Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 2, Quelle 1 Volltext Quellen zu Aufgabe Spätromantik und Realismus in Landschaftsmalerei: Richter, A. Achenbach, Schirmer, Waldmüller der Quelle 1: Aus den Lebenserinnerungen Ludwig Richters Ludwig Richter: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen, hrsg. von Heinrich Richter, Leipzig (Hesse & Becker) 1909, 15. Kapitel, S. 173–182. Im Sabinergebirge Nach so langem Herumstreifen in freier Natur, in Wald und Bergen war es wohltuend, in Rom eine kurze Pause zu machen, um sich an den großen Kunstwerken im Vatikan und in den Galerien Borghese und Doria wieder zu sammeln und zu stärken. Nachdem nun mancherlei Geschäfte abgetan, Papier, Farben und Stifte komplettiert waren, wanderten wir unserer fünf, Oehme, Wagner, Götzloff, Rist und ich, nach Tivoli. Der Weg durch die Campagna war sehr heiß, und wir langten gegen Mittag an den Weingärten und dem Olivenwalde an, wo der Pfad nach dem Städtchen sich hinaufzieht. In den engen Gäßchen, welche zu unserem Albergo, der Sibylle, führten, waren wir bald von einem Gefolge von Bettlern aller Art begleitet. Kinder und Greise, Krüppel und Gesunde, Bettler von Metier und Dilettierende, welche zum Zeitvertreib und aus Langeweile mitliefen, jammernd (S. 174:) oder lustige Witze reißend, sie alle umschwirrten uns wie die Fliegen; ja ein altes Weib streckte ihre dürre Hand aus einem Fenster des dritten Stockes mit der Bitte „un bajocco, Signori!“ So langten wir mit stattlichem Gefolge samt unserem Esel, welcher das Gepäck trug, vor der Sibylle an. Der Wirt wies uns mehrere kleine Zimmer an, und ein billiger Akkord für Kost und Wohnung war bald abgeschlossen. Vor der Haustür saß auf der Steinbank ein achtzigjähriger deutscher Maler, ein Hannoveraner, der uns stumpf und grämlich ansah. Er war ein Freund des früheren Wirts gewesen und von diesem testamentarisch auf den Sohn vererbt worden zu lebenslänglicher Pflege für eine sehr geringe Pension, welche er aus seiner Heimat bezog. Er wußte von Asmus Carstens und anderen Zeitgenossen zu erzählen, hatte auch Kniep gekannt, den Landschaftsmaler, welcher Goethe nach Sizilien begleitete. Freund Götzloff hatte diesen alten Kniep einst in Neapel angetroffen und war von ihm gefragt worden, ob er als Sachse vielleicht einen gewissen Goethe kenne, und ob dieser noch in Weimar lebe. So isoliert, abgestumpft und abgestorben dem Vaterlande lebte das alte Männchen in der Fremde. Eine ähnliche Ruine war der alte Frei, so hieß der Sibyllenalte, ohne jede Beziehung zu dem geistigen Leben und Bewegen in der Kunst dieser Zeit unter seinen Landsleuten. Er war deshalb meist stumm und sah grämlich drein, und nur auf Befragen hörte man von ihm ein Stück Kunstgeschichte vom Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts. Die Fenster unserer Zimmer gingen auf den Hof hinaus, in welchem an steil abfallender Felswand der bekannte Tempel der Sibylle oder Vesta stand. Aus der Tiefe des grün umbuschten Felsenkessels tönte das Gebraus des Anio herauf, welcher, nachdem er in prachtvoller Kaskade sich in die Neptunsgrotte hinabgestürzt hat, zwischen Felsen (S. 175:) gedrängt, dumpf grollend und brausend seinen Weg aus dem Tale sucht. Hier oben war Freund Oehmes und mein Lieblingsplätzchen. Wenn wir des Tages Last und Hitze getragen und unser einfaches pranzo verzehrt hatten, lagerten wir uns gern in späten Abendstunden zwischen den Säulen des kleinen, reizenden Tempels und plauderten über Kunst mit dem redlichsten Bemühen, uns darüber klarer zu werden, und das Ende vom Liede war gewöhnlich ein Gedenken der Liebsten in der Heimat, ein Stoff, der nie an Reiz verlieren konnte. Das herzige Freundesgespräch, die süße Abendstille, von dem dumpfen Brausen aus dem Tale nur mehr hervorgehoben, fesselte uns oft noch an diesen köstlichen Ort, nachdem längst schon Dämmerung über Berg und Tal gesunken und die Nacht mit ihren flimmernden 1 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 2, Quelle 1 Volltext Sternbildern heraufgezogen war, die uns so freundlich erglänzten wie den Lieben in der Heimat. Sobald ich mich einigermaßen in der nächsten Umgebung Tivolis orientiert hatte, ging es an ein fleißiges Arbeiten von früh bis zum Abend, und zwar mit einer Lust und Freude, die gar keine Ermüdung aufkommen ließ; denn die Fülle der verschiedenartigsten und schönsten Motive reizte immer von neuem zur Tätigkeit, und was nicht als ausgeführtes Studienblatt in die Mappe kam, fand wenigstens als flüchtiger Entwurf sein Plätzchen im Skizzenbuche. Ich werde nie die schönen Morgen vergessen, wo ich im Schatten uralter Olivenbäume zeichnend, von Vogelgezwitscher und dem Zirpen der Tausende von Zikaden umtönt, in dieser holden Einsamkeit so recht das Glück meiner Lage empfand. Drüben auf der anderen Seite des Tales rauschten und stäubten die Cascatellen hernieder, silberglänzend in der Morgensonne, oben lagen die grauen Mauern der Villa des Mäcen, und über den schattigen Olivenwäldern schim-(S. 176:)merte in zwartem Blau das liebliche Albanergebirge in dies friedliche Landschaftsbild herein. Hübsche, schwarzäugige Mädchen stiegen langsam den Talweg herauf, den Kopf belastet mit Körben voll süßer Feigen oder früher Trauben, uve zitelle, welche schon im Monat August reif sind, und für einige Bajocchi hatte ich eine Fülle dieser Früchte. Die Mädchen ruhten bei mir aus, guckten neugierig meinem Zeichnen zu und fanden zu ihrer Zufriedenheit alles richtig vor. „O quanto bello!“ Als ich eines Tages so in meine Arbeit vertieft dasaß, machte ein kleines Geräusch mich aufsehen, und zu meinem nicht geringen Erstaunen erblickte ich drei kleine Haustüren, ordentlich auf Menschenfüßen den Berg hinabwandelnd. Ich erinnerte mich, daß ich eine komische Beschreibung von den riesengroßen Malkasten einiger französischer Maler gehört hatte, die seit mehreren Tagen in der Sibylle einquartiert waren. Diese Riesenkasten, auf die Rücken von Jungen geschnallt, welche dadurch bis auf die Füße bedeckt wurden, waren es, die hier vorbeizogen, und bald folgten ihnen auch die Inhaber. „Gegensätze berühren sich!“ Bei den Franzosen und uns traf das nur im räumlichen Sinne zu, denn ihre Zimmer stießen unmittelbar an die unsrigen; aber obwohl sie mindestens ebenso liebenswürdige und solide Leute waren, als wir zu sein uns schmeichelten, so kamen wir doch durchaus in keinen Verkehr miteinander. Im Gegenteil mieden wir uns mit einer Art von Scheu; denn jede Partei mochte die andere für mezzo matti halten, die Gegensätze waren damals zu stark. Die französischen Maler mit ihren Riesenlasten brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingersdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt, oder wie wir sagten einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr (S. 177:) viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objektiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben. Wie wenig das aber dennoch gelingen wollte, erfuhr ich gerade hier in Tivoli recht auffallend. Wir saßen einst unserer vier auf einem schmalen Felsvorsprung eng nebeneinander, der großen Kaskade des Anio gegenüber. Jeder befleißigte sich der möglichsten Treue in der Wiedergabe des Gegenstandes, und deshalb war ich nicht wenig überrascht, als ich, am Schluß der Arbeit aufgestanden, die vier vor mir liegenden Bilder überblicken konnte und sie so abweichend voneinander fand. In der Stimmung, in Farbe, im Charakter der Kontur war bei jedem etwas anderes hineingekommen, eine leise Umwandlung zu spüren. Ich merkte, daß unsere Augenpaare wohl das gleiche gesehen, aber das Gesehene in eines jeden Innerem je 2 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 2, Quelle 1 Volltext nach seiner Individualität sich umgestaltet hatte. Am stärksten trat es bei einem Melancholikus hervor. Bei ihm waren die bewegten Umrisse der Busch- und Felsmassen ruhiger und geradliniger, die heitere Farbe der goldig bräunlichen Felsen bleicher und trüber geworden; dagegen machte sich ein nächtliches Violett in den Schatten sehr geltend, welche in der Natur doch so klar und farbig erschienen. Kurz, des Menschen Art offenbarte sich ganz entschieden in seiner Malerei, und so (S. 178:) war es bei einem jeden. Ich will dabei nicht verhehlen, daß mir das eigene Opus zwar unsicher, tastend, suchend, nachfühlend, aber gegen die drei anderen am objektivsten und treuesten erschien. Nun war diese Erfahrung, daß ein jeder die Natur anders ansieht oder vielmehr anders reproduziert, durchaus nichts Neues; aber ich hatte es noch nie so tief empfunden, so augenscheinlich gesehen, daß die Kunst nur der beseelte Widerschein der Natur aus dem Spiegel der Seele sei, und daß deshalb eine gesunde und reine Entwickelung der Sinnes- und Denkweise, die Ausgestaltung des inneren Menschen, auch in Beziehung auf die Kunst von größter Bedeutung sein müsse. Goethe ruft den jungen Künstlern zu: „Denkt gut, so werdet ihr etwas Rechtes schaffen!“ Nachdem nun manches Studienblatt gesammelt worden war, bald in dem brausenden Felsenkesseln der Sibyllengrotte, bald in der köstlichen Villa d’Este oder in dem einsamen Tale, wo die Claudischen Aquädukte stehen, oder von interessanten Häusergruppen in der Stadt selbst, so faßten Wagner und ich den Entschluß, den ganzen Monat September in Olevano zuzubringen, welches seit Kochs Zeiten der Lieblingsaufenthalt der deutschen Maler geworden war. In der letzten Woche unseres Aufenthalts hatten wir noch die Freude, Philipp Veit und von Rhoden in die Sibylle einkehren zu sehen. Der drückenden Hitze Roms entflohen, suchten sie in dem wasserreichen Tibur sich zu erfrischen, und strichen, die Flinte auf dem Rücken, in den Bergen herum, um gelegentlich einen Hasen oder ein paar Vögel zu schießen. Die Abende, welche uns gewöhnlich zusammenführten, wurden lebhafter und anregend durch Gespräche über Kunst und Literatur; denn Veit trieb damals mit Eifer das Spanische und hatte sich in Cervantes, besonders aber in Calderon vertieft. Der sehr lebhafte, kräftige Rhoden dagegen tischte oft recht wunderliche Jagdgeschichten auf, die, (S. 179:) wenn auch nicht immer glaubhaft, doch sehr erheiternd wirkten. Einst traf ich ihn um die Vesperzeit im Gemäuer des Sibyllentempelchens, ganz vertieft in einen alten Pergamentband. Es waren die Schriften der heiligen Theresia, die er immer in seiner Jagdtasche bei sich trug, und deren Geist und Tiefsinn er mir sogleich in feurigen Worten anpries. Mir aber waren diese Regionen ganz fremd, und ich wußte ihm deshalb nicht viel zu erwidern; nur war ich überrascht, den nichts weniger als asketisch aussehenden Mann, diese kräftige, ja derbe Persönlichkeit, gerade nach einer so sublimen Richtung hin begeistert zu finden. Es waren ein paar Regentage eingetreten. Als der zweite Morgen keine Aussicht auf Änderung bot und der Regen noch so langweilig herabgoß, als tags zuvor, machte einer von uns scherzweise den Vorschlag, am Nachmittage eine kleine Ausstellung zu veranstalten, zu welcher jeder am Morgen eine Komposition entwerfen solle. Gesagt, getan! Es brachte jeder etwas zustande, und der unbehaglich sich anlassende Tag verging in heiterer Beschäftigung. Einige hatten Motive aus Albano ausgebildet, Oehme aber den Eingang in eine gotische Dorfkirche mit einem Teil des Kirchhofs kräftig mit der Feder entworfen. Ich hatte ohne weiteres Besinnen eine Gruppe sächsischer Landleute mit ihren Kindern gezeichnet, welche auf einem Pfade durch hohes Korn einer fernen Dorfkirche zuwandern, ein Sonntagsmorgen im Vaterlande. Diese Art von Gegenständen war damals nicht an der Tagesordnung und in Rom erst recht nicht. Das Blatt machte deshalb unter den anderen einige Wirkung; Oehme bat es sich aus und gab mir dafür seine Zeichnung. Ich erinnere mich wohl, 3 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 2, Quelle 1 Volltext wie ich das Blatt ohne Überlegen, gleichsam scherzweise, meinen damaligen Bestrebungen und Theorien entgegen, hinwarf, und dieser Umstand ist mir in späteren (S. 180:) Jahren wieder eingefallen und deshalb merkwürdig erschienen, weil das recht eigentlich improvisierte Motiv der erste Ausdruck einer Richtung war, die nach vielen Jahren wieder in mir auftauchte, als ich meine Zeichnungen für den Holzschnitt machte. Es waren liebe Heimatserinnerungen, sie stiegen unwillkürlich aus einer Tiefe des Unbewußten herauf und gingen darin auch wieder schlafen, bis sie später in der Mitte meines Lebens mit Erfolg neu auferstanden. Anfang September verließen wir endlich das schöne Tivoli; Oehme ging mit anderen nach Rom zurück, während ich und Wagner das gelobte Olevano noch sehen wollten. Weil es am Tage noch sehr heiß war, beschlossen wir eine Nachtwanderung zu machen. Unserm Eseltreiber, dessen Somaro unser Gepäck trug, hatte sich ein zweiter angeschlossen, der desselben Weges zog. Sobald wir aus den stillen Gäßchen Tivolis herausgetreten waren, nahm uns der alte Olivenwald auf. Der Weg ging den Berg hinab, unten brannte noch ein Lämpchen vor einem einsamen Marienbilde. Der Anblick hatte etwas Rührendes in dieser Abgeschiedenheit, im tiefsten Schweigen der Nacht, das nur vom leisen Gezirpe einer Grille unterbrochen wurde. Wir gingen immer an dem Abhang der Gebirge hin und trafen weder ein Haus an noch einen Menschen. Die Nacht war sehr schwarz und der Himmel bedeckt; schweigend zogen wir unseres Weges. Aus dem dunklen Buschwerk eines Bachufers ertönte manchmal das Kreischen und wunderliche Geschrei der Reiher und Rohdommeln, die durch unser Vorüberziehen aufgescheucht untereinander in Streit gerieten. Zuweilen stimmte einer der Eseltreiber, die mit ihren Tieren ein gut Stück voraus waren, ein Ritornell an, welches der andere dann in bekannter einförmiger Weise, mit dem langgezogenen Ton am Schluß, beantwortete. Endlich graute der Tag hinter den dunklen Gebirgen hervor, und am Morgen erreichten wir Palästrina, wo (S. 181:) wir nur einen Tag uns aufhielten, herumstiegen und etwas zeichneten. Anderen Tages kamen wir nach Gabii und Genazzano, wo zur Rechten das schön geformte Volskergebirge hervortritt und links der schluchtenreiche Monte Serone, eine Hauptheimat der Briganten. Durch Feigen-, Wein- und Ölpflanzungen stiegen wir nach Olevano hinauf, dessen Felspyramide, mit der Ruine einer Burg gekrönt, vor uns auftauchte. Oberhalb Olevano liegt die Casa Baldi; dort nahmen wir Einkehr und fanden zu unserer Freude den lieben Reinhold, welcher schon seit mehreren Wochen hier wohnte und seine vortrefflichen Studien zeichnete, die ihm später großen Ruf verschafften. Es war noch gar nicht lange her, daß diese Gebirgsgegend gewissermaßen entdeckt wurde, denn früher getraute sich kein Reisender bis hierher in die wilden Berge vorzudringen. Koch war einer der Ersten, der durch die Großartigkeit des landschaftlichen Charakters und den Reichtum der Motive angezogen, längere Zeit hier verweilte und Studien zu seinen stilvollen Landschaftsbildern sammelte. Die Serpentara, von welcher ich soviel hatte sprechen hören, ist freilich ein Stück Erde, wie für den Maler besonders hergerichtet. Eine halbe Stunde von Olevano erhebt sich ein mit Eichen bewachsener Hügel, und zwischen seinen Klippen und zerstreuten Steinklötzen winden sich wilde Pfade auf und wieder herab. Ginster, Wacholder und wilde Rosen wachsen hie und da aus dem öden Gestein. Solche Terrainbildung, verbunden mit den malerisch sich gruppierenden Bäumen, gibt nun freilich höchst abwechselnde, formenreiche Vorgründe; von überwältigender Schönheit aber ist die nahe und ferne Umgebung. Zur Rechten, im Abend, das Gebirge der Äquer mit den kühnen Felsennestern Monte Compatri und Rocca di Cavi, weiterhin der schöne Monte Artemisio mit dem fernen Meere; im Süden das Volskergebirge und gegen Morgen der mächtige (S. 182:) Serone. Kehrt man sich um und schaut zwischen den Stämmen und Wipfeln der Eichen hin nach Norden, da steigt der ganz kahle und schroffe Felsrücken empor, auf dessen höchster Spitze das armselige Civitella liegt. Es machte mir diese bleiche 4 Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich 1830–1848 Deutschland, Gruppe 2, Quelle 1 Volltext Steinmasse immer einen geheimnisvollen, fast unheimlichen Eindruck, wie eine versteinerte Sphinx. Man denke sich nun, wie durch verschiedene Beleuchtung und atmosphärische Zustände hier Effekte entstehen mußten, die Herz und Sinn aufjubeln oder auch ganz verstummen machten. Reinhold saß hier oben fast jeden Nachmittag, ohne sich von der Seite zu rühren, bis spät zum Abend. Seine Zeichnungen waren in Bogengröße sauber in Bleistift ausgeführt, oft mit geeigneter Staffage versehen, der Standpunkt stets vortrefflich gewählt, so daß man ein wohl abgeschlossenes Ganze vor sich hatte; die Ausführung war meisterhaft sicher, mit großem Verständnis der Formen. Er selbst war so schlicht, ruhig und von anspruchsloser Art, daß Wagner und ich uns recht wohl in seinem Umgange fühlten und gemütliche Abende mit ihm verlebten. Das Wetter wurde herbstlicher, und öfters zogen schwere Regenwolken über die Gebirge, das hohe Rocca di Cavi und Civitella verhüllend, und der Sturm zauste und schüttelte die Eichen auf der Serpentara, wo dann arme Kinder die abgebrochenen Äste sammelten oder irgend eine Minicuccia oder Theresa ihre negri, die schwarzen Schweine, zur Eichelkost führte. So kam denn über uns das Verlangen, den Sommerfeldzug zu beschließen und in die Winterquartiere nach Rom zu rücken. Wir nahmen Abschied von Reinhold, der noch einige Tage bleiben wollte, um eine Zeichnung fertig zu machen, und hatten keine Ahnung, daß der liebe Freund im nächsten Jahre schon am Fuße der Pyramide des Cestius ruhen würde. 5