VIETNAM UND 68-ER

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VIETNAM UND 68-ER
LINKSWENDE
Im Vietnam-Krieg bombte die stärkste Macht der Welt ein "Entwicklungsland" in die Steinzeit zurück. 2,7
Millionen Amerikaner dienten im Krieg, dessen Kosten 145 Milliarden US-Dollar betrugen. Dabei wurden
10 Millionen Tonnen Bomben und Granaten - das sind im Schnitt zwei pro Minute - durch die US Air
Force abgeworfen. Alleine im Jahr 1968 fielen mehr Bomben als im gesamten Zweiten Weltkrieg.
Trotzdem verloren die USA den Vietnam-Krieg, der 2,5 Millionen Menschen das Leben kostete!
Indochina-Krieg Nach dem Zusammenbruch Japans 1945 installierte Ho Chi Minh in Nordvietnam ein
kommunistisches Regime, während Frankreich mit britischer Hilfe die Herrschaft über den Süden
zurückerlangte und vom Wiederaufbau eines südostasiatischen Kolonialreiches träumte. Über ein Jahr
lang versuchte Ho Chi Minh vergeblich, die Franzosen zu einem friedlichen Rückzug zu bewegen. Ende
´46 kam es dann zum Krieg zwischen den Viet-Minh und Frankreich, der im Frühjahr ´54 mit einer
erbitterten Niederlage der Europäer bei Dien Bien Phu endete. Beim darauffolgenden "Genfer
Abkommen" drängten die UdSSR und China die Viet-Minh dazu, einer Teilung Vietnams entlang des 17.
Breitengrades zuzustimmen.
Vietnam-Krieg Die USA weigerten sich, das Abkommen zu ratifizieren und errichteten stattdessen eine
konterrevolutionäre Regierung in Saigon, Südvietnam, wo es seit ´57 zunehmend zu Guerillatätigkeit der
kommunistisch geführten Viet-Cong kam. Das antikommunistische Regime in Süden wurde von den
Amerikanern bereits massiv mit Waffenlieferungen und Militärberatern unterstützt. 1964 nahmen die USA
den Angriff auf einen US-amerikanischen Zerstörer zum Anlass für einen Einsatz eigener Streitkräfte in
Südvietnam und für einen Luftkrieg gegen Nordvietnam. Der Norden erhielt seinerseits Unterstützung von
China und der UdSSR Hilfe in Form von Kriegsmaterial. Im Jahr 1973 kam es dann zum Rückzug der
US-Bodentruppen, die Saigoner Regierung wurde - wenn auch in gewaltigen Ausmaß - nur mehr mit
Kriegsmaterial unterstützt. Durch die Offensive der "Kommunisten" ´75 brach schließlich die Armee des
Südens zusammen und Vietnam wurde wieder unter der Hauptstadt Hanoi vereint.
Nach drei Jahrzehnten Krieg war die vietnamesische Wirtschaft völlig zerstört. Dem hinzu kamen eine
kurze Konfrontation mit China und die Intervention innerhalb Kambodschas, wo man Ende ´78 half, das
Pol-Pot-Regime zu stürzen. Als Konsequenz dessen lag nun die Ökonomie Vietnams völlig danieder.
Darüber hinaus weigerten sich die USA, den neuen vietnamesischen Staat anzuerkennen, was den
Wiederaufbau stark erschwerte. In den 80er Jahren zählte das Pro-Kopf-Einkommen Vietnams bereits zu
den niedrigsten der Welt.
Nichts gelernt Wie wenig die Erschütterungen des Vietnam-Kriegs zu einem grundsätzlichen Umdenken
in der amerikanischen Außenpolitik samt ihres angekratzten Images als "Welt Sheriff" führten, bewiesen
sie kurz darauf zum Beispiel in Chile. Als nämlich 1970 der Sozialist Salvador Allende als Präsident einer
Volksfront legal an die Macht kam, wurde dieser ´73 mithilfe des US-Militärs und CIA gestürzt. Mit ihm
starben Zehntausende. Es folgte die blutige Diktatur der Militärjunta unter Augusto Pinochet.
Der Alptraum der Kriegstreiber Durch den Kalten Krieg wurde die Welt ideologisch in zwei Blöcke
gespalten. Totalitärer "Kommunismus" "drüben" im Osten sowie die zum Mythos hochstilisierte "freie
Welt" des Westens.
Im November 1964 wurde der Demokrat Johnson zum Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Seine
Vision der "Great Society", einer pluralistischen Gesellschaft mit sozial abgesicherten Platz für jede/n
samt Armutsbekämpfung und Rassenintegration, sicherte ihm einen überwältigenden Teil der
Wählerstimmen. Anstatt jedoch das Geld in seine versprochenen Agenden zu investieren, pumpte es
Johnson in den Kampf um Vietnam, bei dem "das internationale Prestige der USA und ein beträchtlicher
Teil unseres Einflusses auf dem Spiel stehen", wie es das US-Außenministerium Anfang 1965 erklärte.
Darüber hinaus litt die Verwirklichung seiner Vorhaben noch unter einer zweiten Schwachstelle. Eine
florierende Wirtschaft mit Vollbeschäftigung und Wachstumsraten als Voraussetzung wurden nämlich
durch den Vietnam-Krieg untergraben.
Imperialismus Obwohl Flächenbombardements gegen den "unsichtbaren" Gegner weitgehend nutzlos
waren, gingen die Opfer unter der vietnamesischen Kriegsbevölkerung in die Hunderttausende. Das
jahrelang stabile Lügenkonstrukt, dass die USA an der Spitze der "freien Welt" gegen den Totalitarismus
kämpfe, begann allmählich zu bröckeln.
Teach-In-Bewegung Die Anti-Kriegs-Bewegung ging zunächst von kleinen AktivistInnenkernen aus den
Universitäten hervor. Es wurden öffentliche Debatten organisiert, zu denen man auch
Regierungsvertreter einlud und diese schließlich argumentativ auseinander nahm. Die Teach-Ins zogen
immer größere Schichten von StudentInnen in die Debatte. 1965 beteiligten sich 30.000 in Berkeley und
schließlich Hunderttausende in Washington, als ein Teach-In im gesamten Land per Uni-Radiostationen
übertragen wurde.
Aufstand in den Ghettos Zwischen 1965 und 68 entlud sich in den Ghettos der USA die Enttäuschung
über die Johnson-Administration, das soziale Elend, die Polizeibrutalität und den Rassismus in
Aufständen. Im April ´67 demonstrierten 400.000 Menschen in New York. Drei Monate später kam es in
New Jersey zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, nachdem die Nationalgarde 21 Schwarze
erschoss. Nach der Ermordung des farbigen, gewaltlosen Bürgerrechtlers Martin Luther King ´68
breiteten sich militante Proteste und Ausschreitungen auf ganz Amerika aus.
"No vietnames ever called me a nigger!" Die radikalisierte Schwarzenbewegung begann nun,
Verbindungen zwischen ihrer Unterdrückung in den USA und der Unterdrückung der Vietnamesen zu
ziehen ("bing the war home"). Der Box-Weltmeister Mohammed Ali brachte es auf den Punkt: "Kein
Vietnamese hat mich je als Nigger beschimpft!". So wurden Anliegen der Farbigen zu Anliegen der AntiKriegsbewegung und umgekehrt.
Wendepunkt, Tet-Offensive 1967/68 Die Anti-Kriegsbewegung und ihre Verallgemeinerung konzentrierte
sich nicht nur auf die USA, sondern beflügelte weltweit eine Generation von Jugendlichen, deren Wut
über das herrschende System schon lange nach Artikulation suchte. Die Neujahrsoffensive der antiimperialistischen Viet-Cong-Guerillas in Südvietnam markierte ein Wende im Vietnam-Krieg. Im Rahmen
der sogenannten "Tet-Offensive" wurden sämtliche US-Stützpunkte in Südvietnam angegriffen. Die VietCong eroberten Teile der amerikanischen Botschaft in Saigon sowie die alte Hauptstadt des Landes Hue'.
Obwohl die Amerikaner das Gebiet durch systematisches Schutt-und-Asche-Legen der Städte wieder
zurückgewinnen konnten ("es war nötig, die Städte zu zerstören, um sie zu erhalten"), zeigte der Treffer
mitten ins Herz der US-Streitmacht vor allem auch Wirkung im Bewusstsein Millionen Jugendlicher,
denen damit verdeutlicht wurde, dass auch der "Superimperialismus" der Vereinigten Staaten nicht
unüberwindbar ist.
Aufbruch Was als eine Reihe voneinander unabhängiger Bewegungen gegen verschiedene Aspekte des
kapitalistischen Systems begonnen hatte, vereinigte sich zu einer weltweiten Rebellion gegen den
Kapitalismus. Der Auslöser war das Losbrechen einer internationalen StudentInnenbewegung, im
Endeffekt lässt sich die 68er und ihre Errungenschaften aber bei weitem nicht auf diese Schicht
reduzieren.
Deutschland In der ersten Hälfte der 60er Jahre existierte in Deutschland kaum mehr als eine linke
Opposition. Der stabile wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit schuf den Mythos vom
krisenfreien, beherrschbar gewordenen Kapitalismus, marxistische Analysen von Krisenzyklen gehörten
der Vergangenheit an. Doch bereits 1967 wurde dieser Mythos durch die erste Rezession angekratzt.
SDS - Verwandlung einer linksdemokratischen Gruppierung in eine revolutionäre Kraft Der Sozialistische
Deutsche Studentenbund (SDS) hatte entscheidenden Anteil daran, dass sich aus einem antiautoritären
Protest eine antikapitalistische Bewegung formierte, aus der eine organisierte revolutionäre Linke
unabhängig von Reformismus und Stalinismus nach Moskauer Vorbild entstehen konnte.
Unzufriedenheit Die Situation an den Universitäten in Nachkriegsdeutschland war miserabel. Überfüllte
Hörsäle, extrem autoritäre Strukturen, ehemalige Nazi-Professoren, Dominanz des politischen Bildes
durch Burschenschaften und konservative Verbände, keinerlei Mitbestimmung für Studenten - trotzdem
nahm aufgrund des langen Wirtschaftsaufschwungs die Zahl der StudentInnen massiv zu. Die Rufe nach
Aufarbeitung der Vergangenheit und Reinigung der Gesellschaft von den Nazi-Resten wurde immer
lauter. In diesen Jahren beabsichtigte die Regierung, die Verfassung zu ändern und durch
Notstandsgesetze zu ergänzen. Und dies nachdem dreißig Jahre zuvor in der Weimarer Republik die
demokratische Republik zerstört wurde und Notstandsgesetze die Ära des Faschismus einläuteten.
Dieser Schock eskalierte dann mit dem Vietnam-Krieg. Der Westen, sich der Bevölkerung als
demokratische Alternative zum Ostblock präsentierend, ist sich nicht zu schade, mit sämtlichen
Diktatoren der Welt zusammenzuarbeiten.
Einheitsfront Nachdem 1966 in einigen Berliner Fakultäten Studiengebühren eingeführt werden sollten,
kommt es zu spontanen Sitzstreiks in der Aula mit 3000 StudentInnen. Der SDS mobilisiert mit und einige
AktivistInnen halten Spontanreferate. So konnte erreicht werden, dass eine Resolution verabschiedet
wurde, die Forschung und Lehre von kapitalistischen Interessen emanzipiert und sich von autoritären
Uni-Strukturen loslöst. Diese Aktion bedeute den Durchbruch für den SDS. Erstens hatte er es geschafft,
eine einheitliche Aktion aller Kräfte in den konkreten Kampagnen aufzubauen und eine maximale Anzahl
von StudentInnen, die aktiv werden wollen, einzubinden. Zweitens konnte der SDS eine Minderheit von
AktivistInnen für eine weitergehende, antikapitalistische Perspektive gewinnen. Letzteres war
Grundvoraussetzung dafür, um nicht mit jeder Kampagne zu steigen und zu fallen, sondern aus jeder
Bewegung stärker hervorzugehen.
Kampf um Verallgemeinerung Der Schlüssel für das Wachstum der SDS waren die AktivistInnen, die
nicht nur jede Kampagne mitgestalteten, sondern diese auch mit einer antikapitalistischen Perspektive
verbanden. Viele Menschen beginnen ihren Kampf zumeist zwecks einer konkreten Frage, konzentriert
sich ihr Fokus aber ausschließlich auf diese eine Frage, sind sie nach der Kampagne keine AktivistInnen
mehr. Der SDS zeigte anhand spezifischen Bewegungen, wie diese Probleme mit dem kapitalistischen
System zusammenhängen.
Vor dem Sturm Als 1967 anlässlich des Schah-Besuchs aus Persien ein Diktator in allen Ehren hofiert
wurde, war man nicht nur bereit, mit brutaler Polizeigewalt gegen die friedlichen Proteste vorzugehen,
sondern auch den Tod des Studenten Benno Ohnesorg in Kauf zu nehmen. Daraufhin gelang es den
SDS, in allen größeren Städten Demonstrationen zu organisieren.
Sein Basis-Netzwerk, das unabhängig von etablierten und angepassten Strukturen operieren konnte,
gewann dermaßen großen Einfluss, dass in Westberlin 1968 ein allgemeines Demonstrationsverbot
gegen den SDS verhängt wurde. Der Berliner Senat, das Abgeordnetenhaus, die Polizei und die
Springer-Presse verschärften schon seit längerer Zeit ihre lügenhafte Hetze gegen den Bund und die
Linke. Als Antwort rief der SDS zu einem internationalen Solidaritätskongress gegen den Vietnam-Krieg
auf, dem 20.000 StudentInnen folgten. Durch die "Tet-Offensive" der vietnamesischen nationalen
Befreiungsbewegung erlangte der Kongress als Orientierungspunkt nicht nur für die revolutionären
StudentInnen noch größere Bedeutung.
Der Sturm bricht los In den USA nach der Ermordung Martin Luther Kings, in Rom, Barcelona, London
und Berlin kommt es zu massenhaften Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als der Staatsapparat, die
"Bild-Zeitung" und einige reaktionäre Intellektuelle mit übelster Propaganda zu einer Gegendemonstration
aufriefen, eskalierte die Situation nicht einmal zwei Monate später. Der Hitler-Sympathisant Joseph
Bachmann verletzte den führenden Lenker des SDS, Rudi Dutschke, mit mehreren Kopfschüssen
lebensgefährlich, an dessen Spätfolgen er zehn Jahre später sterben sollte. 100.000 beteiligten sich
landesweit an den Osterunruhen, die sich gegen Einrichtungen des Springer-Konzerns richteten. Die
Unruhen beschränkten sich aber nicht nur auf Westeuropa. In Warschau demonstrierten StudentInnen
gegen die Bestrafung linker Oppositioneller. In allen Universitätsstädten kam es zu Straßenkämpfen.
Prager Frühling In der Tschechoslowakei versprach eine neue kommunistische Führung Reformen,
Tausenden war dies aber bei weitem nicht genug. Als im August schließlich russische Truppen
einmarschierten, die Proteste niederschlugen und die Regierung kidnappten, bis diese die Beendigung
des Reformweges versprochen hatte, war überdeutlich, dass der Mythos von der grundsätzlichen
Verschiedenheit der Systeme in Ost und West endgültig zerbrochen war. Unter dem Eindruck des
Generalstreiks in Frankreich wurde nun auch der außerparlamentarischen Opposition klar, welche
gesellschaftliche Kraft das Potential inne hat, eine Welt zu erkämpfen, in der eine Herrschaft von
Menschen über Menschen jegliche Notwendigkeit verlieren würde.
Pariser Mai In der "Nacht der Barrikaden", vom 10. auf den 11. Mai, gipfelten Studentendemonstrationen
und Universitätsbesetzungen. Dabei stießen Tausende von StudentInnen, aber auch junge ArbeiterInnen
mit der CRS, einer Sondereinheit der Polizei zusammen. Das brutale Vorgehen der Polizei führte zur
Solidarität innerhalb der französischen Bevölkerung und zur Ausrufung eines eintägigen Generalstreiks.
Die ArbeiterInnen blieben jedoch nicht bei diesem Warnstreik stehen, sodass sich dieser zu einer Welle
von Betriebsbesetzungen mit eigenen Forderungen der Belegschaft ausweitet. An diesen Aktionen
beteiligten sich zehn Millionen Menschen, für vierzehn Tage war das Land völlig lahmgelegt und die
Regierung Charles de Gaulles verließ fluchtartig Frankreich. Einige Betriebe nahmen die Produktion unter
der Kontrolle der ArbeiterInnen wieder auf und organisierten den Vertrieb von essentiellen Waren und
Produktion. Auf den Straßen fanden beinahe nur noch Diskussionen und Demonstrationen statt. Was als
Studentenprotest begann, entwickelte sich zum größten Generalstreik der Geschichte!
Die Linke Überall schossen revolutionäre Organisationen aus dem Boden. Die Anti-Kriegsbewegung
wurde in diesen Jahren durch die Herausbildung eines organisierten revolutionären Rückgrats zu einem
dauerhaften Faktor. "Zuhause" erlitt Johnson bereits bei den Vorwahlen zur US-Präsidentschaft eine
herbe Niederlage. Sein Nachfolger Nixon (69-74) verkündete im April 1970 den Einmarsch der USA in
Kambodscha, was die Anti-Kriegsbewegung auf einen neuen Höhepunkt brachte.
Ende des Krieges Der enorme Widerstand an der Heimatfront wirkte auf die US-Truppen, zumal die
Regierung auf eigene Verluste wenig Rücksicht nahm. Da im Falle von Angriffen der Viet-Cong die
Offiziere Artillerie- und Luftunterstützung anforderten, gehen 20 Prozent der Verluste der US Army auf
eigenes Feuer zurück. Dazu sank die Stimmung der Soldaten durch die heimatliche Anti-Kriegsbewegung
kontinuierlich. "Splittern" - das Umbringen eigener Offiziere mittels Splitterhandgranaten kam in Mode.
1970 war jeder zehnte GI in Vietnam heroinabhängig. Ab ´72 war die Armee praktisch kampfunfähig und
wurde außer Landes gebracht. Die "ruhmreiche" US-Macht verlor den Krieg nicht nur militärisch, sondern
vor allem moralisch. Wenngleich es zu keiner generellen Umorientierung des US-Imperialismus kam, saß
das "Vietnam-Syndrom" so tief, dass die US-Armee bis 1983 in keinen einzigen Einsatz geschickt wurde!
FAZIT 68 UND HEUTE
Erfolge von 68 Das finale Ziel der sozialistischen Revolution, die Abschaffung der Herrschaft des
Menschen über den Menschen, wurde nicht erreicht. Dies berechtigt aber noch lange nicht, automatisch
darauf zu schließen, dass dieses Ziel nicht zu erreichen ist. In vielen Darstellungen und Analysen über
die 68er wird nur zu gerne verschwiegen, dass die entschiedene Politik der Revolutionäre
Veränderungen und Reformen am weitesten vorangebracht hat. Somit bewahrheitet sich Rosa
Luxemburgs These einmal mehr aufs Neue, dass die "Revolutionäre die besten Reformer sind".
- Die radikale internationale Bewegung gegen den imperialistischen Krieg der USA mit ihrer Parteinahme
für die vietnamesische Befreiungsbewegung hatte an der Niederlage der weltweit stärksten Militärmacht
entscheidenden Anteil.
- Die geplante Hochschulreform in Deutschland konnte verhindert werden. Erst heute "wagt" man sich
wieder an Vollrechtsfähigkeit und die "Firma Universität" heran.
- Durchsetzung der studentischen Mitbestimmung.
- "Bildungsexplosion": Nicht nur dass die öffentlichen Bildungsausgaben in gewaltigem Ausmaß stiegen,
es kam auch zu vielen Neugründungen von Universitäten sowie FH und zu sonstigen Verbesserungen im
Bildungsalltag der Studierenden.
- Das "Nutzen" von Bildung änderte sich. Es wurde wieder der Anspruch auf Bildung mit dem Ziel der
Emanzipation, unabhängig der sozialen Herkunft, verbunden. Es ging nicht mehr darum, ein bürgerliches
Bildungsideal zu verwirklichen oder sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
- Der Versuch des Wiederaufbaus einer faschistischen Partei, der NPD, wurde durch kämpferische
Aktionen von Studierenden entscheidend geschwächt.
- Die außerparlamentarische Opposition erzeugte eine ungeheure Politisierung, die weit über die Schicht
der StudentInnen hinausging. Hunderttausende traten aus der politischen Passivität.
- Durch die Zerstörung der revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegungen aufgrund Faschismus,
Stalinismus und Reformismus wurde die Grundlage für eine neue revolutionäre Linke gelegt.
- Aus der Neuen Linken entwickelten sich unzählige Bewegungen heraus, wie zum Beispiel Bewegungen
von Frauen, Atomkraftgegner, Antifaschisten, Lehrlingen, usw.
Vorgehensweise des SDS Der SDS sah seine Aufgaben nicht in der Repräsentanz studentischer
Interessen, sondern vielmehr im Sinne eines Geburtenhelfers zur Selbstaktivität der StudentInnen im
Kampf um ihre Interessen. Es gab keine "Geheimdiplomatie", die Vorgehen wurden öffentlich diskutiert
und im Plenum entschieden. Die AktivistInnen trugen bei jeder Debatte ihre revolutionären sozialistischen
Vorstellungen hinein, die daraus entstandene kontroverse Debatte ermöglichte wiederum politische
Urteile. Die Führung musste mit jeder Kampagne neu errungen werden. Darüber hinaus agierte man
nach dem marxistischen Verständnis von Theorie und Praxis.
Wendepunkt in Deutschland Bis zu den Osterunruhen kämpften die StudentInnen in der Illusion, dass
ihre Schicht große Veränderungen bewirken könnte. Damit isolierten sie sich aber gleichzeitig von der
Masse der Bevölkerung. Sie mussten die leidvolle Erfahrung machen, dass sie zu diesen Tagen weder
die Auslieferung der "Bild", noch die Verabschiedung der Notstandsgesetze verhindern konnten. Als
gleichzeitig in Frankreich die Arbeiterklasse für den größten Generalstreik der Geschichte sorgte, wandte
man sich nach intensiver Auseinandersetzung über die weitere Strategie nun dieser Klasse zu. Insofern
machte eine rein studentische Organisationsform keinen Sinn mehr. Nach der Auflösung des SDS ´69
entstanden verschiedene linke Strömungen als Neue Linke.
Niedergang der Revolutionären Linken Der Hauptteil ging den "Marsch durch die Institutionen" mit der
Vorstellung, innerhalb des parlamentarischen Systems aufzusteigen und erfolgreichere Politik zu
machen. Wie kam es dazu? Viele gingen wegen des langen ökonomischen Aufschwungs in der
Nachkriegszeit davon aus, dass es der Kapitalismus nun geschafft hatte, Krisen unter Kontrolle zu
bringen, sodass in weiterer Konsequenz ökonomische und damit verbundene soziale und politische
Erschütterungen nicht mehr auftreten. Es wurde nicht verstanden, dass der 30-jährige ökonomische
Aufschwung in Zusammenhang mit der permanenten Rüstungswirtschaft des Kalten Krieges zu sehen
ist. Dieser Aufschwung legte aber auch die Grundlage für die reformistischen Ideen der SPD und der
Gewerkschaftsbürokratie, der es Mitte bis Ende der 70er im Zuge des Ausbruchs erster Wirtschaftskrisen
gelang, mit dem Versprechen der Reform den Menschen glaubhaft zu machen, Krise und
emporgeschnellte Arbeitslosenzahlen entgegenzusteuern. Die noch zu Beginn der Krise entflammten
Klassenkämpfe gingen in der Folgezeit drastisch zurück bzw. endeten in Niederlagen. Durch den
Rückgang der Klassenkämpfe verlor sich wieder die Erfahrung, dass gesellschaftliche Veränderungen
durch die Macht kollektiv kämpfender ArbeiterInnen erstritten werden könnte. Revolutionäre Gruppen, die
sich nicht an Marxens Erkenntnis der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus orientierten und an der
Selbstbefreiung der Arbeiterklasse festhielten, mussten nun resignieren.
Noch dazu wurde angenommen, die Befreiung der Arbeitklasse sei idealistisch, und wenn überhaupt, nur
als einzelne Sache oder stellvertretend für diese möglich. Diese Ansicht birgt einen wesentlichen
Widerspruch in sich: Auf der einen Seite erkannte man zwar die Notwendigkeit einer Revolution, auf der
anderen jedoch wurde nicht verstanden, wie die Masse der Gesellschaft diese erreichen hätte können.
Obwohl sich die Linke vom Stalinismus emanzipiert hatte, gab man sich der Illusion über das Wesen der
Herrschaft in Vietnam, Kuba und China hin. Obwohl diese Länder ebenfalls stalinistisch orientiert waren,
wurden sie als sozialistisch angesehen, da die "Organe der Volksmacht" als demokratische, räteähnliche
Organisationsformen angesehen wurden. So wurde der Kampf um nationale Unabhängigkeit
uminterpretiert in eine sozialistische Revolution, obwohl in diesen Ländern die Arbeiterklasse in keinster
Weise in Formen der Selbstaktivität miteinbezogen wurde. Die Identifizierung mit Mao, Ho Chi Minh oder
dem Guerilla Che Guevara hatte zwei Gründe. Einerseits fanden in der Nachkriegszeit Revolutionen nur
in "Dritte Welt" - Ländern gegen den Imperialismus statt. In den westlichen Zentren des Kapitalismus gab
es vor 68 keine großen Klassenkämpfe. Andererseits wurde die Arbeiterklasse als konservativ ohne
langfristige Möglichkeit zur Veränderung angesehen.
Heute In der heutigen Zeit ist sichtbarer denn je, dass Krisen und Instabilität zum Wesen des
kapitalistischen Systems gehören. Es erzeugt Chaos, Elend und Kriege nicht nur fernab an den Rändern
der Welt, sondern auch im "Herzen der Zivilisation", den hochindustrialisierten Ländern des Westens.
Darüber hinaus wächst die Bereitschaft, gemeinsam gegen die Angriffe des Kapitals zu kämpfen, da die
Hoffnung auf baldige Genesung durch neueste wirtschaftspolitische Dogmen wie Neoliberalismus und
Globalisierung mehr denn je in weite Ferne rückt.
Jetzt bessere Ausgangsposition Aus diesem Grund gilt es hier vor Ort nun zunächst eine möglichst breite
Friedensbewegung aufzubauen. Der politische Druck im eigenen Land war maßgebliches Element der
US-Niederlage in Vietnam. Die Dynamik der Bewegung mündete damals in 1968, die Chancen jetzt sind
besser: * Kein Nullanfang, wir haben bereits seit zwei Jahren Rückenwind der antikapitalistischen
Proteste und Bewegung. * Die Friedensbewegung jetzt hat bereits einen anderen Charakter als die der
80er Jahre, die sie aufsetzt auf einer Stimmung in der Bevölkerung, die verallgemeinert und unsere
Gesellschaftsordnung hinterfragt. * Es gibt keine Berührungsängste mit Gewerkschaften mehr. * Wir
haben heute eine andere wirtschaftliche Situation als gegen Ende der Siebziger. Es existiert kaum bis
überhaupt kein Spielraum für Zugeständnisse seitens des Reformismus.
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