Predigt am 1. Advent über Sacharja 9,9: "Siehe, dein König kommt

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Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Predigt am 1. Advent über Sacharja 9,9:
"Siehe, dein König kommt zu dir!" (Wochensprüche VII)
Linsebühl, 28. November 2010; von Pfr. Stefan Lippuner
Lesung: Matthäus 21,1-9
Und als sie sich Jerusalem näherten und
nach Betfage an den Ölberg kamen, da
sandte Jesus zwei Jünger aus und sagte
zu ihnen: "Geht in das Dorf, das vor euch
liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr.
Bindet sie los und bringt sie zu mir! Und
wenn jemand euch Fragen stellt, so sagt:
«Der Herr braucht sie, er wird sie aber
gleich zurückschicken.»"
Das ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was durch den Propheten gesagt ist:
"Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König
kommt zu dir, sanftmütig und auf einem
Esel reitend, auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers."
Die Jünger gingen und taten, was Jesus
ihnen befohlen hatte, brachten die Eselin
und das Füllen und legten ihre Kleider auf
sie, und er setzte sich darauf. Eine riesige
Menschenmenge hatte auf dem Weg ihre
Kleider ausgebreitet, einige schnitten
Zweige von den Bäumen und breiteten sie
auf dem Weg aus. Und die Scharen, die
ihm vorausgingen und die ihm folgten,
schrien: "Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des
Herrn, Hosanna in der Höhe!"
Liebe Gemeinde.
Im Bericht über den Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag hiess es: "Das ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was durch den Propheten gesagt ist." Dieser zitierte Prophet
ist der alttestamentliche Prophet Sacharja; er sagte in Kapitel 9, Vers 9 seines Buches (dies
ist zugleich der Wochenspruch für den heutigen ersten Advent): "Freue dich, Tochter Zion,
jauchze laut, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein
Helfer. Demütig ist er und reitet auf einem Esel." (Genau das haben wir ja vorhin auch in einem kraftvollen Adventslied gesungen [RG 370].)
"Siehe, dein König kommt zu dir!" – In unserer erzdemokratischen Schweiz kennen wir
schon lange keine Könige mehr, ausser dass vielleicht einmal ein Bundesrat oder ein Wirtschaftsführer mit diesem Begriff bezeichnet wird. Aber eigentliche Könige, Fürsten und ihre
Entourage haben wir schon vor Jahrhunderten gestürzt und abgeschafft. Deshalb können
wir auch diesen Hype nicht recht nachvollziehen, der da in England entstanden ist nur
schon aufgrund der Ankündigung einer königlichen Hochzeit.
Nein, Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen kennen wir nicht aus eigenem Erleben, sondern aus der Regenbogenpresse (wo politische Fähigkeiten oft weniger interessieren als irgendwelche Skandale und Skandälchen). Wir lesen von Königen in anderen Ländern, die keine wirklichen Herrscher mehr sind, sondern nur Repräsentationsfiguren, die völlig vom Parlament abhängig sind und dem Volk gefallen müssen, damit dieses weiterhin bereit ist, so viel Steuergelder zu zahlen.
Wir kennen auch Könige aus dem Geschichtsunterricht: tatsächliche Herrscher über kleine
oder grosse Länder, oftmals machtgierig und gewalttätig und meist in Palästen wohnend,
deren Luxus sich krass von den Lebensumständen der Untertanen abhob. Auch in der Gegenwart gibt es noch einige solche Könige bzw. Staatsoberhäupter.
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Und schliesslich kennen wir Könige aus den Märchen, gute oder böse Könige und Königinnen, aber wenigstens richtige, nicht solche Operettenfiguren, wie sie uns in den Klatschspalten entgegenkommen.
Mit diesen Bildern und Vorstellungen im Kopf – welche Art von König erwarten wir denn
nun, wenn wir unseren Wochenspruch hören und wenn diese Ankündigung des Propheten
Sacharja auch für uns eine Bedeutung haben soll? "Siehe, dein König kommt zu dir!" Was
für ein König kommt zu uns?
Gemäss dem Bericht über Palmsonntag und dem ganzen neutestamentlichen Zeugnis ist es
Jesus Christus, der diese prophetische Voraussage erfüllt. Doch dieser König Jesus Christus ist ganz anders als alle, die sich König nennen oder nennen lassen in Geschichte und
Gegenwart. Er ist die Alternative sowohl zu den gewalttätigen, herrschsüchtigen Königen
wie zu den gutmütigen, oft hilflosen Königen.
Auch damals, gegenüber der jahrhundertealten Königsgeschichte des Volkes Israel war er
die totale Alternative. Diese Königsgeschichte war von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer elender gescheitert. Die Erwartungen, die das Volk Israel immer wieder neu in seinen König gesetzt hatte, wurden (aufs Ganze gesehen) nur enttäuscht. So warteten die Leute damals
brennend auf einen König, wie er seit David nie mehr dagewesen war; auf einen König, der
mit Recht und Gerechtigkeit regieren würde, der mit Macht alle Feinde vernichten würde
und endlich wieder ein richtiges Königreich Israel aufrichten würde.
Doch auch gegenüber solchen Erwartungen war und ist Jesus Christus ganz anders. Nicht
triumphal auf einem Streitross zog er in Jerusalem ein, sondern "demütig ist er und reitet auf
einem Esel", auf dem Reittier des kleinen Mannes. Diese Demut, diese Niedrigkeit, dieses
Klein-Werden zeigte sich bereits bei seiner Geburt, auf die wir in der Adventszeit ja zugehen. Nicht in einem Palast wurde der König Jesus geboren, sondern in einem einfachen
Haus mit Stall; nicht auf weiche Kissen wurde er gebettet, gehüllt in feine Seidentücher,
sondern auf raues Stroh in einem Futtertrog für das Vieh. "Dein König kommt in niedern
Hüllen", werden wir dann noch singen [RG 371,1]. – So ganz anders also als die üblichen
Erwartungen, weshalb ja die Weisen aus dem Morgenland prompt zuerst am falschen Ort
landeten auf ihrer Suche nach dem neugeborenen König der Juden.
Trotzdem kommt dieser König als einer, der die Sehnsüchte von uns Menschen erfüllt: Er ist
"ein Gerechter und ein Helfer", wie es bei Sacharja heisst. Als einziger ist Jesus Christus
wirklich gerecht; bei ihm findet sich keine Spur von Ungerechtigkeit. Und nach einem solchen König sehnen wir uns doch: nach einem, der selber völlig gerecht ist und der Recht
und Gerechtigkeit bringt, der den Menschen, besonders den armen, erniedrigten, unterdrückten Menschen zu ihrem Recht verhilft und der die ungerechten Verhältnisse in unserer
Welt zurechtbringt – nicht mit Gewalt und neuem Unrecht, sondern mit dem, was sein Wesen ausmacht: mit Demut, mit Barmherzigkeit, mit Liebe.
Und dieser gerechte König Jesus Christus ist zugleich "ein Helfer". In manchen Bibelübersetzungen findet man hier auch den Begriff: er ist "siegreich". Beide Verstehensweisen sind
vom ursprünglichen Text her möglich, und ich meine, sie ergänzen sich auch. Der gerechte
König ist einer, dem geholfen wird, dem der Sieg verliehen wird (das die primäre Bedeutung
des entsprechenden Wortes); er ist der Siegreiche, siegreich gerade auch über die Mächte
des Bösen und über die Schwierigkeiten und Nöte, unter denen wir Menschen leiden. Dadurch ist der König eben auch der Helfer, auf den wir uns verlassen können in aller Not. –
Was für ein König, der seine Untertanen nicht beherrscht, unterdrückt und zu seinem eigenen Vorteil ausbeutet, sondern der ihnen hilft und alles für sie einsetzt, letztlich sogar sein
eigenes Leben einsetzt!
"Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer." Wir dürfen uns freuen und
dankbar sein dafür. Denn dieser König, dieser vollkommen gute König Jesus Christus
kommt zu jedem und jeder von uns persönlich. So wie er damals in Jerusalem einzog, will
er auch bei uns einziehen, in unser Leben, in unser Herz hineinkommen. So wie er damals
auf die Welt kam, geboren wurde und in einer Krippe lag, so will er auch in uns drin geboren
werden, und unser Herz soll ihm geistlich zur Krippe werden.
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Das ist Advent: Wir erwarten und vertrauen darauf, dass der König, der wahre König zu uns
kommt, zu uns persönlich; dass er uns durch seine Gerechtigkeit gerecht macht und dass er
uns liebevoll hilft in allen unseren Problemen, Sorgen, Nöten und Leiden. Das ist uns zugesagt durch den Propheten Sacharja und durch manche anderen Worte der Bibel. So wollen
wir in dieser Zeit freudig warten auf den König Jesus Christus, der immer wieder neu zu uns
kommen will; wir wollen bereit sein, uns immer wieder vorbereiten für sein Kommen zu uns.
Dieses Kommen des wahren Königs hat allerdings auch noch eine weitere Dimension, nicht
nur die ganz persönliche, auf das Herz jedes Einzelnen ausgerichtete Dimension. Sacharja
begann seine Verheissung des kommenden Königs ja mit dem Aufruf: "Freue dich, Tochter
Zion, jauchze laut, Tochter Jerusalem!" Und damit sprach er nicht zuerst einzelne Menschen und ihr Herz an, sondern politische Grössen: Jerusalem als die Hauptstadt der jüdischen Nation und innerhalb dieser Stadt der Berg Zion, wo der Tempel stand und an den alle Heilshoffnungen des Volkes Israel geknüpft waren.
Das zeigt uns: Nicht nur zu uns persönlich, in unser Inneres hinein will Jesus Christus als
der wahre König kommen, sondern gerade auch in unsere Welt hinein, zu den Völkern und
Nationen, in die Gesellschaft. – Und zwar zuerst zum Gottesvolk Israel; Jesus ist der Messias, der Retter Israels, gesandt zu den verlorenen Schafen dieses seines Volkes. Zweitens
und darüber hinaus kommt Jesus als der gerechte und helfende König dann auch zu allen
anderen Nationen; er ist auch der Heiland aller Völker.
Speziell will Jesus Christus zum Gottesvolk des neuen Bundes kommen: zur christlichen
Gemeinde. Zu seiner Kirche und damit auch zu unserer Gemeinschaft als Teil seiner weltweiten Kirche, will Jesus kommen; seine Kirche will er gerecht machen, zurechtbringen, heiligen; seiner Kirche will er helfen und will sie beschützen; für seine Kirche will er König sein.
Das sollen wir nicht vergessen, und deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht nur als Einzelne
Gott dienen und feiern, sondern gerade auch als Gemeinschaft, als Gemeinde immer wieder Gottesdienst feiern.
Allerdings hört auch da die Königsherrschaft von Jesus Christus noch nicht auf. Denn er ist
der König aller Könige. Darum will er auch in die ganz weltliche Welt hineinkommen: in die
Welt der Politik, der Wirtschaft, der Schule, der Wissenschaft, der Familie, der Medizin, des
Sports, der Kultur etc. Auch an alle diese Welten, diese Bereiche der Gesellschaft richtet
sich der Ruf des Propheten Sacharja: "Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und
ein Helfer." Überall will Jesus Christus zur Wirkung kommen mit seinen Wertmassstäben
und mit seiner Liebe. Der ganzen Welt will er seinen Frieden bringen. – Nicht umsonst lautet
die Fortsetzung unseres Wochenspruches beim Propheten Sacharja so: "Er wird die Streitwagen und die Kriegsbogen ausrotten. Er schafft den Völkern Frieden durch sein Wort, und
seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und bis an die Enden der Erde" [Sacharja 9,10].
Letztlich also geht es um die Königsherrschaft Jesu Christi, um das Reich Gottes, das Friedensreich Gottes über die ganze Welt. Und so hat die Erwartung im Advent einerseits sehr
wohl eine ganz persönliche, individuelle, ja intime Dimension; sie hat aber ebenso sehr auch
eine öffentliche und gesellschaftliche Dimension, die nicht ausser Acht gelassen werden
soll. Hier, in der gesellschaftlichen Dimension sollen Menschen wirken, zu denen persönlich
der König Jesus Christus gekommen ist und die von ihm und von seiner Liebe erfasst worden sind. Darum ist es wichtig, dass Christen sich nicht einfach auf ihre Innerlichkeit und ihre private Gottesbeziehung zurückziehen, sondern dass sie in alle Welt hinausgehen, also
auch in die Welt der Wirtschaft, der Bildung, der Politik usw. gehen und da die Königsherrschaft von Jesus Christus mit Wort und Tat verkünden und so zur Ausbreitung des Reiches
Gottes beitragen.
So soll in dieser Adventszeit die prophetische Verheissung zuerst von jeder und jedem von
uns persönlich, dann auch von uns als Teil der christlichen Gemeinde und schliesslich von
aller Welt gehört und angenommen werden: "Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter
und ein Helfer!"
AMEN
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