6.5 Drehungen Ausgehend von der Dirac-Gleichung (der relativistischen Verallgemeinerung der Schrödingergleichung) kann man zeigen, dass bei einer Drehung um eine Drehachse ~n und um einen Winkel ϕ der zugehörige Operator allgemein von der Form i ~ˆ R̂(~n, ϕ) = e− ~ ϕ ~n J (6.22) ˆ ist.3 Dabei ist der Erzeuger J~ der Operator des Gesamtdrehimpulses. Man muss dabei zunächst die Drehung von Spins und diejenige von „normalen” Vektoren unterscheiden. Wir schauen uns zuerst diese beiden Spezialfälle an und behandeln dann den Drehimpuls allgemein. 6.5.1 Drehung von Spins Den Drehoperator für die Drehung eines Teilchens mit Spin 12 (um den Ort des Teilchens) haben wir schon implizit bei der Spin-Präzession (Kap. 3.5.3) kennengelernt, und explizit in den Übungen: i ~ˆ R̂(~n, ϕ) = e− ~ ϕ ~n S (z-Basis) −→ ~ σ e−i ϕ ~n 2 ϕ ϕ = 1̂1 cos( ) − i ~n~σ sin( ) . (6.23) 2 2 Er ist in der Tat von der Form (6.22). Der Erzeuger der Drehung ist hier ~ˆ Bemerkenswert ist, dass bei einer Drehung um 2π der Spin-Operator S. der Operator R̂ nicht zum Einheitsoperator wird, sondern wegen des Fak~ˆ → ~ ~σ zu (−1̂1). Dieses Minuszeichen ist charakteristisch für tors 1 in S 2 2 halbzahlige Spins, die bei fermionischen Teilchen auftreten. Der Spin ist ein innerer Freiheitsgrad eines Teilchens. Der Operator R̂ hat bei Objekten mit Spin 21 eine 2 × 2 Matrixdarstellung R im Spinorraum, d.h. im Raum der Spin-Indizes. 3 Es gibt keine allgemeine Konvention für den Namen des Drehoperators. Hier wurde R̂ wie Rotation willkürlich gewählt. 199 6.5. Drehungen 6.5.2 Bahndrehimpuls Bei räumlichen Drehungen transformieren sich, wie aus der klassischen Mechanik gewohnt, normale dreidimensionale Vektoren gemäß ~x 0 = R ~x . (6.24) Hier ist R eine 3 × 3 Matrix, z.B. lautet die Drehmatrix für eine Drehung um die z-Achse cos ϕ − sin ϕ 0 Rz (ϕ) = sin ϕ cos ϕ 0 0 0 1 . (6.25) (Diese Matrix kann man auch analog zu (6.22) schreiben: 0 −1 0 mit Az = i 1 0 0 , 0 0 0 Rz (ϕ) = e−i ϕ Az wie man leicht durch Reihenentwicklung der Exponentialfunktion sieht.) Bei kleinem Winkel ϕ erhält man in 1. Ordnung x0 = x − ϕy, y 0 = y + ϕx, z0 = z . (6.26) Wir betrachten nun ein Teilchen ohne Spin. Bei einer aktiven Translation eines Teilchens von der Position ~x zur Position ~x +~a hatten wir in (6.9) schon festgestellt, dass sich die Wellenfunktion dann gemäß ψ 0 (~x) = ψ(~x −~a) (mit dem umgekehrten Vorzeichen von ~a) transformiert. Bei einer Drehung eines Teilchens um einen infinitesimalen Winkel ϕ wird die Wellenfunktion analog zu ψ 0 (~x) = h(R−1~x)|ψi = ψ(x + ϕy, y − ϕx, z) ∂ ∂ = 1 + ϕy − ϕx ψ(x, y, z) ∂x ∂y i =: 1 − ϕ L̂z ψ(x, y, z) , ~ 200 (6.27) entsprechend der infinitesimalen Form von (6.22), wobei L̂z ψ(~x) ≡ h~x|L̂z |ψi. In der letzten Zeile haben wir die z-Komponente L̂z des Bahndrehimpuls~ˆ eingeführt. Die hier auftretenden Ableitungen kann man auch operators L mittels Impulsoperatoren schreiben: L̂z = x p̂y − y p̂x . (6.28) Die Komponenten L̂x und L̂y erhält man analog. Denselben Operator findet man auch über das Korrespondenzprinzip als quantenmechanische Variante des klassischen Drehimpulses (!): ~ = ~r × p~ L → ~ L̂ = ~rˆ × p~ˆ . Der erzeugende Operator von räumlichen Drehungen bei Teilchen ohne Spin ist somit der B AHNDREHIMPULSOPERATOR ~ˆ = ~rˆ × p~ˆ L (6.29) L̂α = εαβγ r̂β p̂γ mit einer implizierten Summe über γ in der zweiten Zeile. Hier kommt es wegen der Antisymmetrie des ε-Tensors nicht auf die Reihenfolge von r̂β und p̂γ an, da nur vertauschende Komponenten aufeinandertreffen. Die Komponenten L̂α des Bahndrehimpulsoperators sind hermitesch. 6.5.3 Gesamtdrehimpuls und Vertauschungsrelationen Der Operator des Gesamtdrehimpulses ist ˆ ~ˆ + S ~ˆ J~ = L (6.30) mit dem Drehoperator Gl. (6.22). Dies folgt im Rahmen der relativistischen Quantenmechanik, ebenso wie Existenz eines Spins mit Größe ~/2, direkt aus dem Transformationsverhalten der Dirac-Gleichung ! In der nichtrelativistischen Quantenmechanik müssen dagegen die Existenz des Spins sowie (6.30) zusätzlich zur Schrödingergleichung postuliert werden. 201 6.5. Drehungen ~ˆ keine Wirkung; dann Bei einem Teilchen ohne Spin hat der Operator S ~ˆ der gesamte Drehimpulsoperator. Analog hat der Bahndrehimpulsist L operator bei Drehung um den Ort eines punktförmigen Teilchens keine ~ˆ ist dort der gesamte Drehimpulsoperator. Wirkung, und S Drehungen um verschiedene Achsen vertauschen nicht miteinander. Aus (6.29) kann man leicht [L̂α , L̂β ] = i~ εαβγ L̂γ herleiten. Die gleiche Relation hatten wir früher auch schon für die Spin1 -Operatoren kennengelernt, in der Form von 2 ~ ~ ~ [ σi , σj ] = i ~ εijk σk , 2 2 2 was direkt aus σi σj = δij 1̂1 + iεijk σk folgt. Sie gilt allgemein für Drehimpulsoperatoren: V ERTAUSCHUNGSRELATIONEN VON D REHIMPULSOPERATOREN [Jˆα , Jˆβ ] = i~ εαβγ Jˆγ (6.31) (mit einer implizierten Summe über γ). Man kann diese Gleichung auch in der Form ˆ ˆ ˆ J~ × J~ = i~ J~ (6.32) schreiben. Die Komponenten Jˆα sind, wie auch die Bahndrehimpulsoperatoren und die Spinoperatoren, hermitesch. ˆ Operatoren Â, die mit J~ vertauschen, nennt man S KALARE O PERATOREN ~ˆ Â] = 0 . [J, (6.33) Sie sind invariant unter Rotationen, d.h. (6.5) R̂† ÂR̂ = Â. Insbesondere gilt dies für den Hamiltonoperator Ĥ eines Elektrons in einem Zentralpotential, z.B. dem Wasserstoffatom. 202 ˆ ~ Operatoren  mit drei Komponenten Âβ , die mit J~ die gleichen Vertau~ schungsrelationen wie die Komponenten des Vektors Jˆβ haben, nennt man V EKTOROPERATOREN [Jˆα , Âβ ] = i~ εαβγ Âγ . (6.34) Sie transformieren sich wie dreidimensionale Vektoren. Ein Beispiel ist der ~ Ortsoperator Q̂. 6.5.4 Eigenwertproblem von Drehimpulsoperatoren Wir behandeln in diesem Abschnitt allgemein das Eigenwertproblem von Drehimpulsoperatoren, basierend nur auf den Vertauschungsrelationen (6.31). ˆ Durch Einsetzen sieht man, dass J~2 = Jˆx2 + Jˆy2 + Jˆz2 mit jeder Komponenˆ te Jˆα von J~ vertauscht, während die Jˆα untereinander nicht vertauschen. ˆ Man kann daher J~2 gleichzeitig mit einer Komponente Jˆα diagonalisieren. Dafür nimmt man üblicherweise Jˆz . Wenn der Hamiltonoperator rotatiˆ onsinvariant ist, kommutiert er ebenfalls mit J~2 und Jˆz . Man kann dann ˆ seine Eigenzustände nach den Eigenwerten von J~2 und Jˆz klassifizieren, z.B. beim Wasserstoffatom, was auch die Rechnung erheblich vereinfacht. ˆ Die Eigenwertgleichung von J~2 und Jˆz kann man allgemein in der Form ˆ J~2 |j, mi = ~2 aj |j, mi Jˆz |j, mi = ~ m |j, mi schreiben. Dabei sind die Zahlen aj und m zunächst noch beliebig. Leiteroperatoren Für die Eigenwerte können wir nun ähnliche Überlegungen anstellen wie beim harmonischen Oszillator. Wir definieren dazu die 203 6.5. Drehungen L EITEROPERATOREN Jˆ± := Jˆx ± iJˆy , (6.35) wobei offensichtlich Jˆ±† = Jˆ∓ . Daraus lassen sich die Drehimpulsoperatoren in kartesischen Koordinaten zurückgewinnen (Jˆ+ + Jˆ− ) Jˆx = 2 ˆ+ − Jˆ− ) ( J Jˆy = 2i Die Vertauschungsrelationen für die neuen Operatoren lauten (Beweis durch Einsetzen) [Jˆz , Jˆ± ] = ±~Jˆ± [Jˆ+ , Jˆ− ] = 2~Jˆz ˆ [J~2 , Jˆ± ] = 0 (6.36) Die Jˆ± sind Leiteroperatoren, da sie die Quantenzahl m um ±1 ändern: Jˆz Jˆ± |j, mi = Jˆ± Jˆz |j, mi + [Jˆz , Jˆ± ] |j, mi | {z } | {z } (6.37) ±~Jˆ± m ~·|j,mi = ~(m ± 1) Jˆ± |j, mi (6.38) ˆ ˆ Jˆ± ändert nicht aj , den Eigenwert von J~2 , da [J~2 , Jˆ± ] = 0, d.h. ˆ ˆ J~2 (Jˆ± |j, mi) = Jˆ± J~2 |j, mi = ~2 aj (Jˆ± |j, mi) (6.39) ˆ und somit ist Jˆ± |j, mi Eigenvektor von J~2 zum unveränderten Eigenwert ~2 aj . Daraus folgt Jˆ± |j, mi = Cm± |j, m ± 1i (6.40) Die Proportionalitätskonstanten Cm± werden später über die Normierung bestimmt. 204 Das einfachste Beispiel für Leiteroperatoren sind die Spin- 21 -Operatoren Ŝ± := Ŝx ± i Ŝy . (6.41) In der z-Darstellung wird daraus ~2 (σx ± iσy ), d.h. die Matrizen ~ 00 10 und ~ 01 00 . Daraus sieht man sofort die Leiternatur dieser Operatoren, nämlich dass Ŝ+ | −zi = | +zi und Ŝ− | +zi = | −zi gilt. Kann Jˆ± beliebig oft angewendet werden wie beim harmonischen Oszillator? Die Antwort ist nein, wie die folgenden Überlegungen zeigen. Zuerst beachte man, dass der Operator ˆ J~2 − Jˆz2 = Jˆx2 + Jˆy2 ≥ 0 nicht-negativ ist. Daher gilt ˆ hj, m| J~2 − Jˆz2 |j, mi = ~2 (aj − m2 ) ≥ 0 ⇒ aj ≥ m2 (6.42) Wir haben also folgende Bedingungen: ˆ 1. aj ≥ 0, weil hψ|J~2 |ψi ≥ 0, 2. |m| ≤ √ aj Damit Jˆ+ |j, mi nicht zu zu großen, unerlaubten m-Werten führt, muss ein maximales mmax (abhängig von j) existieren, für das gilt Jˆ+ |j, mmax i = 0 (6.43) . Um mmax zu bestimmen, formen wir zunächst den Operator Jˆ− Jˆ+ um: ˆ Jˆ− Jˆ+ = (Jˆx −iJˆy )(Jˆx +iJˆy ) = Jˆx2 + Jˆy2 +i [Jˆx , Jˆy ] = J~2 − Jˆz2 −~Jˆz (6.44) | {z } i~Jˆz Dann gilt 0 = Jˆ− Jˆ+ |j, mmax i = ~2 (aj − m2max − mmax ) |j, mmax i also (6.45) aj = mmax (mmax + 1) 205 6.5. Drehungen Wegen (6.45) bestimmt mmax den Eigenwert aj eindeutig. Wir können deshalb mmax mit der Quantenzahl j identifizieren: (6.46) mmax = j Analog muss ein mmin existieren, mit Jˆ− |j, mmin i = 0 . Ähnliche Überlegungen wie oben führen zu ˆ Jˆ+ Jˆ− = J~2 − Jˆz2 + ~Jˆz (6.47) und schließlich zu aj = mmin (mmin − 1) (6.48) Kombiniert man (6.45) mit (6.48), so erhält man.4 mmin = −j (6.49) Startet man also von |j, mmin i und wendet man wiederholt Jˆ+ an, so erhält man (siehe (6.40)) n Mal z }| { Jˆ+ · · · Jˆ+ |j, mmin i ∝ |j, mmin + ni . (6.50) Das geht solange, bis man |j, ji erreicht, dann vernichtet das nächste Jˆ+ , gemäß (6.43), den Zustand. Damit genau |j, ji erreicht wird, muss j − mmin := n ∈ N0 ganzzahlig sein. Zusammen mit (6.49) erhält man j = n 2 n ∈ N0 (6.51) Die Quantenzahl j ist somit halbzahlig oder ganzzahlig. Insgesamt erhalten wir E IGENWERTE UND E IGENVEKTOREN DER D REHIMPULSOPERATOREN ˆ J~2 |j, mi = ~2 j(j + 1)|j, mi Jˆz |j, mi = ~ m|j, mi 206 (6.52a) (6.52b) Symbol Name j Drehimpulsquantenzahl m Wertebereich j= n 2 n ∈ N0 magnetische Quantenzahl m ∈ {−j, −j + 1, . . . , j − 1, j} Tabelle 6.1: Quantenzahlen des Drehimpulsoperators. Die Bezeichnung und erlaubten Werten dieser Quantenzahlen sind in der Tabelle zusammengefasst. Dieses Ergebnis ist allgemein und hängt nur von den Vertauschungsrelationen (6.31) ab. ˆ In einem Eigenzustand |j, mi von J~2 und Jz ist der Erwartungswert von Jˆx und Jˆy Null, denn aus Jˆx,y = (Jˆ+ ± Jˆ− )/2 folgt 1 1 hj, m| Jˆx,y |j, mi = hj, m| Jˆ+ |j, mi ± hj, m| Jˆ− |j, mi = 0 , (6.53) 2 2 da |j, mi und |j, m ± 1i orthogonal sind. Die Unschärfen von Jˆx und Jˆy erhält man aus ~ hj, m| Jˆx2 + Jˆy2 |j, mi = hj, m| Jˆ2 − Jˆz2 |j, mi = ~2 j(j + 1) − m2 . (6.54) Aus Symmetriegründen müssen beide Unschärfen gleich sein (∆Jy )2 = (∆Jy )2 = ~2 j(j + 1) − m2 /2. (6.55) Sie erfüllen die Unschärferelation, denn mit m ≤ j gilt ~2 ~2 ~ j(j + 1) − m2 − m = (j(j + 1) − m(m + 1)) ≥ 0 . ∆Jy ∆Jy − |hJˆz i| = 2 2 2 (6.56) Interessant ist auch, dass die rechte Seite von (6.54) immer größer als Null ~ ist (außer bei j = 0). Somit kann hJˆz2 i nie hJˆ2 i erreichen, d.h. der Drehimpuls lässt sich nicht vollständig „ausrichten”. Eine Ausnahme stellt der Zustand mit j = 0 dar, da dann Jˆα |0, 0i = 0 für alle α. 4 Eine zweite formale Lösung mmin = j + 1 wäre größer als mmax . 207 6.5. Drehungen Normierung Als nächstes bestimmen wir die Proportionalitätskonstanten Cm± in (6.40) aus der Normierung (wir benutzen (6.44) und (6.47)) ! hj, m|Jˆ±† Jˆ± |j, mi = |Cm± |2 hj, m ± 1|j, m ± 1i | {z } =1 |Cm± |2 = hj m|Jˆ∓ Jˆ± |j mi ˆ = hj m|(J~2 − Jˆz2 ∓ ~Jˆz )|j mi = ~2 (j(j + 1) − m2 ∓ m) = ~2 (j(j + 1) − m(m ± 1)) Wir finden Cm± = 0 für m = ±j, konsistent mit (6.46) und (6.49). Die Phase der Cm± ist beliebig. Per Konvention wird Cm± reell und positiv gewählt. Wir erhalten somit das wichtige Ergebnis Jˆ± |j, mi = ~ p j(j + 1) − m(m ± 1) |j, m ± 1i . (6.57) Mit Hilfe von (6.57) kann man, ausgehend von |j, −ji (oder von einem beliebigen |j, m0 i) alle andere |j, mi explizit konstruieren. ˆ Wir haben die möglichen Eigenwerte von J~2 aus der Kommutatoralgebra abgeleitet. Das heißt aber noch nicht, dass in der Natur alle Werte von j tatsächlich realisiert sind. Insbesondere entspricht j = 12 nicht einem Bahndrehimpuls (s.u.), sondern, wie im Stern-Gerlach Experiment identifiziert, dem Spin eines Elektrons. Generell gilt, dass Bahndrehimpulse ganzzahlige j-Werte besitzen (s.u.). Halbzahlige Werte kommen durch Addition von Spin mit Spin und (oder) Bahndrehimpuls zustande. 208