Ansprache von Prof. Trunk anläßlich der Beerdigung von Professor Wolfgang Seiffert am 4. Februar 2009 Liebe Familie Seiffert, verehrte Trauergemeinde, erlauben Sie mir einige Worte im Namen des Kieler Instituts für Osteuropäisches Recht - des Instituts, an dem Wolfgang Seiffert seit seiner Übersiedlung aus der DDR tätig war und das er bis 1994 geleitet hat. Wolfgang Seiffert war eine Persönlichkeit, deren Wirkung weit über die Grenzen der Hochschule hinausreichte. Ich selbst bin dem Namen Wolfgang Seifferts zuerst in den Beiträgen begegnet, die er regelmäßig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Fragen der DDR-Innenpolitik, zum deutsch-deutschen Verhältnis oder auch zu den Entwicklungen in der Sowjetunion veröffentlichte. Die Universität Kiel wurde mir eigentlich erst durch den Namen von Wolfgang Seiffert ein Begriff. Als ich im Jahr 1997 nach Kiel kam, stand Wolfgang Seiffert bereits nicht mehr im aktiven Dienst, sondern hielt sich schon im fernen Hamburg auf. Gleichwohl war er an unserem Institut weiterhin sehr präsent. Er hielt Vorträge, besuchte unsere Tagungen, er sandte uns regelmäßig Beiträge und Interviews, er kam zu unseren Weihnachtsfeiern, vor allem aber war er – wenn ich das so formulieren darf – eine Art ständiger Kieler Botschafter in Moskau. Meine erste berufliche Auslandsreise nach der Ankunft in Kiel führte nach Moskau, wo uns Wolfgang Seiffert in seinem „Zentrum für deutsch-russische rechtliche Zusammenarbeit“ am Institut für Staat und Recht freundlich, aber doch vorsichtig prüfend empfing und den Neuankömmling gleich zu einem Gastvortrag verpflichtete. Das war, wie mir später bewußt wurde, typisch für Wolfgang Seiffert: In jeder Funktion, in der er tätig war, hat er „etwas bewegt“. Es ist klar, dass der variantenreiche Lebensweg von Wolfgang Seiffert ganz und gar nicht dem typischen Lebensweg eines deutschen Universitätsprofessors entspricht, und auch unter den besonderen Umständen der deutschen Teilung wählten die meisten anderen eine einfachere, eindeutigere Art der Lebensführung. Er ist nie den einfachen Weg gegangen, er hat immer viel riskiert – war dabei freilich klug genug, das Risiko auch zu kalkulieren. Er hat ein Leben geführt, um das sich bereits Legenden bilden, und sein Lebensweg würde Stoff für einen Roman oder eine Verfilmung bieten. In der Kette von Direktoren des Instituts für Osteuropäisches Recht war Wolfgang Seiffert sicher die farbenreichste, am wenigsten „eindeutige“ Persönlichkeit. Jedes Gespräch mit ihm war auf andere Weise anregend. Häufig hatte man den Eindruck, er spiele ein wenig mit seinen Gesprächspartnern. Es gefiel ihm, seinen Gesprächspartnern unerwartete Informationen oder Meinungen vorzulegen und die Reaktion abzuwarten. Wie ein guter Journalist, der seine Gesprächspartner aus der Reserve kitzeln möchte, liebte er die Provokation. Wie ein Politiker war er darin geübt, Informationen haushälterisch einzusetzen, immer etwas in der Hinterhand zu behalten. Als Wissenschaftler war ihm daran gelegen, über bestimmte politische oder rechtliche Phänomene aufzuklären, zugleich wollte er aber durchaus – auch aus der Position des Wissenschaftlers – politisch wirken. Er scheute nicht davor zurück, sich in bestimmten Positionen „in der Minderheit“ zu befinden, ich glaube, ihm gefiel die Position dessen, der der herrschenden Auffassung widerspricht, sich aber sicher ist, doch recht zu haben. Jedenfalls in der Frage der deutschen Einheit hat er mit seinen Auffassungen ja auch durchaus Recht behalten. Für Außenstehende war Wolfgang Seiffert nicht leicht einzuschätzen, und es ist nicht überraschend, dass sein Wirken und seine Meinungen durchaus nicht immer und bei allen auf Zustimmung gestoßen sind. Das ist aber im politischen und wissenschaftlichen Meinungsstreit durchaus nichts Negatives, ganz im Gegenteil – wer immer die Zustimmung aller findet, hat vermutlich wenig Eigenes beigetragen. Das kann man von Wolfgang Seiffert mit Sicherheit nicht sagen. Wie wenige deutsche Hochschullehrer stand er im Streit der öffentlichen Meinungen. Besonders bemerkenswert war dabei für mich, dass selbst grundlegende politische Wandlungen, die er in seinem Leben vollzogen hat, nicht dazu geführt haben, dass er etwa alle Brücken zu seinen früheren Wegefährten abgebrochen hätte. Man konnte, so scheint es mir, mit ihm wunderbar streiten, und gleichzeitig verfügte er über die Gabe, dass ihm keiner so recht böse sein konnte. Er war humorvoll, ironisch, sarkastisch, - aber nicht zynisch. Er verfügte über einen unerschöpflichen Schatz von Anekdoten. Er konnte fechten, aber auch Frieden schließen. Bei all dem hat er an einigen Grundüberzeugungen erstaunlich konstant festgehalten. Hierzu gehörte insbesondere das Anliegen, zu einer deutsch-sowjetischen, jetzt deutsch-russischen Aussöhnung beizutragen. Auch hier hat sich Wolfgang Seiffert wiederholt in einem Sinne geäußert, der nicht der in den Medien heute überwiegend vertretenen Meinung entspricht, und er hat jedes Forum genützt, um seine persönlichen Ansichten zu dieser Thematik zu äußern. Ich denke, auch hier sollte man mit schnellen Beurteilungen vorsichtig sein. Wolfgang Seiffert war kein Mann plakativer Wahrheiten. Wenn er sich scheinbar plakativ äußerte, stand dahinter – so scheint mir – oft die Überzeugung, nur so zu einem dialektischen Erkenntnisprozess beitragen zu können. Ich habe Wolfgang Seiffert erst in der letzten Etappe seines Wirkens kennengelernt, immerhin auch über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren hinweg. Einige Eindrücke habe ich persönlich gewonnen, andere aus Erzählungen Dritter, nicht zuletzt von unserem hochverehrten Gastprofessor Mark Mojseevich Boguslawskij. Jeder hat seine eigene Sicht auf Wolfgang Seiffert, niemandem war er gleichgültig. Ich bin – für unser Kieler Institut – dankbar, dass er unser Direktor war. Ohne seinen Einsatz und seine politische Überzeugungskraft würde dieses Institut heute wahrscheinlich nicht mehr bestehen. So hat jeder seinen Grund, ihm für manches dankbar zu sein. In der Erinnerung Außenstehender wird Wolfgang Seiffert wohl vor allem als Protagonist deutsch-deutscher und deutsch-russischer Beziehungen in Erinnerung bleiben. Genauso wichtig scheint mir aber, sich daran zu erinnern, dass sein Lebensweg – der ihn immer wieder zwischen West nach Ost pendeln ließ, ohne dass er jemals ein „Entweder – Oder“ akzeptiert hätte, - viel weniger durch die politischen Gegebenheiten bestimmt war als durch die individuelle Persönlichkeit von Wolfgang Seiffert, die gekennzeichnet war durch Einfallsreichtum, hellsichtige Analyse, taktische Anpassungsfähigkeit und auch eine gehörige Portion Lebensfreude. Das Leben von Wolfgang Seiffert entsprach in einem beneidenswerten Maß dem Titel seiner Autobiographie. Sie ist überschrieben mit: „Selbstbestimmt“.