Gesundheit | Prostatakrebs Interview mit Prof. Patrice Jichlinski: Gesundheit! — Prostatakrebs ONKOLOGIE — Prostatakrebs ist die am häufigsten vorkommende Krebserkrankung bei Senioren. Allerdings liegen eine systematische Früherkennung sowie entsprechende Behandlungen nicht unbedingt auf der Hand. Bernard-Oliver Schneider (dt. Text Karin Gruber) Jedem sein Kreuz … Während die Frau­ en dem Brustkrebs Tribut zollen, ist die Männerwelt mit Prostatakrebs belastet. Vier von zehn Männern im Alter von über 65 Jahren sind davon betroffen. Eine erschütternd hohe Zahl. Prosta­ takrebs wirft bei den Spezialisten aber auch zahlreiche Fragen auf. Soll man ein Programm zur allgemeinen Früh­ erkennung einführen? Oder: Ist es an­ gebracht, bestimmte Behandlungsme­ thoden einzusetzen, auch wenn deren Nutzen hinsichtlich Lebensqualität und Lebenserwartung nicht immer offen­ sichtlich ist? Übersicht mit Prof. Patrice Jichlinski, Chef der Abteilung für Urolo­ gie am CHUV in Lausanne. Wie charakterisiert man Prostatakrebs? Prostatakrebs gilt als die häufigste Krebserkrankung bei Männern ab 65. In zahlreichen Fällen entwickelt sich die Krankheit sehr langsam. Es besteht ein klaffender Unterschied zwischen der Häufigkeit des Auftretens dieser Krebser­ krankung und der Sterblichkeitsrate, die darauf zurückzuführen ist. So, dass sich die Frage stellt, ob die betroffene Person an ihrer Krebserkrankung sterben wird oder an einer anderen Erkrankung, wie beispielsweise an einer Herz-KreislaufErkrankung. Die Prostata ist eine von der Grösse und Form her einer Kasta­ 38 | W B E XTRA 8 .0 9 nie ähnelnde Sexual-Drüse, auch Vor­ steherdrüse genannt, die direkt unter der Harnblase lokalisiert ist und durch deren Mitte die Harnröhre (Ureter) ver­ läuft, welche sie ringförmig umschliesst. Im Laufe des Lebens ist diese Drüse ver­ schiedenen morphologischen Änderun­ gen unterworfen. Sie kann sich entzün­ den und zu einer Prostatitis führen. Es kann zu einer gutartigen Vergrösserung der Prostata (BPH – benigne Prostata­ hyperplasie) kommen. Die Prostata kann sich aber auch bösartig verändern, was zu Krebs führt. Eine Entzündung der Prostata kann jederzeit auftreten, während die beiden anderen Krank­ heitsbilder im Allgemeinen ab einem Alter von 45 bis 50 Jahren auftreten. Der grösste Risikofaktor für Prostatakrebs ist das Alter. Bei Männern zwischen 50 und 60 Jahren lassen sich in 20 bis 30% der Fälle Krebszellen in der Prostata nach­ weisen. Bei den Männern im Alter von 70 Jahren und darüber steigt diese Zahl schon auf 40 bis 50% an. Es gibt aber auch Prostatakrebserkrankun­ gen, die lebenslang unschädlich bleiben. Welches Durchschnittsalter haben die Pa­tienten? Um die 65 Jahre. Lassen sich genetische oder umweltbedingte Faktoren feststellen, die Prostatakrebs fördern? Stimmt es, dass diese Art von Krebserkrankung im 20. Jahrhundert stark zugenommen hat? Schon in den Fünfzigerjahren wurde durch Autopsien eine Reihe von Stu­ dien durchgeführt. Diese haben eine erhöhte Frequenz von kleinen, versteck­ ten Krebsherden in der Prostata von Personen gezeigt, deren Todesursache nicht im Krebs lag. A priori hat die Zahl der Prostatakrebserkrankungen also nicht aufgrund von Umweltfaktoren zugenommen. Das verstärkte Auftreten steht vielmehr mit den verbesserten Erkennungstechniken in Verbindung sowie mit einer Verminderung von To­ desursachen wie Herz-Kreislauf-Erkran­ kungen oder Verkehrsunfälle. Es liegen BLASE PROSTATA Prostatakrebs | Gesundheit aber durchaus genetische Faktoren vor, welche die Gefahr von Prostatakrebs erhöhen. So kann man feststellen, dass es sich um eine Familienkrankheit han­ delt: wenn der Vater, Onkel oder Bruder davon betroffen ist, schnellt das Risiko, selbst zu erkranken, rasant in die Höhe. Welches sind die Hauptsymptome von Prostatakrebs? Es gibt kein spezifisches Symptom. Es gibt Symptome, welche an die lokali­ sierte Entwicklung oder an die syste­ mische Entwicklung der Krankheit ge­ bunden sind, an den Moment, wo sich Metastasen bilden. Im ersten Fall kann man Störungen bei der Blasenentlee­ rung (Miktionsbeschwerden) feststellen oder auch Blut im Urin zu Beginn des Wasserlösens. Unter den systemischen Symptomen findet man im Allgemei­ nen Rücken- oder Hüftschmerzen, Un­ behagen, Gewichtsverlust. Dank der Früherkennung kann heutzutage aber eine grosse Zahl an Prostatakrebserkran­ kungen noch vor Auftreten des kleins­ ten Symptoms diagnostiziert werden. Müssen Probleme beim Wasserlösen mit Prostatakrebs in Verbindung gebracht werden? Miktionsbeschwerden sind häufig an eine Hyperplasie (Gewebezellvermeh­ rung) gebunden. Meist ist der periphere Teil der Drüse von Krebs befallen. Eine Hyperplasie bildet sich jedoch im Inne­ ren der Prostata, nahe bei den Harnlei­ tern, welche in der Folge zusammenge­ drückt werden können. Wie wird Prostatakrebs diagnostiziert? Es muss zwischen zwei Situationen un­ terschieden werden. Beim Patienten, der bereits Symptome zeigt, führen wir mit dem Finger über den Enddarm eine rektale Ertastung (DRU) durch, um die Form und Härte der Prostata zu erfüh­ len. Wenn nötig wird eine Entnahme von Gewebeproben (Biopsie) oder eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Es gibt aber auch Patienten, die ihren Arzt für eine allgemeine Kontrolle auf­ suchen – das berühmte Check-up der Fünfzigjährigen zum Beispiel. Im Allge­ meinen verlangt der Arzt eine Blutun­ tersuchung, wobei auch ein «PSA-Test» durchgeführt wird. PSA steht für «Pros­ tata-spezifisches Antigen», ein Eiweiss, das Hinweise über den allgemeinen Zu­ stand der Prostata liefert. Wenn der Wert des PSA im Blut eine bestimmte Schwel­ le überschreitet, ist es angebracht, zu ei­ ner rektalen Ertastung und wenn nötig zu den ergänzenden Untersuchungen fortzuschreiten. Der PSA-Test ist kontrovers. Weshalb? PSA ist ein Enzym, das ausschliesslich von Prostatazellen produziert wird und das in grosser Menge im Sperma vorkommt: es dient dazu, das Sperma flüssig zu halten. Es lässt sich auch in geringer Menge im Blut nachweisen. Im Falle einer Prostataerkrankung steigt der Gehalt von PSA im Blut an. Wird eine solche Erhöhung festgestellt, führen wir eine Reihe von Untersuchungen durch, die uns einen eventuellen Tu­ mor erkennen lassen. Der PSA-Wert ist eine sehr feine Angabe: Es ist hervor­ zuheben, dass ein erhöhter Wert nicht spezifisch auf Krebs hindeuten muss. Es ist schwierig, einen exakten Schwellen­ wert zu bestimmen. Die Messung von PSA führt aktuell erst zu Vermutungen. Je nachdem, wie sich der Wert mit der Zeit entwickelt, werden wir ergänzende Untersuchungen vorschlagen. Ein er­ höhter PSA-Wert sollte dennoch immer mit einer rektalen Ertastung verbunden werden. Wenn diese negativ bleibt, liegt die Möglichkeit, dass keine Krebserkran­ kung vorliegt, bei rund 90% – was sehr hoch ist. Überdies denke ich, dass eine eventuelle Untersuchung zum Feststel­ len von Prostatakrebs zwischen dem Arzt und seinem Patienten entschieden werden sollte. Letzterer muss klar darauf hingewiesen werden, was folgen kann, wenn ein erhöhter PSA-Wert festgestellt wird. Es ist wichtig zu wissen, dass man bis heute noch nicht bewiesen hat, dass eine systematische Erkennung über den PSA-Wert irgendeinen Einfluss auf das Überleben der Krankheit hätte. Dies wird weiterhin eine Kontroverse blei­ ben. Wie behandelt man nicht metastasierten Prostatakrebs? Je nach Stadium der Krankheit und je nach Tumorgrösse, die über eine Biopsie festgestellt werden kann, wird zwischen verschiedenen Behandlungsmöglichkei­ ten entschieden: chirurgisches Entfer­ nen der Prostata, externe Radiotherapie, lokalisierte Radiotherapie oder die so­ genannte aktive Überwachung. Durch Letzteres ist es möglich, eine aggres­ sive Behandlung, die sexuelle Störun­ gen oder Inkontinenz zur Folge haben kann, aufzuschieben. Ein chirurgischer Eingriff hat bei 30 bis 100% der Patien­ ten ein Abklingen des Sexualtriebs zur Folge, wobei auch bei Patienten, die den Sexualtrieb wiedererlangen, die sexuelle Befriedigung sehr stark abnimmt. Auch die Radiotherapie wirkt sich auf die Sex­ualität aus. Dies ist unter anderem der Faktor, der eine aktive Überwachung befürwortet. Wie stehen die Überlebenschancen bei diagnostiziertem Prostatakrebs? Wenn der Tumor lokal und nicht sehr aggressiv ist, erreicht die 10-JahresÜberlebensrate 75 bis 100%. Wenn die Krankheit sehr aggressiv ist, sinkt diese Rate auf 45 bis 70%. Gibt es Ansätze zur Prävention? Es gibt keinen besonderen Ansatz. Das in gekochten Tomaten enthaltene Ly­ kopen hat einen Schutzeffekt erwiesen. Man rechnet zudem damit, dass eine mediterrane Ernährungsweise mit we­ nig fetthaltigem Fleisch zur Verminde­ rung des Risikos beiträgt. n In Zahlen • 5300 neue Fälle von Prostatakrebs werden in der Schweiz jedes Jahr gezählt. • 1300 Männer sterben jährlich daran. • 60% der Betroffenen sind älter als 70 Jahre. • 39% sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. • 40% der Männer im Alter von über 65 Jahren sind Träger von Krebszellen in der Prostata. 8% davon haben aufgrund des Krebses Schmerzen und 3% sterben daran. Quelle: Krebsliga Schweiz Nützliche Adressen Krebsliga Wallis: www.krebsliga-wallis.ch Krebsliga Schweiz: www.swisscancer.ch Prostatahilfe: www.prostatahilfe.ch Realisiert durch die Partner: Departement für Gesundheit, Sozialwesen und Energie Dienststelle für Gesundheitswesen WB E XTRA 8.09 | 39