Einführung in die bildende Kunst

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Weltkunst - Einführung in die bildende Kunst
Vorlesung WS 2004/05 P.B.Steiner Mo 13-15 HS 16
Den Hörerinnen und Hörern wird der Besuch folgender Museen im Laufe des WS
dringend nahegelegt:
Diözesanmuseum Freising, Domberg 21 (Kunst von der Romanik bis zur Gegenwart)
Geöffnet täglich außer Montag 10-17 Uhr, für Hörer(innen) Eintritt frei,
Die Öffnungszeiten der Münchner Museen sind ähnlich, z.T.länger, Eintritt werktags
mit Studentenausweis ermäßigt, sonntags frei: Glyptothek am Königsplatz (
Griechisch-römische Skulptur, gegenüber in Antikensammlung griechische Malerei)
München, Barer Straße: Alte Pinakothek (Europäische Malerei 1400-1800)
Neue Pinakothek (Europäische Malerei 19. Jahrhundert)
Pinakothek der Moderne ( Kunst des 20. Jahrhunderts)
München, Maximilianstraße: Staatliches Museum für Völkerkunde (Kunst aus Afrika,
Asien, Altamerika)
Außerdem kann der Besuch in der Städtischen Galerie im Lenbach-Haus
(Luisenstraße) und in der Archäologischen Staatssammlung empfohlen werden.
Schriftliche Prüfung aus Vorlesungsskriptum und den o.g. Museen am 28.2.2004
Skriptum unter www.dombergmuseum-freising.de (Vorlesung TUM)
Gliederung
1. Was ist Kunst? Kunst, Religion und Wissenschaft. Bildwissenschaft. Wann
beginnt Kunst? Kunst der Frühzeit; Kunst Afrikas
2 Malerei und Zeichnung, seit 20 000 Jahren, von der Höhle in die Galerie;
Gefäßmalerei, Wandmalerei, Tafelbild, Altarbild, Deckenbild; Techniken, Auftrag,
Markt
3. Plastik und Skulptur: modellieren, schnitzen, gießen: Ägypten, Griechenland,
Rom, Romanik, Gotik,
4. Bauen und Baukunst
5. Amerika vor Columbus.
6. Alter Orient, Land, Geschichte, Architektur, Skulptur, Malerei
7. Ägypten, dito
8. Griechenland, dito
9. Indien, China, Korea, Japan
10. Rom und Byzanz
11. Islamische Kunst
12. Mittelalter in Europa, Romanik, Gotik, Architektur, Skulptur, Malerei
13. Renaissance, die Erfindung der Perspektive und ihre Wirkungen in Architektur,
Gartenbau, Malerei und Skulptur
14. Barock, Kunst im Dienst der Fürsten und der Kirchen
15. 19. Jahrhundert, von Napoleon bis Bismarck: Architektur, Museen, Kirchen,
Glaspalast, Bahnhof, Wolkenkratzer; Skulptur, Schadow, Canova, Denkmal,
Rodin; Malerei, David, Gericault, Friedrich, Delacroix, Courbet, Menzel, Manet,
Cezanne Van Gogh,
16. 20. Jahrhundert, Picasso, Der Blaue Reiter, Beckmann, Moore, Pollock, Geiger,
Beuys, Nauman, Jeff Wall,
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1.Was Kunst ist, weiß ich nicht. Aber das macht nichts, denn Sie, die Sie
Naturwissenschaften studieren, wissen auch nicht was Natur ist, oder Wissenschaft
oder Religion. Schon so ungefähr, aber für eine Definition würde ein Semester nicht
ausreichen.
Kunst hat etwas mit künstlich zu tun, ist etwas, das Menschen gemacht haben, im
Gegensatz zu den Dingen, die auf natürliche Weise gewachsen sind. Aber gerade
hier in Weihenstephan arbeiten viele Wissenschaftler daran, die Grenzen zwischen
dem natürlichen Wachstum und dem vom Menschen geschaffenen zu verschieben,
z. B in der Gentechnologie. Aber sie waren auch früher schon nicht einfach zu
ziehen; ist Brot, Bier oder Butter ein Naturprodukt ? Ist eine aus einem Lindenstamm
geschnitzte oder aus einem Marmorblock gehauene Figur ein Kunstwerk oder doch
nur ein vom Menschen geformtes Naturprodukt, nämlich Holz oder Marmor?
Aber nicht nur diese an einer technischen Universität naheliegenden Fragen
verwirren den, der über Kunst nachdenkt. Meine eigene Profession, die des
Kunsthistorikers, ist dabei sich in Frage zu stellen, weil sie merkt, daß die meisten
Beispiele, die in einer deutschen oder Welt-Kunstgeschichte abgebildet sind oder
behandelt werden, eben nicht als Kunstwerke entstanden sind, sondern z.B. als
Religionswerke, Statussymbole oder Gebrauchsgegenstände. Der seit dem 15.
Jahrhundert, seit der sogenannten Renaissance, in Westeuropa etablierte
Kunstbegriff stimmt für alle älteren aber auch viele jüngere Werke nicht. Die
akademische Disziplin Kunstgeschichte wandelt sich derzeit vor allem in zwei
Richtungen, in die einer Kommunikationswissenschaft; demzufolge sind die Dinge,
die bisher Kunstwerke genannt wurden nichts anderes als komplexe visuelle Medien,
und in die einer Bildanthropologie, demzufolge sind „Kunstwerke“ visuelle
Definitionen des Menschen von sich, seiner Umwelt, seinen Ängsten, Hoffnungen
und Träumen.
Diese zweite Grundannahme liegt meiner Vorlesung zu grunde. Ich zeige Ihnen in
Diapositiven Artefakte, in denen sich der Mensch selbst definiert. (Dia Afrikanisches
Idol, Dia Pirellikalender). Es ist ganz offensichtlich, daß es sich um Frauenbilder
handelt, also Menschen weiblichen Geschlechts, aber das was unter einer Frau
verstanden wird, hat sich offenbar gewandelt. Bevor wir zum Frauenbild im Kopf und
Herzen der jeweiligen Bildhersteller kommen, müssen wir die Bilder nach ihrem
Maßstab, ihrer Materialität und Technik, ihrem Gebrauchszusammenhang befragen.:
Holzskulptur
SWDruck nach Photo von Richard Avedon
Einzelstück
Auflagenwerk
Aus innerer Anschauung
Photographierte
Pose Modell Julia Ortiz
Fruchtbarkeit, Kult Religion Lust,
Unterhaltung, Werbung
Der afrikanische Bildhauer beschwört im Bild den Kotakt mit der Welt der Geister, die
Fähigkeit der Frau Lebenspartner zu sein, Leben zu spenden, das Überleben des
Stammes, der Familie zu sichern.
Photograph und Redakteur wollen verkaufen, Gewinn erzielen, der Käufer will sich
amüsieren.
Auch für das Männerbild zeige ich zwei Beispiele(Dia David von Michelangelo
Buonarotti, 1501-04
Marmorskulptur , 5,15 m
Aufgestellt vor Palazzo Vecchio (Altes Rathaus)Florenz
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Erinnerung an eine Geschichte: die Vernichtung des gerüsteten Angreifers Goliath
durch den nur mit einer Schleuder bewaffneten Jüngling David, (1 Sam 17, das
bedeutet 1. Buch Samuel Kapitel 17 der christlichen Bibel; diese Abkürzungen
werden im folgenden nicht mehr aufgelöst, sie gehören zur europäischen
Allgemeinbildung) / Kraft, Selbstbewußtsein des Helden und des Künstlers / Gnade
Gottes für den historischen Helden und aktuell für den Auftraggeber, die Republik
Florenz
Ingo Taubhorn 1984, SW Photo 18x24 cm, Strichjunge in seinem Schlafzimmer
Während man die Marmorskulptur mit den Begriffen Geschichte, Öffentlichkeit,
Selbstbewußtsein, Anspannung und Kraft verbinden muß, so die Photographie, in
der ebenfalls ein kräftiger Körper dargestellt ist, doch in erster Linie mit Intimität,
Lässigkeit (angelehnt) und sexueller Lust. Das zerwühlte Bett macht den Unterschied
zum raumlos präsentierten Akt im Pirellikalender.
Jedes Kunstwerk ist ein gesellschaftliches Produkt, entsteht aus dem Konsens von
Künstler, Auftraggeber und Publikum.
Kunstwissenschaft als Bildanthropologie hat aber nicht nur mit Bildern von Männern
und Frauen, also Menschenbildern im engeren Sinn zu tun, sondern ebenso mit
Landschaftsbildern oder Stilleben, Gattungen der Malerei, in denen kein Mensch als
Gegenstand vorkommt. Aber schon die Tatsache, daß es in ein einigen Kulturen z. B.
in der Malerei der nördlichen, protestantischen Niederlande oder in der zeitgleichen
chinesischen Malerei diese Gattungen gibt, nicht aber im Mittelalter oder in der
Ägyptischen Kunst, erlaubt uns Aussagen über die Menschen dieser Kulturen.
Kunst ist nach den bisher gefundenen, datierbaren Artefakten sehr alt, 30 000 Jahre
ca. Damit ist sie wesentlich älter als Wissenschaft, für die wir üblicherweise Schrift
voraussetzen, Schrift als eine Voraussetzung von Wissenschaft gibt es im Vorderen
Orient seit rund 5000 Jahren, nach Germanien haben sie vor 2000 Jahren die Römer
gebracht und nach Schwarz-Afrika und Australien die europäischen Kolonisatoren
vor 200 Jahren. Nur Menschen, die schreiben, können ihre Geschichte schreiben.
Darum nennen wir die Zeit vor der Anwendung von Schrift Vorgeschichte oder
Prähistorie. Der Eintritt in die Schriftlichkeit und damit in Geschichte und
Wissenschaft erfolgt je nach Weltregion zwischen 3000 vor und 1800 nach Christus.
Wesentlich älter als Wissenschaft und Kunst ist Religion. Wir datieren sie von den
ersten Grablegen. Das heißt von den frühesten Zeugnissen, daß der Leib eines
verstorbenen Menschen künstlich bearbeitet wurde z.B. durch eine Grablege, eine
Färbung der Gebeine, eine Brandbestattung. Diese ältesten Zeugnisse sind 100 000
Jahre alt.
Der Mensch ist unseres Wissens das einzige Lebewesen, das weiß, daß es sterben
muß und zwar nicht erst im Moment seines Todes, sondern schon sein ganzes
Leben lang, seit er denken kann. Aus dem Nachdenken über den Tod entsteht
Religion. Sie frägt nach dem Woher und Wohin, nachdem Sinn unseres Lebens.
Wenn wir Kunstwerke im Sinn einer Anthropologie des Bildes verstehen, als visuelle
Definition von Menschen, dann gehört die Frage nach dem Sinn seiner Existenz
auch in den Bereich der Kunst. Kunst und Religion gehören von ihren Ursprüngen
her eng zusammen, aber ebenso Kunst und Wissenschaft, nicht nur weil zum
Beispiel für ein Werk der Baukunst(Dia Kolosseum) oder der Bronzeplastik(Dia
Poseidon von Sounion) eine avancierte Technologie notwendig ist.
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Das Wort Kunsttechnologie führt zu einer kurzen Rundschau nach dem Namen und
der Bedeutung von Kunst. Das deutsche Wort hängt von der Sprachwurzel her mit
Kunde zusammen, Kunde von etwas haben und geben, kundig sein etwas zu
machen; wer kundig ist, Auto zu fahren, der kann Auto fahren. Im Griechischen heißt,
das was wir Kunst nennen techne, ein Wort, das wir heute z.B. als Technik eines
Klavierspielers nur noch für eine Voraussetzung von Kunst aber nicht mehr für diese
selbst halten. Seit der industriell-technischen Revolution, seit es Technische
Hochschulen und Universitäten gibt, hat sich der technische Bereich enorm
vergrößert und weit von der Kunst entfernt. Das Wort techne erinnert aber
denjenigen, der die griechischen Ursprünge der westlichen Kultur nicht vergessen
hat, immer noch an ihre gemeinsamen Ursprünge in Kenntnis und Geschick des
Menschen. Im Lateinischen und vielen von ihm abgeleiteten Sprachen heißt Kunst,
Ars, arte, art oder art und bezeichnet die ausgebildete, kultivierte Fähigkeit etwas zu
tun. In diesem Sinn gab der römische Dichter Ovid zum Ärger des Augustus gereimte
Hinweise zur sexuellen Vereinigung als ars amatoria, Liebeskunst heraus. Und auch
wenn wir von Kochkunst sprechen, meinen wir das, was lateinisch ars heißt, nämlich
Ausbildung, Erfahrung und Erfolg versprechende Geschicklichkeit in der Zubereitung
von Speisen.
Das deutsche Wort Kunst erhielt im 18. Jahrhundert einen darüber hinaus weisenden
Sinn. Es bezeichnet bei dem Philosophen Immanuel Kant in seiner Kritik der
Urteilskraft von 1790 etwas, das von der Natur unterschieden wird, weil es ein Werk
meint, das durch Freiheit und Vernunft entsteht, im Gegensatz zur Bienenwabe, die
ein Produkt des Instinkts der Biene sei. Ferner unterscheidet sich Kunst von
Wissenschaft als praktisches Vermögen und vom Handwerk durch die Elemente von
Geist und Freiheit. Für Georg Friedrich Wilhelm Hegel ist Kunst wie Religion und
Philosophie eine Art und Weise das Göttliche, die tiefsten Interessen des Menschen,
die umfassendsten Wahrheiten des Geistes zum Bewußtsein zu bringen und
auszusprechen. Diese Form des Nachdenkens über Kunst wird Kunstphilosophie
oder Ästhetik genannt. Ästhetik vom griechischen Wort aisthanomai wahrnehmen
hieß ursprünglich Wahrnehmungslehre hat sich aber im 18. Jahrhundert auf die
Wahrnehmung des Schönen in der Kunst verengt. Nicht damit zu verwechseln ist der
Gebrauch des Wortes als Umschreibung für das alte abgegriffene Wort schön. Eine
ästhetische Erscheinung ist keine kunstphilosophische sondern eine schöne. Davon
ist wiederum abgeleitet die Ästhetik eines Porsche, das heißt der Gebrauch des
Wortes in der Sprache von Mode und Design.
Diese Kunst des deutschen Kunstbegriffs in der Philosophie des Idealismus wird
eingeteilt in die Künste der Sprache, die redenden , nämlich Dichtung und Rhetorik,
die Musik, das Theater, von Kant die Empfindung weckenden genannt und die
bildenden Künste, nämlich Malerei, Skulptur und Baukunst. Von ihnen ist in dieser
Vorlesung allein die Rede.
Alle Künste wenden sich über unsere Sinne an unseren Verstand und unser Gefühl,
die bildende Kunst in erster Linie über die Augen, kann dabei aber auch andere
Sinneseindrücke erwecken (Kalte Farben). Im Erleben von Kunst wird unsere
Wahrnehmungsfähigkeit gesteigert und unser Gefühlsleben kultiviert. Diese
kultivierte Emotionalität steigert unseren Lebensgenuß und unsere soziale
Kompetenz.
Wann und wo beginnt bildende Kunst?
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Ich habe vorhin das Datum „vor 30 000 Jahren“ genannt. Aber wenn wir auf die
Frage wo ?, antworten wollen, so muß von den Chancen, den Glücksfällen der
Überlieferung die Rede sein. Diese Chancen sind in den Tropen, wegen der durch
Feuchtigkeit und Wärme bedingten Zersetzung organischer Materialien geringer als
im trockenen Wüstenklima oder im Inneren tiefer Erdhöhlen mit geringem
Luftaustausch. Wüsten und Felshöhlen waren aber mit Sicherheit nicht die ersten
Wohnstätten von Menschen. Die menschliche Rasse scheint sich, nach dem was uns
die Paläontologen sagen, in Afrika gebildet zu haben. Aber die frühesten erhaltenen
Bildwerke sind bisher in Europa und Asien gefunden worden. (Dia Gravur auf
Mammutelfenbein, Rentier, schreitend, äsend, gefunden in Thayngen, Bodensee;
Höhlenmalerei, Lascaux, auf versintertem Fels, nicht im Wohnbereich, Funktion
religiös, magisch, „Jagdzauber“)
Sie stammen aus einer Zeit, die wir anthropologisch Altsteinzeit, geologisch
Zwischeneiszeit nennen, die erste Bezeichnung geht von den hauptsächlich
erhaltenen Geräten der Menschen, ihren Messern und Äxten aus Stein aus, die
zweite von den klimatischen Bedingungen. Die Steinzeit ist vielleicht für einige
Stämme in unzugänglichen Tälern Borneos heute noch nicht zu Ende. In
Deutschland endete sie mit dem Bekanntwerden des Werkstoffs Bronze vor mehr als
4000 Jahren, etwa um 2300 vor Christus. Daß wir Zeitalter nach Werkstoffen
benennen als Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit geht auf den Materialismus des 19.
Jahrhunderts zurück. Heute würden wir andere Bezeichnungen wählen z.B. nach
dem hauptsächlichen Nahrungserwerb und dann unterscheiden in das Zeitalter
derer, die Nüsse, Früchte und Wurzeln sammeln und Tiere jagen, danach die Zeit
derer, die Tiere züchten, die Hirtenkulturen, dann derer die Pflanzen anbauen, die
Bauern, (wir nennen diese Epoche die Jungsteinzeit oder Neolithikum) schließlich
das Zeitalter von Städtebau, Staatenbildung und Arbeitsteilung. Diese Fertigkeiten
entwickelten sich auf unserer Erde zu unterschiedlichen Zeiten. Kultureller Vorreiter
war die heutige Krisenregion des Vorderen Orients zwischen Irak und Ägypten, wo
Tierzucht, Pflanzenbau, Städtebau und Staatswesen jeweils am frühesten
nachgewiesen sind, vor 14000 Jahren, 9000 Jahren, 6000 Jahren. Von dort aus
verbreiteten sie sich in Europa, Asien und Afrika. Die neue Welt, Amerika, wurde von
steinzeitlichen Jägern besiedelt und hat Tierzucht, Pflanzenbau und Städtebau ohne
Kontakt mit der Alten Welt aber mit erstaunlichen Parallelen und Unterschieden
entfaltet. Der Pflanzenbau basiert dort auf Mais, Kartoffeln, Tomaten und Tabak, die
erst nach 1500 auf der ganzen Welt verbreitet wurden. In Australien verharrten die
Menschen bis zur Besiedlung durch Europäer im 18. Jahrhundert im Status von
Jägern und Sammlern.
(Dia Venus von Willendorf, Kalkstein 11 cm in Publikationen als altsteinzeitliches
Schönheitsideal bezeichnet, es existierte in diesen Zeiten, deren Sprache wir nicht
kennen, wohl kaum Begriffe für Schönheit oder Ideal, die Statuette ist kein Abbild
einer Wirklichkeit, also nicht realistisch, Frauen ohne Füße und Gesicht mit derart
verkümmerten Armen und Händen entsprechen keiner Wirklichkeit aber auch keinem
Ideal; auffällig ist die Haartracht, ist hier krauses Haar wiedergegeben oder eine
Rastafrisur mit Zöpfen und Knoten ? Die Genitalöffnung weist auf die Fähigkeit zu
empfangen und zu gebären, die Brüste und die Fettpolster rund um die Hüften auf
die Fähigkeit zu nähren. Zwei Dinge, die neben dem schönen Haar wohl an Frauen
damals für besonders wichtig gehalten wurden und deshalb vergrößert dargestellt
sind, zu Lasten anderer Körperteile. Bei Bildern, deren Maßstab nicht der Wirklichkeit
entspricht, sondern wichtige Dinge groß und weniger wichtige klein dargestellt sind,
sprechen wir von Bedeutungsmaßstab. Ein Begriff, der uns durch die ganze
Vorlesung begleiten wird. Der Bedeutungsmaßstab entspricht im Gegensatz zum
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geometrischen Maßstab unserer Wahrnehmung und unserem Gedächtnis. Wenn Sie
heute abend ihrem Freund von diesem Tag erzählen, werden Sie nicht die
tatsächlichen Zeitabläufe in der Redezeit nachbilden, sondern das für Sie oder für
Ihren Zuhörer wichtige ausführlich berichten, das meiste aber vernachlässigen. Wenn
Sie photographieren, holen Sie das für Sie wichtige in den Vordergrund und bilden es
deshalb größer ab, als es der Wirklichkeit entspricht. Wenn Sie am Fernseher
Übertragungen von Fußballspielen, Parteitagen oder Aktionärsversammlungen
verfolgen, sehen Sie die beteiligten Personen nicht in ihrer mehr oder weniger
gleichen natürlichen Größe, sondern werden durch eine kunstvolle Bildregie zur
Anerkennung der Größe des großen Vorsitzenden oder Torschützen geführt.
Bedeutungsmaßstab ist etwas kulturgeschichtlich sehr frühes, aber trotzdem nicht
überholtes.
Über die Funktion unserer kleinen Figur wissen wir nichts. Schon die Bezeichnung
Venus ist ebenso falsch wie die als Statuette, kleines Standbild. Denn das Bild kann
nicht stehen, man kann es nur in die Hand nehmen und hinlegen. Was die Urheber
und Erstbenutzer gedacht, gesprochen oder getan haben, wenn sie das kleine Bild in
die Hand nahmen, wissen wir nicht. Es hatte wohl etwas mit Sexualität und
Fruchtbarkeit und Fortleben zu tun, so ähnlich wie die Bilder von Büffeln und
Hirschen etwas mit Jagd, Fleisch essen und damit auch Fortleben zu tun hatten.
(Dia Valtorta und Cogul) UI 21,23
Die Jungsteinzeit unterscheiden wir durch die Agrarrevolution, den Übergang von der
Jagd zur Tierhaltung und vom Sammeln zum Pflanzenbau. Die Epoche davor
nennen wir Mittelsteinzeit (Mesolithikum) und meinen daß sie sich von den Epochen
die ihr vorausgehen und nachfolgen unterscheidet, ohne daß wir diese Unterschiede
genau angeben können. In neueren Werken wird die Mittelsteinzeit nicht mehr als
eigene Epoche bezeichnet, sondern nur noch von Alt- und Jungsteinzeit gesprochen.
In der Felsmalerei der Mittelsteinzeit werden Figuren von Menschen und Tieren zu
Szenen zusammengefügt. Auf dieser Umzeichnung von männlichen Figuren aus der
nordspanischen Valtortaschlucht sehen wir einen nackten Bogenschützen, d.h. einen
Menschen und seine Waffen. Im Bild daneben den Tod eines Bogenschützen. Die
Gestalt hat Pfeile im Rücken und stürzt zu Boden. Ist das die erste Darstellung von
Krieg? Der getroffene Bogenschütze hat, genau so wie die Gestalt links unten,
Federn auf dem Kopf. Die früheste Darstellung von Kleidung. Und typischerweise
keine Kleidung, die vor Kälte schützt, sondern die Eindruck machen will. So wie wenn
heute jemand Chiemsee oder Reebock auf dem Hemd stehen hat oder Krawatten
trägt. Kleidung soll offenbar in erster Linie beeindrucken und hat erst in zweiter Linie
auch praktische Funktionen und sie wurde offenbar auch erst viel später erfunden als
Geräte und Waffen. Pfeil und Bogen sind in ihrer Materialkombination aus
verschiedenen Hölzern, steinernen Pfeilspitzen, Federn und Bogensehnen aus
Därmen bereits ein komplexes Jagd- und Kriegsgerät. Im Bild rechts unten erscheint
die Hose, offenbar ein kompliziertes Kleidungsstück, das Ober- und Unterschenkel
markiert, schmückt und im Volumen aufbläht. Der Frauenrock taucht zum erstenmal
in einer Felsmalerei in Cogul bei Lerida in Katalonien auf. Acht Frauen mit sind mit
Waden- und Knöchellangen Röcken bekleidet. Am Oberkörper baumeln lange Brüste
in der Bewegung des Tanzes. Die acht Frauen tanzen um ein kleines nacktes
Männchen, das seinen bedeutungshalber übergroß dargestellten Penis gerade
erigiert. Der Maßstabsprung zwischen den Gestalten der Frauen und dem Mann wird
als Altersunterschied erklärt. Erwachsene Frauen führen einen Jugendlichen in die
Vorgänge der Sexualität ein. In Vorgeschichte und Völkerkunde nennt man diesen
Vorgang nicht Sexualkunde sondern Initiation. Der Eintritt der Geschlechtsreife bei
Männern und Frauen wird in den meisten menschlichen Gesellschaften öffentlich mit
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zum Teil sehr zeitaufwendigen Riten gefeiert. Nur bei uns ist das ein peinliches
intimes Ereignis mitten in der Schulzeit. Daß mehrere Frauen einen Mann einweihen,
wenn wir das Bild überhaupt richtig deuten, sagt über die ab jetzt mögliche sexuelle
Partnerschaft nichts aus. Wahrscheinlich lebten diese Jäger und Sammler schon in
eheähnlichen lebenslangen heterosexuellen Zweierbeziehungen, die der Mensch mit
einer Reihe von Tieren gemeinsam hat, mit Enten und Tauben z.B. aber nicht mit
Hühnern, Hirschen oder Schimpansen. Dafür spricht eine statistische
Wahrscheinlichkeit, denn die lebenslange heterosexuelle Zweierbeziehung, die man
bis vor kurzem als einziges Ehe nannte, ist in 90 % aller bekannten menschlichen
Gesellschaften die Norm. Daß der Frauenrock in einem Bild sexueller Initiation zum
erstenmal erscheint, läßt vermuten, daß er zur Differenzierung der Geschlechter, zur
Erhöhung der Attraktivität des weiblichen Geschlechts für das männliche, erfunden
wurde. Er hat sich zu diesem Zweck bis in die Gegenwart gehalten.
Hier müssen wir die Frage nach der Dauer der Bilder anschließen. Wie lange dauert
eine Erektion, ein Tanz, wie lange dauert ein Pfeilschuß oder wie lange dauert es bis
ein von Pfeilen getroffener zusammenbricht?
Sekunden, Minuten oder Bruchteile von Sekunden. Diese Bilder dauern seit 10- 15
000 Jahren. Momente wurden im Bild zur Ewigkeit. Dies ist die unheimliche Kraft der
Bilder, dem Augenblick Dauer zu verleihen, den Tod aller Handelnden, der
Pfeilschützen, der Tänzerinnen zu überdauern. Dank Photographie, Druck und
Projektion sind diese Bilder aus spanischen Gebirgsschluchten jetzt hier
gegenwärtig; wir sehen wie der Bogen gespannt wird, von dem und dessen Träger
nichts mehr da ist, nur das Bild. Bilder überwinden die Zeit und mit ihr den Tod.
Sprache, Musik und Tanz entfalten sich in der Zeit. Um diesen Satz zu sagen,
brauche ich drei Sekunden. Das Bild braucht zu seiner Herstellung Zeit, aber von
dann an ist es bis zu seiner Zerstörung der Zeit enthoben. Seit 10 000 Jahren an der
Felswand, seit fünf Minuten auf dieser Leinwand. Die präsentische Kraft des Bildes
bewahrt den Pfeilschuß und den Tanz, macht sie für uns gegenwärtig.
Vergegenwärtigung, das ist ein anderer jener Begriffe, ohne die wir nicht von Kunst
sprechen können. Sie machte vermutlich für die ersten Maler und Betrachter die
Magie der Bilder aus. Magie im wörtlichen Sinn, Beschwörung von Abwesendem,
Vergangenem und Zukünftigen. Die Fruchtbarkeit der Frau, die Kraft des Pfeiles, die
sexuelle Initiation, Leid, Lust und Tod. Der Maler Paul Klee behauptete in seiner
„Schöpferischen Konfession“ 1920: „Der Künstler spielt mit den letzten Dingen ein
unwissend Spiel und erreicht sie doch.“ Der Künstler weiß auch nicht,
was der Tod ist und die Hoffnung, aber er kann sie ohne Wissen durch seine
Gestaltungsmacht erreichen, berühren, uns nahe bringen.
Afrika
Über die Funktion der steinzeitlichen Kunst wissen wir wenig, weil die Sprache dieser
Menschen mangels Schrift verloren ging. Aber Prähistoriker nehmen Anleihen bei
Ethnologen. Sie suchen sich menschliche Gesellschaften, die fernab unserer
Zivilisation den Gebrauch von Eisen noch nicht kennen, oder noch als Jäger und
Sammler leben. Und so ähnlich wie bei diesen Völkern heute noch wird es wohl auch
in unserer Vorvergangenheit gewesen sein. Diese Schlüsse sind gefährlich, vor allem
wenn sie nicht als wissenschaftliche Vermutungen sondern als Gewißheiten
vorgetragen werden.
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Mehr möchte ich als Überleitung von der steinzeitlichen Kunst zur Afrikanischen nicht
sagen. Unter Afrika verstehen wir im folgenden, den Erdteil südlich der Sahara, also
ohne Ägypten und das mittelmeerische Nordafrika, die vor 5000 Jahren für das
Nilland, bzw. vor 2 ½ tausend Jahren für Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko ins
Licht schriftlich überlieferter Geschichte eingetreten sind. Ihre Kunst wird als
ägyptische, bzw. als islamische später zu würdigen sein. Der Kontinent südlich der
Sahara wird subsaharisch oder Schwarzafrika genannt, seine Bewohner in unserer
Sprache zuerst Äthiopier, später Mauren, Mohren, dann Neger heute Afrikaner. Die
Versuche vorallem französischsprachiger afrikanischer Schriftsteller und Politiker wie
Leopold Sedar Senghor der Negritude selbstbewußte Würde zur verleihen sind im
wesentlichen gescheitert. Damit ist das Wort Neger zu einer despektierlichen
Bezeichnung geworden, das wir heute durch Afrikaner und zwar genau genommen
Schwarzafrikaner ersetzen sollten.
Schwarzafrika blieb bis zum Einbruch schriftkundiger Kolonisatoren aus Arabien und
Europa im Dunkel der Vorgeschichte. Diese Kolonisatoren haben reiche, hoch
differenzierte aber schriftlose und waffentechnisch unterlegene Kulturen zerstört.
Darum wissen wir heute über die Kunst Schwarzafrikas nicht mehr als über
prähistorische Kunst. Das Nichtwissen ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit.
Denn in Afrika sind wie in Europa auf Felswände gemalte Bilder erhalten, die
einander sehr ähnlich sehen, aber kaum zu datieren sind. Aus Afrika sind Bildwerke
in organischen Stoffen wie Holz und Textil erhalten, ferner Gebäude und Geräte und
Bildwerke in Metall. Alle diese Objekte laden zu Vergleichen und Mutmaßungen über
untergegangene Werke der europäischen Vorgeschichte ein. Die Mehrzahl, der
Abbildungen, die ich Ihnen zeige stammen aus dem Münchner Völkerkundemuseum
in der Maximilianstraße, zu dessen Besuch ich Sie sehr ermuntern möchte, damit sie
die Werke selbst und nicht nur ihre Abbildungen sehen. Die Geschichte der
Münchner Sammlung ist
beispielhaft für die europäische Haltung gegenüber dem südlichen Kontinent:
Wittelsbacher Besitz. Sammlung Frobenius um 1900, europäischer und
amerikanischer Kunsthandel, Erwerbungen bei Expeditionen.
2. MALEREI
Wir wollen uns heute der Malerei zu wenden, in ihre Techniken und
Anwendungsbereiche einführen.
Zur Malerei gehört die Zeichnung. Sie kann als Vorzeichnung der Malerei zugrunde
liegen, von ihr überdeckt werden. Aber sie kann auch selbständig bleiben. Die
frühesten Zeichnungen mit dem Finger in den Sand oder die Asche oder mit Blut auf
den Leib des besiegten Feindes sind nicht erhalten. Um Zeichnungen Dauer zu
verleihen brauchen wir Zeichenmittel, einen spitzen Stein, ein Stück Kohle oder einen
Bleistift und einen Zeichengrund eine geeignete Fläche, einen größeren Knochen,
eine Felswand oder ein Blatt Papier. (Dia Dürer, Michelangelo) MB war Bildhauer.
Diese haben eine andere Sichtweise und Zeichnungsweise als Maler. Sie
interessieren sich weniger für farbliche und flächige Zusammenhänge, als für
plastische Werte, die Rundung, die Kanten, das Vor und Zurück im Raum. Die
anatomische Zeichnung von Leonardo da Vinci weist auf den typisch westlichen,
neuzeitlichen Zusammenhang von Naturwissenschaft und Kunst, hier Medizin,
Anatomie und Malerei, der menschliche Körper betrachtet als Agreggat seiner Teile.
Zeichnung kann so wohl Vorstudie wie Erinnerung, Geschenk und Sammelobjekt
sein.
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Es ist ungerecht gegenüber den graphischen Künsten, wenn ich es bei diesen
Beispielen für heute bewenden lasse. Aber das weltweite Reich der Malerei ist so
ausgedehnt, daß wir es in der verbleibenden Zeit kaum durcheilen können. Zunächst
zum Wort und zum Malmittel. Die deutsche Berufsbezeichnung Maler kommt von
einem besonders kostspieligen und zeitaufwendigen Teil der Malmittelbereitung, dem
Verkleinern, Zerreiben, Malen von Erdbrocken, Steinen, Metallen, Kohlen und Rinden
zu einem mehlfeinen Pulver. Dieses Farbpulver heißt Pigment. Es muß mit einem
Klebstoff auf der Malfläche befestigt werden, auf ihr angebunden werden. Wir
nennen diesen Klebstoff Bindemittel. Heute kaufen wir fertige Farben, bei denen das
Pigment im Bindemittel bereits gelöst ist. Bis zur Entstehung der Farbindustrie in der
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Pigment und Bindemittel getrennt hergestellt und
aufbewahrt und erst im Malvorgang zusammengebracht. Als Bindemittel eignen sich
Blut, Eiweiß, Harze, Wachse, Öle, Leime, Erdölderivate und Kalk. Die Malerei mit
frischem Kalk wird Fresko genannt, die Malerei mit Eiweiß Tempera, sonst sprechen
wir je nach Bindemittel von Wachsmalerei, Ölmalerei usw. Für das Aufbringen von
Farbe und Bindemittel eignen sich die Finger und zusammengebundene Borsten, der
Pinsel, ein steinzeitliches Malmittel, das heute noch hergestellt und benützt wird. Im
20.Jahrhundert entstand als neues Malgerät die Sprühpistole.
Zum Bemalen eignen sich Flächen, die nackte Haut, die Felswand, die Mauer, der
Boden, die Decke, das Holzbrett oder eine zur Fläche aufgespannte Leinwand.
Wenn der Bildträger tragbar ist, sprechen wir von Tafelmalerei, sonst von
Wandmalerei, Deckenmalerei, Körperbemalung. Auch Möbel und Gefäße wurden als
Bildträger verwendet. Die Bildträger eignen sich auf unterschiedliche Weise für die
Bindemittel, so kommt die Freskotechnik mit Kalk in erster Linie auf Wänden und
Decken vor, während auf Holz Wachs, Öl und Harz zur Anwendung kamen.
Die ältesten erhaltenen Malereien sind die Deckenbilder und Wandbilder in den
Höhlen der Steinzeit seit dem 20. Jahrhundert vor Christus. Malerei wird also auch
nach ihrem Anbringungsort unterschieden, als Wand-, Decken-, Gefäß-, Buch-,
Möbel- oder Tafelmalerei. Nach ihrer Technik als Kalk-, Öl-, Harz- oder
Wachsmalerei, bzw. als Aquarell oder Tempera(Eiweiß) oder nach ihrer Funktion,
Altarbild, Votivbild, Illustration, oder nach ihren Inhalten Historienbild, Portrait,
Stilleben, Genre, Landschaft. Nicht alle Arten gibt es auf der ganzen Welt, aber die
genannten in Europa seit der Antike. Die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer ist
nach ihrem Träger ein Tafelbild, nach ihrem Bestimmungsort ein Galeriebild, nach
ihrem Inhalt ein Historienbild, ihre Technik wird als Mischtechnik (Öl und Harz als
Bindemittel) angegeben.
Elemente der Malerei sind Hell/Dunkel; Linie/Fläche; geschlossene Form/ offene
Form; oben/unten; rechts/links; geometrisch/organisch; spitz/rund
Kühles Blau der fernen Inseln und Berge, der Sehnsucht
Aufdringliches Gelb der Nähe, der Zitrone, der Aufmerksamkeit
Dazwischen das sanfte Grün der Gräser, Blätter, Tannen und Kakteen
Das kräftige Rot des Feuers, der Wärme, der Liebe
Das pelzwarme Braun etc.
Alle Farben sind mit klimatisch und kulturell bedingten Erinnerungen an
Gegenstände und Lebewesen und dadurch mit Gefühlen verbunden.
Lit: Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, 1916; Wassily Kandinski,
Das Geistige in der Kunst, 1912; Paul Klee, Bauhausschriften u.a.
Die Beschäftigung mit Malerei steigert unsere Farbensinn, unsere optische
Wahrnehmung und damit die Lebensintensität.
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Albrecht Dürer, Selbstbildnis mit 20
Jahren
Federzg. auf Papier,1491,
204x208mm,Erlangen
Leonardo da Vinci, Studien, 1510
Windsor Castle,
Attische Strickhenkel-Amphora,
Suessula-Maler,
um 390 v. Chr., Paris, Louvre
Wisent, Felsmalerei, Höhle Altamira bei
Santillana,
um 13000 v. Chr.
Casa dei Vettii, Ixionszimmer, Pompeji,
70/79 n. Chr.
Gott und Musikantin, Fresco-Höhle in
Oizil, Ost-Turkistan, 600-650, heute
Berlin
Mutter des Jakobus und Johannes,
Sant’Angelo in Formis, Capua, 10721087, Fresko
Annibale Carracci, Galleria Farnese im
Palazzo Farnese, Rom, 1597-1604,
Deckenfresko
Prager Meister, Sechstagewerk, sog.
Korczek-Bibel, um 1405 Wien,
Buchmalerei
Miniatur aus Madhya oder Uttar Pradés,
Laur und Canda, um 1550/75, Manclort
Albrecht Altdorfer, Alexanderschlacht,
1529, München, Alte Pinakothek,
Historienbild auf Holz
Cimabue, Thronende Madonna, um 1280
Florenz, S. Trinita, Altarbild, Holz
Frans Hals, Mann mit Schlapphut,
um 1660/66, Kassel, Staatl.
Kunstsammlungen
Nicolas Poussin, Selbstbildnis, 1650
Paris, Louvre
Su Han-ch’ên, Dame am Frisiertisch, 1.
Hälfte 12. Jh.
Boston, Museum of Fine Art
Velàzquez, Die Spinnerinnen, 1650,
Madrid, Prado
Genrebild + Historeinbild auf Lwd.
Jean François Millet, Ährenleserinnen,
1857
Paris, Genrebild
J.B.S. Chardin, Stilleben mit Rauch- und
Albrecht Dürer, Bildnis seiner Mutter,
1514
Kohlezg. auf Papier, 491x303 mm, Berlin.
Michelangelo, Auferstehung, Windsor
Royal Library
Meefahrt des Dionysos, Schale, um 530
v. Chr., München, Antikensammlung
Alexandermosaik ursprünglich aus
Pompeji, nach einem griech. Vorbild von
317/15 v. Chr.
Neapel, Museum Capodimonte
Asparus Blumen streuend, Siyirayon
Ceylon, 5. Jh.
Maria mit Engeln und Heiligen, Basilika
des Euphrasius, Poreč, Mitte 6.
Jh.,Fresko
Paul Troger, Apotheose Karls VI., Stift
Göttweig, 1739
Deckenfresko über dem Stiegenhaus
Evangeliar des Erzbischof Ebo,
Evangelist Matthäus, Hautvillers (Reims),
vor 835, Epernay, Buchmalerei
Govardhas, Fürst von Suler, Miniatur, um
1750 Allahabad
Eugène Delacroix, Clorinde befreit Olindo
und Sofronia, 1855/56, München,
Historienbild auf Lwd.
Velàzquez, Infant Philipp Prosper, 1659
Wien, Kunsthistorisches Museum, Portrait
auf Lwd.
Jan Vermeer van Delft, Mädchenbildnis,
1660/70
Den Haag, Mauritshuis
Jan van Eyck, Arnolfini-Hochzeit,
1434,London, National Gallery,
Portrait,Gedenkbild auf Holz
Jean-Honoré Fragonard, Das neue
Modell,
um 1768/70, Paris, Louvre
Honoré Daumier, Wäscherin, um 1863
Paris, Genrebild auf Lwd.
Peter Paul Rubens, Landschaft mit
Philemon und Baucis, um 1630/35
Wien, Kunsthistorisches Museum
Anonym, Winterlandschaft, 12./13. Jh.
10
Trinkutensilien, um 1760/63
Paris, Louvre
Hubert Robert, Abbruch der Häuser auf
der Pont-au-Change, 1788, München,
Neue Pinakothek
Claude Monet, Die Kathedrale von
Rouen, 1894, Paris
Franz Marc, Die kleinen gelben Pferde,
1912
Stuttgart, Staatsgalerie
Kyoto, Tuschmalerei auf Papier
Caspar David Friedrich, Einsamer Baum,
1823
Berlin
Picasso, Demoiselles d’Avignon, 1907
New York, Museum of Modern Art
Barnett Newmann, Who’s afraid of red,
yellow and blue III., 1966, Amsterdam,
Stedelijk Museum
3. SKULPTUR UND PLASTIK
Während wir letzte Woche die Entfaltung von Zeichnung und Malerei auf Flächen
besprochen haben, geht es heute um körperhafte, tastbare Gebilde. Sie werden
Skulptur oder Plastik genannt. Das erste Wort kommt aus dem Lateinischen, von
sculptere schneiden, schnitzen und meint ein greifbares Gebilde, das entstanden ist
durch die Entfernung von Materie mit dem Meißel, Hohleisen, Schnitzmesser.
Dia Venus von Willendorf, Arme und Hände sind kaum spürbar, an der Schulter war
noch Material vorhanden, aus dem heraus der Oberarm geschlagen werden konnte,
über den Brüsten nicht mehr, darum Unterarm und Hände verkümmert. Der
Bedeutungsmaßstab, von dem ich das letztemal sprach, läßt sich somit auch
technologisch erklären, durch die „forza di levare“ , wie es Michelangelo nennt, die
Kraft des Wegnehmens.
Der Skulptor „findet“ sein Werk im Marmorblock, oder im Baumstamm oder im
Stoßzahn des Elefanten.
Ganz anders der Plastiker, das Wort von griechisch plazein=bilden, formen. Er baut
aus weichem, mit den Händen formbaren Material sein Werk auf.
(Dia Venus von Vestonice (Prestel S 12)die zweite Figur enstand im Gravettien
zwischen 25 000 und 18000 v.Chr.) Durch das plastische Formen einer feuchten
Tonerde, ohne Werkzeug wurde die weiche Masse zwischen Handflächen und
Fingern geformt. Bei ihr hätte man Arme hinzufügen können, ein Vorgang der bei
Skulptur im strengen Sinn unmöglich ist. Materialien, die sich für das plastische
Modellieren eignen, sind Ton, Wachs, Gips, aber auch Schnee, nasser Sand, Teig.
Alle diese Materialien bedürfen der Härtung damit sie stabil bleiben. Dies erreicht
man beim Ton durch Brennen, bei Gips durch Trocknung oder durch Ersatz des
Materials durch flüssige Metalle. Metallguß. Metallbildwerke sind immer Plastik, nie
Skulptur.
Durch ihren fühlbaren Körper eignen sich Skulpturen und Plastiken mehr zur
Verkörperung als gemalte oder gezeichnete Bilder. Sie spielen deshalb in Kult
(Kultbild + Kultbildverbot in Israel), Politik (Denkmal) und Totenkult (Grabmal) eine
besondere Rolle. Skulpturen und Plastiken können entweder materialsichtig sein:
das Holz, der Stein bildet in seiner Materialität die Oberfläche oder farbig behandelt.
Die Farbigkeit kann ein- oder mehrfarbig, monochrom oder polychrom angelegt sein.
Sie kann das Grundmaterial ganz verdecken; in diesem Fall sprechen wir von
monochromer oder polychromer Farbfassung. Oder sie kann nur Teile (Lippen,
Augen, Gewandpartien) akzentuieren; das nennen wir dann eine Teilfassung. Nicht
zu verwechseln mit der Fassung ist der Anstrich, ein laienhaftes Wort für eine nicht
kunstgerechte farbige Behandlung.
11
Skulpturen, die Teil von Gebäuden sind, nennen wir Bauplastik. Die Auszeichnung
vor allem von Portalen und Altären durch Werke des Bildhauers, in der Regel in
Stein, gehört zu den ältesten Aufgaben der Skulptur auf der ganzen Welt. Sie deutet
die Funktion des Gebäudes, bereitet den Besucher vor, auf den Gottesdienst oder
die Audienz beim König.
Wie überall gibt es Grenzüberschreitungen. Der Schutzengel von Ignaz Günther ist
zwar ein Werk der Holzskulptur. Aber er wurde nicht in einem Baumstamm gefunden,
sondern greift mit seinen Armen und Flügeln weit über den Umfang eines
gewachsenen Holzes hinaus. Hier sind die einzelnen Teile aus Holz geschnitzt und
zusammengesetzt, die Gesamtform aber über die Bildhauerzeichnung und das
plastische Modell (Ton oder Wachs) entwickelt.
Elemente des Plastischen sind: Groß/klein; Vor/zurück; Konvex/Konkav(=
Wölbung/Mulde); Licht/Schatten; Rauh/Glatt; Hart/weich; Kante/Kurve; Schwer/leicht;
Dazu die farbigen Wirkungen als Materialfarbe: Marmor weiß, rot, grün; Holz von
Ahorn über Kirsche bis Nuß; Gold, Silber, Bronze etc. auch Materialkombinationen
oder Farbfassung.
Wir nehmen Plastik mit den Augen wahr, verbinden diese optische Wahrnehmung
aber mit Gefühlen, Tasterlebnissen, die wir als kleine Kinder hatten, als wir sehen
und gehen lernten.
Rinder an der Tränke, Felsgravierung,
5./4. Jahrtausend v. Chr.
Terarart b. Djanet, Süd/Ost-Algerien
Sog. Venus von Willendorf, 23000 v.
Chr.
Wien, Kunsthistorisches Museum
Abu Simbel, Felstempel Ramses II.,
Ansicht von Osten, 19. Dynastie, 12901224 v. Chr.
Chartres, Skulpturen, um 1145
Steinzaun des Stūpa von Bharhut,
125-75 v. Chr., Kalkutta
Gero-Kruzifix, um 970
Kölner Dom
Venus von Wisternitz, um 23000 v. Chr.
Brünn
Krieger, attisch, Ende 8./Anfang 7. Jh. v.
Chr.
Heute Athen, Akropolismuseum
Poseidon , um 460/450 v. Chr. (Detail)
Athen
Ludwig von Schwanthaler, Bavaria,
Melkszene, Sarkophag der Prinzessin
Kawit
11. Dynastie, ca. 2040 v. Chr. Steinrelief
aus Dêr el-Bahari, heute Kairo
Nike, eine Sandale lösend, ehem. An der
Balustrade des Niketempels auf der
Akropolis,,410/400 v. Chr.
heute Athen, Akropolismuseum
Chartres, West-Portal (Portal Royal), 12.
Jh.
Naumburg, Stifterfiguren Ekkehard und
Uta
um 1250
Giovanni Bologna, Der Apennin, um 1580
Florenz, Villa Pratolino-Demidoff
Aitu Bale???
Kruzifix, um 1300
Therr, Krs. Bergheim
Franz Anton Bustelli, 18. Jh.
Nymphenburger Porzellan
Poseidon , um 460/450 v. Chr.
Athen, Bronzeguß, Kultbild
Afrikanischer Kopf,
Benin, Bronzeguß, Denkmal,
München, Museum für Völkerkunde
Frédéric Auguste Bartholdi,
12
1837/48
München, Theresienhöhe, Bronzeguß,
Denkmal
Fritz König, Flora, 1970, Bronzeguß
Mehrere Fassungen, u.a.
Weihenstephan
Schreiberfigur aus Saqqâra, 5. Dynastie,
ca. 2400 v. Chr.,Steinskulptur mit
Farbfassung,Grabmal, Kairo
Muttergottes mit Kind, um 1200
Rom, Holzfigur mit farbiger Fassung,
Altar
Niki de Saint Phalle, Schwarze Nana,
1968/69, Polyester, Köln
Freiheitsstatue, 1871/84
New York, Kupfertreibarbeit, Denkmal
Fritz König, Mahnmal der BRD in
Mauthausen, 1982,
Eisen (Cortenstahl)
Fritz König, Mahnmal der BRD in
Mauthausen, 1982 (Detail)
Madonna, um 1300; Steinskulptur mit
Farbfassung, Bauplastik am Chorpfeiler
des Kölner Domes
Franz Ignaz Günther, SchutzengelGruppe, 1763
München, Bürgersaalkirche, Holzskulptur
mit Farbfassung
4. BAUEN UND BAUKUNST
Damit ist ein Unterschied angedeutet. Wir sprechen vom Fuchsbau und meinen
damit eine Erdhöhle mit verschiedenen Ausgängen; der Bau des Bibers ist eine
Holzkonstruktion im Wasser, deren Zugänge unterhalb der Wasseroberfläche liegen,
die Nester vieler Vögel sind Geflechte aus Fasern, Federn und Haaren, die
Schwalben aber auch die Termiten bauen mit Erde, Holzmehl und Körperflüssigkeit
zementharte Gebilde. Dies alles ist Bau, kann aber nach Immanuel Kant nicht Kunst
sein, weil Freiheit und Vernunft fehlt. Leider gibt es auch viele von Menschen
errichtete Bauten, denen Freiheit und Vernunft fehlt. Dies gilt für einen Großteil
unserer Gewerbebauten, für die Mehrzahl unserer Wohnsiedlungen, aber es gibt
eben auch Bauten, die durch ihre Erscheinung die tiefsten Interessen des Menschen,
die umfassendsten Wahrheiten des Geistes aussprechen. Diese Baukunst
bezeichnen wir mit dem griechischen Wort als Architektur von Arche der Anfang und
Tektein Fügen Zimmern. Wir beginnen diese Annäherung an die Weltarchitektur, wie
immer mit den Materialien und dann mit den Zwecken und Formen.
Holzbau,
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde in Westeuropa darüber debattiert ob die ersten
Menschen in einer Hütte oder in einer Höhle gewohnt haben. Höhle und Hütte
verhalten sich wie Skulptur und Plastik, das eine wird gehöhlt aus Erde und Fels, das
andere gefügt aus Holz, Rinden und Blättern. Von der Höhle kann man den
Mauerbau ableiten und das Gewölbe, von der Hütte den Skelettbau, das Dach und
die Säulen. Holz ist wie Sie wissen ein organischer Werkstoff, der in zahlreichen
Pflanzen durch Verhärtung der Zellwände, das sogenannte Dendrin, entsteht. Für die
Zwecke des Bauens kommt in erster Linie das Holz von Baumstämmen in Frage. Es
wird als runder Stamm, als Rundling, verwendet, als gebeilter oder gesägter Balken,
als Bohle, Brett oder Brettchen auch Schindel genannt. Das Holz von Sträuchern
und Ästen reicht nur zum Bau von Zäunen und Verhauen. Allen Hölzern gemeinsam
13
ist, daß sie auf Druck und Zug gleichmäßig belastbar sind und daß sie durch Wasser
und Feuer gleichermaßen gefährdet sind. Dabei gibt es zwischen den einzelnen
Hölzern große Unterschiede in Gewicht und Festigkeit. In unseren Breiten liefert die
Eiche das härteste, beständigste Holz. Es wird deshalb für Bauteile, die stark
beansprucht werden, z.B. Dachbalken und Türschwellen verwendet. Das weicheste
unserer Hölzer liefert die Fichte, ihr Holz wird deshalb vor allem im Innenausbau und
wenn man sparen muß, verwendet. Alle Holzarten sind hygroskopisch. Sie nehmen
Feuchtigkeit aus der Luft auf und geben sie bei Trockenheit wieder ab, dabei ändern
sie ihr Volumen. Darum muß Holz so verarbeitet werden, daß es Spielräume zum
Arbeiten hat. Nur unter Einsatz von Hitze und Chemie kann man seit 100 Jahren aus
Holzteilen Werkstücke von beliebiger Größe fertigen, die ihr Volumen nicht mehr
ändern, Sperrholz, Spanplatte, Leimbinder und anderes. Bis dahin hatte jede
Holzarchitektur ihre Maßstäblichkeit durch die Länge und Breite der zur Verfügung
stehenden Baumstämme. Beispiele
Steinbau, Mauer, Gewölbe, Turm, Bauplastik, Farbigkeit
Hölzer werden zu Gebinden gefügt, Steine zu Mauern auf einander geschichtet. Die
ursprünglichste Bauform verwendet die Steine, so wie man sie findet, in
verschiedenen Größen und Formen, dann sprechen wir vom Feldsteinbau. Weil
Steine verschiedener Form und Größe nicht fest aufeinander gelegt werden können,
müssen Feldsteinmauern sehr dick sein. Sie sind eher geformte Steinhaufen. Wenn
Steine zu Würfelformen behauen werden, kann man sie mit ebenen Flächen
aufeinander legen. Diese behauenen Steine werden aus Steinbrüchen möglichst in
der Nähe der Baustelle gebrochen, heute mit Dynamit früher mit quellenden Hölzern.
Zum behauen verwendet man heute Werkzeuge aus Stahl, früher aus härteren
Steinen. Mit Obsidian kann man z.B. Kalkstein behauen. Die zu Würfelform
behauenen Steine werden auch Quader genannt. Quadermauern brauchen eine
geringere Grundfläche als Feldsteinmauern. Ihre Glätte leitet Wasser schneller ab
und erschwert das Besteigen. Darüber hinaus wirkt die Quadermauer in ihrer
regelmäßig gefugten Glätte künstlich; sie setzt sich als Bauwerk in der Natur
gegenüber Fels und Hügel ab. Die Stabilität der Mauer ist in erster Linie durch ihr
Gewicht verbürgt. Bei hohen und mehrgeschoßigen Bauwerken wird dies zum
Problem. Im Prinzip kann man nur senkrecht mauern, eben Stein auf Stein legen.
Wenn ein Gebäude eine waagrechte Decke erhalten soll, muß man zu Holz (später
zu Stahl) greifen, das große Spannweiten überbrücken kann. Vor 4000 Jahren wurde
im alten Iran eine Mauertechnik entwickelt, die Steine in Kreisbogen vermauert, das
sogenannte Gewölbe. Es taucht zum erstenmal im Grabbau auf. Es hält weil alle
Steine zu gleich fallen wollen und sich gegenseitig behindern. Das Gewölbe ist ein
Bild des Himmels, den alle Menschen auf Grund seiner Farbverschiebung vom
Zenith zum Horizont und wegen der scheinbar kreisförmigen Bahn der Gestirne als
gewölbt empfinden. Sprachgeschichtlich geht das lateinische Wort für Himmel
caelum, celo, ciel auf ein indogermanisches Wort für Höhle zurück. Die Menschen
fühlen sich unterhalb des Himmels in einer Höhle geborgen. Das deutsche Wort
Himmel geht auf das indogermanische Wort hem zurück, das wir im Hemd noch
haben. Hem heißt bedecken. Der Himmel bedeckt die Erde. Ein Bild davon ist das
Gewölbe, das eine bedeckende Höhle für den Menschen ausbildet. Im Gegensatz zu
Holzdecken sind Gewölbe feuerfest. Weil die Steine im Gewölbebogen verkeilt sind,
üben sie einen Druck nach den Seiten aus, den man entweder durch die
Mauerstärke, Auflager oder Stützen auffangen muß. Die Statik eines Gewölbes zu
berechnen, ist seit Isaac Newton möglich und seit dem 19. Jahrhundert üblich. Alle
14
älteren Gewölbe wurden aus dem geschulten Gefühl, der Erfahrung der Baumeister
und Steinmetzen für die Belastbarkeit ihrer Verbindungen errichtet.
Steine können auch zu höheren Gebilden als es Häuser sind aufgeschichtet werden.
Dann entsteht der Turm. Türme können neben Gebäuden stehen, wie das Minarett in
Samarra oder in Gebäude einbezogen werden wie am Kölner Dom oder der
Wallfahrtsmoschee in Qum im Iran. Türme haben vielfältige Funktionen: sie dienen
der Aussicht, zum Gebetsruf, oder zum Aufhängen von Glocken. Seit der Erfindung
von Aufzügen dienen sie auch zum Übereinanderstapeln von Büroräumen. Nach
Größe und Zahl weisen sie aber in der Regel über diese Funktionen hinaus, als
optisches Signal im Städtebau, als Hinweis auf Macht und Ziele des Bauherrn.
Backsteinbau, Vom Bau aus im Steinbruch aus Felswänden gebrochenen Steinen
unterscheiden wir den Bau aus gebackenen Steinen. Bestimmte lehmige
Bodensorten eignen sich dafür mit Wasser zu einem Brei angerührt, geformt und
dann gebrannt zu werden. Dabei werden sie so hart wie die meisten
Natursteinsorten. Um Gewicht zu sparen, das Volumen und die Wärmeisolierung zu
erhöhen, werden seit dem 20. Jahrhundert Backsteine auch hohl gebrannt. Ältere
Backsteine sind immer massiv. In Afrika, Asien und Amerika hat man Lehmziegel
auch ohne Brand, nur luftgetrocknet, verbaut. Diese Lehmarchitektur kann in
trockenen Klimazonen auch einige Generationen überleben.
Im 19. Jahrhundert wurden neue Baumaterialien entwickelt, Gußeisen, Glas und
Beton, die neue Bauformen hervorbrachten. Eisen ist wie Holz auf Zug belastbar,
formbar und verbindet ein geringes Volumen mit großer Festigkeit, aber steter
Gefährdung durch Korrosion. Beton erlaubt glatte, wasserabweisende Flächen und
Kurvierungen, die über das in Backstein mögliche hinausgehen.
Holzverbindungen
London, Haus am High Holborn, 16. Jh.
Straßburg, Kammerzellsches Haus, 1589 Miltenberg a./Main, Marktplatz mit
Rathaus, um 1500
Kizi (Karelien), Dach der Kirche Christi
Borgund, Stabkirche, um 1150
Verklärung, 1714
Nanzenji, Garten der Abtwohnung,
Yokohama, Rinshunkaku, im ParkSankeiAnfang 17. Jh.
en, um 1600
Katsura, Kaiserliche Villa, Goten,
Innenräume, 1620/53
Enan (Mallaha), Emeq Hula, Israel, Abri
Stonehenge bei Salisbury Wilts, um 2000
62,
v. Chr.
um 9000 v. Chr.
El Tajin, Veracruz, Mexiko, sog.
Giza, Pyramidenfeld, 4. Dynastie, 2540Nischenpyramide Tajin V (klass.
2450 v. Chr.
Periode), 6. Jh. n.Chr.
Dachformen
Gewölbeformen
Athen, Akropolis, Parthenon, 447-438/32 Bhājā, Mahārāstra, Caitya und
v. Chr.
Klosterhöhlen, Ende 2. Jh. v. Chr.
Baia, sog. Merkurtempel, 1. Viertel 1. Jh. Jerusalem, Felsendom
n. Chr.
Bhuvanesvar, Orissa, Lingaraja-Tempel, Filippo Brunelleschi, Dom, Florenz, um
um 1000
1434
Damaskus, Tekke der Sultane
Dom, Florenz (Detail)
Süleymans und Selim II., begonnen 1554
15
Chartres, Notre Dame, Westfassade,
1134-nach 1194
SOM, John Hancock Center, Chicago,
1965/70
Rom, Kolosseum, flavisches
Amphitheater, 80 n. Chr.
Rom, Pantheon, 118-128 n. Chr.
Lübeck, Holstentor von Hinrich
Helmstede, 1466-78
Athen, Akropolis, Parthenon, 447-438/32
v. Chr.
Vaux-le-Vicomte bei Melun, André Le
Nostre, 1653/60
Jacques Schader, Kantonsschule
Freundenberg, Zürich, 1956/60
Jakob Prandtauer, Benediktinerstift Melk,
1701-1738
Stift Melk
Rom, Kolosseum, flavisches
Amphitheater, 80 n. Chr.
Istanbul, Hagia Sophia, um 535/560
Tangermünde, Rathaus von Hinrich
Brunsberg, um 1430
Monreale, Dom, 1174-1189
J.J.P. Oud, Siedlung Kiefhoek, Rotterdam
Jorn Utzon, Opernhaus Sydney, 1957/73
5. ALT-AMERIKA
Wir beginnen heute unseren Überblick über die geschichtliche Entfaltung der
Weltkunst mit der Neuen Welt, jenem Erdteil, den zwar Kolumbus als einer der ersten
Europäer besucht, den aber als Neuen Erdteil zwischen Europa und Asien Amerigo
Vespucci erkannt hat und der deshalb nach ihm benannt ist. Diese aus europäischer
Sicht Neue Welt wurde von steinzeitlichen Jägern und Sammlern von Asien aus
zwischen dem 10. und dem 2. Jahrtausend vor Christus besiedelt. Die Menschen
entfalteten verschiedenartige Kulturen, von der Stufe der Jäger und Sammler, über
Ackerbau, bis zu Städtebau und der Organisation von großen Reichen ohne weitere
Berührung mit den übrigen Erdteilen, während die Kulturen der Alten Welt alle
miteinander verflochten sind. Darum eignet sich die Kunst der Neuen Welt als
Einführung.
Die Hochkulturen Alt Amerikas entfalteten sich im Gegensatz zu den Flußtalkulturen
der Alten Welt in großen Höhenlagen, im Hochland von Mexiko und in den Anden.
Die Hauptstädte und Hauptdenkmäler liegen zwischen 2000 und 4000 m über dem
Meer. Wir beginnen mit der Kunst Mexikos.
Die epochale Tat des Menschen der amerikanischen Frühzeit war die Erfindung von
Mais, die Entwicklung aus einer grasartigen Pflanze zu einer der ergiebigsten
Nährfrüchte der Welt. Mit ihm wandelt sich die Bevölkerung vom nomadisierenden
Jäger zum seßhaften Bauern und zum Städtebauern. Dabei galt der Mais nicht als
menschliches Produkt sondern als Götterkraut, das vom Regengott Tlaloc, dem
Windgott Ehecatl, dem Sonnengott, der Mondgöttin und der Erdgöttin umhegt
werden muß. Dafür müssen die Götter ernährt werden und zwar täglich mit dem Blut
und den Herzen von Menschen. Die Götter arbeiten nicht zusammen sondern
gegeneinander: Wind gegen Regen, Sonne gegen Mond. Es kommt immer darauf
an, den im Augenblick wichtigen Gott zu kräftigen und günstig zu stimmen. Die
Künstler gehörten zu den Priestern, mußten bei der Herstellung von Götterbildern
Weihrauch verbrennen, fasten, ehelos leben, die Bildwerke mit ihrem Blut
16
besprengen. Im Hochland von Mexiko lebten verschiedene Stammesstaaten neben
einander, die von Zeit zu Zeit die anderen unterwarfen. Ich erwähne nur drei davon:
die letzten, die zur Zeit der spanischen Eroberung das Land beherrschten waren die
Azteken, davor die Mayas, (2.-13.Jh.)die dann auf die Halbinsel Yucatan auswichen,
und als erste die Olmeken in den Jahrhunderten vor und nach der Geburt Christi.
Die Bezeichnung Olmeken stammt von den Azteken und bedeutet, Bewohner der
Gummiregion, von ulli=Gummi der in der Golfregion bei Vera Cruz geerntet wurde.
Man weiß nicht ob es sich um einen Stamm oder mehrere handelt, jedenfalls bilden
sie die Mutterkultur des alten Mexiko. Ihre Kunstwerke lassen auf ihre Religion und
ein hochentwickeltes Staatswesen schließen: Pyramiden, Altäre( Priesterreligion),
Basaltköpfe.
Der Kopf von La Venta = Zylinder + Halbkugel. Nase, Augen, Lippen in
Zylinderoberfläche eingetieft.
Architektur geometrisch geordnet. Göttermorgenröte.
Tolteken bauen Teotihuacan III Altar des Regengottes, Sonnenpyramide,
Mondpyramide
Maya 2-13 Jh. hochentwickelte Astronomie und Mathematik. Erfinden 0, dargestellt
durch Schneckenhaus als Symbol der Fruchtbarkeit. König stammt von Göttern ab.
Architektur rechtwinklig geordnet, ohne Bogen und Wölbung. Stelen stellen Priester
und Könige dar, nicht Götter wie bei Olmeken und Azteken.
Azteken erobern um 1250 Mexiko. Barbarisches, junges, energisches Volk.
Erdgöttin Coatliene alles gebärend, alles verschlingend. Cortez wird als Befreier vom
Joch der Azteken begrüßt.
Inka Reich im Hochland der Anden in 3600 m Höhe, 3200 km lang, 160-320 km breit,
Hauptstadt seit 1200 Cuzco, durch Straßensystem mit Treppen mit dem ganzen
Land verbunden. Aristokratische Monarchie, 1525 stirbt der Inka Huanapac, seine
Söhne Huascan und Atahualpa streiten um Herrschaft bis Pizarro kommt 1533.
Als Hochlandkultur verwandt mit Tibet. Metallverarbeitung seit 900 bekannt. Mais aus
Mexiko eingeführt. Ananas, Tomaten, Tabak, Koka, Lama und Truthahn. Jade, wie in
China, wertvoller als Gold.
Inka architektur übersteht Erdbeben, welche die spanische Kolonialarchitektur
zerstört.
Außerdem im Amerika, Kulturen des Eskimos und der Amazonasindianer: Jäger und
Sammler. Halbnomadische Ackerbau und Jägerkulturen in Nordamerika.
Pueblokulturen.
Teotihuacán, Estado de México, um 150
n. Chr. und um 450/550 n. Chr.
Patio de los Altares und große Pyramide,
Cholula, Puebla, Mexiko, um 150-750 n.
Chr.
Kolossalkopf, San Lorenzo Veracruz,
Mexiko, um 1200/600 v Chr., Jalapa
Tikal, Guatemala, um 200 v-900 n. Chr.
Thatelolca, Mexiko, Zeremonialzentrum,
aztekische Kultur, um 1325/1521 n. Chr.
Weibliche Figur, La Venta, Tabasco,
Mexiko, um 1200/600 v. Chr., México,
Museo Nacional
Krieger, Tula, Hidalgo, Mexiko, um
900/1150 n. Chr.
Maske, Malinaltepec Guerrero, Mexiko,
um 550/1050 n. Chr., México, Museo
Nacional
Tänzer, Wandmalerei Bonampak,
Männliche Figur aus Colima, Mexiko, um
Chiapas, Mexiko, um 800 n. Chr., Cuidad 100 v. Chr.-200/300 n. Chr., Hamburg,
17
de Guatemala, Museo Nacional
Weibliche Figur aus der Umgebung von
Tequilita, Santiago Compostela, Mexiko,
um 100 n. Chr., Tepic, Museo Nacional
Erdgöttin, Tenochtitlán, Mexiko, México,
Museo Nacional
Luzco, Peru, Palastmauer, Inka-Stil
Obergewand aus dem Nazca-Gebiet,
Peru, Inka-Provinz-Stil, Toronto, Royal
Ontario Museum
Museum für Völkerkunde
Schlange, um 1500 v. Chr., London,
British Museum
Machu Picchu, Luzco, Peru, Inka-Stil
Gewand, Inka-Stil, Madrid, Museo de
America
Mesopotamien (Zweistromland), Karte
6. ALTER ORIENT
Vom Mittelmeer bis zum Kaspischen Meer und zum Indischen Ozean: Heute
Libanon, Palästina, Israel, Jordanien, Syrien, Irak(Mesopotamien: Ur, Sumer, Akkad,
Assur, Babylon), Iran(Persien), Afghanistan,
Türkei (Anatolien, Hethiter) Hochkulturen von 3000-333 v. Chr.
Jericho älteste Stadt der Welt steinzeitlich, Wohngebäude aus Lehmziegeln
kreisrund, vermutlich in Nachbildung von Nomadenzelten, Stadtmauer, 5.
Jahrtausend, später Rechteckhäuser mit Glanzstuck.
Tote unter Fußboden bestattet, Gesichter in Gips gebildet. Glauben an Weiterleben
nach dem Tode
Zeittafel:
3000 Dschemdet Nasr Zeit, Tempelbau, Keilschrift; davor Uruk und Jericho
2600 Frühsumerisch: Ur, Lagasch, Troja Priesterkönige, Stadtstaaten
2350 Herrschaft von Akkad: Semitischer König der vier Weltgegenden, Sargon I.
2050 Neusumerisch
1830 Erste Dynastie von Babylon (Hammurabi) + Altassyrisches Reich
1531 Hethiter (Indoeuropäer)
1469 Ausdehnung des ägyptischen Reichs bis zum Euphrat
1000 Königreich Israel
930 Neuassyrisches Reich
600-333 Meder und Perser, Achaemeniden, Ausdehnung des Reichs bis zum Nil
(Kyros,Dareios,Xerxes)
Grundzüge der Religion: Stadtgott (Assur bzw. Marduk) Götterpaar EL und Inanna
(Astarte) Söhne Baal und Moth, Tendenz zur Astralisierung der Götter, Astronomie
und Astrologie, König herrscht im Auftrag Gottes,
Parsismus: (Zarathustra) Dualismus Gut/Ahura Mazda-Böse/Ahriman
Aus der Keilschrift (2000 Bildzeichen) entwickelt sich Buchstabenschrift (22
Konsonanten) in Phönizien,
Kennzeichen altoreintalischer Kunst: Zikkurat(Stufentempel), Mischwesen (Drache,
Flügelstier), Betonung von Kraft und Unterwerfung, Jagd und Krieg
Zur Einführung zeige ich als erstes eine Flugaufnahme aus Persien, eine von
Gebirgen umschlossene Wüste, in der ein Pardisu, und dann Wüstenbewohner, den
Nomadenstamm der Kashgai, mit ihren Zelten und Herden.
Im Süden erheben sich aus der Wüste Säulen und Wandstücke, Tür und
Fensterpfeiler, des Palastes von Persepolis, errichtet von Darius und Xerxes im 5.
Jahrhundert, ausgegraben seit 1930.
18
Bagh-i-Shah (Garten des Königs) bei
Mahan im Iran, Ende 18. Jh.
Ansichten von Persepolis (Iran),
Terrassen- und Treppenanlagen,
Überreste repräsentativer Bauten,
Reliefs, Nomadenzelte der Kashgai 1964
Widder mit Lebensbaum aus den
Königsgräbern von Ur, 1. Hälfte 3. Jhtsd.
V. Chr., London, British Museum
Weibliche Figur aus Nippur (Irak), um
2600 v. Chr., Bagdad, Iraq Museum
Codex Hammurabi aus Sura (Iran),
altbabylonisch zw. 1761/1750 v. Chr.,
Paris, Louvre
Becher aus der Region des SafidFlusses, um 1250/1000 v. Chr., New
York, Metropolitan Museum
v Klangkasten einer Leier, Ur (Irak), um
2550. Chr., Philadelphia, University
Museum
Babylon (Irak), Löwe, spätbabylonisch
605-562 v. Chr. (Zeit des Nebukadnezar
II.), Paris, Louvre
Babylon (Irak), Hoffassade des
Thronsaales, spätbabylonisch 605-562 v.
Chr., Berlin, Vorderasiatisches Museum
Ansichten von Persepolis (Iran),
Terrassen- und Treppenanlagen,
Überreste repräsentativer Bauten,
Reliefs, Nomadenzelte der Kashgai 1964
Ur im heutigen Irak, Zikkurat,
neusumerisch, um 2100v. Chr.
Ebih-il aus Mari, Syrien, um 2600/2500 v.
Chr., Alabaster, Paris, Louvre
Männliche Figur, neusumerisch, um
2150/2100 v. Chr. London, British
Museum
Helm des Meskalamdug, Ur (Irak), um
2550 v. Chr., Bagdad, Iraq Museum
Klangkasten einer Leier, Ur (Irak), nach
2600 v. Chr., London, British Museum
Sargon II. aus Dūr-Sarrukin (Horsābād,
Irak), neuassyrisch 721-705 v. Chr.,
Alabaster, Turin, Museo di Antichità
Genius aus Kalah, Nimrud (Irak),
neuassyrisch, um 883-859 v. Chr.,
London, British Museum
Schlacht am Ulai, Ninive (Irak),
neuassyrisch, um 650 v. Chr., London,
British Museum
7. ÄGYPTISCHE KUNST
Die Geschichte Ägyptens beginnt am 17. Juli des Jahres 2773. Es ist der Tag, an
dem der Hundsstern (Sirius) aufgeht und der Nil über seine Ufer tritt. In dieser Nacht
war Vollmond und darum eignete sich dieser Tag zur Einführung eines Kalenders,
der auf jahrhundertelange Beobachtungen, Berechnungen und einen hohen
Organisationsgrad in einem entwickelten Staatswesen zurückgeht. Mit diesem Datum
kann man auch die Hieroglyphenschrift verbinden, die Vereinbarung bestimmte
Bildzeichen mit festen Bedeutungen zu verbinden. Die Bilderschrift wurde von
berufsmäßigen Schreibern in königlichem Auftrag (Dia) entwickelt, als Beschreibstoff
dienten Felswände und Steindenkmäler, dafür mußte die Schrift vom Steinmetz nach
Vorlagen des Schreibers mit dem Meißel ausgehauen, vor allem diese
19
monumentalen Schriftdenkmäler haben überlebt. Während das, was auf dem
alltäglichen Beschreibstoff, den ausgerollten Fasern der Papyrusstaude geschrieben
wurde, verloren ist. Die Lebensdauer eines Papyrus beträgt normalerweise 100 bis
200 Jahre, danach zerfällt er. Nur unter außergewöhnlichen klimatischen
Bedingungen haben sich einige Papyrusreste des Altertums erhalten.
Von dem Datum 17. Juli 2773 zählte der Priester Manetho zur Zeit des Königs
Ptolemäus II. nach unserer Zeitrechnung 280 v.Chr. 29 Herrschergeschlechter, die
sogenannten Dynastien, die als
Altes Reich bis 2263,
als Mittleres Reich von 2133-1680 und als Neues Reich
von 1580- 1085
gezählt werden. Daran schließt sich die Spätzeit bis zur Eroberung durch Alexander
332 an. Die Epoche bis zur Eroberung durch Caesar im Jahre 30 heißt nach der
Herrscherfamilie Ptolemäerzeit. Die fehlenden Zeiten zwischen den Reichen werden
als 1. und 2. Zwischenzeit bezeichnet und als Verfallszeiten negativ bewertet. Einer
ähnlichen Rechnung nach Dynastien über Jahrtausende hinweg werden wir bei der
Betrachtung der Kunst Chinas wieder begegnen, in kleinerem Maßstab auch in
Europa, wenn wir von Karolingischer, Ottonischer und Staufischer Kunst sprechen.
Die Entstehung des Königreichs am Nil hängt vermutlich mit einem Klimawechsel im
4. Jahrtausend v.Chr. zusammen. Damals breitete sich in Nordafrika die Wüste aus;
Elefanten, Giraffen, Nashörner, deren Anwesenheit in Nordafrika durch Felsbilder
und Knochenfunde belegt ist, wichen vor der sich bildenden Sahara nach Süden aus.
Nur das Niltal verband noch Zentralafrika mit dem Mittelmeer, durch eine immer
trockener werdende Landschaft. Die Menschen rückten zusammen und mußten
zwischen Überschwemmung und Trockenheit ihr Überleben organisieren. Durch
Dämme schützten sie sich vor Überschwemmungen, durch Staubecken wurde die
Fließgeschwindigkeit verringert, durch Kanäle das Wasser verteilt und so der
Lebensraum auf Kosten der Wüste vergrößert. Da die Fluten ungleich sind, nur drei
von zehn ausreichend, mußten Nahrungsmittelvorräte im ganzen Land angelegt
(wegen der Mäuse Katzen domestiziert) und diese verwaltet und verteilt werden.
Dies erzwang die Beobachtung der Jahreszeiten, der mit ihnen in Verbindung
stehenden Gestirne. Astronomie, Astrologie und Kalender entstanden, sowie Schrift
und Bürokratie.
Flüsse sind für die Bildung alter Staatswesen entscheidend geworden, insbesondere
im Zweistromland (Mesopotamien) zwischen Euphrat und Tigris und in den Tälern
von Indus, Nil und Huang Ho, dem Gelben Fluß. Aber kein Flußstaat hat sich so
lange gehalten wie Ägypten.
An der Spitze des Staatswesens stand der Pharao, der als Sohn des Re und Bild
Gottes verehrt wurde. An zweiter Stelle stand der Kanalgräber, an dritter der Wesir
als oberster Schreiber. Das Volk lebte monogam als Bauern, Hirten, Handwerker,
Schreiber (Beamte). Grund und Boden wurden als Eigentum des Pharao betrachtet.
Nahrungsgrundlage war Weizen und das aus Brot gesottene Bier (Mahlzeit heißt
ägyptisch „Brotbier“).Da Ägypten keine Rohstoffe hat, mußten diese von weit her
eingeführt werden: Bauholz vom Libanon, Obsidian vom Kaukasus, Metalle (Kupfer,
Eisen, Gold) aus Äthiopien, Arabien und Libyen. Als Haustiere wurden gehalten:
Schafe, Ziegen, Rinder, Esel, Katzen, Hunde und Enten, seit 1700 auch Pferde aus
Asien und später Dromedare aus Afrika.
Seit dem 4. Jahrtausend ist das Niltal von Wüsten umgeben. Zusammenschluß zu
einem Staat: Oberägypten (Theben) Unterägypten (Memphis, Delta) Konstanz des
Raumes, der Religion, der Staatsform, der Kunstformen über drei Jahrtausende, im
Gegensatz zum Alten Orient, China, Indien oder Europa.
20
Die ägyptische Religion kennt eine Vielzahl von Göttern und Göttinnen, (Re, Hathor,
Osiris, Isis, Horus, Ptah, Seth u.a.) die aus alten Ortsgöttern und Naturgottheiten im
Zuge der Vereinigung des Staates zu einem Pantheon vereinigt wurden. Der Glaube
an ein Fortleben der Seele nach dem Tode ist Basis der ägypt. Kultur. Die Seele
folgt dem Sonnenschiff, braucht aber etwas worauf sie sich niederlassen kann, die
Mumie und/oder das Bild des Toten und Gefährten und Gegenstände.
Kunst für das Jenseits: Eigentümliches Amalgam von Lebensnähe und Totenstarre.
Letztere vor allem in Mumien- und Sarkophagplastik. Lebensnähe in Relief, Malerei,
Holzschnitzerei. Feminine Qualitäten. Ehepaarbildnisse wie sonst nur noch bei den
Etruskern.
Hochentwickeltes Kunsthandwerk: Holz, Bronze, Gold, Elfenbein, Glas, Keramik
Altes Reich
2600- 2200 Cheops, Chephren, Mykerinos, (Pyramiden)
Mittleres Reich 2100-1800 Sesostris
Neues Reich
1600-745 Hatschepsut, Ramses, Amenophis IV.(Echnaton) Tut
ench Amun + 1350
Auszug Israels unter Moses
Spätzeit
745-332
(25.-30.Dynastie)
Ptolemäer
332-50
Stele mit roi-serpent, Paris Louvre, um
2700 v. Chr.
Palette en schiste, New York,
Metropolitan Museum of Art, um 2700 v.
Chr.
Halle der Sarkophage oder Goldene Halle
Saqqâra, Mastaba des Mereruka,
Kultanlage des Meri-Teti, 6. Dynastie um
2280 v. Chr.
Gîza, Pyramidenfeld, 4. Dynastie um
2540-2450 v. Chr.
Karnak, Tempelbezirk, Mittleres und
Neues Reich
Luxor, Amun-Mut-Chons-Tempel, innerer
Hof, 18. Dynastie 1403-1365 v. Chr.
Dêr el-Bahari, Tempel der Hatschepsut,
Hathor-Kapelle, Sistrumkapitell, 18.
Dynastie 1490-1468 v. Chr.
Sarg der Isetemheb aus Dêr el-Bahari,
21. Dynastie um 985-950 v. Chr., Kairo,
Archäologisches Museum
Mykérinos und Königin, Boston, Museum
of Fine Arts
Nofretete, 18. Dynastie, um 1360 v. Chr.,
Paris, Louvre
Karte Ägyptens
Ausgrabung in Assuan, altägyptischer
Steinbruch
Saqqâra, Grabbezirk des Djoser,
Stufenpyramide, 3. Dynastie um 2600 v.
Chr.
Saqqâra, Mastaba des Mereruka,
Pfeilerhalle, 6. Dynastie um 2280 v. Chr.
Schnitt durch eine Pyramide
Karnak, Amun-Tempel, Säulensaal, 19.
Dynastie 1302-1224 v. Chr.
Dêr el-Bahari, Terrassentempel der
Hatschepsut, 18. Dynastie 1490-1468 v.
Chr.
Arbeitersiedlung in Tell el-Amarna
Büste von Khéphren
Damen mit Dienerin, Wandmalerei
Statuette von Memy Sabou und seiner
Frau, New York, Metropolitan Museum of
Art
Relief mit Darstellung einer Hungersnot
Grabherr am Speisetisch, Relief aus
aus Saqqâra, Grab des Unas, 5. Dynastie Saqqâra, 3. Dynastie um 2600 v. Chr.,
um 2300 v. Chr.
Kairo Archäologisches Museum
21
Wildenten über Wasserpflanzen aus Tell
el-Amarna, 18. Dynastie um 1350 v. Chr.,
Berlin, Ägyptisches Museum
Büste einer Prinzessin aus Tell elAmarna, 18. Dynastie um 1350 v. Chr.,
Paris, Louvre
Nilpferd aus Mêr, 12. Dynastie um 1950
v. Chr., New York, Metropolitan Museum
Thronsessel mit Fußschemel des
Tutanchamun aus Theben, 18. Dynastie
1347 v. Chr., Kairo, Archäologisches
Museum
Sarkophag der Prinzessin Kawit mit
Melkszene aus Dêr el-Bahari, 11.
Dynastie 2040 v. Chr., Kairo,
Archäologisches Museum
Ushebti: Nubische Bogenschützen Asjut
um 2000 v. Chr., Kairo, Archäologisches
Museum; Vorführen des Viehs aus Dêr
el-Bahari, um 2040 v. Chr., Kairo
Archäologisches Museum
Ushebti: Ägyptische Weberei und
Tischlerei
Papyrusernte und Vieh, Szenen vom
Grab der Nefer und des Kahai, 5.
Dynastie um 2400 v. Chr.
Verwahrung der gefangenen Tauben,
Wandmalerei aus Saqqâra, 5. Dynastie
um 2310 v. Chr.
Sphinx des Amenopolis III., 18. Dynastie
um 1390 v. Chr., New York, Metropolitan
Museum
Isis mit Horusknaben, 26. Dynastie um 6.
Jh. v. Chr., Boston, Museum of Fine Arts
Opferträger, el-Berscha, 12. Dynastie um
1900 v. Chr., Boston, Museum of Fine
Arts; Pfluggespann, 12. Dynastie um
1850 v. Chr., London, Museum British
Museum
Ushebti: Bierbrauer aus Saqqâra, 5.
Dynastie um 2350 v. Chr., Kairo
Archäologisches Museum und Spielende
Kinder aus Giza, zeitgleich, Chicago,
Archäologisches Museum
8. GRIECHISCHE KUNST
Vorspiel in Kreta um 2000 und Mykene um 1600
Kunst einer zerklüfteten Welt aus Inseln und Halbinseln, zwischen Fels und Meer,
verbreitet seit dem 8 Jahrhundert zwischen Anatolien und Spanien, seit dem 3.
Jahrhundert im ganzen Mittelmeerraum östlich bis Indien.
Entdeckung der Beweglichkeit des Menschen, das natürliche, entspannte Stehen
des Zweibeiners (Kontrapost)
Erfindung von Politik, Philosophie und Theater
Minoische Kunst auf Kreta 2000-1600, Palast in Knossos
Mykenische Kunst 1600-1100 Mykene und Tiryns
Dorische Einwanderung
Geometrische Kunst 1100-700
Archaische Kunst 700-500 Tyrannis, Aristokratie, Kouroi
Klassische Kunst 500- 333
Strenger Stil: Abwehr der Perser (490/480) Demokratie, Tragödie
Bildhauer Kritios, Polyklet, Phidias, Kresilas.
Schöner Stil: Maler Zeuxis, Parrhasios, Architekten: Iktinos, Kallikrates, Bildhauer:
Praxiteles, Lysipp, Skopas,
Philosophie: Sokrates 469-399, Plato 427-347,Aristoteles 384-322
Mykene, Burg, sog. Löwentor, frühes 13.
Sog. Kleine Pariserin, Wandmalerei in
22
Jh.
Fischer, Wandmalerei aus Thera, um
1500 v. Chr., Athen, Nationalmuseum
Attisch-Reifgeometrische Amphora, Mitte
8. Jh., München, Staatl.
Antikensammlungen
Kore, Meister von Chios, letztes Viertel 6.
Jh. v. Chr., Athen, Akropolismuseum
Apoll von Belvedere, Replik einer
Bronzefigur des Leochares, um 330 v.
Chr., Vatikan
Gallierfürst, Kopie nach einer Bronzefigur
von 230/220 v. Chr., Rom,
Thermenmuseum
Athen, Akropolis von der Pnyx aus
gesehen
Delos, Häuser des 4. Jhs. v. Chr.
Athen, Hephaisteion, Mitte 5. Jh. v. Chr.
Athen, Akropolis mit Parthenon, Blick zur
Westtüre, 447-438/32 v. Chr.
Athen, Olympieion, 2. Jh. vor Chr. und
später
Knossos, Kreta, um 1500/1450 v. Chr.,
Herakleion, Archäologisches Museum
Totenmaske, Mykene, 16. Jh. v. Chr.,
Athen, Nationalmuseum
Sog. Eriphyle, Wandmalerei, Mykene, um
1450 v. Chr., Athen, Nationalmuseum
Zentren vorgeschichtlicher Kunst in
Europa (Karte)
Krieger, attisch, Ende 8. Jh./Anfang 7. Jh.
v. Chr., Athen, Nationalmuseum
Kouros, korinthisch, um 550 v. Chr.,
München Glyptothek
Apollon, Marmorreplik einer Bronze des
Phidias, um 450 v. Chr., Kassel Schloß
Wilhelmshöhe
Laokoon, 1. Jh. v. Chr., Vatikan
Delphi, Blick vom Theater auf das
Apollon-Heiligtum
Epidauros, Theater, Mitte 4. Jh. v. Chr.
Athen, Agora, Lageplan und Modell
Athen, Akropolis, Nike Tempel von Ost,
spätes 5. Jh. v. Chr.
Athen, Akropolis, Parthenon, 447-438/32
v. Chr.
Spätprotokorinthische Kanne, sog. Chigi- Frühkorinthischer Krater, Gastmahl des
Kanne, Aufmarsch der Hopliten um 640 v. Iphitos, Anfang 6. Jh. v. Chr., Paris,
Chr., Rom, Villa Giulia
Louvre
Amphora des Exekias, Achill und Ajas
Spitzamphora, Mänade, Kleophadesbeim Spiel, um 540/530 v. Chr., Vatkan
Maler, um 490 v. Chr., Tarquinia, Museo
Archeologico
Schale, Meerfahrt des Dionysos, um 530 Byrgos-Maler, Zecher und Hetäre, um
v. Chr., München, Staatl.
490 v. Chr., Würzburg, Martin von
Antikensammlung
Wagner Museum
Lekythos, Leierspielerin, um 455 v. Chr., Alexandermosaik (Schlacht bei Issos 333,
München, Staatl. Antikensammlung
Alexander und Darius) ursprünglich aus
Pompeji (Casa del Fauno), nach einem
griech. Gemälde von 317/15 v. Chr.,
Neapel, Museum Capodimonte
Athena vom Westgiebel des AphaiaSterbender vom Ostgiebel des AphaiaTempels auf Aigina, Ende 6. Jh. v. Chr.,
Tempels auf Aigina, um 490/480 v. Chr.,
München, Glyptothek
München, Glyptothek
Sterbender vom Westgiebel des Aphaia- Terrakotta-Statuette einer jungen Frau
Tempels auf Aigina, Ende 6. Jh. v. Chr.,
aus Tanagra, Ende 4. Jh. v. Chr., Berlin,
München, Glyptothek
Staatl. Museen
Stehender Jüngling, Dipylon-Meister,
Kritios-Knabe aus Epheben, um 480 v.
Attika, um 620 v. Chr., New York,
Chr., Athen, Akropolismuseum
23
Metropolitan Museum
Pferdekopf vom Ostgiebel des Parthenon
in Athen, Akropolis, um 437/432v. Chr.
London, British Museum
Korenhalle des Erechtheion, Athen,
Akropolis, um 410 v. Chr.
Diskobol Lancelotti, Replik nach einer
Bronzefigur des Myron, Mitte 5. Jh. v.
Chr., Rom, Thermenmuseum
Poseidon, um 460/450 v. Chr., Athen,
Nationalmuseum
Knidische Aphrodite des Praxiteles, um
350 v. Chr., Rekonstruktion, ehem.
München
Tochter der Niobe, um 450/445 v. Chr.,
Rom, Thermenmuseum
Grabmal des Dexileos, attisch, 394 v.
Chr., Athen
Philosoph, Mitte 3. Jh. v. Chr., Delphi,
Museum
Alexander der Große auf einem
Sarkophag aus Sidon, um 310 v. Chr.,
Istanbul, Archäologisches Museum
Aphrodite, Kopie aus hadrianischer Zeit
nach einer Bronzefigur des Doidalsas von
Bithynien, Mitte 3. Jh. v. Chr., Rom,
Thermenmuseum
Porträtkopf aus Delos vielleicht von
Agasias von Ephesus, um 100 v. Chr.,
Athen, Nationalmuseum
Griechische Münzen aus der Zeit der
Hohen Klassik
Leto, Dione und Aphrodite vom Ostgiebel
des Parthenon in Athen, Akropolis, um
437/432v. Chr. London, British Museum
Doryphoros, Kopie nach einer
Bronzefigur des Polyklet, 440 v. Chr.,
Neapel, Museo Nazionale Archeologico
Hermes mit Dionysos, attisch, römische
Kopie, um 330/20 v. Chr., Olympia,
Museum
Poseidon, um 460/450 v. Chr., Athen,
Nationalmuseum
Nike, Sandale lösend, von der Balustrade
des Nike-Tempels, um 410/400 v. Chr.,
Athen, Akropolismuseum
Amazone Sciarra, Replik einer
Bronzefigur des Kresilas im Artemision in
Ehpesos, Kopenhagen, Glyptothek
Grabmal des Mnesarete, attisch, 380 v.
Chr., München, Glyptothek
Eirene des Kephiodotos, röm. Kopie, um
370 v. Chr., München, Glyptothek
Nike von Samothrake, um 190 v. Chr.,
Paris, Louvre
Der Barberinische Faun, hellenistische
Skulptur, um 80 v. Chr., München,
Glyptothek
Faustkämpfer, um 50 v. Chr., Rom,
Museo Nazionale Romano
Philosoph, Bronzefigur, 3. Viertel 3. Jh. v.
Chr., Athen, Nationalmuseum
9. INDIEN, CHINA, KOREA, JAPAN
In den meisten Kunstgeschichtswerken wird an die Kunst Griechenlands die von
Rom angeschlossen und
und dann die westeuropäische Kunst. Die osteuropäische und asiatische folgt als
Nachtrag. Ich möchte die Kunst von Indien, China, Korea und Japan im Anschluß an
die griechische behandeln. Zum einen weil diese Länder kulturell zusammenhängen
und zu mindest Indien und China ihre größten Leistungen lange vor denen der
westlichen Kunst erbracht haben. Andererseits weil die früheste Kunst Indiens mit
der des Alten Orients zusammen hängt und von der griechischen Kunst nach dem
Feldzug Alexanders nach Indien tief wirkende Anregungen empfing. Das zentrale
24
Bildmotiv der Kunst Asiens die Gestalt Buddhas ist ohne die Anregungen der
griechischen Gewandfigur nicht denkbar.
Indien
Das Menschenbild der indischen Kunst ist von der Vorstellung vom Kreislauf (Rad)
des Lebens geprägt. Im Vordergrund steht nicht das individuelle So-sein, sondern
das Lebendig-sein, das der Mensch mit Tieren, Pflanzen, Dämonen und Göttern teilt.
Nicht Skelett und Muskulatur prägen die Gestalt, wie bei den Griechen, sondern das
Fließen der Körpersäfte unter der Haut. Gestalten wirken für unsere
Sehgewohnheiten knochenlos, wie aufgeblasen, besonders das Frauenbild mit
schmalen Hüften und kugeligen Brüsten, meist glückbringende Dämonen (Yakshi,
Shakti, Aspara). Mithuna (Kopulation) als Darstellung von Hingabe, Entgrenzung des
Ich.
Da die Bilder Freude, Trost und Zufriedenheit verbreiten sollen, werden sie 1000 mal
wiederholt.
Dieses andere Verständnis vom Menschen spricht sich auch in der Medizin aus;
während wir einen anatomischen Apparat reparieren, versuchen Inder und Chinesen
durch Atemübungen und Nadelstiche in Nervenbahnen einzugreifen und das Leiden
vom Menschen und nicht von einem Organ aus zu überwinden.
Hauptaufgaben der Architektur sind Kuppelgrab (Stupa) und Höhlenkloster im
Buddhismus, Tempel mit Halle, Cella und Turm im Hinduismus.
Epochen der indischen Kunst
Um 2000 Industalkultur Mohendscho Daru, Harappa angeregt von altorientalischer,
Städtebau, Schiffsbau Skulptur
1500 Einwanderung von Indoeuropäern, Dravida nach Süden abgedrängt,
Entstehung der Kasten, Hinduismus
560-483 Siddharta Gautama, Buddha
327 Alexander in Nordwestindien
272-231 Reich des Asoka, (Dreiviertel der Halbinsel), buddhistisch
320 –700 Gupta-Reich, klassische indische Kunst, Ausbreitung des Buddhismus und
indischer Kultur nach Ceylon, Hinterindien, Indonesien
nach 700: Hinduismus verdrängt Buddhismus in Indien, islamische Eroberung, zuerst
Araber, dann Türken und Mongolen
1525 –1877 Reich der Großmogule, Hauptstadt Delhi, Herrscher islamisch,
Untertanen hinduistisch, an den Küsten Portugiesen, seit 1600 Engländer,
1877 Königin Victoria wird Kaiserin von Indien,
1947 Unabhängigkeit, Teilung in Pakistan und Indische Union
Indische Halbinsel, Karte
Buddha und Vajrapani Gandhara,
Pakistan, Anfang 2. Jh. n. Chr., Berlin,
Staatl. Museen Preußischer Kulturbesitz
Anurādhapura, Ceylon, ThūpārāmaDāgaba, 3. Jh. v. Chr.
Bhāja, Mahārāstra Caitya und
Klosterhöhlen, Ende 2. Jh. v. Chr.
Frauenfigur aus Mohenjo daro, Pakistan,
um 2000 v. Chr., New Delhi,
Nationalmuseum of India
Buddha aus Mathurā, Uttar Pradés, 5. Jh.
n. Chr., Mathurā, Archeological Museum
Löwenkapitell aus Sarnath, Uttar Pradés,
3. Jh. v. Chr., Sārnāth, Archeological
Museum
Statue eines Buddha (5. Jh. n. Chr.) im
Felsmassiv von Bāmiyān, Afghanistan
25
Ankor, Kambodscha, Bàksei Čamkrŏn,
zw. 99/922
Borobudur, Mittel-Java, 8./9. Jh.
Sasarām Bihār, Grabmal des Šer Šāh
Sūri, um 1540
Kalkutta, Steinzaun des Stūpa von
Bharhut, 125-75v. Chr.
Śiva Natarājā, aus Tanjur?, ca. 11./12.
Jh., Zürich?
Apsarus Blumen streuend, Sigiriya,
Ceylon, 5. Jh.
Gott und Musikantin, Fresko-Höhle in
Oïzïl, 600-650, Berlin, Staatl. Museen,
Islamisches Museum
Mahabālipuram, Madras, Küstentempel,
um 700
Ajantā, Mahārāstra, Caitya, 6./7. Jh.
Bhuvaneśvar, Orissā, Lingarāja-Tempel,
um 1000
Visnu auf Anantaśesa Deogarh,
Daśāvatāra-Tempel, um 500 n. Chr.
Apsara mit Sapu-Blüte, Wandmalerei,
Sīgiriya, Ceylon, 5. Jh.
Buddha und Dhanadā, Wandmalerei,
Ladakh, Kas’mir, Kloster Alchi, 11./12. Jh.
Govardhan, Fürst von Guler, Miniatur, um
1750 Allahabad
Miniatur aus Madhya oder Uttar Pradés,
Laur und Canda, um 1550/75,
Manchester, Ryland Library
CHINESISCHE KUNST
Höfische, literarische Kultur eines zentralisierenden, konservativen Beamtenstaats
über einer bäuerlichen Massenbevölkerung. Höchste Kunst ist die Schrift und die
Tuschmalerei, alles übrige nur Erzeugnisse von geübten Handwerkern. Kunst der
schönen markanten Linie nicht des Raumes, eher lyrisch als dramatisch.: „Die
Sehnsucht nach Wäldern und Bächen und der Gesellschaft von Wolken und
Nebelfetzen sucht ihn (den Städter) in seinen Träumen heim. Die Hand des Künstlers
kann ihm diese Träume vor Augen führen, so daß er ohne das Haus zu verlassen
sich über Täler und Bäche freuen kann“ (Kuo Hsi, 11. Jahrhundert).Malerei auf
Rollen (Seide,Papier)
Holzbaukunst entwickelt Hallen zum Durchschreiten in der Querachse. Gartenkunst
erfüllt Landschaftsträume. Kunstgewerbe: Bronze seit 1500 v.Chr, Lackschnitzerei;
Porzellan seit 500v.Chr., Seidenzucht und Weberei, Vorbild für islamische,
byzantinische und europäische Kunst
Epochen der Geschichte
Bäuerliche Feudalstaaten zusammengefaßt zwischen Huang Ho und Jangtsekiang
unter den Dynastien
Shang 1500-1050 Aus Innerasien kommen Pferde und Wagen)
Tschou 1050-249 (Philosophie Laotse, Kung fu tse),
Streitende Reiche 480-206
Han 206 v.Chr.-220n.Chr. Buddhismus aus Indien, Bau der Mauer gegen Hunnen,
Turkvölker, Mongolen, Kaiser Sohn des Himmels, Theokratischer Beamtenstaat
(Mandarin)
Tang 618-906 (Weltreich von Korea- Kaspisches Meer, Tibet)
Sung 960-1279
Yuan (Kublai Khan) 1280-1368
Ming 1368-1644
26
Mandschu (Tsing) 1644-1911
Karte China
Höhlentempel von Yün-Kang, Provinz
Shansi, Ansicht von West, ca. 460/480
Kamel am Weg zu den Grabstätten der
Ming-Kaiser bei Ch’ang-p’ing, Provinz
Hopei, 2. H. 15. Jh.
Ch’êng-tê-fu (Tempel der Ewigen
Zuflucht), Manchurei, Yung-yu-ssŭ,
Ansicht von Südost von 1751/64, Peking,
PR of China
Peking, Ku Kung, Kaiserpalast,
Gesamtplan, Peking PR of China
Pinselhalter mit Jagdschnitzerei,
zwischen 1662 und 1722, Genf,
Privatsammlung
Kaiser Hui-tsung, Der fünffarbige
Papagei, Rollbild, 1107/1126, Boston,
Museum of Fine Arts
Su Han-ch’ên, Dame am Frisiertisch, 1.
Hälfte 12. Jh., Boston, Museum of Fine
Arts
Ch’in Ying, Kaiser Kuang-wu, eine Furt
durchschreitend, 2. Viertel 16. Jh.,
Ottawa, National Gallery of Canada
Dampfkochgefäß vom Typ Hsien, um
2000 v. Chr., Stockholm, Östasiatisk
Museet
Sakralgefäß vom Typ Kuang, 11./12. Jh.,
San Francisco, M.A. de Young Memorial
Museum
Sitzender Lohan, 11./12. Jh.,
Philadelphia, Museum of Art
Peking, Ku Kung, Kaiserpalast, T’ai-hotien, Ansicht von Süd, um 1700
Unbekannter Meister, Würdenträger, 2./3.
Jh., Boston, Museum of Fine Arts
Anonym, Winterlandschaft, Rollbild,
12./13. Jh., Kyōto
Chao Yen zugeschrieben,
Frühlingsausritt, 1. Viertel 10. Jh., Taipei,
Taiwan
Sesshū, Herbst, 2. Hälfte 15. Jh., Tokyo,
Nationalmuseum
Korea
Halbinsel von China durch Gebirge getrennt, mit japanischen Inseln durch das Meer
verbunden. Reich angeblich seit 3. Jahrtausend, 180 v.Chr. unter Chines. Herrschaft,
danach selbständig, seit dem 13.Jh. unter mongolisch-chinesischer Oberhoheit,
streng abgeschlossen, 1910 von Japan besetzt.
Vase, Mitte 14. Jh., London, Victoria and
Albert Museum
Sākyamuni im Höhlentempel von
Sŏkkulam, Korea, Mitte 8. Jh.
Flaschenförmige Vase, 13. Jh., London,
University Percival David Foundation
Sākyamumi-Pagode, Pulguk-sa, bei
Kyŏngju, 2. Hältfe 8. Jh., Korea
Japan
1.Jh. v.Chr Dschimmu Tenno begründet Inselreich, 5. Jahrhundert Übernahme der
chinesischen Schrift und des Buddhismus, Heianzeit 784-1192 Beamtenstaat,
27
höfische Kultur, danach innere Kriege, Shogune(Kronfeldherren vereinigen zivile und
militärische Macht, seit 1600 Abschottung gegen Ausland, Öffnung der Häfen von
USA 1854 erzwungen, rasche Industrialisierung und Modernisierung, Eroberung von
Korea und Manschurei.
Japanische Kunstauffassung visuell und taktil, weniger intellektuell, literarisch als in
China.
1765 Erfindung des Farbholzschnitts in Zusammenarbeit von Verleger, Zeichner,
Plattenschneider, Drucker; große Wirkung auf europäische Kunst um 1900.
Shinya Kushiji, Indara-Taisho, um 726749
Yokohama, Rinshunkaku, im Park
Sankei-en, um 1600
Katsura, Kaiserliche Villa, Goten,
Innenräume, 1620/53
Wandbehang, spätes 7. Jh., London
Victoria and Albert Museum
Kitagawa, Utamaro, Erwiderte Liebe, um
1794, Münster, Sammlung Theodor
Scheiwe
Rushana-Konfiguration , 3. Viertel 8. Jh.,
Tōshodaiji
Nanzenji, Garten der Abtwohnung,
Anfang 17. Jh.
Nara, Yakushiji, Gründung 680,
Holzschnitt der Edo-Zeit nach älterer
Vorlage
Picknick-Kasten von Kōami Nagashige, 1.
Hälfte 17. Jh., Hamburg, Museum für
Kunst und Gewerbe
Ando Hiroshige, Pflaumengarten von
Kameido
Nō-Gewand, Karaori, 17./18. Jh., Nagoya
10. ROM, BYZANZ
Epochen und Räume
753 v.Chr.Königszeit, Gründung der Stadt Rom
8.-2. Jh. Etrusker in Mittelitalien, Griechen in Süditalien, Stadtstaaten
510-44 v.Chr. Republik, Rom wird zur Hauptstadt Italiens, erobert im Kampf gegen
Gallier Norditalien,
im Kampf gegen Karthager Sizilien und Spanien
44 Tod Caesars, Gallien, Griechenland, Asia und Africa sind römische Provinzen
Beginn der Kaiserzeit, griechische Kultur als Vorbild
Ausbreitung und Verfolgung des Christentums, ab 313 Zulassung
330 Neugründung von Konstantinopel (Byzanz, Ostrom), Beginn eines staatlich
geförderten Kirchenbaus: in Rom St. Peter, St. Paul vor den Mauern, Lateran,
S.Constanza
395 Christentum wird Staatsreligion,
Reichsteilung: Westrom (-476): Italien, Gallien, Spanien; Goten in Italien,
Franken in Gallien
Ostrom: Griechenland, Dalmatien, Anatolien, Ägypten, Syrien
632 Beginn der islamischen Eroberung in Afrika, Spanien, Syrien
725-787 Bilderstreit im oströmischen Reich
800 Karl, König der Franken und Langobarden, wird von Papst Leo III. zum Kaiser
von (West)Rom gekrönt,
Karolingische Renaissance
28
787-1204 Mittelbyzantinische Zeit, Makedonische Renaissance
1054 Schisma der lateinischen (Katholischen) und griechischen (Orthodoxen)
Kirchen, Rußland (Reich von Kiew) wird orthodox, Gründung von Klöstern
1204 Eroberung von Konstantinopel auf viertem Kreuzzug durch Venezianer und
fränkische Kreuzritter,
lateinisches Kaisertum
1261-1453 Spätbyzantinische Zeit, Dynastie der Palaiologen, deren
Herrschaftsgebiet von Osmanen zuletzt auf
das Stadtgebiet reduziert wird
1453 Mehmet II erobert Konstantinopel, Moskau löst nach Mongoleneinfällen Kiew
als Hauptstadt Rußlands ab und beansprucht das religiöse und politische Erbe
Konstantinopels als drittes Rom
Es geht heute zunächst um die Kunst einer Stadt, die im Jahre 753 v. Chr. gegründet
wurde und heute 2,7 Mill Einwohner hat. Die Ackerbürgerstadt auf sieben Hügeln am
Tiber wurde zum Zentrum eines Weltreichs, das von Ägypten bis Britannien alle
Anrainerstaaten des Mittelmeers und des Schwarzen Meers, umfaßte und im Raum
von Rhein und Donau weit über die Alpen hinausgriff. Die Stadt Rom wurde 330 von
Kaiser Konstantin als zweites Rom an der Stelle der griechischen Kolonialstadt
Byzantion am Übergang von Europa nach Asien neu begründet. Dieses (Ost)Rom
wurde zum Zentrum eines Reichs und einer Kultur, die wir oströmisch oder
byzantinisch nennen. Nach dem Fall der Stadt und der Eingliederung des
Reichsgebiets in das Osmanische Reich beanspruchte der Zar (Caesar) von
Rußland das Erbe Ostroms als drittes Rom an der Moskwa..
Als Nachfolger Caesars verstanden sich auch die Kaiser des Westens von Karl dem
Großen bis Franz Joseph, aber auch Napoleon, Wilhelm II. und Bedel Bokassa.
Abgesehen von Kaisertitel und Weltreichsanspruch lebt die Romidee in der römischkatholischen Kirche weiter. Darum scheint es berechtigt der Kunst Roms soviel Zeit
einzuräumen wie der Kunst von China und Indien.
Die Etrusker, Einwanderer in Italien im 8. Jahrhundert,entfalten die erste Hochkultur
mit einem System von Stadtstaaten und ihrem Totenkult, der uns zahlreiche Werke
griechischer Kunst überliefert hat.
Die Kunst der Römer wurzelt im Ahnenkult: Die Wachsmasken der Verstorbenen
wirken als Vorbild für eine realistische, von der Haut her empfundene Portraitkunst,
die das Gedächtnis des Menschen auf Gesicht und Namen reduziert. Die Kunst hat
Züge des Bäuerlichen, Soldatischen, veredelt sich durch Übernahme griechischer
Formen in der Zeit des Augustus. Seit 300 zunehmend Vereinfachung der Form
(Barbarisierung) und Spiritualisierung (Himmelnder Blick).
Der Kult vollzieht sich mehr in Innenräumen als in Griechenland, fordert große
überdachte Kulträume. Die Römer entwickelten den Ziegelbau, die Wölbesysteme
von Bogen, Tonne und Kuppel, die Verbindung von Säule und Bogen (am
Tabularium), errichteten gewaltige Ingenieurbauten: Zirkus, Bäder, Markthallen, Tore,
Brücken, Wasserleitungen, Palastanlagen und planten große Städte im ganzen
Reich.
Sie übernahmen und vermittelten die Kultur des Hellenismus nach Westeuropa und
schufen im Imperium Romanum eine Staatsform, die für zwei Jahrtausende Vorbild
blieb. (Bundesadler)
Ihre Erben sind die christlichen Staaten in Europa und die islamischen Staaten im
Osten und Süden (Städtebau, Bäder, Wölbung, Ziegelbau, Mosaik).
29
Etruskische Grabgruppe, um 520 v. Chr.,
Rom, Museo Nazionale di Villa Giulia
Cerveteri, Banditaccia Nekropole, Tomba
dei Capitelli, Vorhalle, etruskisch, Ende 6.
Jh. v. Chr.
Kapitolinische Wölfin, 2. Viertel 5. Jh. v.
Sarkophag des Kaisers Balbinus, OpferChr., Rom, Palazzo dei Conservatori
Hochzeitsszene, um 240 n. Chr., Rom,
Museo Pretestato
Arringatore (Aulus Metellius), 1. Viertel 1. Statue des Augustus, zw. 20 n. und 17 v.
Jh. n. Chr., Florenz, Museo Archeologico Chr., Rom, Vatikan
Porträtbüste des C. Volcacius
Porträtkopf eines Mannes, 2. Viertel 1.
Myropnous, um 60/70 n. Chr., Ostia,
Jh. v. Chr., Chieti
Scavi Mueo
Porträtbüste des Marc Aurel, zw. 160 und Porträtkopf eines Mannes, sog. Eutropio,
169 n. Chr., Tripolis
1. H. 5. Jh. n. Chr., Wien, KHM
Porträtbüste einer Dame, 110/20 n. Chr., Kopf einer Kaiserin, 490/530 n. Chr.,
Kansas City, Miss. Atkins Museum of
Rom, Palazzo dei Conservatori
Fine Art
Kaiser-Statue, 1. H. 5. Jh. n. Chr.,
Porträtkopf Konstantin des Großen,
Barletta
330/40 n. Chr., Rom, Palazzo dei
Conservatori
Rom, Kolosseum, flavisches
Rom, Kolosseum, flavisches
Amphitheater, 80 n. Chr.
Amphitheater, 80 n. Chr.
Grabmal der Haterier bei Centocello:
Timgad, Ansicht einer röm. Stadt,
Grabbau und Baukran, Ende 1. Jh. n.
gegründet Anfang 2. Jh. n. Chr.
Chr., Rom Museu Profano Latino
Rom, Ehrenbogen des Septimius
Tivoli, Villa Hadriana, zw. 118-134 n.
Severus, Forum Romanum, 203 n. Chr.
Chr., Modell
Thessaloniki, urspr. Mausoleum des
Trier, Palastaula, um 310 n. Chr.
Galerius, 4. Jh. n. Chr., heute: Hagios
Georgios
Rom, Mausoleum der Constantina, S.
Rom, S. Maria Maggiore, 3. Jahrzehnt 5.
Costanza, 2. Viertel 4. Jh. n. Chr.
Jh. n. Chr.
Triumphzug vom Triumphbogen des
Ara Pacis, Tellus- und Rankenrelief, 13/9.
Titus, nach 81 n. Chr., Rom
v. Chr., Rom
Römischer Soldat und Orientale am
Konstantinsbogen, Kaiser Hadrian auf
Ehrenbogen des Septimius Severus, 203 Löwenjagd, 128/38 n. Chr., Rom, Forum
n. Chr., Rom, Forum Romanum
Romanum
Villa dei Misteri, Mysterienfries, um 50 v. Casa dei Vettii, sog. Ixionszimmer, zw.
Chr., Pompeji
70/90 n. Chr., Pompeji
Villa Farnesina, Cubiculum, um 19 v.
Villa di Livia bei Primaporta,
Chr., Rom, Museo NazionaleRomano
Gartenlandschaft, um 30 v. Chr., Rom,
Museo Nazionale Romano
Mosaikzyklus in S. Maria Maggiore:
Villa Hadriana, Tivoli, Landschaft mit
Abraham und die drei Engel, zw. 432/440 Tierkampf, 1. H. 2. Jh. n. Chr., Rom,
n. Chr., Rom
Vatikan
Mithras als Stiertöter, Santa Maria di
Orpheus, Katakombe SS. Marcellino e
Capua Vetere, Mitte 2. Jh. n. Chr.
Pietro, Ende 4. Jh. n. Chr., Rom
Malerei in der Katakombe SS. Marcellino Arcosolium mit 12 Aposteln, 2. Viertel 3.
e Pietro, um 30 n. Chr., Rom
Jh. n. Chr., Rom, Hypogäum, Viale
Manzoni
30
Die byzantinische Kunst ist der „Kühlschrank der Antike“, sie bewahrt zunehmend
trocken d.h. graphisch, linear werdende Kunstformen des römischen Reichs und des
Hellenismus, die in Westeuropa von den Germanen zunächst vernichtet, dann aber
aus Byzanz übernommen und adaptiert wurden, vor allem im 10. und 13. Jh.
Die byzantinische Kunst ist imperial und spirituell, sie verherrlicht hoheitsvoll den
Kaiser und entsteht im Hinblick auf das Himmelreich.
Wichtigste Aufgabe der Architektur ist die Kreuzkuppelkirche (fünf Kuppeln auf dem
Grundriß eines Kreuzes), die von Venedig bis Moskau das Gesicht unzähliger Städte
und Dörfer bestimmt.
Skulptur spielt im Vergleich zum westeuropäischen Mittelalter eine geringere Rolle,
kommt fast nur im kleinen Format, als Elfenbein- oder Silberrelief vor, um so weiter
ist das Feld der Malerei, an Wänden, Gewölben, als Fresko oder Mosaik, in der
Buchmalerei und Tafelmalerei, vor allem den Ikonen.
Ikonen, entstanden aus ägyptisch-römischen Mumienportraits, sind „Fenster zum
Himmel“. Im Bilderstreit (Ikonoklasmus) setzt sich die Auffassung durch, daß im
Abbild etwas vom Wesen des Urbilds gegenwärtig sei; deshalb werden Ikonen nach
Vorbildern, unter Gebet geschaffen, beschriftet, geweiht und verehrt. Sie benützen,
ebenso wie Mosaik und Buchmalerei, den Goldgrund als Zeichen des ewigen Lichts.
11. ISLAMISCHE KUNST
Epochen und Räume
622 Hedschra, Mohammed flieht aus Mekka nach Medina, Beginn der islam.
Zeitrechnung
632 Tod Mohammeds
Omajaden, Kalifen in Damaskus, 661-750 Eroberung von Palästina, Syrien,
Nordafrika, Spanien,
Zentren Damaskus, Cordoba (-1010), Jerusalem
Abbasiden, Kalifen in Bagdad, Eroberung von Iran, Turkmenistan
Fatimiden in Ägypten 10-11 Jh.
Mameluken 1250- 1500 (Ägypten, Syrien)
Seldschuken 11.,12. Jh.(Iran, Anatolien)
Timuriden 13. Jh. (Mongolen, Innerasien)
Osmanen 14.-19. Jh. (Türkei, Nordafrika, Osteuropa)
Moghulkaiser (Indien 1554-1877)
Zeitlich beginnt die heutige Vorlesung mit dem Jahr 1 der islamischen Zeitrechnung,
welches dem Jahr 622 nach Christi Geburt entspricht. In diesem Jahr floh der
Prophet Mohammed von Mekka nach Medina, wo er 632 starb. Islam heißt auf
Deutsch Ergebung an Gott. Er beruht auf fünf Pfeilern: dem Glaubensbekenntnis: Es
gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist der Gesandte Allahs. Dem Gebet,
das fünfmal am Tag in Richtung Mekka zu sprechen ist. Dem Almosen. Dem Fasten
im Monat Ramadan und der Pilgerfahrt nach Mekka. Die heilige Schrift des Islam ist
der Koran, indem die an Mohammed ergangenen Offenbarungen festgehalten sind.
Wie das Judentum und das Christentum ist der Islam eine Buchreligion, gegründet
auf heiliger Schrift und eine Offenbarungsreligion. Das heißt die heilige Schrift wird
31
als Wort Gottes verehrt. Das unterscheidet die drei Religionen von anderen, die sich
auf weise Lehrer wie Buddha oder Zoroaster oder Karl Marx berufen. Mit Christentum
und Judentum hat der Islam vieles gemeinsam und hebt sich in einer Weise davon
ab, die seine Kunst wesentlich bestimmt. Geographisch umfaßt diese Stunde einen
Raum der von Mekka aus nach Norden Syrien und die Türkei, nach Osten Irak, Iran,
Afghanistan, Turkmenistan, Usbekistan , Pakistan, Indien, Malaysia, Indonesien,
nach Süden Sudan und Sansibar, nach Westen Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien,
Marokko und Spanien umfaßt. In Spanien ging die islamische Herrschaft 1492 zu
ende. Nach Indonesien kam der Islam erst im 18. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Alle diese Länder hatten vor der islamischen Eroberung eine reiche Geschichte und
Kunst, die in jeweils anderen Zusammenhängen zu besprechen ist oder schon
besprochen wurde. Ich möchte heute vor allem das Gemeinsame dieses großen
islamischen Kulturraums betonen und die Frage nach den Wurzeln in der arabischen,
griechischen, christlichen, altiranischen oder mongolischen Tradition zurückstellen.
Man könnte die islamische Kunst wie übrigens fast jede Kunst auf der Welt als
Summe ihrer Importe, Einflüsse, Inkulturationen darstellen. Die Kraft der
Assimilierung ist eine wesentliche kulturelle Kraft und kein Zeichen von Schwäche,
wie gelegentlich autoritär behauptet wird.
Wir beginnen mit dem Schriftzeichen La ila illa Allah Es gibt keinen Gott außer Gott,
geschrieben in der im 9. Jahrhundert ausgeprägten kufischen Schrift, bei welcher die
Oberlängen der Buchstaben Lam und Alif ornamental verlängert sind. Aber das Wort
ornamental ist zu schwach. Natürlich schmückt eine solche über die Distinktion der
Lautzeichen hinausgehende Verlängerung. Aber zugleich gibt sie dem
Geschriebenen Größe, Kraft, Feierlichkeit und eine Anbindung nach oben, so als
wollte jeder Buchstabe zum Himmel vorstoßen. Schriftzeichen und gerade diese sind
in der islamischen Kunst allgegenwärtig. Sie erscheinen in der Architektur, als
farbiges Mosaik, als Stuckband, auf Ampeln, in Teppichen, Fayencen, in Holz
geschnitzt in Gittern und Wandvertäfelungen und natürlich auch in Büchern. Aber
dort erwarten wir Schrift; für die islamische Kunst charakteristisch ist das
Hinauswachsen der Schrift aus der Heiligen Schrift, die Allgegenwart von Schrift. Sie
nimmt eine weit größere künstlerische Bedeutung in Anspruch als bei den Christen,
weil der Islam das Verbot von Gottesbildern in der jüdischen Torah, dem Alten
Testament der Christen auf das Verbot von Bildern aller Lebewesen ausdehnt. Es ist
dem Gläubigen verboten, Bilder von Lebewesen anzufertigen, weil er sie nicht
lebendig machen kann und das wird beim Weltgericht von ihm gefordert. Ausnahmen
vom Bilderverbot in der islamischen Kunst in Iran und Indien waren Zugeständnisse
an herrscherliche Selbstdarstellung und adelige Repräsentation, die im Innern von
teuren Büchern dem einfachen Volk nicht zugänglich waren. Dort wo Bilder von
Tieren und Menschen in Teppichen oder Stuckarbeiten vorkommen, sind sie so ins
Ornament verwickelt, daß sie keine eigene Lebenskraft, wenn auch oft große
Schönheit haben. Die islamische Kunst ist also mit bemerkenswerten Ausnahmen
bildlos, aber keinesfalls bilderfeindlich. Die Stadtbilder von Istambul und Isfahan
gehören zu den schönsten Stadtbildern der Welt. Aber wenn wir Stadtbild sagen,
gebrauchen wir einen anderen Begriff von Bild als wenn wir von Abbildungen von
Lebewesen sprechen. Dieser andere islamische Bildbegriff ist von unserem
westeuropäisch-christlichen zu unterscheiden. Er ist ebenso anders wie sich die
islamische Vorstellung von Raum, von Innen und Außen, von unserer unterscheidet.
Wir werden darauf noch zurückkommen.
Die Moschee Cordoba
Die im Durchblick endlosen Arkaden der Moschee sind im Grundriß leicht zu zählen.
Es sind 30 x 16 Stützen. Im Raum selbst gelingt das Zählen bis 480 nur mit Mühe,
32
weil man im Herumgehen immer wieder vergißt, welche Säulen man schon gezählt
hat. Historisch ist der Säulenwald leicht zu erklären aus dem Wettbewerb mit den
christlichen Kirchen. In Damaskus ließen die Omajadenkalifen mehrschiffige Kirchen
in Moscheen umbauen. Die Kirchen waren der aufgehenden Sonne zu, also nach
Osten orientiert. Dorthin liefen die Säulenstraßen. Von Damaskus aus aber liegt
Mekka im Süden, darum mußte das Mihrab, die Nische für den Vorbeter, welche die
Gebetsrichtung angibt, in die Südwand eingebaut werden. Die Längsschiffe bisher
blickführend zielbewußt hierarchisch ausgerichtet wurden zu Querschiffen, in denen
sich der Blick verliert. Die Säulen hörten auf Stationen auf einem Prozessionsweg zu
sein, sie wurden in Licht und Schatten modellierte Zeichen der Unfaßbarkeit des
Göttlichen. Diese für unsere Sehgewohnheiten Unfaßbarkeit tendiert zur endlosen
Wiederholung. Und damit haben wir ein Hauptmotiv islamischer Kunst. Wenn Sie
arabische Musik kennen und schätzen, wissen Sie daß diese auch zur endlosen
Form tendiert. Während wir im Westen musikalische Formen wie die Sonate,
Symphonie oder Fuge entwickelt haben, in denen musikalische Motive nach
tradierten Regeln bearbeitet werden, in denen aus einem Wechsel der Tonarten und
Tempi Verläufe komponiert werden, die einen deutlichen Anfang, die Introduktion,
eine Durchführung, eine Reprise und ein sich deutlich ankündigendes Ende im Finale
haben, ist die islamische Musik wie der Gesang der Vögel oder das Plätschern eines
Baches ohne Anfang, Steigerung und Ende, in immer wieder variierten Wendungen.
Von den übrigen kunstgewerblichen Fähigkeiten, die gleichzeitige Leistungen in
Europa übertreffen, seien Arbeiten in Holz, Glas und Keramik mit einigen Beispielen
vorgestellt. Als erstes der Erker eines Hauses in Kairo, ein Muschrabije. Er ist aus
Holzplanken, Latten und Stäbchen zu einem Gitterwerk gefügt, das Licht und Luft ins
Innere des Hauses gelangen läßt, aber die Frau, die in diesem Erker den
Straßenraum betritt, völlig unsichtbar bleiben läßt. Ein derart verfeinertes System von
Öffnung und Verschluß gibt es in der europäischen Architektur nicht, auch nicht den
Ausschluß der Frau aus dem öffentlichen Raum. Es fällt mir schwer Ihnen diese
Vergitterung der Frau als ästhetischen Wert darzustellen. Und zugleich wird damit
deutlich wenn ich in der ersten Stunde von Kunstwissenschaft als Bildanthropologie
sprach. Ein solcher Erker ist auch ästhetisches Zeugnis eines Frauenbildes, das
nicht das unsere ist. Aber zunächst einmal ist er blickdichte, für Licht und Luft
durchlässige Holzarchitektur, rhythmisch geordnet, reich verziert mit Bogen,
Rosetten, und ineinander gefügten Rechtecken, die sich aus der Kreuzung der
Gitterstäbe ergeben. Ähnlich kleinteilig und schmuckreich ist das meiste an
Holzmobiliar in islamischen Städten.
In Ägypten hat die Bearbeitung von Bergkristall und die Herstellung von Glas eine ins
Altertum zurück reichende Tradition. Unter den Fatimiden blühte sie im
11.Jahrhundert wieder auf. Am meisten verbreitet sind die Moscheeampeln. Ich zeige
ein Beispiel aus dem Berliner Museum, ein Glasgefäß mit Fuß und Henkeln zum
Aufhängen mit einem Reliefdekor, der eine Inschrift auf den Sultan Nasr ed Din
enthält. Die Schriftzüge sind blau emailliert, das heißt es ist blaues Glaspulver
aufgeschmolzen. In Europa, das eine derartige Glaskunst im Mittelalter nicht kannte,
hat man fatimidische Gläser oft für Edelsteine gehalten und in Schatzkammern
aufbewahrt. Die venezianische Glasindustrie eiferte seit dem 15. Jahrhundert
solchen islamischen Vorbildern nach.
Keramik ist ein Sammelname für alle von Menschen aus Erde, Ton, Lehm, Kaolin
u.a. hergestellten Produkte als erstes Gefäße vom Ölkrug bis zur Porzellantasse,
dann Backsteine, Bodenplatten und Fliesen. In Ägypten und Mesopotamien stellte
man seit dem 2. Jahrtausend vor Christus farbig glasierte Fliesen zur Verkleidung
von Palästen und Tempeln her. Glasiert, das bedeutet der Scherben wird auf einer
33
Seite mit einer farbigen Schicht überzogen, die wie Glas aufgeschmolzen werden
kann, den Scherben zum Glänzen bringt und wasserfest und staubabweisend macht.
Ich zeige als Beispiel eine türkische Schale aus Iznik im Berliner Museum, in der auf
weißem Grund in blau, rot und grün eine in der Natur nicht existierende, das Rund
spannungsreich füllende Blütenpflanze aufgemalt ist. Ich zeige als Beispiel
Aufnahmen aus Ispahan im Iran. Die Stadt war königliche Residenzstadt unter der
Dynastie der Safawiden, im 16. und 17. Jahrhundert. Eine wahrhaft königliche
Residenz, die es ohne weiteres mit dem Vorbild aller europäischen Residenzstädte
mit Versailles aufnehmen konnte.Im Zentrum der Stadt liegt der Meidan i Shah der
Königsplatz, ein langes Rechteck, eingerichtet für das königliche Polospiel mit heute
vernachlässigten Wasserbecken und Gartenanlagen. An ihn schließt sich westlich
ein königlicher Garten mit mehreren Schloßbauten, südlich die große
Freitagsmoschee, deren Gebetsrichtung nicht mit der Platzrichtung übereinstimmt,
Sie ist deshalb geknickt gebaut. Ihre hohe Fassade ist Teil der Platzwand, dahinter
knickt der Bau Richtung Mekka ab. An der Ostseite die kleinere Frauenmoschee, an
der Nordseite der Basar. Optisch wird das Stadtbild von glasierten Fliesen bestimmt.
Neben der Moschee sind wesentliche Bauaufgaben islamischer Baukunst, die
Medrese, die Koranschule, der Basar, ein Geviert überdeckter, meist überwölbter
Straßen mit seitlichen Kammern und einem gemeinsamen Eingang, die
Karawanserei, ein Hof mit einer Zellenumbauung in zwei oder drei Geschossen und
Brücken.
Der aus gefärbter Wolle geknüpfte Teppich ist in der islamischen Kunst keine
Bodenauslegeware. Auf ihn tritt man nicht mit Straßenschuhen, auf ihn stellt man
keine Möbel. In den Wohnungen ist der Teppich die
Der aus gefärbter Wolle geknüpfte Teppich ist in der islamischen Kunst keine
Bodenauslegeware. Auf ihn tritt man nicht mit Straßenschuhen, auf ihn stellt man
keine Möbel. In den Wohnungen ist der Teppich die Sitzgelegenheit für Bewohner
und Gäste, die mit Kissen und Decken leicht zur Ruhegelegenheit, zu Sofa, Diwan,
Ottomane und Bett ausgebaut werden kann. Mit Teppichen bedeckt sind die Böden
aller Moscheen, in denen sich der Moslem zum Gebet auf den Boden wirft. Auf
Reisen hat der Moslem seinen Gebetsteppich dabei, den er fünfmal täglich nach
Mekka ausrichtet um zu beten. Diese Gebetsteppiche mit dem Bild des Mihrabs, der
Gebetsnische, sind quasi tragbare Moscheen. Damit haben wir einen der
Hauptvorzüge des Teppichs vor unseren Holzmöbeln benannt. Teppiche kann man
zusammenrollen und überall hin mitnehmen. In der Geschichte vom fliegenden
Teppich wird diese Eignung zum mühelosen Transport ins Märchenhafte überhöht.
Teppiche als Grundausstattung des Habitat sind ein Erbe der Nomaden. Nomaden
ziehen mit ihren Herden und Zelten dem Vegetationszyklus nach wie Zugvögel. In
den ariden Landschaften Arabiens und Mittelasiens konnte vor den Techniken der
Landbewässerung nur der Nomade überleben. Das Erbe der wüstenbewohnenden
Nomaden spielt in der Kultur des Islam eine entscheidende Rolle, neben dem Erbe
aller eroberten Länder zwischen der Mongolei und Spanien. Der Reichtum des
Nomaden sind seine Herden, von ihnen hat er Fleisch und Milch und Wolle im
Überfluß von Kamelen, Schafen, Ziegen. In Ägypten stießen die islamischen
Eroberer auf die Textilkunst der Kopten mit ihren farbigen Bildern, in Turkestan auf
die Knüpftechnik, die durch die Dynastien der Seldschuken und Osmanen in Persien,
Anatolien und Ägypten verbreitet wurden. Die ältesten Zeugnisse findet man im
Westen, weil hier die Teppiche als kostbare Sammlerstücke vor Abnutzung und
Verschleiß geschützt wurden. (Dia Holbeinteppich, Wiener Jagdteppich)
34
Außer für Teppiche wurden Stoffe für Zelte, Kissen, Decken und Kleider gebraucht.
Ehrenkleider waren Geschenke der Herrscher vergleichbar unseren Orden. Die
Textilwerkstätten der Sassaniden in Persien, der Syrer, Ägypter und Byzantiner
wurden nach der islamischen Eroberung weiter entwickelt. Ihre Produkte weltweit
gehandelt. Vom durchsichtigen Batist bis zum goldstrotzenden Prunkkleid wurde ein
textiler Luxus betrieben, der für die in Leder, Leinen und Eisen gekleideten
Kreuzritter unvorstellbar war. Vor allem in der Toscana, in Lucca und Florenz, und in
Flandern, in Brügge, Ypern und Gent versuchten europäische Weber vergeblich
gleichwertige Waren zu produzieren. Von dieser Textilindustrie ging ein wesentlicher
Innovationsschub für die europäische Wirtschaft, für Geldwesen und Städtebau aus,
der innerhalb der Kunst zur
Renaissance und damit zur Neuzeit führte.
Jerusalem, Felsendom, 691/92
Jerusalem, Felsendom, 691/92
(Innenansicht)
Eberjagd, Tāq-i Bustān, sog. großer Ivān, Stilisiertes Pflanzenmotiv, Jerusalem,
Felsrelief, 5. Jh.
Felsendom, Mosaik, 691/92
Badende Frau, Wandmalerei in Qusair
Fassadendekor in Qasr al-Mšattā, 2.
‘Amra, Tepidarium, 2. Viertel 8. Jh.
Viertel 8. Jh., Berlin, Staatl. Museen,
Islamisches Museum
Qasr al-Mšattā, Basilikale Halle, 2. Viertel Qusair ‘Amra, 2. Viertel 8. Jh.
8. Jh.
Rom, S. Sabina, 1. Hälfte 5. Jh. n. Chr.
Fustāt (Alt-Kairo), Moschee des ‘Amr,
Gebetssaal, 827
Córdoba, ehem. große Moschee,
Córdoba, Große Moschee, Anlage
Gründungsbau, 785-787
Hakam II., Fassade vor dem Mihrab, 965
Damaskus, Große Moschee, um 715
Kairo, Moschee des Sultans Ibn Tūlūn,
Mihrab und Minbar, 876/77-879
Istanbul, Süleymaniye Cami, begonnen
Istanbul, Hagia Sophia, 532-537
1550
Arabisches Relief
Istanbul, Hagia Sophia, Innenansicht,
532-537
Sultānīya, Grabmal des Tlhāns Olğaitü,
Kairo, Moschee des Sultans Ibn Tūlūn,
1307-1313
876/77-879
Ansichten aus Isfahan, safawidische
Ansichten aus Isfahan, safawidische
Residenzstadt
Residenzstadt
Rosenwasser-Spritzflasche, Siraz, 18./19. Am Hof des Prinzen Bāysungur, „Kalifa
Jh., New York, Metropolitan Museum
wa Dimna“, Istanbul, Topkapi Bibliothek
Ansichten aus Isfahan, safawidische
Residenzstadt
Vasenteppich, Iran, 17. Jh., London,
Victoria and Albert Museum
12. MITTELALTER
Der Begriff Mittelalter stammt aus der Neuzeit, aus einer Zeit, die sich überlegen
dünkte und gleichrangig an die Kultur des Altertums anschließen wollte. Den
Zeitgraben, der sie vom Altertum trennte, nannten die Intellektuellen der Neuzeit
35
Mittelalter. Auf Westeuropa bezogen kann man die Jahre 500-1500 als Grenzen
angeben:
500 Völkerwanderungszeit: Franken besetzen das nördliche Gallien, werden
Christen, Dynastie der Merowinger. In Italien herrschen die Goten (Theoderich), dann
die Langobarden, in Deutschland bilden sich die Stammesherzogtümer der
Schwaben, Franken, Thüringer, Sachsen, Baiern. In England wandern Angeln und
Sachsen ein. In Spanien herrschen die Westgoten bis 711 dann die Omajaden,
langsame christliche Rückeroberung von Norden her. Die Slawen siedeln in Polen,
Böhmen, auf dem Balkan. Aus Osten fallen die Hunnen ein,(5.Jh.) später die Awaren
(7.Jh.) schließlich die Ungarn, die seit 955 im Donauraum ( Dacien) seßhaft werden,
aus Norden die Normannen (Wikinger), die seit 900 in der Normandie seßhaft
werden und von dort aus England, Sizilien und Unteritalien erobern und den
russischen Staat gründen (Kiewer Rus). Christianisierung Europas, Ausbau von
Bischofssitzen, Klöstern und Pfarreien. Klöster sind die wesentlichen Träger einer
lateinischen Schriftkultur. Die Klosterregel des hl. Benedikt von Nursia führt zur
Heiligung der Arbeit, erzwingt Organisation des Zusammenlebens und der
Architektur. Sie wird von Kaiser Karl für alle Klöster im Reich vorgeschrieben:
Musterplan von St. Gallen.
800 Karolingische Renaissance. Römische Kultur als Vorbild im ganzen Reich Karl
des Großen. Angeregt durch politische und kirchliche Strukturen entstehen
Kunstlandschaften um Klöster, Bischofssitze und Städte, die nicht mit heutigen
Grenzen übereinstimmen. Die Kunst, die wir im heutigen Italien finden, ist römisch,
lombardisch, toskanisch, venezianisch, neapolitanisch. Die Kunst im Raum von
Maas, Mosel, Schelde wäre nach heutigen Maßstäben belgisch, deutsch,
französisch, niederländisch: Ihre Hauptwerke heute in Lüttich, Köln und
Klosterneuburg bei Wien. Auch der Bodenseeraum bildete mit dem Oberrhein eine
Kunstlandschaft von St.Gallen über die Reichenau, Konstanz, Basel, Colmar,
Freiburg bis Straßburg.
Kirchen erhalten Türme, werden hoch und eng, viele Altäre in stark differenzierten
Teilräumen: Chören, Schiffen, Emporen.
900 Ottonische Kultur, Frankreich und England von Normannen verwüstet,
Deutschland von Ungarn. Verfall und Neubeginn. Vergeistigung des
Menschenbildes. (Nieder-)Sachsen wird zum Kulturraum, Beziehung zu Ostrom
(Magdeburg, Hildesheim, Naumburg) Buchmalerei der Reichenau.
1000 Romanische Kunst. Dome in Speyer, Worms, Mainz, Im Kirchenbau,
dreischiffige Basiliken mit Wandmalerei und bemalten Holzdecken, setzt sich um
1100 die Wölbung (Tonne/Kuppel) durch. Bauskulptur an Portalen und Kapitellen,
seit 1000 vor allem auf der Pilgerstraße nach Santiago de Compostela, Galizien,
Asturien, Kastilien, Katalonien, Provence;
Kirchen sind Gottesburgen mit starken Mauern (Massenbau). Wandmalerei.
Feudalisierung der europäischen Gesellschaft: Adel, Ritter, Wappen, Minnedienst,
Kreuzzüge und Wallfahrten verbinden die europäischen Länder untereinander in
regem Austausch aber auch mit der islamischen Welt.
In der gregorianischen Reform und im Investiturstreit treten Kirche und Staat
auseinander, Unterscheidung von Religion und Politik (nur in Westeuropa). In der seit
1054 getrennten Ostkirche wird Kaiser zum Kirchenherrn, in Rußland bis 1917,
ähnlich Kalif, Herrscher aller Gläubigen.
1200 Gotische Kunst In der Ile de France entsteht aus normannischen,
burgundischen und provenzalischen Vorbildern die gotische Kirchenkunst mit
Kreuzrippengewölbe über Spitzbogen und Strebepfeilern im Wettbewerb der Klöster
und Bischofskirchen in und um Paris, St. Denis, Reims, Laon, Chartres, Amiens. Sie
36
wird zum Vorbild für ganz Westeuropa von Schottland bis Böhmen und Kastilien.
Kirchen stellen das Himmelreich dar, so leicht und licht wie möglich. Die Wände
durch Pfeiler und Fenster ersetzt (Gliederbau): Glasmalerei, das farbige Licht erzählt
von Gott und den Heiligen. Zisterzienser verbreiten Gotik und landwirtschaftliche
Techniken (Weinbau etc.) über Europa. Systematisierung von Architektur und
Bildung (Scholastik), arbeitsteilige Gesellschaft.
Städte lösen Klöster als Kulturträger ab. Bettelorden (Franziskaner, Dominikaner)
betreiben Stadtseelsorge durch Predigt. Kunst wird zum differenzierten Gewerbe.
In Rom, Florenz und Venedig setzt sich die Gotik nur oberflächlich durch:
Erneuerung der Wandmalerei (Cavallini, Giotto) und der narrativen Reliefkunst
(Pisano).
1347 Spätgotische Kunst.(Der Pest fällt ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer.) Die
religiöse Bewegung der Mystik führt zu Individualisierung, Emotionalisierung und
Vergeistigung. Hallenkirchen mit Netzgewölben.
1400 Internationaler, Schöner Stil in ganz Europa, dann wieder landschaftliche
Differenzierung.
In Florenz Frührenaissance: Brunelleschi (A) Alberti (A+T) Donatello (B)
Masaccio(M). Linearperspektive. In Florenz wird das Wort Gotik=Barbarisch geprägt.
In Flandern Farbperspektive, Oberflächenrealismus in der Malerei (van Eyck, Rogier
van der Weyden).
In Deutschland große Schreinaltäre Multscher, Pacher, Riemenschneider,
Leinberger, Veit Stoß. Druck von Bildern seit 1400, von Büchern seit 1445.
Karte: Völkerwanderung
Karte: St. Galler Klosterplan, um 800, St.
Gallen Klosterbibliothek (Umzeichnung)
Aachen „Münster“, um 800, Oktogon (von Aachen „Münster“ mit Kreuzgang,
S/W), 798 im Rohbau vollendet, 805
Grundriß
geweiht
Book of Kells, Gefangennahme Christi,
Prager Meister, Sechstagewerk, sog.
Ende 8. Jh., Dublin, Trinity College
Korczek-Bibel, um 1405, Wien ÖNB
Library
Evangeliar des Erzbischofs Ebo, der
Codex Aureus von St. Emmeram,
Evangelist Matthäus, Hautvillers (Reims), Zierseite, Hofschule Karls des Kahlen,
vor 835, Epernay Bibliothèque Municipal 870, München, Bayer. Staatsbibl.
Antiphonar von St. Peter, Hl. Drei Könige Codex Aureus Epternacensis, Illustration
und Taufe, Salzburg um 1160, Wien,
zum Matthäus Evangelium, Echternach
Österreichische National Bibliothek
um 1030, Nürnberg, Germanisches
National Museum
Meister der Katharina von Kleve, Hll.
Evangelistar des Speyrer Doms, Traum
Kornelius und Cyprian, Stundenbuch
und Heimreise der Hl. drei Könige,
Katharinas von Kleve, 1435/45, New
Mittelrhein um 1197, Karlsruhe, Badische
York, Pierpont Morgan Library
Landesbibliothek
Meister des Königs René, Sonneaufgang Meister der Maria von Burgund,
am Glücksbrunnen, Livre du Coeur
Kreuzigung Christi, Gebetbuch der Maria
d’amour épris von René d’Anjou, um
von Burgund, 1477-1482, Wien ÖNB
1465, Wien ÖNB
Lorsch, Torhalle, Ansicht von West, 774
Reichenau, Oberzell, St. Georg, Blick von
Ost, 890-896 (?) oder um 1000
37
Caen, St-Etienne, Südwand des
Mittelschiffs, Blick von Nordwest, um
1065-1081
Maursmünster (Marmoutier), ehem.
Abteikirche, Westfassade, Mitte 12. Jh.
Périgueux, Kathedrale, nach 1120
Santiago de Compostela, Kathedrale,
Südfassade des Querhauses, um 11001128
León, San Isidoro, Pantéon de los Reyes,
Blick von Südost, 1054/67
Fassade von St. Trophime in Arles, um
1170
Chartres, West-Portal (Portal Royal), 12.
Jh.
Vézelay, Ste.-Madeleine, Blick von West,
um 1120-1150
Luca, S. Michele in Foro, Ansicht von
West, 1143-Anfang des 13. Jh.
Prophetenfenster David und Hosea,
Süddeutsch, 1. Drittel 12. Jh., Augsburg
Hoher Dom
Chartres Kathedrale Notre-Dame,
Westfassade, 1134 – nach 1194
Chartres Kathedrale Notre-Dame, Aufriß
und Querschnitt, 12. und 13. Jh.
Chartres Kathedrale Notre-Dame,
Strebepfeiler am Langhaus, 1134 – nach
1194
Grundrisse gotischer Kathedrale:
Chartres (1194), Reims (1211), Amiens
(1220)
Chartres, Außenansicht
Paris, Kathedrale Notre-Dame,
Westfassade, um 1200- um 1245
Paris, Kathedrale Notre-Dame, Blick von
West, um 11630- um 1225
Amiens, Kathedrale Notre-Dame,
Mittelschiff-Südwand, Blick von Nordost,
1220-1233/36
Stift Heiligenkreuz im Wienerwald, 12.
Jh., Luftbild
Kloster Eberbach
Wells, Som. Kathedrale, Block von West,
geweiht 1239
Köln, Dom St. Peter und Maria, Ansicht
von Ost, begonnen 1248
Naumburg, Dom St. Peter und Paul,
Caen, St.-Etienne, Ansicht von West, um
1065-1081
Speyer, Dom, Ansicht von Ost, um
1030/61 und um 1080-1106
Worms, Dom, 11. Jh. und um 1200
Avila, Nordflanke der Stadmauer, Ansicht
von Südwest, um 1090-1101
Santo Domingo de Silos, Kreuzgang,
Nordflügel, Ende 11. Jh.
Chartres, West-Portal (Portal Royal), 12.
Jh, Mitte. Majestas Domini und Apostel
Vézelay, Ste.-Madeleine, Hauptportal
zwischen Vorkirche und Mittelschiff, um
1130
Florenz, Baptisterium S. Giovanni, um
1060-1150
Lesepult, Süddeutsch, Mitte des 12. Jh.,
Freudenstadt, Evang. Stadtkirche
Saint-Denis, ehem. Abteikirche,
Chorumgang, Südseite, 1141-44
Zeichnung: Gotisches Gewölbe
Chartres Kathedrale Notre-Dame,
Mittelschiff am Langhaus, 1134 – nach
1194
Chartres Kathedrale Notre-Dame,
Strebebögen, 1134 – nach 1194
Zeichnung: Gotische Kathedrale, Schnitt
Paris, Kathedrale Notre-Dame,
Außenansicht, 12./13. Jh.
Reims, Kathedrale Notre-Dame, Blick von
West, 1211-um 1300
Stift Heiligenkreuz im Wienerwald,
Klosteranlage
Stift Heiligenkreuz im Wienerwald,
Klosteranlage
Salisbury, Wilts-Kathedrale, Ansicht von
Südwest, begonnen 1120
Cambridge, King’s College Chapel, Blick
von West, 1446-1515
Paris, Sainte-Chapelle, Oberkirche, Blick
38
Portal des Westlettners, um 1250
Naumburg, Dom St. Peter und Paul,
Westchor, Stifterfiguren Ekkehard und
Uta, um 1250
Straßburg, Münster Unserer Lieben Frau,
Westbau, 1277-1439
Giotto, Verkündigung an die Hl. Anna,
Padua, Arena-Kapelle, um 1304/05
Ulrich von Ensingen und Johannes Hültz:
Münster in Straßburg, Nordturm,
vollendet 1439
Masaccio: Schattenheilung, Fresko,
Florenz, S. Maria del Carmine, um 1428
Rogier van der Weyden, Bildnis einer
jungen Frau, um 1455/60, London,
National Gallery
Wirkteppich aus der Folge „Dame mit
Einhorn“, Brüssel, um 1480/90, Paris
Musée de Cluny
Christus-Johannes-Gruppe,
Oberschwaben, um 1330, Berlin, SMPK
Nürnberg, Schöner Brunnen und
Frauenkirche, Ansicht von Südwest nach
1349
von West, 1243/48
Triumphkreuz, Halberstadt Dom St.
Stephan, um 1220
Bamberger Reiter am Georgenchor,
Bamberg, Dom St. Peter, um 1225/37
Freiburg i. Br., Münster Unserer Lieben
Frau, Westturm und Helm, nach 1301
Florenz, S. Croce, Blick von West, beg.
1294/95
Duccio, Die Passion Christi, Ausschnitt
aus Maestas-Altar, 1308/11 urspr. im
Dom S. Maria in Siena, heute Siena,
Museo dell’Opera
Filippo Brunelleschi, S. Maria del Fiore,
Florenz, Ansicht von Südost, vollendet
1434 (bis zur Laterne)
Jan van Eyck, Arnolfinihochzeit, 1434,
London, National Gallery
Rogier van der Weyden, Jüngstes
Gericht, vor 1450, Beaune, Hôtel-Dieu
Jehan Josès, Lesepult, Dianant, um
1370, Tongeren
Bernt Notke, Hl. Georg, Stockholm
Storkyrka, geweiht 1489
Hans Leinberger, Maria mit Kind, um
1515, St. Martin, Landshut
Lorenz Helmschmied, Harnisch Herzog
Sigmund von Tirol, Augsburg um
1470/80, Wien KHM
13. RENAISSANCE
1500 Renaissance Wiedergeburt der antiken römischen Kultur ist das Ziel der
italienischen und deutschen Humanisten. Rom löst Florenz als Kunstzentrum ab.
Hier wirken Raffael (+1520) und Michelangelo (+ 1564).
Die Hochrenaissance endet mit dem Tod Raffaels, länger war das klassische
Gleichgewicht von Farbe und Zeichnung, Ruhe und Bewegung, Antike und
Christentum nicht durchzuhalten; danach wird es interessantkompliziert: Ausfahrende Bewegung, unruhiger Stand, zugespitzte Charaktere,
schrille Farbigkeit. Die Künstler wollen sich unterscheiden, übertreffen, ihre
Handschrift (ital. Maniera) betonen: Manierismus.
Wichtigstes Bauwerk des neuen Stils ist der Petersdom in Rom, begonnen von
Bramante 1506, fortgeführt von Raffael, Sangallo, Michelangelo, Giacomo della
Porta, vollendet von Carlo Maderno 1614. Neben Florenz und Rom sind Zentren der
manieristischen Kunst Mantua und Fontainebleau. Im Veneto, zwischen Verona und
39
Venedig entsteht eine eigene Stilrichtung der Architektur (Theater, Kirchen, Villen) im
Werk der Architekten Sanmicheli und Andrea Palladio (1508-80) mit großem Einfluß
auf die englische und amerikanische Architektur.
In Venedig wirken die Maler Tizian 1477-1576, Paolo Veronese 1528-1588 und
Tintoretto 1518-1594, deren farbenprächtigen Werke(Öl auf Leinwand) in ganz
Europa verbreitet wurden.
In Deutschland wird der Bau von Schlössern (Heidelberg, Aschaffenburg) und
Rathäusern (Augsburg, Paderborn) zur künstlerisch führenden Bauaufgabe, da der
Kirchenbau wegen der Reformation zurücktritt: Ausnahme die Jesuitenkirche St.
Michael in München 1583-97, die neue Maßstäbe in der mittelalterlichen Stadt setzt.
14. BAROCK
1600 BAROCK In Deutschland setzt sich der Barock erst nach dem Ende des
Dreißigjährigen Krieges 1648 durch, da ist er in Rom schon beinahe zu Ende. Die
Franzosen nannten diese Epoche (Ludwig XIV.,Versailles) Style classique. Erst seit
kurzem geben sie zu, daß ihr style classique eine nationale Variante einer
europäischen Barockkultur ist, die von Sevilla bis St.Petersburg, von Irland bis
Ungarn reicht. Aber diese Kultur ist nicht eeinheitlich, sie unterscheidet sich nach
Konfessionen und Landschaften oft in dichter Gemengelage: Antwerpen Katholisch,
Peter Paul Rubens 1577-1640; Amsterdam, reformiert Rembrandt1606-1669.
Bamberg, Würzburg katholisch; Bayreuth, Ansbach evangelisch. Frankreich
(bedeutendster Maler Nicolas Poussin 1593-1665), Spanien( bedeutendster Maler
Diego Velazquez 1599-1660), Italien (bedeutendster Bildhauer Gian Lorenzo Bernini
1598-1680) bleiben katholisch.
In Freising wird der romanische Dom 1624-29 zum erstenmal barockisiert, einheitlich
stuckiert und der Hochaltar mit dem Bild von Peter Paul Rubens aufgerichtet, der
zum Vorbild für hunderte von Kirchen in Bayern wurde. 1724 erhält der Dom durch
den Maler Cosmas Damian Asam und den Bildhauer Egid Quirin Asam zur 1000
Jahrfeier ein neues Festkleid aus Malerei und Stuck. Die Asams arbeiten zwischen
der Schweiz, Mannheim, Prag und Schlesien im ganzen Süden des katholischen
Deutschland, zur selben Zeit wie J.S.Bach in Leipzig.
1740 Rokoko Nach einem asymmetrischen felsenförmigen Ornament (Rocaille)
benannte Stilvariante des Barock in einigen Kunstlandschaften: Sizilien, Altbayern,
Mainfranken, Oberrhein, Potsdam, Venedig. Hauptwerk die Wallfahrtskirche Wies,
erbaut von Dominikus Zimmermann 1746-54. Stukkatorenarchitektur.
1770 Klassizismus Rückkehr zu klassischen Formen, Raffael als Vorbild der
Malerei, römische Architektur mit Säulen und Kuppeln wird dank Napoleons Style
Empire zum Staatsstil von Washington bis Moskau.
André Le Nostre, Vaux-le-Vicomte bei
Idealplan des Stifts Göttweig, 18. Jh.
Melun, 1653/60
Michelangelo, Erschaffung Adams, 1511, Paul Troger, Apotheose Karls VI., Fresko,
Sixtina, Vatikan
Stift Göttweig, 1739
Velàzquez, Die Spinnerinnen, 1650,
Madrid, Prado
40
15. 19. JAHRHUNDERT
Der Klassizismus kann auch als erste Form des Historismus verstanden werden:
Für die dank der technisch-industriellen Revolution notwendigen neuen
Bauaufgaben: Verkehrsbauwerke, Fabriken, Verwaltungszentren,
Ausstellungsgebäude sucht man historische Bauformen, mit denen man die neuen
Zwecke und Techniken verbergen, vermitteln kann. Innerhalb des Historismus
unterscheidet man Neugotik, Neuromanik, Neubarock, die nacheinander und seit
1870 auch nebeneinander auftreten. Dem entsprechend müßte man den
Klassizismus dann als Neuantik bezeichnen, aber das ist nicht üblich.
Der Historismus bleibt in der Architektur für das ganze 19. Jahrhundert maßgebend,
im Kirchenbau auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Malerei und
Skulptur treten mehrere Stile auf und lösen sich ab:
Romantik Der Maler Caspar David Friedrich 1774-1840 macht die
Landschaftsmalerei zur führenden Gattung und zum Spiegel der menschlichen
Seele. In Frankreich hält Eugene Delacroix 1798-1863 am Historienbild fest und malt
auch zeitgenössische Szenen (Barrikadenkämpfe) als großes Figurentheater,
entdeckt den farbigen Reiz des Orients. In England beobachtet William Turner 17751851 in seinen Landschaftsbildern wechselnde Lichtstimmungen, Nebel, schildert
den Kampf von Licht und Dunkel.
Realismus Gustave Courbet 1819-1877 wandte sich der Beobachtung und
malerischen Dokumentation von Realität zu, begründet den Realismus mit großer
Wirkung auf Adolph Menzel 1815-1905, Wilhelm Leibl und die nächste Generation.
Gleichzeitig entsteht in Ausflugsorten südlich von Paris (Barbizon) die Freiluftmalerei:
Millet, Corot, Daubigny
William Turner, Bergsee in Morgennebel,
um 1830, London, British Museum
Claude Monet, Rouen 1894, Paris
William Le Baron Jenney, Home Life
Insurance Company Building, Chicago
1883/1885
Caspar David Friedrich, Kreuz an der
Ostsee, um 1808, Köln, Wallraf-Richartz
Museum
Eugène Delacroix: Chlormide befreit
Olinde und Sophranisbe, 1854/56,
München, Bayer. Staatsgemälde
Sammlungen
Jean François Millet, Ährenleserinnen,
1857 Paris
16. 20. JAHRHUNDERT
Impressionismus
In den 60 er Jahren bildete sich in Paris eine Gruppe von jungen Malern: Edouard
Manet, Claude Monet, Camille Pissaro, Paul Cezanne u.a. deren Werke als
„impressionistisch“ beschimpft wurden, weil sie keine klaren Konturen haben, welche
die Farbflächen von einander abgrenzen, sondern einem flüchtigen Augeneindruck
(Impression) entsprechen.
41
Im 20. Jahrhundert wird die westeuropäische Kunst zur Weltkunst; sie nimmt
Anregungen vom japanischen Holzschnitt, der afrikanischen Skulptur, der
russischen Kunst auf und wird dank der wirtschaftlichen und technischen
Kommunikation (Radio, Telefon, Eisenbahn, Schiffahrtslinien, später Fernsehen und
Flugverbindungen) auf der ganzen Welt verbreitet und als Vorbild empfunden. Dies
ändert sich in den dreißiger Jahren, als die russische und die deutsche Kunst durch
staatliche Verbote und Gebote gelenkt, aus der Kommunikation der Moderne
ausscheiden und in dem seit 1950 New York Paris als Kunstzentrum ablöst.
Die moderne Kunst entstand um 1910 in Paris (Kubismus: Pablo Picasso, Georges
Braque, Henri Matisse),
Dresden (Künstlergruppe Brücke: Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Max
Pechstein, Emil Nolde),
München (Künstlergruppe Der Blaue Reiter: Franz Marc, Wassili Kandinsky, Alexei
Jawlensky, Paul Klee)
Amsterdam (Künstlergruppe De Stijl: Piet Mondrian, Georges Vantongerloo, Theo
van Doesburg)
St.Petersburg Kasimir Malewitsch (Suprematismus)
Die Revolution der modernen Kunst ist zeitgleich (und für das Gesicht der Welt auch
gleich wichtig) mit Atomphysik, Quantenlehre, Relativitätstheorie und Psychoanalyse.
Sie löst sich vom Primat der Nachahmung, „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder,
sondern macht sichtbar“(Paul Klee). Sie behandelt Farben und Formen frei als Mittel
des Ausdrucks und der seelischen Wirkung, wie die Musiker (schon seit 1700) frei
mit Tönen, Klängen und Rhythmen umgehen, ohne Naturlaute nach zu ahmen.
Die Architektur des 20. Jahrhunderts entwickelt als beherrschende Baustoff Beton
und Glas, seit 1960 zunehmend auch Kunststoffe wie Plexiglas und Glasfiber. Neue
Bauaufgabe ist seit der Erfindung des Personenaufzugs 1880 das Hochhaus
(zunächst mit Säulen und Giebeln historisch verkleidet), sowie Verkehrsbauten und
Sportstadien. Die Abkehr vom Bauen in historischen Formen vollzog am radikalsten
das Bauhaus, eine Hochschule für Gestaltung, gegründet 1918 in Weimar von Walter
Gropius, später in Dessau und Berlin angesiedelt, 1933 von der
nationalsozialistischen Regierung aufgelöst. Die führenden Lehrer, vor allem
Architekten (Mies van der Rohe) und Maler (Kandinsky, Klee, Albers) gingen in die
Emigration, und verbreiteten die Ideen des Bauhauses weltweit. In den 50er Jahren
kehrte ihr Stil als internationale Moderne nach Deutschland zurück, seit 1975 von der
sogenannten Postmoderne, die viele Architekten heute noch als Schimpfwort
betrachten, abgelöst.
In Malerei und Skulptur treten mehrere Stilrichtungen neben und nach einander auf:
Jugendstil (Symbolismus) Dekorativer Stil der Jahrhundertwende mit pflanzlichen
Formen, in der Malerei vielfach religiöse, esoterische Themen und Symbole
Kubismus, erfunden 1906 von Picasso und Braque, Malerei ist Farbe auf Fläche
und kein Fenster zum Raum, deshalb Verzicht auf Perspektive, Montage
verschiedener Ansichten eines Gegenstandes nebeneinander.
Expressionismus, kritische Bezeichnung für eine Kunst, die den Ausdruck
seelischer Zustände sucht und deshalb als subjektiv abgelehnt wurde. Pathos von
Schrei und Gebärde. Begründet von der Künstlergruppe Die Brücke 1905, Zentrum
im Berlin der 20 er Jahre.
Abstraktion, begründet 1912 in München von Künstlergruppe Der Blaue Reiter, kurz
darauf in Amsterdam und St. Petersburg, Verzicht auf die Abbildung von
Gegenständen und Personen, reine Farbigkeit, reine Fläche, bzw. reine
42
stereometrische Formen in der Plastik, in Weihenstephan, Stelen von Fritz König,
Ernst Herrman u.a.
Surrealismus, begründet 1918 in Zürich, dann in Paris, eng mit Literatur (A.Breton)
und Psychoanalyse verbundene Bewegung, die „Überwirklichkeit“ in Traumbildern
und Projektionen des Unbewußten sucht, Maler und Bildhauer Max Ernst (18911976)
Neue Sachlichkeit, Gegenbewegung gegen Abstraktion und Expressionismus, seit
1923, z.T. sozial engagiert, Grosz, C.Schad, Otto Dix, z.T. konservativ bis
faschistisch
Sozialistischer Realismus, von den kommunistischen Parteien verordnete
Kunstdoktrin in den Ländern des Ostblocks, in der Sowjet Union seit Stalin, im
übrigen Osteuropa und in China seit 1950, z. T. von hoher malerischer Qualität z.B.
W.Sitte.
Pop art, knallig, volkstümliche Kunstrichtung in England seit 1953 R.Hamilton,
später auch in USA Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Tom Wesselman, bezieht
Reklame, Warenwelt und Comic in einem teils heiteren, teils kritischen und sehr
erfolgreichen Ansatz ein.
Op art, Kunstrichtung, die Seh-vorgänge, die Wahrnehmung von Hell-Dunkel, sich
kreuzenden und überlagenden Linien sowie Farbflächen thematisiert, Hauptvertreter
Reginald Neil, Viktor Vasarely, etwas später und parallel zur Pop art, vor allem in 70
er Jahren
Minimalismus, künstlerische Reaktion auf Pop und Op, äußerste Reduktion der
plastischen Formen ohne jeden erzählenden oder deutenden Zusammenhang,
Hauptvertreter Donald Judd, Carl Andre
Am Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Weltkunst zum erstenmal in allen
Domänen stark von Künstlerinnen geprägt.
Neben Baukunst, Malerei, Zeichnung, Plastik entstanden im 20. Jahrhundert als
neue Kunstgattungen: Photographie, Film, Video, Installation, Happening, Lichtkunst,
Kinetik, Land art
Photographie wird als Portrait von Menschen, sozialen Zuständen, oder als
abstrakte Kunst betrieben. Seit 1980 gibt es große (3x4 m) Leuchtkästen mit
Farbdiapositiven vor allem von Jeff Wall.
Ob der Film zur darstellenden Kunst, dem Theater, oder zur bildenden Kunst zu
zählen ist? Er erzeugt Bilder nach den Regeln des Bildermachens und des Theaters
und wirkt auf beide zurück. Er produziert Werke seichtester Unterhaltung und von
höchstem künstlerischen Anspruch und wirkt auf Malerei, Mode und Architektur.
Happening ist eine Mischform aus Theater und Bildender Kunst und Musik: mit
vorgefundenen oder vom Künstler gestalteten Formen z.B. Yves Klein: ein
Streichquartett spielt, dazu wälzen sich zwei nackte Frauen in blauer Farbe und auf
Leinwand. Die Abdrücke kommen ins Museum. Wichtige Happening-Künstler in
Deutschland waren Wolf Vostell und Josef Beuys. Vor allem in den 70er Jahren. Die
Künstlerin Gloria Friedmann nennt heute ihre „Happenings“ „Lebende Bilder“.
Lichtkunst wird mit weißen oder farbigen Scheinwerfern oder Leuchtstoffröhren oder
Leuchtdioden von Künstlern wie Dan Flavin, Keith Sonnier(MUC), Mischa Kuball seit
den 70 er Jahren als flächige, raumbezogene oder städtebauliche Arbeit betrieben.
Installation nannte Dan Flavin 1967 seine Lichtraumarbeiten. Heute werden mit dem
Begriff künstlerische Arbeiten bezeichnet, die Räume umfassen und nicht nur aus
vom Künstler gestalteten Werken sondern auch aus vorgefundenen und künstlerisch
verfremdeten Gegenständen (Badewanne, Bahre, Bett usw.) bestehen. Auch die
Überreste eines Happenings können, wenn sie im räumlichen Zusammenhang
43
bleiben oder wieder versetzt werden, zur Installation erklärt werden, z.B. Joseph
Beuys (1921-86). Sie können sozialkritisch aktuelle Themen aufgreifen, aber sich
auch zeitlos mit Körpergefühl, Wahrnehmung und psychischen Wirkungen
auseinandersetzen. Installationen dominieren seit 1990 neben den Videoarbeiten
den internationalen Kunstbetrieb.
Video wurde als Kunstform von Nam June Paik 1963 erfunden, in dem er
Fernsehbilder künstlerisch manipulierte. Seither entwickelte sich Video zu einer der
wichtigsten Kunstgattungen, zuerst mit Videokameras und Schwarzweißmonitoren
(oft viele neben und über einander: Videoskulpturen), heute oft mit hochauflösenden
Farbbeamern, die ganze Räume (black boxes) allseitig erfassen. Besonders
Künstlerinnen arbeiten mit Video: Ulrike Rosenbach, Pippilotti Rist, Sam TaylorWood, Sherin Neshat unter den Videokünstlern sind Bruce Naumann und Bill Viola
zur Zeit am bekanntesten.
Kinetik, das Kunstwerk oder seine Teile bewegen sich, sei es im Mobile durch
Luftbewegung, Alexander Calder, sei es durch Motoren, wie bei Grävenitz und
J.Tinguely, Vorläufer Laszlo Moholy-Nagy seit 1920, dann vor allem in 60 er Jahren.
Land art, künstlerische Eingriffe in die Landschaft seit 1968, in USA oft von riesigen
Ausmaßen Michael Heizer, Walter de Maria, in England zart und vergänglich Richard
Long. Beispiel in Weihenstephan Albert Weis, der Hochschulanger südlich der
Mensa.
Pablo Picasso, Demoiselles d’Avignon,
1907, New York, MOMA
Kasimir Malewitsch, Blaues Rechteck
über purpurfarbenem Balken, 1916,
Amsterdam, Stedelijk Museum
David Wark Griffith, Way Down East,
USA, 1920, Stummfilm
Barnett Newman, Who’s afraid of Red,
Yellow and Blue III., 1966, Amsterdam,
Stedelijk Museum
Dan Flavin: Primary Picture, 1964, Paris,
Galerie Sonnabend
Niki de Saint Phalle, Schwarze Nana,
1968/69, Köln, Sammlung Ludwig
Bruce Naumann, Joseph Beuys
Raymond Mathewson Hood, Daily News
Building, New York 1930
Franz Marc, Die kleinen gelben Pferde,
1912, Stuttgart,
Theo van Doesburg, Kontra-Komposition
mit Dissonanzen, Nr. 16, 1925, Den
Haag, Gemeentehuis
Umberto Boccioni, Dynanismus eines
Fußballspielers, 1913, New York, MOMA
Michelangelo Pistoletto, Comizio Nr. 2,
1965, Köln, Museum Ludwig
Pablo Picasso, Das Absinthglas, 1914,
Philadelphia, Museum of Art
Fritz König, Votiv 59 und Flora II, 1970
44
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