Wer hat Heide Simonis ermordet

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Wer hat Heide Simonis ermordet?
Wirklich ermordet wurde sie ja nicht: Heide Simonis als Person lebt glücklicherweise. Sie
muß jetzt tapfer sein und ihr Schleswig-Holstein verwalten, bis der Landtag einen neuen
Ministerpräsidenten gewählt hat. Das wird eine bittere Zeit: Als Politikerin ist sie tot, und
dennoch muß sie als politisch tote Person inmitten noch sehr lebendiger Politiker die Stellung
halten, bis der Nachfolger – wir sind in Kiel! – das Steuerrad übernimmt. Danach wird es der
Person Heide Simonis noch schlechter gehen: Abrupt abgesetzt von der Droge Macht und
Politik wird sie schlimmen Entzug verspüren. Vielleicht verkriecht sie sich zuerst irgendwo –
in Neuseeland, Kalifornien oder auf den Kanaren.
Immer und immer wieder wird sie darüber grübeln: Wer war es, der mir den „hinterhältigen
Dolchstoß“ versetzt hat? Wer hat mich – politisch – ermordet? Möglicherweise werden sie
und die Öffentlichkeit es nie erfahren, denn die Wahl ist geheim. So gibt es nur einen
Menschen, der alles aufdecken könnte, weil er weiß, wer der Täter war: Er selber.
Der „Täter“? Immerhin: Kein geringerer als der Bundeskanzler spricht davon, Simonis sei
„das Messer in den Rücken gerammt“ worden. Gerammt! Und der zum Kreis der
Verdächtigten zählende
meerumschlungene Finanzminister Ralf Stegner beklagt
einen
„schäbigen und charakterlosen Verrat“. Will er seine Unschuld beteuern, die Deutungshoheit
über die SPD gewinnen, oder gehört er zu jenen Brandstiftern, die als erste nach der
Feuerwehr rufen? Wolfgang Kubicki schließlich ist nach deren letzter Niederlage zu Simonis
in die Staatskanzlei gegangen, hat Heide in den Arm genommen und ihr gesagt, das hätte sie
nicht verdient. Dies alles teilte er eiligst der Presse mit. Gibt es wirklich nur einen „Täter“?
Einer – oder gar eine ? - aus dem wundersamen „Bündnis“ von SPD, Grünen und SSW
jedenfalls hat Simonis beharrlich die Stimme verweigert, sie aber auch nicht deren CDUKonkurrenten gegeben. Warum? Es könnte ein Stratege sein wie Stegner, der damit sich
selber ins Spiel bringen wollte. Es könnte einer sein, dem Simonis einmal auf die Füße
getreten ist und der sich nun rächt. Es könnte aber auch einer sein, der das Wahlergebnis
zwischen Küste und Küste als Mandatsverlust des Regiments Simonis verstanden hat und
ganz einfach seinem Land einen Neuanfang wünschte.
Also war der „Täter“ entweder ein Karrierist, ein Rächer an Heide oder ein politischer
Altruist? Möglich ist alles und noch mehr. Nur: Es war gar kein „Täter“. Was sich in
Kommentaren vom Bundeskanzler bis zur Betroffenen selbst anhört wie eine bittere
Schurkerei Shakespearschen Ausmaßes, war in Wirklichkeit gehöriger Parlamentarismus. Ein
Mitglied des Kieler Landtages hat für sich ein Recht in Anspruch genommen, das ihm im
Grundgesetz – unserer Verfassung – garantiert ist: Das freie Mandat. Es könnte doch sein,
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dass während Frau Simonis meinte, alles ginge um sie, einer in „ihren“ Reihen war, der fand,
eigentlich ginge es um Schleswig-Holstein. Selbst wenn diesen einen „nur“ der politische
Ehrgeiz oder die Rachsucht angetrieben haben sollte, so hat er doch bewirkt, dass SchleswigHolstein nach zwölf Jahren einen Neuanfang machen muß. Demokratie ist auch Wechsel, und
wenn die Verharrungskräfte der Etablierten zu stark sind, muß eben nachgeholfen werden.
Das hat Helmut Kohl 1998 bei der Abwahl durch das Volk erfahren und Heide Simonis 2005
eben dadurch, dass ihr die Mehrheit im Parlament verweigert wurde. Das Volk hatte es so
gewollt, dass dazu nur eine einzige Abgeordnetenstimme erforderlich war.
Die Parteiführer hätten es offenbar am liebsten, wenn in den Parlamenten die geheime Wahl
abgeschafft würde. Aber Abgeordnete sind mehr als „Parteisoldaten“. Hervorgegangen aus
Parteien zwar und von diesen auch nominiert, erhalten sie durch die Wahl ins Parlament einen
überparteilichen Status. Diesen Status haben sie vom Volke erhalten, allerdings nur auf Zeit.
Sie sind jetzt ihrem Gewissen verantwortlich und nicht mehr den Parteiführern. Deren Macht
über die „einfachen“ Abgeordneten ist dennoch gemeinhin so groß, dass selten `mal einer
gegen den Stachel löckt. Und in der Regel sehen die Abgeordneten auch selber ein, dass sie
nur erfolgreich sein können, wenn sie Fraktionsdisziplin wahren. Aber es gibt Situationen, in
denen nicht die Wünsche der Partei, sondern die Eigenentscheidung der Abgeordneten – das
„Gewissen“ – den Ausschlag gibt. Bekannt sind die Beispiele offen abweichender
Abgeordneter wie Hildegard Hamm-Brücher oder Christian Ströbele.
Aber darf ein Abgeordneter auch verdeckt abweichen? Er darf es. Welchen Sinn hätte sonst
die geheime Wahl? Wenn der Druck der Parteiführungen noch so groß ist: Bei der Wahl eines
Bundeskanzlers oder einer Ministerpräsidentin muß jeder und jede Abgeordnete nur für sich
alleine entscheiden. Und wenn die Parteiführungen sogar allparteilich – wie im Falle
Schleswig-Holstein zu beobachten – Gift und Galle spucken und den anonymen Verweigerer
moralisch deklassieren: Geheim nicht für die „eigene Frau“ oder den „eigenen Mann“ zu
stimmen, ist Abgeordneten nicht nur rechtlich erlaubt – es ist auch politisch akzeptabel. Denn
durch die Wahlen erhalten zunächst einmal nicht die Parteien und Spitzenkandidaten ein
Mandat auf Zeit, sondern die Abgeordneten. Sie vertreten zwischen den Wahlen das Volk,
entscheiden an seiner statt – auch über die Zusammensetzung der Regierung. Nicht der
Ministerpräsident wählt das Parlament, sondern umgekehrt. Und jeder Abgeordnete hat einen
Auftrag von unten – vom Volk – und nicht von oben – von der Parteiführung. Es ist gut, dass
dies in Kiel nun einmal deutlich geworden ist.
Aus Drang nach perönlichem Machterhalt, mit parteipolitischem Blick auf den Bundesrat und
auf Nordrhein-Westfalen sollte in Schleswig-Holstein ein fragiles Regime etabliert werden,
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das dem Bundesland keine Stabilität hätte bringen können. Die Parteiführung der SPD hatte
das Wählervotum nicht verstanden und das Ende der Ära Simonis nicht erkannt oder erkennen
wollen. Nun ist es offenbar geworden.
Wer hat Heide Simonis ermordet? Niemand. Ihre politische Aura ist zerbröselt; die Politikerin
Simonis ist eines „natürlichen“ Todes gestorben. Jedes politische Regiment hat einen Anfang,
der nach der Geburt des ihn tragenden Menschen liegt. Und in einer Demokratie liegt das
Ende normalerweise vor dem natürlichen Tod. Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut
Schmidt und Helmut Kohl sind Beispiele hierfür. Nun trifft es Heide Simonis. Als Politikerin
ist sie „tot“. Als Person ist ihr eine nicht zu heftige Entzugsphase zu wünschen und nachher
ein noch langes und erfülltes Leben ohne Politik.
Das hat sie verdient.
Jürgen Dittberner
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