Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext Quellen zu Aufgabe Bürgerliche Historienmalerei im Vormärz. Die Düsseldorfer Malerschule: Carl Friedrich Lessing und Alfred Rethel Quelle 2: Berichte aus dem Kunstblatt über Lessings „Hussitenpredigt“ Düsseldorffer Kunstbericht. Kunstblatt, 15. Jg. (1834), Nr. 71 (4. September), S. 281–282. [...] Der Vorbote eines gewiß bedeutenden Werkes war die Farbenskizze von Lessing’s Hussitenpredigt. Auf einem kleinen Hügel im freien Felde unter einem Baume steht der Prediger, im langen slavischen Doppelrocke, mit unbedecktem Haupte, wildem schwarzen Haar, schwärmerisch aufgeschlagenem Auge. Beide Hände sind gehoben, in der Rechten sehen wir den Kelch, fast wie eine Waffe geschwungen, von einem Arm, der mehr zu schlagen gewöhnt ist, als zu segnen. Rund um ihn her, zu beiden Seiten und im Vorgrunde knien und stehen Zuhörer, meist Männer, nur ein Weib mit ihrem Knaben, im mannichfaltigen Ausdruck der Frömmigkeit bald stumpf und regungslos, bald demüthig, zerknirscht, ergeben. Ein junger Edelmann in slavischer Tracht, neben einem Ritter vor den Andern kniend (denn der Vorgang der Geburt und Bildung mußte sich auch in dieser wilden Schaar erhalten) zeichnet sich durch brünstig schwärmerische Weise aus. Im Hintergrunde sehen wir die Mauern eines brennenden Klosters, dessen Rauch den Himmel verhüllt. Ohne Zweifel bezweckt diese Predigt, die Schaar zu neuem Kampfe, dessen sie gewärtig seyn muß, anzuregen, und auf der Lippe des Redners schwebt eines jener alttestamentarischen Drohworte, wie sie die Propheten auf ihr halsstarriges Volk oder auf die Feinde desselben schleuderten, und wie sie die furchtbaren Waffen aller christlichen Schwärmer wurden. Die Komposition im Ganzen hat den Vorzug, höchst geschlossen zu seyn; im Einzelnen sind schon in dieser Skizze viele sehr tief und eigenthümlich gedachte Gestalten bemerkbar, besonders auch dadurch interessant, weil das slavische Element in ihnen so glücklich benutzt ist. Näher über diese Details zu sprechen, schieben wir billig bis zur Vollendung des Bildes auf, von dem wir in der That etwas sehr Bedeutendes erwarten. Die Wahl des Stoffes ist verschiedenen Urtheilen unterworfen, und nicht selten hört man das Bedauern, daß der Künstler sein großes Talent nicht einem schönern (S. 282:) Gegenstande zuwende, daß er nicht lieber die Frömmigkeit in ihrer wahren Gestalt, als in einer Verirrung zeige. Freilich ist es kein heiterer Gedanke, daß auch das höchste Gut des Menschen, die Kraft der Erhebung zur Gottheit, sich mit den dunklen Leidenschaften verbünden und zerstörend und verwirrend wirken kann, und welche Gemüther mögen sich scheuen, eine so traurige Vorstellung näher in’s Auge zu fassen. Allein an und für sich ist kein Geschichtliches trübe, jede Erscheinung, die ganze Völker betrifft und in das geistige Leben eingreift, hat auch ihre erhebende Seite, und wenn die zartern, ich möchte sagen weiblichen Seelen sich von der herben Außenseite zurückschrecken lassen, so ist es dem männlichen, ernstern Geiste Bedürfniß, gerade dieses Dunkel zu durchdringen, das Echte, was darin mit feindlichen Elementen kämpft, zu erkennen. Freilich mag diese tragische Seite der Geschichte nicht die nächste, eigentliche Aufgabe der Kunst seyn; die glücklichern Momente, wo der Geist sich leichter gestaltet, mögen ihr näher liegen. Allein sie schließt sie auch nicht aus, wie sie überhaupt nichts ausschließt, und wir dürfen mit dem Künstler nicht rechten, wenn auch er zu den ernstern Gemüthern gehört, die nicht eher befriedigt sind, als bis sie auch in dunklen Stellen klar sehen. Man kann es nicht genug wiederholen, daß die Entstehung des Kunstwerks frei ist, wie die der natürlichen Dinge, menschlichem Willen nicht unterworfen; der Künstler darf nicht wollen; die Gestalten steigen aus einer tiefern Region seines Wesens auf, als die ist, in 1 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext welcher der Willen seinen Sitz hat, und seine höchste Weise ist es, diese Eingebungen nicht zu verfälschen, niemals zu wollen, nie das Selbstgemachte oder von Andern Herbeigewünschte für Freientstandenes zu geben. Diese Wahrheit und Keuschheit ist die Grundbedingung der Kunst, und wir müssen es dem Künstler Dank wissen, wenn die Lockungen des Heitern und selbst des anscheinend Frommen ihn nie von ihr abziehen. Es ist aber auch nicht zu verkennen, daß in unserer Zeit etwas liegt, was diese herben Stoffe herbeiruft. In einer Zeit, wo die historischen Keime höchst entwickelt sind, und daher die Meisten zwischen zwei Extremen schwanken, entweder das Hervorgebrachte ganz zu verwerfen und ein vermeintlich Neues, Vernünftiges zu erstreben, oder, mit Verkennung des Gegenwärtigen, starr und einseitig an den Formen der Vergangenheit zu haften; in einer solchen Zeit ist die Anregung des historischen Sinnes ein wahrhaft religiöses Bedürfniß, damit man fühle, daß jede historische That nicht ein in sich Abgeschlossenes, sondern nur ein dunkler, unvollkommener Beginn einer sehr entfernten Vollendung ist, daß eigentlich jede Erscheinung eine trübe bleibt, weil sie von widerstrebenden Elementen gehemmt ist, jede aber auch ihre große erhebende Seite hat, weil in jeder das Wirken Gottes zu erkennen ist. Freilich setzt dies voraus, daß der, welcher sich berufen fühlt, solche Momente darzustellen, darin nicht bloß die dunkeln Mächte, sondern auch das Bessere erkennt und zur Anschauung bringt, natürlich nur durch die That und die Wahrheit und ohne also im Mindesten die Schwärze des Schattens, welcher das Charakteristische der Erscheinung ausmacht, zu mildern. Es muß also auch ein solches Kunstwerk nur zunächst einen herben Eindruck machen, der sich bei weiterm Eingehen wieder mildert, worüber aus den Andeutungen einer Farbenskizze nicht mit Gewißheit zu urtheilen ist. Wohl aber ist es schon hier auffallend und zeigt den tiefen Zusammenhang mit einem wahrhaft religiösen Elemente, daß unter diesen Zuhörern sich einige mit einem so wahren Ausdrucke der Frömmigkeit finden, wie man sie seit der Zeit, in welcher die Künstler ihre frommen Donatare neben den Schutzheiligen porträtirten, nicht leicht angetroffen hat. [...] Düsseldorfer Kunstbericht. Ausstellung 1836. Kunstblatt, 17. Jg. (1836), Nr. 79 (4. Oktober), S. 326, Nr. 100 (15. Dezember). [...] Eine längst erwartete wichtige Erscheinung war Lessing’s Hussitenpredigt , welche im Laufe der Ausstellung vollendet ward. Die Aufgabe, welche der Künstler sich stellte, war, scheint es, auch in der Entstellung durch wilden Fanatismus den Geist der Andacht und frommer Hingebung, wenn auch zum Theil in seinem Gegenbilde, zu zeigen. Auf einer kleinen Erhöhung steht der Redner, nicht in geistlicher Tracht, aber mit den bleichen, von manchen heftigen Gefühlen durchwühlten Zügen des Schwärmers. Die trübe Begeisterung seiner Mienen, das ungeordnete Haar, das flatternde Gewand, der hoch erhobene Kelch, vom entblößten Arme geschwungen, zeigen die innere Gewalt seiner Empfindung, die fortreißende Kraft seines Eifers. Um ihn herum sind im Kreise seine Zuhörer versammelt, wenige Weiber, ein Knabe, meistens Männer, mit mannichfaltigen Waffen, wie sie der Aufruhr gibt, mit kampfgestählten Gesichtern, theils kniend, theils stehend, theils von der brennenden Stadt im Hintergrunde eben herbeieilend, vom Rosse gestiegen, oder vom Sattel den Worten des Predigers zuhörend. Lessings historische Bilder haben einen Charakterzug, den ich den landschaftlichen nennen möchte; es kommt nicht sowohl auf einzelne Heroen an, in denen sich das Ganze sammelt und repräsentirt, als auf Volksmassen, in denen sich ein Gefühl in vielfältig verschiedenen Individualitäten spiegelt. Die Einzelnen sind nur Theile des Ganzen, 2 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext wie der Baum in der Landschaft. Es ist derselbe Grundzug der Zeit, welcher auch in der Poesie (ich erinnere an die historischen Romane) sich ausspricht, und der in der geschichtlichen Entwickelung unserer Tage unverkennbar herrscht. Lessings Vorzug in dieser Richtung besteht in der Tiefe seines Gemüths, dem alle diese Einzelnen nicht als gemeine Gattungsgestalten, sondern als höchst kräftige, individualisirte Charaktere erscheinen. Darin liegt denn auch die große Wirkung dieses ausgezeichneten Gemäldes, das in nicht weniger als neunzehn fast lebensgroßen Figuren alle Abstufungen des Gefühls, das der Moment gibt, von der rohen Demüthigung des stumpfen, blutgierigen Fanatikers bis zur weichen, sehnsüchtigen Andacht des edeln, begeisterten Jünglings, mit höchster Lebenswahrheit und individueller Kraft darstellt. Die vollendete Charakteristik und Ausführung aller einzelnen Gestalten macht es zu einem Gegenstande weit längerer Betrachtung, als der Raum mir gestattet. Die Farbenwirkung, ernst und voll, wie es die Stimmung mit sich bringt, wird vielleicht noch sehr gewinnen, wenn das Bild später den Firniß erhalten hat. Berlin, im Januar 1837. Kunstblatt, 18. Jg. (1837), Nr. 19 (7. März), S. 73–76. (Fortsetzung von Nr. 17.) Die lyrische Darstellung des historischen Gegenstandes herrscht auch in Lessing’s Hussitenpredigt. Hier ist sie schon in der Conception, im Gedanken des Ganzen gegeben. Es wird auch hier blos die Empfindungsseite der historischen Handlung vorgestellt. Die Nothwendigkeit des Thuns erscheint als schwärmerischer Eifer des Predigers und als Ergriffenheit der Zuhörer. Bedürfniß, Entschluß, Thatausbrüche, Kämpfe, opfernde Begeisterung und verheerende Wuth, wie die Geschichte sie erzählt, sind hier als Leiden und Hingebung, als Brüten und Sinnen, als Einsicht und Grimm der Individuen ausgedrückt, die ans Feuer gesezt sind, um zum Handeln gar zu werden, und jeder nach seiner Masse dem Siedpunkt sich nähern, zum Theil auch schon drüber hinaus sind. Die Reclamation also der Utraquisten1, ihr Recht, ihre Macht, ihre Gewalt und Grausamkeit sind als ihre Zustände, als ihre Passivität dargestellt. Ich glaube, daß diese Auffassung die richtige ist, wo man Kampf und Schwärmerei in der geschichtlichen Bedeutung darzustellen hat. Denn als geschichtlicher Uebergang und Mittel ist selbst die freieste That an uns eine Passivität, in der wir bloß Organ einer allgemeinen Bestimmung, getrieben von immanenten Ideen sind. Und dies ist zugleich die Rechtfertigung der Subjecte, in der sie anschauungswürdige Symbole einer geistigen, thätigen Macht werden können, daß sie selber beherrschte und überwältigte Diener eines allgemeinen Dranges, eines ins Innere mächtigen Geistes waren. Zudem ist es in diesem Gemälde klar gemacht, daß all das Zuständliche, was in Motiven und Mienen sich kundgibt, Thatbestimmung sey, daß es vom Handeln und zum Handeln gehe, nicht minder, worum es sich handle. Vom Handeln: denn das Feuer, das, hervorsprühend aus dem selbstergriffenen Antlitz des Predigers, in diesen Versammelten, die um ihn stehen und knieen, zur Flamme der Ueberzeugung wird, zum Licht der Einsicht, zur Gluth des Verlangens, zum peinvollen Funken des Ingrimms – dies Feuer ist nicht mehr bloß im Herzen verschlossen, auf Blicke beschränkt –: es hat schon Auswege gefunden, lodert und raucht im Seitengrunde in den eroberten Gebäuden, von welchen ein Theil der Zuhörer herkommt. Dort hat schon jener tüchtige Mann gefochten, der sich rechts im Bild unter dem Prediger neben die Andern aufs Knie gelassen hat, mit verbundenem Kopf, bleich, aber voll klarer und männlich-ruhiger Ueberzeugung im zuhörenden Angesicht. Von dorther kommt auch der hinter ihm 1 Utraquisten, Kalixtiner: gemäßigte Richtung der Hussiten. 3 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext herantretende greise Ritter, ganz geharnischt, die Lanze in den Eisenfingern, der aber unterm Helm ein Gesicht von mildem, friedlichem Charakter zeigt, das den Gedanken einflöst, er folge nur treuherzig dem Glauben, der Schuldigkeit; keiner wilden Wahl. Von derselben Seite bewegt Roß und Mann sich heran, um nach gethaner Arbeit neue Sendung zu empfangen. Denn bei der Betrachtung – das sieht man – kann diese Waldgemeinde nicht stehen bleiben; die Betrachtung ist werdende That, und geht zum Handeln. Zum Handeln; das empfindet man beim Anblick der Waffen, die rings um den Prediger blitzen, und eigen wirkt es, was an ihm selbst erscheint; wie er, den Kelch erhebend, mit arbeitendem Gesicht und flatterndem Haare vortritt, wie sein weißer, pelzverbrämter Rock sich aufschlägt, und ein flimmerndes Stück des Ringelhemdes, das er trägt, durch die Bewegung sichtbar wird. Mitgenommen von dieser Bewegung, streckt der adlige Jüngling, im Waffenschmuck auf den Rasen gegossen, die Arme aus; verlangende Geberden hier und drüben zeugen von diesem Drang; ja selbst die Jungfrau, mit im Kreise kniend, und das zarte Kind, der Knabe, der neben ihr steht, sind einbegriffen in dies Schicksal. Man empfindet auch wohl, worum es sich handle. Der goldene, mit köstlichen Steinen blinkende Kelch, in der Mitte Aller über ihre Häupter erhoben, ist fühlbar der Brennpunkt der rings ergossenen Begeisterung und Leidenschaft. Der (S. 74:) Dolmetscher seines Werthes, der ihn emporhält, dieser Feldprediger eigener Art, kräftig, groß, noch nicht alt von Jahren, hart von Wuchs, durchbrannt von Gluth, mit einer zehrenden Selbstthätigkeit in den Mienen und dunkelglühenden Blicken, – wie er das Gefäß göttlichen Segens hält, gleicht er selbst dem Gefäß eines göttlichen Zornes. Man sieht an ihm das Heilige ins Dämonische übergehen. Und gleich wie man um ihn her an den Charakteren der verschiedenen Gesichter erkennt, daß es kein willkührliches Symbol, daß es ein tiefmenschliches Bedürfniß sey, was mit gleicher Macht diese ungleichen Naturen und Stände zusammengeschaart: so erkennt man auch die unaufhaltsame Ausschweifung und Verwilderung schon deutlich genug an den Erscheinungen in diesem Kreise. Groß ist die Macht der Beschwörung, die hier einen Sturm hervorruft; aber bändigen wird sie ihn nicht und er kann nur im Untergang der Beschwornen nach äußerstem Widerstand endigen. Der Bauer dort, mit dem farblosen Geiergesicht, der, den Eisenflegel über der Schulter, aufrecht an einem Eichstamme lehnt und ganz ruhig wartet, bis die Predigt zu Ende sey – der kann mit seinem scharfen grauen Gesicht, in welchem die Frechheit zum kalten Charakter geworden ist, den Teufel selber trösten, daß auch er bei diesem Christenstreit seine Ernte machen werde. Und hier am andern Ende der junge, vollkräftige Bursch, der, knieend, den breiten Nacken und blühenden, strupphaarigen Kopf senkt und seinen derbfleischigen Arm mit dem schweren Beil zur Erde gebogen hat – wie er lauscht, wie im Zuhören die Adern ihm schwellen, das schwarze Auge stiert und groß aufglüht: so verkündigt sein furchtbarer Anblick, daß, einmal aufgestanden und losgelassen, kein Maß seiner Wuth, kein Zügel seiner Gewaltthätigkeit seyn wird. – Wohl ist also auf diesem Gemälde in der dargestellten Passivität der Organe eine tragische Bedeutung der Handlung und Geschichte mit ausgesprochen. Daß dieser tiefere Sinn ergreifend in die Anschauung tritt, danken wir einer Charakteristik der Hauptfigur, und mehrerer im Ausdruck eben so bedeutenden Physiognomien ihrer Umgebung – einer Charakteristik, sag’ ich, die nur aus einem so gestaltsamen Vollgefühl des Menschlichen, wie es in Lessing’s Brust lebt, hervorgehen konnte. Der historische Zustand, in der Kraft, wie er ganz verschiedene, ganz bestimmt gedachte Menschen durchdringt, ist als Incarnation in geprägten Gesichtern auseinandergelegt. Demnach ist die Gesammtwirkung mehr elegisch als tragisch groß. Das Tragische kommt nicht zur concentrirten Vertiefung. Warum? läßt sich erklären. Daß nämlich hier die Wirkung nicht vollkommen tragisch, nicht positiv erhaben seyn kann, liegt theils im Gegenstande, also in der Wahl, theils in der davon abhängigen Anlage des Moments, theils auch in der technischen Ausführung. Die leztere hängt minder unmittelbar mit dem gegenständlichen Gedanken, wohl aber mit der Stimmung des Künstlers zusammen. Was das Erste betrifft, die gewählte Aufgabe selbst: so ist sie nothwendig mehr 4 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext elegisch als tragisch, und dies doch mit einem Aufwande von äußern Mitteln und innern Motiven, der den Anspruch auf das Großtragische erzeugt. Dies Leztere find’ ich da, wo nicht nur Opfer, sondern auch in den Opfern und durch sie die Gottheiten oder Ideen zur Anschauung kommen, für welche sie die Opfer sind. Dadurch werden die lezteren nicht nur mitleidwürdig, sondern ehrwürdig und groß als Träger einer allgemeinen, nicht bloß ihrer eignen Schuld, und als Vermittler einer Offenbarung. Das sind tragische Heroen. Dadurch auch wird der Anschauende nicht nur ergriffen beim Anblick fremder Ergriffenheit, sondern in sich selbst erfaßt und, durch die Miterscheinung der allgemeinen Idee in der besondern Erschütterung, in sich gereinigt, erhoben und versöhnt. Das ist tragische Wirkung. Diese Wirkung aber ist im Hussitenkampf nur einseitig enthalten; die Hussiten selbst sind nur halbtragische Heroen; ihr Opfer selbst ist zwar nothwendig erklärlich und ergreifend; aber es ist nicht im Stande, die göttliche Bestimmung, der es galt, selbst an sich zur Erscheinung zu bringen. Dieser Kampf ging nämlich wohl hervor aus historischer Nothwendigkeit und aus ihrer Verknüpfung mit einem tiefen religiösen Bedürfniß; er hat aber nicht vermocht, diesen Grund zu manifestiren und den Inhalt dieses Bedürfnisses darzustellen. Der heilige Trieb, statt Frucht zu werden, schlug ins Holz und verwilderte. Die Hussiten erscheinen nicht als Träger oder als reine Opfer einer Idee; sondern als Perturbirte derselben. Entweder war von Anfang in ihnen der religiöse Trieb mit Haß, Rachgier, phantastischer Selbstsucht verunreinigt, oder er war doch nicht stark genug, um die rasche Einmischung und Ueberwucherung dieser fremdartigen Elemente abzuwehren. Ihr Thun war daher, wie von der einen Seite gerechte Forderung, so von der andern Schändung dieser selbst; ihr Untergang von der einen Seite Opfer, von der andern Seite schauerlicher Selbstverderb. Gerade dieser Widerspruch zerstört die Kunst des Tragischen. Wären sie bloß Opfer einer heiligen Bestimmung gewesen, so würde sich ihre Erscheinung jenen heiligen Gestalten gesellen, in welchen der Kunst die Gegenstände großartigster Erhabenheit und göttlicher Anmuth gegeben sind. Oder umgekehrt, wären die Hussiten bloß wilde Frevler und selbst verworfene Geißeln Gottes gewesen, so würde die Erscheinung ihres gewaltsamen Untergangs, besonders der Zerstörung in ihnen selbst, eine der Kunst nicht unwürdige Manifestation göttlicher Gerechtigkeit bilden. So aber sind sie für eine tragische Erschöpfung der lezteren Art zu gut, und für eine Verklärung der ersteren Art zu schlecht. Die (S. 75:) Anschauung ihrer Wahrheit geht also nach zwei Seiten unversöhnlich aus einander. In so fern man religiöse Begeisterung in ihnen erkennen muß, ehrt man sie, fühlt mit und betrauert ihre Opferung; in so fern aber Blindheit, Rohheit, Wuth und Sünde dabei ist, erschrickt man theils über die Verkehrung des Heiligen, theils indem man das Natürliche der Verwirrung einsieht, bemitleidet man eine Krankheit, die nichts allgemein Menschliches, sondern etwas speciell Bedingtes, der eigenen Seele Fremdes ist, theils endlich verwirft man mit ruhigem Verstand und besserer Ueberlegung den ganz abscheulichen Theil ihrer Ausschweifungen. Diese Wirkungen vertragen sich im Verstand, können sich aber nicht in der Empfindung concentriren. Man kann nicht zu gleicher Zeit bewundern und drüberstehend beurtheilen, betrauern und verwerfen, ehren und verabscheuen. Entweder man muß diese Empfindungen und ihre Momente an die Individuen vertheilen, so daß die einen die fromm Begeisterten und tragischen Opfer, die andern ihre verderbenden Gesellen sind, oder man muß sie in Masse mit getrennt wechselnder Betrachtung von diesen unverträglichen Gesichtspunkten auffassen. Beidemal geht die Wirkung und die Ausbildung der Anschauung auseinander. So ist es in der Sache: so ist es in Lessing’s Bild. Im Prediger sehen wir die Mischung, in den Umgebenden die Vertheilung der feindseligen Momente. Dieser Prediger ist kein Priester Gottes, aber auch kein Baalspriester. Er hat Recht, daß er den Kelch und das theure Opfer, welches der Kelch bedeutet, als ein unveräußerliches Eigenthum aller Kinder Gottes, nicht irgend eines bevorzugten Standes, hochpreist. Aber diese Idee, die er selbst proclamirt, verleugnet er selbst. Die Versöhnung, die er als allgemeine anspricht, ist an ihm selbst unbewährt und widersprochen durch die gewaltsame, düstere, unbefriedigte 5 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext Leidenschaft, deren lebendiger Ausdruck er ist. Die Liebe, die er allgemein nennt, findet in ihm sich nicht; sondern Haß, Zorn und Grimm. Es ist hier gleichgültig, ob wir davon die Schuld in ihm selbst oder in denjenigen suchen, welche den Gläubigen das göttliche Symbol entzogen hatten. In jenem Falle wird sein Zustand als besonderer Frevel, in diesem als idiopathisches Unglück2, beidemal als ein Widerspruch gegen das Heilige von der Art erscheinen, daß sich die Wahrheit und reine Macht dieses Heiligen in diesem Organ nicht offenbaren kann. Das Heilige ist an ihm nur Zerstörung und wird hinwieder von ihm zerstört. Er ist getheilt zwischen Gottes Gerechtigkeit und dämonischer Gewalt, und die Betrachtung der Idee, in welcher der Widerspruch seines Zustandes Erklärung und Beruhigung findet, geht über seinen Anblick hinaus und von der Empfindung seines Zustandes ab. Derselbe Widerspruch vertheilt sich unter die Zuhörer. Jenen Verwundeten, der, kniend, mit so klarer Besonnenheit und gefaßter Ergebung zuhört, jenen Ritterjüngling, der so rückhaltlos mit ausgestreckten Armen sich darbeut, den treuherzig-dienstwilligen Alten und andere Gesichter von gutem Ausdruck mögen wir gern für fromm Begeisterte erkennen, für schuldlose Opfer eines heiligen Verlangens, und müssen als unschuldig Einbegriffene wohl auch Weib und Kind, wie sie hier erscheinen, bemitleiden. Aber alle diese sind nicht die tragischen Helden der Scene; sie sind nur besondere Stufen des allgemeinen Zustandes, der eben so sehr seine vortreffliche Seite hat, sie sind nur coordinirt andern Erscheinungen von conträrer Wirkung. Es ist zum Theil schon an ihnen selbst, daß die gutartige Begeisterung mit einem Ausdruck von Beschränktheit sich verschmilzt, der ahnen läßt, es müsse ihnen der wahre Inhalt Dessen, wofür sie sich opfern, entgehen. Noch mehr tritt diese unvermeidliche Entfremdung durch die Nähe, durch die für das Gesammtbild gleich wichtige Gegenwart jener andern Gestalten hervor, die als blindwilde oder kaltschlechte Mordgesellen erscheinen. Wenn jener Besonnene Achtung und Ernst, der warm Begeisterte Mitgefühl, der Greis eine Mischung von Ehrfurcht und Mitleid, Mädchen und Kind ein bloßes Erbarmen erregen: so kann diese Rührung wenigstens als eine Stufenleiter gleichartiger, nah verwandter Empfindungen sich verbinden. Indem aber hier und dort, daneben und zugleich in die Augen tretend, die wahrhaftigste Erscheinung einer begrifflosen Rohheit, eines brutalen Ergrimmens, einer gemeinen Frechheit die Seele trifft, wird das Gefühl in eine neue und andere Verfassung gebracht, bald auf einen Augenblick entsezt durch die Ahndung, zu welchen Extremen der Fanatismus in solchen Gefäßen führen muß, bald an den starken Reiz festgehalten, welchen das unmittelbare Verständniß eines in sich zwar widerlichen, aber bewundernswerth physiognomisch bestimmten Charakters dem Anschauenden gewährt. Jene ernste Achtung, das milde Bedauern, die Theilnahme an der Begeisterung, die Rührung über den Mituntergang eigentlich Unbetheiligter, dann das Erschrecken und die verschiedenen Reize eines sichern Verständnisses – alles dies beschäftigt das Gemüth, aber auf eine disparate Weise, und es wird ein Ganzes nur für den Verstand daraus, der eine geistreiche, historisch wahre Darstellung der Schwärmerei in ihren Abstufungen vor sich sieht; nicht aber ein Ganzes von poetischer Einheit. Motive, Werth und die darin vorausgesehenen Schicksale sind an diesen angeschauten Theilnehmern der Religionsempörung widersprechend, mannichfaltig, zerstreuend; eben so zerstreut wird die Empfindung und kann sich nicht concentriren zur Erfahrung einer und derselben menschlichen Nothwendigkeit und göttlichen Bestimmung. Es gibt aber auch eine Zerstreuung der Empfindung, welche poetisch ist; wenn nämlich in der Mannichfaltigkeit das Bewußtseyn bewährt und durchgeführt wird, daß das (S. 76:) betrachtende Gemüth selbst, obgleich verschieden und widersprechend angeregt, doch in Diesem wie in Jenem seine Befriedigung und Stillung finde und unter wechselnden Gegenständen, nur auf verschiedene Weise, immer wieder zu sich selbst zurückkehre. Dies ist elegische Poesie. Allein um rein elegisch zu seyn, sind wieder die Voraussetzungen und 2 Idiopathisch (med.): durch unbekannte Ursache erkrankt sein. 6 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext Mittel der Hussitenpredigt zu groß und anspruchsvoll. Die Voraussetzung ist großartig und tragisch. Diese Kämpfer wollen zum Theil unverkennbar für das Heilige, Uebermenschliche, nicht für sich streiten; und das sollen sie auch alle, und das behaupten sie alle. Nur sieht man eben, daß sie theils nicht die Macht, theils nicht die wahre Verfassung, Einzelne nicht einmal den redlichen Willen dazu haben. Die Forderung ist also tragisch, zu groß für elegische Stimmung; sie kann sich aber nicht erfüllen; das Tragische kommt nicht zur Reife, und dafür kann sich das Gefühl nicht in elegischer Weise, durch Rückkehr zu sich selbst, entschädigen; sondern wendet naturgemäß sich an den Verstand, daß er aus objectiven Gründen erkläre, warum die Begeisterung so verwildern mußte. Auch die äußern Mittel sind zu anspruchsvoll für eine elegische Befriedigung. Hier drängen sich Waffen, hier kochen gewaltige Leidenschaften, hier ist schon furchtbar gehandelt worden und wird noch furchtbarer gehandelt werden. Das sieht man. Das sind keine Reize, worin man den sanften Genuß oder die wehmüthige Selbsterkenntniß der Elegie finden könnte; das sind Darstellungen des Menschlichen von seiner schauerlichsten Seite, sind solche, die zu einer befriedigenden Bedeutung nur durch die Einsicht kommen können, daß es etwas Großes, Werthvolles, Göttliches sey, dem sich das menschliche Gefühl so gewaltsam unterwerfen muß. Allein hier ist dieses Große und Werthvolle nur gemeint, nicht wirklich, nicht wahrhaft gegenwärtig. Es wird nicht erkämpft durch diese Waffen, nicht erkannt in diesen Leidenschaften, nicht erobert durch diese Handlungen. Es ist hier nur mittelbar und indirect vorhanden, nämlich als eine krankhafte Macht, die nur negativ den Werth des Kampfpreises darstellt, indem sie erkennen läßt, wie die Entbehrung seiner guten Kraft das Bedürfniß derselben zur Fieberwuth erhizt hat. Diesem innern Verhältnisse gemäß ist auch die Anlage des Moments im Gemälde beschaffen. Dieser Moment ist bloß der einer Empfängniß; in der aber das, was sol, nicht empfangen wird. Der Kelch ist der tragische Mittelpunkt. Aber die Macht und der Werth des Kelches: Aneignung des Opfers, allgemeine Versöhnung und Liebe, kann an dem bloßen Gefäß nicht erscheinen, ist nur gedachter und unsichtbarer Weise, nur abstract mit ihm verbunden. Erscheinen soll sie an der Andacht, Hingebung, Seligkeit der Empfänger. Allein da die Andacht getrübt ist durch das Bewußtseyn des Streites, die Hingebung durch feindselige Leidenschaft, die Seligkeit erst erwartet wird nach Besiegung und Unterwerfung der Widersacher: so wird nicht das reine Blut des Kelches empfangen, sondern das wilde Blut der Natur aufgeregt. Auch an den Empfängen erscheint also die Macht der Idee nur abstract, als sich selbst entfremdete Gewalt. Es kommt wohl formell, aber nicht dem Inhalt nach die Idee zur Erscheinung, um die es sich handelt. Darnach konnte auch die lineare Anordnung der Composition der Anordnung keine andere seyn als ein Zusammenreihen und peripherisches Verbinden von Charakteren und Motiven, die sich zwar nach ihrer passiven Seite alle auf den einen Mittelpunkt des Kelches beziehen, die aber zugleich jedes in seiner Selbständigkeit das ungleichartige und entfremdliche Verhältniß zu diesem Mittelpunkt mannichfaltig darstellen. Geht nun die Anschauung vom Mittelpunkt, vom Kelch und fanatischen Priester aus: so fühlt sie sich von einer gemischten Gewalt ergriffen, für welche sie, im erweiterten Blick auf den Umkreis, einen ausgleichenden Gegensatz oder eine entwickelnde Läuterung sucht. Allein sie sieht wohl in den rings Knienden und Zuhörenden einen äußeren Gegensatz des unterwürfigen Hinnehmens und Annehmens, und eine innere Entwicklung von Charakteren der Annahme. (Die Fortsetzung folgt.) Berlin, im Januar 1837. Kunstblatt, 18. Jg. (1837), Nr. 20 (9. März), S. 79–80. 7 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext (Fortsetzung.) Dem äußeren Gegensatz aber des Annehmens gegen das thätige Einpredigen fehlt das innere Resultat, da dieses nicht entgegengesezter Art, nicht das Ausgleichende gegen den Aufwand des Predigers, sondern eine gleichartige Mitleidenschaft ist. Und der innern Entwickelung fehlt die läuternde Macht; indem man zwar Das, was vom Prediger ausgeht, in verschiedenartige Momente sich in den Zuhörern auseinanderlegen sieht; für diese Verschiedenheit aber den Grund nicht in der Fülle und dem Gehalt des Mittelpunktes finden kann; sondern vielmehr in verschiedenen Gemüthsarten und besondern Bedingungen ihres persönlichen Lebens die Ursachen von der Mannichfaltigkeit der an ihnen sichtbaren Wirkungen erkennt. (S. 80:) Geht man, umgekehrt, von der Peripherie aus: so erwartet man eine Auflösung der widersprochenen Momente im Mittelpunkt, findet aber nur eine theilweise Mischung derselben im Prediger, die für den Sinn ergreifend, für den Verstand deutlich, nicht aber für den Geist erfüllend und erhebend ist. Daher fühlt man sich nicht am Ende, nicht im Reinen. Das Gemälde erschöpft die angeregten Eindrücke nicht. Ich hörte daher öfter sagen: die Composition sey nicht genug geschlossen; wenigstens auf der linken Bildseite seyen die Linien zu gleichartig widerholt, der Raum zu wenig ausgefüllt. Andere suchten den Grund einer gewissen Zerstreuung darin, daß die Farbenwirkung nicht genug concentrirt sey. Meines Erachtens sind dies nur secundäre Hindernisse einer im Ganzen sehr schönen Zeichnung und Malerei, und liegt vielmehr, daß es zu keiner vollen Sammlung des Eindrucks und geschlossenen Vertiefung kommen kann, in der Bedeutungsverschiedenheit der Momente des Gegenstandes für Empfindung und Einsicht, in dieser Coordination von Zuständen und Charakteren, welchen in Wahrheit nur eine gleiche Meinung und Gewalt, nicht eine gleiche Idee zu Grunde liegt. Aus dieser Ursache konnte weder ein einzelner Punkt im Gemälde zum sichtbar vollen Mittelpunkt der höchsten Bedeutung erhoben, noch durfte eine einzelne Gestalt wahrhaft großartig, noch das Ganze eine erhabene Scene werden; sondern der einmal gewählten Aufgabe gemäß möchte der Künstler sowohl die einzelnen Figuren als die ganze Composition so behandeln, daß sein eigener Verstand (so wie der des durch ihn Anschauende) über den Vorgestellten, erkennend und unparteiisch über ihnen steht, und das Gefühl wohl mannichfaltig angeregt, aber nicht mit seiner eigenen ganzen Menschlichkeit in die ganze Handlung hineinverflochten wird. – Nun kommt aber niemals eine tragische Befriedigung, eine tiefe Versöhnung zu Stande, wo nicht die ganze Vorstellung als allgemein menschliche, somit als eigenste Erfahrung, bis in die Wurzeln der Seele empfunden worden ist. Da das Leztere hier einmal nicht seyn konnte, da dieser Fanatismus in seiner Wahrheit uns nur theilweise anziehen, theilweise abstoßen kann und im Ganzen wieder frei lassen muß: so konnte auch die Versöhnung in der Darstellung nur eine formelle werden. Andacht oder sachliches Behagen können wir hier nicht empfinden; aber die Klarheit der Charakteristik und die unparteiische Ausführlichkeit und Sauberkeit des Vortrags kann dem Verstande und dem Auge und der besonderten Empfindung anmuthen. In so fern dies eigentlich die Stimmung des Künstlers ist, der sich für die verschiedenen Seiten des Gegenstandes interessiren kann, an ihren besonderen Zügen mit eindringendem Verstande und schöpferischer Liebe sich bethätigen und in der Ausführung der mannichfaltigen Erscheinung mit Wärme und Fleiß verweilen kann: in so fern ist hier wieder die elegische Form vorhanden, die Form eines Bewußtseyns, welches im Mannichfaltigen und Widersprechenden eine Beschäftigung und Befriedigung seines Sinnes, seines Verstandes, seiner Kraft, seiner Menschlichkeit selber findet. Ganz dem gemäß ist die Technik des Lessing’schen Bildes beschaffen. Sie gibt dem theils furchtbaren, theils rührenden, theils verständig interessirenden Charakterstück eine allseitige Farbenreinlichkeit, Glätte und Blüthe der Erscheinung, die, im Gegensatz mit den düstern, wilden, sträubenden und schattenden Momenten, die in der Natur der Sache und Geschichte liegen, dem Anschauenden mit einer sanften Heiterkeit und mannichfaltigen Anmuth entgegenscheint. Es ist dies gleichsam ein Ueberzug von Versöhnung; einer 8 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext Versöhnung, welche nicht in der objectiven Scene, sondern in der freien Stimmung, dem klaren Verstande und ruhig-reinen Blick des Künstlers gegeben ist. – Diese elegische Klarheit mildert das Furchtbare des Gegenstandes, sie verschmilzt auch den Reiz jener bewundernswürdig scharfen Charakteristik mit einer allgemeineren Stimmung; sie dämpft sowohl das Gewaltsame als das Zerstreuende. So geschieht es, daß der Sinn eingenommen und der Geist, unter Anmahnungen des Tragischen, zwischen Urtheil und Wehmuth gewiegt wird. Aber wir fassen nicht Fuß auf dem Boden einer großen Geschichte; wir schweben im reichen Geiste des Künstlers. – Also auch hier ist, streng genommen, der Stoff zwar historisch, aber nicht ideal (seine Idee geht über die Erscheinung hinaus); die Form zwar ideal, aber nicht historisch (der vorstellende Sinn ist ein anderer als der der Geschichte). Der Verstand ist historisch, der Styl lyrisch.– (Die Fortsetzung folgt später.) Bemerkungen über die Bilder Düsseldorfer Schule, ausgestellt in Dresden im December 1836. Erste Serie. Kunstblatt, 18. Jg. (1837), Nr. 28 (6. April), S. 110–112. [...] Nicht minder außerordentlich, wenn auch nicht in der großartig abstracten Richtung des vorigen,3 ist das Werk von Lessing. Auch hier ist ein bedeutender Moment aus der Entwickelungsgeschichte der Menschheit durch die gegenständliche Schilderung mannichfaltiger, entschiedenster Persönlichkeit zur lebhaftesten Anschauung gebracht; mit einer Wahrheit, welche an Shakespeare erinnert, mit einer Kunst der Darstellung, welche die sinnliche Erscheinung bis in ihre feinsten Details verfolgt, ist das Werk vollendet und mit eigenem, ich möchte sagen leidenschaftlichen Feuer, denn die Darstellung gilt einem durch leidenschaftliche, fanatische Aufregung bedeutenden Moment der Geschichte, reißt es den Beschauer an sich, und selbst trägere Gemüther widerstehen diesem Zuge nicht und fühlen sich von dieser Scene begeistert. Vielleicht könnte man sagen, das Außerordentliche dieses Werkes werde in seiner Erscheinung einigermaßen verständlicher und sey gleichsam vorbereitet durch die große Ausbildung, welche das, was man Genremalerei nennt, schon seit Jahren – und oft genug bis zum Uebermaß begünstigt – erhalten hat, während der große, ernste, an Sophokles erinnernde, historische Styl des vorigen, gleich einem Wunder, mit einemmale und um so unerwarteter an uns herantritt; – allein sey dem wie ihm wolle, die vollste, dankbarste Anerkennung muß auch diesem Werke zu Theil werden. – Mit welcher Magie der Kunst werden wir nicht mitten in den Zug jener Hussiten versezt, welche von 1419 bis 1431 Böhmen, Sachsen, Franken und Bayern mit fast dämonischer Gewalt durchzogen, vor welchen ein Heer von hunderttausend Mann, geführt von Friedrich von Brandenburg, wie Spreu im Winde zerstob, und durch welche, gleich wie durch ein zerstörendes Gewitter die reinere Sommerluft, so eine spätere Reformation zuerst verkündet und vorbereitet wurde. Man glaubt fast die Führer Nikolaus von Hussiemcz oder Johann von Toocznow unter diesen acht slavischen Physiognomien zu erkennen, man gewahrt, wie auf Alte, auf Frauen, Mädchen und Kinder die dämonische Macht des Zuges wirkt, man erkennt den Schlächter, der vom Brande und der Verwüstung einer in naher Entfernung noch brennenden Ortschaft herankommend, in fanatisch-trüber Zerknirschung sich vor dem Prediger demüthigt – und man wird ergriffen von dem eifernden Priester, der seine Theilnahme am Kriege durch das Drahthemd unter dem 3 Bendemanns „Der Prophet Jeremias“. 9 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 2 Volltext wollenen Priestergewande bezeuget und dessen über die ihn umgebenden Figuren fanatisch auf uns heraus gerichteter Blick die große, noch außer dem Bild versammelt zu denkende Menge trefflich bezeichnet. – Kurz, auch Lessing hat ein Blatt aus der (S. 112:) Weltgeschichte vor unsern Augen aufgeschlagen, und sind die Schriftzeichen kleiner, so sind die Worte doch lebenvoll, klug und von wahrhafter Begeisterung durch und durch Zeugniß gebend. – (Die Fortsetzung folgt.) Fr. Lucanus: Carl Friedrich Lessing Kunstblatt, 20. Jg. (1839), Nr. 47 (11. Juni 1839), S. 185–188. (S. 187:) Schon um 1831 hatte Lessing zwei seiner reichsten und genialsten Kompositionen entworfen, die „Hussitenpredigt“ und das „Konzil zu Kostnitz.“ Den erstgenannten Gegenstand malte Lessing 1836 für den Kronprinzen von Preußen, 8 F. hoch und 10 F. breit. Der Fanatismus des auf einer Erhöhung stehenden Redners, der mit wilder Geberde den Kelch hoch emporstreckt, ist eben so schlagend charakterisirt, als die verschiedenen Stufen des Wahns und blinden Glaubens des Volkes, welches ihm staunend zuhört. Auch zu Paris hat das Bild 1837 große Sensation erregt, und Lessing, der schon 1832 zum Mitglied der königl. Akademie der Künste zu Berlin erwählt war, vom Könige der Franzosen die Auszeichnung der Uebersendung des Kreuzes der Ehrenlegion bewirkt. Nach dem Karton zu diesem Gemälde ist jezt eine getreue Nachbildung, gezeichnet von Sonderland und gestochen von Hoffmann, bei Arnz in Düsseldorf erschienen. Die beiden, wenig verschiedenen Entwurfszeichnungen sind in Herrn Banquieur Fränkel’s und Hrn. Hoffabrikant Hausmann’s, (S. 188:) die ausgeführte Oelfarbskizze ist in des Malers Herrn Hübner Besitz gekommen. 10