Herbert Lehnert University of California, Irvine Kurt Singer Kurt Singer, aus jüdischer Familie geboren in Wien, aufgewachsen in Berlin, wuchs in die deutsche Kultur hinein und wurde vertrieben, als er gerade seinen Platz darin gefunden hatte. Er schrieb seine ersten Artikel und Bücher in deutscher Sprache, aber seine frühen Bücher wurden auf Schwedisch, der Sprache seiner rettenden dritten Heimat veröffentlicht. Auch die Schweden mussten ihn, wenn auch ungern, vertreiben. Er, seine erste Frau und Baby-Tochter gelangten mit Mühe und knapper Not 1940 in die rettenden USA. Singer nahm dort die Sprache und Staatsangehörigkeit seines vierten, seines zweiten rettenden Landes an. In Kalifornien lebt er heute, verheiratet mit einer Koreanerin und mit großem Interesse für asiatische Lebensart. Er bekennt jedoch, dass die deutsche Sprache und Kultur ihn tief geprägt hat, dass sie zu seinem Wesen gehört, trotz der sprachlichen Entfremdung. Dazu wurde er gezwungen, aber er hat sie umgesetzt in ein erfolgreiches Leben. Kurt Singers Leben repräsentiert die kosmopolitische Ausschlagmöglichkeit der deutschen Kultur. Es ist dieses Leben mehr als seine Bücher, das Kurt Singer einen Platz in der Geschichte des deutschen Exils sichert. Einige seiner Bücher reflektieren sein freiheitlich-politsches Engagement, das er bis heute in Artikeln fortsetzt. Andere, die meisten, waren Mittel seines Überlebens. Singers Autobiographie I Spied and Survived (1980) beschreibt ein ganz ungewöhnliches Leben, das immer wieder über das bloß Private in die Geschichte unserer Zeit hinausreicht.i Das Buch ist aufregend zu lesen und verdiente eine erweiterte und revidierte deutsche Übersetzung. Der Titel ist nicht falsch, kann aber leicht missverstanden werden. Singer war sicher feindlichen Agenten lästig, die Deutschen und die Sowjets hätten ihn während des Krieges in Schweden gern gefangen und beseitigt. Er war in Lebensgefahr, aber er war nicht ein getarnter Spion in Feindesland, sondern er trieb Gegenspionage auf der richtigen Seite, der seiner politischen Sympathie. Kurt Singer wurde als Kurt Deutsch 1911 in Wien geboren. Die Eltern waren auch schon in Wien zur Welt gekommen; deren Familien stammten aus den habsburgischen Ländern, Böhmen und Ungarn. Aus Ungarn stammte Kurts väterliche Großmutter, die katholisch war, vermutlich nicht jüdischer Herkunft, weshalb sie in der Familie die Zigeunerin genannt wurde, vielleicht war sie sogar eine. Diese Großeltern hatten keinen Kontakt mit Kurt, um so mehr die mütterliche Familie. Der Vater, der Sohn der streng katholischen “Zigeunerin”, hatte in der Taufe den Namen Ignaz erhalten, nach Ignatius von Loyola, ein Symbol katholischer Glaubensstrenge. Der mütterliche Großvater, Julius Singer, war gläubiger Jude, aber nicht ohne einige Toleranz, hatte er doch zugelassen, dass seine Tochter einen Katholiken heiratete. Um so mehr bemühte er sich um seinen Enkel, der als Kind einer Jüdin für ihn Jude war, obwohl getauft und obwohl sein Vater ihn Sonntags in die Messe schickte. Der Großvater besaß ein Spirituosengeschäft und betrieb eine Sparkasse, die dafür sorgte, dass seine Kunden nicht ihren ganzen Lohn vertranken. Die Verbindung von 1 Geschäftstüchtigkeit und ethischem Gewissen muss auf seinen Enkel eingewirkt haben. Die schlimmsten Unglücke, die diesen trafen, waren Folgen von Gewissenshandlungen; und doch hatte er auch eine pragmatische Seite, die ihn befähigte, sich immer wieder zu behaupten. Der Großvater Julius Singer muss einen sehr großen Einfluss auf den jungen Kurt gehabt haben. Dessen Frau, seine mütterliche Großmutter Clementine, verwöhnte ihren Enkel, weil die junge Mutter lieber ausging, auch Affären hatte, während der Vater in Budapest als kaiserlicher und königlicher Offizier den Ankauf von Stahl für die österreich-ungarische Armee betrieb. Die Anfänge von Kurt Deutschs Erinnerungen liegen naturgemäß im Ersten Weltkrieg. In I Spied and Survived schildert er tragikomisch-dramatisch wie Revolutionäre in das Wiener Café Sacher eindrangen, seine Mutter und Großmutter in bleiche Angst versetzten und einem Vetter, einem kaisertreuen Offizier, die Epauletten abrissen. Seinen Vater hatte er ab und zu mit seiner Mutter in Budapest besucht, wo er stationiert war. Den größten Eindruck hinterließ ihm dessen langer Offizierssäbel. Die Ehe der Eltern war nicht glücklich, eine Scheidung erschien dem Katholiken jedoch ausgeschlossen. Halten wir einen Augenblick ein und bedenken das Vorhergehende. Kurt Singer wurde katholisch erzogen, fand aber mehr Liebe als im Elternhaus bei seinen jüdischen Großeltern. Die Glaubenstreue des Großvaters war der Indifferenz der Eltern überlegen, aber blieb so fremd, wie die Sprache, in der er betete und seinen Enkel segnete. Eine religiöse Identität war dem Kind nicht gegeben. Noch dazu war der Junge den Spottversen antisemitischer Straßenkinder ausgesetzt. Religiöse Indifferenz war in der Zeit nicht mehr ungewöhnlich, aber es kam dazu, dass das Land seiner Herkunft keine Nation war, sondern der Vielvölkerstaat der österreichischungarischen Monarchie. Deren Zerfallssymptome können für einen Jungen in der Kaiserstadt Wien nicht erkennbar gewesen sein, sie muss ihm vielmehr, wie Stefan Zweig und anderen Österreicher, stabil erschienen sein, so dass der plötzliche Zerfall dieses Reiches einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben muss, ein Bedürfnis nach der nationalen Identität, die überall in Europa galt, nur nicht in Wien. 1919-1934, vom Alter von acht Jahren bis zum Alter von 23 wuchs Kurt Deutsch in Berlin auf. Der Vater wollte seine Kriegserfahrungen benutzen und einen Eisenhandel in europäischen Dimensionen aufbauen. Wien erschien ihm als Standort für einen ausgreifenden Handel ungeeignet, darum ließ er sich in Berlin nieder. In seiner Autobiographie streift Kurt Singer eine Szene, die er als kleiner Junge am Strand in Westerland erlebte. Sein Vater baute seinem Jungen eine Sandburg und steckte drei Fahnen auf: eine der österreichischen Republik, eine der deutschen Republik, schwarz-rot-gold, die am Strand reicher Leute damals selten gewesen sein muss, und eine, die die selbstgemachte Inschrift trug: “Anschluss vollzogen” (Survived, 37f.). Er war ein liberaler Großdeutscher. Westerland war schon damals die Erholungstätte der Reichen. Denn wohlhabend war der Vater geworden. Jedoch dauerte der Wohlstand nicht lange. Eine Fehlkalkulation mit Devisen in der Inflationii ließ die verzweigte Handlung zusammenbrechen. Zwar war der Vater geschickt genug, der Familie als 2 Handelsvertreter noch einen mittleren Wohlstand zu sichern, jedoch erlag er 1927 einem Herzanfall. Kurt war 16. Kurt Deutsch musste das Kaiser Friedrich Realgymnasium verlassen (damals wurde Schuldgeld erhoben), was ihm nicht schwerfiel, denn, wie manchen anderen künftigen Schriftstellern langweilte ihn die Schule und gab ihm nichts. Die Schulreformen begannen damals erst zu greifen, im Großen und Ganzen war die alte Lern- und Drillschule noch intakt. Wie viele künftige Schriftsteller baute Kurt sich seine eigene Welt, las Shakespeare, Schopenhauer, Nietzsche, Goethe, Schiller, Hölderlin, . Schon in Wien war er in der Oper gewesen, in Berlin hatte er moderne Schauspiele gesehen. Klassische Musik erfüllte ihn. Kurt Deutsch baute sich seine Identität aus der deutschen Kultur, er wurde ein junger Bildungsbürger. Schon mit 13 hatte er ein Drama geschrieben, das von einem Priester handelte, der eine Prostituierte zu retten suchte: großstädtische Modernität, frühreif aufgegriffen, konfrontiert mit religiösen Gewissen. Nach des Vaters Tod trat er eine Lehre in einem Unternehmen an, das Eisenbahn-Güterwagen baute und an Firmen vermietete. Kurt Deutsch erwies sich zwar nicht als besonders kaufmännisch ehrgeizig, hatte jedoch Geschicklichkeit in geschäftlichen Verhandlungen. Das war seine pragmatische Seite. Jedoch sein eigentliches Leben war das kulturelle Engagement. Auch das hatte eine pragmatische Seite: er versuchte sich als Verleger, um auf diese Weise einen Einbruch in die Welt der Publikation zu gewinnen. Er veröffentlichte eine Lyrik-Anthologie. Eine politische Schrift und ein pornographisches Buch, die er aus seinen kaufmännischen Einkünften hatte drucken lassen, wurden von der Polizei beschlagnahmt. Wichtiger war seine Hoffnung, sich als Schriftsteller zu bewähren. Er schrieb Gedichte und Prosa, die er an Zeitungen und Zeitschriften verschickte und zurückbekam und bewegte sich in bildungsbürgerlichen Jugendgruppen mit Wanderungen und intellektuellen Diskussionen. Dort traf er Hilde, die Tochter Siegfried Tradelius’ eines wohlhabenden Geschäftsmannes, ausgezeichneten Frontkämpfers des Ersten Weltkriegs, der, wie sehr viele deutsche Staatsbürger reform-jüdischen Glaubens, sich eindeutig als Deutscher fühlte. Siegfried und Alice Tradelius wünschten sich einen Schwiegersohn als Erben des Geschäftes, von der Dichterei des Freundes seiner Tochter hielt der Vater nichts. Das Verhältnis der beiden wurde auch von Kurts Mutter bekämpft, die ebensowenig von dem literarischen Ehrgeiz ihres Sohnes angetan war, hoffte sie doch, durch das kaufmännische Geschick des Sohnes wieder in die Oberklasse aufzusteigen. Die Artikel, die Kurt schrieb und an Zeitschriften versandte, bekam er zurück. Es waren philosophische oder politische Betrachtungen eines Mannes mit mangelhafter, abgebrochener Schulbildung. Die links-demokratische Weltbühne Carl von Ossietzkys war ihm sympatisch. Auch von dort bekam er seine Beiträge zurück. Seine Mutter wurde nicht von der schriftstellerischen Berufung ihres Sohnes überzeugt, als er einige Buchbesprechungen in der Schweizer Zeitschrift eines abtrünnigen Kommunisten anbrachte. Aber Kurt war nicht entmutigt. Er hörte nicht auf, eine kulturelle Identität als bürgerlich-antibürgerlicher deutscher Dichter anzustreben, wie so viele seiner und der vorhergehenden Generation. Seine Freundin, die ihn bewunderte, bestärkte ihn. 3 Die Gelegenheit zum Losbrechen geschah in der tiefen Depression. Sein Chef, der Güterwagen-Produzent, musste Personal entlassen und bot drei Monate Bezahlung für freiwilliges Ausscheiden. Kurt Deutsch ergriff die Chance. Mit dem Trennungsgeld fuhr er in die Schweiz in der Hoffnung, dass der Herausgeber der linken Zeitschrift, der ihn Bücher hatte besprechen lassen, ihn endlich in die große Literatur einführen würde. Der hatte jedoch genug mit sich selbst zu tun. Seine Freundin, die als medizinisch-technische Assistentin ausgebildet war, ließ Kurt Deutsch nachkommen. Ihren soliden Eltern spiegelten sie die Aussicht auf eine Stelle bei einem berühmten Arzt vor, die gar nicht bestand. Außerdem gab es in der Depression keine Arbeitserlaubnis für Ausländer in der Schweiz. Zu allem Unglück wurde Kurt schwer krank, konnte seine Krankenhausrechnung nicht bezahlen und wurde nach einer Verhaftung wegen illegaler Verbreitung politischer Schriften aus der Schweiz ausgewiesen. Übrigens, trotz dieser deprimierenden Erlebnisse ist deren Bericht in Singers Autobiographie ohne jedes Ressentiment gegen die Schweiz geschrieben. Die Ausreißer mussten zur guten Bürgerlichkeit zurückkehren in der Gestalt des ehrenwerten Siegfried Tradelius. Widerwillig stimmte der der Heirat seiner Tochter mit dem untüchtigen Schwiegersohn zu, der ihm überdies mit einer Schwindelei die Tochter aus dem Haus gelockt hatte. Es traf sich günstig, dass der jüdische Besitzer einer Buchhandlung am Olivaer Platz in Berlin sein Geschäft für die lächerliche Summe von RM 5000 anbot, weil der die Zeichen an der Wand las und auswandern wollte. Tradelius kaufte die Buchhandlung für das junge Paar. Das war 1932. Die Buchhandlung ging gut; die pragmatische Seite in Kurt Deutsch bewährte sich und seine Frau Hilde half tatkräftig. Wenige Wochen später geschah die Machtübergabe an Adolf Hitler. Jetzt tritt Kurts nicht-pragmatische, “idealistische” Seite in Funktion. Bekannte und Freunde waren schon vor dem 30. Januar 1933 in Konflikt mit den Nationalsozialisten geraten. In den Konzentrationslagern übte die SA willkürliche, wilde und sadistische Grausamkeit, anders grausam als die kalte, verachtende Brutalität der SS seit 1934, die natürlich nicht besser war. Es gab Flüchtlinge, die geldlos im Ausland in Not waren. Kurt und Hilde Deutsch fühlten die Verpflichtung zu helfen. Sie sandten Geld ins Ausland, in Exemplaren von Hitlers Mein Kampf versteckt. Mit linkssozialistischen Freunden begannen sie eine illegale WochenZeitschrift mit dem harmlosen Titel Mitteilungsblätter, die über die Untaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufklären wollte. Informiert wurden sie durch Freunde und durch nicht-deutsche Rundfunknachrichten. Hatte Kurt vorher seine philosophisch-politischen Artikel zurückbekommen, jetzt hatte er ein konkretes Thema, über das konkret zu schreiben war. Die Buchhandlung im Berliner Westen wurde lange nicht als Druckort verdächtigt, aber die Verteilung des Blattes war natürlich ein großes Risiko. Zwar dachten Kurt und Hilde Deutsch an Auswanderung. Zwei Überlegungen hielten sie zurück: Einmal hatten sie mit der illegalen Zeitung eine Aufgabe, die sie erfüllte. Sie fühlten sich als Freiheitskämpfer. Die andere Überlegung war familiär. Sie hatten die Buchhandlung von Hildes Vater geschenkt bekommen, sie erfolgreich 4 geführt, sich also in seinen Augen bewährt. Es fiel ihnen schwer, das Geschenk einfach hinzuwerfen. Denn der Frontkämpfer Siegfried Tradelius weigerte sich, an Auswanderung auch nur zu denken. Er fühlte sich als besserer Deutscher als die Nazis und hing wohl auch an seinem Geschäft. Anfang 1934 wurde eine Mitarbeiterin der geheimen Wochenzeitschrift denunziert und verhaftet. Sie leistete den Misshandlungen bei den Verhören drei Tage lang Widerstand, musste aber endlich die Adresse der Buchhandlung angeben. Ihrem Mann, der unter Beobachtung stand, gelang es, mit einer Postkarte Hilde und Kurt zu warnen. Kurt verließ Deutschland am selben Tag, beschwor seine Frau am Telefon, mit ihm abzureisen. Sie glaubte, alles ableugnen zu können und blieb. Das gelang ihr natürlich nicht. Ein nationalsozialistischer Anwalt, den der Vater engagierte, brachte es fertig, dass sie nur zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Kurt gelangte in die Tschechoslowakei, wurde in einer ihm bekannten Buchhandlung in Reichenberg freundlich aufgenommen, bis sich herausstellte, dass sie eine Tarnung für eine geheime Zelle der Komintern war. Um sich nicht benutzen zu lassen, floh Kurt Deutsch auch von dort. Schließlich gelangte er nach Schweden. Weil er einer der ersten Flüchtlinge dort war, wurde er freundlich aufgenommen und erhielt von einer Flüchtlingsorganisation ein Stipendium, um ein Buch zu schreiben. Dieses Buch erschien in schwedischer Übersetzung unter dem Pseudonym P. Carbone und dem Titel Det kommande Luftkriget (1935). Deutsch wollte die traditionell deutschfreundlichen, aber demokratischen Schweden vor den Nationalsozialisten warnen. Er machte auf die Wirkung der nationalsozialistischen Jugendbewegung aufmerksam, auf die Luftrüstung und auf die Produktion von Giftgas. Das Program der Revision des Versailler Vertrages, das Hitler in seinen Reden verkündete, implizierte Gewalt und Krieg. Die gleiche Aufklärung brachte Kurt Deutsch auch in mehreren Zeitungsartikeln an und in weiteren Büchern über die deutsche Rüstung, das Sterilisationsprogramm und über Martin Niemöller, den Widerstands-Pfarrer. Da er unter seinem Namen nicht schreiben konnte, ohne Familienangehörige in Deutschland zu gefährden, darunter seine Mutter, schrieb er unter Pseudonymen. Er entschied sich nach einiger Zeit für den Namen seiner Mutter, Singer. Später änderte er auch seinen bürgerlichen Namen zu Kurt Singer. Auch von Schweden aus nahm Singer an einer Untergrundzeitschrift teil, die nach Deutschland hineingeschmuggelt wurde. Es war die Zeitschrift Freies Deutschland, die von dem Sozialdemokraten Max Sievers finanziert und geleitet wurde (nicht zu verwechseln mit der in Mexico City später publizierten, kommunistischen gelenkten Monatszeitschrift gleichen Namens). Singer lernte sehr schnell Schwedisch, schrieb und veröffentlichte so viel, dass er bald sein Stipendium zurückzahlen konnte. Seiner Frau Hilde gelang es, obwohl das Regime sie unter Sicherheitsverwahrung stellte, illegal nach Schweden zu entkommen. Durch Zeitungsartikel — einige schrieb er selbst, andere regte er an — suchte Singer 1936, die Aufmerksamkeit Schwedens auf den Schutzhäftling Carl von Ossietzky zu lenken, mit dem Ziel, diesen aus dem Konzentrationslager zu befreien, wo er 1933 unter der SA-Herrschaft besonders intensiv gequält wurde, weil die Nationalsozialisten ihn für einen Landesverräter 5 ansahen. Später wurde Ossietzky trotz Krankheit zur Schwerarbeit gezwungen und zusätzlich misshandelt.iii Es gab schon seit Ende 1933 Bemühungen eines Freundeskreises, auf Ossietzkys Schicksal aufmerksam zu machen, Bemühungen, die auch langsam zu Verbesserungen der Behandlung führten, allerdings musste Ossietzky sie zuerst immer mit neuen Misshandlungen und Quälereien bezahlen.iv Singer wusste nichts von diesen Bemühungen, bezog seine Kenntnisse von Kurt Grossmann in Prag, einem Sozialdemokraten und führendem Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte. Im März 1936 veröffentlichte Singer eine schwedische Broschüre über Ossietzky als Kämpfer für den Frieden. Einige biographische Informationen über Ossietzkys frühes Leben waren irrig, aber der Enthusiamsmus der kleinen Schrift hatte eine große Wirkung in Schweden und die Schrift wurde mehrfach wieder aufgelegt, auch auf dänisch.v Sie wirkte in Norwegen, wo Willy Brandt auf das Nobelpreiskomitee einzuwirken suchte. Mit ihm nahm Singer Kontakt auf. Ossietzky war im Mai 1936 auf Befehl Görings mit fortgeschrittener Lungentuberkulose aus dem Konzentrationslager Esterwegen in ein Berliner Krankenhaus überführt worden. Göring war offensichtlich besorgt, dass ein Ableben Ossietzkys die Weltöffentlichkeit noch mehr alarmieren würde. Das deutsche Original von Singers Schrift wurde für die deutsche Ausgabe in einen Text von Kurt Grossmann integriert und erschien so 1937, ohne biographische Irrtümer, im Europa Verlag des Schweizer Sozialdemokraten Emil Oprecht.vi Ossietzky starb 1938 an den Folgen der Misshandlungen. Die PublizitätsKampagne, an der sich Heinrich und Thomas Mann, Albert Einstein, Romain Rolland, Parlamentarier aus mehreren Ländern, darunter Schweden, Norwegen und der Schweiz, Professoren aus Großbritannien und den USA beteiligten, hatte zuletzt die Wirkung, dass Ossietzky im November 1936 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, eine moralische Niederlage der Nationalsozialisten von großer Wirkung. Daran hat Singer einen Teil. 1936 hatte Leo Trotzki vorübergehend Asyl in Norwegen gefunden. Die Zeitschrift Folket i Bild beauftragte Singer mit einem Interview Trotzkis. Das Interview fand in deutscher Sprache statt. Der junge Mann mit sozialistischen Neigungen erwartete, einem revolutionärem Staatsmann und militärischem Führer zu begegnen und fand einen von sich selbst überzogenen Menschen, “wie eine Hollywood Diva” (Singer), dem nur daran lag, in Moskau an die Macht zurückzukehren. Singers Eindruck war, dass selbst Trotzkis Prinzip der permanenten Revolution für ihn ein Mittel geworden war, wieder Macht in die Hand zu bekommen. Es gelang nicht, auch nur ein Wort über sein persönliches Leben aus Trotzki herauszubekommen. Für den jungen Journalisten, der Mittel zu einer sozialen Erneuerung in den Schriften von Marx, Lenin, Trotzki gesucht hatte, muss diese Begegnung ein Augenöffner gewesen sein. Die Veröffentlichung des Interviews machte Singer zum Feind der Sowjetunion Stalins. Er hatte der Unperson Publizität verschafft. Vermutlich war der Grund, warum der Flüchtling einen solchen wichtigen Auftrag bekam, dass die Journalisten der schwedischen Zeitschrift wussten, welches Risiko damit verbunden war. Als Ausnutzung des arbeitseifrigen Flüchtlings muss auch gelten, dass dieselbe Zeitschrift Singer beauftragte, in Stockholm Berichte über 6 den Abessinien-Krieg zu schreiben, weil ihr Reporter für den mittleren Osten sich weigerte, in die äthiopische Kriegszone zu gehen. Das war übrigens ein anderer Exilant, derselbe Paul Olberg, der 1949 Thomas Mann in einem offenen Brief herausforderte, die deutsche Presse im Osten und im Westen zu ungunsten der letzteren zu vergleichen. Singer ging in die Stockholmer Bibliothek, informierte sich über Abessinien, und lieferte innerhalb von 24 Stunden den ersten Frontbericht, dem weitere folgten, sogar Interviews mit Haile Selassie, dem äthiopischen Kaiser. Da sie gut geschrieben waren, hatte Singer künftig keinen Mangel an Schreibaufträgen. Eine journalistische Sünde war das natürlich. Man muss dem Flüchtling seine Not zugute halten und bedenken, dass solche erfundenen Reportagen auch ohne Flüchtlingsnot geschrieben werden. Um 1938 interviewte Singer Vidkun Quisling, der zu der europäischen antidemokratischen Bewegung gehörte, wie die konservative Revolution oder die action française, die mit Verachtung der Massen eine intellektuelle Autorität aufrichten wollte. Quislings nationale Sammlungspartei gewann keine Popularität unter den Norwegern. In dem Interview sprach Quisling offen zu Singer über seine Sympathien für das nationalsozialistische Deutschland und für eine diktatorische Staatsform. Eine englische Fassung dieses Interviews konnte Singer nach der Flucht nach Amerika in der gut zahlenden Saturday Evening Post anbringen, was der Familie Brot auf den Tisch brachte. Die schwedische Reichspolizei wurde auf Singer aufmerksam. Sein Engagement gegen den Nationalsozialismus und seine schnell erworbene Zweisprachigkeit konnte nützlich sein für die Aufklärung der Tätigkeit deutscher Agenten, sowohl die der Nationalsozialisten als auch die deutscher Kommunisten. Die Polizei bot ihm an, als Informant für sie zu arbeiten. Schriftsteller, Journalist und Informant ist eine Kombination, die grundsätzliche ethische Bedenken erregt. Aber Singer hatte keine Unabhängigkeit zu verteidigen, er war Flüchtling, der sein Zufluchtsland brauchte und ihm dankbar sein wollte. Hatte er doch seine Frau, deren Schwester, später auch deren Vater, mit stiller Duldung der schwedischen Einreisebehörde ins Land gebracht. Der ehrenwerte Siegfried Tradelius war schließlich doch mit den deutschen Devisengesetzen in Konflikt gekommen. Seine Angst vor Armut im Exil war offenbar größer als seine deutsch-jüdische Gesetzestreue. Dessen Frau, Kurts Schwiegermutter, hatte sich im Gefängnis erhängt, wahrscheinlich, weil sie gezwungen wurde, gegen ihren Mann auszusagen. Kurts eigene Mutter lebte noch in Deutschland. Singer konnte das Angebot der schwedischen Polizei nicht zurückweisen, auch dann nicht, als er auf den deutschen Kommunisten Wollweber angesetzt wurde, der während des Krieges den schwedisch-deutschen Schiffsverkehr durch Sprengladungen in den Kohlenvorräten oder neben den Kesseln sabotierte, wobei schwedische Seeleute ertranken. Für die schwedische Neutralität arbeitete Singer gegen einen Gegner Hitlers, der aber seinerseits für die andere Diktatur arbeitete und auf Menschenleben keine Rücksicht nahm. Wollweber wurde erst gefasst, nachdem Singer Schweden hatte verlassen müssen. Denn Singer hatte nicht aufgehört, antinationalsozialistische Propaganda in 7 Schweden zu verbreiten. Dazu gehörte ein Buch, Göring. Tysklands farligaste man (1939), das Deutschlands zweiten Mann für den gefährlichsten erklärte, nicht nur, weil er die deutsche Luftwaffe kommandierte sondern auch weil Singer aus Görings schwedischem Exil nach dem Hitler-Putsch von 1923 Krankengeschichten auswertete, die von Gewaltsamkeiten des Morphiumsüchtigen berichteten, wenn er kein Morphium erhielt. Die Biographie erschien 1940 auch in englischer Übersetzung. Die Drogenabhängigkeit wurde im nationalsozialistischen Deutschland stets bestritten. Singers Buch wurde auf Verlangen der deutschen Regierung in Schweden beschlagnahmt. Der Autor rettete genug Exemplare, die unter dem Tisch verkauft wurden. Außerdem produzierte Singer mit einem Schweden eine von Großbritannien finanzierte anti-nationalsozialistische Wochenzeitschrift. Als die deutsche Wehrmacht Dänemark und Norwegen besetzte, wurde die Lage für Schweden prekär und Singer, dessen Tochter gerade geboren war, wurde informiert, dass Schweden seine Auslieferung nicht länger verhindern könne. Ein ausnahmsweise sympathisierender amerikanischer Konsul in Göteborg erteilte Singer ein Journalisten-Visum. Die geplante Abreise von Norwegen verhinderte die Niederlage der Briten in Nordnorwegen. Mit einem finnischen Schiff entkam Singer, Frau und Tochter mit knapper Not nach New York, wo sie am 3. Juli 1940 ankamen. Es war ihm nicht gelungen, seine Mutter zu retten, die im Holocaust umkam, wie auch seine Großeltern. Dort schrieb er für norwegisch-amerikanische Zeitungen, arbeitete für die norwegische Exilregierung gegen Kommunisten, die, während die Sowjetunion halb mit Hitler verbündet war, die Übergabe norwegischer Schiffe an die Alliierten zu verhindern suchten. Wieder war er in geheimdienstliche Aktivitäten verwickelt. Das auch, als ein Professor, der für die Organization of Strategic Services, dem Vorläufer des CIA arbeitete, ihn nach dem Flughafen von Stockholm, Bromma, fragte. Singer produzierte Zeichnungen und Pläne aus der New York Public Library. Die waren jedermann zugänglich, aber man zögert doch ein wenig. Wenn das amerikanische Militär Pläne eines schwedischen Flughafen brauchte, so konnte das nur für Eventualpläne einer Besetzung Schwedens sein, was der Professor auch nicht verschwieg. Der Flüchtling Singer, der die schwedische Neutralität zu verteidigen geholfen hatte, hatte keine Wahl, als loyal zu seinem neuen Zufluchtsland zu stehen. Er arbeitete auch für das CIA, merkwürdigerweise unter James McCord, der später für Richard Nixon den Watergate-Einbruch dirigierte. Singer forschte über Reste der nationalsozialistischen Auslandsorganisation und über geheimdienstliche Aktivitäten in Südamerika. Er gründete eine Nachrichtenagentur, News Background, die auch noch Jahre nach dem Krieg bestand. Noch während des Krieges bat der ehemalige Nationalsozialist Otto Strasser, der sich in Kanada aufhielt, Singer, den ehemaligen Kanzler Brüning und Albert Einstein aufzusuchen. Er wollte die beiden als Fürsprecher für seinen Plan zu gewinnen, eine deutsche Legion aufzustellen, die mit der amerikanischen Armee gegen seinen persönlichen Feind Hitler kämpfen sollte. Singer suchte Brüning in Boston auf, der jedoch mit Politik nichts mehr zu tun haben wollte. Einstein lehnte es ab, für den 8 ehemaligen Nazi und Antisemiten Strasser etwas zu tun. In der Zeit vor dem Fernsehen waren Vorträge aus der großen Welt beliebt in mittleren und kleinen Städten Amerikas. Aufklärende Vorträge über Europa und den Faschismus wurde eine Einnahmequelle für Kurt Singer. Nach dem Krieg sprach er über aktuelle politische Themen wie den Marshall Plan, Kommunismus und die Sowjetunion. Später hatte er ein Radioprogramm und eine Nachrichtenagentur, die vor Faschisten und Kommunisten zu warnen suchte. Der Flüchtling Singer wusste sich in dem Land zu behaupten, in dem der Wert des Menschen enger als anderswo mit seinem Einkommen zusammen gedacht wird. Er schrieb auch weiter für Zeitungen und verwendete seine Kenntnisse über Spionage und Gegenspionage in journalistischen Büchern. Das erste davon handelte von dem Krieg der Agenten in Skandinavien, Duel for the Northland. The War of Enemy Agents in Scandinavia, übersetzt von Richard Winston (1943). Hier verarbeitete Singer eigene Erfahrungen. Der deutsche nationalistische Seeoffizier Horst von Pflugk-Hartung, der an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt gewesen war, wird hier als Organisator der deutschen Geheimdienste im Nordland vorgestellt. Auch in Spies and Traitors of World War II (1945), das großenteils noch vor Kriegsende geschrieben wurde, erzählte Singer aus eigener Erfahrung. Der sowjetische Saboteur Wollweber, ein Kommunist deutscher Herkunft, über den Singer in Schweden Informationen gesammelt hatte, liefert hier, in Duel for the Northland und späteren Büchern von Singer fesselnde Geschichten. Es muss aber gesagt werden, dass Teile des Buches, die nicht auf persönlicher Erfahrung beruhen, kriegsbedingt unzuverlässige und manchmal phantastische Quellen benutzten. Dazu gehört die Überschätzung der Macht des Admirals Canaris, der allerdings ein effektiver Organisator deutscher Geheimdienste war. Canaris erscheint In Singers Buch als ein mörderischer Frauenheld und amoralischer Bösewicht. Der national-konservative Seeoffizier Canaris war eine zutiefst zweideutige Figur, er war nicht der Widerstandsheld, als der er in Deutschland nach 1945 präsentiert wurde, auch wenn er echte Widerstandskämpfer duldete und nicht verriet. In einem späteren Buch, The Men in the Trojan Horse (1953) nahm Singer das Thema Canaris wieder auf, erkannte seine politische Zweideutigkeit, seine Verbindung mit dem deutschen Widerstand und berichtete über seine Hinrichtung im Konzentrationslager Flossenbürg. Auch in diesem Buch besteht Singer auf der Geschichte einer Liebesaffäre Canaris’ mit der berühmten Spionin Zelle, bekannt unter ihrem Bühnennamen Mata Hari, und darauf, dass Canaris ihre Verhaftung und ihre Exekution absichtlich herbeigeführt, sie verraten habe. Er beruft sich auf Beweise in Archiven allierter Geheimdienste (S. 50). Aus Singers Büchern kann man sehen, dass ein totalitäres Regime, wie das des deutschen Nationalsozialismus, von außen als monolitisch betrachtet wird, statt des Kompetenzengerangels, der das Regime in Wirklichkeit charakterisierte. Singer ließ nach dem Krieg eine ganze Reihe von Büchern über Spione, Verräter, Attentäter folgen. Die Geschichten von Canaris, Pflugk-Hartung, Wollweber und Quisling erscheinen in mehreren von ihnen. Das schon erwähnte The Men in the Trojan Horse (1953) enthält neben Kapiteln über Beria und Canaris, die Singers Buch 9 von 1945 berichtigen und erweitern, kontroverse Fälle. Über das Todesurteil der Rosenbergs, das damals auch von Liberalen bezweifelt wurde, urteilt Singer, auf Grund der Prozessakten mit Recht, wie sich inzwischen herausgestellt hat, dass sie schuldig waren; nur die Angemessenheit der Strafe stellt er in Frage, angesichts von Mitschuldigen, denen ihre Aussage mit milderer Strafe belohnt wurde. In einem Kapitel beschreibt er mit viel Verständnis die Motive des Verräters Klaus Fuchs aus dessen Flüchtlingsstatus, jedoch ohne seine Tat zu entschuldigen. Bemerkenswert ist, dass Singer in diesem Buch eindeutig gegen Joseph McCarthy Stellung nimmt, der zur Zeit des Erscheinens auf dem Höhepunkt seines Einflusses stand (S. 16). Singers eigene Erfahrungen veranlassten ihn zu der Warnung, dass ein Klima von Verdächtigungen böse Spiele mit Denunziationen ermöglicht (S. 19). Spy Omnibus (1959), eine Sammlung von Spionage-Geschichten enthält den Fall der Rosenbergs einschließlich der kommunistischen Kampagne zu ihrer Befreiung als Beispiel einer effektiven “Front-Organisation”. Dasselbe Buch beschreibt den Fall Harry Gold, der die atomaren Geheimnisse von Klaus Fuchs nach Moskau weiterleitete. Besonders erfolgreich war Three Thousand Years of Espionage (1971). Andere solche Bücher, ebenfalls romanartig geschrieben, handeln von Kriminalfällen. My Greatest Crime Story (1956) beruht auf Erzählungen von Detektiven aus aller Welt, von Singer in eine lesbare Form gebracht. Spionen- und Kriminalgeschichten fanden Interesse in Hollywood, aber Verfilmungen kamen nicht zustande. Singer konnte sich nicht mit den Hollywooder Erfolgrezepten abfinden. Auch hatten ihm seine Erfahrungen gelehrt, dass erfolgreiche Spionagetätigkeit viel mehr aus sorgfältiger Forschung und geduldigem Abwarten besteht als aus gewaltsamer Aktion. Liest man die Darstellung seines HollywoodAufenthalts in I Spied and Survived, dann wird man an Bertolt Brechts Klagen über die Filmwirtschaft erinnert. Singer schrieb eine Reihe von Biographien, über die Filmschauspieler Charles Laughton und Danny Kaye, über Albert Schweitzer, Ernest Hemingway. Eine Biographie über Lyndon Baines Johnson erschien 1964 vor dessen Wahl. Singer ist bis heute ein engagierter liberaler Demokrat. Außerdem verfasste er eine ganze Reihe von Abenteuer-, Geister- und Schauergeschichten und Sammlungen von solchen Geschichten und von Volkssagen. Seit 1962 erscheint Jane Sherrod als Mitautorin. Jane Sherrod war bis zu ihrem Tod 1985 Singers zweite Frau. Singers häufige Reisen hatten ihn von der Familie entfremdet. Nach 21 Jahren Ehe mit seiner Jugendgeliebten Hilde, der Mutter seiner in Schweden geborenen Tochter und eines in Amerika geborenen Sohnes, ließ Singer sich 1954 scheiden. Das war das letzte Jahr des Wirkens von Joseph McCarthy, von dem Singer, wenn auch nur leicht, berührt wurde. In I Spied and Survived bekennt er Schuldgefühle gegenüber Hilde seiner ersten Frau, denn er schätzte sie sehr hoch; das ist durch die ganze Autobiographie zu spüren. Auch blieb er ihr bis heute freundschaftlich verbunden. In seinem Buch nennt er einen Grund für die neue Ehe, der mit seinem Exil und dem Verlust von ermordeten Angehörigen in Deutschland zusammenhängt: “I had outgrown my refugee years. As I look back on my past, I realize I had insulated myself, only because I could not bear to 10 even think of those refugee years, the shuddering memories of the ghastly murder of my family and friends in Germany. I wanted so desperately to become a part of America, where I was a new citizen, that I blocked most everything else from my mind.” (Survived, 253). Der Flüchtling wollte kein Flüchtling mehr sein. Darum brach er aus seiner Flüchtlingsfamilie aus, suchte sich, durch das Land reisend, in das neue Land zu integrieren, ein lebender Widerspruch. Er suchte sich von sich selbst zu isolieren, von der kulturellen Verbundenheit mit dem Land seiner Herkunft, das ihm, der von Hause aus seiner Identität unsicher war, im Schreiben, in Dichtung, in klassischer Musik eine Identität zu schaffen erlaubt hatte. Denn das war dasselbe Land, dieselbe Kultur, die ihn vernichten wollte, weil seine humane Ethik ihn bewegt hatte, Verfolgten zu helfen, die ihn wegen der Religion seiner Vorfahren auch ohne das vernichtet hätte. Es war dasselbe Land, das seine Mutter und Großeltern ermordet hatte. Er bekennt, es zeitweise gehasst zu haben. In neue Loyalitäten gezwungen, hatte er die älteren missachten müssen und die neueste Loyalität, an der Kurt Singer festhalten wollte, schien in den frühen Fünfziger Jahren dabei zu sein, ihrerseits eine ideologische Festlegung zu verlangen. Niemand kann sich ganz von seiner Herkunft lösen. Der Wunsch, das zu können, ist eine Selbstverletzung, so sehr er bei einem Exilanten verständlich ist. Die Angst um die reine Existenz zerstört die Welterfahrung die andere bereichert, denen ihre Rechte nicht geraubt wurden. Singer machte Weltreisen mit Jane, seiner zweiten Frau, sammelte Material für Bücher, und betrieb eine Nachrichten- und Verlagsagentur, die amerikanische Bücher bei ausländischen Verlegern unterbrachte. Singer war kein Flüchtling mehr, seine Welterfahrung wurde Teil eines reichen Lebens. Kurt Singer nimmt heute, durch physische Behinderung zur Sesshaftigkeit gezwungen, am demokratischen Leben seiner Nation und an dem Deutschlands teil, indem er Artikel für die Wochenschrift Ossietzky schreibt. 11 ANMERKUNGEN i. Singer, Kurt, I Spied and Survived, New York: Nordon Publications, 1980. Meine biographischen Informationen stammen aus diesem Text, wenn nicht anders angemerkt. Ich zitiere diesen Text nur im Fall von wörtlichen Übernahmen als (Survived). ii. Auskunft Kurt Singer. Künftig als: (Singer) im Text. iii. Kurt R. Grossmann, Ossietzky. Ein deutscher Patriot, München: Kindler, 1936, S. 359-366; 370-376; 385f. (Bericht Carl Jacob Burckhardts über Ossietzkys Vorführung in Esterwegen); 388-393. iv. Frithjof Trapp, Knut Bergmann, Bettina Herre, Carl von Ossietzky und das politische Exil. Die Arbeit des ‘Freundeskreises Carl von Ossietzky’ in den Jahren 1933-1936, Hamburg, Veröffentlichungen der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, N.F. Nr. 1, 1988. v. Christoph Schottes, Die Friedensnobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky in Schweden, Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 1997, S. 116-129. vi. Kurt Singer und Felix Burger [d.i. Kurt Grossmann], Carl von Ossietzky, Zürich, Europa Verlag, 1937. 12