Dienstag, 26. Februar 2013 Nr. 48 Schleswig-Holstein · Hamburg Die Idee entstand kurz nach Neujahr, zur Zeit der guten Vorsätze: nur noch regionale Produkte zu essen und so etwas für die Umwelt tun. Spart viele Transportwege, mindert den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausga- sen. Und in Kiel, im Kieler Umland, in Schleswig-Holstein gibt es doch gute Lebensmittel – zum Beispiel Obst, das erst ausgereift geerntet wird. Man stärkt Unternehmen vor Ort – und weiß hoffentlich etwas besser, was da wirklich auf dem Teller landet. Aber was ist mit dem Kaffee am Morgen? Regional wächst der nun wirklich nicht. Und was mit Salz, vielen Gewürzen, mit Reis, mit Nudeln? Ist es überhaupt sinnvoll, den Alltag so tiefgreifend um- zukrempeln? Um dann womöglich schnell an den hohen Ansprüchen zu scheitern – und gar nichts zu ändern? Deshalb lautet das Motto nun: „So regional wie möglich.“ Doch wo bekommt man überhaupt regionale Nahrungsmittel? Wir haben uns in Bioläden, Biosupermärkten, Supermärkten, Hofläden und auf dem Wochenmarkt umgesehen und stellen jeden Tag das Ergebnis für zwei Einkaufsmöglichkeiten sowie Hintergründe vor. Prima Klima auf dem Teller Wer vor allem etwas für die Umwelt tun möchte, sollte weniger Fleisch, Milch und Milchprodukte essen NAHKOST, Teil 1 Von Kerstin v. Schmidt-Phiseldeck Kiel. Fast 40 Prozent der globalen Treibhausgase entstehen laut Weltagrarberich direkt oder indirekt durch die Agrar- und Lebensmittelproduktion. Dennoch: Regionales Essen wirkt sich gar nicht so schonend aufs Klima aus, wie es angesichts der globalen Transportwege zu vermuten wäre. Wer vor allem etwas für die Umwelt tun möchte, erzielt mit einem geringeren Verzehr von Fleisch sowie von Milch und Milchprodukten mehr Wirkung, erklärt Gudrun Köster von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein. Wer nur zweimal die Woche Fleisch und einmal Fisch isst, spart 27 Prozent an Treibhausgasen ein, zitiert sie eine Studie. Eine rein vegetarische Ernährung spart 40 Prozent – eine regionale und saisonale Ernährung „nur“ 10 Prozent. Wer sich vollwertig ohne Fleisch ernährt, erzeugt etwa 458 Kilo Treibhausgase pro Jahr, wer dazu noch auf Bio setzt, spart weitere gut 100 Kilo ein, so eine andere, etwas ältere Studie. Bei konventioneller Mischkost mit viel Fleisch dagegen produziert man fast 900 Kilo sogenannte CO2-Äquivalente pro Jahr. Fleisch hat insgesamt eine schlechtere Klimabilanz als Obst, Gemüse und Backwaren, doch Rindfleisch und Rinderprodukte schneiden besonders schlecht ab, bestätigt Agrarökonom Professort Selbst in Bioläden, deren Sortiment eher regional ausgerichtet ist, finden sich oft Molkereiprodukte aus Bayern oder aus dem Münsterland. Denn der Kunde wünscht Auswahl. Doch die ist bei Molkereiprodukten in Schleswig-Holstein nicht so vielfältig. Die hiesigen Molkereien produzieren vor allem international gehandelte Weltmarktprodukte wie Mager- und Vollmilchpulver sowie Butter für den Export. Foto Rebehn Uwe Latacz-Lohmann von der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Denn Rinder tragen besonders zum Ausstoß klimaschädlicher Gase bei. Zum einen produzieren sie als Wiederkäuer bei der Verdauung viel Methan. Zum anderen anderen benötigen sie pro Kilogramm Fleisch deutlich mehr Futter als etwa Schweine oder Geflügel. Die bei der Futterproduktion entstehenden Treibhausgas-Emissionen müssen in die Gesamtbilanz einbezogen werden. Die gesamte deutsche Landwirtschaft verursachte 2010 nach Angaben des Bundesumweltamtes genauso viel Emissionen wie die Industrie, nämlich 7,8 Prozent der gesamten Emissionen. „Die Sache ist allerdings komplexer als man denkt“, erklärt Latacz-Lohmann: Wenn alle weniger Rind oder Milchprodukte essen würden, bräche der Preis ein. Folge: Die Landwirte würden auf Getreide umsteigen. Um dafür Flächen zu bekommen, muss Weideland umgebrochen werden, das viel CO2 speichert. Zumindest einmalig würde auch dabei viel Treibhausgas ausgestoßen. „Man muss die Effekte der zweiten Reihe berücksichtigen“, sagt Latacz-Lohmann – auch wenn der Primäreffekt in der Regel überwiegt. Es zeigt aber, dass „selbst gut gemeinte Klimaschutzmaßnahmen andernorts negative Effekte auslösen“ können. Und: „Man muss die globale Ökoeffienz berücksichtigen“, sagt Professor Friedhelm Taube, Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Kieler Uni. Das bedeutet: Rohstoffe soll- ten weltweit und jeweils in der Intensität erzeugt werden, wo dies mit den geringsten negativen Effekten umgesetzt werden kann. So sei es sinnvoll, „klimatische Gunststandorte mit hoher Bodenfruchtbarkeit“ vergleichsweise intensiv zu bewirtschaften, erklärt der Agrarwissenschaftler. Dagegen sei zum Beispiel auf den sandigen Standorten der Geest eine reduzierte Bewirtschaftungsintensiät ökoeffizienter. Auch Bio-Produktion sei nicht für jeden Standort die beste Wahl. Uwe Latacz-Lohmann empfiehlt, beim Einkauf „gerade bei Milch auf Angebote aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu achten“, um die Transportemissionen zu mindern. Milch besteht überwiegend aus Wasser und sei deshalb „extrem trans- 13 portunwürdig“. Es sei besser, Käse oder Butter zu transportieren als die unverarbeitete Milch. Butter gehört übrigens zu den Nahrungsmitteln, deren Produktion extrem viel Treibhausgas erzeugt: Für ein Kilo werden 20 und mehr Liter Milch benötigt. Zudem ist es mit Blick aufs Klima sinnvoll, saisonales Obst sowie Gemüse zu essen und vor allem auf Flugware zu verzichten. Unproblematischer sei hingegen zum Beispiel der Transport von Äpfeln per Schiff aus Neuseeland, erklären die Wissenschaftler. 쐽 Wer im Internet bei www.verbraucherzentrale-sh.de den Suchbegriff Saisonkalender eingibt, findet dort einen Überblick. Auch der aid informationsdienst (aid.de) bietet einen Saisonkalender zum Ausdrucken sowie als kostenlose App fürs Smartphone. So tun Sie bei der Ernährung was fürs Klima Weniger: Fleisch – vor allem Rind – essen; Milch und Milchprodukte verzehren; verpackte Lebensmittel kaufen; Flugware kaufen – das sind frische, leicht verderbliche Lebensmittel, die eine lange Reise hinter sich haben; Treibhausware kaufen, zum Beispiel hiesiger Salat im Winter; mit dem Auto zum Einkaufen fahren; Nahrung wegschmeißen. Mehr: Saisonales Obst und Gemüse essen; Teigwaren und Kartoffeln essen; loses Obst und Gemüse kaufen und in mitgebrachten Taschen transportieren; Freilandgemüse kaufen; Bioprodukte kaufen, bei denen auf energieintensiv erzeugte Dünger und Pflanzenschutzmittel verzichtet wird; regionale Lebensmittel kaufen; Einkäufe bündeln und zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen; selber kochen; eigenes Obst und Gemüse anbauen. ker STICHWORT Treibhauseffekt Der Treibhauseffekt ist die klimarelevante Veränderung der Atmosphäre durch von Menschen gemachte Treibhausemissionen. Die wichtigsten Treibhausgase sind Kohlendioxid (CO2, das auch als Referenzwert dient), Methan, Lachgas, Fluorkohlenwasserstoffe sowie Schwefelhexafluorid. Das relative Treibhauspotenzial ist eine Größe, mit der die Wirkung eines Treibhausgases mit der äquivalenten (gleichwertigen) Menge Kohlenstoffdioxid verglichen wird. In den Bioläden ist Regionales Programm Nachbars Garten in der Hofholzallee 151 und der 1000 Körner Markt Arkaden in der Holtenauer Straße 37 in Kiel sind Bioläden mit einem „Tante-Emma-Sortiment“. Bei Nachbars Garten stammen die Waren regionaler Herkunft im Januar oft sogar aus dem erweiterten Kieler Umland – aus Schierensee, Schinkel, Felm und anderen Orten. Die regionale Herkunft wird oft, aber nicht immer auf Schildern vermerkt; außerdem wissen in dem kleinen Laden die Mitarbeiter Bescheid. „Wir haben uns in Bioläden von Natur aus schon immer um Regionales gekümmert“, bestätigt Inhaber Oliver Jonas, der auch noch eiNaturAngela Raasch ist Inhaberin des 1000 Körner nen Marktes Arkaden in Kiel. „Regionale Ernährung kost-Laden in war für unsere Kunden schon immer ein Thema“, Büdelsdorf sagt sie. Fotos Rebehn besitzt. So ist Kiel. Der erste – gedankliche – Testeinkauf Ende Januar führt in zwei Bioläden. Denn wurde da nicht schon immer besonders regional gedacht? Tatsächlich fällt in beiden Geschäften der Blick zuerst auf: Gemüsevielfalt aus dem Ausland. Beim genaueren Hinsehen findet sich aber auch eine gute Auswahl regionaler Waren – und zwar nicht nur bei der von uns getesteten Warengruppe. Die regionalen Einkaufskörbe wurden vom 23. bis 30. Januar ermittelt. An anderen Tagen hätten je nach Lieferung andere Produkte darin landen können. Es ging nicht um einen Vergleich einzelner Märkte, sondern um einen Überblick auf das Angebot in Kiel. Grundsätzlich ist das Angebot an Obst und Gemüse aus Schleswig-Holstein im Januar saisonal bedingt sehr klein. Fast alle Befragten sagten, dass es im Sommer nicht nur größer, sondern auch regionaler sei. denn auch das gesamte Sortiment regional geprägt, wenn möglich. Allerdings wünschen sich auch Biokunden Auswahl – da helfen gerade im Winter ausländisches Gemüse oder allgemein Molkereiprodukte aus Bayern, wo das Sortiment breiter ist. „Bei vergleichbaren Pro- Im Naturkostladen Nachbars Garten dukten entscheiden stammten die Waren regionaler Herkunft wir uns für den regio- bei unserem Test oft aus dem erweiterten nalen Anbieter“, sagt Kieler Umland. Jonas. Insgesamt sei der Bioeinkauf leichter ge- sie – das regionale Angebot worden. Bei Fleisch – in Nach- vergrößert sich im Laufe des bars Garten fast ausschließ- Saison. Der Kunde kann die lich regionaler Herkunft – sei Herkunft gut an den Schilaber der Preis immer noch ein dern erkennen. Hinzu kommen Produkte aus Schleswig„deutliches“ Problem. Der 1000 Körner Markt ge- Holstein wie Eier, Milch, Buthört nach eigenen Angaben zu ter, Galloway-Fleisch, Wurstden Pionieren der Naturkost aufschnitt, Bratwürste und in Schleswig-Holstein. Hier Brot. Wenn bei den Ziegen die stammt das regionale Gemüse „Babypause“ zwischen DeEnde Januar überwiegend aus zember und Februar vorbei Niedersachsen. Bei den Kar- ist, gibt es wieder Ziegenkäse toffeln schwört Inhaberin An- aus Boksee. Regionalität sei für ihre gela Raasch grundsätzlich auf die Ware von dort: „Das sind Kunden aber kein neues Thedie besten!“ Doch sobald es ma, sagt Angela Raasch: „Wer wieder Gemüse aus Schinkel hierher kommt, hat sich damit ker gibt, „nehmen wir das“, sagt schon befasst.“ Wir haben uns bei der Suche nach Lebensmitteln für die regionalen Einkaufskörbe auf überwiegend unverarbeitete Ware konzentriert: Obst, Gemüse, Eier, Milch und Molkereiprodukte, Fleischwaren sowie Brot. Als Kompromiss nennen wir auch Waren aus Hamburg, dem nördlichen Niedersachsen sowie Mecklenburg-Vorpommern.