Esoterik – Christliche Spiritualität und Mystik - WeSTh

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Urs Mattmann: Esoterik – Christliche Spiritualität und Mystik
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Urs Mattmann
Esoterik – Christliche Spiritualität und Mystik
Grenzen und Befruchtungen für Schwule und Lesben
W
I R E R L E B E N inderchristlichenSchwulen-undLesbenbewegung
eine Art Paradigmenwechsel. Standen Ende 1970er Jahre bei der
GründungdererstenundgrösstenOrganisation»HomosexuelleundKirche«
theologischeThemenundAuseinandersetzungentschiedenimVordergrund
(und sind es in der HuK wohl vielerorts geblieben), so nehmen spirituelle
Fragestellungen,SehnsüchteundErfahrungsausdrückeseitrundzehnJahren
ständigzu.DieszumeinendurchdieGründungvonchristlichenSchwulen/Lesbengruppen,diegefeierteSpiritualitätinsZentrumstellen,zumanderen,
weilspirituelleQueer-InitiativenohnespezifischchristlicheAusrichtunggeborenwurdenwiez.B.dasInstitutfürTantraundMeditation.
DieseEntwicklungfindetIhrGegenstückinderallgemeinenkirchlichen
undreligiösenSzene,wospirituelleAngeboteebensodeutlichzugenommen
habenundheutesogarimBewusstseinderallgemeinenBevölkerungstärker
verankert sind; man denke nur an die reichhaltigen Meditationsangebote.
DiesschliesstauchdiePopularitätallererdenklichenesoterischenundöstlichenPhilosophienundPraktikenein.DieöstlichenReligionenHinduismus
(z.B.durchYoga,TantraundKundalini-Energiearbeit)undnochmehrBuddhismus(z.B.durchZen)habenanEinflussgewonnen.
1)Ausgangssituation
NachdemüberzehnJahrelangdieHuKmitihrerwichtigentheologischen
undkirchlichenAkzentuierungdominierte,sindinderZwischenzeitetliche
spirituelleGruppendazugekommen.DenAnfangmachtenEndederAchzigerJahreThomasFriedhoffmitderGründungderMetropolitanCommunity
Church(MCC)Hamburgundich1991mitderGründungderLesbischenund
SchwulenBasiskirche(LSBK)inBasel.EsfolgtedaraufdieGründungweitererMCC-GemeindenundökumenischeroderkatholischerGottesdienstgrup-
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Gay Spirits – Vom Geist im Fleisch
pen, so dass heute nicht wenige Grossstädte im deutschsprachigen Raum
monatliche oder wöchentliche Queer-Gottesdienste und weitere Anlässe
mitspirituellemHintergrundhaben.DiesesunübersehbareWachstumging
einhermiteinergewissenSchwächungderHuK.InderSchweizlöstesich
vor zehn Jahren die HuK-Basel und vor kurzem die HuK-Zürich auf; die
überlebendeHuK-BerntrifftsichmeinesWissensnurnochzuregelmässigen
Abendessen.ÜberdieSituationinderBRDoderinÖsterreichbinichnicht
exaktinformiert.AufjedenFallwarichüberrascht,letztenWinterzuhören,
dassdieeinstmalsgrosseHuKMünchenvordemEndestehe.
EineHypothesewäre,dassdieHuKeseventuellverpassthat,dentheologischenundkirchenpolitischenAnsatzdurchstarkespirituelleAngebotezu
ergänzen.AbervielleichtlagdasgarnichtinihremAuftragoderihrenMöglichkeiten,undesbrauchtjanichtschlechtzusein,dassweitereGruppen
ausserhalbderHuKentstandensind.AufjedenFallkommtderreintheologischeundkirchenpolitischeAnsatzoffensichtlichanseineGrenzen.
WieindenUSAseitden1970erJahren,gibtesinDeutschlandseitden
1990erJahrennunspezifischeAngeboteausderEsoterikunddemNewAgeBereichfürLesbenundnochmehrfürSchwule.DiesläuftoftüberAnsätze,
diedenKörperbetonen.Meditation,Körperarbeitundvorallemsogenannter
Tantraoder»BodyElectric«.EsgibtimdeutsprachigenRaumauchzaghafte
Versuche,dieausdenUSAstammendeLebensphilosophieschwulerMänner
Namens»RadicalFairies«einzubringen.Vereinzeltbinichauchschonauf
SchwuleoderLesbengestossen,diesichunterderBezeichnung»Heiden«,
»Hexen« »Spiritisten« oder »Schamanen« ansiedeln und ausdrücken wollen.
EbensowirddasKonzeptvonschwulerSpiritualitätheimisch.Spiritualität
orientiertsichdannimZentrumnichtmehraneinerReligion,sondernander
sexuellenOrientierungundLebensausprägung.
2)EsoterikundchristlicheSpiritualität–
StreiflichterfürSchwuleundLesben
AlldiesenAufbrüchenvonEsoterikistinunterschiedlichemMassegemeinsam, dass sie Spiritualität in Körper, Sinnlichkeit und oft auch Erotik ausdrücken. Häufig wird hervorgehoben, dass sie dadurch der patriarchalen
und homophoben Geschichte der monotheistischen Religionen entgehen
können.
GrenzenundSchwachpunktevonEsoterikundNewAge
MitdenBegriffenEsoterikundNewAgeerfasstmangerneeineriesigeBandbreite von Philosophien und Praktiken. Die Grenzen zur transpersonalen
PsychologieundzureligionsorientierterSpiritualitätsindfließend.Manches,
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wasvorzwanzigJahrenalsversponneneEsoterikabgetanwurde,istheutein
christlichenEinkehrwochenoderpsychologischenSeminarenintegriert,wie
die Arbeit mit Chakren und Kundalini-Energiearbeit. Zum Beispiel gibt es
heuteBücher,dieChakrenübungenmitdemVater-Unser-Gebetverbinden.
Dazukommt,dassdieBezeichnungen»NewAge«und»Esoterik«manchmalvonAussenstehendenmehrgebrauchtwird,alsvondendamitbetitelten
Gruppenselbst.
AuschristlicherSichtgebensichkritischeAnfragenanverschiedeneAngeboteimheutigensogenanntenNewAge-Bereich:
a)Das Gottesverständnis wird sehr entpersonalisiert verstanden. Das
Göttliche wird z.B. reduziert auf eine Energie der Liebe. Dazu kommt
manchmaleinPantheismus,derallesodervielesderWirklichkeitmitGott
identifiziert.1
b)EswirddieReinkarnationslehrevorausgesetztunddamitindirektund
oft unbewusstdie Originalitätund Geschöpflichkeitjedes Menschenklein
gemacht,häufigverbundenmitdemVersuch,dasLeidenlogischzuerklären.
DieFragevonSchuldunddemBöseninderWeltwirdaufproblematische
Weisegeklärt.
c)Die Gefahr besteht gerade bei einigen schamanistischen Praktiken
oder bei Formen vonTantra, den präpersonalen Bewusstseinszustand mit
dem transpersonalen zu verwechseln. Erfahrungen von Ekstase werden zu
schnellundundifferenziertalsGotteserfahrunggedeutet.DerBewusstseinsforscher Ken Wilber hat sich in seinen Büchern mehrmals mit dieserVerwechslungbefasst.
d)EsgibtFormenvonEsoterik,wovergangeneheidnischeZeitenromantischalsparadiesischverklärtwerden,mitdemWunsch,dieseZeitendurch
neuheidnischePraktikenherbeizubeschwören.EbensogibtesAnsätze,wo
vonverschiedenstenReligionenElementefüreinenneuenMixgenommen
werden. Dies zeugt von wenig Respekt diesen Religionen gegenüber und
verzerrtdiebevorzugtenElemente.Dasheisstnatürlichnicht,dasswirnicht
auchvielvonanderenReligionenlernenkönnten.
UmdieszuveranschaulichenwillichaufdieimdeutsprachigenRaum
vorzufindendenTantra-Angeboteeingehen,diebeiHomo-wieHeterosexuellen Anklang finden. Das Problem bei vielen dieserTantra-Angebote ist,
dass sie mit dem, was in Indien mit der alten und weisenTantra-Tradition
überliefertwird,wenigzutunhaben.ZweiPunkteübersehenwestlicheTantra-Angebotezuoft:
ErstensgehtesbeimursprünglichenTantranichteinfachumeinlustvolleresLeben,ungeahnteneuesexuelleHöhepunkt,ekstatischeKörpererfahrungen,eintiefesKörperverständnisodergrossartigesGeschlechtsleben.Nein,
1
AlsAusnahme sei Neale DonaldWalsch, Gespräche mit Gott, 3 Bände, München1997-1999,benannt.
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Gay Spirits – Vom Geist im Fleisch
die mit den sexuellen Energien gemachten Erfahrungen sollen, vereinfach
formuliert, die Gottesbeziehung nähren und weiten und so das spirituelle
LebenundsomitauchdieEthikdesAlltagsdurchdringen.
NatürlichkennenwirallediesexuellenPositionenundStellungen,die
sichindenindiversenTantra-BüchernabgedrucktenindischenStichenzeigen.HierinliegtderzweiteKritikpunkt:imursprünglichenTantrawerdenin
derRegelsolcheKontakteimKontexteineraufDauerausgerichtetenLiebesbeziehungenverstanden.EsgibtselbstverständlichauchhierzulandeTantraKursefürPaare,aberdieMehrheitderwestlichenTantra-Angebotezieltauf
Kursangebote, wo sich die vielenTeilnehmer vorab gar nicht kennen. Das
intimeEingehenaufmirbisherfremdeMenschenimRahmeneinesKurses
würdevieleindischeMeister,diemitderursprünglichenAbsichtdesTantras
verbundensind,äusserstbefremden.
Selbstverständlich gibt es genug Schwule, die von den hiesigen ausgeschriebenenTantra-Angebotenprofitieren.GeradeMänner,diemitihrerHomosexualitätoderihremKörpergrosseMühehabenoderdiebishernurim
DunkelnmitFremdenSexhatten,werdenbesondersprofitieren,ihreSexualitätmehrinsLichtzustellenunddieEnergienwahrzunehmen.DasProblem
istallerdings,dasswestlichesTantranichtvielweiterführt,dennandiesem
PunktwürdederspirituelleWegeigentlicherstanfangen!WestlichesTantra
leistetwenigHilfe,dieSpiritualitätnichtnuraufsichunddieSexualitätzu
beziehen,sondernauchaufdasgöttlicheDuunddasHandelnfürGerechtigkeitindieserWelt.2
ChancenundBefruchtungenvonEsoterikundNewAge
Aus mehreren Gründen plädiere ich trotzdem für Offenheit, Dialog und
Lernbereitschaft:
Nach wie vor ist die Kirche vielerorts nicht an einem ganzheitlichen
Evangeliumorientiert.SchnellzeigtsichdiesinGottesdiensten.ReihenweisewerdenimmernochSonntagfürSonntagvorfastleerenKirchenGottesdienste gefeiert, wo kaum Gemeinschaft spürbar ist, die liturgischenTexte
veraltetsind,diePredigtrechttheoretischtheologisch,dasLiedguteinseitig
ist, etc. Der Körper, sowohl mit seiner Freude als auch seinen allfälligen
Krankheiten,derseelischeSchmerz,dieLustunddieFreudeundvorallem
derRaumfürdiemystischeErfahrungsindselteneinbezogen.
Wirmüssenunsalsonichtwundern,wennderGeistweht,woerwill.
VieleAngeboteimesoterischenBereichsindunteranderemdeshalbentstanden,weilsieGabenundBereicheansprechen,dieausderKircheverbannt
2
Vgl.BruceAnderson,TantrafürSchwule,Berlin2004,deralsFachmannderindischenTantra-Traditiondifferenziertdiewestlichen»Tantra«-Angebotekritisiert
undWegeaufzeigt,wieSchwulevondenursprünglichenAbsichtenvonTantra
profitierenkönnen.
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sindoderinihrzukurzkommen.DieEsoterikunterliegtnichtnurdengenannten Gefahren, sondern bietet auch reiche Schätze. Wer sich in einer
esoterischen Buchhandlung umsieht, wird dort unterschiedliche Ansätzen
undQualitätenentdecken.FreinachPaulus’Motto:»PrüfetallesundbehaltetdasGute!«kommenetlicheChristenzumSchluss,dassvielGuteszuentdeckenist.IchdenkezumBeispielandieOffeneKircheElisabetheninBasel,
womittlerweileHeilerinnenHeilungs-Gottesdienstemitgestalten,MeditationstagestattfindenoderTänzedesUniversellenFriedens.Kirchesollwieder
»esoterischeAspekte«einbeziehenunddenganzenMenschenansprechen.
»Heil«mögewiederganzheitlichverstandenwerden.
GaySpiritalsHerausforderung
WiestehtesmitdenAnsprüchenSchwulerSpiritualität?EsgehtinsbesonderedenangelsächsischenAnsätzendarum,dassnichtnurunsereSpiritualität
unserSchwulseinprägensoll,sondernumgekehrt,unserSchwulseinunsere
Spiritualitätprägtoder,wieeseinigeextremformulieren,unsereSpiritualität
ausmachtoderbestimmt.GaySpiriterkenntan,dassHomosexualitäteinPotentialdarstellt,dessenVerwirklichungeinspirituellerProzessseinkann.Die
Fragelautetnichtmehr,wieistHomosexualitätentstanden,sondern:Wozu
dientsie?Wersindwir?Woherkommenwir?WasistunsereBerufung?Wohingehenwir?IchbinderAuffassung,dassHomosexualitätnebenderrein
sexuellenEbeneundderEbenederLiebesbeziehungennocheinedritteEbenebesitzt,nämlichHomosexualitätalsandereFormvonBewusstsein.Damit
meine ich, dass mit Homosexualität auch eigene Nuancen, Begabungen,
BerufungenundSichtweisenzusammenhängenkönnen.
ProblematischerscheintesmirandemPunkt,woSpiritualitätundHomosexualitätuntereinemAusschliesslichkeitsanspruchmiteinanderverkettetwerden.DasSchwulseinistdannderKernunsererSpiritualitätunddies
seheichalsklareEingrenzung.IneineähnlicheFallekanndiefeministische
TheologiegeratenoderdiespirituelleMännerbewegung.Eswirdübersehen,
dassunsereSexualität,diesexuelleOrientierungunddasGeschlechtnicht
dieletzteWirklichkeitsind,dieunsausmachen.EsistmeineÜberzeugung
–unddarinsindsichallereligiösenTraditioneneinig–,dasseseinegöttlicheEbeneinunsgibt,diealleFormenübersteigt.ImChristentumistesdas
Christus-Bewusstsein,imBuddhismusdieBuddha-Naturundanderemögen
vonAtman(Hinduismus),vomHöherenSelbst(TranspersonalePsychologie)
oder vom göttlichen Funken reden. Bei allen nicht unwesentlichen UnterschiedenwirdhiervoneinergöttlichenPräsenzimMenschenjenseitsvon
PersönlichkeitundCharaktergesprochen.
TrotzdemliefertdasGay-Spirit-ModellvieleunverzichtbareImpulse.Ich
denkedabeispielsweiseandieAufarbeitungderTraditionenvonKulturen,
wo homosexuelle Menschen geachtet, ihre speziellen Begabungen gefördert wurden, z.B. bei vielen nordamerikanischen Ureinwohnern. Dies gilt
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Gay Spirits – Vom Geist im Fleisch
es nicht zu kopieren, sondern inspirierende Impulse für das Bewusstsein
von Schwulen und Lesben aufzunehmen. Ich persönlich bin davon überzeugt,dassHomosexualitätunserBewusstseinbeeinflusstunddarauseine
besondereSensibilitätundBegabungenresultierenkann.EineGabe,diedie
Schwulen-undLesbenbewegunginZukunftverstärktentdeckenmussund
die Menschheit in der heutigen bedrohlichen Krisensituation entschieden
benötigt.EinEvolutionsschrittstehtan.
3)ChristlicheMystikfürSchwule
MystiksetztnichtnureinegöttlichePräsenzimMenschenvoraus,sondern
auchdieGotteserfahrung.EineErfahrung,diemanchmalsehrleiseTönehabenkannundmanchmaldietiefenSchichtenderPersönlichkeitdurchdringt,
unserEgoloslässtundeventuellekstatischeMomentekennt.
Während es viel zu schreiben gäbe, was Mystik des Hinduismus, des
Buddhismus,desIslams(Sufismus)unddesJudentums(Kabbala)fürdieSituationvonSchwulenbedeutenkönnte,bezieheichmichindieserkurzen
AusführungaufdiechristlicheMystik.
WersichmitderchristlichenMystikauseinandersetzt,merktbald,wie
umfassenddasSpektrumist.DiegrossenklassischenMystikerEuropasind
mittlerweilewiedergeläufigwieJohannesvomKreuz,TeresavonAvila,JulianevonNorwich,HildegardvonBingen.
EsoterischesChristentum–JesusderMystiker
Bereits in dieser Auseinandersetzung mit Esoterik und gerade auch beim
KonzeptvonGaySpiritwirdklar,dasshiereinmystischesVerständnishineinspielt.DieLektüredesAltenwieNeuenTestamentslegteinegegenseitige
DurchdringungundkeinedualistischeGegenüberstellungvonReligionund
Mystiknahe.ImAltenTestamentgibtesGebete,dievonmystischerSchau
durchdrungensind,mandenkeanvielePsalmen.ImNeuenTestamentwerden weitere Grenzen und Tabus spiritueller Erfahrung durchbrochen und
gelebt.NachallenZeugnissenwarJesusnichteinfachein»Theologe«,sondernwirktewieeinProphetundlebtealsHeiler.ErverstandHeil-erfahren
nichteinfachnuralseinenseelsorgerlichenProzess,sondernalsetwas,was
denKörper,jadenganzenMenscheneinbezieht.OftberührteerMenschen,
wennersieheilte.Grenzüberschreitungenmitdem,waswirheutealsparapsychologischbetitelnwürden,scheuteernicht.DieUmkehrundsomitdie
Bewusstseinsveränderung,dieerimMenschenforderteundweckenwollte,
schliesstnichteinfachnureinUmdenkenmitethischenKonsequenzenein,
sondernwillinderTiefeunserWesenberührenunddietiefeEinheitmitGott
bewusstmachen.DieEinheit,dieJesuserfuhr(»IchundderVatersindeins«),
sollteauchseinenJüngernbewusstwerden.EbensosagtJesusnichtnur»Ich
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bindasLichtderWelt«,sondernauch»IhrseiddasLichtderWelt«.Jesus
setztdiesbereitsvoraus.
So wie Jesus, die Jünger und die neutestamentlichen Gemeinden manchenBereich,derheuteunterEsoterikfällt,einschlossen,sokönnenwirin
nochstärkeremMasseJesusalsMystikersehenunddiemystischeDimension
alseinenselbstverständlichenTeilchristlicherErfahrungindenEvangelien
undBriefenbetrachten.
JesusgehtesumdieTransformationdesBewusstseins.Erbrauchtstarke
Begriffewie»Wiedergeburt«.Esistklar,dassesnichtumeinenkopflastigen
GlaubenanirgendwelcheäusserenWahrheitengeht.NeuerWeininneue
Schläuche.DerHeiligeGeistinunseremKörper.
ChristlicheMystikalsPotentialfürdieZukunft
Wie erwähnt, haben die meisten Kirchen lange Zeit vieles bekämpft, was
nichtmitdemrationalenBewusstseinvereinbarwar.DieAufklärungwarein
notwendiger und unverzichtbarer Schritt in der Evolution der Menschheit.
DiesführtejedochhäufigzurFixierungaufdierationaleKopfebeneundbereitetedenBodenfürSektenundunseriöseEsoterik.Mandankenurandie
TendenzenvonliberalenTheologien,diealles,wasz.B.inderBibelnicht
»rational«erfasstwerdenkonnteundnichtindasalsallmächtigverstandene
mentaleBewusstseinpasste(wiedasHeilungswirkenimNeuenTestament),
alleinals»mythologisch«deuteten.GlücklicherweiseistseitwenigenJahrzehnteninderKirche(undletztlichauchinderGesellschaft)eineAusweitungdesBewusstseinszubeobachten.DerKernpunktdabeiistdieWiederentdeckung der christlichen Mystik und dieAusbreitung vonWerkzeugen,
welchedieTürenzudiesemBewusstseinöffnen:vorallemdieverschiedenenMeditationswege.
Karl Rahner sagt sinngemäss: Der Christ des 21. Jahrhunderts wird ein
Mystikerseinodererwirdnichtsein.IchpersönlichwürdedieZusageauch
aufdieanderenReligionenausweiten,vorallemderIslamisthiererneuerungsbedürftig.
DerzeitgenössischechristlicheMystikerDavidSteindl-RastgibtKriterien
derGeistunterscheidungan,woranwirechteMystikerkennenkönnen.
- MystikführtzuGerechtigkeitundgerechtemHandeln.
- DerMystikerhatgrosseAchtungvorderVielfaltderDingeundderAllgegenwartGottes.
- DerMystikerkannstaunenunderlebtDankbarkeit.
- DiemystischeErfahrungfördertdieFähigkeit,überdenDualismushinaus
zuwachsenund–inchristlicherSprache–denkosmischenChristusin
allenDingenzuerfahren.
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Gay Spirits – Vom Geist im Fleisch
DavidSteindl-RastschriebdieseKriteriennichtineinemhomosexuellen
Kontext.AberdieseKriterienmachendeutlich,dassausechterMystikkeine
Homophobieentspringt.
AuschristlicherPerspektivehilftdies,dieGeisterzuunterscheiden.Geradedort,wovielFrömmeleiherrschtundgleichzeitigunübersehbarderHorizontderMenschenunddasBewusstseinverengtwird–mandankeanviele
PfingstkirchenodercharismatischeGemeinden,woeineverurteilendeHaltungenbezüglichLesben,SchwulenundFrauenimallgemeinenherrscht–
will die Mystik alle Bewusstseinsebenen durchdringen. Dies ist letztlich
dies,wasJesuswollteundwieesindenneutestamentlichenSchriftenzum
Ausdruckkommt.DieSpracheistvollvomHeiligenGeist,derunserWesen
undunserenKörperausfüllt(undnichtnurdenKopf),vomBewusstseinvon
Christus in uns und dass alles in der Christuswirklichkeit aufgehoben ist.
LetztereszeigendieTexte,diedenkosmischenChristusvoraussetzen.
DieVoraussetzungsolcherParadigmenhätteKonsequenzenfürvieleFacettendesreligiösenLebens,z.B.alleinfürdieAusbildungvonPfarrernund
Priestern.DiesemüsstennichtnurzuTheologenausgebildetwerden,sondern–jenachBerufungsogutalsmöglich–auchzuMeisternderMystik,
Heilern,spirituellenLehrern,etc.
DieeinfachsteMöglichkeit,obqueerodernicht,sichaufdieMystikeinzulassen, ist der Meditationsweg. Ich wage zu behaupten, dass, wer nicht
wenigstensseiteinpaarJahrenmeditiert,grössteSchwierigkeitenhat,Mystik
überhauptzuverstehen.WiederkehrendeTeilnahmeanMeditationswochen
oder-wochenendenunddietäglicheMeditationspraxisöffnenerstdieBewusstseinsebenen,dieeserlauben,diemystischeDimensiondesGlaubens
zuerfassen.
4.KonsequenzenundAusblickfürschwuleChristen
FürSchwuleundLesbenscheinenmirdieangedeutetenEntwicklungenein
guterWegzusein.EinerationaletheologischeErklärungundRechtfertigung
vonHomosexualitätwirdergänztdurcheinespirituelleErfahrungderLiebe
GottesinderTiefeseines/ihresWesens.AusdieserTiefekönnenChristenInnenihreKraftausderselbenQuelleschöpfenwieJesusestat.
DieWiederentdeckungderMystik,dievielseitigenesoterischenAngebotesowieGaySpiritistausmeinerSichteinGrundzurFreude,weildiesuns
kreativherausfordertundvieleChancenbietet.
Wenn die alteingesessenen christlichen Schwulen- und Lesbengruppen
weiter wachsen und sich weiterentwickeln wollen, müssen sie der Mystik
RaumgebenundsichinkritischerGeistunterscheidung,abermiteinerLern-
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bereitschaft und Offenheit mit esoterischen Angeboten auseinandersetzen
unddiese–woesangebrachtist–auchintegrieren.ChristlicheSpiritualität
willganzheitlichwerden;dafürmüssenwiroffensein,woimmerder»Geist
Gottes weht«. Dabei ist wichtig, dass man nicht nur »darüber redet« oder
esalsRandthemabetrachtet,sonderndassmanSpiritualitätlebt.DiePraxis
könntedannz.B.ineinTreffenallerchristlichenGay-GruppenDeutschlands
münden. Wenn ich den bisherigen Grobentwurf des Programms für den
Queer-KongressinBielefeld2005richtigverstehe,dannwirdüberGottesdienst-AngebotenurdiskutiertundamRandwirddannnocheinbisschen
Meditationerwähnt.Vielleichtliegeichfalsch,aberichhörewenigvonEinkehrtagenoderMeditationsangebotenbeiderHuK,seiesbundesweitoder
beieinzelnenihrerRegionalgruppen.NatürlichsindgeradehierdieschwullesbischenGottesdienstgemeindenentstandenundeingesprungen.Trotzdem
müsstenauchanderechristlichenSchwulen-undLesbengruppenihrespirituellenAngeboteausbauen.3
SelbstverständlichbeinhaltetdieMystikeineLiteratur,dieherausfordert:
Da gibt es phantastische und anspruchsvolleTexte von Mystikern wie JohannesvomKreuzoderJulianevonNorwich,spirituellenBewusstseinsforschern wieTeillard de Chardin, SriAurobindo oder dem heute wirkenden
KenWilber. SpezielleTexte von schwulen Mystikern des 20. Jahrhunderts
wieHenriNouwen,AndrewHarveyoderJimMarioneignensichalsVorlage für Queer-Gottesdienste, Gruppendiskussionen oder Besinnungen. Das
besondere an Harvey und Marion ist, dass sie ihr Schwulsein im Rahmen
derMystikverbalisieren.WährendbeideauchvonderMystikandererReligionen(v.a.HinduismusundSufismus)zehren,setzensieklareAkzenteim
christlichenGlauben.4
3
IchpersönlichbieteunterdemTitel»C-QUEER«MeditationenundSeminarefür
SchwuleundLesbenan.EbensomögemeinBuchCOMINGIN(München2002)
dazu beitragen und andere Schwule und Lesben animieren, zu schreiben und
neueProjektezuentwerfen.
EinpersönlicherWunschvonmirwäreeineZeitschrift,dieüberSpiritualitätfür
Schwule und Lesben schreibt. Da dies im deutschsprachigen Raum vielleicht
nochunrealistischist,wäremeinVorschlagdieWeSThzuergänzen,d.h.siezukünftigals»WerkstattSchwuleTheologieundSpiritualität«(WeSThS)herauszubringenundsospirituelleAnliegennochstärkerzuakzentuieren.Bisessoweit
ist, können diejenigen, die Englisch gut beherrschen, auf das ausgezeichnete
»WhiteCraneJournal«zurückgreifen,welchesjedesQuartalvielseitigundoriginellaufschwulenrelevantespirituelleThemeneingeht.NähereInformationen
findensichimInternetunterwww.whitecranejournal.com.
4
AndrewHarvey,DermystischeWegzuChristus,Petersberg2001.Weiterführend
auchJimMarion,DerWegzumChristus-Bewusstsein,Petersberg2004.
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Gay Spirits – Vom Geist im Fleisch
DieserexpliziteAkzentaufdieMystiksollnichtindemSinnemissverstandenwerden,dasswirjetztalsschwuleChristenundlesbischeChristinnennurnochmeditieren,neueFormenvonGottesdienstfeiern,Exerzitien
abhaltenodersonstigeFormenvonspirituellenAngeboteneinübensollen.
Ich habe dies alles deshalb stark betont, weil meines Erachtens SpiritualitätinvielenGruppennachwievorzuwenigeinbezogenundausgedrückt
wird.Wie schon David Steindl-Rast formuliert hat – und da stimmen ihm
alle grossen MystikerInnen von Hildegard von Bingen bisAndrew Harvey
zu–musseineechteMystikineinEngagementinundfürdieWeltfliessen.
GeradeweilchristlicheMystikdavonausgeht,dassdieganzeSchöpfungim
kosmischen Christus enthalten ist, ist ihr diese Schöpfung alles andere als
egal.DachristlicheMystikeindualistischesMenschenbildtranszendiert,ist
Homophobienichttolerierbar.
Selbstverständlich soll die Mystik dieAktion nähren undVisionen evozieren,umsichalsGruppeodereinzelneimEngagementinKircheoderfür
dieWelteinzubringen.AberesmachteinenqualitativenUnterschied,obein
EinsatznebeneinertheologischenBegründunggleichzeitigvoneinerspirituellenPraxisundmystischenVisiongetragenist.
Urs Mattmann, Jahrgang 1960, Diplom-Sozialarbeiter und Psychosynthese-Therapeut, zwei Jahre Studium derTheologie und vieljährige Meditationserfahrung. Seit
1979 Mitbegründer verschiedenster christlich-schwul/lesbischer Initiativen; HuK
Schweiz,LesbischeundSchwuleBasiskircheBaselundzuletztInitiatorvonC-QUEER
–SchwuleundLesbeninchristlicherSpiritualität:LeitervonspirituellenAngeboten
fürSchwuleundLesbenimdeutsch-undenglischenSprachraumundinderToskana
(www.friedensgasse.ch/C-Queer).ErschienenistvonihmCOMING IN,Spiritualitätfür
SchwuleundLesben,München2002.MitseinemLebenspartnerMitgliedderökumenischenOrdensgemeinschaftFRIEDENSGASSE–DiakonischeKommunität.
Kontaktadresse:Therwilerstr.3,CH-4054Basel,Tel.0041(0)61–2812911.
E-Mail:[email protected].
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