Jelmits Melodie von Freiheit 1. Kapitel Leise und sanft ertönte eine Flöte über das gewaltige Atlasgebirge. Wenn man genau hinhörte, wusste man, dass diese Melodie weit hinter dem Atlas komponiert wurde. Auf einem kleinen Hügel nahe dem großen See saß ein kleiner Hirtenjunge, der eine Ziegenfellweste über einem kurzen Rock trug. Er hatte blaue Augen und war hellbraun im Gesicht. Der Knabe spielte auf einer Rohrflöte. Vor ihm grasten junge Ziegen. Wenn dann noch ein Hauch Wind aufkam, vergaß er alles um sich herum und fühlte sich richtig frei. Das Wort „frei“ bedeutete ihm sehr viel. Über dem halben Orient, so sagte man, herrschte der große Sultan Omar IV. Die farbenfrohen mit Gold und Juwelen bestickten Gewänder des Sultans standen dem Hirtenjungen vor Augen. Jelmit rieb sich die Augenlider. Sand wehte ihm ins Gesicht. Weit hinten am Horizont stieg eine Staubwolke auf: Die Parther. Die Angst packte den Jungen wie einen eisernen Griff. Er fand aber schnell die Besinnung wieder. Sofort rannte er den kleinen Pfad hinauf, um seinen Vater zu warnen. Die wilden Reiter waren vor ihm da: Das Haus von seinem Vater stand bereits in Flammen. Die Umgebung von dem Lehm- und Steinhaus war verwüstet. Das Gras war abgebrannt. Auf einem Tisch aus Stein, der vor den Flammen der Parther verschont blieb, fand Jelmit ein Stück Pergament: „Mein Sohn Jelmit, ich konnte dem Sultan die Steuern nicht mehr zahlen und muss sie abarbeiten als Teppichflicker. Solange ich weg bin, kannst du bei deinem Onkel Turgut wohnen. Vergiss mich nicht und falls ich jemals wiederkomme, werden wir beide uns nie wieder trennen. Dein Vater Jelmü.“ las Jelmit leise vor sich hin. Langsam standen Jelmit die Tränen im Gesicht. Nach langem Zögern machte er sich auf den Weg zu seinem wohlhabenden Onkel Turgut. Das einzige, was er mitnahm, waren seine Ziegen und seine geliebte Rohrflöte. 2. Kapitel Den Weg, den Jelmit ging, kannte er nicht sehr gut. Er wusste nur noch, dass der Weg durch eine kleine Steinwüste ging. Jelmit war klar, dass er das nicht ohne Nahrung und Trinkwasser schaffen würde. So ging er an den See und als er seine Lederflasche ins Wasser tauchte, schöpfte er neuen Mut. An Nahrung zu gelangen, war sichtlich schwerer. Jelmit lief schnell zu den Überresten des Hauses. In dem Schatten der Ruine konnte er vielleicht besser nachdenken. Auf dem Rückweg stieß er auf einen Bogen, Pfeile und einen Dolch. Wahrscheinlich hatten die Parther die Waffen vergessen, dachte Jelmit bei sich. Er nahm den Bogen, die Pfeile und schnallte sich den Dolch an seinen Gürtel. Zum Glück war er schon oft auf die Jagd gegangen. Er konnte nicht nur gut Bogen schießen, sondern er wusste auch, wie man ein Tier ausnimmt und brät. Jelmit rannte runter zum See und pirschte sich wie ein Puma an eine wilde Ziege heran. Im nächsten Moment schoss der Junge einen Pfeil ab. Die Ziege lag augenblicklich tot am Boden. Sie war sehr schwer und Jelmit schaffte es gerade noch so, die Ziege den Pfad herauf zu schleppen. Er nahm sie gründlich aus und briet ihr Fleisch. Er packte es in herumliegende Säcke ein. Endlich konnte es losgehen. Jelmit passierte sanfte Hügel mit seinen Ziegen. Die ganze Zeit spielte er auf seiner Rohrflöte. Nur so folgten ihm die hungrigen Ziegen durch die Wüste. Sie trabten von Oase zu Oase. An den Wasserstellen ruhten sich die Tiere und er aus. Die Ziegen fraßen dann immer die doppelten Mengen. Jelmit fürchtete die Steinwüste sehr. Überall könnten Räuber auflauern, dachte er furchtsam. Er wunderte sich sehr, dass die Ziegen bei ihm bleiben, wenn er auf seiner Flöte spielte. Noch konnte er sich nicht vorstellen, dass er mit seiner Musik viel Einfluss auf Tiere, Menschen und sogar Pflanzen haben könnte. Eines Tages ging ihm das Wasser aus und er musste seine Trinkflasche an einer Oase wieder auffüllen. Als er ungefähr 5 Meilen mit seinen Ziegen gelaufen war, tauchten auf einem Hang bewaffnete Reiter auf. Schnell hatten sie Jelmit und ein paar Ziegen eingekreist. Sie ritten wendig um sie herum und kreisten die Flüchtigen immer eine Stück enger ein. Jelmit würde es sich nie verzeihen, wenn er die anderen Ziegen verloren hätte. Schnell wie der Blitz spielte er eine kleine Melodie auf seiner selbst gemachten Rohrflöte. Jelmit war sehr überrascht, als nicht nur die Ziegen, sondern auch die Räuber auf ihren Pferden näher kamen. Alle hörten der Melodie gebannt zu. Die Räuber waren so überrascht von dem lieblichen Stück, dass sie gleich etwas freundlicher herüberblickten. Zuerst waren die Räuber noch misstrauisch, doch dann fanden sie Gefallen an dem Jungen. Schließlich ließen sie Jelmit und die Ziegen gehen und gaben ihm obendrein noch etwas zu trinken. Ab da hatte Jelmit eine Ahnung davon, dass sich einiges in seinem Leben durch seine Musik ändern könnte. Nach vielen Tagen mühsamen Wanderns endete die Wüste. Jetzt musste er nur noch nach Marakesch, wo sein Onkel lebte. 3. Kapitel Als Jelmit vor die Tore Marakeschs kam, staunte er über den Reichtum der Stadt. Die Mauern waren über 10 Kilometer lang und mindestens 5 Meter hoch. Sein Staunen wuchs noch mehr als er hinter die Stadtmauern lief: Da waren Händler mit Gewürzen, Juwelen, kostbarem Schmuck und Seidengewänder in jeder Farbe. Auf der anderen Seite sah man Gaukler, Schlangenbeschwörer mit Flöten, Musikinstrumente, wie Gitarren, Flöten, Pauken und noch viele weitere Trommelarten. In einer Ecke des Gauklerplatzes lagen unzählige orientalische Teppiche. Groß und mächtig stand der Hundertsäulenpalast. In den hohen Fenstern hingen schwere Wandteppiche. Wenn Wind aufkam, roch es aus dem Palast des Sultans nach duftenden Ölen und Kräutern. Jelmit erinnerte sich noch gut an das wohlhabende Haus seines Onkels, direkt am Palast. Endlich konnte er es sehen. Nach zwei Minuten stand er vor den Stufen der Tür. Ein schwerer Messingring war an der Tür angebracht. 1,2,3 mal klopfte Jelmit an die Tür. Kurz danach öffnete eine Dame die Tür. „Ist das nicht mein kleiner Jelmit?“, fragte sie überrascht. „Bist du ganz alleine mit den Ziegen den langen Weg bis hierher gewandert?“, wunderte sie sich noch einmal. „Mein Vater wurde von den Parthern gefangen genommen und zum Palast des Sultans gebracht“; antwortete Jemit erschöpft. „Was?“, rief Jelmits Tante entsetzt. Komm schnell rein, ich bringe die Ziegen schon weg.“ Jelmit ging mühsam die letzten Schritte ins Haus. Ein Krummsäbel, ein Dolch, ein Schild und ein Speer hingen an der Wand. Es gab auch einen Ständer, an dem ein Helm und ein Kettenhemd aufgehängt waren. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, zwei Stühle und zwei Bänke. Rote Tücher hingen hinter den Fenstern. Eine Treppe führte nach oben. Unten zweigten zwei Räume von dem Esszimmer ab. Da kam Tante Aravis herein. Sie stellte ein paar hölzerne Becher auf den Tisch und goss Wein ein. „Erzähl noch einmal die ganze Geschichte von vorne.“ Mit Tränen in den Augen erzählte Jelmit seine ganze Reise. „Warum sehen die ganzen Menschen hier so betrübt aus?“, fragte Jelmit. „Ich glaube, dass es mit unserem Herrscher zusammenhängt. Fast kein Mensch ist hier noch frei. Viele sind Leibeigene des Sultans. Er besitzt nämlich viele Sklaven. Ich würde mir keine großen Hoffnungen machen, dass dein Vater da wieder rauskommt.“, meinte Aravis, „Dein Onkel Turgut ist gerade im Hundertsäulen-palast des Sultans. Turgut bedient den Herrscher oft. In der Zeit, wo er weg ist, zeige ich dir dein Zimmer.“ Aravis und Jelmit stiegen die Treppe ins obere Geschoss hinauf. „Dein Zimmer ist hier.“, zeigte Aravis auf eine kleine Kammer. Als Jelmit eintrat, hing an einer Wand ein blaues Gewand. Ein enges Fenster war über einem Bett eingemeiselt. „Diese Kammer gehört eurem Sohn, nicht wahr?“, fragte Jelmit. „Ja, er musste aber in einen Krieg in den Provinzen. Und dann starb er dort.“, erzählte sie leise und voller Kummer. Da merkte Jelmit wie grausam Omar IV. war. Er hatte viel Blut an den Fingern. Von seinem Volk und anderen Völkern. Jelmit sah ein, dass sie alle wie Sklaven behandelt wurden. Hohe Steuern. Wer sie nicht bezahlte, musste sie abarbeiten, auch wenn sie das ganze Leben daran arbeiteten. Er hasste die Sultane. Jeder war genauso wie der vorige. Sie unterdrückten ihr Volk. „Wäre doch nur einer von ihnen gerecht“, dachte Jelmit wütend. In ihm kochte und brodelte es. Er würde es diesen Männern schon zeigen. Und zwar nicht mit dem Schwert. Mit diesen Gedanken sank Jelmit auf sein Bett und schlief sofort ein. Diese Nacht schlief Jelmit sehr schlecht. Dauernd träumte er von seinem Vater, Räubern, Sultanen und von Steinwüsten. Am nächsten Morgen erzählte Turgut viel von den Persern. Jelmit hatte nicht gewusst, dass Perser und Parther das Land vor drei Generationen erobert hatten. Und ab da fing die Schreckensherrschaft unter Assurbanipal an. Aravis stellte ein Tablett auf den Tisch mit Früchten, Bechern und einem Krug mit Wasser. Bei Jelmit zu Hause gab es am Morgen immer Ziegenmilch und Ziegenkäse. Deswegen schmeckte es ihm ausgesprochen vorzüglich. Nach dem Frühstück gab Aravis Jelmit ein blaues Gewand. Danach fütterte er die Ziegen und half Aravis beim Abwasch. Er ging zum Brunnen und füllte die Krüge mit Wasser auf. 4. Kapitel Am Nachmittag ging Jelmit auf den Markt, um Lebensmittel einzukaufen. Aravis hatte ihm versprochen, nach dem Einkaufen seine Flöte zu verzieren. Der Bazar war riesengroß und hatte noch viele Nebenstraßen, wo man sich sehr leicht verirren konnte. Er schaute lange den Schlangenbeschwörern zu. Jelmit kaufte Wein, Granatapfel, Feigen, Ananas und Datteln. Schnell verschwand er aus dem Getümmel ins Haus seiner Verwandten. Aravis küsste ihn auf die Wange und zeigt ihm die verzierte Flöte. Jelmit erkannte sie fast nicht wieder. Gerade, als er wieder auf den Markt trat, preschten Soldaten an ihm vorbei und packten einen vermummten Mann, der eine goldene Vase in der Hand hielt. Wahrscheinlich ist es ein Dieb, dachte Jelmit. Auf dem Gauklerplatz wimmelte nur so von Soldaten. Langsam schritt er an den Ständen vorbei. Plötzlich stieß er mit einem anderen Jungen in vornehmer Kleidung zusammen. Er trug einen kurzen Dolch wie Jelmit. Er lächelte über das ganze Gesicht. „Du bist hier neu, oder?“, wollte er wissen. „Ich lebe seit gestern in der Stadt“, antwortete Jelmit. „Ich fühle mich hier am wohlsten auf dem Basar, Hier ist alles so bunt. Du triffst die unterschiedlichsten Menschen. Im Palst, wo ich wohne, ist alles so geordnet und Langweilig. Jeder macht im Palast immer dasselbe. Jeden Tag müssen sie den Sultan bedienen, seine Wünsche erfüllen, und bei jedem kleinen Fehler, muss man mit einer Strafe rechnen“, erzählte der Junge. „Woher willst du das wissen“, fragte Jelmit. „Wegen meinem Vater. Der ist die rechte Hand des Sultans. „Oh, dann wirst du sicher viele schöne Geschenke bekommen“; bewunderte Jelmit dieses leben. „Pah, ob du 10 oder 12 Gewänder hast, ist mir gleichgültig. Echte Abenteuer – das wäre was!“ Jelmit blickte ihn erstaunt an. „Willst du nicht mal in die Schlacht ziehen?“, fragte er und schaute Jelmit verständnislos an. „ich will nicht wie mein Vater enden. Da musst du als Großwesir immer nur dem Sultan etwas daherreden, das ihm gefällt. Wenn du das nicht tust, bist du fällig.“, meinte der Sohn des Großwesirs. „Aber jetzt muss ich gehen. Bei euch gibt es sicher auch essen“; beendete der abenteuerlustige Jungen das Gespräch. Im Hause von Jelmits Onkel gab es viel zu tun. Jelemit schrubbte das Geschirr ab und ließ es trocknen. Danach polierte er Turguts Waffen. Er kaufte auf dem Basar ein und hoffte immer wieder darauf, dass sein Vater irgendwann entlassen würde. „Jelmit, gehe auf den Basar und kaufe mit deiner Tante Hammelfleisch, Fladenbrot, Ziegenkäse, Obst und Wein. Heute kommt der Großwesir wegen geschäftlichen Dingen zu Besuch“, trug Onkel Turgut eines Tages Jelmit auf. Aravis und er machten sich sofort auf den Weg. Als sie wieder zu Hause waren, zeigte Aravis Jelmit seine Kleider, sein frisch gewaschenes Gewand. Darüber zog Aravis Jelmit einen grünen Mantel über. Dazu schenkte sie ihm zwei goldene Armreifen. An den Füßen trug er Sandalen. Durch sein lockiges Haar zog seine Tante noch ein rotes Stirnband. Im nächsten Augenblick klopfte es an die Tür. Als Aravis dieses öffnete, trat ein alter Herr ein. Es musste der Großwesir sein. Und hinter ihm stand kein anderer als Efraim, der Junge vom Basar. 5. Kapitel „Du? Warum bist du hier?“, fragte Efraim leise beim Vorübergehen. „Turgut ist mein Onkel“, antwortet Jelmit schnell. „Ihr kanntet euch schon?“, lächelt Turgut. „Ja, Onkel, ein bisschen“, sagte Jelmit verlegen. „Setzt euch doch. Meine Frau Aravis hat ein kleines Mahl zubereitet. „, eröffnete Turgut das Essen. „Mein Sohn Efraim wollte unbedingt mitbekommen, weil du Turgut, doch schon viele Abenteuer erlebt hast. Außerdem würde er sich gerne einmal deine Waffen anschauen“, erklärte der Großwesir Achmid. Nach dem Essen durfte sich Efraim die Waffen ansehen und Turgut erzählte seine besonderen Erlebnisse. Jelmit und Efraim entwischten gerade noch so in den Basar. Efraim zeigte Jelmit die ganze Stadt. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte Efraim wissen. Auf dem Weg durch die Gassen erzählte Efraim noch viel über den Hundertsäulenpalast und dessen Sultan. Am nächsten Morgen traf sich Jelmit mit Efraim. Die beiden wollten Musik machen. Schon bald ertönte mitten auf dem Gauklerplatz eine Flöte und eine Trommel. Vor den beiden Jungen lag eine Schale, in die ab und zu ein Groschen fiel. Ein paar Leute waren danach ganz benommen von der Musik. Vor allem, der Junge mit der Flöte, konnte besonders gut spielen. Zufällig kaufte Aravis ein und hörte die lieblichen Melodien von weitem. Als sie näher kam, wunderte sie sich sehr, dass ihr Liebling zusammen mit Efraim musizierte. Insgeheim fand sie große Zuneigung zu dem Flötenspiel des Jungen. Es sprach sich schnell bis zum Palast herum, dass ein sehr talentierter Fremder auf dem Volksplatz musizierte. Davon erfuhren auch die Beamten des Sultans. Der Großkämmerer hatte vor dem Heerführer Turgut einen Besuch abzustatten. Turgut, der ein Geizkragen war, gefiel der Gedanke sehr gut. Der Kämmerer brauchte Turgut nicht lange zu überreden, dass Jelmit vor dem mächtigen Sultan vorspielen sollte. Turgut versprach Aravis: „Dafür wird mir sicherlich eine hohe Geldsumme angeboten! Wenn wir das Angebot annehmen, brauche ich nicht mehr in die Schlacht zu ziehen und mein Leben zu riskieren. Außerdem bekommt der Junge vielleicht seinen Vater zurück. Das wäre auch für ihn gut.“ Schweren Herzens stimmte Aravis schließlich zu. 6. Kapitel Der Beamte führte Jelmit durch ein großes Tor, in dem 20 Soldaten standen. Das Portal war fünf Meter hoch und drei Meter breit. Danach sah Jelmit einen wunderschönen Park. Die Teiche waren dunkelgrün und die Quellen hellblau. Außerdem gab es Sträucher und Pflanzen aus fernen Ländern. An einer Seite des Gartens war ein niederer Holzzaun um einen Zoo herum gebaut. Jelmit schritt gerade durch niederes Gras, als ein großer See auftauchte. Dahinter erhoben sich zwei riesige Paläste. Es gab einen alten und einen neuen Palast. Der alte war mit Marmor gebaut und hatte geheimnisvolle Schriftzeichen an der Wand. Der neuer war aus Bambus und vollkommen vergoldet. Er hatte viele Balkone, die nach Osten gerichtet waren. Galeeren lagen an beiden Palästen vor Anker. Als der Beamte und Jelmit ans Ufer traten, trieb eine kleine Schaluppe im seichten Wasser. Soldaten standen stramm am Steg. Normalerweise war ein Steg aus Holz. Aber dieser wurde aus Marmor gefertigt. Langsam fuhr das Boot mit Jelmit und dem Beamten Richtung neuem Palast. Im Palast herrschte reges Treiben. Jelmit schaute auf mächtige Säulen, reich verzierte Ebenholztüren und auf mächtige Wandteppiche. Der Beamte, der Jelmit führte, schien ein genaues Ziel zu haben. Endlich standen sie vor einem Tor. Darauf waren schöne Muster abgebildet. Es war das Tor zum Audienzsaal. Zwei Soldaten öffneten sie. Jelmit ging verunsichert hinein. Aber dann kam etwas, was er gar nicht erwartet hätte. Der Sal war leer. Die Zeit verging und er fragte sich, was der Sultan mit ihm vorhabe. Nach geschätzter endloser Zeit öffnete sich das Tor und ein dicker Mann mit einem langen Gewand trat ein. Auf seinem Kopf trug er einen weißen Turban, der mit Perlen bestickt war. Eine graue Feder von einem Storch war an dem Turban befestigt. Über dem Mantel trug er einen zweiten, roten Mantel. Im Gesicht war ein langer Bart gewachsen. Um den Hals hingen schwere Goldketten. Schwerfällig ließ der Sultan sich auf seinen Thron sinken. Jelmit verbeugte sich tief vor dem Sultan. Der Mann, der mit dem Herrscher gekommen war, gab Jelmit ein Zeichen, dass er beginnen durfte. Vorsichtig spielte der junge Flötenspieler die ersten Töne. Zum ersten Mal vergaß der Sultan alles um sich herum. Er hatte das Gefühl, über die Dächer von Marakesch zu schweben. Dieses Gefühl kannte der Sultan noch gar nicht. Er entspannte sich sonst nie. Jetzt aber tat er es und schloss dabei die Augen. Als das Stück zu Ende war, öffnete er seine Augenlider nur langsam. Der weise Beamte, der neben dem Sultan stand, lächelte zufrieden. Jetzt erkannte ihn Jelmit. Es war der Großwesir. Der Sultan richtete das Wort an Jelmit: „Würdest du mir jede Woche vorspielen?“ Zuerst zögerte Jelmit noch, aber dann entschloss er sich: „Ich würde es machen, wenn du meinen Vater freilassen würdest. Er muss Eurer Erhabenheit als Teppichflicker die Steuern abarbeiten.“ Da wurde der Sultan zornig und erklärte: „Wer seine Steuern nicht zahlen kann, der muss sie eben abarbeiten! So sind die Gesetze.“ „Dann werde ich Euch niemals mehr vorspielen“, sagte Jelmit traurig, aber mit fester Stimme. – „Schicken sie das Kind weg!“ 7. Kapitel Der alte Jelmü saß vor den Überresten seiner Hütte. Die Ziegen rupften die letzten Grasbüschel ab. Die Sonne brannte auf seine Haut, wie immer. Aber seine Ziegenmilch schmeckte ihm heute nicht. In Gedanken war er bei seinem Sohn. Was machte er jetzt wohl? Hoffentlich behandelten sie ihn gut. Ihn, Jelmü, hatten sie schwer gedemütigt. Die Aufseher hatten ihn beschimpft. Einer von ihnen zerrte Jelmü anschließend vor die Tore der Stadt und rief ihm zu: „Dein Sohn bleibt im Palast, um unserem Herrscher vorzuspielen. Geh dahin, wo du hergekommen bist und lass dich hier nicht mehr blicken.“ Nun saß Jelmü hier und wusste nicht wie er sein Haus alleine wieder aufbauen konnte. Es war sehr schwer für ihn gewesen, seinen Sohn allein in der Stadt Marakesch zu lassen. Gedankenverloren schaute Jelmit auf den See. Alles war so grün und die Vögel sangen. Jetzt war sein Vater Jelmü schon einen ganzen Monat frei. Bald musste er dem Sultan vorspielen. Jelmit fragte sich, ob sein Vater wohl schon zu Hause wäre. Nicht einmal die Schönheit des Palastgartens konnte ihn aufheitern. Jelmit hatte nur trübe Gedanken. Er machte sich auf in sein Gemach. Dort legte er sich hin um ein bisschen zu schlafen. Aber auch hier plagten ihn dieselben Gedanken. In der Abenddämmerung saß Jelmit wieder am großen See. Er holte seine Flöte heraus und spielte eine einsame und traurige Melodie. Da sah er die Wüste, die Weite der Berge, seine Ziegen und seinen Vater Jelmü. Text zum Schreibwettbewerb von Maxim Meier, Klasse 5b