Wilhelm von Humboldt über Lessings

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Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte
Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
1830–1848 Deutschland, Gruppe 1, Quelle 1
Volltexte
Quellen zu Aufgabe Bürgerliche Historienmalerei im Vormärz. Die
Düsseldorfer Malerschule: Carl Friedrich Lessing und Alfred Rethel
Quelle 1: Wilhelm von Humboldt über Lessings „Trauerndes Königspaar“
Kunstvereinsbericht vom 15. Januar 1831, in: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, hrsg. von der
Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Bd. V (Erste Abteilung: Werke V), Berlin 1906, S. 551–
556.
Die Jahre der akademischen Ausstellungen pflegen auch diejenigen zu seyn, wo unser Verein
die reichste und mannigfaltigste Auswahl von Bildern zur Verloosung darzubieten im Stande
ist. Im gegenwärtigen aber muss es ihm zu einer besondern Genugthuung gereichen, dass
gerade die beiden Gemälde, welche auch auf der Ausstellung vorzugsweise von Kennern und
Liebhabern aufgesucht wurden, eine Frucht seiner Bestellungen sind. Ich brauche kaum zu
erwähnen, dass ich hierunter das Bild nach der Uhlandischen Ballade: das Schloss am Meer
von Herrn Lessing und den Raub des Hylas von Herrn Sohn meine. Beide Bilder haben,
ausser der Erfüllung der künstlerischen Erfordernisse, noch das Merkwürdige, dass sie
Gegenstände behandeln, von welchen der eine der künstlerischen Darstellung, der andre dem
Gemüthe wenig zu geben verspricht, und dass sie diese Schwierigkeit auf eine Weise
überwunden haben, die nicht einmal ahnden lässt, dass sie vorhanden war. Gerade das ist es
aber, was den wahren Künstler bezeichnet; ursprünglich, in seiner ersten Auffassung erscheint
ihm der Gegenstand so, dass die Schwierigkeiten verschwinden, ja oft sich zu
eigenthümlichen Vorzügen umgestalten.
Wenn man das Uhlandische Gedicht liest, so fragt man sich mit Verwunderung, wie daraus
ein Bild entstehen könne? Es schildert keine Handlung, es geht kaum eine Scene daraus
hervor, an welcher sich die malerische Einbildungskraft halten könnte; alles ist lyrisch,
empfunden, innerlich. Der Künstler, der durch seine vielseitigen Leistungen zeigt, dass er
vorzugsweise fähig ist, jedem Gegenstande seine objective Eigenthümlichkeit abzugewinnen,
ist auch hier ebendadurch glücklich gewesen. Er hat nicht gesucht, die Lücke, welche die
darstellende Kunst in dem Gedichte finden konnte, durch andere Mittel zu ersetzen; er ist
ganz in den Dichter eingegangen, und hat nichts als den Schmerz, concentrirt und vereinzelt,
hingestellt. Des andeutenden Sarges hätte er leicht entrathen können, die Aussicht auf das
Meer knüpft sein Bild nur lose an das Gedicht an, das Verständniss der Darstellung, wie der
Eindruck selbst kommt allein von der stummen Trauer des sitzenden Paares. In dieser aber
liegt eben darin das Originelle, dass der Ausdruck des Schmerzes selbst seine Ursach und die
ganze Situation zeichnet. Dies ist, wie man aus allen Beurtheilungen sieht, welche das Bild
erfahren hat, allgemein gefühlt worden. Ein solcher Schmerz trauert nicht um bloss irdischen,
weltlichen Verlust, es ist der Seele entwandt worden, was ein Theil ihrer selbst war; er ist
zugleich ein gemeinschaftlicher, aber der feine Zug, durch welchen der Künstler in die Trauer
der Mutter die Sorge der Gattin um das starre Versinken des Vaters in seine Empfindung
gemischt hat, hält die Gruppe noch durch eine neue, doch aus dem gleichen Gefühl
entspringende Beziehung fest und innig zusammen.
Der Raub des Hylas ist ganz nach der mythologischen Erzählung genommen. Die Nymphen
streben die irdische Schönheit des Jünglings mit ihrem unsterblichen Leben in ihren schattig
feuchten Grotten zu vermählen; sie umwinden ihn mit ihren Armen und ziehen ihn herab. Er
widerstrebt nicht, streitet nicht, scheint aber besorglich über den Uebergang aus dem
freundlichen leichteren Elemente der Luft. Der Künstler hat sich nicht gescheut dies bestimmt
in seinen Gesichtszügen auszudrücken und folgt hierin ganz den Dichtern, welche bei den
Alten diese Fabel behandelten. Dadurch wird sein Bild zu einem schönen Gegenstück zu
Herrn Hübners Fischer, der auf der vorletzten Ausstellung so gerechten Beifall erntete. Dort
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Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
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braucht die Bewohnerin der Flut mehr die Gewalt der Ueberredung, sie preiset das Element,
das sie umgiebt, in dem Ausdruck des Jünglings liegt schon die Stimmung vorbereitet, die sie
hervorbringen will; das Ganze ist, nach dem schönen Gedicht, das die antike Fabel sinnvoll
ins Moderne umbildet, die Schilderung der Sehnsucht, welche der Anblick des tiefen blauen
Wasserspiegels wirklich erweckt. Man hat mythologischen Gegenständen in der Malerei wohl
den Vorwurf der Kälte gemacht, und bei dem hier dargestellten war diese Gefahr leicht zu
besorgen. Herr Sohn hat in die Gesichtszüge der Nymphen, einzeln, und in ihrem Verhältniss
zu einander, den Ausdruck gelegt, in dem die schöne Sinnlichkeit mit einem tiefer und
geistiger empfundenen Gefühle zusammenschmilzt, und ist darin über die Gränzen des
Antiken und über die Dichter hinausgeschritten, aus denen er schöpfen konnte. Doch möchte
es nicht gerade hierauf beruhen, dass er jene Klippe glücklich vermied. Die Kunst gilt immer
durch sich selbst und ein Bild ist sicher, nicht kalt zu scheinen, wenn das volle Feuer der
Phantasie des Künstlers es belebt.
So sehr auch die beiden hier erwähnten Bilder es verdienen, betrachtend bei ihnen zu
verweilen, so würde ich es mir doch kaum erlaubt haben, wenn sie nicht einen wichtigen
Beleg zu demjenigen abgäben, was über die Wahl der Gegenstände bei Kunstwerken hier
schon mehreremale zu äussern Veranlassung war. Auch die diesjährige Ausstellung ist hierin
sehr erfreulich gewesen. Die Künstler fühlen immer nur, dass sich die Kunst, frei von aller
Einseitigkeit, wie die Natur, reich und vielfach entfalten muss.
Ausser diesen beiden Bestellungen werden die hier anwesenden geehrten Mitglieder des
Vereins schon auf der Ausstellung einige andere Bilder bemerkt haben, welche in der
vorjährigen Versammlung als noch nicht fertig angekündigt waren: die Beschützung der
Töchter Reguels von den Herren Draeger aus Trier und Temmel aus Schlesien, eine
Landschaft von Herrn Brüggemann und eine Ansicht des Römischen Forum vom
Palatinischen Hügel aus vom Herrn Architecturmaler Schultz.
Vorzüglich aber freuen wir uns, heute den Erzguss des Ganymedes von Herrn Wredow zur
Verloosung bringen zu können. Dies schöne Kunstwerk wird gewiss demjenigen, welchem es
das Glück zuführt, um so erfreulicher seyn, als auch der Guss sich durch Leichtigkeit und so
sehr durch Reinheit und Gediegenheit auszeichnet, dass er, so wie er aus der Form gekommen
ist, unciselirt hingegeben wird. Eine solche Vollendung einer für die Sculptur so wichtigen
Kunst konnte nur die Frucht unermüdeter einsichtsvoller Bemühungen seyn, das Beste, was
das Ausland bis jetzt in dieser Art zu liefern vermochte, nicht bloss zu uns her zu verpflanzen,
sondern zu übertreffen.
Eine bedeutende Anzahl den geehrten Mitgliedern des Vereins schon bekannter Bestellungen
müssen wir als noch zurückgeblieben ankündigen. Herrn Meisters und Herrn Professor
Krügers Darstellungen aus dem letzten Kriege, Herrn Brüggemanns Verfolgung einer
Griechischen Brigg und die Landschaften der Herren Helsdorf und Nerly sind noch nicht
vollendet. Der gleiche Fall ist es mit der Arbeit des Medailleurs Herrn Voigt, die Bändigung
des Pegasus durch Bellerophon vorstellend. Herr Hübner hat uns den von ihm gewählten
Gegenstand noch nicht bezeichnet, und von Herrn Philipp Veit sind wir ohne alle Nachricht
über das uns früher versprochene Bild.
Herr Erhardt hat seine, in Folge der vierten in Rom angeordneten Preisbewerbung gekrönte
Skizze: Moses, wie er aus dem Felsen Wasser schlägt, nunmehr ausgeführt. Das Bild kommt
heute mit zur Verloosung. Von der sechsten Preisbewerbung, wo der Gegenstand den
Künstlern freigelassen war, ist von acht eingelaufenen Skizzen eine, auch von Herrn Erhardt,
angekauft worden. Sie stellt Moses vor, wie er während der Schlacht gegen die Amalekiter
von Aaron und Hur unterstützt wird. (Exod. 17,12.)
Eine neue Art der Preisbewerbung versucht das Directorium und der Künstlerausschuss im
gegenwärtigen Jahre, und hofft, dass dieselbe sich eines glücklichen Erfolgs und des Beifalls
der geehrten Mitglieder des Vereins zu erfreuen haben wird. Es sind nemlich die Bildhauer,
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welche für den Verein zu arbeiten geneigt seyn möchten, aufgefordert worden, mit kleinen
Modellen von höchstens 18 Zoll Höhe zu Statuen oder Gruppen um den Preis zu concurriren.
Der Preis ist auf 100 Thaler bestimmt; die Absicht aber des Gebrauchs der zu liefernden
Arbeiten ist, das gekrönte Modell in Erz giessen zu lassen und in dieser Gestalt zur
Verloosung zu bringen. Es war schon öfter in unsren Versammlungen zur Sprache
gekommen, dass es dem Verein schwer werde, für die Sculptur thätig zu seyn. Das Hinderniss
lag vorzüglich in der Kostbarkeit des Marmors und seiner Bearbeitung, und in der Grösse,
welche Marmor-Bildwerke fast nothwendig haben müssen. Diese kann selbst durch die
Schwierigkeit der Aufstellung in gewöhnlichen Privatwohnungen dem Gewinnenden
unbequem werden. Auf dem jetzt gewählten Wege ist dies Hinderniss beseitigt; derselbe liess
sich aber freilich nicht eher einschlagen, als bis die Bronze-Arbeiten einen solchen Grad der
Vollendung bei uns gewonnen hatten, und wir verdanken auch jetzt die Möglichkeit ihn zu
verfolgen nur der gütigen Theilnahme des Wirklichen Geheimen Ober-Regierungsraths Herrn
Beuth an unserm Vereine.
Für eine spätere Verloosung sind, mit eigener Wahl des Gegenstandes, worüber jedoch dem
Directorium vorher Anzeige gemacht werden muss, neue Bestellungen bei Herrn Lessing,
Sohn, Hildebrand, Daege und Henning gemacht worden, ebenso auch bei Herrn Hübner, nach
Vollendung seines noch rückständigen Bildes. Da alle diese Künstler den geehrten
Mitgliedern des Vereins bereits längst bekannt sind, so bedarf es keiner Rechtfertigung des
von dem Directorium und Künstlerausschuss in sie gesetzten Vertrauens.
....
Aus der sogleich vorzulegenden Rechenschaft von den Einnahmen und Ausgaben des Vereins
werden die hier anwesenden geehrten Mitglieder sehen, dass die Theilnahme an demselben
sich nicht bloss erhalten, sondern sichtbar vermehrt hat. Wir zählen 339 im Laufe und
grösstentheils in der letzten Hälfte des Jahres 1830 hinzugetretene neue Mitglieder. Es ist dies
ein erfreulicher Beweis, dass auch die Ereignisse der Zeit unserm Unternehmen die
Aufmerksamkeit des Publicums nicht entwandt haben. Und in der That ist die Kunst
vorzugsweise geeignet, nicht nur (denn dies wäre bloss eine Täuschung gewährende
Unterbrechung) von zu ernsten Begebenheiten zerstreuend abzuziehen, sondern auch dem
Geiste gerade die Ruhe und Stärke zu verleihen, deren beider zugleich das glückliche und das
wirksame Leben bedürfen. In ihren, der Wirklichkeit fremden Regionen bietet sie dem
Gemüth in jedem Augenblick eine sichere Freistätte dar; sie führt dasselbe zu der Höhe, wo
das Zufällige sich scheidet von dem Wesentlichen und Ewigen in dem Daseyn der
Menschheit, und obgleich ihr Gebiet nur ein Gebiet der Phantasie ist, so strömt daraus der
Seele doch nicht minder, auch für das äussere und thätige Leben, Erhebung, Heiterkeit und
Kraft zu.
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