Elementare Einfiihrung in die Wahrscheinlich

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Karl Bosch
Elementare Einfiihrung
in die Wahrscheinlichkeitsrechnung
7., dUfchgesehene Auflage
Mit 82 Beispielen
und 73 Ubungsaufgaben mit
vollsUindigem Losungsweg
:I
vleweg
Dr. rer. nat. Karl Bosch ist o. Professor am
lnstitut flir Angewandte Mathematik und Statistik
der Universitiit Stuttgart-Hohenheim
(Eine Kurzbiographie des Autors stehl auf Seite 190)
I. Auflage 1976
2., durchgesehene Auflage
3., durchgesehene Auflage
4., durchgesehene Auflage
5., durchgesehene Auflage
6., durchgesehene Auflage
7., durchgesehene Auflage
1979
1982
1984
1986
1995
1999
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Bosch, Karl:
Elementare Einftihrung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung : mit 82 Beispielen
und 73 Obungsaufgaben mit vollstiindigem Li}sungsweg/ Karl Bosch. 7., durchges. Aufl. - Braunschweig ; Wiesbaden: Vieweg, 1999
(Vieweg Studium; 25: Basiswissen)
ISBN 978-3-528-67225-6
ISBN 978-3-663-01523-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-01523-9
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© Springer Fachmedien Wiesbaden 1999
UrsprUnglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH,
BraunschweigjWiesbaden, 1999
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Gedruckt auf siiurefreiem Papier
Vorwort zur .rsten Auflag. 1976
Dieser Band ist aus dem ersten Teil einer zweisemestrigen Vorlesung entstanden,
die der Autor wiederholt fUr Studenten der Fachrichtungen Biologie, Padagogik,
Psychologie und Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Un iversitat Braunschweig gehalten hat. In ihrn sollen moglichst anschaulich die wichtigsten Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung eingefUhrt werden, die fUr
ein sinnvolles Studium der Statistik unentbehrlich sind.
Da die Statistik bei immer mehr Wissenschaftszweigen benotigt wird, ist der Aufbau und die Darstellung so gewahlt, daB ein moglichst breiter Leserkreis angesprochen werden kann. So wird bei den Zufallsvariablen zunachst der "diskrete"
Fall behandelt, weil zu deren Verstandnis nur wenig mathematische Vorkenntnisse
benotigt werden. Erst anschlieBend werden "stetige" Zufallsvariable betrachtet.
Haufig werden neue Begriffe iiber ein Beispiel anschaulich eingeflihrt, bevor sie
a1lgemein definiert werden. Zahlreiche Beispiele und Obungsaufgaben, deren Losungswege im Anhang vollstandig angegeben werden, sollen zum besseren Verstandnis beitragen.
Die mit * versehenen Stell en erfordern einige mathematische Vorkenntnisse. Sie
konnen jedoch iiberlesen werden, ohne daf!, dadurch eine LUcke entsteht. Entsprechend sind etwas schwierige Obungsaufgaben mit einem * gekennzeichnet.
')as Ende eines Beweises wird mit dem Zeichen ., das Ende eines Beispiels mil.
~ekennzeichnet.
~uf Mengensysteme und auf den Begriff der MeBbarkeit soli in diesem Rahmen
1icht eingegangen werden. Dazu sei auf die weiterfUhrende Literatur verwiesen .
~s Fortsetzung dieses Bandes ist die Angewandte Mathematische Statistik gedacht.
Das Manuskript wurde von Herrn Prof. Dr. E. Henze und Herrn Akad . Direktor
Dr. H. Wolff durchgesehen. Beiden bin ich fUr wertvolle Hinweise und Ratschlage
lOwie fUr das Oberlassen zahlreicher Obungsaufgaben zu groBem Dank verpflichtet.
Den Herren Kruse, Moller, Scholz und Stegen danke ich fUr die Mithilfe beim
Korrekturenlesen.
SchlieBlich sei dem Verlag fUr die vorbildliche Zusammenarbeit gedankt. In einer
sehr kurzen Zeit wurde dieser Band in einer ansprechenden Form von ihrn herausgebracht. Jedem Leser bin ich fUr Verbesserungsvorschlage dankbar.
Braunschweig, im Januar 1976
Kart Bosch
Vorwort zur s.chsten Auflag.
Wegen des erfolgreichen Einsatzes des Buches in mehreren Lehrveranstaltungen
wurde bei den Neuauflagen die Grundkonzeption des Buches nicht verandert.
Neben der Beseitigung von Fehlern im Text und in den Aufgaben wurde das
Literaturverzeichnis aktualisiert. Den KoUegen und Studenten, die mich auf
Fehler aufmerksam gemacht haben, danke ich recht herzlich.
Die siebte Auflage enthiilt wenige Korrekturen.
Stuttgart-Hohenheim, im Januar 1995
Karl Bosch
IV
Inhalt
1.
Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
1.1.
1.2.
1.3.
1.4.
1.5 .
1.6.
1.7.
1.7.1.
1.7.2.
1. 7.3.
1.8.
1.9.
1.10.
ZufaUige Ereignisse . . . . . . . . . .
5
Die relative HaufJgkeit . . . . . . . .
8
Axiomatische Deimition der Wahrscheinlichkeit nach Kolmogoroff .
Der Begriff der Wahrscheinlichkeit nach Laplace und kombinatorische Methoden
zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten . . .. .. . . . . . . .. .. . . . . . . . 12
Geometrische Wahrscheinlichkeiten .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .
25
Bedingte Wahrscheinlichkeiten und unabhiingige Ereignisse . .. . .. .
29
Bernoulli-Experimente und klassische Wahrscheinlichkeitsverteilungen . .
36
Die Binomialverteilung . . .
37
Die Polynomialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
. .
Die geometrische Verteilung .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .
40
Der Satz von der voUstandigen Wahrscheinlichkeit und die Bayessche Formel
42
Das Bernoullische Gesetz der gro1\en Zahlen . .
45
Obungsaufgaben
49
2.
Zufallsvariable
2.1.
Definition einer ZufaUsvariablen
Diskrete ZufaUsvariable . . . . .
2.2.
2.2. 1. Definition einer diskreten ZufaUsvariablen
2.2.2. Verteilungsfunktion einer diskreten ZufaUsvariablen
2.2.3. Erwartungswert einer diskreten Zufallsvariablen . . ..
2.2.4. Varianz und Streuung einer diskreten ZufaUsvariablen
2.2.5. Paare d iskreter ZufaUsvariabler . . . . . . . . . . .
2.2.6. Summen und Produkte diskreter ZufaUsvariabler
2.2.7. Erzeugende Funktionen . .. . .
2.3.
SpezieUe diskrete Verteilungen . .
2.3. 1. Die geometrische Verteilung . . .
2.3.2. Die hypergeometrische Verteilung
2.3.3. Die Binomialverteilung .. . . . .
2.3.4. Vergleich der hypergeometrischen- und der Binomialverteilung
2.3.5. Die Poisson-Verteilung als Grenzwert der Binomialverteilung
2.3.6. Obungsaufgaben tiber diskrete Zufallsvariable ..
2.4.
Stetige Zufallsvariable . . . . .. .. . . . . . .. . ... .. . .
2.4.1. Definition einer stetigen ZufaUsvariablen .. .. . . . . . . .
2.4.2. Erwartungswert und Varianz e'ner stetigen Zufallsvariablen
2.4.3. Stetige zweidimensionale Zufallsvariable ... .
2.4.4. Sum men und Produkte stetiger Zufallsvariabler
2.5 .
SpezieUe stetige Verteilungen . . . . . . . . . . .
2.5. 1. Die gleichmii1\ige Verteilung . . .. . .. . .. .
2.5.2. Die N(O ;I)-Norrnalverteilung als Grenzwert standardisierter Binomialverteilungen . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
2.5.3. Die allgemeine Norrnalverteilung . . . . . . . . . . . . . .
2.5.4. Die Exponentialverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.5. Obungsaufgaben tiber stetige Zufallsvariable . . . . . . .
Allgemeine ZufaUsvariable . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .
2.6.
2.6.1. Verteilungsfunktion, Erwartungswert und Varianz einer beliebigen
Zufallsvariablen . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
2.6.2. Median und Quantile einer Zufallsvariablen . . .
2.6.3. Obungsaufgaben tiber allgemeine Zufallsvariable
55
55
56
56
58
61
69
72
74
80
82
82
83
86
90
92
96
98
98
104
113
120
128
128
129
134
138
141
143
144
146
148
v
3.
Gesetze der gro&n Zahlen
3.l.
3.2.
3.3.
3.4.
Die Tschebyscheffsche Ungleichung . ... . . .. . ... ..
Das schwache Gesetz der gro1\en Zahlen ... .. ... ... .
Der zentrale Grenzwertsatz . . . . . .
. . . . .. .
Vbungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . .
4.
Testverteilungen .... .
4.l.
4.2.
4.3.
Die Chi-Quadrat-Verteilung . . . . . . . .
. . .. . .. . . ... .. . . ... . . 154
155
Die Studentsche t-Verteilung . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . . .
Die F -Verteilung von Fisher . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . 156
s.
Ausblick
6.
Anhang
6. l.
6.2.
6.3.
6.4.
U:isungen der Vbungsaufgaben ... .. . . . . . . . . .
Tafel der Verteilungsfunktion <I> der N{O;l)-Verteilung
Weiterftihrende Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . .
Namens- und Sachregister . . . . .. .. ... . . . . . .
. . . . . . ..
.. ... .. .
.. . . . . . .
. . . . . .
.
.
.
. . . .
149
149
150
151
153
. . . . . . .
154
158
..
. .
..
. .
.. . . . . .
. ..... . . . . .
. .
. .. . . . . . .. .
159
159
188
190
191
1. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
Bevor wir den Begriff "Wahrscheinliehkeit" einftihren, besehaftigen wir uns mit
den Grundbausteinen der Wahrscheinliehkeitsreehnung, den sogenannten zufalligen
Ereignissen.
1.1.Zufallige Ereignisse
Bei der Durehftihrung vieler Experimente kann eines von mehreren moglichen
Ergebnissen eintreten. Dabei sind zwar die versehiedenen Ergebnisse, die eintreten
konnen, bekannt, vor der Durehftihrung des Experiments wei~ man jedoeh nieht,
welches Ergebnis tatsaehlieh eintreten wird. In einem solchen Fall sagt man, das
Ergebnis hangt vom Zufall ab o Experimente dieser Art nennen wir Zufallsexperimente.
Beispiele von Zufallsexperimenten sind : das Werfen einer Miinze oder eines Wiirfels,
das Verteilen der 32 Skatkarten, die Lotto-Ausspielung, das Messen der Korpergro~e, des Blutdrueks und des Gewiehts einer zufallig ausgewahlten Person oder
die Feststellung des Intelligenzquotienten eines Kindes.
Unter einem zufiilligen Ereignis (oder kurz Ereignis) verstehen wir einen Versuehsausgang, der bei der Durehftihrung eines Zufallsexperiments eintreten kann, aber
nicht unbedingt eintreten mu~. Dabei mu~ von einem Ereignis naehjeder Versuehsdurehflihrung feststellbar sein, ob es eingetreten ist oder nieht. Ereignisse, die stets
gemeinsam eintreten oder nieht eintreten, werden als gleich angesehen. Wir bezeichnen Ereignisse mit gro~en lateinischen Buehstaben A, B, C, D, E, ... ; AI> A2 , • •
Das Ereignis, das bei jeder Durehftihrung des Zufallsexperiments eintritt, nennen
wir das sichere Ereignis und bezeichnen es mit n . Das sichere Ereignis n besteht
somit aus allen mo/dichen Versuchsergebnissen. Ein Ereignis, das nie eintreten kann,
hei~t unmogliches Ereignis und wird mit 0 bezeichnet.
Beispiell.l. Beim Werfen eines Wiirfels konnen als mogliche Versuchsergebnisse
die Augenzahlen 1,2,3,4,5,6 eintreten. Es gilt also n ={I, 2, 3, 4,5, 6}. 1st G
das Ereignis "eine gerade Augenzahl wird geworfen", so tritt G genau dann ein,
wenn eine der Augenzahlen 2,4,6 geworfen wird, es gilt also G ={2, 4, 6} .
Das Ereignis U "eine ungerade Augenzahl wird geworfen" besitzt die Darstellung
U ={I, 3, 5} und f1ir das Ereignis A "die geworfene Augenzahl ist mindestens
gleich vier" erhalt man A = {4, 5, 6}. Jede Zusammenfassung von Versuchsergebnissen stellt ein Ereignis dar. Unmogliche Ereignisse sind hier z.B.
{xix = 7} =~; {xIx = O} =~; {xIx = 15 oderx = 16} =~.
•
Beispiell.2. Ein Ball werde auf eine reehteckige Wand geworfen. Dabei sei die
Wand und der Standort des Werfers so gewlthlt,
d~
dieser bei jedem Wurf sicher
K. Bosch, Elementare Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung
© Springer Fachmedien Wiesbaden 1999
2
1. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
Bild 1.1. Ereignisse
trifft. Versuchsergebnisse sind dann die Beriihrungspunkte des Balles mit der Wand,
die wir (Bild 1.1) symbolisch als Punkte eines Rechtecks darstellen konnen.
n besteht somit aus allen Punkten des eingezeichneten Rechtecks. Betmgt der
Abstand des Bertihrungspunktes vom Mittelpunkt der Wand hochstens r Einheiten,
so tritt das Ereignis K ein. Das Ereignis L tritt ein, wenn die Hnke Hiilfte der Wand
getroffen wird, und das Ereignis A, wenn der Abstand des Bertihrungspunktes vom
rechten unteren Eckpunkt der Wand hochstens s Einheiten betmgt. Jeder Figur
(z.B. F) kann ein Ereignis zugeordnet werden.
•
Aus den Ereignissen A, Bgewinnen wir neue Ereignisse durch folgende Vorschriften :
1. Das Ereignis A () B =AB (sprich "A und B") tritt genau dann ein, wenn sowohl
A a1s auch B, wenn also be ide eintreten. Man nennt A () B den Durchschnitt
oder das Produkt von A und B.
2. Das Ereignis AU B (sprich "A oder B") tritt genau dann ein, wenn A oder B
oder beide eintreten, wenn also mindestens eines der Ereignisse A, B eintritt.
AU B he~t die Vereinigung von A und B.
3. Das Eeeignis A (speich "A nicht") tritt genau dann ein, wenn das Ereignis A
nicht eintritt. Man nennt A das zu A entgegengesetzte Eeeignis odee das
Komplementiirereignis von A.
4. Das Ereignis A \ B= AD tritt genau dann ein, wenn A eintritt und B nicht.
A \ B heiSt die Differenz von A und B.
Spiitere wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen werden durch folgende
Verabredungen wesentlich erleichtert:
5. Man sagt: A zieht B nach sich odee aus Afolgt B, im Zeichen A C B, wenn aus
dem Eintreten des Ereignisses A auch das von B folgt. Gilt A C B und Be A,
so sind die Eeeignisse A und B gleich, d .h. A = B.
6. Zwei Ereignisse A und B he~en unvereinbar (oder unvertriiglich odee disjunkt),
wenn sie nicht beide g1eichzeitig eintreten konnen, wenn also gilt A () B = 0.
File unvereinbaee Ereignisse A, B schreibt man anstelle von A U Bauch A + B und
nennt A + B die Summe von A und B.
3
1.1. ZuHilIige Ereignisse
Die Sehreibweise C = A + B bedeutet also folgendes: die beiden Ereignisse A und B
sind unvereinbar und C ist die Vereinigung von A und B.
Ein Ereignis, das nicht als Summe zweier disjunkter, von 0 verschiedenen Ereignisse
darstellbar ist, heiEt Elementarereignis. Elementarereignisse lassen sieh also nicht
mehr zerJegen.
Beispiell.3 (vgl. Beispiell.1). Beim Werfen eines Wiirfels seien folgende Ereignisse
betrachtet
n={1,2,3,4,5,6},
A={2,3,4},
G={2,4,6},
B={2,4,5},
U={1,3,5},
M={4,5,6},
C={2,4}.
Das Ereignis AB tritt ein, wenn entweder eine 2 oder eine 4 geworfen wird. Der
Durehschnitt AB besteht also aus allen Augenzahlen, die sowohl in A als auch in B
enthalten sind; damit gilt AB = {2, 4}. Ferner erhalten wir Gnu = 0 und
un M = {5}. Die Vereinigung A U B besteht aus allen Zahlen, die in A oder B
oder in beiden en thai ten sind, es ist also AU B = {2, 3, 4, 5}.
Weiter gilt
A={1,5,6},
G={1,3,5}=U,
M={1,2,3},
n=G+u,
U={2,4,6}=G,
A \ B = AS = {2, 3, 4} n {I, 3, 6} = {3},
CCG.
Die Beziehung B C G gilt nicht, wir sehreiben damr B ¢ G.
Die seehs Elementarereignisse lauten: {I}, {2}, {3}, { 4}, {5}, {6}.
•
Beispiel 1.4. Das Zufallsexperiment bestehe im Messen der KorpergroBe einer
zuflillig ausgewahlten Person. Als Versuehsergebnis tritt eine Zahl x auf, welche
die KorpergroBe der gemessenen Person angibt. 1st A das Ereignis "die Korper·
groBe betragt mindestens 165 und hoehstens 175 em", so besteht A aus allen
reellen Zahlen x mit 165 ~ x ~ 175. Das Ereignis A konnen wir somit darstellen
als A = {x 1165 ~ x ~ 175}. Ferner betraehten wir die Ereignisse
B = {x 1170 ~ x ~ 180} und C = {x 1150 ~ x ~ 160}.
Damit erhalten wir
An B = {x 1170
~x ~
AU B = {x 1165
~
x
~
175},
180},
AnC=0.
Das Ereignis A tritt ein, wenn die KorpergroBe kleiner als 165 oder groBer als 175
ist. A besteht also aus allen Werten x mit x < 165 oder x> 175, es gilt also
A= {x 1x < 165} U {x 1x > 175}.
•
1. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
4
Beispiell.S (vgl. Beispiel 1.2 und Bild 1.2)
A = "Kreisfliiche";
B = ,,Rechtecksflache";
C = ,,Dreiecksflache";
AB = "schraffierte Flache";
AC=BC =~;
AU B = "stark umrandete Flache";
A \ B = "nichtschraffierte Teilflache des Kreises";
B \ A = "nichtschraffierte Teilflache des Rechtecks".
Bild 1.2. Ereignisse
Aus dem Bild 1.2 erkennt man die Identitiit
AUB=AB+Ali+AB.
Die Operationen () und U konnen unmittelbar auf mehrere Ereignisse
AI, A2 , . . . ,An iibertragen werden.
7. Das Ereignis AI () A2
•
n
n A3 n ... n An = n
Ai tritt genau dann ein, wenn aile
n
i=1
Ereignisse A., A1 , .. . , An eintreten. Das Ereignis AI U Al U ... U An = U Ai
i=l
tritt genau dann ein, wenn mindestens eines der Ereignisse AI , A1 , .. . , An eintritt.
In den bisher betrachteten Beispielen haben wir Ereignisse stets durch Teilmengen
A, B, ... einer Grundmenge n dargestellt. Ferner benutzten wir bei der Definition
der Ereignisoperationen die Symbole der Mengenoperationen. Man wird daher vermuten, daB zwischen zufalligen Ereignissen dieselben Beziehungen bestehen wie
zwischen Mengen. Tatsachlich kann man samtliche Eigenschaften, die fur Mengen
gelten, direkt auf zufallige Ereignisse iibertragen, wenn man die Grundmenge durch
das sichere Ereignis n und die leere Menge ciurch das unmogliche Ereignis I/J ersetzt.
Dabei konnen samtliche Gesetze direkt in dor Sprache der Ereignisse bewiesen
werden, wobei viele Eigenschaften unmittel~ar einleuchtend sind.
Als Beispiel zeigen wir die sog. De Morgan~hen Regein .
5
1.2. Die relative Hiiufigkeit
Es gilt
AUB=Ans,
AnB=AUB
fur aile Ereignisse A, B .
(l.l)
Das Ereignis AU B tritt naeh Definition genau dann ein, wenn das Ereignis AU B
nicht eintritt, wenn also weder A noeh B, d.h. wenn A und B eintreten.
Das Ereignis An B tritt genau dann ein, wenn das Ereignis An B nieht eintritt,
wenn also von den Ereignissen A und B nieht beide eintreten. Diese Bedingung ist
genau dann erftillt, wenn mindestens eines der Ereignisse A, B nicht eintritt, wenn
also AU B eintritt, womit (1.1) bewiesen ist.
Als naehstes zeigen wir fur beliebige Ereignisse A und B die Identitiit
AU B = AB + AB + AB,
(1.2)
die wir in Beispiel 1.5 fUr zwei spezielle Ereignisse A, B aus Bild 1.2 direkt abgelesen
haben. Das Ereignis AU B tritt genau dann ein, wenn mindestens eines der Ereignisse A, B eintritt. Dies ist genau dann der Fall, wenn entweder beide Ereignisse
(d.h. das Ereignis AB), oder nur B (also AB) oder nur A (d. h. AS) eintritt. Ferner
sind die drei Ereignisse AB, AB, AS paarweise unvereinbar, d. h. je zwei von ihnen
konnen zusammen nicht eintreten, woraus (1.2) folgt.
AbsehlieBend geben wir einige Reehengesetze an, die sieh in der Spraehe der Ereignisse sehr einfaeh beweisen lassen.
AnB=BnA,
(Kommutativgesetze)
AUB=BUA,
An (B n C) = (A n B) n C ,
(Assoziativgesetze)
AU (B U C) = (A U B) U C ,
An(BuC)=ABUAC,
(Distributivgesetz)
AU=A,
AnA=A,
A=A,
11=0, 0= U,
A(B\ C) = AB \ AC,
AUA=U.
1.2. Die relative Haufigkeit
Beispiel 1.6. Wir wahlen zufallig 10 Personen aus und bestimmen deren KorpergroBen. Wir fiihren also das in Beispiel 1.4 beschriebene Zufallsexperiment 10-mai
dureh. Dabei ergeben sieh folgende auf em gerundete MeBwerte:
172, 169, 178, 183, 175, 159, 170, 187, 174, 173.
6
I. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
Bei jedem Versuch konnen wir dann feststellen, ob die in Beispiel 1.4 angegebenen
Ereignisse A= {x 1165:0; x:O; 175}, B = {x 1170:0; x:O; 180}, C = {xl 150:0; x:O; 160}
eingetreten sind. Beim ersten Versuch sind z.B. A und B eingetreten, C dagegen
nicht; somit ist C eingetreten. Insgesamt erhalten wir folgende Serien
A
A
A
A={xI165:o;x:O;175}
A A A A A
A A
B={xI170:o;x:O;180}
B B B B B B B B B B
C={xI150:O;x:o; 160}
CCCCC c CCCC
•
Allgemein werde ein Zufallsexperiment n-mal unter denselben Bedingungen durchgeftihrt, wobei n eine bestimmte natiirliche Zahl ist. 1st A ein beliebiges zuflilIiges
Ereignis, so tritt bei jeder Versuchsdurchflihrung entweder A oder das komplementare Ereignis A ein. Die Anzahl der Versuche, bei denen A eintritt, heiBt absolute
Hiiufigkeit des Ereignisses A; wir bezeichnen sie mit h n (A). Der Quotient
hn(A)
rn (A) = -n-
hei~t relative
Hiiufigkeit von A.
Die relative Haufigkeit hangt als Ergebnis eines Zufallsexperiments selbst vom Zufall ab oVerschiedene Versuchsserien vom g1eichen Urn fang n werden daher im allgemeinen verschiedene relative Haufigkeiten Iiefem. Trotzdem wird man erwarten,
d~ die Werte rn(A) in der unmittelbaren Nahe eines festen Wertes Iiegen, falls n
nur hinreichend gro~ gewahlt wird. Betrachten wir dazu folgendes
Beispiell.7. W sei das Ereignis, d~ beim Werfen einer Miinze Wappen auftritt.
Eine Miinze werde lOOO-mal geworfen. Berechnet man nach jedem Versuchsschritt
die durch die bisherige Versuchsserie bestimrnte relative Haufigkeit des Ereignisses W,
so erhalt man 1000 Zahlenwerte rn (W), n = 1, 2, ... , 1000, die fur n 2: 100 auf
dem Graphen der in Bild 1.3 eingezeichneten Kurve Iiegen.
Fiir grof.\e n Iiegt rn (W) sehr nahe bei ~ .
•
-n
Bild 1.3. Relative Hiiufigkeiten
7
I. 2. Die relative Haufigkeil
Eine so1che StabilWit zeigen LA. die relativen Hiiufigkeiten eines beliebigen Ereignisses A. Daher hat Richard von Mises (1931) versucht, die Wahrscheinlichkeit peA)
eines Ereignisses zu definieren durch einen Zahlenwert, dem sich die relativen
Hiiufigkeiten rn (A) beJiebig niihern, wenn nur n gentigend groB ist. Dieser ZaWenwert heiBt der Grenzwert der Foige rn (A). Man bezeichnet ihn mit
peA) = lim
rn (A) .
n~oo
Gegen diese Definition, die man tibrigens noch in einigen in letzter Zeit erschienenen
Btichern finden kann, ist folgendes einzuwenden:
Wird das Zufallsexperiment sehr oft wiederholt, so konnen sich im Laufe der Zeit
die Versuchsbedingungen iindern. Bei einem Wtirfel konnten z.B. Abnutzungserscheinungen auftreten.
Auch wenn man die Versuchsbedingungen konstant halten konnte, so wtirde die
Existenz des Grenzwertes doch bedeuten, daB zu jeder noch so kleinen ZaW e > 0
ein Index no(e) existiert, so daB sich fUr aile n ~ no(e) die relativen Hiiufigkeiten
rn (A) vom Grenzwert peA) urn hochstens e unterscheiden. Daher mtiBte die
Ungleichung
peA) - e ::; rn (A) ::; peA) + e
fUr aile n
~ no(e)
(1.3)
geiten. Es konnenjedoch Versuchsreihen entstehen, fUr die (1.3) nicht gilt, auch
wenn no noch so groB gewiihlt wird. So kann mit der in Beispiel 1.7 benutzten
Mtinze durchaus einmal eine Serle auftreten, in der die relativen Hiiufigkeiten nicht
in der Niihe von ~ liegen, auch wenn n noch so groB ist, z. B. eine Serie, bei der es
irnrner wieder ein n mit rn (W) ~ 0,55 gibt. Allerdings werden solche Serien bei
groBen n hochst selten vorkommen. Der Grenzwert lim rn (A) muB also nicht
n~oo
existieren.
Wir mtissen daher versuchen, die Wahrscheinlichkeiten auf eine andere Art einzufuhren. Da die relativen Hiiufigkeiten rn (A) mit den Wahrscheinlichkeiten peA)
doch in einer gewissen Beziehung stehen mtissen, leiten wir einige Eigenschaften
fur die relativen Hiiufigkeiten abo Diese Eigenschaften benutzen wir dann zur axiomatischen Definition der Wahrscheinlichkeit. Mit diesen Axiomen entwickeln wir
dann eine Theorle, mit der wir scWieBlich im sog. Bernoullischen Gesetz der groBen
ZaWen (s. Abschnitt 1.9) zeigen werden, daB unter gewissen Voraussetzungen fUr
jedes e > 0 Versuchsserien mit Irn (A) - peA) I> e bei wachsendem n irnrner
seltener auftreten, daB also (1.3) mit wachsendem no immer hiiufiger erftillt ist.
Eigenscha!ten der reiativen Haufigkeit:
Aus 0::; hn(A) ::; n folgt nach Division durch n
0::; rn(A) ::; I
fUr jedes A .
(1.4)
Da das sichere Ereignis il immer eintritt, gilt
rn(il)=I.
(1.5)
8
1. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
Sind A und B zwei unvertragliehe Ereignisse, so konnen bei einer spezieUen Versuehsdurehfuhrung nieht beide Ereignisse zugleich, sondem jeweils hoehstens eines
davon eintreten. Damit gilt fur die absoluten Haufigkeiten
hn(A + B) = hn(A) + hn(B).
Division dureh n liefert hieraus die Gleiehung
rn(A + B)
= rn(A) + fn(B).
(1.6)
Sind die Ereignisse A, B nieht unvertraglieh, so konnen bei einer Versuehsdurehfuhrung die Ereignisse A und B gleiehzeitig eintreten. Dann sind in der Summe
hn (A) + h n (B) diejenigen Versuehe, bei denen der Durehschnitt A () B eintritt,
doppelt gezahlt, wahrend diese Versuehe in hn (A U B) nur einfach mitgezahlt
werden.
Daraus folgt
h n (A U B)
= hn(A) + hn(B) -
hn(AB) .
Division dureh n liefert die Gleiehung
rn (A U B)
= rn (A) + fn (B) - rn (AB) .
(1.7)
1.3. Axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit nach Kolmogoroff
Fragt man jemanden, der sieh nieht intensiv mit Wahrscheinlichkeitsrechnung beschaftigt hat, was Wahrscheinliehkeit wirklieh bedeutet, so bekommt man Antworten folgender Art: "Ereignisse, die eine gro6e Wahrscheinliehkeit besitzen,
treten Mufig ein, Ereignisse mit einer kleinen Wahrscheinliehkeit dagegen selten."
Oder "Besitzt das Ereignis A eine gro6ere Wahrscheinliehkeit als B, so hat A eine
groBere Chance, einzutreten als B". Die Wahrscheinliehkeit P(A) eines Ereignisses A wird meistens als MaB fur das Eintreten des Ereignisses A betraehtet, wobei
dieses MaB dureh einige Eigenschaften erk.liirt wird, die es offensiehtlieh erruUt.
Ahnliehe Antworten erMlt man auf die Frage naeh den Grundbegriffen der Geometrie: Punkt, Gerade und Ebene. Dort ist es nieht mOglieh, die entspreehenden
Begriffe direkt zu definieren. Zu ihrer Definition benutzt man daher wesentliehe
Beziehungen zwischen diesen Elementen, sogenannte Axiome. Als Beispiel sei das
Axiom "dureh zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade" genannt.
Kolmogoro//fuhrte 1933 den Wahrseheinliehkeitsbegriffaxiomatisch ein. Es geniigt
bereits, die in (1.4), (1.5) und (1.6) fUr die relativen Haufigkeiten abgeleiteten
Eigenschaften als Axiome zu postulieren. Aus diesen Axiomen konnen dann viele
weitere Eigenschaften direkt gefolgert werden.
Definition 1.1 (Ko/mogoro//). Eine auf einem System von Ereignissen defmierte
Funktion P heif.t Wahrscheinlichkeit, wenn sie folgende Axiome erftillt:
9
1.3. Axiomatischc Definition der Wahrscheinlichkeit nach Kolmogoroff
Axiom I: Die Wahrscheinlichkeit peA) eines Ereignisses A ist eine eindeutig bestimmte, nichtnegative reelle Zahl, die hochstens gleich Eins sein kann, d.h. es gilt
o ~ peA) ~ 1 .
Axiom II: Das sichere Ereignis besitzt die Wahrscheinlichkeit Eins,
pen) = 1.
Axiom Ill: Fiir zwei unvertragliche Ereignisse A, B (also mit An B =~) gilt
peA + B) = peA) + P(B).
Aus diesen Axiomen lassen sich eine Reihe wichtiger Eigenschaften ableiten, die
uns spater bei der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten sehr nUtzlich sein werden.
Foigerungen aus den Axiomen:
Satz 1.1
FUr jedes Ereignis A gilt peA) = 1 - peA).
Beweis: Wegen n =A + A folgen aus den Axiomen die Gleichungen
1 = pen) = peA + A) = peA) + peA) und hieraus die Behauptung peA) = 1 - P(A) .•
Setzt man A gleich n , so folgt aus Satz 1.1 unmittelbar der
Satz 1.2
Das unmogliche Ereignis ~ besitzt die Wahrscheinlichkeit Null, es gilt
Satz 1.3
Aus A C B folgt peA)
~
P(~)
= O.
PCB).
Beweis: Wegen A C B gilt AB = A . Damit erhalten wir
B =nB =(A + A)B = AB + AB = A + AB und PCB) =P(A) + P(AB).
Wegen P(AB) ;::: 0 folgt hieraus schlieBlich PCB) ;::: peA).
•
Satz 1.4
FUr beliebige Ereignisse A und B gilt PCB \ A) =P(BA) = PCB) - P(BA).
Beweis: Aus B = BA + BA = BA + B \ A folgt PCB) =P(BA) + PCB \ A) und hieraus
die Behauptung PCB \ A) = PCB) - P(BA).
•
Satz I .S
FUr beliebige Ereignisse A und B gilt peA U B) = peA) + PCB) - P(AB).
Beweis: Aus AU B = AB + AB + AB (s. (1.2» folgt
peA U B) = P(AB) + P(AS) + P(AB) = P(A{13 + B» + P(AB) =
= P(An) + P(AB) = peA) + P(AB) .
(l .8)
Aus B = AB + AB erbalt man PCB) = P(AB) + P(AB) oder P(AB) = PCB) - P(AB).
Mit dieser Identitat folgt aus (1 .8) unmittelbar die Behauptung.
•
10
I. Der Wahrschcinlichkeitsbegriff
Definition 1.2. Die Ereignisse AI , A2 , ... , An (n ~ 2) heiBen paarweise unvereinbar.
wenn jeweils zwei von ihnen nicht zugleich eintreten konnen, wenn also gilt
Ai Ak = ~ flir al\e i =f. k . Die Ereignisse A I, A2 , . . , An
, heiBen (vo/lstiindig) unvereinbar, wenn al\e Ereignisse nicht zugleich eintreten konnen, d.h. wenn
Al n A2 n ... n An = ~ gilt.
Sind die Ereignisse AI, A 2, ... , An paarweise unvereinbar, so sind sie auch (vol\sHindig) unvereinbar. Die Umkehrung
braucht nicht zu gelten, wie man aus
BUd 1.4 sieht. Die Ereignisse AI, A 2, A3
konnen nicht zusammen eintreten. Wegen
Al n A2 n A3 = ~ sind die Ereignisse
AI' A 2• A3 (vol\standig) unvereinbar.
Wegen Al A2 =f. ~ sind die Ereignisse
AI, A2 , A3 dagegen nicht paarweise unvereinbar.
A1
Bild 1.4. Ereignissc
Sind die Ereignisse AI, A2 , ... , An paarweise unvereinbar, so schreiben wir anstelle
der Vereinigung wieder die Summe:
L Ai = Al + A2 + . . , +An = Al
n
U A2 U ... U An.
i=1
Mit Hilfe des Prinzips der vol\standigen Induktion laBt sich Axiom III auf die Vereinigung endlich vieler paarweise disjunkter Ereignisse iibertragen. Es gilt also der
Satz 1.6
Sind die Ereignisse AI, A 2 , . .. , An paarweise unvereinbar, so gilt
P(A I + A2 + ... + An) = P(A I) + P(A 2) + . .. +P(An).
*Bemerkung: Die Vereinigungsbildung kann unmittelbar auf abzahlbar unendlich
viele Ereignisse A I , A2 , A3 ,... iibertragen werden.
00
Das Ereignis U Ai tritt genau dann ein, wenn mindestens eines der Ereignisse
i =1
AI, A2 , ... eintritt.
Bei Systemen, die abzahlbar unendlich viele Ereignisse enthalten, muB Axiom III
ersetzt werden durch das
Axiom Ill': Sind AI, A2 , .,. abzahlbar unendlich viele, paarweise unvereinbare
Ereignisse, so gilt
P(.f>i) = P(A I + A2 + ..) =P(A I) + P(A2) + ... =
i=1
.1: P(Ai).
,= I
1.3. Axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit nach Kobnogoroff
11
Bei vielen Zufallsexperimenten sind nur endlich viele verschiedene Versuchsergebnisse mogiich. Bezeichnen wir die einzelnen Versuchsergebnisse mit W" W2 , ... , Wm ,
so I~t sich das sichere Ereignis, das ja aus allen mOglichen Versuchsergebnissen
besteht, darstellen durch
(\.9)
Die Elementarereignisse fwd, {W2}, ... , {w m } - daflir schreiben wir auch
{Wi}, i = 1 ,2 , ... , m - sollen die Wahrscheinlichkeiten P( {WI}) = p, ,
P( {W2}) = P2 , ... , P( {w m}) = Pm besitzen. Wegen Axiom I erflillen die Wahrscheinlichkeiten Pi die Bedingung
flir i=I,2, .. . ,m .
Aus
(1.10)
n = {w,}+ {W2}+ . . . + {wm } folgt wegen Axiom II und Satz 1.6
L
m
I = p, + P2 + . . , +Pm =
Pi .
(1.11)
i =1
Da n nur endlich viele Elemente besitzt, nennen wir n selbst endlich. Jedes zufalJige
Ereignis A I~t sich als Zusammenfassung von bestimmten Versuchsergebnissen darstellen, z.B. A = {Wi" Wi2' ... , Wir} ' A ist also eine sogenannte Teilmenge von n.
Aus A = {Wi,} + {Wi2} + . . , {Wir}
+
folgt
peA} = P( {Wi,}} + .,. + P( {Wir}) = Pi, + Pi 2 + ' " +Pi r ·
(1.12)
Die Wahrscheinlichkeit von A ist also gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten
derjenigen Elementarereignisse, deren Vereinigung A ist . Bei endlichem n ist
wegen (1 .12) die Wahrscheinlichkeit flir jedes Ereignis A durch die Wahrscheinlichkeiten Pi der Elementarereignisse {W;} eindeutig bestimmt.
Beispiel 1.8. Durch n = {I, 2, 3,4, 5,6}, p, =P({I}) =0, I ; P2 = P3 = P4 = Ps = 0,15 ;
P6 = P( {6}) = 0,3 konnte in einem mathematischen Modell z.B. das Zufallsexperiment
beschrieben werden, das im Werfen eines "verfalschten" Wiirfels besteht. Der entsprechende verfalschte Wiirfel kann so konstruiert sein, dc& in einen Holzwiirfel
(s. Bild 1.5) an der Seite, auf welcher die Augenzahl I steht, eine Stahl platte eingearbeitet ist. Dabei sei die Stahl platte gerade so dick, dc& die Wahrscheinlichkeiten
flir das Auftreten der einzelnen Augenzahlen gieich den oben angegebenen Zahlenwerten sind. Die einzelnen Wahrscheinlichkeiten
Pi' i = I, 2, ... , 6 hangen nattirlich von der Dicke
der eingearbeiteten Stahl platte ab oAussagen tiber
die unbekannten Wahrscheinlichkeiten Pi bei
einem verfalschten Wtirfel zu machen, ist z.B.
Holz
ein Problem der Statistik. Mit Hilfe einer auf
den Axiomen von Kolmogoroffaufgebauten
Stahl
Theorie werden dort die entsprechenden Aussagen tiber die (zunachst unbekannten) WahrBild I.S
Verfalschter Wiirfel
scheinlichkeiten abgeleitet.
•
12
1. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
*Bemerkung: Die fUr endliche n abgeleiteten Eigenschaften konnen unmittelbar
auf Zufallsexperimente iibertragen werden, bei denen unendlich viele verschiedene
Versuchsergebnisse moglich sind, die aber, wie die natiirlichen Zahlen, durchnumeriert
werden konnen. In diesem Fall sagt man, n besitze abziihlbar unendlich viele Elemente und stellt n dar durch
n = {w 1, Wl , W3,
(1.13)
... , W n , ... } .
Dabei muB Axiom III durch das Axiom III' ersetzt werden. Bedingung (LlI) geht
00
iiber in
(1.14)
PI + P2 + .. , +Pn + ... =
Pi = 1.
L
i;1
Setzt sich A aus abziihlbar unendlich vielen Versuchsergebnissen zusammen, d.h.
ist A = {Wi!, Wi2' ... , Win' ... }, SO gilt
00
peA) = Pil + Pi2 + .. , + Pin + .. =
L Pik'
(1.15)
k;1
1.4. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit nach Laplace und
kombinatorische Methoden zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten
Bei einem aus homogenem Material gefertigten Wiirfel kann man wegen der Symmetrie davon ausgehen, daL\ keine der Augenzahlen 1,2,3,4,5,6 bevorzugt auftritt.
Das bedeutet aber, daL\ aIle Augenzahlen mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten.
Aile sechs Elementarereignisse besitzen somit dieselbe Wahrscheinlichkeit P =
Wir betrachten allgemein ein Zufallsexperiment, bei dem n aus m verschiedenen
Versuchsergebnissen besteht, bei dem sich also das sic here Ereignis darstellen l~t als
i.
(m endlich).
(1.16)
Ferner sollen aIle m Elementarereignisse {wd, {W2}, ... , {w m } dieselbe Wahrscheinlichkeit P besitzen; es gelte also
P({wd)
= P({W2}) =... =P({w m }) = p.
(1.17)
Zufallsexperimente, we1che die Bedingungen (1.16) und (1.17) erftillen, nennen wir
Lap/ace-Experimente. Aus
n ={wd+ {W2}+ {W3}+ ... + {W m }
folgt
I
=pen) =P( {wd) + ... + P( {w m }) =P + P + _. _+ P =m . P
und hieraus
I
P=m-
(1.18)
13
1.4. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit nach Laplace
Ein Ereignis A, das aus r verschiedenen Versuchsergebnissen besteht, besitzt die
Darstellung A = {Wi!' Wi2 ' . .. , Wi.}. Daraus folgt
P(A) =P({Wit}) + ... + P({Wi.}) =r· p =
r
m'
Flir die Wahrscheinlichkeit P(A) erhalten wir somit
r
P(A)
Anzahl der fliT A giinstigen Faile
IA I
=m= Anzahl der insgesamt moglichen Fal1e =1n1
(\.19)
Dabei stellt IAI die Anzahl der in A enthaltenen Versuchsergebnisse dar. Die Gleichung (1 .19), die wir fliT Laplace-Experimente direkt aus den Axiomen von
Kolmogoroff abgeleitet haben, benutzte Laplace (1749-1827) zur Definition der
sogenannten klassischen Wahrscheinlichkeit. Voraussetzung fliT die Anwendbarkeit
dieser Regel - das sei nochmals besonders betont - sind die beiden Bedingungen :
1.
2.
da~
d~
nur endlich viele verschiedene Versuchsergebnisse moglich sind und
aile Elementarereignisse dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzen.
Die erste Bedingung allein geniigt nicht, wie wir noch in Beispiel 1.10 sehen werden.
Beispiel 1.9 (idealer Wilr/el). Bei einem aus homogenem Material angefertigten
Wlirfel kann - sofern beim Werfen nicht ,,manipuliert" wird - davon ausgegangen
werden, daB alle sechs Elementarereignisse {i}, i = 1, 2, ... ,6, dieselbe Wahrscheinlichkeit und damit nach (1 .18) die Wahrscheinlichkeit besitzen. Man spricht hier
von einem idealen Wiirfel.
i
1st G das Ereignis "die geworfene Augenzahl ist gerade", so folgt aus (1.19)
P(G) ~
Flir das Ereignis M "die geworfene Augenzahl betragt mindestens 3"
erhalten wir P(M) = i = ~ .
•
= =!.
BeispielUO_ Beim Werfen zweier idealer Wiirfel berechne man die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die einzelnen Augensummen geworfen werden.
Zur Berechnung der einzelnen Wahrscheinlichkeiten betrachten wir folgendes Modell :
die beiden Wiirfel werden unterscheidbar gemacht. Ein Wlirfel sei z.B. we~, der
andere rot. Die einzelnen Versuchsergebnisse konnen dann dargestellt werden als
Paare (i, k), wobei i die Augenzahl des wei~en und k die Augenzahl des roten Wiirfels
ist. Die moglichen Paare stel1en wir in folgendem Schema iibersichtlich dar:
(1 ,1)
(2,1)
(3,1)
(4,1)
(5,1)
(6,1)
(1 ,2)
(2,2)
(3,2)
(4,2)
(5,2)
(6,2)
(1,3)
(2,3)
(3,3)
(4,3)
(5,3)
(6,3)
(1,4)
(2 ,4)
(3,4)
(4,4)
(5,4)
(6,4)
(1,5)
(2 ,5)
(3,5)
(4,5)
(5 ,5)
(6,5)
(1,6)
(2,6)
(3 ,6)
(4,6)
(5,6)
(6,6) .
14
I. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff
Wir nehmen an, dai\ es sich beim Werfen der beiden Wiirfel urn ein Laplace-Experiment handelt, dai\ also aIle 36 Zahlenpaare mit derselben Wahrscheinlichkeit auftreten. Fiir die einzelnen Augensummen stellen wir die giinstigen FaIle und die
entsprechenden Wahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.1 dar.
TabeUe 1.1: Augensumme zweier idealer Wiirfel
Augensum me
2
giinstige FaIle
(1,1)
Anzahl der
giinstigen FaIle
Wahrscheinlichkeiten
flir die Augensummen
1
36
1
2
3
(2,1); (1,2)
2
36
4
(3,1); (2,2); (I ,3)
3
36
3
4
5
(4,1); (3,2); (2,3);(1,4)
4
36
6
(5,1); (4,2); (3,3); (2,4);(I ,5)
5
36
7
(6,1); (5,2); (4,3); (3,4); (2,5); 0,6)
6
36
8
(6,2); (5,3); (4,4); (3 ,5); (2,6)
5
36
5
6
5
4
(6,3); (5,4); (4,5); (3,6)
4
36
10
(6,4); (5,5); (4,6)
3
36
11
(6,5); (5,6)
2
36
12
(6,6)
1
36
9
3
2
1
Fiir das Ereignis A "die Augensumme betragt mindestens 6 und hochstens 8" gibt
es 16 giinstige Falle. Daher besitzt es die Wahrscheinlichkeit peA) = ~ = ~. Zur
Berechnung soIcher Wahrscheinlichkeiten geniigt bereits die Kenntnis der Wahrscheinlichkeiten, mit der die einzeinen Augensummen auftreten. Betrachtet man
nur die Augensummen als Versuchsergebnisse, so besteht das sichere Ereignis n
aus den elf Zahlen 2,3, ... , 12; es gilt also die Darstellung
n ={2, 3,4,5,6,7,8,9,10,11, 12}.
(1.20)
Die Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse erhaIt man aus der letzten Spalte
der Tabelle 1.1.
Die einzelnen Elementarereignisse besitzen also nicht mehr alle dieselbe Wahrscheinlichkeit.
Wir stellen uns foigendes Experiment vor: in der Klasse 9a werden wiederholt zwei
Wiirfel geworfen. Die Augensummen werden der Klasse 9b mitgeteilt, wobei die
Klasse 9b aber nicht erfahren solI, durch welches Zufallsexperiment diese Zahlen
entstanden sind. Nach einer gewissen Zeit wird die Klasse 9b auf Grund des ihr gelieferten ZahlenmateriaIs sicherlich feststellen, dai\ n die in (1.20) angegebene
Darstellung besitzt. Der Schlul.\, dai\ aIle Elementarereignisse dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzen, ware hier falsch. Vermutlich wird die Klasse dies bald selbst
merken, da ihr z. B. die Zahl 7 wohl wesentlich haufiger geliefert wird aIs die
Zahlen 2 oder 12.
•
15
1.4. Der 8egriff der Wahrschcinlichkeit nach Laplace
Bei vielen Zufallsexperimenten kann davon ausgegangen werden, daB es sich urn
ein Laplace-Experiment handelt, wobei allerdings m als die Anzahl der insgesamt
moglichen Falle nieht sehr einfach anzugeben ist. Zur Berechnung der Zahl m und
der Anzahl der flir ein Ereignis A gUnstigen Falle benutzt man Methoden aus der
Kombinatorik. Wir werden daher einige grundlegende Satze aus der Kombinatorik
behandeln.
Kombinatorik
a) Anordnungsmdglichkeiten von n Elementen .
Wir betrachten zunachst folgendes
Beispiell.ll. Ein Studienanfanger kauft sich zunachst zwei verschiedene Fach·
biicher. Diese kann er in einem Biicherregal auf zwei verschiedene Arten anordnen.
Kauft er sich ein drittes Buch dazu, so gibt es drei Moglichkeiten, dies im Regal
zu den anderen beiden Biichern hinzustellen : rechts, links oder in die Mitte. Da er
bei jeder der beiden Anordnungsmoglichkeiten der beiden zuerst gekauften BUchel
so vorgehen kann , gibt es fiir drei Biicher insgesamt 2 · 3 verschiedene Anordnungsmoglichkeiten. Ein viertes Buch kann er auf vier (s. Bild 1.6), ein fUnftes auf fUnf
Arten hinzustellen, usw. Daher gibt es fUr vier BUcher I ·2 · 3 ·4 =24 und flir flinf
BUcher I · 2 · 3 · 4 . 5= 120 verschiedene Anordnungsmoglichkeiten. 1st n eine be·
liebige natUrliche ZaW, so erhalt man allgemein die
Anzahl der verschiedenen Anordnungsmoglichkeiten
I
~
~
fUr n Biicher aus derjenigen fUr n - I Biicher durch
Multiplikation mit n. Nach dem sogenannten Prinzip der vollstandigen Induktion folgt daraus, daB
man n Biicher auf I ' 2 ' 3 ...
' . (n -I)' n verschiedene Arten anordnen kann.
•
tODD
t
Bild 1.6
Das Produkt I ' 2·3· .... (n - I) ' n bezeichnen wir mit n! (sprich "n Fakultdt " ).
Anstelle der BUcher in Beispiel 1.1 I kann man beliebige andere unterscheidbare
Dinge betrachten. Somit gilt der
Satz 1.7
n verschiedene Dinge lassen sich unter Beriicksichtigung der Reihenfolge auf
n! =1 · 2· . . , . (n -I) . n verschiedene Arten anordnen.
Jede Anordnung von n verschiedenen Dingen nennt man eine Permutation. Damit
besagt Satz 1.7, daB es flir n verschiedene Dinge genau n! Pennutationen gibt.
Beispiell.l2. Bei einer Geburtstagsfeier soUen zehn Personen an einem runden
Tisch Platz nehmen. Die Tischordnung wird zufaUig ausgelost. Herr Meyer mochte
gerne neben FrJ. Schultze sitzen. Man berechne die Wahrscheinlichkeit p , mit der
dieses Ereignis eintritt.
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