Wissenschaft ARCHÄOLOGI E Die entführte Königin Vor 100 Jahren entdeckten deutsche Ausgräber die Büste der Nofretete. Das Dokument eines Augenzeugen belegt: Bei der Fundteilung wurde getrickst. Büste der Nofretete im Neuen Museum in Berlin 126 D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 n Kriegszeiten werden die Weltläufe stattet mit einer Grabungslizenz des Beroft eigentümlich beschleunigt. Zum liner Tuchfabrikanten James Simon, vor Klang von Schwerthieben oder Kano- 100 Jahren mehr als 20 Konterfeis aus nendonner zerstoben ganze Weltreiche, dem Clan der Gestirnsanbeter entdeckte. Schicksale ballten und stauten sich. Wie Von Kairo aus war er stromaufwärts geim Zeitraffer wurden Helden geboren segelt, um die Ruinen der geheimnisvolund wieder niedergestoßen. len Solarstadt (heute: Tell el-Amarna) freiEinmal aber lief es ganz anders. zulegen. Die Revolution des Pharaos und SonBorchardt war der Schatzjäger Deutschnengurus Echnaton, der im Beisein seiner lands, seine Funde meldete er direkt an Gemahlin Nofretete eine Lichttheologie den „Reichskanzler“. ersann und um 1350 vor Christus die SonAuf dem Gehöft des Hofbildhauers nenscheibe („Aton“) zum alleinigen Gott Thutmosis wurde er mit Kostbarkeiten ausrief, war eine Phase bleiernen Frie- belohnt, die sich nur mit den Beigaben dens, gefüllt mit Flötenmusik und end- aus der Totengruft des Tutanchamun verlosen Liebkosungen. Das Ganze war so gleichen lassen. Herrliche Statuen und seltsam, dass der Ägyptologe Jan Ass- Porträts kamen zum Vorschein. Es waren mann vom „Einbruch des Unwahrschein- Gesichter voller Heiterkeit und Leben. lichen in die Geschichte“ spricht. Nie zuvor hatte man am Nil so individuell In der neugegründeten Nil-Hauptstadt gestaltete und vollendete Skulpturen geAchet-Aton („Horizont des Aton“) lebten sehen. die absonderlichen Repräsentanten des Sie alle trugen Glatze. Vermutlich hatdamals reichsten Staats der Erde. Diener ten sich die Höflinge aus Achet-Aton trugen sie auf einem Thron aus Elektron. (50 000 Einwohner) die Haare geschoren, Echnaton ließ sich gern mit dickem Bauch um ihre schweren Perücken besser tragen darstellen, Nofretete trug durchsichtige zu können. So schützten sie sich auch vor Gewänder, die den Schamhügel kaum Ungeziefer. verdeckten. Am 6. Dezember 1912 folgte der Clou: Dann folgte die Verdammnis. Erboste Nach der Mittagspause durch einen Nachfolger zertrümmerten die Bildnisse Zettel alarmiert, eilte Borchardt ins Haus der Ketzer, ihre Namen wurden getilgt, fast P 47. 2, Raum 19, wo der Vorarbeiter alle Spuren beseitigt. Ahmed al-Sanussi gerade im Begriff war, Es war deshalb eine Überraschung, als einen „fleischfarbenen Nacken mit aufder Ausgräber Ludwig Borchardt, ausge- gemalten roten Bändern“ freizulegen. Weil bald der Abend graute, wurde das Sensations-Artefakt in ein nahes Zelt gelegt und der Heidelberger Professor Hermann Ranke als Wachmann abgestellt. Später berichtete er amerikanischen Studenten: Ich schlief neben der Schönen. Was aber passierte genau an jenen lauen Wintertagen am Nilufer? Wie konnte es gelingen, diese ungeheure Ikone nach Berlin zu entführen? Auf der Gegenseite war bald von einem „Irrtum“ die Rede, dann auch von Schummelei am Nil Täuschung und Schwindel. Bereits in der Der Schriftführer der „Deutschen OrientWeimarer Republik wogte ein böser Gesellschaft“, Bruno Güterbock, der am Streit. Tag der Fundteilung in Amarna zugegen Den erneuerte vor einigen Jahren der war, berichtete am 12. August 1924 damalige Antikenchef Ägyptens Zahi Haeinem Kollegen in einem Privatbrief wass mit einer lautstark vorgetragenen („streng vertraulich!“), mit welcher Taktik Rückgabeforderung. Sein Vorwurf: Die es dem Ausgräber Borchardt gelungen Nofretete sei „mit Lehm“ beschmiert war, „die Büste für uns zu ,retten‘“. Güterund dann außer Landes geschmuggelt bock urteilt, dass „auftauchende Zweifel worden. an dem rechtmäßigen Erwerb“ allein BorDas Dokument eines Augenzeugen chardt „verschuldet“ habe. Kurz zuvor war gibt Einblick, wie das Geschacher im die Figur erstmals in Berlin der Weltöffent- Wüstensand ablief. Ausgebufft, fast hinlichkeit präsentiert worden. terhältig ging Borchardt beim Tauziehen JOCHEN ZICK / ACTION PRESS I D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 127 Wissenschaft um die Pharaonin vor. Ob er dabei juris- falten – und auch als Kerl mit den Ge- rischen Namen „Anchetcheprure-Neferneferuaton“ selbst den Thron bestieg. tisch die rote Linie überschritt, muss wo- sichtszügen ihres Mannes. Das hatte noch keine Frau vor ihr gewagt. Wer also war die Dame wirklich? möglich neu geprüft werden. In einem neuen Buch versucht der KulErschwert wird die Antwort, weil Die Besitzer der Büste sind die Debatte allerdings leid. Sie wollen lieber feiern. Amarna einem Strudel gleicht, in dem turwissenschaftler Franz Maciejewski nun Anlässlich des Fundjubiläums findet auf alle Traditionen und gewohnten Denk- Leben und Sterben der Regentin als Gander Berliner Museumsinsel eine große weisen zerbrachen. Selbst die Geschlech- zes zu erfassen*. Ihm zufolge ging die Ausstellung statt. „Im Licht von Amarna“ tergrenzen riss man ein. Kein Wunder Frau über Leichen. Das Klischee von der (Beginn: 7. Dezember) widmet sich jener also, dass die Forschung diese seltsame „unpolitischen First Lady“, so der Autor, stimme hinten und vorn nicht. Epoche, als die konservative Staatsräson Ära besonders interessiert. In der Berliner Ausstellung ist von der Ausgekratzte Inschriften haben die FachÄgyptens für kurze Zeit Kopf stand und die Menschheit den Monotheismus erfand. leute entziffert und zerstörte Grabreliefs aktuellen Debatte um die Beauty-Queen Auf 820 Quadratmetern wird das solare rekonstruiert, die wütende Konterrevolu- noch wenig zu spüren. Vorbei an Tafeln Mysterium von Amarna präsentiert. Paris tionäre mit Meißel aushackten. In Amarna mit so erquickenden Aufschriften wie und New York entrichten Leihgaben. Im legt der Brite Barry Kemp die Häuser und „Achet-Aton von der Gründung bis heuZentrum aber steht jene 50 Zentimeter Essensreste der Aton-Sekte frei. Er fand te“ durchlaufen die Besucher einen Parhohe Figur, deren „ängstliche Lieb- Berge von Schweinekot. Nofretete aß of- cours aus kaputten Krügen und krümeligem Palaststuck. lichkeit“ schon Thomas Mann in Verzü- fenbar gern Kotelett und Eisbein. Dennoch lohnt der Besuch. Etwa 5500 cken versetzte. Mit Mandelaugen und Objekte ließ Ludwig Borchardt Richtung Schwanenhals ist die Königin dargestellt. Spree verfrachten. Noch die Trümmer lasIhre Krone ist blau – wie die Haare des sen ahnen, wie farbenprächtig die PrivatAton. gemächer der Sonnengurus einst ausgeWas für ein Urbild des Erotischen. stattet waren. Mona Lisa wirkt dagegen teigig. Doch noch arbeiten Handwerker in Das linke Auge fehlt. Zwar ließ der den Schauräumen. Man ist spät dran. Ausgräber den Schutt durchsieben und Der Grund: Verschreckt durch den Polsogar fünf Pfund Finderlohn aussetzen. tergeist Hawass wollten die Berliner das Doch die Iris aus schwarzem Wachs und Jubiläum still verstreichen lassen. Erst Bergkristall tauchte nicht auf. nach der Plünderung des Ägyptischen Computertomogramme beweisen, wie Museums in Kairo im Zuge der Unruhen geschickt der Bildhauer vor über 3300 des Arabischen Frühlings konnte man Jahren vorging. Zuerst pickelte er das Gesagen: Seht her, bei uns steht die Büste sicht der Nofretete aus einem Kalkstein. sicher. Den bestrich er mit Gips, glättete die Nun fehlt die Zeit. Vieles in der Schau Nase, entfernte Fältchen und verschlankkommt zu dröge daher. Auch die Fundte die Wangen. geschichte, im Untergeschoss präsentiert, Der Dichter Rilke nannte das Resultat weist Mängel auf. Das Spannendste wird „bezaubernd“. Der französische Ägyptoverschwiegen. In Wahrheit glich der Tag loge Christian Jacq lobte die „strahlende der Teilung in Amarna einem Pokerspiel. Hoheit“ der Figur, „deren Lächeln von Klappaltar aus Amarna Am 20. Januar 1913 war der AntikenDas Werk fingerfertiger Fälscher? einem inneren Licht beseelt ist“. inspektor Mittelägyptens, Gustave LeNur, was taugen solche Hymnen und Für einen Quantensprung an Wissens- febvre, angereist, um die geborgenen StüPreislieder? Welche historische Gestalt steckt hinter der Regentin, die kurz nach zuwachs sorgte im vorvergangenen Jahr cke „à moitié exacte“ (genau zur Hälfte) der Steinzeit lebte, und deren Gatte – ein auch die Erbgutanalyse an Mumien der aufzusplitten. Der anwesende Schriftführer der DeutAusbund an Hässlichkeit – die eigenen 18. Dynastie. Sie trug dazu bei, die Blutsbande des Nofretete-Clans aufzuklären schen Orient-Gesellschaft, Bruno GüterTöchter schwängerte? bock, verfertigte dazu einen Bericht, der Allzu „modern“, meinen Kritiker, wer- (siehe Grafik Seite 131). Aus den vielen Details ergibt sich all- dem SPIEGEL vorliegt. Demnach wurde de die Magierin aus dem fernen Pyramidenstaat bislang betrachtet. Wirkt ihr Ge- mählich ein Gesamtbild von der anmuti- der Gast zuerst ins Büro geleitet, wo er sicht nicht auch kühl und abweisend? Vor- gen Königin. Es ist eine Biografie voller sich Bilder aller Funde ansah. Von der ne, an der Krone, prangte ursprünglich Machtgier, Ränke und überraschender Nofretete bekam er „nicht eben die allervorteilhafteste Fotografie“ vorgelegt. eine Kobra, bereit zum Biss. Die ange- Wendungen. Borchardt erwähnte später, den BildBeispiel: Bislang hieß es, die Herrschemessene Reaktion auf die Skulptur, meint die US-Kunsthistorikerin Camille Paglia, rin sei nach dem 13. Regierungsjahr ihres ausschnitt so listig gewählt zu haben, Gatten gestorben. Zu der Zeit tobte am „dass man daran die ganze Schönheit der sei Angst. Vor kurzem entdeckte der Ägyptologe Nil die Pest. Aus einer babylonischen Ton- Büste nicht sehen kann, es genügt aber, Christian Bayer in einem Museum in Kai- tafel weiß man, dass auch eine Amarna- um nötigenfalls jedes spätere Gerede von ro ein Bruchstück, das haargenau zum Königin zu den Opfern des Schwarzen Dritten über Geheimhaltung zu widerlegen“. Todes gehörte. Original passt. Es ist eine Kopie. Sodann reichte er dem Besucher die Doch erst vor kurzem kam in einem Der Verdacht: Die Büste diente zur Massenproduktion, es war ein offizielles Steinbruch am Nil eine schwarze Tinten- vorläufige Teilungsliste. In der rechten Propagandabild – wie beim Genossen inschrift zutage. Das Gekritzel stammt Kolumne stand an erster Stelle die aus dem Regierungsjahr 16 und erwähnt Nofretete-Büste und darunter etwa 25 StaStalin. Was weiter verwirrt: Die Forscher ken- Nofretete. Die Totgesagte lebte folglich tuen aus Gips. nen mittlerweile über hundert Nofretete- länger als gedacht. Mehr noch: Vieles spricht dafür, dass * Franz Maciejewski: „Nofretete – Die historische GeDarstellungen. Es gibt sie als Sphinx, mit Wulstlippen, beim Niedertrampeln von sie ihren Gemahl in Wahrheit überlebte stalt hinter der Büste“. Osburg-Verlag, Hamburg; 184 Feinden, gealtert mit Schwangerschafts- und danach unter dem zungenbreche- Seiten; 19,95 Euro. 128 D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 Heliopolis Tell el-Amarna il Fundort der Nofretete-Büste N FOTOS: UNIVERSITÄTSARCHIV FREIBURG / NACHLASS PRINZ JOHANN GEORG Gizeh Achmim Theben ÄGYPTEN Assuan 100 km Archäologe Borchardt (3. v. l.) mit adligen Besuchern in Amarna 1912, Ausgräber mit Nofretete-Fund 1912: Fleischfarbener Nacken im Schutt Sodann schritten die VerhandlungsfühIn der linken Spalte waren zehn Artefakte aus Stein aufgeführt, an Nummer rer ins Depot. Dort lagen die Funde in eins ein bunter „Klappaltar“. Auch das offenen Kisten, jedoch „nicht gerade in war ein sehr ungewöhnliches Werk. Die bester Beleuchtung“ (Güterbock). LeStele zeigte Echnaton und Nofretete mit febvre hätte die Nofretete herausheben ihren Kindern. Weltweit gab es damals können. Er tat es nicht. Nach einer nur nur ein einziges vergleichbares Exemplar, „oberflächlichen Besichtigung der Originale“ segnete er alles ab. es stand in Berlin. Doch ist das Getrickse zu beanstanDann begann das Feilschen. Lefebvre akzeptierte die „ungefähre Gleichwertig- den? Die Großmächte schenkten sich dakeit“ der beiden Hälften. Auch nahm er mals, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, den Vorschlag an, die Gipssachen den nichts. Zocken war eine verbreitete GeDeutschen zu geben und die – wertvoller pflogenheit. Dass den Feilscher gleichwohl das Geerscheinenden – Steinköpfe am Nil zu bewissen plagte, belegt seine Weigerung, lassen. Doch die Fundliste verdunkelte einen entscheidenden Punkt. Obwohl Borchardt wusste, dass die Nofretete einen Steinkern besaß, gab er als durchgängigen Werkstoff „Gyps“ an. Schon vorab hatte Güterbock „Bedenken“ angemeldet. Er sprach von einer „Vermogelung des Materials“. Doch der Chef wischte die Einwände vom Tisch. Sein Argument: Wenn sich später anderes herausstellt, dann habe er sich eben „anfänglich geirrt“. Hitler schloss die Akte Nofretete und entschied: „Ich werde ihr ein Museum in Berlin bauen.“ D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 die Büste öffentlich zu zeigen. Nach der Überführung nach Deutschland kam sie zunächst unter Verschluss. Nur Kaiser Wilhelm II. erhielt als oberster Schirmherr der Orient-Gesellschaft zu Weihnachten eine Kopie geschenkt. Erst 1924 machte der Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, Heinrich Schäfer, eine Ausstellung – gegen den Willen des Finders. Im Ausland löste die Schau Bewunderung, aber auch Ärger aus. Der Chef des Antikendienstes in Kairo, Pierre Lacau, verlangte umgehend eine Rückgabe. „Ich glaube, wir sind rechtlich gesehen wehrlos“, schrieb er. Doch er führte „moralische“ Gründe an. Und er verhängte Sanktionen. 1925 erließ er gegen die Deutschen eine Grabungssperre am Nil – ein harter Schlag. Schließlich war Schäfer zum Tausch bereit. Doch im Jahr 1930 kriegte die Presse Wind von dem bevorstehenden Deal. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Der Plan wurde gestoppt. Gleichwohl gärte die Causa weiter, auch unter den Nazis. Am 4. Oktober 129 FOTOS: SANDRA STEISS / STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN Statue der Nofretete, unvollendeter Modellkopf der Königin (beide 14. Jahrhundert vor Christus): Erotisch, fruchtbringend und leicht bekleidet 1933 entschied der preußische Ministerpräsident Hermann Göring, die Büste dem ägyptischen König Fuad I. zu schenken. Hitler, erbost über die Eigenmächtigkeit seines dicklichen Mitstreiters, ließ sich fünf Tage später in der Sache ausführlich unterrichten – und widerrief alles. Aktenkundig ist auch, dass Joseph Goebbels im März 1934 dem „Führer“ während eines Mittagessens erneut die propagandistische Auswertbarkeit eines Transfers schmackhaft machen wollte. Ohne Erfolg. Hitler hatte andere Pläne mit der Nofretete: „Ich werde ihr ein Museum in Berlin bauen.“ Dass ausgerechnet der größte Verbrecher die „schönste Frau“ für Deutschland bewahrte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Für den juristischen Bestand des Teilungsvertrags ist es allerdings ohne Bedeutung. Einen unglaublich klingenden Vorwurf gilt es jedoch noch zu klären. Der renommierte Ägyptologe Rolf Krauss – selbst mehr als 20 Jahre lang Kurator am Ägyptischen Museum Berlin und Hüter der Nofretete – behauptet, dass der als Ausgleich für die Nofretete verwendete „Klappaltar“ gefälscht sei. Seine These: Zerfressen von Ehrgeiz, habe Borchardt die herrliche Tafel, mit der er Lefebvre köderte, bei fingerfertigen Steinmetzen in Kairo in Auftrag gegeben. Nur wäre dem Ausgräber ein solch infamer Betrug zuzutrauen? Manche glauben: ja. Ihnen gilt Borchardt als Mann fürs Grobe. 130 Richtig ist, dass der Gelehrte seit 1899 schrifttafel und schrieb Logarithmen am deutschen Generalkonsulat in Kairo drauf. Ein Gelehrter fiel auf den Ulk tätig war. Offiziell nannte er sich „wis- herein. Angespitzt durch die Gerüchte, hat das senschaftlicher Attaché“. In Wahrheit sollte er – im Kampf gegen die anderen (von Italienern eingerichtete) Restaurieimperialistischen Mächte England, Frank- rungslabor in Kairo den Klappaltar vor reich und USA – Deutschlands Museen einiger Zeit untersucht. Dabei zeigte sich mit Geschmeide aus der Pharaonenzeit im UV-Licht, dass die vermeintliche Verwitterung nur eine „dunklere Untergrundfüllen. Dabei ging er ruppig vor: 1908 warf farbe“ ist, mit der der Kalkstein eingeihm der britische Ägyptologe Alan Gar- pinselt wurde. „Für mich ist das der absolute Fäldiner „taktloses und schroffes Auftreten“ vor. Zudem habe der Deutsche am Nil schungsbeweis“, sagt der Ägyptologe ein wissenschaftliches Spionagenetz er- Christian Loeben. Sein Kollege Dietrich Wildung hält das Ganze dagegen für eirichtet. Daheim zur Rede gestellt, gestand der nen „Schmarrn“. Weil die Labor-Untersuchung bis heute Beschuldigte, „eine ganze Anzahl von Fotografien, Zeichnungen, Privatbriefen, unveröffentlicht ist, lässt sich der Vorwurf fremden Aktenstücken usw.“ unerlaubt nicht abschließend beurteilen. So liegt an sich gebracht zu haben. In einem Brief weiterhin im Zwielicht, wie redlich der ans Außenministerium entrüstete sich ein Frontmann Borchardt vorging, als er vor Kollege, dass ein Mann, der „die deutsche 100 Jahren mit Hacke und Schaufel jene Wissenschaft in solcher Weise kompro- erstaunlichen Denkmäler freilegte, die mittiert hat, nicht in seinem Amt bleiben aus der Epoche stammen, als die Welt den Atem anhielt und Echnaton die Götkann“. Doch der Indiana Jones des Kaiser- ter stürzte. Dass Nofretete bei dieser Revolte eine reichs überstand die Affäre. Er kannte zentrale Rolle spielte, wird immer deutsich einfach zu gut aus. Oft streifte Borchardt durch die Suks licher. Sie übernahm im Aton-Kult den von Kairo, wo bärtige Kaufleute antikes Part der Gebärerin: erotisch, fruchtbrinRaubgut, aber auch mit Ätzsäure pati- gend und leicht bekleidet. Wann sich das junge Paar kennenlernnierte Fälschungen anboten. Er selbst beschrieb die Tricks der Gauner – zum Bei- te, ist unklar. Das Mädchen entstammte spiel war es üblich, dass „die Kerls alte wohl einer Familie aus der Provinzstadt Farben abkratzen, zerstoßen und mit ei- Achmim, die eng mit der Thronsippe verwandt war. Nofretetes Tante dürfte nienem Bindemittel auftragen“. Als Student fälschte er sogar nach- mand Geringeres als die „Große Königweisbar selbst. Er imitierte eine Keil- liche Gemahlin“ des amtierenden PhaD E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 Wissenschaft raos Amenophis III. – Echnatons Vater – gehörte, dass Frauen nicht Priester wer- aufging, schritt die Herrscherin zum Gotden konnten. Sie waren vom Heil ausge- tesdienst. Im Großen Aton-Tempel stangewesen sein. Ihr eigener Papa machte ebenfalls Kar- schlossen. den Hunderte Altäre. Zum Tagesanbruch Das änderte sich nun. Und auch bei bluteten dort Tiere zuhauf. riere, er stieg zum General der Streitwagen-Truppe auf. Die Liebe zu Pferden den Staatsgeschäften nahm der Einfluss „Deine Strahlen sind im Inneren des kennzeichnete auch die Tochter. Reliefs der Frauen zu. Die Politik am Hof von Meeres“, heißt es im großen Aton-Gezeigen, wie sie im zweirädrigen Gespann Amarna trug anfangs fast feministische sang, den der Pharao selbst verfasste: herumrast. Dann wieder steht sie aufrecht Züge. Um das Jahr 5 der Regierung erhob „Du bist die Lebenszeit selbst, man lebt Weichei Echnaton seine Gattin sogar zur durch dich. Die Augen sind auf deine im Prunkwagen. Der Nilstaat stand damals in höchster Mitregentin. Das alte Establishment in Schönheit gerichtet, bis du untergehst.“ Blüte. Vom Sudan bis zum Euphrat er- Theben war wütend. Der zerstörerische Aspekt der Sonne, Wohl auch deshalb fasste der Pharao ihre sengende Glut, die Dürre und Hunstreckte sich das Kolonialgebiet. Echnatons Vater gefiel sich als Baumeister, der „Grö- den Plan, die Hauptstadt zu verlassen. gersnöte auslöst, wurde in den Zeremoße ohne Grenze“ schuf sowie Tempel mit Flussabwärts, an einer abgelegenen Nil- nien mit keinem Wort erwähnt. „Wänden aus Gold, Pflaster aus Silber und bucht, steckten seine Ingenieure einen 16 Stattdessen war Kuscheln angesagt. ReFahnenmasten, die zu den Sternen empor- mal 13 Kilometer großen Bauplatz ab. liefs zeigen das Königspaar küssend und Dort sollte die neue Metropole des Him- streichelnd. Mal nagen sie am Fleischstreben“. Dann kam der Sohn auf den Thron. melsglanzes entstehen. spieß. Dann wieder sitzen sie daheim Nofretete fand an der Idee offenbar ganz privat mit den Kindern. Intimität Ein Träumer. Er hatte in Heliopolis studiert, wo der Benben-Stein stand, das keinen Gefallen. Theben bot Partys mit wurde zum politischen Programm. Oder seltsame Ur-Heiligtum des Sonnenkults. Tanzzwergen, Musikorchestern und dres- verloren die Lichtpropheten einfach nur Echnaton schrieb Gedichte. Die Analyse sierten Affen. Als sie zu oft nörgelte, alle Scham? seines Skeletts ergab: Er war 1,60 Meter zürnte der Gatte: „Und nicht soll die KöIm Jahr 12 fand in Amarna ein raugroß und hatte schiefe Zähne. Dass der nigin zu mir sagen: sieh doch, es gibt schendes Bankett statt. Tributbringer von junge Mann sogleich einen geistigen Um- einen schönen Ort für Achet-Aton an Zypern und Kreta, auch aus Syrien und sturz anzettelte, ist unwahrscheinlich. anderer Stelle.“ Mykene, kamen angereist, um der schöSo kam es gegen ihren Willen zum Um- nen Landesherrin zu huldigen. Eher war es die Mutter, die Königswitwe Teje, die im Hintergrund die Strippen zog. zug. Mit einem Gespann aus Elektron eilGlücklich war die hohe Dame dennoch Bilder zeigen sie mürrisch, mit hängenden te das Paar dem Wüstental entgegen. Der nicht. Sie hatte sechs Kinder geboren – neue Wohnpalast lag direkt an der 30 Me- alles Mädchen. Mundwinkeln. Eine Frau zum Fürchten. Teje suchte dem Sohn womöglich auch ter breiten Hauptstraße. Wohl deshalb ging Echnaton im fortMorgens, wenn die Sonne rosenfingrig geschrittenen Alter häufig fremd. Er wolldie Ehefrau aus. Ihre Wahl fiel auf die eiüber dem Felsmassiv von Tell el-Amarna te unbedingt einen edelblütigen männgene Nichte. Wann genau das Mädlichen Thronfolger zeugen. chen aus Achmim mit dem Hinweise deuten an, dass er Nilschiff in der damaligen zuerst seine Mutter schwänHauptstadt Theben ankam, gerte und hernach drei seiNofretetes Stellung im um auf Sänften in den Haner Töchter heiratete. Das rem getragen zu werden, Stammbaum der große Los in Gestalt eines weiß niemand. Ein Stand- ägyptischen Könige Prinzleins schenkte ihm bild zeigt das Paar als Teenaber erst die eigene SchwesTeje Pharao Amenophis III. ager. Sie trägt einen Halskrater. Der Name des Säuglings: verheiratet gen aus Edelsteinen. Das GeTutanchamun. regiert ca. 1390 bis 1353 v. Chr. sicht, noch pummelig, ist das Bald danach starb der KetSohn einer 14-Jährigen. zer. Er hinterließ ein aus den Doch Echnaton war verFugen geratenes StaatsweBesteigt den Thron als liebt. „Herrin der Freude“, sen. Im Norden waren fremmutmaßlich Amenophis IV., nannte er sie, „herrlich zu de Heere ins Land eingebroCousine/ ändert seinen betrachten“: „Man jauchzt, chen. Die alten Eliten – Cousin Namen zu Ehren Hauptfrau wenn man ihre Stimme Priester und Generäle – bedes von ihm von Echnaton hört.“ Kurz darauf wurde fanden sich in Putschstimausschließlich und Mitregentin sie schwanger. mung. verehrten Lichtgottes Draußen, im Stadtbild Ausgerechnet in dieser Aton von Theben, vollzogen sich Situation wagte Nofretete derweil gewaltige Verändeoffenbar einen Alleingang. Nofretete Pharao Echnaton rungen. Der junge König Sicher ist: Nach Echnatons regiert ca. 1353 mit einer ließ in Schnellbauweise eiTod ergriff ein geheimnisbis 1336 v. Chr. Schwester nen Riesentempel für Aton voller weiblicher Pharao 14 6 Töchter gezeugter Sohn bauen. Er war über 600 MeMonate lang die Macht in ter lang. dem Pyramidenland. Vieles Als Pharao unbedeutend In einem anderen Heiligspricht dafür, dass es sich (er stirbt bereits mit 19 Jahren), tum prangte Nofretete auf um Nofretete handelte. seine heutige Bekanntheit bunten Wandbildern, wie Und sie wagte offenbar beruht auf der sensationellen sie ganz allein als „Geliebte einen weiteren politischen Entdeckung seines Grabs des Aton“ Dankopfer darStreich, der an Kühnheit im Jahr 1922 brachte. kaum zu überbieten ist. Um Pharao Tutanchamun Das war unerhört, ein die Feinde daheim in Schach Tabubruch. Zu den Grundzu halten, suchte sie Hilfe regiert ca. 1332 bis 1323 v. Chr. sätzen im Pharaonenstaat beim Hethiterkönig SuppiluM . B ÜS I NG / B P K (2 M AL ); S . M EI S S NE R / ACT IO NP R E S S ; R. HAR DI NG / S C HAP OWAL LOW ; E . M I LL E R / G E T T Y I M AGE S Familie Pharao D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2 131 Wissenschaft liuma, der rund 1500 Kilometer entfernt in Hattusa (Türkei) lebte. Im dort entdeckten Tontafel-Staatsarchiv fand man Briefe einer gewissen „Dahamunzu“. Das Wort ist abgeleitet von „Ta hemet nesw“ (ägyptisch: Die Frau des Königs). Der Verdacht: Hatte Nofretete den Brief verfasst? „Mein Gemahl ist gestorben, und ich habe keinen Sohn“, schreibt die Frau dem Hethiterboss, „man sagt aber, dass deine Söhne zahlreich sind.“ Dann trägt sie forsch ihr Begehr vor: Sie will einen der Prinzen heiraten. Was für ein Angebot. Umgehend schickten die Hethiter ihren Kanzler an den Nil. Nach monatelanger Recherche kehrte er mit einer weiteren Nachricht der Pharaonin zurück, in der sie eine Art Staatspakt vorschlug. Nach der Vermählung, heißt es in ihrem Schreiben, „werden die beiden großen Länder nur noch ein einziges Land sein“. Schierer Hochverrat. „Dass eine Frau im Alten Ägypten solch eine Korrespondenz führte, ist so verrückt, dass man es kaum glauben mag“, urteilt der Experte Bayer. Schließlich zog der ausgewählte „Prinz Zannanza“ los. Er überquerte die Berge Anatoliens, ritt die Küste hinab. Doch kaum hatte er „Kemet“ erreicht, das „Schwarze Land“, wie die Ägypter ihre Heimat nannten, wurde er von Attentätern ermordet. Das war das Ende. Danach verstummen alle Nachrichten. Es gibt Hinweise, dass Nofretete in den Wirren der Konterrevolution gewaltsam beseitigt wurde. Ihre Mumie ist verschwunden. Ein faszinierendes Geschichtsszenario entsteigt da den Fluten des Nil. Als frühestes Covergirl und artiges Liebchen, so scheint es, hat die legendäre Königin ausgedient. Eine neue Spur tut sich auf. Eher war die Schöne ein Biest. Wer ihrem Antlitz direkt ins Auge sehen will, sollte demnächst das Neue Museum in Berlin besuchen. Dort steht die Verfemte unter Glas, umringt von nie gezeigten Exponaten aus der untergegangenen Sonnenstadt. Ob die edle Büste, wie vom Museum gewünscht, dort ewig und unverrückbar stehen wird, bleibt abzuwarten. Mit einer Rückführung nach Kairo würde Deutschland einen Antikenschatz von Weltrang verlieren. Der Versicherungswert der Statue liegt bei 390 Millionen Dollar. Video: Matthias Schulz über den Fund der Nofretete-Büste Für Smartphone-Benutzer: Bildcode scannen, etwa mit der App „Scanlife“. spiegel.de/app492012nofretete 132 „Wir verschweigen nichts“ Hermann Parzinger, wichtigster Kulturhüter Deutschlands, über die Zukunft der Nofretete, chauvinistische Türken und die Bedrohung der Archäologen durch Raubgrabungen NORBERT MICHALKE / DER SPIEGEL MATTHIAS SCHULZ SPI EGEL-GESPRÄCH Archäologe Parzinger: „Illegalen Handel stärker bekämpfen“ D E R S P I E G E L 4 9 / 2 0 1 2