Der Hilfe- und Kontrollauftrag der Bewährungshilfe in der Arbeit mit

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Geisteswissenschaft
Stefan Maschack
Der Hilfe- und Kontrollauftrag der
Bewährungshilfe in der Arbeit mit
Sexualstraftätern
Diplomarbeit
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Stefan Maschack
Der Hilfe- und Kontrollauftrag der Bewährungshilfe in
der Arbeit mit Sexualstraftätern
Diplom.de
Stefan Maschack
Der Hilfe- und Kontrollauftrag
der Bewährungshilfe in der Arbeit
mit Sexualstraftätern
Diplomarbeit
Hochschule Bremen (FH)
Fachbereich Sozialpädagogik / Sozialarbeit
Abgabe Juli 2005
ID 9041
ID 9041
Maschack, Stefan:
Der Hilfe- und Kontrollauftrag der Bewährungshilfe in der Arbeit mit Sexualstraftätern
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Hochschule Bremen (FH), Diplomarbeit, 2005
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http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .......................................................................................................................... 5
1.
Bewährungshilfe: Entwicklung, institutioneller
Rahmen und Aufgaben ........................................................................... 7
1.1
Die geschichtliche Entwicklung bis 1949 ........................................... 7
1.2
Die geschichtliche Entwicklung ab 1949 bis heute .....................18
1.3
Der Auftrag der Bewährungshilfe .........................................................23
1.4
Der Hilfe- und Kontrollauftrag................................................................23
1.4.1 Der Hilfe- und Betreuungsauftrag .........................................................24
1.4.2 Der Kontroll- und Überwachungsauftrag..........................................26
1.5
Die gesetzlichen Grundlagen der Bewährungshilfe
und ihre organisatorische Umsetzung am Beispiel
der Sozialen Dienste der Justiz im Land Bremen
2.
....................... 28
Sexueller Missbrauch: Begriffe, rechtlicher Rahmen,
Ausmaß und Rückfallforschung
................................................ 37
2.1
Sexualstraftaten in verschiedenen Kontexten .................................38
2.2
Sexueller Missbrauch – Begriffe und Definitionen .....................39
2.3
Der strafrechtliche Rahmen .......................................................................46
2.4
Das Ausmaß von Sexualstraftaten und das Rückfallrisiko .....52
2.4.1 Das Hellfeld ........................................................................................................53
2.4.2 Das Dunkelfeld .................................................................................................57
2.5
Die Rückfallgefahr von Sexualstraftätern .........................................60
3.
Sexualstraftaten: Erklärungsansätze und Möglichkeiten der Therapie ...................................................................................64
3.1
Die Sexualstraftäter ........................................................................................65
3.2
Die Täterstrategien..........................................................................................67
3.2.1 Die Kontaktaufnahme ...................................................................................68
3.2.2 Der Beziehungsaufbau .................................................................................69
3.2.3 Die Verpflichtung des Opfers zum Schweigen
3.3
............................ 70
Theoretische Erklärungsansätze und -modelle für
sexuellen Missbrauch ....................................................................................71
3.3.1 Der Psychoanalytische Ansatz.................................................................72
3.3.2 Der Familiendynamische Ansatz ...........................................................74
3.3.3 Der Sozialisationstheoretische Ansatz ................................................76
3.3.4 Das Modell der vier Voraussetzungen von Finkelhor ...............80
3.3.5 Das Drei-Perspektiven Modell sexueller Gewalt .........................84
3.4
Die Folgen des sexuellen Missbrauchs ...............................................87
3.4.1 Methodische Probleme der Folgenforschung .................................88
3.4.2 Einteilung der Missbrauchsfolgen .........................................................89
3.5
Therapie von Sexualstraftätern ................................................................91
3.5.1 Erfolg von Therapie .......................................................................................92
3.5.2 Divergierende Therapiekonzepte ...........................................................93
3.5.3 Ambulante Therapiemodelle für Sexualstraftäter am Beispiel
des „Rotterdamer Modells“ .......................................................................96
4.
Arbeit mit Sexualstraftätern: Hilfe und Kontrolle
durch die Bewährungshilfe ............................................................ 100
4.1
Die Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Arbeitskontraktes .......................................................................................................... 102
4.2
Problemlagen bei der ambulanten Behandlung von Sexualstraftätern ........................................................................................................... 110
4.2.1 Die Kostenfrage
........................................................................................... 111
4.2.2 Die Therapiemotivation ............................................................................ 113
4.2.3 Die Zusammenarbeit mit der Justiz ................................................... 115
4.3
Mögliche Lösungsansätze ....................................................................... 117
4.3.1 Die Stuttgarter Psychotherapie-Ambulanz .................................... 117
4.3.2 Die Kooperation der Beratungsstelle im Packhaus mit der
Bewährungshilfe in Schleswig Holstein ......................................... 121
5.
Schlussbetrachtung und Ausblick ............................................ 124
6.
Literaturverzeichnis .............................................................................. 131
Abkürzungsverzeichnis.................................................................................... 136
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 137
4
Einleitung
Kaum eine Verbrechensart beschäftigt die öffentliche Meinung so sehr, wie
Sexualstraftaten. 1995 gingen die schrecklichen Missbrauchs- und Mordtaten von
Marc Dutroux durch die Medien. Fast zeitgleich bewegten und erregten die
sexuellen Gewalttaten und Morde an Natalie Astner, Kim Kerkow oder Christiane
Evers in Deutschland die Öffentlichkeit. Auch die Gegenwart zeigt anhand der
Straftaten von Mark Hoffmann die Aktualität dieses Themas.
Als Konsequenz dieser scheinbar gestiegenen Anzahl von Sexualstraftaten hat der
Gesetzgeber reagiert und am 26. Januar 1998 das „Gesetz zur Bekämpfung von
Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten“ (BUNDESGESETZBLATT
1998, S. 160) erlassen. In diesem Gesetz ist unter anderem bestimmt worden, dass
Sexualstraftäter1, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sind, auch ohne
ihr Einverständnis zu einer psychotherapeutischen Behandlung mittels einer
Weisung gezwungen werden können. Diese veränderte Gesetzeslage stellt die
Arbeit der Bewährungshilfe vor eine Reihe neuer Herausforderungen. Probanden
der Bewährungshilfe, die aufgrund von Sexualstraftaten verurteilt worden sind,
benötigen oftmals wegen der besonderen Umstände der Sexualdelinquenz und
einer möglichen Rückfallgefahr eine andere und unter Umständen weitaus
intensivere Betreuung als andere Probanden. Hinzu kommt, dass viele
Bewährungshelfer2 aufgrund unterschiedlicher Faktoren (Ausbildung, praktisches
Wissen, hohe Fallbelastung oder auch Vorbehalte gegen den Täterkreis) einen
erschwerten Zugang zu dieser komplexen Thematik haben.
Mit dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass das System der Bewährungshilfe im
Rahmen der definierten Aufgabenstellung (Hilfe anzubieten und Kontrolle
auszuüben) aufgrund ihrer besonderen Einbindung in den justiziellen und
sozialarbeiterischen Kontext in der Lage ist, einen entsprechenden Beitrag zur
Verringerung der Sexualstraftaten zu leisten. Dabei wird von der Grundannahme
1
Dem Autor ist sehr wohl bewusst, dass die Verwendung des Begriffes Täter stigmatisierend sein
kann und die Gefahr birgt, Personen nur auf ihre Tat zu reduzieren. Im Fokus der Perspektive des
Autors, steht aber die Person als Klient der Sozialen Arbeit nicht seine Taten. Allerdings:
Menschen die sexuelle Gewalt anwenden, begehen eine Tat, daher wird der Begriff des
Sexualstraftäters gewählt, um den Personenkreis zu benennen.
2
Mit der Wahl der männlichen Schreibform wird vom Autor keinesfalls eine Diskriminierung des
weiblichen Geschlechts beabsichtigt. Die männliche Form wird ausschließlich aus dem Grund der
besseren Lesbarkeit verwandt.
5
ausgegangen, dass die Beschäftigung mit Sexualstraftätern im sozialarbeiterischen
Kontext in erster Linie ein Beitrag ist, um weitere Sexualdelinquenz zu verhindern
und zukünftige Opfer zu schützen.
In dieser Arbeit wird nicht der Frage nachgegangen, ob Sozialarbeit grundsätzlich
und Bewährungshilfe im Besonderen, Hilfe und Kontrolle miteinander
vereinbaren kann, sondern was von Seiten der Bewährungshilfe und anderen
Institutionen notwendig ist, um diesem Auftrag gerecht zu werden.
Inhaltlich ist die Arbeit so aufgebaut, dass im ersten Kapitel die Entwicklung, die
Grundlagen,
der
rechtliche
Rahmen
und
der
Auftrag
des
Systems
Bewährungshilfe dargestellt wird.
Kapitel zwei beschäftigt sich mit dem sexuellen Missbrauch und beginnt mit einer
definitorischen
Eingrenzung
dieses
Themenkomplexes.
Dem
folgt
eine
Beschreibung des strafrechtlichen Rahmens unter besonderer Berücksichtigung
der historischen Komponente des Sexualstrafrechts. Das Ausmaß von
Sexualstraftaten (Hell- und Dunkelfeld) sowie eine Auseinandersetzung mit dem
Rückfallrisiko dieser Tätergruppe schließt dieses Kapitel ab.
Das dritte Kapitel beginnt mit einer Übersicht über den Forschungsstand zur
Erklärung von Sexualstraftaten und behandelt die Opferfolgen des sexuellen
Missbrauchs. Die Möglichkeiten der Therapie von Sexualstraftaten insbesondere
im ambulanten Rahmen werden in Kapitel 3.5 diskutiert.
Im vierten Kapitel wird dargelegt, wie sich die praktische Arbeit mit
Sexualstraftätern im Rahmen der Bewährungshilfe gestaltet. Dies wird anhand
eines Fallbeispieles verdeutlicht. Zudem wird aufgezeigt welche Konsequenzen
sich aus der aktuellen Rechtslage (Therapieweisung) für die Arbeit der
Bewährungshilfe ergeben. Anschließend wird beschrieben, welche Schritte zu
unternehmen sind bzw. von den Beteiligten schon unternommen worden sind, um
dem Arbeitsauftrag der Bewährungshilfe gerecht zu werden. Dazu wird gezeigt,
wie der Hilfe und Kontrollauftrag in Zusammenarbeit mit dem Klienten genutzt
werden kann, um ihm die „erfolgreiche“ Durchführung der Bewährungszeit mit
ihren Auflagen und Weisungen zu ermöglichen.
6
1.
Bewährungshilfe: Entwicklung, institutioneller Rahmen
und Aufgaben
In diesem Kapitel wird zunächst der theoretische Bezugsrahmen der Institution
Bewährungshilfe in Deutschland aufgezeigt. Daran schließt sich eine Darstellung
der institutionellen Bedingungen, in dem professionelle Bewährungshilfe
stattfindet, an. Um allerdings das Instrument der Bewährungshilfe besser
verstehen zu können, ist es notwendig die stufenweise Veränderung der
Ausgestaltung des Strafrechtssystems, zu betrachten. Das geschieht quasi als
Einstieg in die Thematik in den Kapiteln 1.1 und 1.2. In den Kapiteln 1.3 und 1.4
wird die gesetzliche Verankerung des Hilfe- und Kontrollauftrags der
Bewährungshilfe näher beschrieben. Kapitel 1.5 listet die aktuellen gesetzlichen
Grundlagen der Bewährungshilfe auf und stellt den organisatorischen und
institutionellen Aufbau einer Geschäftstelle der Bewährungshilfe am Beispiel der
Sozialen Dienste der Justiz in Bremen dar.
1.1
Die geschichtliche Entwicklung bis 1949
Der Jurist und Kriminalpolitiker Franz v. Liszt (1851-1919), der als Begründer
der soziologischen Strafrechtsschule und der Idee der Spezialprävention gilt, hat
in einer Abhandlung über die bedingte Verurteilung und die bedingte
Begnadigung darauf verwiesen, dass die Aussetzung einer verhängten Strafe und
die Strafentlassenenhilfe als Teile der Rechtsgeschichte zu sehen sind (vgl.
TÖGEL 1990, S. 3). Um sich die institutionellen Rahmenbedingungen eines
Systems thematisch und inhaltlich zu erarbeiten, ist es sinnvoll, die geschichtliche
Entwicklung, aus der dieses System hervorgegangen ist, in die Betrachtung,
Untersuchung und Darstellung mit einzubeziehen. Das gilt auch für den Bereich
der Strafaussetzung und der Straffälligenhilfe und insbesondere für die
institutionelle Bewährungshilfe, die im Gegensatz zu anderen Ländern in
Deutschland ein relativ junges Betätigungsfeld für die Soziale Arbeit darstellt.
Um aber einer geschichtlichen Entwicklung in angemessener Form gerecht zu
werden, müssen bestimmte Bezüge bei der Betrachtung hergestellt, bzw.
gedanklich im Hintergrund präsent sein. In diesem Kontext umfassen diese
7
Bezugnahmen die zeitweilige Staatsform, den jeweiligen Entwicklungsstand des
Staatsrechts, die gesellschaftspolitische und die weltanschauliche Position einer
Gesamtgesellschaft. Im Zusammenhang mit der Betrachtung der Entwicklung der
Strafaussetzung zur Bewährung muss notwendigerweise auch der Stand und die
Entwicklung der Strafrechtswissenschaft berücksichtigt werden.
Die Anfänge der Bewährungshilfe sind eng mit der Entwicklung der
Reststrafenaussetzung verbunden. Die Möglichkeit der Reststrafenaussetzung
stellt nach SPEIERMANN als „Kernstück der modernen Kriminalpolitik, ein
wesentliches
Element
im
System
der
Strafen
und
Maßregeln
dar“
(SPEIERMANN 1995, S. 1).
Doch bis dieser Zustand erreicht war, musste ein langer Weg gegangen werden,
der hier in seinen wesentlichen Zügen nachgezeichnet werden soll:
Eine Strafaussetzung aus Gnadengründen gibt es fast genauso lange, wie das
System der Bestrafung durch Leibstrafen als Mittel der Unrechtssühne existiert.
So erwähnt Franz v. Liszt in der vorher genannten Abhandlung das Augsburger
Stadtrecht von 1276, in dem bereits Begnadigungen vorgesehen waren (vgl.
TÖGEL 1990, S. 3). TÖGEL weist aber auch darauf hin, dass die Entscheidungen
zur Strafaussetzung tatsächlich reine Ermessensentscheidungen der Herrschenden
waren und nicht nach bestimmten kodifizierten Rechtsnormen praktiziert wurden.
Die
Anfänge
der
Entwicklung
des
Rechtsinstituts
der
nachträglichen
Strafaussetzung liegen im englischsprachigen Rechtsraum. Unter König Eduard
III. (1327-1377) wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, eine verhängte
Todesstrafe durch eine Deportation in überseeische Gebiete zu ersetzen. Um eine
Rückkehr der Straftäter nach England zu verhindern, wurde erst 1791 die
Möglichkeit geschaffen, die Reststrafe zu erlassen, wenn die Verurteilten die
Verpflichtung eingingen, sich in Australien dauerhaft niederzulassen. Es war
allerdings nicht vorgesehen, dass die gute Führung oder sogar Besserung des
Gefangenen beurteilt wurden. Dieses sog. Conditional Pardon diente in erster
Linie dazu, die Kolonialisierung Australiens voranzutreiben und ist nicht als ein
Versuch zu werten, ein den Strafzwecken entsprechendes Strafvollzugssystem zu
errichten (vgl. SPEIERMANN 1995, S. 4).
8
Etwa zeitgleich zu der Einführung des Conditional Pardon, entwickelte sich eine
andere Art der Strafaussetzung. Es wurde die Möglichkeit geschaffen, als
Gefangener eine Art „Urlaubsschein“ zu erhalten. Diese, als ticket of leave during
good conduct bezeichnete Maßnahme, erlaubte den Verurteilten, sich in einem
vorher festgelegten Distrikt unter polizeilicher Aufsicht aufzuhalten. Die
Erlaubnis zu diesem Aufenthalt außerhalb der Gefängnismauern konnte jedoch
bei Missbrauch jederzeit widerrufen werden und stellt laut SPEIERMANN eine
Vorstufe der späteren Begnadigung aufgrund guter Führung dar.
In der Weiterentwicklung der Strafaussetzung führte man ein sog. probation
system (Bewährungssystem) ein, durch welches die einzelnen Stufen des
Strafvollzuges genauer definiert und ausgestaltet wurden. Dieses, zunächst nur in
Australien praktizierte Bewährungssytem wurde 1847 dahingehend reformiert,
das die Strafgefangenen erst nach guter Führung im Strafvollzug entlassen
wurden.
Als Gründe für den Widerruf der Strafaussetzung wurden genannt:
Der Strafentlassene entzog sich der angeordneten Polizeiaufsicht.
Der Strafentlassene beging neue Straftaten.
Der Strafentlassene hatte Umgang mit „übel beleumdeten Personen“
(SPEIERMANN 1995, S. 7) oder
Der Strafentlassene führte ein „unordentliches und arbeitsscheues Leben“
(SPEIERMANN 1995, S. 7).
In Deutschland sind diese Reformierungen des Strafrechtssystems durch die
Berichte von Julius, Tellkamp und Mittermaier bekannt geworden. Allerdings gab
es in Deutschland, explizit hier im Königreich Preußen unter König Friedrich I.
mit den Edikten von 1710 und 1716, auch schon erste Versuche, die
Wiedereingliederung von entlassenen Strafgefangenen in die Gesellschaft zu
erleichtern. Eng verbunden mit dieser Entwicklung ist der Wandel der
Gefängnisse im Rahmen der stärkeren Hinwendung von den Leibes- und
Lebensstrafen hin zu den Freiheitsstrafen im beginnenden 17. Jahrhundert.
Wichtige Einflussfaktoren waren hier die immer stärker um sich greifende
Erkenntnis, dass Strafgefangene als Arbeitskräfte benutzt werden konnten und
9
dadurch der Erziehungsgedanke im Strafrecht sich immer weiter durchsetzte.
Dabei standen zunächst weniger humanitäre Aspekte im Vordergrund als
vielmehr die Feststellung, das die Kriminalität durch die bettelnd und stehlend
durch das Land ziehenden, und aufgrund der Leibstrafen häufig verstümmelten
Ex-Sträflinge anstieg. So kam es 1552 zuerst in England (House Bridewell), 1595
in Amsterdam und 1608 in Bremen zur Gründung der ersten Zuchthäuser in
Europa, die nach TÖGEL den Beginn dieser oben beschriebenen Entwicklung
markierten (vgl. TÖGEL 1990, S. 3).
Allein schon die Bezeichnung Zuchthaus – Haus der Zucht – machte diesen
Wechsel im Strafzweck deutlich. Dabei ist allerdings anzumerken, dass die
Zuchthäuser sich durch den Verkauf ihrer von den Häftlingen hergestellten Waren
und Güter selber tragen sollten und primär auf Gewinnerwirtschaftung ausgelegt
waren. Beginnend mit den Idealen der Aufklärung, zu deren Wegbereitern der
Sohn Friedrichs I., König Friedrich II (Friedrich der Große, 1712-1786) gehörte,
setzte sich Preußen an die Spitze der Reformbewegung des Rechtssystems in
Deutschland. Die Ideen der Aufklärung verlangten unter anderem eine
„vernünftige Proportionalität von Verbrechen und Strafe“ (TÖGEL 1990, S. 5)
und stellten die Verhütung des Verbrechens, und nicht die Vergeltung in den
Mittelpunkt der rechtsphilosophischen Überlegungen. Dies ebnete den Weg für
die Gedanken der Spezialprävention, die die Resozialisierung der Straftäter als
Aufgabe von Strafe sieht, und nicht mehr primär die Vergeltung begangenen
Unrechts bzw. die Abschreckung durch Strafe, wie die Theorie der
Generalprävention es tut.
In der Ausgestaltung von Zucht- und Arbeitshäusern wurde unter der
Regentschaft von Friedrich dem Großen die Trennung von „besserungsfähigen“
und
„schandbaren“
Häftlingen
eingeführt,
die
ebenfalls
die
Einwirkungsmöglichkeiten bzgl. der Besserung auf die Strafgefangenen erhöhen
sollten. Es ist aber im Sinne der historischen Einordnung dieser juristischen
Maßnahmen notwendig, darauf hinzuweisen, dass das Königreich Preußen auch
unter der Regentschaft Friedrich des Großen über „gute Vorsätze im Bereich der
Strafanstalten und der Gefangenen- und Entlassenenfürsorge nicht hinaus kam“
(TÖGEL 1990, S. 6). So fehlte
10
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