GRUSSWORT DES BOTSCHAFTERS VON GEORGIEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, S.E. PROF. DR. DR.H.C. LADO CHANTURIA, ANLÄSSLICH DES EMPFANGS DER BOTSCHAFT VON GEORGIEN IN DEUTSCHLAND ZUR FEIER DES GEORGISCHEN NATIONALFEIERTAGS 2015 BERLIN, 26. MAI 2015 Exzellenzen, verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, verehrte Vertreter der Bundesländer in Berlin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde Georgiens - Es ist mir eine große Ehre, Sie anlässlich des georgischen Nationalfeiertages herzlich begrüßen zu können. Was könnte für einen Botschafter besser aussehen als zahlreich erschienene Freunde seines Landes. Das georgische Volk hatte sich genau vor 97 Jahren am 26. Mai 1918 erstmals die Nationalversammlung Freiheit erklärte erkämpft die - die georgische Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Georgien. Zwei Tage später erkannte Deutschland als erster Staat die georgische Republik an. Die Freude am neuen Leben indes währte nicht mehr als drei Jahre, dann wurde die kaum mehr als roh gezimmerte Hütte eines neuen, freien Georgiens eingerissen von den Architekten und Armeen eines sowjetischen Kommunismus. So kam die Zwangsehe mit der 1 Sowjetunion und ihr folgten 70 Jahre der Herrschaft des Kommunismus. Georgien hat seine Freiheit wieder errungen und 1991 in freier Entscheidung seine Unabhängigkeit und den Entschluss zum Aufbau einer demokratischen Rechtsstaatlichkeit beschlossen. Das Land hat damit sein historisches Schicksal an- und seine Zukunft in die Hand genommen. Wir sind dankbar für jede Unterstützung, die wir dabei erfahren. Von der Anerkennung als unabhängige Nation durch die Bundesrepublik Deutschland - übrigens, allen anderen Staaten voran, der ersten überhaupt; bis zur Unterstützung unseres Antrags auf Visafreiheit in naher Zukunft, wiederum seitens der Bundesrepublik Deutschland in Riga zum Ausdruck gebracht mit einer Deutlichkeit, die in Georgien so aufmerksam gehört, wie richtig gedeutet und als aufrichtige Anerkennung dessen verstanden wurde, was auf dem Weg von Georgiens Rückkehr in die Gemeinschaft Europas schon geleistet worden ist. An dieser Stelle möchte ich jenen Stimmen widersprechen, die nach dem Gipfel von Riga, Glauben machen wollten, die Georgier seien enttäuscht von den Ergebnissen und, mehr noch, die EU riskiere eine Abwendung der Bevölkerung auch in unserem Land und eine Hinwendung zu anderen, ostwärts, angebotenen Bündnissen. Ich kann Sie versichern, verehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde von Georgien: Das Gegenteil ist der Fall. Jüngste Umfragen belegen: Mehr als 85% aller Georgier sprechen sich uneingeschränkt für eine Anbindung unseres Landes an Europa aus. 2 Und ich kann sie auch versichern, dieser Zuspruch kommt weder von rosaroten Versprechungen, noch von unrealistischen Erwartungen. In unserem eigenen nationalen Empfinden ist die Hinwendung des georgischen Staates zu Europa eine Rückkehr unseres Volkes in die Gemeinschaft der Völker, aus der wir stammen und in der wir tief verwurzelt geblieben sind. Keine Rückkehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde Georgiens, dauert nur einen Tag. Keine Rückkehr besteht nur aus einem Schritt. Es ist mir eine besondere Freude die in Georgien verbreitete Meinung zum Ausdruck zu bringen, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien noch nie so gut und eng waren wie heute. Man entdeckt sich auf beiden Seiten neu und ist ständig bemüht gemeinsame Anhaltspunkte in der Außenpolitik sowie wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu finden. Die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens durch den Bundestag am 26. März des laufenden Jahres und noch vor dem Gipfeltreffen in Riga nimmt einen herausragenden Platz in unseren Beziehungen. Nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU sind die Exporte aus Georgien um 12% gestiegen. 3 Die Zahl von hochrangigen Besuchen in und aus Deutschland spricht für sich. Über dreißig Mal haben sich die hohen Würdenträger aus der Legislative, Exekutive und Militär beider Staaten offiziell zusammen getroffen. Es bedarf in diesem Kreis keiner Auflistung der Reformen mehr, die in Georgien umgesetzt wurden. Vor allem in den vergangenen 24 Jahren, dann noch einmal, mit neuen politischen Kräften, seit 2012, nach einem historischen, durch weitestgehend unbeeinflusste, demokratische Wahlen herbeigeführten Regierungswechsel. Die Stimmen derer, die nach Georgien kommen, sei es um unser Land, seine überwältigende Natur, die Menschen, unsere Geschichte, Kultur und Kunst kennen zu lernen; sei es, um eine wirtschaftliche Unternehmung aufzubauen - diese Stimmen sprechen inzwischen für sich. Viele von ihnen sind heute hier, und ich ermutige jeden, der noch nicht überzeugt ist: Suchen Sie das Gespräch. Und, besser noch, kommen Sie anschliessend und überzeugen Sie sich! Wir verhehlen nicht den Stolz, mit dem wir auf Rankings wie jenes der Weltbank, das von Rating Agenturen, aber auch von NGOs wie Transparency International blicken. Wir wissen zugleich, dass andere noch vor uns sind, die wir definitiv gerne hinter uns wüssten. Wir verbergen auch nicht die Freude und die Genugtuung darüber, ...dass georgische Musikerinnen und Musiker wieder selbstverständlich in den Reihen der besten Orchester der Welt Aufnahme finden, 4 ...dass georgische Solisten Konzerte in Berlin, New York, Tokio, Paris und London geben und exzellente Sängerinnen und Sänger georgischer Herkunft an internationalen Bühnen und in Sälen rund um den Globus öfter als in ihrer Heimat auftreten; ...dass last not least auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2018, auch der georgischen Literatur wieder die Tür zur Wahrnehmung in der Welt geöffnet werden wird (Georgien ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse). Wie sehr sie das verdient hat und mit dem einen und anderen Schriftsteller der neuen Generation dort schon angekommen ist, das hat der Roman "Das achte Leben" von Nino Haratishvili bewiesen. Ein Buch das trotz seiner Furcht einflössenden, mehr aber Ehrfurcht gebietenden 1200 Seiten, zu einem Bestseller wurde. In einem Land wohlgemerkt, dessen Kritikerpabst selig einmal sagte: Romane, die mehr als 150 Seiten haben, lese er nicht. Wir sind stolz. Wir sind selbstbewusst. Wir sind und bleiben aber vor allem: realistisch. Wir sehen was ansteht: • Die Möglichkeiten wirtschaftlichen Wachstums sind längst noch nicht ausgeschöpft. Investitionen sind lohnend. Insbesondere in Bereichen wie Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion; Tourismus, Energieerzeugung und Energieeinsparung; Umweltschutz und Infrastrukturverbesserung. Aber auch in der klassischen technischen Fertigung und der Zulieferindustrie. 5 • Georgien ist ein Land, davon bin ich selbst fest überzeugt, das in der kommenden Generation die kleinen und mittleren Betriebe nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaft als tragende Säule eines gesicherten Wohlstands entdecken und etablieren wird. Dafür braucht Georgien aber ein Bildungssystem, das deutlich weniger fixiert ist auf eine akademische Bildung und stattdessen mehr Wertschätzung entwickelt und bessere Möglichkeiten aufbaut für moderne handwerkliche Berufe; für zukunftsorientierte, fachliche Berufe; und vor allem für die fundierte Untermauerung einer Mentalität der selbständigen Unternehmerschaft. Denn auch dieser 'Geist des kleinen Unternehmertums' ist 'dem Georgier' zutiefst zueigen - und war uns durch die Sowjets auch nicht auszutreiben. Unsere Hinwendung zu Europa bedeutet im Übrigen nicht die Abwendung von der Region. Allein die Größe und die geographische Lage Georgiens fordert und fördert den Blick und den Brückenschlag, zu unseren Nachbarstaaten. Die Anwesenheit meiner verehrten Kollegen aus diesen Ländern heute Abend unterstreicht die Bedeutung dieser freundschaftlichen Verbundenheit - herzlich Willkommen, Exzellenzen, Ihre Anwesenheit freut mich außerordentlich. Trotz dieser fairen Bestandsaufnahme der Situation Georgiens ist Georgien seit nunmehr sieben Jahren eine besetzte Nation. Die fortdauernde Besetzung von Abchasien und Süd-Ossetien durch unseren großen Nachbar ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr als nur ein Dorn im Fleisch der georgischen Nation. Es 6 ist die In-Frage-Stellung unserer staatlichen Souveränität in zuvor klar festgelegten Grenzen. Es ist die individuellen, historischen, kulturellen Gefährdung Vielfalt und unserer unserer politischen und nationalen Identität. Die Regierung Georgiens tut, trotz der fortdauernden Besetzung von einem Fünftel unseres Landes alles, um nicht nur in den dafür vorgesehenen Genfer Gesprächen, sondern auch auf bilateraler Ebene einen Dialog zu etablieren, der vor allem den zigtausenden Betroffenen ein Überleben möglich macht und zumindest den Hauch einer Hoffnung erhält. Die Kraft, die das kostet ist nicht gering und wird von Jahr zu Jahr auch deshalb nicht einfacher aufzubringen, weil der Eindruck schwerlich vermeidbar ist, dass jedes kleine Zugeständnis hier, mit zwei bedeutsameren Provokationen dort bezahlt werden muss. Umso mehr wissen wir auch und gerade vor diesem Hintergrund die Zeichen zu schätzen, die Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages bei Besuchen in Georgien in jüngster Zeit gesetzt haben und freuen uns dass die Bundeskanzlerin unsere Einladung zu einem Besuch in Georgien angenommen hat, wenn auch noch ein Datum dafür gefunden werden muss. Nun freue ich mich ganz besonders auf unseren musikalischen Teil. Manche von Ihnen haben letztes Jahr das wunderschöne Konzert im Bode Museum genießen können. Auch dieses Jahr haben wir für Sie besondere musikalische Kostproben vorbereitet. Unsere Solisten heute sind – unser Kulturattaché - Pianistin Dudana Mazmanishvili, die Ihnen schon bekannt sein wird – sie hat gerade 7 ein von den Kritikern umjubeltes Konzert im Rahmen des Klavierfestival Ruhr gespielt und der junge phänomenale Bariton Gocha Abuladze, der gestern erst seine Proben im Ausland unterbrach, um heute für uns zu singen. Anschließend, möchte ich, meine Damen und Herren, noch ein paar Worte über Georgische Volksmusik verlieren. Der georgische mehrstimmige Gesang hat eine lange Tradition. 2001 wurde er in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Die Georgier beherrschen seit Jahrtausenden die Polyfonie – also die Mehrstimmigkeit und somit das AufeinanderHören. Nun muss ich Ihnen selbstverständlich die Möglichkeit geben, die Creme de la Creme der georgischen Mehrstimmigkeit – das Ensemble GEORGIKA vorzustellen. Unser herzliches Dankeschön gilt für die Personen, die zur Durchführung dieser Festveranstaltung beigetragen haben: Herrn Burkhard Schuchmann, Deutsche Bank - Herrn Deppisch und Herrn Adler, Ensemble GEORGIKA, Solisten Dudana und Gocha, Georgisches Restaurant Mimino Royal. Unserem Sponsor Herrn Schuchmann, einen herzlichen Dank und auf die Unabhängigkeit Georgiens ein "Gaumadjos!" Vielen Dank, einen wunderschönen Abend, anregende Gespräche und guten Appetit bei den traditionell georgischen Köstlichkeiten, die wir Ihnen bieten! 8