Pflegetheorie nach Orem

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Pflegetheorie nach Orem
1. Dorothea Orem – persönlicher und kultureller Hintergrund
2. Menschenbild
2.1 Wie wird der Mensch gesehen
3. Theorie der Selbstpflege
3.1 Was versteht D. Orem unter Selbstpflege
3.2 Selbstpflegekompetenz, Selbstpflegefähigkeit
3.3 Selbstpflegeerfordernisse (Selbstpflegeziele)
3.3.1. Allgemeine Selbstpflegeerfordernisse
3.3.2. Gesundheitsbedingte Selbstpflegeerfordernisse
3.3.3. Entwicklungsbedingte Selbstpflegeerfordernisse
4. Dependenzpflege (Abhängigenpflege)
4.1 Was versteht D. Orem unter Dependenzpflege
4.2 Dependenzpflegekompetenz
5. Wann liegt ein Selbstpflegedefizit vor?
6. Pflegesysteme
6.1 vollständig kompensatorisches Pflegesystem
6.2 teilweise kompensatorische Pflegesystem
6.3 unterstützend-erzieherisches Pflegesystem
7. Methoden des Helfens
8. Evaluation
1. Dorothea Orem – persönlicher und kultureller Hintergrund
Dorothea E. Orem wurde 1914 in Baltimore, USA, geboren. In den frühen 30er Jahren besuchte sie
eine Krankenpflegeschule in Washington D.C. Nach dem Abschlussexamen setzte sie ihre
Ausbildung fort, erwarb 1939 und 1945 den ersten und zweiten akademischen Grad im Fach
Pädagogik der Krankenpflege.
Bis sie letztendlich 1980 eine eigene Beratungsfirma (Orem & Shields, Inc.) in Maryland
gründete, bekleidete sie innerhalb ihrer Bilderbuchkarriere nicht nur mehrere einflussreiche Ämter
und Positionen, sondern verfasste auch verschiedene Schriften und Bücher und erhielt mehrere
Ehrendoktortitel.
Als ein entscheidendes Moment für ihre Arbeit beschreibt sie die Einsicht, dass die Grundlage für
das helfende Eingreifen der professionellen Pflege das Auftreten von Mängeln in der Selbstfürsorge
eines Menschen ist. Der Ausgangspunkt ihres Denkens verschiebt sich damit von einem traditionell
passiven Patienten als Empfänger der Pflege zu einer aktiv handelnden Person, die grundsätzlich für
sich selbst sorgt.
Die ersten beiden Studienabschlüsse absolvierte sie in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, was sie
nicht unbeeinflusst gelassen haben mag. Zwischen 1957 und 1959 beschäftigte sie sich intensiv mit
der Frage:" Was ist der eigentliche Gegenstand der Krankenpflege?". Aus dieser Zeit stammt auch
die oben erwähnte Einsicht. Damals herrschte Pflegenotstand in den Krankenhäusern. 1955 stellte
Henderson ihr Modell vor, eines der ersten seiner Art. Orem formulierte ihr Selbstfürsorge-Konzept
erst nach jahrelanger Berufserfahrung: 1980, und eine Überarbeitung 1985.
Wenn gleich sie selbst die Ähnlichkeit zwischen der Pflegedefinition von Henderson und ihrer
eigenen anerkennt, so verneint Orem doch ausdrücklich die Vermutung, dass sie ihren theoretischen
Rahmen davon abgeleitet hat. Sie sagt, die Zusammenarbeit mit vielen Pflegenden und die
Unterrichtserfahrungen hätten ihr sehr wertvolle Anregungen gegeben.
2. Menschenbild
2.1 Wie wird der Mensch gesehen
Dorothea E. Orem entwickelte ein eigenständiges Modell für die Pflege und durch die Pflege.
Der Schwerpunkt ihres Modells ist die Selbstpflege eines Menschen, der durch
Selbstpflegehandlungen permanent und automatisch zum eigenen Wohlergehen durchgeführt wird.
Sie sieht den Menschen als Einheit, dessen Funktionen mit der Unterstützung ein integriertes
Ganzes bildet.
Orem geht von einem ganzheitlichen Menschenbild aus, dass der Mensch mit Körper, Seele und
Geist in der Lage ist, zwei Formen von Fürsorge wahrzunehmen: Selbstpflege und
Dependenzpflege (Abhängigenpflege).
Beide dienen folgenden Zielen:
1. Unterstützung von Lebensprozessen und Förderung ihrer normalen Funktion
2. Aufrechterhaltung eines normalen Wachstums, das Erwachsenwerdens und einer lebenslangen
Entwicklung
3. Vorbeugung, Kontrolle oder Heilung von Krankheitsprozessen und Verletzungen
4. Vorbeugung und Kompensation von Behinderung
5. Förderung von Wohlbefinden
3. Theorie der Selbstpflege
3.1 Was versteht D. Orem unter Selbstpflege
Die Selbstpflege stellt das eigentliche Gerüst für das Pflegemodell von Orem dar.
Selbstpflege:Sind alle konkreten Handlungen (Selbstpflegehandlungen), die dazu dienen, für sich
persönlich zu sorgen. Das sind alle bewussten und gezielten Tätigkeiten, die ausgeübt werden, um
Leben, Gesundheit, Entwicklung und Wohlbefinden zu erlangen, zu erhalten oder wieder
herzustellen.
Selbstpflege ist ein Set von erlernten Verhaltensweisen, die immer wiederkehrende
Selbstpflegebedürfnisse befriedigen können.
Selbstpflege, das sind alle konkreten Handlungen, die dazu dienen für sich persönlich zu sorgen.
Handlungen, die der Mensch jeden Tag benötigt, um sein allgemeines Funktionieren und seine
Entwicklung zu regulieren. Das sind Selbstpflegehandlungen, welche bewusst und rational
ausgewählt sind. Diese alltäglichen Handlungen werden durch Faktoren wie Alter, Gesundheit und
dem jeweiligen Entwicklungsstand beeinflusst.
3.2 Selbstpflegekompetenz, Selbstpflegefähigkeit
Selbstpflegekompetenz ist die Fähigkeit eines erwachsenen Menschen dem kontinuierlichen Bedarf
an komplexen und zielorientierten Handlungen für sich zu erkennen und durchzuführen. Das ist die
Fähigkeit den Erfordernissen gerecht zu werden.
Damit die Selbstpflege durchgeführt werden kann, muss der handelnde Mensch über folgende
Fähigkeiten verfügen:
1. Faktoren einschätzen, welche die Funktion und Entwicklung beeinflussen (einschätzende
Tätigkeit)
2. Entscheiden über konkrete Handlungen, wie sie durchzuführen sind (transitive Tätigkeit)
3. Die Massnahmen durchführen und Effizienz (Wirksamkeit) überprüfen (produktive Tätigkeit)
Diese Selbstpflegekompetenz wird von Kindheit an erlernt, erreicht im Erwachsenenalter sein
Höchstmass an Perfektion und nimmt dann im Alter langsam wieder ab.
Wenn die Menschen in der Lage sind, diese Kompetenz umzusetzen, spricht man von einer
Selbstpflegefähigkeit.
3.3 Selbstpflegeerfordernisse (Selbstpflegeziele)
Selbstpflegeerfordernisse sind bestimmte Vorraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um gesund
zu bleiben und sich wohlfühlen zu können. D. Orem unterscheidet drei Gruppen:
1. Allgemeine Selbstpflegeerfordernisse: sie sind alle gleich und notwendig, um das Überleben des
Menschen zu gewährleisten und Lebensprozesse zu unterstützen und aufrechtzuerhalten. Dazu
zählen:
o Ausreichende Aufnahme von Sauerstoff, Flüssigkeit und Nahrung
o Körperpflege und Ausscheidung von Exkrementen
o Gleichgewicht zw. Aktivität und Ruhe
o Vorbeugung gegen Risiken und Förderung der Normalität
2. Gesundheitsbedingte Selbstpflegeerfordernisse: sie werden aufgrund von Krankheiten,
Verletzungen oder genetischen Defekten ausgelöst. Sie entstehen aber auch, wenn Menschen sich
einer medizinischen Diagnose und Behandlung unterziehen. Dazu zählen:
o Überwachung von Symptomen und Auswirkung von Behandlungen
o Inanspruchnahme und Gewährleistung einer angemessenen medizinischen Unterstützung
o Effektive Ausführung von medizinischen Verordnungen
o Erforderliche Veränderung des Selbstbildes und des Lebensstils
3. Entwicklungsbedingte Selbstpflegeerfordernisse: sie beziehen sich auf Prozesse und Ereignisse,
die sich während der verschiedenen Phasen im Lebenszyklus (Schwangerschaft, Geburt, Säuglings-,
Kleinkindsalter, alter Mensch etc.) ereignen. Dazu zählen:
o Gewährleistung von Bedingungen, die die Entwicklung fördern
o Persönlicher Einsatz der Selbstentwicklung
o Vorbeugen oder Überwindung der Auswirkungen von Bedingungen und Lebenssituationen, die
die menschliche Entwicklung negativ beeinflussen können.
4. Dependenzpflege (Abhängigenpflege)
4.1 Was versteht D. Orem unter Dependenzpflege
Dependenzpflege sind alle konkreten Handlungen, die verantwortungsvoll und bewusst von
Angehörigen, Freunden oder Bekannten für ihre "zeitweise Abhängigen" oder voll
Pflegebedürftigen übernommen werden.
Handelt ein Mensch für z.B. Säuglinge, Kleinkinder oder kranke und behinderte Menschen, so
treten seine Hilfestellungen anstelle der Selbstpflege des Pflegebedürftigen.
Der Dependenz-Handelnde betreut Säuglinge und Kleinkinder, da diese aufgrund ihrer
körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklung vielen Anforderungen noch nicht gewachsen
sind. Ebenso müssen ältere Menschen aufgrund ihrer nachlassenden Fähigkeiten im geistigen und
körperlichen Bereich Dependenzpflege in Anspruch nehmen.
4.2 Dependenzpflegekompetenz
Dependenzpflegekompetenz ist die Fähigkeit eines erwachsenen Menschen, den kontinuierlichen
Bedarf an komplexen und zielgerichteten Handlungen für einen anderen Menschen zu erkennen und
durchzuführen. Damit übernimmt er die Selbstpflege für einen anderen und damit eine hohe
Verantwortung. Zur Dependenzpflegekompetenz gehört nicht nur Massnahmen durchzuführen,
sondern auch Erfordernisse zu erkennen und einzuschätzen. Dependenz-Handelnde stehen häufig in
enger Kooperation mit Berufsgruppen der Gesundheitsversorgung. Gerade dann, wenn es um die
Versorgung eines zu pflegenden Angehörigen geht.
5. Wann liegt ein Selbstpflegedefizit vor?
Ein Selbstpflegedefizit liegt dann vor, wenn ein Ungleichgewicht (ein Missverhältnis) zwischen der
Selbstpflegekompetenz und dem situativen Selbstbedarf aufgrund von bestehenden
Einschränkungen vorliegt. Die Einschränkungen beziehen sich auf: Verstehensfähigkeit, die Urteilsund Entscheidungsfähigkeit und auf zielgerichtete Handlungen, die in der produktiven Phase der
Selbstpflege eintreten. Das kann durch eine Veränderung der Lebenssituation mit Einschränkung
der Selbstpflegefähigkeit oder geänderten Selbstpflegeerfordernissen vorkommen.
Wenn dieses Selbstpflegedefizit nicht von dem Betroffenen selbst oder seiner Bezugsperson
kompensiert werden kann, dann ist die professionelle Pflege notwendig.
6. Pflegesysteme
Ein Pflegesystem stellt eine Einheit dar, die zwischen der Pflegekraft, dem Patienten und unter
Umständen zwischen den Angehörigen existiert. Diese Einheit ergibt sich aufgrund einer
Pflegesituation, in der bestimmte Pflegehandlungen und Interaktionen ablaufen.
Orem unterscheidet drei Dimensionen:
Die soziale Dimension wird durch das jeweilige Gesundheitssystem bestimmt und regelt z.B. den
Status, die Finanzierung oder die Erwartung.
Die interpersonale Dimension beeinflusst Beziehungen der Beteiligten.
Die technologische Dimension umfasst folgende Schritte bzw. Fähigkeiten: Die Diagnosestellung
von Selbstpflegedefiziten (Pflegediagnose), die Verordnung von Pflegemassnahmen, den Entwurf
und die Planung eines Pflegesystems, die Behandlung, das Kontrollverfahren und die Verwaltung.
Diese diagnostizierenden, verordnenden, regulatorischen, behandelnden und kontrollierenden
Tätigkeiten werden durch den Pflegeprozess ermöglicht. Der dabei ablaufende strukturierende
Handlungsablauf fördert darüber hinaus die soziale und zwischenmenschliche Beziehung zwischen
Pflegenden und Pflegebedürftigen.
Pflegesysteme sind bewusste Handlungen, die auf ein Pflegeergebnis ausgerichtet sind. Drei werden
unterschieden:
6.1 vollständig kompensatorisches Pflegesystem
Hier muss die Pflegekraft die vollständige Unfähigkeit des Patienten kompensieren / ausgleichen,
weil der Patient sie nicht durchführen kann.
6.2 teilweise kompensatorische Pflegesysteme
Hier werden Selbstpflegehandlungen sowohl vom Patienten als auch von der Pflegekraft
durchgeführt. Damit es zu einer sinnvollen Zusammenarbeit kommt, muss die Pflegekraft sowohl
den situativen Selbstpflegebedarf als auch die Selbstpflegekompetenz des Patienten sehr gut
einschätzen können. Oft sind dies Patienten, die infolge einer Erkrankung oder Verletzung in ihrer
Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind, oder ihre Bewegung aufgrund ärztlicher Anordnung
einschränken sollen. Dies ist häufig der Fall, wenn der Patient viele Selbstpflegehandlungen
durchführen kann, aber bei medizinisch angeordneten Massnahmen wie z.B. Insulininjektion Hilfe
benötigt.
Psychische Gründe können auch Anlass für eine körperliche Unterstützung geben, z.B.
Beinamputierter ist psychisch so belastet, dass er erst einmal nicht in der Lage ist, seine
Gesamtsituation zu bewältigen. Häufig hat der Patient genug Selbstpflegekompetenz, sodass die
Pflegkraft versucht dem Patienten neue Massnahmen zu erlernen.
6.3 unterstützend-erzieherisches Pflegesystem
Hierbei geht es darum, dass der Patient für die Durchführung einer bestimmten Massnahme
Unterstützung, Motivation, Anleitung oder auch Ermutigung benötigt. Dies ist das einzige System,
in dem sich der Hilfsbedarf eines Patienten auf die Entscheidungsfindung, Verhaltenskontrolle und
das Verlangen von Wissen und Kompetenzen beschränkt. Im Vordergrund steht das Unterrichten,
die Pflegekraft muss dem Patienten das Lernen ermöglichen.
Es kann Situationen geben, in denen Patienten alle Systeme in Anspruch nehmen. Es ist aber auch
möglich, dass ein Patient innerhalb seines Krankheitsverlaufes von dem vollständig
kompensatorischen bis hin zu dem unterstützenden System wechselt. Pflegesysteme können auch
überlappen, d.h. dass Patienten aus zwei Pflegesystemen Handlungen erfahren.
7. Methoden des Helfens
Um Patienten zu unterstützen, wenden alle professionellen Helfer nach Orem bestimmte Methoden
an. Dazu gehören alle Handlungen, die dazu dienen, entweder die gesundheitsbedingte
Einschränkungen für einen Menschen auszugleichen bzw. ihm helfen, wieder selbst tätig zu werden,
oder die Dependenzpflege zu unterstützen.
Orem hat fünf Kategorien entwickelt, die oft untereinander kombiniert werden:
1. für andere handeln und agieren
2. führen und anleiten
3. physische oder psychologische Unterstützung geben
4. ein Umfeld errichten und erhalten, das die persönliche Entwicklung fördert
5. unterrichten
8. Evaluation
D. Orem hat durch ihr Modell einen entscheidenden Beitrag für die Weiterentwicklung der Pflege
geleistet, indem klar wird, was Pflegekräfte tun, warum sie es tun und was das Ergebnis ihres Tuns
ist.
Im Gegensatz zu den USA (seit den 80ern) und den Benelux (seit den 90ern) ist ihr Modell in
Deutschland nicht so weit verbreitet, es wird überwiegend punktuell bei der Leitbildentwicklung
verwendet oder zitiert (sogenanntes "Orem light"). Das mag vielleicht daran liegen, dass die
Begriffsdefinitionen nicht immer klar und verständlich sind, obwohl (oder weil) sie die fehlende
Fachsprache anspricht und neue Begriffe kreiert. Sie beschreibt z.T. alte Begriffsinhalte mit neuen
Begriffen, was einem Wörterbuch ohne Erkenntnisgewinn gleichkommt. Ausserdem sind durch ihre
Bandwurmsätze logische Zusammenhänge nicht immer ersichtlich. Doch im Grossen und Ganzen
ist ihr Modell brauchbar, weil es die Notwendigkeit des Einsatzes professioneller Pflege bestimmt.
Autor: Markus Silbitzer
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