VO 070236 Mittelalter 2 (ca. 1200-1500) Globalgeschichte Mittelmeer und islamischer Raum Teil 7 Manfred Pittioni Das Osmanenreich als Großmacht 24.5.2012 1. Der Aufstieg „Der Aufstieg eines „European Players“: Sie traten relativ geräuschlos in die Weltgeschichte ein, schufen dann aber einen riesigen multiethnischen Staat, dessen zivilisatorischer Standard dem ihrer jeweiligen europäischen Zeitgenossen mehr als gleich kam: die Osmanen.“1 Aus den Weiten der Steppen Asiens – die frühen Türken Frühe historische Zeugnisse über die Türken sind spärlich und stammen zumeist aus chinesischen Quellen. Über die 500-jährige vorislamische Geschichte wissen wir ebenso wenig wie über die Ursprünge der verschiedenen Stämme. Die ersten Zeugnisse über eindeutig türkische Völker stammen aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts und zwar aus der Gegend, die wir heute Mongolei nennen. Damals soll der Stamm der Türk, dessen Name zum Oberbegriff für alle türksprachigen Völker werden sollte, das erste türkische Reich gegründet haben. In Europa tauchten die ersten türkischen Stämme, die als Saraguren, Oguren 1 Marlene P. HILLER in: Damals, Das Magazin für Geschichte und Kultur, 9/2003, S. 15. und Onoguren bezeichnet wurden, um die Mitte des fünften Jahrhunderts im Balkanraum auf. Auch die Bolgaren, die Vorläufer der heutigen Bulgaren, waren türkischen Ursprungs. Sie waren in der Lage, um das Schwarze Meer und in Südostasien kleine Reiche zu gründen. Mit Byzanz standen sie zeitweilig auf Kriegsfuß, wenn es opportun erschien waren sie unsichere Verbündete. 567 wird von einer Gesandtschaft der Westtürken an den Hof Kaiser Justinians berichtet. Zur Gruppe der Turkvölker gehören daneben auch noch die Awaren, die Hunnen, die Khazaren an der Wolga und die Petschenegen an der Donau. Um die Jahrtausendwende drangen türkische Stämme in Anatolien ein und eroberten schrittweise byzantinisches Territorium. Einer dieser Stämme, die Karachaniden, nahmen um 960 den islamischen Glauben an. Der wichtigste Stamm dieser Periode, welcher der anatolischen Halbinsel seinen Stempel aufdrücken sollte, waren die Seldschuken. Aus dem Raum des Kaspischen Meers kommend, eroberten sie zunächst Persien, sodann Mesopotamien, Syrien und schließlich Anatolien, wobei sie nicht nur gegen die Byzantiner, sondern auch im Norden gegen die Mongolen und im Süden gegen die Araber kämpften. Durch die enge Berührung der türkischen Seldschuken mit der persischen Kultur sowie der Verschmelzung von byzantinischen, arabischen und islamischen Elementen entstand jene wunderbare seldschukische Kultur, welche wir heute noch bewundern. Die seldschukischen Sultane bezeichneten ihr Reich, deren Mittelpunkte einerseits Kayseri, der byzantinischen Stadt Caesarea, andererseits Konya, dem antiken Ikonium, waren als „Reich von Rum“, also „Römisches Reich“. Durch die Schlacht von Mantzikert 1071, in welcher der Seldschuke Alp Arslan den byzantinischen Kaiser Romanos IV. schlug und gefangen nahm, geriet ganz Anatolien in die Hände dieses Turkvolkes. Die höchste Blüte erreichte das Seldschukenreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Jedoch wurden durch die Invasionen der Kreuzfahrer und 1243 durch die Mongoleninvasion das Staatswesen stark geschwächt. In das entstehende Machtvakuum stießen eine Reihe von Turkstämmen nach, unter ihnen die Karamanen und die Osmanen. 2. Die Entstehung des osmanischen Staates Die ältesten Hinweise, welche wir über ein osmanisches Kleinfürstentum erhalten, stammen aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts. Die Vorgänger der Türken auf dem Gebiet der heutigen Türkei stammten von den Oghusen ab, einem nomadisierendem Türkvolk, das auch der Kasachensteppe stammte. Die Osmanen sollen zur Gruppe der oghusischen kayı gehört haben. Als große Persönlichkeit dieses Stammes wird ein gewisser Süleyman erwähnt, welcher in Mahan in der Nähe von Merw als Herrscher auftrat. Einer der vier Söhne Süleymans, Ertoğrul (gest. 1281 ?) zog mit einer Gruppe seines Stammes in die Gegend von Erzurum. Der seldschukische Sultan Alaeddin Kaikubad I. wies ihnen neue Weidegründe zu, welche im Raum von Söğüt, in der Nähe von Eskişehir lagen. Damit wollte der Sultan einerseits die nomadisierenden Türkmenen an die Peripherie des Seldschukenstaates verlegen und andererseits sie als Puffer zu den „ungläubigen“ Byzantinern verwenden. Über die Herrschaft des Sohnes von Ertoğrul, Osman (1281? – 1326) liegen mehr historische Daten auf. Er war ohne Zweifel ein militärisch begabter Stammesführer, denn er konnte eine Reihe von anderen Stammesführern an sich binden und mit ihnen Eroberungen durchführen. Andererseits trug er den Beinamen ğazi, was Streiter für den Glauben bedeutete. Damit wurde seine Rolle als frommer Moslem unterstrichen, der für die Verbreitung des Islam eintrat. Er war es aber auch, der aus dem Stammesverband ein Staatswesen schuf. Der frühe Osmanenstaat war zunächst eines der vielen Kleinfürstentümer – beyliks –welche sich in Anatolien niedergelassen hatten und der zunächst als Vasall des Seldschukensultans auftrat. Der Seldschukenstaat, welcher sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufzulösen begann, konnte sich jedoch nicht mehr lange als Ordnungsfaktor behaupten. Da dazu noch die mongolischen Oberherrn, welche im Iran herrschten, sich zurückgezogen hatten, entstanden eine Reihe von Kleinfürstentümern, welche sich gegenseitig bekriegten und sich Territorien streitig machten. Zu den Hauptrivalen des Osmanenstaates waren die Karamanen zu zählen, welche in Konya ihren Hauptsitz hatte, weiters die Fürsten der Eretna mit dem Zentrum Sivas sowie die südwestanatolischen Dynastien der Aydın und Menteşe. Die ersten osmanischen Eroberungen sind historisch nicht genau festlegbar, da die frühen osmanischen Chroniken wie auch die spätmittelalterlichen Darstellungen der verschiedenen Fürstentümer des Balkans in ihren Angaben wenig präzise sind. Fest steht, dass die erste größere Stadt, welche die Osmanen unter ihrem ersten Sultan Osman I. (1299 – 1326) eroberten, Bursa war. 13337 folgte Iznik, unter den Byzantinern als Nicäa bekannt. Bursa wurde die erste Hauptstadt und wurde nach der Eroberung von Edirne 1361 von dieser abgelöst. Als 1352 die Mauern der Stadt Gelibolu durch ein Erdbeben zerstört wurden, konnte sich Sultan Orhan (1326 – 1362) dieser bemächtigen und sich seinen ersten Hafen sichern. Damit waren die Osmanen auch in der Lage, sich allmählich auf dem Meer eine Machtbasis zu sichern. Zunächst herrschte wie bei allen anderen in Kleinasien ansässigen Türkstämmen auch bei den Osmanen das tribale Element vor, die Gesellschaft wurde von den Clanstrukturen geprägt. Diese brachte für die Führung immer wieder Schwierigkeiten, da die Ansprüche vieler berücksichtigt werden mussten, wobei die Osmanen es fertig brachten, sich vom Prinzip der Herrschaft der Familien loszulösen und einen modernen Verwaltungsstaat schaffen konnten, der dem Einzelnen theoretisch, sofern er Muslim war, alle Chancen für den Aufstieg brachte. Es gab einige Fälle, in denen sogar das Amt des Großwesirs an konvertierte Nichtmuslims und Nichttürken verliehen wurde. Erwähnenswert ist die einzigartige Verschmelzung der verschiedenen Kulturelemente, welche die Osmanen als Erbe übernommen hatten. Dazu gehörte das Osmanische als Sprache, welches aus türkischen, arabischen und persischen Elementen bestand. Türkisch war die Sprache des Militärs und des Hofes, Persisch war Verwaltungs- und Kultursprache und Arabisch die Sprache der Religion und des Rechtswesens. Diese einzigartige Vermischung von Kulturen wurde noch durch byzantinische, mongolische und europäische Elemente ergänzt. 3. Der Weg zur Großmacht Das Osmanische Reich war um 1300 nun aus diesem kleinen Emirat an der Grenze zum byzantinischen Reich entstanden. Die osmanischen Emire waren zunächst Vasallen der von Konya aus regierenden Rumseldschuken, man beschäftigte sich mit ghaza, dem Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen und war vor allem gegen die Byzantiner aktiv. Das Ghaza - Motiv prägte auch für die Zukunft die dynamische Eroberungspolitik des Landes und sollte auch die Struktur des Staates für die Zukunft bestimmend sein. Bis zum Ende des Osmanenstaates war die Militär- nicht von der Zivilverwaltung getrennt und waren ziviles und religiöses Recht weitgehendst ident. Die Überlegenheit des Osmanenemirats gegenüber den anderen kleinasiatischen Fürstentümern rührte zum Teil aus den dauernden Berührungen mit den Byzantinern her. Man lernte deren Verwaltungsstruktur kennen, schuf nach dem Vorbild der Themenverfassung, die ein Art Wehrbauernsystem war, das Timar - System, welches für rund dreihundert Jahre die Basis sowohl eines Teils der Landwirtschaft wie auch für die Militärorganisation war. Hierbei wurde verdienten Kriegern vom Sultan nicht vererbliches Land zugewiesen, das sie in Pacht nahmen und dessen Ertrag ihnen den Unterhalt sicherte. Demgegenüber lag bei dem Pächter, dem Sipahi, die Verpflichtung, im Kriegsfall mit Pferd und Ausrüstung zur Verfügung zu stehen und auch Gefolgsleute zu stellen, sollte sein Timar-Gut größer sein. Dieses System bildete auch die Basis der Provinzialverwaltung, des Sandschaks, die in jeder Provinz eine zentrale Verwaltung gewährleisteten. Das Timar - System ermöglichte es den Sultanen - diese vergaben theoretisch alles eroberte Land - auch Ortsfremden Präbenden zu verleihen. Damit hatten sie die Möglichkeit, die Macht der Clans und der Stämme zu brechen, da sie damit unruhige Elemente in weit entlegene Provinzen versetzen konnten. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts hatten die osmanischen Sultane begonnen, von Europa zunächst wenig beachtet, auf dem anatolischen Gebiet der heutigen Türkei und später auch auf dem Balkan, ihre Eroberungen voranzutreiben. Ihre dynamische Angriffspolitik, die hervorragende Militärorganisation und ihre zentrale Führung machten sie zu einem in der damaligen Zeit fast unüberwindlichen Gegner. Adrianopel wurde 1361 den Byzantinern entrissen, 1364 wurde eine gemischte Streitmacht von Serben, Bosniern, Wallachen und Ungarn geschlagen. Die Bulgaren wurden 1366 Vasallen des Sultans und in der Schlacht bei Kosovo Polje 1389 schlug Sultan Murad I. die Serben und drang damit tief in den Balkan ein. Der Versuch einer europäischen Koalition, unter dem ideologischen Banner eines Kreuzzuges gegen den Islam den Eroberungen einen Riegel vorzuschieben, scheiterte 1396 bei Nikopolis kläglich, wie auch die noch folgenden Feldzüge. Nicht einmal das Zwischenspiel der Mongolen unter Timur Lenk, die 1402 bei Ankara den Sultan Bayezit I schlugen und der darauffolgende, zehn Jahre dauernde Nachfolgestreit wurde von den europäischen Mächten dazu ausgenützt, verloren gegangenes Gebiet wieder zurückzuerobern. Zu groß waren die Zwistigkeiten zwischen den Byzantinern und den Lateinern und später zwischen Protestanten und Katholiken, dem Kaiser Karl V. und dem König Franz I. von Frankreich und den divergierenden Interessen der italienischen Seerepubliken, als dass es zu einer gemeinsamen Anstrengung gekommen wäre. Der Fall Konstantinopels 1453 erfolgte praktisch ohne nennenswerte Intervention Europas, hatte zwar eine große psychologische Wirkung, war aber militärisch letztlich nicht sehr bedeutend gewesen, da ja die Stadt zuletzt nur mehr eine tributpflichtige Enklave im osmanischen Reich gewesen war. Die weiteren Vorstöße der ghazis - 1459 Morea (Peloponnes), 1461 Trapezunt und 1481 mit der Besetzung Otrantos einen Brückenkopf in Italien zu erringen, zeigten eine Dynamik und Stärke, der das zersplitterte Europa in diesem Jahrhundert nichts entgegenzusetzen hatte. Unter Sultan Selim II. (1512-20) dehnte sich das Reich noch weiter aus. Er schlug die safawidischen Perser bei Chaldiran und 1517 die Mamelucken bei Kairo, Ägypten wurde osmanische Provinz. Den Höhepunkt, sein „Goldenes Zeitalter“ erreichte das Reich unter Sultan Süleyman I. (15201566), der, während in Europa die Auseinandersetzungen zwischen Franz I. und Karl V. vor sich gingen und dazu auch noch die Zwistigkeiten zwischen den Katholiken und Protestanten ausbrachen, die Eroberungen weiter forttrieb. Belgrad fiel 1521, Rhodos 1522 und 1526 wurde das Königreich Ungarn nach der Schlacht bei Mohacs als selbständige politische Einheit ausgelöscht. 1529 standen die Truppen des Sultans vor Wien und 1538 Moldau ein Vasallenstaat. Der Jemen und Südarabien wurden 1547 zu osmanischen Provinzen. In seiner größten Ausdehnung reichte das beherrschte Gebiet von Algier nach Tabriz und von der Krim bis zum Jemen, damit hatte es eine größere Ausdehnung als das römische oder byzantinische Reich je gehabt hatten. Die Liste dieser Eroberungen ist beeindruckend, sie spielte sich auch in einer für die damalige Zeit großen Geschwindigkeit ab. Diese militärische Stärke des Osmanenreiches hatte aber auch soziologische und ökonomische Gründe, auf die hier näher eingegangen werden soll. Zunächst war es die große Bevölkerungszahl, die zwischen 1520 - 1535 um ca. 12 Millionen lag, um 1600 sollen es bereits ca. 30 Millionen gewesen sein. Diese Ziffern beruhen auf Schätzungen, wobei als Basis die Steuerregister genommen wurden. Diese große Zahl an Menschen allein bildete schon eine ökonomische Ressource ohnegleichen, die von keinem anderen europäischen Land erreicht wurde. Ein der Stärken des Osmanenereiches war sein geistiger Überbau, der sunnitische Islam, der eine einheitliche Ideologie schuf, die alle Gläubigen, ohne Ansehen des Standes oder des Ranges verband und der auch im Kampf eine besondere Motivation bildete. Der Islam war nicht nur Religion, sondern auch Gesetz und Lebensregel. Seine Inhalte und seine relative einfachen Regeln gaben den Glaubenskämpfern den moralischen Halt und die Verheißung auf ein wunderbares Leben im Paradies, das über den Opfertod erlangt werden konnte. Die soziale Struktur des Reiches war zwar autokratisch, mit dem Sultan an der Spitze, dessen Wort Gesetz war, aber sie war keineswegs feudal im Sinne der europäischen mittelalterlichen Lehensordnung. Einer Klasse der askerler, d.h. eines nichtproduktiven Standes aus Miltärs und Bürokratie bestehend, stand die reaya, d.h. Herde gegenüber, die die Bauern, Handwerker und Kaufleute umschloss. Über allen stand der Sultan als Führer und Beschützer. Es war - im Gegensatz zur feudalen Hierarchie Europas, der soziale Aufstieg für jeden möglich, sei es durch Tapferkeit im Kriege oder durch Gelehrsamkeit oder handwerkliche Geschicklichkeit. Die Religion sah eine große Toleranz für die Anhänger der „Buchreligionen“ vor, die es Christen und Juden ermöglichte, den Schutz der Gesetze zu genießen, wenn ihnen auch die Laufbahn zu den höheren Ämtern nur nach Konversion zu Islam offenstand. Die nichtmuslimischen Religionen genossen im Rahmen des sogenannten Millet -Systems weitgehende Freiheiten und Möglichkeiten der Selbstverwaltung. Die zentrale Figur des Staates war der Sultan, der durch seine Macht einem ihm ergebenen Kreis erzeugte, aus dem verschiedene Ränge entstanden. Aufstieg für den Einzelnen beruhte überwiegend auf den Möglichkeiten, zum Hof gute Beziehungen zu erlangen und die Aufmerksamkeit eines Mitglieds der Oberschicht zu erringen. Wirtschaftlich war das Osmanische Reich durch die Landwirtschaft und das Handwerk geprägt. Um 1500 - noch in seiner Expansionsphase - war es bereits ein wirtschaftliches Weltreich, gemessen an den Volkswirtschaften Europas, die im Mittelalter groß geworden waren und wieder verschwanden. Innerhalb dieses Reiches bestand ein einheitliches Geldsystem, wenn auch Maße und Gewichte regional verschieden waren. Es gab ein einheitliches Besteuerungssystem und es herrschte eine normierte Steuer- und Abgabenpolitik sowie eine eineitliche Außenzollstruktur. Die Agrarproduktion basierte auf dem schon erwähnten Timar-System, wobei die Bauern ,die das Land bewirtschafteten, eine Abgabe an den Sipahi zu leisten hatten , keine Leibeigenen waren und im Vergleich zu den europäischen Verhältnissen eine vergleichsweise geringere Abgabenlast zu tragen hatten. Dies war einer der Gründe, warum in vielen Landstrichen des Balkan die Herrschaft der Osmanen vom einfachen Volk gar nicht so negativ empfunden wurde, da die Lebensverhältnisse in vielen Fällen erträglicher waren als die drückende Last der Feudalherren. Kontrolliert wurde das Abgabensystem und die Sicherheit durch die sancak beyis, d.h. Provinzgouverneure und den Kadis, die zugleich Richter und Verwaltungsbeamte mit Steuerkontrollfunktionen waren. Die Abgaben flossen alle an die Hohe Pforte, von wo sie wiederverteilt und zur Bezahlung der Militärausgaben und der Verwaltung eingesetzt wurden. Dieses System verhinderte auch die Ansammlung von Macht in einer bestimmten Provinz und wirkte separatistischen Tendenzen entgegen. Das Handwerk war in Zünfte gegliedert, die strenge Regeln hatten. Die Preise für Nahrungsmittel und Rohmaterialien waren staatlich kontrolliert, wie auch die Rechte der Kaufleute, auf bestimmten Märkten Geschäfte machen zu können. Die wirtschaftliche Gesamtlage des Reiches war dergestalt, dass es in fast allem autark war, mit Ausnahme der Waffenproduktion, wo man auf ausländische Experten zurückgriff und anderer strategischer Materialien wie Metalle für die Militärindustrie, Holz und gewisse Chemikalien. Im ganzen Reich bestand ein effizientes System an Außenzollstellen, die die entsprechenden Abgaben einhoben. Den Karawanen, die den Fernhandel zum Teil abwickelten, waren die Routen genau vorgeschrieben und es wurden auch im Inland Binnenzölle eingehoben. Der Fernhandel beschäftigte sich zumeist mit Luxusgütern. Es gab zwei Hauptachsen, die horizontale Ost-West Achse IndienArabien-Venedig und die vertikale Damaskus - Bursa - Akkerman auf der Krim Lwow, die der Versorgung Polens und Russlands mit Orientgütern diente. Daneben bestand noch die Verbindung Ungarn - Slowakei - Donau bis Brasow. Der Zweck all dieser osmanischen Finanzsysteme war es, möglichst viel Abgaben einzuheben und hohe Einnahmen für den Staat zu erzielen, um die Besoldung der Soldaten und der Bürokratie sicherzustellen und auch die Versorgung des Reiches mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Dabei stand Istanbul an erster Stelle. Dieses System funktionierte im großen und ganzen recht gut, sofern nicht zu viel Bargeld involviert war. Silber war immer knapp, daher behalf man sich auch mit bargeldlosen Transaktionen und Geldverleihgeschäften. Im 16. Jahrhundert wurde durch die großen Mengen spanischen Silbers aus der Neuen Welt mehr Bargeld in Umlauf gebracht, was zu einer langsamere Strukturänderung führte, da nunmehr auch die Steuern immer mehr in Bargeld als in Naturalien eingehoben wurden, was wiederum den Druck auf die Bauern verstärkte. Darüber hinaus entstand durch den rasanten Bevölkerungsanstieg in dieser Zeit eine immer größere Nachfrage nach Getreide, was zu Preissteigerungen führte. Daraus entstand in der Folge wieder trotz eines Ausfuhrverbots eine rege Schmuggeltätigkeit ins Ausland, da die höheren Getreidepreise die Transportkosten rechtfertigten. Die Folge der zunehmenden Umstellung auf Steuern in Bargeld war letztlich die Einführung des Steuerpachtsystems, in Rahmen dessen die Hohe Pforte die Steuereinhebungsrecht einer Provinz an den Meistbietenden vergab, was in der Folge zu einer Auspressung der Bevölkerung führte und die wirtschaftlichen Grundlagen in vielen Regionen erschütterte. Der türkische Historiker Inalcik führt aus, dass alle osmanische Militäraktionen immer fiskalische Aspekte beinhalteten, da nämlich immer kurz nach der Eroberung eines Landes die Steuer- und Abgabensysteme des Zentralstaates in Kraft traten. Damit konnte man auf Grund der enormen Ausdehnung des Reiches von einer Weltökonomie sprechen. Mit dem Auftreten der Engländer und Niederländer im Mittelmeer und im Indischen Ozean wie auch in Fernost und deren wirtschaftlicher Dominanz, begann das Osmanische Reich, zu einer regionalen Wirtschaftsmacht zu werden. Verstärkt wurde diese Veränderung noch durch das spanische Silber, die große und neue atlantische Ökonomie und den sich herausbildenden Merkantilismus Europas. Die Größe des Reiches war gleichzeitig seine Schwäche. War für Portugal wie auch für England und die Niederlande der Fernhandel lebenswichtig, so spielte dieser für die Osmanen nur eine untergeordnete Rolle. Der Binnenmarkt war dominant, außerdem waren 80 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. In der Wirtschaftspolitik der Regierung kam die Haltung des Militärstaates zum Ausdruck. Man war vor allem an den strategisch wichtigen Erwerbszweigen interessiert - dem Schiffsbau, der Waffenproduktion, Metallurgie und den Bergwerken. Bereits ab dem 15. Jahrhundert zeichnete sich ein technologischer Vorsprung Europas ab, etwa im Gebrauch eines Gebläses im Eisenschmelzofen, der die Qualität des Stahls verbesserte oder die Anwendung von Wasserantrieb bei der Erzaufbereitung und für Pumpen und anderer technischer Innovationen. Auch im Schiffsbau fiel man langsam hinter Europa zurück. Die niedrigbordige Galeere war das Standardschiff im Mittelmeer seit der Antike, sie versagte jedoch in Gewässern wie im Indischen Ozean bei hohem Seegang und war der höherbordigen Galeasse und vor allem der portugiesischen Karacke, einem Rundschiff nur mit Segelantrieb, unterlegen. Außerdem war die Galeere, manchmal mit einer Zahl von über 200 Ruderern, ein unökonomisches Gefährt, da die Versorgung so vieler Menschen mit Nahrung auf logistische Probleme stieß und hohe Kosten verursachte. Dagegen hatte die Karacke nur wenige Mann Besatzung, was viel billiger kam und konnte auch mehr Artillerie mit sich führen. Was die unternehmerische Tätigkeit im Fernhandel anbelangt, so war es im osmanischen Reich von Nachteil, dass große Kapitalmärkte fehlten und entsprechende gesetzliche Regelungen, die Teilhaberschaften großen Stils erlaubten, wie es in europäischen Seehäfen der Fall war. Zwar kannte das islamische Recht die Partnerschaftsform der mudaraba, bei der die Partner Kapital zuschossen und eine Seereise finanzierten, diese Formen waren jedoch immer nur für den Einzelfall konzipiert und hatten keine größere Basis. Außerdem wirkte das islamische riba (Zinswucher) - Verbot gegen die Bildung von Banken, die in Europa im 16. und 17. Jahrhundert rasch entstanden waren. Die großen europäischen Gesellschaften bewiesen ihre Überlegenheit, da sie eine große Basis an Kapital und Erfahrung hatten, die sie unter Heranziehung militärischer Mittel dazu benutzten, ein Welthandelssystem aufzubauen. Auch was den geistigen Überbau der Wirtschaft anbelangte war das Osmanische Reich ab dem 16. Jahrhundert gegenüber Europa im Nachteil. Es gab keine Wirtschaftstheoretiker, die die Ideologie der Regierenden und Wirtschaftstreibenden beeinflussten, wie etwa in Frankreich Jean Bodin und in England John Locke und David Hume, die Wirtschaft und Geld in theoretische Beziehung setzen und die Zusammenhänge zu erläutern versuchten. Es gab keine Ansätze für das Liebkind der europäischen Wirtschaftstheoretiker, die Statistik, die eine Systematik in die Wirtschaft und die Staatsrechnung brachten. Zwar wusste man auch bei den Osmanen über die Inflation Bescheid und auch über die Notwendigkeit, den Staatshaushalt unter Kontrolle zu halten, konnte aber gegenüber den Kräften des Marktes immer nur die Inflation einsetzen. Mustafa Ali (1541-1600), ein berühmter osmanischer Poet, Bürokrat und scharfer Kritiker seines Zeitalters, verlangte in seinen Schriften zwar Sparsamkeit und Umsicht in der Staatsverwaltung, konnte aber keine wissenschaftliche Theorie über den Staatshaushalt entwickeln. Die osmanische Bürokratie war zwar den Umgang mit Zahlen gewohnt, man kannte die Zahl der Einwohner des Reiches, die Anzahl der Haushalte aus den Steuerregistern, die Zahl der Soldaten und der Schiffe, kannte aber keine Produktions- und Handelsziffern, da dieser Bereich der privaten Hand überlassen blieb. Prinzip Nummer Eins war die steuerliche Abschöpfung, wobei die durchschnittliche Steuerhöhe lange Zeit viel geringer als in Europa war.