Die Türken

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2003/04
Osmanisches Reich
Das osmanische Reich
1. Einleitung
Osmanisches Reich, türkisches Reich (1300-1922), das sich auf dem Höhepunkt
seiner Macht über drei Kontinente erstreckte, von Ungarn im Norden bis nach Aden
im Süden und von Algerien im Westen bis zur iranischen Grenze im Osten. Den
Mittelpunkt bildete das Gebiet der heutigen Türkei. Mit dem Vasallenstaat Krim
dehnte sich das Osmanische Reich bis zur Ukraine nach Südrussland aus.
Begründer des Reiches und der Herrscherdynastie ist Osman I. Ghasi.
2. Expansion des Osmanischen Reiches
Die geographische Lage ermöglichte es dem Gründer der osmanischen Dynastie, die
Schwäche des Byzantinischen Reiches auszunutzen und reiche Beute bei Überfällen
auf christliches Gebiet zu machen. Dieser Umstand führte dazu, dass Tausende
turkmenischer Nomadenkrieger sowie viele vor den Mongolen flüchtende Araber und
Perser in seine Dienste traten. Osmans Eroberungen wurden durch seinen Sohn
Orhan fortgesetzt, der 1326 die Provinzhauptstadt Bursa einnahm und es zur neuen
Hauptstadt machte.
Traditionell war es die Politik der Osmanen, das Reich mit militärischer Gewalt nur
auf das Gebiet christlicher Staaten im Westen auszudehnen, jedoch nicht mit Gewalt
gegen die turkmenischen Fürstentümer vorzugehen. Der friedliche Erwerb von in
turkmenischem Besitz befindlichen Landes durch Kauf, Heirat oder Stiftung von
Unfrieden unter den herrschenden Dynastien wurde dagegen als Mittel zur
Expansion des Reiches akzeptiert. Auf diese Weise konnten die Osmanen große
Gebiete im Westen Anatoliens ihrem Reich angliedern.
1354 eroberten sie Ankara im Zentrum Anatoliens. 1361 nahmen sie Adrianopel
(Edirne) ein, das zur neuen Hauptstadt wurde. 1389 besiegte Murad I. die Serben in
der Schlacht auf dem Amselfeld, die Osmanen nahmen Thrakien, Makedonien und
einen großen Teil von Bulgarien und Serbien ein.
1453 eroberte Sultan Mohammed II. Fatih Konstantinopel (Istanbul) und machte es
zur dritten Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Die Welle der Eroberungen setzte
sich während des ganzen 16. Jahrhunderts fort. Unter Sultan Selim I. (dem Strengen)
wurde das Reich um Ostanatolien erweitert.
Selims Nachfolger Süleiman II., der Große, (auch der Prächtige) wird als der
mächtigste aller osmanischen Herrscher angesehen. Während seiner Herrschaft
wurde der Irak (1534) dem Reich eingegliedert, und die Kontrolle über den östlichen
Mittelmeerraum wurde gefestigt. Durch die Annektion von Algier und Überfälle von
Piraten der osmanischen Barbareskenstaaten drangen die Osmanen bis in den
westlichen Mittelmeerraum vor. Süleiman führte osmanische Truppen weit nach
Europa hinein: Belgrad wurde 1521 erobert, die Ungarn in der Schlacht bei Mohács
(1526) geschlagen. 1529 blieb die Belagerung Wiens durch Süleiman erfolglos.
3. Staats- und Gesellschaftsstruktur des Osmanischen Reiches
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Osmanisches Reich
Mit den Eroberungen von Süleiman II., dem Prächtigen, erreichte das Osmanische
Reich seinen Höhepunkt. Er ließ die Regelung des Sozialwesens, der Verwaltung
und der Regierung, die sich seit dem 14. Jahrhundert immer weiter entwickelt hatten,
kodifizieren und schuf so die Grundlage für das bis zum Ende des Reiches geltende
osmanische Recht. Die Gesellschaft war in eine führende Oberschicht und in eine
Unterschicht gegliedert.
Die wichtigste Institution des osmanischen Staates war die Armee. Die ersten
Truppen der Osmanen bestanden aus der türkischen Kavallerie. Je mehr Land
erobert wurde, desto umfangreicher war der Sold, den die türkisch-muslimischen
Glaubenskrieger bekamen. Die leicht bewaffneten Reiter (A-Kindschi) reichten
jedoch für eine effektive Kriegsführung nicht aus. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts
begannen die Osmanen, Söldnertruppen (aus z. B. Sklaven und Kriegsgefangenen)
zu rekrutieren. Ab dem 15. Jahrhundert wurden christliche Jugendliche aus dem
Balkan eingezogen. Aus diesen Truppen gingen die Janitscharen hervor. Diese
trugen wesentlich zu den militärischen Erfolgen der Osmanen seit dem Ende des
15. Jahrhunderts bei.
Die herrschende Klasse bestand aus zwei rivalisierenden Gruppen: (1) muslimische
Turkmenen, Araber und Iraner, die im 14. und 15. Jahrhundert zusammen die
türkische Oberschicht des Osmanischen Reiches stellten, und (2) christliche
Kriegsgefangene und Sklaven, die angeworben, zum Islam bekehrt. Ab der Mitte des
16. Jahrhunderts übernahm letztere Gruppe die Führungsrolle und beherrschte die
ehemalige Oberschicht.
Die Bevölkerung des Osmanischen Reiches war hinsichtlich Sprache, Kultur und
Religion heterogen. Die Mehrheit der Bevölkerung in den europäischen Provinzen
stellten Christen der orthodoxen Kirche. Die ersten drei Jahrhunderte des
Osmanischen Reiches waren eine Zeit des Wohlstands, der sich in der Entfaltung
einer reichen Kultur widerspiegelte: in der türkischen Musik und Literatur
(Geschichte, Geographie und Poesie), in der Malerei und vor allem in der Architektur.
4. Niedergang
Der Niedergang des Osmanischen Reiches setzte gegen Ende der Regierungszeit
von Süleiman II. ein und dauerte bis zum Ende des 1. Weltkrieges an. Von offizieller
Seite wurde auf den Verfall des Reiches mit zwei unterschiedlichen
Vorgehensweisen reagiert. In der Zeit der traditionellen Reform (1566-1807) gingen
die Bestrebungen in Richtung einer Wiederherstellung der alten Institutionen,
während in der Zeit der modernen Reform (1807-1918) die alten Institutionen
aufgegeben und neue, aus dem Westen kommende Vorbilder übernommen wurden.
4.1. Die Gründe des Verfalls
Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts kontrollierten die Sultane sowohl die türkische
Aristokratie als auch die bekehrten Christen und deren Nachkommen durch eine
ausgeklügelte Balance der Macht, bei dem beide Gruppierungen gegeneinander
ausgespielt wurden. Unter der Regierung Süleimans gewannen jedoch die Christen
die Oberhand und verdrängten die alte türkische Stammesaristokratie aus den
Führungspositionen. Zu dieser Zeit begann das Reich auch unter der in einer Ära
des inneren Friedens entstandenen Überbevölkerung zu leiden. Die hohe
Geburtenrate führte schließlich auf dem Land und in den Städten zu Arbeitslosigkeit,
die zudem durch die begrenzten Möglichkeiten des Landerwerbs und eine von den
städtischen Gilden durchgesetzte restriktive Wirtschaftspolitik noch verschlimmert
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wurde. Diese Arbeitslosen schlossen sich häufig zu Räuberbanden zusammen, die
Stadt und Land gleichermaßen verunsicherten. Durch die inkompetente, korrupte
und ineffektive Regierung wurde die Landwirtschaft vernachlässigt, das Reich litt
unter Hungersnöten und Epidemien, und ganze Provinzen fielen unter die Herrschaft
örtlicher Feudalherren.
Die Osmanen zeigten sich aus mehreren Gründen nicht sehr besorgt über den
Reichsverfall. Zum einen war Europa für mindestens ein Jahrhundert so stark mit
seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass es die Schwäche des Osmanischen
Reiches nicht wahrnahm und auch nichts unternahm, um aus dieser Situation
Vorteile zu ziehen. Zum anderen profitierte der Großteil der herrschenden
osmanischen Klasse von dem Chaos im Land. Und schließlich nahmen die Osmanen
die Veränderungen, die Europa um vieles mächtiger als zuvor werden ließen, nicht
bewusst wahr. Sie gingen nach wie vor davon aus, dass die islamische Welt dem
christlichen Europa noch immer weit überlegen sei. Unter diesen Bedingungen sah
die herrschende Klasse keinerlei Veranlassung, Veränderungen vorzunehmen oder
Reformen durchzuführen.
Nach einer gewissen Zeit begannen die Mächte Europas jedoch das Ausmaß des
inneren Verfalls des Osmanischen Reiches zu begreifen und daraus Nutzen zu
ziehen. 1571 drang die Flotte der Heiligen Liga unter Don Juan de Austria in den
östlichen Mittelmeerraum vor und zerstörte die osmanische Flotte in der Seeschlacht
bei Lepanto. Dieser Niederlage begegneten die Osmanen mit dem Bau einer
vollständig neuen Flotte, die sie in die Lage versetzte, die Kontrolle des
Mittelmeerraumes für ein weiteres halbes Jahrhundert zurückzugewinnen. Trotzdem
setzte sich in Europa die Ansicht durch, dass die Osmanen zu besiegen seien. Am
Ende des Krieges mit Österreich (1593-1606) musste der Sultan den Kaiser des
Heiligen Römischen Reiches als gleichrangigen Partner anerkennen und die
Tributpflicht Österreichs aufheben, was den europäischen Mächten die Schwäche
des Osmanischen Reiches noch deutlicher vor Augen führte.
4.2 Reformen und Verluste
1683 unternahm Kara Mustafa Pascha, einen erneuten Versuch, Wien zu erobern.
Nach einer kurzen Belagerung fiel die osmanische Armee jedoch gänzlich
auseinander. Diese Tatsache ermöglichte es einer neuen Europäischen Heiligen
Liga, Teile des Reiches zu erobern. Nach den Friedensverträgen von Karlowitz
(1699) mussten Ungarn und Transsilvanien an Österreich, Dalmatien, der
Peloponnes und wichtige ägäische Inseln an Venedig, Podolien und der Süden der
Ukraine an Polen sowie Asow und die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres an
Russland abgetreten werden.
4.3. Landgewinne und weitere Verluste
Im Krieg mit Venedig und Österreich (1714-1717) verloren die Türken Belgrad und
Nordserbien. Dies führte zu einer neuen Zeit der Reformen, genannt Tulpenzeit
(1715-1730), während der die osmanische Armee umorganisiert und modernisiert
wurde, mit dem Ziel, das Reich vor weiteren Gebietsverlusten zu bewahren.
Mahmud I. (1730-1754) setzte während seiner Regierungszeit diese Bemühungen
fort und beauftragte einen französischen Artillerieoffizier ein neues Artilleriekorps
nach europäischem Muster aufzustellen. Damit waren die Osmanen im Krieg gegen
Russland und Österreich (1736-1739) in der Lage, den Großteil der verlorenen
Gebiete in Nordserbien und an der Nordküste des Schwarzen Meeres
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zurückzuerobern. Anschließend folgte eine Zeit des Friedens zwischen dem
Osmanischen Reich und Europa, die in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass
die europäischen Staaten in andere Kriege verwickelt waren. Diese Unterbrechung
ließ jedoch einmal mehr die herrschende Klasse glauben, dass die Gefahr gebannt
sei, und der Reichsverfall setzte schnell wieder ein. In zwei verheerenden Kriegen
mussten sie weitere Gebietsverluste hinnehmen. In anderen europäischen Gebieten,
in Asien und Afrika waren Herrscher an der Macht, auf die die Zentralregierung nur
wenig Einfluss hatte.
4.4. Die Ära der modernen Reform
Die nichttürkischen Völker des Reiches forderten ihre Unabhängigkeit und erhielten
sie auch nach und nach. Griechenland wurde als erstes Land 1829 in die
Unabhängigkeit entlassen. Es kam zu Revolten einiger „Stämme“ (z.B.: Serbien).
Die osmanischen Herrscher führten daraufhin Reformen durch (1839-1878).
Mahmud II. hatte es sich zum Ziel gesetzt, die alte Armee aufzulösen und durch eine
neue Armee nach europäischem Vorbild zu ersetzen. 1826 löste er die Janitscharen
auf. Es wurde eine Armee aus Wehrpflichtigen aufgestellt, die durch Steuern
finanziert werden sollte. Umfangreiche öffentliche Bauvorhaben zur Modernisierung
der Infrastruktur des Reiches wurden in Angriff genommen, neue Städten, Straßen,
Eisenbahnen und Telegraphenlinien entstanden. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
nahmen die Osmanen zum ersten Mal verstärkt Kredite im Ausland auf, um viele
Bauvorhaben zu finanzieren. Aber auch restriktive Maßnahmen gegen Minderheiten
waren Teil der neuen Politik, die vor allem während des 1. Weltkriegs zu Massakern
an Armeniern führte.
4.5 Europäische Interessen
Durch wirtschaftliche, finanzielle, politische und diplomatische Probleme wurden die
Reformen jedoch schon bald untergraben. Die seit kurzem industrialisierten
europäischen Staaten benötigten das Osmanische Reich als Lieferanten billiger
Rohstoffe und als Absatzmarkt für ihre Fertigprodukte. Durch die Kapitulationen –
Verträge, in denen die Sultane Europäern seit dem 16. Jahrhundert gestatteten, im
Osmanischen Reich nach ihren eigenen Gesetzen und unter ihren eigenen Konsuln
zu leben – konnten die Europäer die Osmanen daran hindern, Importe aus dem
Ausland zu begrenzen und verhinderten so einen wirksamen Schutz der erst im
Entstehen begriffenen Industrie. Da die Osmanen weitgehend von Kapital und
technischem Wissen ausländischer Unternehmen abhingen, waren sie gezwungen in
den letzten Jahren des Tanzimats so hohe Anleihen bei europäischen Banken zu
tätigen, dass über die Hälfte des gesamten Staatseinkommens von den Zinsen
verschlungen wurde. Darüber hinaus stieg in der Bevölkerung der Unmut über die
neue moderne Verwaltung.
Eine Gruppe liberal gesinnter Intellektueller mit konstitutionellen Zielen, bekannt
unter dem Namen Jungtürken, begann damals, eine Begrenzung der Macht der
herrschenden Klasse und der Beamten sowie die Einrichtung eines Parlaments zur
Vertretung der Rechte des Volkes zu fordern. Da die Jungtürken von den Führern
politisch verfolgt wurden, flohen sie ins Ausland, wo sie ihre Forderungen in Büchern
und Flugblättern veröffentlichten. Diese gelangten über die ausländischen Postämter,
die unter dem Schutz der Kapitulationsurkunden standen und somit osmanischer
Kontrolle entzogen waren, ins Osmanische Reich. Zur gleichen Zeit entstand in den
seit kurzem unabhängigen Balkanstaaten eine starke Widerstandsbewegung, die
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sich die Kontrolle über das Gebiet Makedonien, dessen Bevölkerung zu nahezu
gleichen Teilen aus Muslimen und Christen bestand, zum Ziel gesetzt hatte. In
Griechenland, Serbien und Bulgarien entstanden Unabhängigkeitsbewegungen, die
ihren Forderungen durch Terroranschläge Nachdruck verliehen und eine große
Herausforderung für den osmanischen Staat darstellten.
4.6. Staatsstreich und Verfassung
Abd ül-Hamid II. erließ eine Verfassung und willigte in die Bildung eines
repräsentativen Parlaments ein, das 1877 zu seiner ersten Sitzung zusammentrat,
aber bald darauf wegen des Krieges mit Russland wieder aufgelöst wurde. Auf dem
Berliner Kongress (1878) trug Abd ül-Hamid in Zusammenarbeit mit Großbritannien
zu einer Lösung der internationalen Krise bei. Unter dem Eindruck der fortdauernden
Bedrohung durch die europäischen Mächte löste Abd ül-Hamid jedoch das
Parlament auf und setzte eine autokratische Regierung (1878) ein. Den Beamten
wurden die Regierungsvollmachten entzogen, die Macht im Palast konzentriert,
jegliche Opposition wurde unterdrückt. Abd ül-Hamid gelang es, finanzielle Stabilität
herzustellen und die Wirtschaft anzukurbeln, aber die politische Unterdrückung rief
schließlich die liberale Widerstandsbewegung der Jungtürken auf den Plan. Diese
setzte die Wiedereinführung von Verfassung und Parlament in einem als
Jungtürkische Revolution (1908) bezeichneten Aufstand durch. Der Erfolg des neuen
konstitutionellen Regimes wurde jedoch sehr schnell von einer Reihe politischer
Ereignisse geschmälert. Österreich annektierte Bosnien und die Herzogewina,
Bulgarien gliederte Ostrumelien ein, und in Makedonien und Ostanatolien kam es
erneut zu gewaltsamen Terrorakten.
Abd ül-Hamid und seine Anhänger im Palast lasteten diese Probleme dem neuen
Regime an und unternahmen im April 1909 eine Konterrevolution (Gegenrevolution).
Das Parlament wurde aufgelöst und viele der Abgeordneten verhaftet. Aber die von
den Jungtürken angeführte Armee in Makedonien marschierte auf Istanbul, schlug
die Konterrevolution nieder und setzte den Sultan ab. Die nachfolgenden
osmanischen Herrscher saßen zwar auf dem Sultansthron, hatten jedoch keine
Regierungsgewalt mehr.
4.7 Die Zeit unter den Jungtürken
Die Jahre zu Beginn der Ära der Jungtürken (1908-1918) waren die demokratischste
Zeit in der Geschichte des Osmanischen Reiches. Verfassung und Parlament
wurden wieder eingesetzt und politische Parteien zugelassen. Die stärkste Partei war
die von den Jungtürken gegründete Partei für Einheit und Fortschritt; daneben
entwickelte sich jedoch noch eine Vielzahl anderer Parteien.
Die Reformen der Jungtürken, die alle Lebensbereiche erfassten, erreichten ihren
Höhepunkt in der Trennung von Kirche und Staat im Bildungs- und Rechtswesen
sowie in der Einführung der Frauenrechte während des 1. Weltkrieges. Der erste
Balkankrieg führte jedoch zu einer Revolte innerhalb des Ausschusses für Einheit
und Fortschritt, worauf ein von Enver Pascha angeführtes Triumvirat versuchte, die
Regierungsgewalt zu übernehmen. Es machte sich die Uneinigkeit unter den
siegreichen Balkanstaaten zunutze, um Edirne (Adrianopel) im zweiten Balkankrieg
zurückzugewinnen, was schließlich zum Gelingen des Staatsstreiches der
Jungtürken führte.
4.8 Der 1. Weltkrieg
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Zu Beginn versuchte das Triumvirat, eine Einmischung in den 1. Weltkrieg zu
vermeiden. Aber das Angebot Deutschlands, das Reich bei der Rückeroberung der
verlorenen Provinzen zu unterstützen und die Beschlagnahmung türkischer, in
England im Bau befindlicher Kriegsschiffe durch die Briten führten das Osmanische
Reich letztendlich zum Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte im Jahr 1914. Die
türkischen Streitkräfte drängten in der Gallipoli-Kampagne ein ganzes
Expeditionskorps erfolgreich zurück und nahmen es in Kut-al-Imara im Irak gefangen.
Darauf hin wurden Sie jedoch von allen Seiten geschlagen. Die verheerenden Folgen
dieser Überfälle aus dem Ausland wurden durch innere Revolten,
Lebensmittelknappheit, Hungersnot und Krankheiten noch verschlimmert. Rund
sechs Millionen Menschen aller Religionsgemeinschaften, etwa ein Viertel der
Gesamtbevölkerung des Reiches, starben oder wurden getötet, und die Wirtschaft
des Landes war stark angeschlagen.
4.9 Besetzung und Unabhängigkeitskrieg
Nach der Kapitulation des Reiches wurde die türkische Regierung unter die Aufsicht
der alliierten Besatzungsmächte unter Führung der Briten gestellt. Auf der Pariser
Friedenskonferenz wurde die Abtretung der Balkanprovinzen und der arabischen
Provinzen beschlossen, und die vorwiegend von Türken bewohnten Gebiete in Ostund Südanatolien sollten unter ausländische Kontrolle oder die Kontrolle von
Minderheitengruppen kommen. Eine große griechische Streitmacht nahm 1922 Izmir
ein und überfiel Südwestanatolien. Nach Bekanntwerden der Massaker an der
türkischen Bevölkerung stellten die Alliierten jedoch ihre Unterstützung für
Griechenland ein.
In der Folge der vorgeschlagenen Friedensregelung und als Antwort auf die Invasion
Griechenlands entstand in Anatolien unter Führung von Mustafa Kemal Atatürk die
türkische nationalistische Bewegung. Während des türkischen
Unabhängigkeitskrieges (1918-1923) widersetzte sich Atatürk erfolgreich den
Bedingungen der Alliierten, verdrängte die griechischen sowie die britischen,
französischen und italienischen Besatzungsmächte und setzte eine im Frieden von
Lausanne (1923) festgelegte Regelung durch, die der Türkei die uneingeschränkte
Kontrolle über die türkischen Gebiete Ostthrakien und Anatolien sicherte. Nach
diesem Erfolg wurde die Republik Türkei mit der Hauptstadt Ankara ausgerufen, und
das Kalifat des Sultans in Istanbul hörte auf zu existieren (1923).
4.10 Kemalismus in der EU-Debatte
Kemal Atatürk entwarf eine Staatsideologie, die stark auf Europa und die
Modernisierung nach westlichem Vorbild ausgerichtet war. Mit der Trennung von
Kirche und Staat verbannte Atatürk den Islam aus dem Feld der Politik. Ausserdem
propagierte er einen rücksichtslosen Nationalismus, den er nach dem Untergang des
Osmanischen Reiches als Rückgrat der modernen Türkei verstand.
Damit steht die Türkei heute vor der Aufgabe, den Kemalismus teilweise wieder aus
der Verfassung zu drängen, denn aus ihr leitet sich die andauernde Repression
gegen Kurden und Islamisten ab. Und ein Ende dieser Repression ist Voraussetzung
dafür, dass die Türkei die Bedingungen der EU in Sachen Demokratie und
Menschenrechte erfüllen kann. Bis dahin wird die Türkei nicht der EU Beitreten
können.
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