Bienen- und Wespenstichallergie

Werbung
HÄUFIGE KRANKHEITEN – MODERN BEHANDELT
Bienen- und Wespenstichallergie
Albert Zeyer ! Wenn Bienen und Wes-
pen stechen, dann injizieren sie einen
ganzen Cocktail von Substanzen – wobei Bienen über viel mehr Gift verfügen als Wespen. Der gestochene Körper kann mit einer lokalen Reaktion an
der Einstichstelle reagieren oder aber
mit einer potenziell lebensgefährlichen
allergischen Reaktionsweise.
Harmlose Lokalreaktion
Für die lokale Reaktion, die mit Entzündung und Schmerzen einhergeht,
sind kleine Moleküle wie Histamin verantwortlich. Von einer normalen Lokalreaktion spricht man, wenn sich um
die Einstichstelle eine Schwellung von
höchstens 10 Zentimetern bildet, die
innerhalb von wenigen Stunden wieder
abklingt. Das ist meist ungefährlich,
ausser wenn das Insekt in die Schleimhaut von Mund und Rachen sticht. In
diesem Fall kann die Umgebung so
stark anschwellen, dass die Atemwege
verschlossen werden.
Bei einer schweren Lokalreaktion
misst die Schwellung um die Einstichstelle mehr als 10 Zentimeter, und sie
bleibt länger als einen Tag bestehen.
Die Symptome können dabei groteske
Ausmasse annehmen, wenn etwa das
Bein von der Zehe bis zur Leiste anschwillt. Die Betroffenen fühlen sich
oft schlecht und können Fieber und
Kopfschmerzen entwickeln. Solche
starken Reaktionen kommen bei einem Viertel der Gestochenen vor.
Im Gegensatz dazu reagiert bei
einer allergischen Reaktion das Immunsystem auf bestimmte Eiweisse im
Bienen- oder Wespengift überempfindlich. Weil die Zusammensetzung
dieser Allergene bei den zwei Insektenarten unterschiedlich ist, sind Personen mit Bienengiftallergie nicht
automatisch auch auf Wespengift allergisch und umgekehrt.
Die allergische Reaktion unterscheidet sich von der schweren Lokalreaktion durch das Auftreten sogenannter Allgemeinreaktionen. Auf der
Haut etwa zeigen sich Rötungen und
Schwellungen nicht nur im Bereich des
Stichs, sondern auch anderswo. Ausschläge und Juckreiz sind ebenfalls
Zeichen einer Allergie. Die Schleimhäute können anschwellen, obwohl das
Insekt am Arm oder am Bein gestochen hat. Ist der Magen-Darm-Trakt
betroffen, sind Schluckstörungen, Erbrechen, Magenkrämpfe und Durchfall gängige Symptome. Der allergische
Befall der Atemwege kann sich in
Nasenlaufen,
Kehlkopfschwellung,
Asthma oder einem Lungenödem äussern. Ist schliesslich das Kreislauf-
system betroffen, drohen Blutdruckabfall, Schwindel und ein allergisch bedingter Kollaps oder Schockzustand.
Allergische Symptome treten in der
Regel innerhalb von Minuten bis einer
Stunde nach dem Stich auf und klingen
nach wenigen Stunden wieder ab. Sie
sind relativ verbreitet. So liegt das
Risiko, auf einen Stich allergisch zu
reagieren, zwischen 1 und 7 Prozent.
Bei Personen, die bereits einmal allergisch reagiert haben, ist dieses Risiko
um ein Vielfaches erhöht. Die schwerste Form der allergischen Reaktion wird
anaphylaktischer Schock genannt. Dabei kommt es zu einer Kombination
von
Atemstillstand,
allergischem
Schock und Herz-Kreislauf-Stillstand,
was unbehandelt zum Tod führt. Auf
diese Weise sterben in der Schweiz
jährlich 2 bis 4 Personen.
Adrenalin im Notfall
Personen mit allergischer Allgemeinreaktion sollten medizinisch betreut
und medikamentös behandelt werden.
In leichten Fällen reicht die Behandlung mit Tabletten. Sogenannte Antihistaminika wirken schnell und sind
vor allem juckreizstillend. Kortisonpräparate hemmen die Entzündungsreaktion, doch ihre Wirkung tritt verzögert ein. Bei schwerer Allgemeinreaktion mit Beteiligung der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems
ist Adrenalin das Mittel der Wahl. Dieses wirkt stark abschwellend, weitet die
Bronchien und stützt den Blutdruck.
Jeder Patient mit allergischer Allgemeinreaktion sollte künftig ein Notfallset mit Medikamenten auf sich tragen.
Das gilt auch, wenn sich die Allgemeinreaktion nur in einem lästigen Juckreiz
am ganzen Körper äusserte. Niemand
weiss nämlich, ob die Reaktion beim
nächsten Stich nicht dramatischer verläuft. Das Notfallset enthält je zwei
Tabletten eines Antihistaminikums
und eines Kortisonpräparats. Nach einer schweren Allgemeinreaktion wird
dem Betroffenen oft zusätzlich noch
Adrenalin zur selbständigen Verabreichung im Notfall verordnet.
Wirksame Desensibilisierung
Für Bienen- oder Wespenstichallergiker ist auch die sogenannte spezifische
Immuntherapie oder Desensibilisierung eine Option. Damit wird das
Immunsystem langsam an das jeweilige
Gift gewöhnt. Laut Arthur Helbling
von der Allergologisch-Immunologischen Poliklinik am Inselspital Bern
sollte die Indikation für eine solche
Therapie durch einen Allergologen ge-
stellt werden. Dieser testet den Patienten zuvor auf spezifische Antikörper
des Typs IgE, welche die allergische
Reaktion auslösen. Dies geschieht entweder mit Hauttests oder einem sogenannten In-vitro-Test.
Die
Desensibilisierungstherapie
führt bei Bienengiftallergikern in 80 bis
85 Prozent der Fälle zu einem kompletten Schutz; bei Wespengiftallergikern
ist die Erfolgsrate sogar noch höher,
wobei die Wirkungsweise der Therapie
noch nicht restlos geklärt ist. Man weiss
jedoch, dass die Desensibilisierung auf
verschiedenen Ebenen des Immunsystems angreift und so die Reaktion auf
das Gift moduliert. Ein wichtiger Mechanismus dürfte darin bestehen, dass
der Körper unter der Behandlung spezifische IgG-Antikörper produziert,
die die Freisetzung von entzündungsstimulierenden Botenstoffen blockieren.
Vom Patienten verlangt die Desensibilisierung, bei der das natürliche
Insektengift unter die Haut des Oberarms injiziert wird, einiges an Durchhaltevermögen. Denn die initiale Behandlung wird entweder wöchentlich
mit steigender Dosis oder anlässlich
einer Kurzhospitalisation innerhalb
von wenigen Stunden vorgenommen.
Diese Phase der Therapie muss von
einem Spezialisten überwacht werden,
kommt es doch bei einigen Patienten zu
einer mehr oder weniger gravierenden
Form von anaphylaktischer Reaktion.
Danach wird über mindestens fünf
Jahre alle 4 bis 6 Wochen eine Erhaltungsdosis appliziert. Diese entspricht
etwa zwei Bienen- bzw. mehreren Wespenstichen. Die vormals allergischen
Patienten werden so langsam immun
gegen das jeweilige Insektengift. Ein
provozierter Stich mit einem Insekt
beim Arzt ist schliesslich der «lebende
Beweis» für den Erfolg der Therapie.
Nach geglückter Desensibilisierung
beträgt das Rückfallrisiko knapp 10
Prozent. Beim Heuschnupfen, bei dem
eine ähnliche Immuntherapie durchgeführt wird, gibt es neuerdings eine
Behandlungsvariante mit Tabletten,
die unter die Zunge gelegt werden. Im
Fall der Insektengiftallergie hat sich
diese Therapieform leider nicht bewährt. So gilt es nach wie vor die Angst
vor dem Stich gegen die Mühsal der
Desensibilisierung abzuwägen.
Albert Zeyer ist Arzt und Mathematiker; er arbeitet
als Dozent für Naturwissenschaftsdidaktik an der Universität Zürich.
Herunterladen