14. IZZ-presseforum IZZ, Straßburg, 4. Juli 2008 2 Die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) definiert Schmerz als „unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktuellen oder potenziellen Gewebeschädigungen verknüpft ist oder mit Begriffen solcher Schädigungen beschrieben wird“. Diese Definition berücksichtigt die verschiedenen Faktoren, die beim Schmerz eine Rolle spielen. In der Zahnmedizin verhindert die Angst vor Schmerzen, dass sich die Patienten einer Behandlung unterziehen und zugleich bilden Schmerzen den Hauptgrund für einen Besuch beim Zahnarzt. Um sich der Patienten optimal annehmen zu können, muss der Arzt die Ursache des Schmerzes ermitteln, zwischen akutem und chronischem Schmerz unterscheiden und die Art des Schmerzes einordnen können, um die Behandlung entsprechend darauf abzustimmen: Schmerzen wegen übermäßiger Schmerzempfindung: Periphere nozizeptive Stimulation und Fortleitung der Schmerzreize nach Passage des Rückenmarks an das Gehirn. Wird diese „verkabelte“ Perspektive auf die Weiterleitung des Schmerzes dem echten, erfahrenen Schmerz gerecht? Der nozizeptive Schmerz zählt zu den in der Zahnmedizin hauptsächlich auftretenden Schmerzen. Schmerzen durch Deafferenzierung: Ausschaltung der Innervation und damit der somatischen Afferenzen und ihrer hemmenden Wirkung (Post-Zoster- oder Post-Herpes-Schmerzen, atypische Gesichtsneuralgie, Phantom-Zahnschmerz?). Psychogener Schmerz (Psychalgien) ohne erkennbare Ursache oder idiopathischer Schmerz: Psychogene Schmerzen mit neurotischem oder depressivem Syndrom (psychogene Missempfindungen im Mundbereich, Zungenschmerz, Mundschmerz ...) 1. In der Mundmedizin: geht es insbesondere um Schmerzen, die auf Schädigungen der Organe oder auf durch den Arzt bewirkte Verletzungen zurückzuführen sind. Idiopathische Schmerzen werden in diesem Referat nicht besprochen. Organische Verletzungen: Erosion und Ulzeration: Traumatisch (schlecht eingesetzte Prothesen, Zahnplomben oder dentale Fehlstellung…), Bläschen, epidermoides Karzinom, Dermatose, infektiöse Ulzeration... Durch den Arzt bewirkte Verletzungen: Durch Bestrahlung oder chemisch induzierte Schleimhautentzündungen (Auflösung der Blutbildungszellen, direkte zytotoxische Wirkung auf das Epithel der Mundschleimhaut). In beiden Fällen handelt es sich um einen akuten Schmerz, der verhindert, dass der Patient Nahrung zu sich nehmen, Mundhygiene betreiben, sprechen oder schlafen kann… Diese Schmerzen werden nach ätiologischer bzw. symptomatischer Grundlage behandelt: D:\68616590.doc 14. IZZ-presseforum IZZ, Straßburg, 4. Juli 2008 3 Lokale Behandlung: Gels auf Grundlage von Anästhetika können sich als -viskos® (Lidocainhydrochlorid) oder Dynexan® (Lidocainchlorhydrat). Diese werden mehrmals täglich lokal auf die Schleimhautgeschwüre aufgetragen. Allgemeine Behandlung: Schleimhautentzündungen des Grades 1 und 2 sprechen in der Regel gut auf die Schmerzmittel der Stufe I und II an: (Cod-Efferalgan®, CodDafalgan®, Di-Antalvic®, Propofan®, Tramadol®, Topalgic®…). Ab einer Schleimhautentzündung dritten Grades sind nur noch Morphine wirksam: Orale Morphinformen mit direkter Wirkung: (Actiskenan®, Sevredol®) oder Buprenorphin sublingual (Temgesic®). (Verschreibung per abgesichertem Rezept). Größere Aphten müssen systemisch auf Grundlage von Kortikoiden, Thalidomid (das ausschließlich im Krankenhaus verwendet werden darf) oder von Colchicin (zeitlich versetzte und inkonstante Wirkung) behandelt werden… 2. In der Mundchirurgie: geht es um postoperative Schmerzen (operative Entfernung eingeschlossener Zähne, eines Tumors oder von Zysten, Implantation, endodontische, orthodontische, parodontale Eingriffe…). Diese Schmerzen sind insbesondere auf entzündliche Reaktionen zurückzuführen (Schmerzen, Trismus und Ödem), die durch den operativen Eingriff ausgelöst werden. Postoperative Schmerzen werden nach einem Stufenplan behandelt (Stufenplan der WHO): Stufe I: (leichte Schmerzen, VAS: 1 bis 3). Hier werden zur primären Wundheilung Analgetika der Stufe I verwendet, die keine narkotische Wirkung haben (Paracetamol, NSAR…). Stufe IIa: (anhaltende Schmerzen, die nicht durch die Analgetika der Stufe I gelindert werden können, VAS: 4 bis 7). Hier werden zur sekundären Wundheilung schwach wirksame Opiate zusammen mit anderen Wirkstoffen der Stufe II verwendet (Paracetamol-Codein, Dextroproxyphen, Tramadol (Topalgic*, Contramal*). Stufe IIb: Verwendung von partiellen Agonisten (Buprenorphin / Temgesic*) oder von Agonisten-Antagonisten (Nalbuphin / Nubin*). Stufe III: (Starke Schmerzen, VAS: über 7) Verwendung von Morphin und Morphinderivaten, Analgetika der Stufe IIIa zur tertiären Wundheilung (in der Odontologie nicht indiziert). Die zur Behandlung postoperativer Schmerzen am häufigsten verwendeten Wirkstoffe sind: Paracetamol: Fiebersenkendes Analgetikum ohne entzündungshemmende Wirkung, nicht verschreibungspflichtig, mit bedeutendem medizinischem Ergebnis. Paracetamol soll durch die Hemmung der Synthese der zerebralen D:\68616590.doc 14. IZZ-presseforum IZZ, Straßburg, 4. Juli 2008 4 Prostaglandine wirken; seine schmerzstillende Wirkung ergibt sich ausschließlich aus einer zentralen Wirkung. Seine Wirksamkeit in der Behandlung postoperativer Schmerzen in der Mundchirurgie ist durch zahlreiche klinische Studien und zwar insbesondere nach Entfernung der Weisheitszähne nachgewiesen. Die schmerzlindernde Wirkung einer Dosis von 1000 mg ist stärker und hält länger an als mit einer Dosis von 500 mg. Paracetamol soll auch wirksamer als die NSAR sein. NSAR: Wirken mit Ausnahme ihrer entzündungshemmenden Wirkung nicht besser als Paracetamol. Es wird empfohlen, NSAR mit Zulassung zur Schmerzlinderung zu verwenden. Deren schmerzstillende Wirkung ist mit derjenigen der schwachen Opioide vergleichbar, die alleine oder zusammen mit Paracetamol verwendet werden. Bei der ersten Einnahme muss die Wirkdauer von etwa 1 h berücksichtigt werden, um eine Wirkung vor dem voraussichtlichen Ende der Anästhesie zu erreichen. Die optimale Behandlungsdauer beträgt drei Tage und darf keine 5 Tage übersteigen. Die orale Vergabe ist vorzuziehen. Von der parallelen Einnahme zweier NSAR wird abgeraten. Ibuprofen scheint das beste Nutzen-Risiken-Verhältnis zu bieten. Opioide: Natürlich oder synthetische Substanzen mit agonistischer oder antagonistischer Wirkung zu Morphin. Schwache Opioide: Weniger starke schmerzstillende Wirkung als Morphin (Codein, Dihydrocodein, Dextropropoxyphen und Tramadol). Die schmerzstillende Wirkung wird durch die zusätzliche Einnahme von Paracetamol oder einem NSAR verstärkt. Eignen sich zur Behandlung von mittleren bis starken Schmerzen. Starke Opioide: Es wird zwischen den oralen Formen des Morphins mit sofortiger Wirkung unterschieden: Sevredol® oder Actiskenan® (Betäubungsmittel, mit bedeutendem medizinischem Ergebnis), ® Buprenorphin: Temgesic (Liste I, mit bedeutendem medizinischen Ergebnis). Diese Mittel werden nur per gesichertem Rezept verschrieben und unterliegen den Vorschriften des frz. Betäubungsmittelgesetzes (Art. R.5212 CSP). Glucocorticoide: Diese sind für die Prävention und zur symptomatischen Therapie von Entzündungen (Ödem und Trismus) indiziert. Ihre schwache schmerzstillende Wirkung rechtfertigt die gleichzeitige Verordnung von Analgetika. Von einer parallelen Einnahme eines NSAR wird abgeraten. Die Glucocorticoide werden auch zur Prävention neuropathischer, postoperativer Schmerzen empfohlen. Die Auswertung der Fachliteratur bezüglich der am Markt erhältlichen Wirkstoffe lässt keine Wirkstoffprivilegisierung zu. Aus pharmakokinetischen Gründen (Bioverfügbarkeit, biologische Halbwertszeit) scheint es empfehlenswert, Prednison vorzuziehen. Die empfohlene, durchschnittliche Tagesdosis beträgt 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht Prednison, welche an drei D:\68616590.doc 14. IZZ-presseforum IZZ, Straßburg, 4. Juli 2008 5 Tagen auf ein Mal morgens eingenommen werden soll (da es sich um eine kurze Kur handelt, wird die Behandlung abrupt abgebrochen). Bei der ersten Einnahme muss die Wirkdauer der Glucocorticoide von etwa 4 h berücksichtigt werden, um eine Wirkung vor Beginn des Eingriffs zu erzielen. Bei all diesen Medikamenten sind bei der Verschreibung Nebenwirkungen, Dosierhinweise und Gegenanzeigen zu beachten. die Schlussfolgerung: Jedem Patient, der über Schmerzen klagt, muss zugehört und geglaubt werden und ihm ist zu helfen. Auch die Rechtsprechung schreibt vor, dass Schmerzen behandelt werden müssen: Frz. Gesundheitsgesetz (Gesetz Nr. 2002-303 vom 4. März 2002), Gesetz über die medizinische Deontologie (Erlass 95-1000 vom 6. September 1995, Artikel 37 und 38). D:\68616590.doc