Heide Simonis Script

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Heide Simonis
„Wir hatten täglichen politischen Unterricht.“
Heide Simonis, 2011
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6e/1651_Heide_Simonis.JPG, Stand: 13.11.2014)
Als Heide Simonis 1962 ihre Schullaufbahn in Nürnberg abschloss, konnte sie noch
nicht ahnen, dass sie 31 Jahre später die erste Ministerpräsidentin der
Bundesrepublik Deutschland sein würde. Schließlich hatte sie zu Beginn ihres
Studiums noch keine genauen beruflichen Vorstellungen und verfolgte noch kein
politisches Engagement. Die Entscheidung, zum Studium nach Kiel zu ziehen,
erfolgte auf Wunsch ihrer Eltern. Zwar konnte die Stadt auf den ersten Blick nicht
wirklich Anklang finden, der gute Ruf der Universität, insbesondere der
volkswirtschaftlichen Fakultät, überzeugte Simonis nach einiger Zeit allerdings doch:
Als ich dann Physik studieren wollte in Nürnberg und mein Vater nach Kiel versetzt
wurde, sagte meine Mutter: „Du gehst mit, du bleibst hier nicht alleine,
unbeaufsichtigt“. Also freiwillig hätte ich diese Wahl nicht getroffen; wenn ich hätte
machen können, so wie ich es gewollt hätte, wäre ich natürlich nicht nach Kiel
gegangen. Ich kam aus Nürnberg und Nürnberg ist für Studenten eine schöne Stadt
mit Kneipen. Und habe dort gemacht: Soziologie und Volkswirtschaften. Und hab
nur noch Volkswirtschaft versucht zusammenzusetzen, und da stellte sich heraus,
dass meine Mutter, bei all ihren vorgeschobenen Argumenten, eins hatte, was
stimmte: Es gab keine vernünftige volkswirtschaftliche Fakultät in Nürnberg. Es gab
hier in Kiel ein weltberühmtes Institut und da konnte sie sagen: „Siehst du, das ist
viel besser wenn du da hin...“. Naja und dann kam ich nach Kiel. Ich stand am
Bahnhof und hab gesagt: „Ne hier bleibst du nicht, hier bleibst du auf keinen Fall“.
1964 bin ich gekommen und jetzt bin ich immer noch da, und wollte gleich
übermorgen wieder zurückgehen.
Auch wenn das Studium der Volkswirtschaftslehre zumindest von der Anzahl her
von Männern dominiert wurde, empfand sie sich unter Kommilitonen keinesfalls als
Fremdkörper, sondern vielmehr als Teil einer privilegierten Gruppe.
Also bei mir war sofort präsent, wie viele Mädchen wir waren. Nämlich ganze drei
von über fünfzig studierten Volkswirtschaft. Und drei, das konnte sich sogar der
schüchternste junge Mann konnte sich drei Namen merken, und wusste ungefähr, wo
er die hin sortieren sollte. Mit der Fakultät in Kiel, ein ordentliches Studium, das
muss man schon sagen. Das war, wir waren immer so stolz, wir waren immer so
eingebildet, wir kamen ja aus Kiel und aus dem Institut, wir waren bei Giersch
(Herbert Giersch *1921-†2010 u.a. Präsident des Institut für Weltwirtschaft an der
Universität Kiel) und wir waren bei Diesem und bei Jenem und der Schumacher hat
uns geschurigelt.
Jener Schumacher war es auch, der Simonis am meisten Respekt einflößte.
Vor dem Schumacher hatte ich Angst. Da habe ich richtig Angst gehabt und da
komme ich da rein in die mündliche Prüfung, da sagt er: „Oh, wie schön, endlich
mal wieder eine Dame!“ Und da habe ich mich ganz erleichtert hingesetzt und hab
gesagt: “Das schafft du“.
Neben strengen Professoren und mündlichen Prüfungen erinnert sich Simonis
allerdings auch gerne daran, dass der Zusammenhalt unter den Kommilitonen
besonders stark ausgeprägt war.
Die Volkswirte hielten zusammen. Wir waren eine eingebildete Bande und wir
gingen nie oben in die Bibliothek, sondern wir gingen in die Bibliothek natürlich, da
unten, im Institut für Weltwirtschaft.
Natürlich hielt sie sich nicht während des gesamten Studiums in Bibliotheken auf,
sondern wusste auch die Vorzüge der Freiheiten als junge Erwachsene in Kiel zu
genießen. Neben den Kneipen Kiels schwärmt sie noch heute von dem Kieler Hafen,
den sie oftmals nach der Uni mit Freunden für ein Abendbrot aufsuchte.
Oblomow, das war so eine der Studentenkneipen, weil so schön nah an der Uni. Und
da ging man besser unten im Hafen, da haben wir immer Würstchen gegessen. Ja wir
zogen da immer abends hin, wenn es gar nicht mehr auszuhalten war, um neun oder
und haben neben den kostenlosen Anblicken noch ein billiges Currywürstchen
gekriegt.
Die Weichen für ihre weitere berufliche Laufbahn stellte sie erst später; am 1.
November 1969 trat sie in die SPD, Kiel-Wik ein. Das politische Interesse wurde
jedoch angesichts der Ereignisse in Deutschland schon früher geweckt.
Hier war ja ein Zweig der Baader-Meinhof-Gruppe, war ja in Kiel und in SchleswigHolstein ganz besonders stark da. Sodass das… also wir hatten täglich, täglichen
politischen Unterricht.
Nach neun Semestern beendete Heide im Sommer 1967 im Alter von 24 das Studium
in Kiel. Ihr politischer Aufstieg bis zur Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins
ermöglichte ihr letztlich auch ein stückweit Genugtuung für manche Strapazen, die
sie während ihrer Studienzeit erleiden musste.
Ich habe mich beworben beim Institut für Weltwirtschaft, bei Herrn Giersch und
kriegte sogar einen Termin. Und war fünf Minuten später wieder aus seinem Zimmer
draußen, weil er mir in kurzer, knapper Form gesagt hatte, von Frauen im
wissenschaftlichen Bereich hält er überhaupt nichts, und schon gar nicht in der
Volkswirtschaft, und schon erst recht nicht in seinem Institut. Und jetzt habe ich, vor
ein paar Jahren, dem Herrn Giersch den größten Orden, den die Bundesrepublik zu
vergeben hat, angezogen, eingehakt von hinten herum, und gesagt: „Hätten Sie mich
mal damals genommen, dann hätte ich ihnen nicht den Orden geben können“.
Noch heute lebt Heide Simonis in Kiel und gratuliert der Christian-AlbrechtsUniversität ganz herzlich zu ihrem Jubiläum.
Ja, liebe Christiana Albertina, 350 Jahre auf dem Buckel, das muss man erst einmal
durchhalten und dabei noch so frisch und gut wirken wie ihr. Ich wünsche alles
Gute, ich wünsche viel Glück, ich wünsche, dass jeder ein phantastisches Examen
hier in Kiel macht, einen wunderschönen Job irgendwo in der weiten, weiten Welt
angeboten kriegt und sich dann rückblickend an die wunderbare Zeit in Kiel noch
erinnert. Tschüss und alles Gute!
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