium. Die von
Barrera-Vidal gegebene Definition umfaßt daher Comic und Bildgeschichte
gleichermaßen: "La bande dessinée est une histoire en images: elle contient
une narration basée sur des images et des textes synchronisés avec celles-ci.
Il existe donc bien un complexe qu´on pourrait appeler logo-iconographique...D´une image á l´autre il y a une certaine continuité chronologique."14
Es existiert ein Codierungssystem für die Gestaltung von Sprech- und Gedankenblasen, für die graphische Umrahmung des Textes und für einen
11Ochoa
González (1985: 524) / In Mexiko publizierten Bildgeschichten kommt auch ein erheblicher
Einfluß in anderen lateinamerikanischen Staaten zu, da dieses Land zugleich das größte
Publikationszentrum für spanischsprachige Comics in Lateinamerika ist. / Vgl. Hinds (1985: 25)
12Hinds (1985: 25)
13Rosalva de Valdés (1972): "Crónica General de la Historieta", in: La historieta mexicana. México,
S. 9 / Diese Tradition ist im modernen Mexiko noch sehr lebendig. So existiert u.a. ein Literaturpreis
"Tlacuilo de oro", der 1971 an Eduardo del Río verliehen wurde.
14Albert Barrera-Vidal (1973): "La bande dessinée au service de l´ enseignement des langues", in:
Praxis des neusprachlichen Unterrichts 20, S. 288-303, S. 289
3
Großteil der Bildsymbolik. Maier betont, daß auch die Darstellung der Figuren einer Codierung unterliegt: "Bestimmte Körpermerkmale und Physioggnomien stehen für bestimmte Charaktereigenschaften, Stimmungslagen
[..] Sie signalisieren dem geübten Leser sofort die Funktion der gezeichneten Person im Rahmen des Geschehens; sie ordnen sie in ein Schema von
Typen ein."15 Bei den sogenannten "stummen" Comics ist auf diese Weise
eine weitgehende internationale Verständlichkeit gegeben. Der internationale Charakter der Comics verstärkt sich in den letzten Jahrzehnten durch den
Einfluß des Mediums Film.16
3. Möglichkeiten des Comic – eine Frage von Gestaltung und Rezeption
Als Folge elitärer Kunstvorstellungen des Bildungsbürgertums im 18ten
und 19ten Jahrhunderts wurden Bildgeschichten lange Zeit als "Kitsch und
Schundliteratur" behandelt, die sich allenfalls zur Unterhaltung der unteren
Volksschichten eignet. Eifrig war eine Mehrheit von Psychologen, Medizinern und Pädagogen bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts bemüht, den
Comics als trivialliterarischer Erscheinungsform die Schuld für eine Vielzahl bekannter psychologischer Fehlentwicklungen global aufzuladen.
Baumgärtner resümiert:
"Comics als das Esperanto der Analphabeten verhindern die Entwicklung des Lesevermögens, verstanden sowohl als ´Kulturtechnik´, wie
auch als Fähigkeit zur Texterschließung. Der ´Bildidiotismus´ der Comics unterdrückt im Gegensatz zu der von ihnen verdrängten Literatur
die Herausbildung eines differenzierteren Verständnisses von Welt und
Mensch zugunsten eines platten Sensationalismus; gefördert wird von
den Comics lediglich Negatives - Neurosen, Perversionen, Kriminalität.
[Sie sind] schablonenhafte Massenprodukte, die in betäubendem Kontrast zur Alltagswirklichkeit simplifizierte Traumwünsche vorgaukeln,
Momente scheinbaren Glücks suggerieren und gleichzeitig bei
moralischer und ideologischer Erziehung die Leser in Passivität
belassen."17
Demgegenüber setzt sich seit den 70er Jahren zunehmend eine Forschungsmeinung durch, die den Comic als landeskundlichen Informationsträger auffaßt, der in extrem verdichteter Form einen aktuellen Kenntnisstand der soziopolitischen, ökonomischen oder kulturellen Situation zu
15Karl
Ernst Maier (1973): Jugendschrifttum. Formen, Inhalte, Pädagogische Bedeutung. Regensburg, S. 178
16Während der Film verschiedene Ausdrucksformen der Bildgeschichte übernahm, zeigt sich der
reziproke Einfluß in der zunehmenden Verwendung von Kinotechniken. Zu beachten sind
insbesondere die Einstellungsgrößen, horizontale und vertikale Achsenverhältnisse und die mit der
Verwendung solcher Techniken beabsichtigten psychologischen Wirkungen. Vgl. Walter Herdeg /
David Pascal (1972): Die Kunst des Comic-Strip. Zürich, S. 119ff.
17Alfred Clemens Baumgärtner: "Comics in der Schule", in: Pforte (1974: 22-41, 25)
4
vermitteln in der Lage ist. Fresnault-Deruelle (1973: 18) betont Möglichkeiten für eine Mentalitätsforschung: "Les B.D. comme source documentaire
certes, mais comme révelateur de nos désirs, craintes et phobies, peut-être
tout autant." Jaramillo formuliert, daß die in den Comics reflektierten Stereotypen "Teil eines dominanten Wertsystems" sind und auf "Mythen" verweisen, die von der jeweiligen Gesellschaft erzeugt worden sind.18 Ganz in
diesem Sinn behandelt auch Marsiske die mexikanischen Comics als
"Ausdruck von Sitten und Gebräuchen der Massen, gedrucktes Zeugnis der
Volkssensibilität".19 Beispiele sind die Erscheinung von Gewalt als sozialer
Verhaltensnorm20 und die dichotome Rolle der "guten Frau" als sinnliche
Jungfrau oder fügsame Ehefrau.21 Solche Erkenntnisse ermöglichen eine
differenziertere Betrachtung der modernen Bildgeschichten.
Je nach thematischer und formaler Gestaltung eignen sich Comics in
unterschiedlichem Maße als Reflektor sozialer Mythen. Im Rahmen des Gesamtvolumens an Bildgeschichten greift gar nur eine Minderzahl jenes Potential in sozialkritischer Hinsicht auf und versucht, es für einen Prozeß der
Bewußtseinsbildung (concientización)22 fruchtbar zu machen. Wenn im
folgenden versucht werden soll, Elemente eines potentiellen Gegendiskurses im Comic nachzuweisen, so beschränkt sich dies auf eben jene politisch
engagierte Form der modernen Bildgeschichte, die Kagelmann in kubanischer Tradition als "Anti-Comic"23 bezeichnet, und die sich in mehrerer
Hinsicht aus der Masse der kommerziellen Massenprodukte hervorhebt.
Thematisch ist zunächst eine Fokalisierung sozialkritischer Aspekte auffällig, wobei politischen und ökonomischen Abhängigkeiten eine zentrale
Rolle zukommt. Im Verhältnis zu den traditionellen Unterhaltungscomics
bedeutet dies eine Marginalisierung des "Privatlebens", bzw. eine Beschränkung auf solche Elemente, denen in sozialer Hinsicht überindividuelle Relevanz zukommt. Auch nehmen blutige Kampfszenen nur einen geringen Raum ein.
18Margarita
Jaramillo: "Comics, Massenmedien und kulturelle Kommunikation in Lateinamerika", in:
Kagelmann (1991: 7-28, 16)
19Renate Marsiske: "Kalimán und Rarotonga. Comics in Mexiko", in: Kagelmann (1991: 29-54, 29)
20Zur Anpreisung von Gewalt als Konfliktlösungsmodell verweist Marsiske, ebda., S. 41 exemplarisch
auf Comics, deren Helden Boxer oder Freistilringer sind: "Die Boxer und Ringer - wie etwa Cangurú
Carey - sind so exzessiv violent, daß nach jedem Kampf der Ring mit ausgelaufenen Augen und
Hirnen der besiegten Gegner bespritzt ist."
21Marsiske, ebda., S. 48f. im Resümee zur Frauenrolle: "Frauen sind in den mexikanischen ComicsGeschichten immer ein Teil, aber eben nur ein Teil der Männerwelt; sie sind ein notwendiges, ideales
Beiwerk für die Abenteuer der männlichen Helden."
22Kagelmann: "Einleitung: ¡Superman Go Away - Viva El Cuy!", in: ders. (1991: 1-6, 1)
23Kagelmann (1986: 122f.) versteht unter "Anti-Comic" eine neuere, "subversive" Form von Comic,
die auf Grund "alternativer" Inhalte und Formen in deutlichem Gegensatz zu den nationalen
Trivialcomics und den traditionellen Unterhaltungscomics stehe.
5
Häufige formale Erkennungsmerkmale sind Auflösungen von Vignettengrenzen, Veränderungen der Vignettengrößen, die Montage von Fotokopien
zwischen die Vignettenserien und - fast durchgängig - eine extreme Vereinfachung der Karikaturen und Situationszeichnungen. Der "Anti-Comic"
distanziert sich mit Hilfe solcher Stilmittel von den traditionellen Unterhaltungscomics, die im Interesse eines größtmöglichen Absatzes dem Bedürfnis einer Rezipientenmehrheit folgend den Überblick über das Handlungsgeschehen und eine schnelle oberflächliche Lektüre maximal zu vereinfachen suchen.24
Bei den traditionellen Unterhaltungscomics ist in Anbetracht der Kombination von häufigen Stereotypisierungen und der Förderung einer sehr
oberflächlichen, sogenannten "automatischen" Rezeption die Gefahr groß,
die fiktiven Konstrukte als solche nicht zu erfassen und Verhaltensmuster
unreflektiert auf den "realen Kontext" übertragen zu wollen.25 Der "AntiComic" akzentuiert demgegenüber, nicht zuletzt durch den Einsatz von
Stilmitteln, welche eine "automatische" Rezeption verhindern, die Notwendigkeit einer Interpretation. So provoziert beispielsweise die Auflösung von
Vignettengrenzen eher eine Desorientierung des Rezipienten, die ihn zur
Reflexion über chronologische Abfolgen und kausale Bezüge führt. Andere
Stilmittel, wie die extreme Vereinfachung von Karikaturen und Situationszeichnungen, lenken den Blick unmittelbar auf Differenzen zwischen der
fiktionalen Welt des Comic (bzw. der anderer Konstrukte, z.B. der Werke
offizieller Diskurse) und dem "realen Kontext".
Kagelmann betont die Bedeutung einer formalen Distanz: "Ein Versuch,
nur mit den technischen Mitteln des üblichen Unterhaltungscomics neue
bzw. alternative Inhalte zu vermitteln, dürfte scheitern, weil bestimmte
Formen [...] in der Erwartung des Rezipienten untrennbar mit den typisch
nordamerikanischen Produkten verknüpft sind."26
24Die
Unterhaltungscomics sind formal eher markiert durch eine streng chronologische Abfolge klar
getrennter Vignetten, eine möglichst bunte Präsentation mit einer genauen aber nicht zu komplexen
Ausmalung der Handlungskontexte und die Reduzierung des Textanteils auf kurze, meist in Sprechblasen angeordnete und so unmittelbar zuordnungsbare Dialoge. Charakteristisch ist auch das Aufgreifen von Klischees und die Typisierung der Comicfiguren, was bis zu einer durchgehenden Verwendung von Stereotypen führen kann. / Fresnault-Deruelle (1973: 14f.) betont die Bedeutung der
"Übertreibung" als Merkmal aller Comicsformen: "L´ éviction des temps morts, la présentation d´un
monde fatalement idéalisé orientent l´analyse vers l´une des dimensions majeures des comics:
l´exagération."
25Dietrich Grünewald (1980): Comics. Ein Handbuch. München S. 43, 52
26Jürgen Kagelmann (1986: 137) / Hauptinformationsträger in traditionellen Unterhaltungscomics sind
Sprechblasen und die oft mit hohem Aufwand gestalteten farbigen Zeichnungen. Charakteristischerweise ergibt eine Auszählung der 218 Vignetten der historisch-utopischen Micky-Maus-Geschichte "Die Macht der Magie" nur 35 Vignetten mit Randkommentaren, wovon lediglich sechs eine
Information liefern, die über einen kurzen Verweis auf die chronologische Reihenfolge (dann, später,
6
Auf der Grundlage einer "kritischen" Rezeption implizieren die "AntiComics" insbesondere eine veränderte funktionale Bedeutung des
"Lachens". Wie jeder Comic so vermittelt auch er - der Komödie nicht unähnlich - einen Großteil seiner Botschaft über Situations- und Handlungskomik. Über etwas lachen impliziert eine positive Einstellung gegenüber
dem Komischen. Beim "Anti-Comic" stellt sich aber die Frage, ob die Normen, nach denen gelacht wird, einen Sinn ergeben. Die hier zu behandelnden Bildgeschichten werden zeigen, daß die mit gängigen Mitteln wie Stilparodie, Stilmischung und Stilbrechung provozierte Heiterkeit oft fehl am
Platze ist. Die Komik impliziert hier eine Kritik,27 die in Mexiko insbesondere das offizielle Revolutionsbild und alle Medien, die dessen Verbreitung
dienen, fokalisiert. Hierzu gehören auch "offizielle" Comicserien und Bände
wie Episodios Mexicanos28 sowie México. Historia de un pueblo.29 Schon
in Anbetracht ihrer Auflagenhöhen dürften diese einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilisierung des staatlichen Geschichtsbildes geleistet
haben. Die neueren Entwicklungen in Mexiko führen mit der Destabilisierung des offiziellen Diskurses aber auch diese Comicform in verstärkten
Zweifel und bestätigen indirekt den "Anti-Comic" als unterhaltenden Informationsträger mit emanzipatorischem Potential.
eine Woche später, ...) oder einen Ortswechsel (dort, im Palast, ...) hinausgeht. Vgl. Walt-Disneys
Lustige Taschenbücher 128, S. 61-116
27Für die spanische Komödie des "siglo de oro" wurde diese Wirkung des Komischen am Beispiel von
Cervantes Entremeses untersucht. Vgl. Bernhard König (1988): "Miguel de Cervantes Saavedra.
Entremeses", in: Roloff, Volker / Wentzlaff-Eggebert, Harald (Hgg.): Das spanische Theater vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf, S. 53-69, S. 55ff./ Vgl. auch Cambio 16 vom 31.1.1983, S. 2
unter "El que ríe el último": "El humor es una forma de luchar contra el poder y la opresión con armas
desconocidas por el poder y que él no puede utilizar."
28Bei Episodios Mexicanos (1981ff.) handelt es sich um eine vom "Consejo Nacional de Fomento
Educativo" herausgegebene Serie, in der die nationale Geschichte von den präkolumbischen Kulturen
bis zur Unabhängigkeit ganz im Sinne offizieller Mythifizierungen behandelt wird. Zur Pflege des
Staatsheldenkultes vgl. besonders Nr. 29 "El caudillo popular".
29México. Historia de un pueblo (1982f.) ist eine 20bändige Comicbuch-Serie, die in mehreren Neuauflagen bis heute von der Secretaría de Educación Pública (SEP) herausgegeben wird. Sie behandelt
zahlreiche Stationen der Entwicklung Mexikos von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart und darunter
als einen Schwerpunkt die Revolution. (Vgl. Band 19: "Pancho Villa y la División del Norte. Los
Dorados". México 1982) Die Bände sind exemplarisch für die Pflege offizieller Geschichts-mythen
und verweisen darauf, daß von staatlicher Seite das Machtpotential der Comics längst erkannt worden
ist. Die SEP publizierte in den letzten Jahrzehnten nicht nur eine Vielzahl offizieller Comicsserien in
Millionenauflage, sondern versuchte dies auch als Bildungsbeitrag zu legitimieren. Vgl. Aida
Reboredo (1981): "Sin las historietas millones de mexicanos serían analfabetos funcionales: Javier
Barros, de la SEP", in: Uno Más Uno vom 11.7. / Verteidiger offizieller Comics - wie Barros - stellen
vor allem die soziopolitischen Informationen positiv heraus. Dies ist aber in Hinblick auf den
ideologischen Auftrag dieser Comics und auf den hohen Anteil "heroischer Kampfszenen" zu relativieren. Zum Staatsheldenkult als wichtiges herrschafts-stabilisierendes Element im offiziellen Diskurs
vgl. Carlos Monsivais (1972): "Mi sangre, aunque de héroe también tiñe de rojo", in: La Cultura en
México (Suplemento de Siempre), 17.5.1972 In formaler Hinsicht entspricht der offizielle Comic
weitgehend den traditionellen Unterhaltungs-comics.
7
4. Die Autoren und ihre Werke im literarischen Kontext
Eduardo del Río und Abel Quezada haben zahlreiche Bildgeschichten
publiziert, die exemplarisch als "Anti-Comics" behandelt werden können.
Frühe Beispiele sind die Serien Los Agachados und Los Supermachos, mit
denen del Río bekannt wurde, sowie Comicreihen von Quezada in Excelsior
und Siempre . Sie stehen damit in einem Kontext internationaler Bemühungen um eine neue Form von Comic, die sich sowohl von der Masse traditioneller Unterhaltungscomics als auch von staatlichen Publikationen unterscheiden soll und deren frühe Beispiele in den nordamerikanischen
"Underground-Comics" der 60er Jahre gesucht werden können. Hierzu gehören Zeichner wie Robert Crumb, Bodé und Moscoso, die über ihre Bildgeschichten bewußt den Mythos vom unbegrenzten Fortschritt in einer freien Marktwirtschaft aufgriffen und über Themen wie Atombombe, Umweltverschmutzung, Rassismus, polizeilicher Repression und inhumaner Automatisierung des Individuums einen Beitrag zur Entmythifizierung leisteten.
Ihr intellektueller Rückhalt ist zunächst insbesondere in den Universitäten
von New York und Kaliforniens zu suchen.30 Teilweise zeitgleich erscheinen in vielen lateinamerikanischen Staaten politisch engagierte Zeichner,
die den Themenkatalog der Amerikanitätsphilosophie in einer neuen Form
des Comic umzusetzen versuchen. Hierzu gehören Quino (Argentinien),31
Juan Acevedo (Peru), Margarita Jaramillo (Ecuador), Covo (Kolumbien),
bzw. in Mexiko Joaquín Velasco, José Palomo und Eduardo del Río, der
unter dem Kürzel Rius mittlerweile ein internationales Publikum besitzt.
Abel Quezada ist mit seinen ersten Bilderreihen für Excelsior und Siempre
Ende der 50er Jahre eher eine Früherscheinung.
Del Ríos Zeichnerlaufbahn beginnt zunächst mit einer freien Mitarbeit
als Karikaturist Anfang der sechziger Jahre bei der Zeitung Ovaciones
(Mexiko-Stadt); 1966 folgt mit Los Supermachos die erste eigene Comicserie. Zu seinen Intentionen formuliert der Autor selber:
"Ich versuchte eine andere Art von Comics zu schaffen, die sich mit
Themen beschäftigen, die normalerweise in anderen Comics nicht behandelt werden: Themen mit einem deutlichen politischen Hintergrund
und solche, die sich mit tabuisierten Gebieten wie Religion und
Sexualität befassen. Dies bedeutete eine Art formelle Opposition gegen
die Regierung."32
30Margarita
Jaramillo, ebda., in: Kagelmann (1991: 17)
ist das Geburtsjahr von Quinos Mafalda.
32Interview mit Charles M. Tatum im August 1978, entnommen: ders.: "Rius: der Comics-Autor als
Sozialkritiker und politischer Unruhestifter", in: Kagelmann (1991: 55-70, 58f.)
311963
8
Unter der Regierung Díaz Ordaz kam es zu mehreren Konflikten mit den
staatlichen Behörden, in deren Verlauf Los Supermachos zensiert und der
Autor selber zeitweilig verhaftet wurde.33 Nach mehrmaliger Zensur durch
den Leiter des Meridiano-Verlags gab del Río schließlich seine Arbeit an
dieser Comicsserie auf und gründete 1968 mit Los Agachados eine Nachfolgeserie, die heute parallel zu der von del Ríos ehemaligem Arbeitskreis
unter der Zensur weitererstellten Los Supermachos erscheint.34
Beide Serien erreichten beträchtliche Auflagenzahlen;35 ein größeres
internationales Publikum eröffnete sich der Autor jedoch erst mit seinem
ersten Comicbuch Cuba para principiantes, das 1972 bereits acht Neuauflagen verzeichnete und in sechs Sprachen übersetzt worden war.36 Es folgten andere Bücher ähnlichen Typs, von denen sich die ideologiekritischen
Werke auf dem deutschen Markt besonders gut durchsetzten: Marx für Anfänger (1981), Mao für Anfänger (1982), Kapital Verbrechen (1984) und im
Zusammenhang mit der sandinistischen Revolution in Nicaragua Hallo Nicaragua (1983). Keines der späteren Werke, zu denen auch das hier zu behandelnde La Interminable Conquista de México (1976) gehört, erreichte
jedoch den Verbreitungsgrad des Kuba-Bandes.
In allen Bänden erscheint del Río als "Aufklärer". Kagelmann (1986:
140) formuliert: "Er will Informationen an den Mann bringen, aber
vermutlich ist sein Erfolg darauf zurückzuführen, daß er sich weniger als
Lehrer und Didakt begreift [...], sondern als jemand, der die Leute zum
Nachdenken über Probleme anregen will und das sind in erster Linie die
politischen, sozialen, auch kulturellen Probleme seines Heimatlandes."
Hierzu gehören neben einer Vielzahl von lateinamerikanischen Themen wie
33Ähnlich
wie in Agustín Yáñez Al filo del agua (1947) und Juan Rulfos Pedro Páramo (1955) wird
in Los Supermachos die mexikanische Nation noch 1966 (!) über ein kleines ländliches Dorf widergespiegelt. Zu der überschaubaren Sozialgruppe gehören der dicke Kazike Don Perpetuo, der schon
durch seinen Namen auf die Kontinuität des Latifundismo verweist, die geradezu mittelalterlich
rückständige Betschwester Emerencia, die als komisches Pendant zu Yáñez "mujeres enlutadas" betrachtet werden kann, und allen gegenüber als positives Gegenstück der weise und philosophische aber
arme Indio Juan Calzónzin. Ein prinzipieller Unterschied zu diesen Revolutionsromanen ist neben der
Verwendung von Komik als Hauptkritikmedium die Unmittelbarkeit der Kritik. Letzteres bietet in
Zusammenhang mit der relativ großen Verbreitung des "Anti-Comic" gegenüber den Revolutionsromanen eine Erklärung für die massiven staatlichen Eingriffe in del Ríos Arbeit, während
Yáñez und Rulfo unbelästigt blieben.
34Charles M. Tatum, ebda., in: Kagelmann (1991: 55f.) berichtet, daß del Río 1969 von der Militärpolizei erst in das Gefängnis von Toluca eingewiesen und nach einem Tag in die Berge deportiert
worden war, wo ihm "wegen Verbrechen gegen die Regierung" mit der Hinrichtung gedroht wurde.
35Die Auflage von Los Supermachos betrug bei wöchentlicher Publikation im Durchschnitt 135.000
Stück, auf dem Höhepunkt 200.000 - solange del Río als Zeichner tätig war. Los Agachados begann
mit 50.000 und stieg bis auf 150.000. Solche Auflagen sind für einen Anti-Comic relativ hoch, reichen
jedoch keineswegs an die Popularität traditioneller Unterhaltungs- und Abenteuercomics wie Kalimán
(2 Millionen wöchentlich) heran. / Vgl. Charles M. Tatum, ebda., S. 58
36Rosalva de Valdés (1972: 73)
9
der "Scheinwahl" und "Pseudodemokratie" vor allem das Scheitern der
mexikanischen Revolution, das in La Interminable Conquista de México
und später noch sehr viel ausführlicher und ähnlich erfolgreich in La
Revolucioncita Mexicana behandelt wurde.37 Derzeit schreibt er an
weiteren Serien für Los Agachados und plant weitere Publikationen, deren
Grundlage die Biographien politischer Gefangener in mexikanischen Gefängnissen sein sollen.38 Für del Ríos Stil ist ein "media-mixing" charakteristisch, d.h. in seinem Fall insbesondere eine Einstreuung von Zeitungsausschnitten, Fotos und Gemälde-Reproduktionen in die Zeichnungsserien. Die
Cartoon-Figuren sind meist extrem vereinfacht und haben primär eine
hinweisende und weiterverweisende Funktion.
Abel Quezada Calderón wurde wegen seiner Exemplarität für die Mehrzahl der international und selbst national weitgehend unbekannten Comicsund Karikaturenzeichner ausgewählt, die eben wegen ihrer geringen Popularität mit keiner staatlichen Rücksicht rechnen können. Trotzdem findet der
Rezipient oft gerade in ihren kurzen Bilderreihen, die in den meisten Tagesund Wochenzeitungen zu finden sind, die verdichtetste und prägnanteste
Kritik zu den offiziellen Geschichtsmythen. Del Ríos Stil vergleichbar sind
bei Abel Quezada die Handlungskontexte der Figuren nur sehr rudimentär
skizziert und auch die Figuren selber sind relativ einfach gehalten.. Ähnlich
wie Joaquín Velasco für Uno Más Uno hat Quezada für Excelsior und
Siempre zahlreiche Reihen gezeichnet, von denen im folgenden zwei revolutionskritische aus dem ersten Jahr seiner professionellen Tätigkeit als
Comiczeichner (1957) behandelt werden sollen. Charro Matías, seinem
langjährigen Protagonisten in den täglichen kurzen Comicreihen in
Excelsior, verdankt Quezada eine erste größere Leserschaft.39 Im Rahmen
der beruflichen Umorientierung gründet er mit Máximo Tops eine eigene bis
heute publizierte Comicserie, die jedoch primär einen fiktionalen Boxer und
Ringeralltag thematisiert und auf politische Konfliktthemen weitgehend
verzichtet.40
37Eduardo
del Ríos La revolucioncita mexicana erschien 1986 bereits in der 22ten Auflage, La Interminable Conquista de México 1984 in 18ter Auflage.
38Charles M. Tatum, ebda., in: Kagelmann (1991: 57)
39Maurice Horn (Hg./1980): The World Encyclopedia of Cartoons, Bd. II, N.Y. und London. // Trotz
der Kürze ist Horns Autorenporträt noch eine der detailliertesten, allgemein zugänglichen Abhandlungen zu Quezada. Außerhalb Mexikos wurde der Autor nur sehr begrenzt, vor allem durch einen
Comics-Sammelband bekannt: Abel Quezada (1963): The Best of Impossible Worlds (Prentice-Hall)
40Marsiske, ebda., in: Kagelmann (1991: 43) behandelt Máximo Tops konsequenterweise nicht als
"gesellschaftskritischen Comic" auch wenn man sich dort "auch einmal über die berühmten Boxer und
Ringer lustig macht."
10
5. Revolutionsdarstellungen bei Abel Quezada und Eduardo del Río
5.1. Abel Quezada (1957): Revolución, México41
Abel Quezadas Revolución entsteht im Kontext von Fidel Castros ersten
militärischen Erfolgen im kubanischen Guerillakrieg42 und vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen "institutionalisierten Revolution" in Mexiko,
deren Progressionslosigkeit bei der Einlösung der hochgesteckten Propagandaziele am Ende der Präsidentschaft von Adolfo Ruiz Cortines sehr
deutlich geworden ist.43 So beschreibt Quezadas Bildgeschichte eine endlose zyklische Abfolge von Caudillokämpfen als essentielles Charakteristikum lateinamerikanischer "Revolutionen". Diese führen weder soziopolitisch noch kulturell oder ökonomisch zu einem strukturellen Wandel, Resultate sind vielmehr eine kontinuierliche Pauperisierung der Bevölkerungsmehrheit, die in krassem Gegensatz zu einer zunehmenden Prosperisierung
der jeweils regierenden politischen Elite steht. Wir betrachten im folgenden
die Revolutionsdarstellung des "Anti-Comic" im Detail.
Die ersten Vignetten zeigen, wie der "Generalísimo B" von dem
"Coronel C" mit Unterstützung des Volkes gestürzt wird (V. 2, 3) und der
neue Caudillo anschließend demokratische Reformen und Fortschritt verspricht. Er wird dann aber zunehmend von der Machtfülle korrumpiert, die
ihm durch eine Anerkennung von Seiten der USA (V. 7) und der Armee (V.
8) erwächst. Als neuer Diktator entscheidet er ähnlich souverän wie der zuvor von ihm gestürzte Potentat über das Schicksal von Volk und Land. Verändert hat sich möglicherweise die politische Legitimierung der diktatorischen Herrschaftsform44, vor allem aber die Größendimension von Korruption und Armut. Die neue Geldmenge zu den Füßen des Caudillos "C" (V.
10) und die steigende Anzahl der Geldkoffer bei der Flucht (V. 4, 13) zeigen ihn korrupter und skrupelloser als seinen Vorgänger. Der Kleinbauer ist
41Beigefügt
unter "Anhang I"
militärischen Stand der kubanischen Revolution 1957 vgl. Hugh Thomas (1986): The Cuban
Revolution, London und Herbert L. Matthews (1970): Revolution in Cuba. An Essay in Understanding, New York. Wendemarken, die Quezada zur Zeichnung von Revolución inspiriert haben dürften,
sind Castros Erfolge bei La Plata (17.1.1957) und Arroyo del Infierno (22.1.1957).
43Zu den Propagandazielen der Regierung Ruiz Cortines gehörte neben den traditionellen Zielen einer
Demokratisierung und Prosperisierung des Landes die Beseitigung der strukturellen Korruption.
Ersteres wurde ganz in postrevolutionärer Tradition nie ernsthaft in Angriff genommen, die Wirtschaftspolitik konzentrierte sich - vergleichbar dem neoporfiristischen Kurs von Calles, Avila
Camacho und Alemán - mehr auf eine Förderung der Großindustrie als auf die von einer
Bevölkerungsmehrheit betriebene traditionelle Agrarwirtschaft und die sicher zeitweilig
ernstzunehmenden Maßnahmen gegen die Korruption scheiterten nicht zuletzt an parteiinternen
Interessen. Vgl. im Detail Lerner de Sheinbaum/Ralsky de Cimet (1976): El poder de los presidentes.
Alcances y perspectivas. 1910-1973. México, S. 251-302, Agustín (1991: 119ff.)
44Vgl. Vignetten 1 und 10 mit einer Veränderung der Thronausrichtung von der linken zur rechten
Seite.
42Zum
11
demgegenüber nun mager, hat Flicken auf seiner Kleidung und wird statt
von kleinen Vögeln von Geiern umflogen, die dem zerstörten Land sehr nahe kommen (V. 5, 14). Auch der kärgliche Baum, Symbol geringer Fruchtbarkeit, ist nun im Sterben begriffen. Wieder erhebt sich ein Caudillo (V.
11: Coronel "D") gegen den Diktator und vertreibt ihn, aber auch diesesmal
wird mit der Anlehnung an die USA (V. 15) eine Tradition der Vorgänger
fortgesetzt, die kein Ende des "círculo vicioso" erhoffen läßt.
Der Zyklus gewinnt seinen diabolischen Charakter nicht nur durch die
Kontinuität diktatorischer Regierungsformen, die das Land zunehmend
skrupelloser ausbeuten. Erschreckend ist die politische Kurzsichtigkeit der
Volksmasse, die immer wieder mit der gleichen Begeisterung den nächsten
Caudillo auf seinem Weg zur Macht unterstützt und sich anschließend über
den vermeintlichen Sieg freut (V. 2, 3 / 11, 12). Dieser Hinweis auf "patriachica"-Mentalität und "servilismo"45 spiegelt sich ganz in filmtechnischer
Manier in den Einstellungsgrößen und der räumlichen Anordnung der Figuren wieder. Während der regierende Caudillo überwiegend in der Halbtotalen und immer im Vordergrund gezeigt wird (V. 1, 4, 6, 7, 8 , 9, 10, 13, 15),
erscheint das "pueblo" überwiegend in der "Totalen" (V. 2, 3, 5, 11, 12, 14)
und einmal sogar in einer weiten Einstellung (V. 6).46 Es befindet sich dabei im Hintergrund (hinter dem aufständischen Caudillo, V. 2, 11), oder - in
seiner grenzenlosen Freude, die jede kritische Reflexion ausschließt "kopfüber in der Luft". Wo dies nicht der Fall ist, erscheint ein völlig inaktiver, fast apathischer und von seinem Schicksal beherrschter "campesino"
als Vertreter des mexikanischen Volkes (V. 5, 14).47 Die Wiederholungen
45Hierbei
handelt es sich um Mentalitätsstrukturen, deren Beitrag zum Scheitern der mexikanischen
Revolution in der modernen Historiographie häufig hervorgehoben, wenn auch selten ausführlich
behandelt wird. Vgl. Dietmar Dahlmann (1986): Land und Freiheit. Machnovscina und Zapatismo als
Beispiele agrarrevolutionärer Bewegungen, Stuttgart, S. 215ff. / Alan Knight (1980): Peasant and
Caudillo in revolutionary Mexico. 1910-17, in: D. A. Brading (Hg.): Caudillo and peasant in the
Mexican Revolution, London, S. 37ff./ Dieter Rünzler (1988): Machismo - die Grenzen der
Männlichkeit, Wien, Köln, S. 98ff./ Mols (1983: 12ff.)
46Zur Terminologie vgl. Thomas Kuchenbuch (1978): Filmanalyse, Theorien, Modelle, Kritik. Köln
und Alphons Silbermann (1980): Filmanalyse. München
47Die den "campesino" umkreisenden und ihn so symbolisch gefangen haltenden Vögel gewinnen
existenzielle Bedeutung, rauben sie doch die Saat und damit die Nahrungs- und Überlebensgrundlage.
Die Inaktivität des mexikanischen Kleinbauern gegenüber dieser Fremdbestimmung seines Lebens
kann als Verweis auf den im lateinamerikanischen Roman häufig kritisierten Fatalismus einer
iberoamerikanischen Bevölkerungsmehrheit interpretiert werden. Vgl. das Thema der Gleichgültigkeit
gegenüber dem Tod bei Gabriel García Márquez (1981): Crónica de una muerte anunciada und
Rafael F. Muñoz (1931): ¡Vámonos con Pancho Villa!. Bei Martín Luis Guzmán (1928): El águila y
la serpiente. Madrid, S. 203 weist der athenäistische Ich-Erzähler den Fatalismus als "cosa profundamente mexicana" aus und belegt dies mit dem Verhalten der ruralen Bevölkerungsmehrheit während
der mexikanischen Revolution. Sie reagiere auf alle Veränderungen mit einer "resignación fatal y
fácil" (ebda.) und werde gerade deswegen zum Opfer von Caudillos und deren bewaffneter Klientel.
12
innerhalb des Begleittextes bei gleichen, aber auch bei ähnlichen Bildern
akzentuieren den endlosen zyklischen Charakter des Geschehens.
Auffällig ist der Grad der Stereotypisierung: Quezada zeichnet keine
Individuen sondern Typen, wie z.B. den Diktator als eine Uniform tragende
und mit Orden überhäufte Figur. Vor dem Hintergrund der lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege und der mexikanischen Revolution wird Diktatur hier unmittelbar als Militärdiktatur verstanden, wobei ein Säbel, der
Thron und ein Hut aus dem 19ten Jahrhundert auf den archaischen Charakter dieser Regierungsform verweisen. Einem Klischee entspricht auch die
Flucht des Diktators: Mit Geldkoffern beladen versucht er per Kutsche (V.
4) bzw. per Auto (V. 13) zu entkommen, obwohl bereits Díaz seine Transaktionen 1910 über Banken abgewickelt hatte. Die Korrumpierbarkeit der
politischen Elite wird jedoch über den symbolischen Geldkoffer prägnant
und verständlich zusammengefaßt. Die Widerspiegelung des "pueblo mexicano" über einen Kleinbauern folgt einer ruralen Charakterisierung Mexikos, die im mexikanischen Revolutionsroman bis zum "boom" dominiert.48
Die Vereinigten Staaten werden als konservativ gekleidete Figur reflektiert,
die ebenso die Assoziation "Bankkaufmann" erweckt wie die eines Diplomaten. Insgesamt werden die Klischees so übertrieben herausgestellt, daß
die Gefahr einer Gleichsetzung von Fiktion und Realität ungleich geringer
ist als in den traditionellen Unterhaltungs- und den offiziellen Actioncomics. Der "Anti-Comic" Quezadas betont vielmehr den fiktionalen Charakter der Gattung Comic und verweist damit indirekt auch auf die Artifizialität
der staatlichen Massenprodukte.
Der Bezug zum offiziellen Geschichtsbild wird bereits über den ironischen Titel der Bildgeschichte hergestellt, denn weder die abgebildete noch
die realhistorische Serie von Caudillokämpfen der Jahre 1910 bis 1917 in
Mexiko kann im engeren Sinne als "Revolution"49 bezeichnet werden, auch
wenn Carlos Salinas de Gortari diesen alten Mythos wiederholt im Sinne
einer historischen Legitimation der PRI-Herrschaft reaktualisiert hat.50 Be48Vgl.
Romane wie Mariano Azuelas Los Caciques (1914/17) und Los de abajo (1916), sowie Rafael
F. Muñoz ¡Vámonos con Pancho Villa! (1931), Agustín Yáñez Al filo del agua (1947) und Juan
Rulfos Pedro Páramo (1955).
49Zugrunde gelegt wird die gängige Revolutionsdefinition bei Peter Waldmann (1976): "Stagnation als
Ergebnis einer ´Stückwerkrevolution´", in: Geschichte und Gesellschaft 2, 2, S. 160-187, S. 161f.
Demnach beinhaltet eine Revolution "eine tiefgreifende Umwälzung der Strukturen eines gesellschaftlichen Systems", was sowohl die politische, als auch die soziale, ökonomische und kulturelle
Ordnung betrifft, für deren Entwicklung "neue Orientierungsmarken" gesetzt werden sollen. / Die
offizielle Propaganda einer "institutionalisierten Revolution" wird vor dem Hintergrund dieser Definition als terminologisches Paradoxon betrachtet.
50Vgl. die vierbändige Sammlung von Wahlkampfreden, im ersten Band insbesondere "Suma de revoluciones. La Mexicana es una gran Revolución", in: Salinas de Gortari (1987: 3ff.)/ Zur theore-tischen
Auseinandersetzung mit dem offiziellen Revolutionsmythos und seiner Herrschaftsle-
13
rücksichtigt man das Stilmittel der Übertreibung als ein Heiterkeit provozierendes Charakteristikum der Gattung "Comic", so lassen sich gegenüber
dem offiziellen Geschichtsbild in mehrerer Hinsicht prinzipielle inhaltliche
Übereinstimmungen zwischen der modernen Historiographie und Quezadas
Anti-Comic feststellen. Hierzu gehören sowohl die allgemeine These eines
überwiegenden Scheiterns der mexikanischen Revolution als auch die Annahmen einer massiven Manipulation der Bevölkerungsmehrheit, der
durchgehenden Korrumpierung der Revolutionsführung, eines allgegenwärtigen Machteinflusses der USA und einer im Verlauf der postrevolutionären
Entwicklung tendenziell eher wieder zunehmenden Diskrepanz zwischen
einer pauperisierenden ruralen Bevölkerungsmasse und einer prosperisierenden politischen Elite.
Ein weitgehendes Scheitern der Revolution bestätigt Mols (1983: 69),
wenn er in "den Serien von Einzelrevolutionen, Bürgerkriegen, Cliquenund Caudillokämpfen" nur ein geringes, hauptsächlich auf den Bereich der
Mentalitäten wirkendes "transformatorisches Potential" erkennt, das er auf
die Caudillolenkung der Erhebung von 1910 zurückführt.51 Solch eine
Interpretation steht in krassem Gegensatz zu der offiziellen Version einer
vom Volk angeführten und bis heute kontrollierten siegreichen Revolution,
die zu den Leitideen von Salinas Wahlkampf gehörten und die von diesem
selber wie folgt resümiert wird:
"Con ustedes [campesinos, obreros, grupos populares] el Partido [...] ha
podido adaptarse al cambio, vencer obstáculos, incorporar nuevas ideas,
adoptar nuevos métodos, actuar siempre con flexibilidad, sin quebrantar
la línea esencial de la Revolución Mexicana. Campesinos, obreros y
grupos populares son las clases mayoritarias del país las que, aliadas en
nuestra organización política han definido, definen y seguirán
definiendo el rumbo de la Nación."52
Die in der zweiten Bildgeschichte Quezadas wiederaufgegriffene Darstellung der politischen Elite folgt der populären Korrumpierungsthese, die
auch Tobler teilt, wenn er als Nutznießer bei der Distribution neuer Latifundien hauptsächlich "ehemalige Revolutionsführer, ihre Nachkommen
und Protegés wie auch [....] postrevolutionäre Politiker" identifiziert.53
gitimierungsfunktion insbesondere GRAL (1985) und (1982) mit Aufsätzen von Carlos Monsivais und
Enrique Florescano; außerdem Florescano (1981): "Los historiadores y el poder", in: Nexos 4, 46,
1981, S. 27-37 und Monsivais (1972): "Mi sangre aunque de héroe también tiñe de rojo", in: La
Cultura en México (Beiblatt zu Siempre) vom 10.5.
51Ähnlich bei Tobler (1984: 14ff.)/ Einen aktuellen Überblick gibt das im Auftrag der UNAM (1986)
durchgeführte Interview.
52Salinas de Gortari (1987: 5)
53Hans Werner Tobler: "Bauernerhebungen und Agrarreform in der mexikanischen Revolution", in:
Mols/ders. (1976: 115-170, 165)
14
Smith bestätigt die Korruption als Strukturmerkmal des PRI-Systems und
begründet dies ausführlich als eine Folge der "No-Reelección"-Politik.54 Es
versteht sich, daß im offiziellen Diskurs jeder systembedingte Kausalbezug
negiert wird. Die Immunisierung des Präsidenten wegen dessen Doppelfunktion als Regierungs- und Staatschef schließt zudem persönliche Korruptionsvorwürfe weitgehend aus.55 Die Existenz von Korruption wird
vielmehr als allgemeines moralisches Problem behandelt und gelegentlich
sogar ihre Beseitigung zu einem vorrangigen Regierungsziel deklariert (vgl.
die Regierungserklärungen von Ruiz Cortines und Salinas de Gortari).
Auch die Darstellung einer hohen Dependenz der "Revolutionsregierungen" von den USA - zentral in Del Ríos La Interminable Conquista de
México - folgt realhistorischen Strukturmerkmalen der mexikanischen
Revolution. Die Waffenkäufe Maderos in Nordamerika, seine Ermordung
unter Beteiligung des amerikanischen Botschafters Henry Lane Wilson, die
Besetzung von Veracruz durch US Marines im April 1914 und Pershings
Strafexpedition 1916 sind nur die bekanntesten Beispiele für die
nordamerikanische Bereitschaft zu einer aktiven Kontrolle des mexikanischen Revolutionsverlaufs. Hinzu kommt eine chronische Instabilität der
Revolutionsregierungen, ihre Abhängigkeit von Waffenkäufen in den USA
und der Wunsch, den Kriegsgegnern die Waffenkäufe zu erschweren. So
mußte jeder Revolutionsregierung an einer Anerkennung und Legitimierung
ihrer Herrschaft durch die Regierung in Washington gelegen sein.56
Der offizielle Diskurs hat solche äußeren Einflüsse auf den Revolutionsverlauf ebenso wie ökonomische und politische Abhängigkeiten der zeitgenössischen PRI-Regierungen im Zeitraum der Entstehung und Publikation
von Quezadas ersten Bildgeschichten weitestgehend verschwiegen. So konstatiert Mols ein "nahezu völlige(s) Fehlen außenpolitischer Aggressivitäten" bei den mexikanischen Regierungen der 40er, 50er und 60er Jahre und
resümiert dies als eine "Politik des ´low profile´", die "auch eine natürliche
Folge der allgemeinen Dependenzsituation wie der speziellen Verflochtenheit mit den USA" sei.57
54Peter
H. Smith (1979): Labyrinths of Power. Political Recruitment in 20th Century Mexico. Princeton, S. 164ff., 184f.
55Vgl. Martin C. Needler (1982): Mexican Politics. The Containment of Conflict. New York, S. 91 /
Adolfo Ruiz Cortines Kritik an der Korruption im Beamtenapparat seines Vorgängers Miguel Alemán
ist in ihrer Schärfe und Unmittelbarkeit eher die Ausnahme, aber auch hier erfolgte kein persönlicher
Korruptionsvorwurf.
56Die mexikanisch-amerikanischen Beziehungen während des Revolutionsverlaufs werden von Tobler
(1984: 426-444) prägnant zusammengefaßt.
57Manfred Mols: "Mexiko unter Luis Echeverría Alvarez (1970-1976)", in: ders./Tobler (1976: 171230, 207)/ Sehr ähnlich formuliert Riding (1987: 331) für die mexikanische Außenpolitik nach dem
Zweiten Weltkrieg: "Mexiko suppressed its sentiments towards the United States in the name of
15
Im gegenwärtigen Mexiko wurde der traditionelle Kurs einer engen
Anlehnung der postrevolutionären Regierungen an die USA wieder reaktualisiert - nach einer kurzen Phase relativ aktiver, auf Lateinamerika zentrierter Außenpolitik der Echeverría Administration. Die unter de la Madrid
einen gefährlichen Höhepunkt erreichende Staatsverschuldung und das zunehmende weltwirtschaftliche Interesse, welches Mexiko unter Salinas de
Gortari in die Nafta integrierte, legte nicht nur einen weitgehenden Verzicht
auf anti-nordamerikanische Darstellungen im offiziellen Geschichtsbild nahe,58 sie mündeten auch in einer zunehmenden staatlichen Kritik an den
bekannten Dependenzthesen. Quezadas Revolución besitzt somit eine ungebrochene Aktualität.
5.2. Abel Quezada (1957): Sin Título, México59
Die zweite Bildgeschichte von Quezada, die 1957 ohne Titel in Siempre
veröffentlicht wurde, führt die bei Revolución angedeutete Korrumpierung
des revolutionären Caudillos als Folge von Machtakkumulation weiter aus.
Leitidee ist die populäre These von einem Verrat an den Revolutionsidealen, die wenige Jahre später von Carlos Fuentes in La muerte de Artemio
Cruz (1962) sehr detailliert aufgegriffen wird. Nicht zufällig entsteht Quezadas Bildgeschichte am Ende der Präsidentschaft von Ruiz Cortines,
zeichnete dieser doch die bis dahin in der mexikanischen Geschichte
höchsten Auslandskredite und förderte massiv ausländische Investitionen.60
Bei Oppositionsgruppen brachte ihm dies den Ruf ein, ganz in der Tradition
seines Vorgängers Alemán den "Ausverkauf des Landes" weiter vorangetrieben zu haben.61 Wir betrachten im folgenden die Gegenbilder von Quezadas "Anti-Comic" im Detail.
promoting domestic economic development and avoiding any appearance of involvement in the Cold
War."
58Ein wichtiger Schritt ist die Neudefinition des "nacionalismo mexicano" durch Salinas de Gortari
(1990: 6f.): "El nacionalismo mexicano tiene hoy nuevas vías. La soberanía no es algo rígido [...]
Dada la creciente globalización de las relaciones comerciales del mundo, es indispensable una
vinculación a los grandes centros económicos. Sin la interrelación el riesgo es mayor: la
desintegración".
59Beigefügt unter "Anhang I"
60Die Auslandsverschuldung des Staates stieg von Avila Camacho bis zum Ende der Regierung von
Miguel Alemán (1952) von 278 Millionen US-Dollar auf 346 Millionen; die ausländischen Investitionen erhöhten sich im gleichen Zeitraum von 2824 Millionen Pesos auf 6302 Millionen. Bis zur
Amtsniederlegung von Adolfo Ruiz Cortines (1958) verdoppelten sich beide Ziffern auf 602 Millionen
US-Dollar und 14619 Millionen Pesos. Vgl. Bernardo Sepulveda/Antonio Chumacero (1973): La
inversión extranjera en México. México, S. 115ff. / Mols (1983: 108) verweist auf zeitgleich prozentual fallende Sozialausgaben.
61Vgl. Lerner de Sheinbaum / Bertha Ralsky de Cimet (1976): El poder de los presidentes. Alcances y
perspectivas. 1910-73. México, S. 254, 267ff., 294ff./ Mols/Tobler (1976: 69ff.)
16
Die kleine Bildreihe erzählt die politische Laufbahn eines
"Revolutionärs" vom Rädelsführer (1910) bis zum pensionierten Minister
(1957). Die Pointe steckt in dem radikalen Wandel vom jungen idealistischen Kämpfer zum dekadenten alten Mann, dessen Hauptsorge der Golfsport ist. Komisch wirkt auch die gleichbleibende revolutionäre Rhetorik.
Der dekadente Rentner, der ebenso wie der Revolutionär als "cabecilla" bezeichnet wird, spricht noch genauso fordernd wie vor 47 Jahren ("¡Abranse
que ahí voy!"). Die Bilder entlarven seine Rhetorik jedoch als lächerlich,
denn schießlich geht es ihm nur noch um das Einlochen eines Golfballes.
Der Widerspruch löst sich in der Korrumpierbarkeit auf: Der einst kommandierende Revolutionär gab seine Position zugunsten einer politischen
und ökonomischen Karriere auf. Er integrierte sich in die neue Gesellschaft
(des PRI-Systems) und gewöhnte sich an die Entgegennahme von Befehlen.
So stieg seine gesellschaftliche Stellung vom einfachen "cabecilla" zum
"teniente" und "diputado" bis zum "senador" und "ministro" und parallel
dazu auch der Luxus seiner Umgebung. Als altem Mann bleibt ihm nach
den jahrzehntelangen Staatsdiensten nur noch ein materiell sorgenfreies Leben und die revolutionäre Rhetorik. Fragwürdig ist, wer diese Rhetorik noch
ernst nehmen kann.
Die Komik wird durch den karikaturistischen Zeichenstil, durch eine
extreme Beschränkung der Erzählzeit, einen Wechsel der Attribute und
auch eine Veränderung der Achsenverhältnisse unterstützt. Bei den Attributen ist zunächst auffällig, daß von der ersten zur zweiten Vignette das Gewehr durch ein Tablett mit Wasserkrug und Glas sowie die einfache ländliche Kleidung durch eine Uniform ausgetauscht werden. Der Revolutionär
verwandelt sich so in einen uniformierten Kellner. Danach wird das Telefon
zu einem Symbol des Gehorsams, denn hierdurch nimmt der Protagonist die
nächsten 27 Jahre lang seine Befehle entgegen. Immerhin verwandelt sich
der fremde Apparat an der "Hotelrezeption"(?) schließlich in ein luxuriöses
eigenes Telefon. Die Beschränkung auf sechs Vignetten suggeriert die
Schnelligkeit dieser Veränderung und verdichtet die "revolutionäre Laufbahn" auf zentrale Karrierestationen, welche die Korrumpierung prägnant
wiedergeben. Auch in den einzelnen Zeichnungen beschränkt der Autor sich
auf das Wesentliche. Hierdurch wirkt besonders die Vignette fünf komisch,
in welcher der Minister und sein Telefon sich scheinbar alleine an einem
unbestimmbaren Ort befinden. Ebensowenig sind die anderen Situationen
lokal oder regional fixierbar - ein Verweis auf die Allgegenwärtigkeit
postrevolutionärer Korrumpierung in Mexiko. Das horizontale und vertikale
Achsenverhältnis verändern sich insgesamt wenig. Umso auffallender ist,
17
daß die dominante Normalsicht der langnasigen Comicfigur62 ausgerechnet
für die Höhepunkte ihrer politischen Karriere (Senator, Minister) durch eine
"Aufsicht 2" ersetzt wird und daß die durchgehende Profilsicht auf dem
Kulminationspunkt (Minister) einem "en-face"-Porträt am nächsten kommt.
So suggeriert der Zeichenstil eine mit der politischen Karriere wachsende
Unterlegenheit des Protagonisten als Befehlsempfänger und lädt zu einer
erneuten Reflexion und Evaluation solcher "Karrieren" ein.63
Die in Quezadas Bildgeschichte aufgegriffene These eines Verrats an der
Revolution durch egozentrische Machtaspiranten resümiert López Urrutia
mit Blick auf den Tenor im mexikanischen Revolutionsroman sehr
prägnant:
"La Revolución fue traicionada [...] se convirtió en un lema hueco,
piadosamente invocado por banqueros, líderes sindicales corruptos y
oradores tan cínicos como cursis. El germen de la traición existe ya
durante el período militar, ya que hay revolucionarios que luchan, como
en Los de abajo, sin ideales y sin saber por qué. Artemio Cruz por
ejemplo [en Fuentes La muerte de Artemio Cruz] cree que la Revolución es sólo lealtad a los jefes."64
Diese "lealtad a los jefes" bestimmt - spätestens seit 1920 - auch den Lebensweg von Quezadas Protagonisten und erscheint als Grundlage für dessen politische Karriere.
Auch wenn die These eines "Revolutionsverrates" sehr umstritten ist,65
so bleibt doch festzustellen, daß die Politik der PRI-Regierungen einer kapitalistisch-großbürgerlichen Richtung gefolgt ist, die mit den so häufig als
Modell zitierten zapatistischen Revolutionsidealen kaum etwas gemein
hat.66 Einen Höhepunkt dieser großbürgerlichen Ausrichtung markieren
62Die
lange Nase könnte mit der Bedeutung von Heuchlerei (vgl. den "enano narigudo") in Verbindung gebracht werden; in jedem Fall dient sie einer Ridikülisierung der Figur.
63Es ist auffällig, daß die letzte Stufe dieser "Karriere", die Präsidentschaft, ausgelassen bzw. durch
die Ehefrau oder Geliebte ersetzt wird. Möglicherweise hat Quezada nicht gewagt, diese im offiziellen
Diskurs sakrosankte Figur direkt zu ridikülisieren.
64Marta Margarita López Urrutia (1973): México y lo mexicano en la obra de Carlos Fuentes. University of Arizona, S. 184 / Vgl. auch Armando de María y Campos zum Beginn des Revolutionsverrates (1962): Episodios de la Revolución. Carranza y el Constitucionalismo. México, S. 236: "El
gobierno de Carranza [...] se derrumbó por haber faltado a todas las promesas revolucionarias; por
haber establecido la corrupción como sistema y haber implantado el reinado de los favoritos."
65In der modernen Historiographie dominiert mittlerweile die Auffassung, daß die Revolution insgesamt einen bürgerlichen Charakter hatte und nicht etwa erst nachträglich in diesen Charakter pervertierte. Ein früher Vertreter dieser Meinung ist Dagoberto Fuentes (1971): La desilusión de la revolución mexicana de 1910, vista en la obra de Carlos Fuentes. Los Angeles, S. 9: "Yo creo pues que la
revolución mexicana [...] fue fiel, fue fiel a todos sus principios políticos reales, sus intereses de clases
reales; nunca pretendió ser una revolución proletaria, socialista."
66Die Argumentation ist einer gängigen Forschungsposition um Arnaldo Córdova zu entnehmen, der
die Erhebung von 1910 wiederholt als "revolución burguesa" charakterisiert hat. Vgl. Córdova in dem
zitierten UNAM-Interview (1986: 27). Außerdem Arnaldo Córdova (1981): "México. Revolución burguesa y política de masas", in: ders. (u.a.): Interpretaciones de la revolución mexi-cana, México, S.
18
Quezadas Bildgeschichte und Fuentes La muerte de Artemio Cruz übereinstimmend im Sexenium des Präsidenten Miguel Alemán in der Form,
daß die Protagonisten in diesem Zeitraum den Höhepunkt ihrer politischen
bzw. sozioökonomischen Karriere erreichen.67 Ebenso übereinstimmend
signalisieren sie eine ökonomische Stabilisierung für das Leben ihrer
Protagonisten unter der Präsidentschaft von Ruiz Cortines, was mit der
gängigen Bewertung des Ruizcortinismo als Stabilisierungsepoche durchaus
in Einklang zu bringen ist.68
All dies steht in strengem Gegensatz zu dem offiziellen Bild einer
"Revolución en marcha", das der Historiker Romero Flores 1960 ausführt:
"ayer destrucción y dolor, hoy esperanzas, que van cuajando cada día en
realidades para la felicidad de nuestra patria."69 Ruiz Cortines selber hatte
zuvor den mit diesem Geschichtsbild unlösbar verbundenen hohen moralischen und sozial uneigennützigen Kollektivwillen der politischen Elite
Mexikos mehrfach herausgestellt: "Con lealtad y probidad velaremos por
los intereses espirituales, morales y materiales de nuestros compatriotas y
defenderemos, por convicción y por deber, la dignidad del hombre, la respetabilidad de la familia y la soberanía de la Patria."70 Der fiktionale Artemio
Cruz und - in noch weit verdichteterer Form - Quezadas lustige Comicfigur
ridikülisieren den Mythos einer "institutionalisierten Revolution" als vollständig realitätsferne Rhetorik. Sie enthüllen ihn in seiner herrschaftslegitimierenden Funktion und bereiten so den Weg für eine kritische Betrachtung des nachrevolutionären Systems, die sich in der modernen Historiographie erst nach dem Tlatelolco Massaker durchzusetzen vermag.
55-89/ Enrique Semo (1981): "Reflexiones sobre la revolución mexicana", ebda., S. 135-150, S. 135:
"La revolución mexicana es el concepto fundamental de la ideología burguesa contemporánea en
nuestro país."
67Zu Quezadas Bildgeschichte vgl. die Vignette 5 "1950: Ministro". Zum Werdegang des fiktionalen
Artemio Cruz formuliert López-Urrutia (1973: 187): "Se convierte Artemio en uno de los hombres
más ricos e importantes del país, y durante el alemanismo su imperio económico llega a su jauja y
consolidación definitivas."/ Ähnlich bei Fernando Moreno (1989): Carlos Fuentes. La mort d´
Artemio Cruz entre le mythe et l´histoire. Paris, S. 97
68Agustín (1991: 119) gibt dem Zeitraum von 1952 bis 1958 den Titel "El desarrollo estabilizador".
Mols (1983: 105) bezeichnet Ruiz Cortines und seinen Nachfolger López Mateos als "mittlere
Präsidenten", die "in alter Tradition ohne radikalen Bruch mit der Politik des Vorgängers" fortfahren.
69Jesús Romero Flores (1960): Del porfirismo a la revolución constitucionalista. México, S. 8/ Vgl.
Salinas de Gortari (1987: 10): "Desde 1917 ha ocurrido el cambio bajo nombres diferentes, pero con
el mismo propósito: reconstrucción se le llamó en los años veinte; revolución en los treinta [...]
después fue desarrollo; hoy ha reencontrado sus orígenes al convertirse en renovación social."
70Adolfo Ruiz Cortines, zitiert in: Carlos Chico Alatorre (1953): Cauce y Horizontes de la Revolución
Mexicana. México, S. 177
19
5.3. Eduardo del Río (1976): La interminable Conquista de México,
México71
In La Interminable Conquista de México resümiert Del Río am Ende der
Präsidentschaft von Luis Echeverría Alvarez72 die mexikanische Geschichte
als eine Serie zyklisch immer wiederkehrender Phasen von Eroberungen
und Ausbeutungen des Landes durch ausländische Mächte. Die Mächte selber und auch ihre "Eroberungspraktiken" haben sich im Verlauf historischer
Entwicklungen verändert, die Grundkonstellation einer Fremdherrschaft
über Mexiko, die von eigennützigen oder naiven Caudillos und Kaziken innerhalb des Landes gestützt wird, unterliegt nach "Rius" keinem fundamentalen Wandel. Wir betrachten im folgenden die Titelseite und den Abschnitt
über die mexikanische Geschichte von 1910-17 im Detail.
Die Titelseite akzentuiert die Verfolgung eines unbewaffneten Indio
durch einen Conquistador, der selber wiederum von einem "Gringo" gejagt
wird. Alle drei Figuren sind bei geringen historischen Vorkenntnissen über
ihre Kleidung unmittelbar identifizierbar, ihre Größendimension (vom Verfolgten zum Verfolger ansteigend), das Netz als gemeinsames Attribut von
Conquistador und Nordamerikaner sowie der Laufschritt aller drei Figuren
stellen die Szene als Verfolgungsjagd heraus. Der spanische Soldat verweist
über sein Schwert auf den gewaltsamen Charakter seiner Jagd, während der
Zylinder des Amerikaners die ökonomische Macht betont. Insgesamt handelt es sich um eine bildlich-pointierte Vorentlastung des Titels, der als
Textblock unmittelbar folgt. Der Beginn (mitten im Titel), die Reihung der
einzelnen Wörter ohne Rücksicht auf Wortgrenzen und Seitenbegrenzungen
und der versetzte Zeilenanfang verweisen auf die Unendlichkeit der Conquista. Den Abschluß bildet eine Sonne - möglicherweise die aztekische
Gottheit Tonatiuh. Sie weint und verbleibt so als Symbol des ausgebeuteten
Mexiko.
Aus dem Textausschnitt zur mexikanischen Revolution73 ist zu entnehmen, daß der Sturz von Porfirio Díaz, der militärische Erfolg Maderos, dessen Ermordung während des Huerta-Putsches und der Sturz Huertas auf eine, primär ökonomischen Interessen folgende Herrschaftsstabilisierungs71Ausschnitte
beigefügt als "Anhang II und III"
erste Auflage von La Interminable Conquista de México erschien 1976. Die hohe Rezeption in
den Folgejahren (1984 erschien die 18te Auflage) legt es aber nahe, anstelle einer einfachen Fokalisierung der Echeverría-Administration (1970-1976), die Präsidentschaften von López Portillo (19761982) und De la Madrid (1982-1988) mitzuberücksichtigen und in ihrer Exemplarität für das postrevolutionäre politische System auf strukturelle Kontinuitäten hin zu untersuchen.
73Wegen der extremen Verdichtung der Revolution in La Interminable Conquista de México erscheint
die exemplarische Behandlung der dortigen Seiten sinnvoller als die Fokalisierung eines
Textausschnittes von La Revolucioncita Mexicana. Bei letzterem Werk wäre im Rahmen dieses Aufsatzes eine Beschränkung auf ein einziges Detail des Revolutionsverlaufes notwendig gewesen.
72Die
20
politik der USA zurückzuführen ist. Klare Bezüge sind die Ausrüstung der
maderistischen Armee mit nordamerikanischen Waffen, die Beteiligung des
amerikanischen Botschafters Henry Lane Wilson an Sturz und Ermordung
Maderos zugunsten Huertas und schließlich ein vehementer politischer
Druck gegen Huerta, der in der militärischen Okkupation von Veracruz
(21.4.1914) kulminiert. Die Bildgeschichte arbeitet mit einer monokausalen
Verkürzung der Revolutionsereignisse auf den Einfluß der USA. Für del
Ríos Zeichenstil typisch sind die Informationen fast ausschließlich dem
Begleittext oder Sprechblasen außenstehender Beobachter zu entnehmen.
Die "grobschlächtigen" Hauptfiguren verweisen oft auf solche "Randtexte",
so der triumphierende "gringo" (V. 5) mit Frack und Zylinder, in dessen
Rücken der Kommentar die ökonomischen Interessen der USA zusammenfaßt: "¿Es que los gringos simpatizaban con la Revolución Mexicana? No.
Pero les interesaba muchísimo ´controlarla´..." Charakteristisch ist auch die
Funktion der Komik als Medium, das den Rezipienten zu den kritischen
Aussagen des Autors führt. Die Karikatur provoziert Heiterkeit durch die
Simplizität ihrer Zeichnung und durch fehlerhafte Proportionen (Kopf und
Hut überdimensional, Arme und Beine extrem verkürzt), ähnlich "lustig"
wirkt zunächst der Widerspruch von Aussage und Gedanke, der durch die
Sprechblase komprimiert wiedergegeben und unmittelbar dem "Gringo" zugeordnet wird: "¡Viva la Revolución! (Pero no mucha...)" Spätestens der
eher informative als unterhaltende Randtext lenkt aber den belustigten Rezipienten auf eine ernste Seite des Inhalts, die das Verhalten des "Gringo"
als Ausdruck einer in fremdem Machtinteresse begründeten Hypokresie erklärt. Die nächsten Vignetten verweisen mit dem politischen Mord an Madero und einer Marginalisierung der mexikanischen Bevölkerungsmehrheit74 auf ernstzunehmende Folgen der nordamerikanischen Interventionen
für das Scheitern der mexikanischen Revolution.
In Vignette 2 übernehmen Comicfiguren die Rolle des Rezipienten und
stellen die Leitfrage: "¿Por qué entonces los gringos dejaron de apoyar a
don Porfirio y ayudaron a Madero?" Die Antwort erfolgt in den beiden
nächsten Vignetten. Als Gründe erscheinen die ökonomische Hinwendung
des alten Diktators nach Europa und das Interesse der Vereinigten Staaten,
eine wahrscheinlich unaufhaltsame Revolution kontrollieren zu wollen. Exemplarisch für del Ríos "media-mixing" wird das kopierte Bild der Freiheitsstatue in die Vignettenreihen eingefügt. Die Statue wirkt dadurch
74Der
Darstellung in Martín Luis Guzmáns (1928): El águila y la serpiente sehr ähnlich zeichnet del
Río in La Interminable Conquista de México (1984) und La Revolucioncita Mexicana (1986) den
Revolutionsverlauf als eine Serie elitärer Machtkämpfe, in denen der Bevölkerungsmehrheit nur eine
sehr marginale politische Bedeutung zukommt.
21
realistischer und gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf
die zynische Identifikation des an der Ermordung Maderos beteiligten
Botschafters Henry Lane Wilson mit amerikanischen Freiheitsidealen
gelenkt. Auffällig ist auch die Adaptation gängiger Kinotechniken. Del Río
variiert insbesondere die Einstellungsgrößen und Achsenverhältnisse, um
die Ausbeutung des mexikanischen Volkes durch "die kapitalistischen
Nordamerikaner" und durch skrupellose Caudillos hervorzuheben.75 Das
über den Kleinbauern personifizierte mexikanische Volk wird immer aus
der "Aufsicht" (Vogelperspektive) in "Totaler" bzw. "Halbtotaler" (V. 1, 5)
gezeigt, Caudillos und Nordamerikaner dagegen aus "Normalsicht" bzw.
"Untersicht" und meist "halbnah" (V. 3, 6, 7 / 4, 10). Die These einer Determinierung des Revolutionsverlaufs durch Caudillos und Nordamerikaner
wird mit solchen, Überlegenheit suggerierenden Mitteln unterstützt. Neben
dem horizontalen ist auch der vertikale Neigungswinkel zu beachten. Die
Figuren werden meist im Profil gezeigt, was die Distanz zum Rezipienten
zunächst vergrößert und ihn zum Beobachter einer Handlung degradiert, die
del Río vor ihm ablaufen läßt. Ein gleichgerichtetes Achsenverhältnis, bzw.
ein "en face"-Porträt, ist nur beim Volk (V.1, 5) sowie einmal bei Huerta
(V. 7) und dem amerikanischen Präsidenten (V. 11) gegeben. Die beabsichtigten psychologischen Wirkungen sind unterschiedlich: Während sich bei
der Hilflosigkeit evozierenden Darstellung des Volkes Identifikationsmöglichkeiten anbieten, führen die negativ besetzten Bilder des betrunkenen
zynischen Caudillos und des verbitterten, ratlosen nordamerikanischen Präsidenten eher zur Konfrontation. In beiden Fällen wird der Rezipient durch
das gleichgerichtete Achsenverhältnis zur Auseinandersetzung mit der
Handlung aktiviert. Wie bei Quezadas Comic-Reihen so kommt auch hier
den Attributen eine Schlüsselfunktion zu: Der Zylinder des nordamerikanischen Repräsentanten betont eine kapitalorientierte Ausrichtung der USPolitik, während das Kognakglas über Huertas Alkoholkonsum auf dessen
geringe Eignung als mexikanischer Präsident verweist. Beide Attribute laden zunächst zum Lachen ein, akzentuieren aber gleichzeitig auch durchaus
ernst bzw. tragisch zu bewertende Folgen. Die Komik der Attribute lenkt so
auf die sozialkritische Dimension der Bildgeschichte.
Im Vordergrund der Sozialkritik steht ein Phänomen, das Mols ganz im
Tenor der modernen Historiographie als "Mexikos permanente Depen-
75Die
Korrumpierbarkeit mexikanischer Caudillos und deren enge Anlehnung an nordamerikanische
Investoren sind Themen, die auch Carlos Fuentes (1962) in seinem Revolutionsroman La muerte de
Artemio Cruz aufgegriffen hat.
22
denzsituation"76 bezeichnet. Die in einer erheblichen Staatsverschuldung
und hohen ausländischen Investitionen manifestierte ökonomische Abhängigkeit Mexikos ist im Verlauf der postrevolutionären Regierungen
erheblich angewachsen.77 Als Bilanz für das mexikanisch-nordamerikanische Wirtschaftsverhältnis am Ende der Amtszeit von Präsident
Echeverría, dem Entstehungszeitraum von La Interminable Conquista de
México, konstatiert Mols:
"Knapp zwei Drittel des mexikanischen Außenhandels werden mit den
USA abgewickelt, es gibt die Probleme der besonderen Importquoten
für mexikanische landwirtschaftliche Erzeugnisse, der Weiterverarbeitungsbetriebe an der Grenze, der Versalzung des unteren ColoradoBeckens, der mexikanischen Gastarbeiter etc., vor allem aber das Phänomen der partiellen Außenfinanzierung der mexikanischen Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik durch internationale Finanzierungsinstitute mit starkem US-Einfluß."78
Der Stellenwert der "mexikanischen Revolution" ist in diesem Kontext
einer permanenten Dependenz sehr fragwürdig. Trotz vieler Ansätze zum
Abbau der nordamerikanischen Machteinflüsse,79 kann zu keinem Zeitraum
von einem fundamentalen Bruch mit der vorrevolutionären Dependenz
gesprochen werden. Ein Grund dürfte in der von Quezada pointiert
zugespitzten Beeinflussung des Revolutionsverlaufs durch Interventionen
des nordamerikanischen Nachbarn zu suchen sein. So konstatiert Tobler
76Manfred
Mols: "Mexiko unter Luis Echeverría Alvarez (1970-1976)", in: ders./Tobler (1976: 171230, 205)/ Vgl. auch Leopoldo Zea (1980): "Latinoamérica y el Tercer Mundo", in: Steger/ Schneider
(Hgg.): Wirtschaft und gesellschaftliches Bewußtsein in Mexiko seit der Kolonialzeit. München, S. 1746, S. 41. Er formuliert, daß bei aller kulturellen und soziopolitischen Verschieden-heit der
lateinamerikanischen Staaten die gemeinsame "dependencia" als ein verbindendes Hauptcharakteristikum bei der "unidad"-Diskussion zu behandeln ist.
77Mols (1976), ebda., S. 216f. zur Auslandsverschuldung: 1950 = 0.8% des Bruttosozialproduktes/
1970 = 22% (7.2 Mrd. US-Dollar)/ 1974 = 28% (ca. 22 Mrd. US-Dollar). Nahezu die Hälfte der
Schuldensumme stammt 1974 von amerikanischen Privatbanken. Der negative Saldo für Außenhandel
und Dienstleistungen betrug 1970, zu Beginn der Echeverría-Administration, noch 1,2 Mrd. USDollar, 1975 bereits 5,4 Mrd.. Parallel wurden verstärkt Kredite im Ausland aufgenommen: 1970 noch
1,1 Mrd. US-Dollar, 1975 5,2 Mrd. US-Dollar./ Judith Adler Hellman (1983): Mexico in crisis. New
York, London, S. 62f. zur Situation beim Amtsantritt von De la Madrid (Auslandsver-schuldung
1982: 80 Billionen Pesos): "Mexico had earned the dubious distinction of being the most indebted
country in the world."/ Vor dem Hintergrund einer Entwicklung Mexikos unter Echeverrismo und
Lopezportillismo konstatiert Mols eine "wachsende Dependenzsituation", die wahrscheinlich "der
Machterhaltung des Regimes der Institutionalisierten Revolution zugute gekommen" sei. Manfred
Mols: "Faktoren der politischen Stabilität Mexikos", in: Steger/ Schneider (1980: 521-543, 535)
78Manfred Mols, ebda., S. 211
79Der Artikel 27 der Verfassung von Querétaro, der über die Deklaration mexikanischer Bodenschätze
als Eigentum der mexikanischen Nation die Möglichkeit von Enteignungen ausländischer Ölförderer
und Minenbesitzer bot, war Zentrum langjähriger Spannungen zwischen nordamerikanischen
Regierungen und den Regierungen Carranza bzw. Obregón. Die 1938 dann unter Lázaro Cárdenas
erfolgende Nationalisierung des Erdöls reaktualisierte den alten Konfliktstoff zeitweilig. Vgl. Manfred
Mols (1983: 85ff.) Detaillierter bei Karl M. Schmitt (1974): Mexico and the United States. 18211973: Conflict and Coexistence. New York, S. 163ff. und Octavio Ianni (1977): El Estado Capitalista
en la época de Cárdenas. México, S. 81ff.
23
einen "stets maßgeblichen Einfluß [der USA] auf den Verlauf der
mexikanischen Bürgerkriege"80 und kommt später (1984: 139) zu der
Auffassung, daß das Gewicht der außenpolitischen Faktoren "bisher wohl
eher unterschätzt wurde." Mols (1983: 86) spricht gar von einer "MitKonditionierung der mexikanischen Innenpolitik" durch die USA.81
Ein Detailvergleich der zahlreichen in Del Ríos Comicbuch angesprochenen Interventionen mit den Ergebnissen der modernen Historiographie
würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Insgesamt ist aber auffällig, daß
Del Río einen starken Gebrauch von der "Übertreibung" macht. Hierzu
gehören eine monokausale Verkürzung der Revolutionsabläufe auf den
Faktor USA und eine mitunter dogmatische Verwendung populärer Mythen
zur historischen Erklärung. Beispielhaft ist die Behauptung, der Versuch
einer Besteuerung ausländischer Ölgesellschaften wäre Maderos "sentencia
de muerte" gewesen (V. 6) und die Ermordung Maderos sei auf "órdenes
directas" (ebda.) des amerikanischen Botschafters Henry Lane Wilson
zurückzuführen. Die deutlich pointierte Überspitzung historiographisch
gesicherter Fakten,82 an deren Ende ein ebenso kohärentes wie verzerrendes
Erklärungsmuster mexikanischer Geschichte steht, erleichtert dem
Rezipienten - hier wie auch bei Quezadas Bildgeschichten - die Gewinnung
einer kritischen Distanz gegenüber dem angebotenen fiktionalen
Interpretationsmodell. Erst hierdurch kann eine individuelle Reflexion
mexikanischer Geschichte und eine angemessene Distanz gegenüber dem
vergleichbar kohärenten und noch ungleich realitätsferneren offiziellen Geschichtsbild aufgebaut werden.
6. Schlußwort: Zum emanzipatorischen Potential eines Gegendiskurses
Die über Eduardo del Ríos La Interminable Conquista de México und
zwei kurze Bildreihen von Abel Quezada exemplarisch behandelten "AntiComics" zur mexikanischen Revolutionsgeschichte können als eine eigene,
in Auseinandersetzung mit dem offiziellen Geschichtsbild entstandene Diskursform betrachtet werden. Bei einem Vergleich der zahlreichen Gegenbilder sind weitgehende thematische und formale Übereinstimmungen festzu80Hans-Werner
Tobler (1976): "Zur Historiographie der mexikanischen Revolution 1910-40", in:
Mols/ders. (1976: 4-48, 27)
81Knight (1986: 183ff.) argumentiert eher gegen eine Überbewertung der nordamerikanischen
Interventionen.
82Zu den konspirativ-subversiven Tätigkeiten des amerikanischen Botschafters Henry Lane Wilson
beim Militärputsch gegen die Regierung Madero insbesondere Berta Ulloa (1971): La Revolución intervenida - Relaciones diplomáticas entre México y Estados Unidos (1910-1914). México, S. 26-55,
P. Edward Haley (1970): Revolution and Intervention: The Diplomacy of Taft and Wilson with
Mexico, 1910 bis 1917. Cambridge, S. 21-73 und Karl M. Schmitt (1974): Mexico and the United
States. 1821 bis 1973: Conflict and Coexistence. New York, S. 111-126
24
stellen, die den mexikanischen "Anti-Comic" als ein "Regelsystem institutionalisierter bzw. institutionalisierbarer Aussagen"83 enthüllen. Der durchgehende Verzicht auf die in konventionellen Unterhaltungscomics und offiziellen Comics übliche "Ausmalung" der Figuren und ihrer zeitlichen und
räumlichen Handlungskontexte",84 der weitgehende Verzicht auf eine farbige Gestaltung,85 statt dessen vielmehr eine extrem karikatureske Gestaltung der Zeichnungen bei einer parallel laufenden extremen Übertreibung in
den Begleittexten sind für die Vermittlung von Geschichtsbildern, die dem
offiziellen Revolutionsbild widersprechen, charakteristisch. All dies sind
Mittel, um eine "automatische" Rezeption und damit die Gleichsetzung der
fiktionalen Comickonstrukte mit "historischer Realität" abzuwenden. Sie
erklären sich aus einer Zielsetzung, in deren Mittelpunkt die Hinführung des
Rezipienten zur historischen Reflexion und nicht etwa (wie in den offiziellen Comics) zur Aufnahme vorgegebener Geschichtsbilder steht. Der Rezipient soll zum Transfer der im fiktionalen Text angebotenen "Ideenskizzen"
auf seinen realhistorischen Erfahrungshorizont gelenkt werden. Zu diesen
"Skizzen" gehören die in Revolución (1957) aufgegriffene allgemeine These
eines Scheiterns der mexikanischen Revolution, die in der zweiten Bildgeschichte Quezadas (Sín Título, 1957) thematisierte Korrumpierungsthese
und auch die in La Interminable Conquista de México (1976) behandelte
These einer permanenten Dependenzsituation Mexikos.
Wenn all diese in der modernen Historiographie mittlerweile dominanten
Thesen in den "Anti-Comics" mit den Mitteln der Übertreibung extrem verzerrt bzw. monokausal verkürzt zum Ausdruck gebracht werden, so ist dies
nicht als Primitivismus einer sogenannten Trivialliteratur interpretierbar.
Vielmehr werden über die Parodierung der eigenen kohärenten Ordnung
Resistenzen gegen die dem offiziellen Diskurs innewohnende, dort aber als
83Borsó
(1990: 35)/ Zur Konkretisierung vgl. Michel Foucault (1969) in Archéologie du savoir. Paris
(dt.: Archäologie des Wissens, München 1973). Demnach muß eine "Menge von Aussagen" vier
Kriterien erfüllen, um als Diskurs bezeichnet werden zu können. Sie muß (1.) "auf einen gleichartigen
Objektbereich verweisen", (2.) "eine gleichgeartete Äußerungsmodalität" anwenden, um diesen Bereich zu behandeln, (3.) "gleichgearteten argumentativen Wahlmöglichkeiten und Argumentationsstrategien" folgen und (4.) überindividuellen Charakter haben. (ebda., S. 82) Letzteres, bei Foucault
(1971) in L´ordre du discours, Paris, S. 39ff. detailliert behandelte Kriterium resümiert Borsó (1990:
34) in drei Kriterien. Demnach ist ein Diskurs (1.) eine "das individuelle und soziale Bewußtsein
transzendierende Instanz, welche die Logik der Aussage bestimmt", er hat (2.) eine "interne Logik",
welche die Regelung der Machtverteilung bestimmt und er beinhaltet (3.) "Zwänge, die sich als Zufälle
verschleiern und auf der Ebene des Sprachsystems selber ansiedeln".
84Vgl. die fast naturalistischen Landschaft- und Personenporträts bei der Comicreihe Tarzan. Die
Revolutionsgeschichten in der, von der Secretaría de Educación Pública herausgegebenen Reihe
México. Historia de un pueblo sind zwar künstlerisch mit der Tarzanreihe kaum vergleichbar, zeigen
aber eine sehr ähnliche Präferenz für die "dokumentarisch-realistische" Vermittlung realitätsferner
Konstrukte.
85Der Verzicht auf Farben folgt mitunter auch Kostengründen.
25
"historiographisch" deklarierte (kohärente) Ordnung so ausgebaut, daß "das
System und dessen Schwäche sichtbar werden".86 Im "Anti-Comic" zur
mexikanischen Revolution vermögen Künstler wie Eduardo del Río, Abel
Quezada, Joaquín Velasco und José Palomo das Bestehen und Wirken des
offiziellen Diskurses, oder genauer das der zeitgenössischen offiziellen
Mythen verdichtet zu inszenieren, dadurch angreifbarer zu machen und
letztendlich durch die Zersetzung herrschaftslegitimierender Revolutionsbilder einen Beitrag zur Destabilisierung einer irrationalen Herrschaftsform
zu leisten.
Auch wenn die "Anti-Comics" noch nicht von "der breiten Masse" gelesen werden, so ist ihre Distribution doch ungleich höher als die der von
Borsó (1992) behandelten modernen Romane und "crónicas". Die
Rezeptionsgewohnheiten der mexikanischen Bevölkerungsmehrheit legen
zudem die These nahe, daß sich die "Leserschaft" der "Anti-Comics" in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten erheblich vergrößern wird. Zu betonen ist,
daß Comics neben Fernsehen und Radio die Hauptinformationsträger für
die Masse der mexikanischen Bevölkerung darstellen. Da Fernsehen und
Radio staatlich streng kontrolliert werden, Comics hingegen in der
Vergangenheit kaum zensiert wurden und prinzipiell schwerer zu
kontrollieren sind, liegen gerade hier Möglichkeiten für einen effizienten
Gegendiskurs, eben weil dieser die "breite Masse" erreicht, die
zumindestens einer kontinuierlichen Festigung und Vertiefung ihrer im
allgemeinen sehr oberflächlichen kritischen Bewußtseinsinhalte bedarf, um
einen dauerhaften Mentalitätenwandel zu vollziehen. Das Scheitern der
mexikanischen Revolution hat gezeigt, daß soziale Veränderungen
kurzfristig über eine Verschärfung der jahrhundertealten Tradition
politischer Gewalt nicht zu erreichen sind. Der "Anti-Comic" bietet sich als
eine, auf die Rezeptionsgewohnheiten der Zielgruppe weitestgehend
zugeschnittene Gegendiskursform an, über die langfristig Bewußtseinsänderungen als Grundlage für kollektive Verhaltensänderungen vollzogen
werden könnten. Nicht etwa alternativ, sondern im Kontext von anderen
Gegendiskursen sowie dem Bemühen um eine erhöhte Allgemeinbildung,
aber auch den direkten Ansätzen zum Abbau von Korruption, "Compadrazgo" und oligarchischen Strukturen im Staatsapparat, liegt hier ein
großes emanzipatorisches Potential, das noch relativ wenig genutzt und
noch ungleich weniger gefördert wurde.
86Borsó
(1990: 35f.) verweist auf einen solchen Mechanismus im Zusammenhang mit der regulativen
Funktion der Literatur gegenüber den wissenschaftlichen Diskursen.
26
Resumen:
En conexión con la desestabilización reciente del gobierno mexicano el
autor expresa su escepticismo acerca de la posibilidad de llegar a un cambio
fundamental del sistema político por medio de la violencia. Las esperanzas
para este cambio se concentran en un cambio de mentalidades provocado
por los "anti-discursos". A este terreno pertenecen los "anti-comics" como
forma de arte que tiene la capacidad de reflejar mitos sociales y que se
distingue de otros anti-discursos más tradicionales (como la Novela de la
Revolución) por una distribución relativamente amplia. Considerando las
costumbres generales de recepción se declara que los "anti-comics" son un
"anti-discurso" moderno con la capacidad de contribuir a un cambio de
mentalidades de la masa mexicana.
Como obras ejemplares de un "anti-comic" mexicano se investiga Revolución y una obra sin título (1957) de Abel Quezada, además la parte que
trata la revolución en Eduardo del Ríos La Interminable Conquista de
México (1976). Se descubre que estas obras adaptan y exageran
conscientemente unas tesis centrales de la historiografía moderna para
desestabilizar mitos oficiales que legitiman el poder del PRI.
En una oposición directa a los mitos oficiales se muestra la incompatibilidad de las dos "imágenes" de la revolución. Esta incompatibilidad - aún
más fuerte en el contexto contemporáneo de la publicación de las historietas
- debería servir como base para una concientización del receptor.
En el nivel de la estructura del discurso "comic" se constata el intento de
una desestabilización del discurso oficial por medio del reflejo paródico de
los mitos oficiales. Así se entiende la exageración en los "anti-comics" no
solamente como un medio principal de mostrar al receptor (por medio del
humor) la crítica inminente en el comic sino también como una sátira al
modelo presentado como discurso oficial coherente y real. Por tanto, es a
partir de la exageración producida por el comic que éste obliga al receptor a
enfrentarse a fondo con la artificialidad del discurso oficial.
Ausgewählte Bibliographie:
A. Werkausgaben
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Quezada, Abel (1957): "Revolución", in: Siempre, 26.4.
Quezada, Abel (1957): "ohne Titel", in: Siempre, 2.11.
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27
Borsó, Vittoria (1992): "Die Aktualität mexikanischer Literatur: von der Identität zur Heterogenität",
in: Iberoamericana 16, 46, S. 84-108
Borsó, Vittoria (1990): Kulturdialog und Kulturkritik im mexikanischen Magischen Realismus.
Mannheim (Habilitationsschrift)
Fresnault-Deruelle, Pierre (1973): "La langue des bandes dessinées et leur contenu culturel", in: Le
Francais dans le Monde 98, S. 14-19
GRAL (Hg./1982): Champs de pouvoir et de savoir au Mexique. Paris
GRAL (Hg./1985): Pouvoir et contre-pouvoir dans la culture mexicaine. Paris
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Kagelmann, H. Jürgen (1986):"Comics und Dritte Welt - am Beispiel Lateinamerikas", in: Annemarie
Verweyen (Hg.): Comics. Köln, S. 121- 142
Kagelmann, H. Jürgen (Hg./1991): Comics und Cartoons in Lateinamerika. München
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UNAM (Hg./1986): "Vieja Revolución. ¿Nueva Historiografía?", in: Universidad de México 44,
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28
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