S. Maria della Steccata Die Ursprünge der Steccata-Kirche haben eine interessante Vorgeschichte. 1392 tauchte an der Mauer eines Hauses in der Straße S. Barnaba, der heutigen Via Garibaldi, an der Stelle, wo sich heute die Steccata-Kirche befindet, ein Bild von Johannes dem Täufer auf. Der Kult um dieses Bild kam in der Errichtung eines Oratoriums und wenig später in der Gründung einer Laienbruderschaft zum Ausdruck, der die Verwaltung der kleinen Kirche übertragen wurde. Erst Ende des 15. Jahrhunderts tauchte an der Mauer des Oratoriums auf mysteriöse Art und Weise das Bild der heiligen, das Jesuskind stillenden Jungfrau auf. Daraufhin nahm die Bruderschaft den Namen Madonna Annunciata (Mariä Verkündigung) an. Das Bild wird heute auf dem Altar der Steccata aufbewahrt. Beachtenswert ist auch, daß die Kirche und die Kongregation eine enge Beziehung zur Gemeinde und zur Stadtaristokratie hatten. Das Auftauchen des Bildes der Mutter Gottes wurde als Wunder bezeichnet und ließ einen wahren Kult entstehen, der einen so immensen Zustrom Gläubiger erfuhr, daß zum Schutz der Fresken und um den Menschenmassen Einhalt zu gebieten, sogar – so wird zumindest behauptet – ein Lattenzaun (steccato) aufgestellt werden mußte, der dem Gemälde zu seinem Namen verhalf und nach dem auch die Kirche benannt wurde, die wenige Jahren später, nämlich Anfang der 1620er Jahre von der Bruderschaft errichtet wurde, um der wunderbaren Madonna die herrlichste Gastfreundschaft zu bieten. Der Bau der heutigen Kirche S. Maria della Steccata fällt in die Zeit zwischen 1521 und 1527. Mit dem Entwurf wurde anfangs der Architekt Bernardino Zaccagni aus Torrechiara beauftragt. Doch nach einem Streit mit der Bruderschaft über den Bau einiger äußerer Bogengänge sowie die Kosten des Mauermaterials wurde die Planung dem Bildhauer und Architekten Francesco Ferrari d’Agrate anvertraut, auf den wahrscheinlich der obere Teil des Gebäudes und die Lesene mit den äußeren Blattkapitellen zurückgehen. Allerdings weiß man heute weder, auf wen genau der Entwurf und die Kirchenstruktur zurückzuführen ist, noch wann die Pläne angefertigt wurden oder welche Rolle die beratenden Ausschüsse spielten, welche u.a. von Correggio und Araldi ins Leben gerufen worden waren, die an den Entwurfsplänen teilhatten. Sicher kann nur der Entwurf der zwischen 1526 und 1527 errichteten Kuppel im romanischen Stile Antonio da Sangallo, dem Jüngeren zugeschrieben werden. Sangallo war vom Papst nach Parma eingeladen worden, um die Verteidigungsmauern der Stadt zu prüfen. Bereits kurz nach dessen Ankunft nahm die Bruderschaft mit ihm Kontakt auf und so wurde er in das Projekt der Steccata mit eingebunden. Das Kircheninnere ist ein griechisches Kreuz. Die Flügel sind an den vier Himmelsrichtungen orientiert und schließen mit den großen Nischen der Apsis ab. Zwischen den Flügeln wurden sogleich vier große Parallelepipede (Kapellen) errichtet, in denen auch heute noch Gottesdienste abgehalten werden und durch die der Grundriß vielen anderen Bauten mit zentralem Grundriß ziemlich ähnelt, die damals in Italien im Fahrwasser der Ideen von Bramante und Raffaello gerade modern waren. Nach einer alten Überlieferung stammt der Entwurf des Grundrisses der Steccata von eben jenem Bramante. Einige Forscher stellen jedoch eine Verbindung zu diversen Entwürfen von Leonardo (der genau zu Anfang der zwanziger Jahre Parma besuchte) her. Erwähnenswert ist, daß die Kirche im 16. Jahrhundert zwei offene Türen hatte; zum einen die heutige (Westseite) und zum anderen diejenige zum Platz hin (Südseite): letztere wurde endgültig 1541 geöffnet und bis zur Hälfte des 18. Jahrhunderts als Haupteingang der Kirche genutzt. Während zwei Jahrhunderten war die Kirche also nach Nord-Süd und nicht wie heute Ost-West ausgerichtet und der Hauptaltar, der nicht etwa der Mutter Gottes, sondern dem heiligen Johannes gewidmet war, fand seinen Platz in der großen Nordnische. Das Innere wurde nach einem präzisen marianischen ikonographischen Plan mit Fresken verziert, der heute weder einfach noch im Detail zu entziffern ist. Neben dem von Parmigianino bemalten östlichen Unterbogen (3) sticht die Kuppel (4) mit der von Barnardino Gatti (1560) gemalten „Himmelfahrt der Maria“ hervor. Weitere Glanzpunkte der Kirche sind die zwölf Szenen des Alten Testaments zwischen den Aposteln im Tympanon und dem Fries unter dem Gesims (ebenso von Gatti und Lattanzio Gambara, dem Freskenmaler der Innenwände des Doms), die Halbkuppeln der großen Nischen (7) mit der „Anbetung der Hirten” an der Südseite und „Pfingsten” an der Nordseite (6) (gemalt zwischen 1547 und 1555 von Girolamo Mazzola Bedoli), die Halbkuppel der westlichen großen Nische (5) mit der „Anbetung der Könige” (von Michelangelo Anselmi begonnen und nach dessen Tod von Gatti (1556) vollendet), die Halbkuppel der großen Nische (2) an der Ostseite, die zunächst von Parmigianino geplant und dann von Michelangelo Anselmi nach dem Entwurf von Giulio Romano (1541) vollendet wurde sowie die Helldunkelmalerei der von Mercurio Baiardi (1568), Antonio Seghizzi, Giovanni Maria Conti delle Camere, Angelo Omobono Guazzi, Antonio Bonviso (alle zwischen 1668 und 1670) geschaffenen Säulen. Auch die äußere Balustrade auf der Attika und die äußeren Statuen wurden Ende der 1760er Jahre nach dem wieder einmal von Rom kommenden Geschmack positioniert. In diesen Jahren wurde eines der Meisterwerke der Kunsttischlerei der Kirche, die Adlige Sakristei (Zugang über den Gang der Nordkapelle), angefertigt. Auf Entwurf von Carlo Rottini und Rinaldo Torri nahmen durch das Schnitzwerk von Giovanni Battista Mascheroni die mit Masken, weiblichen Figuren, Engeln und Gefäßen verzierten Schränke, die bis heute die historischen Kirchengeräte enthalten Gestalt an. Besonders bemerkenswert ist die feierliche und prunkvolle Krönung des Marienbildes der Steccata im Jahre 1600. Die Madonna wurde mit einem Kleid aus vergoldeter und durch Treibarbeit und Ziselierung mit Perlen und Edelsteinen verzierter Silberfolie bedeckt. Einem alten Brauch folgend brachen die Herzöge von Parma einen Edelstein aus der eigenen Krone, um ihn zum Zeitpunkt ihrer Ernennung in die Krone der Madonna zu stecken, die heute leider zusammen mit der, die einst das Haupt des Kindes kränzte, verloren gegangen ist. 1718 begab sich ein Ereignis größter Bedeutung in der Geschichte der Kirche und in gewissem Sinne auch der Stadt: der Heilige Stuhl schenkte mittels einer päpstlichen Bulle von Papst Clemens XI. dem Herzog von Parma und Piacenza Francesco Farnese die Steccata-Kirche, der aus ihr die Konventskirche des konstantinischen St.-Georgs-Orden machte. Dieser Ritterorden behauptete von sich selbst, vom alten Heer abzustammen, das von Kaiser Konstantin 312 am Tag vor der Schlacht gegen Maxentius an der Milviobrücke gegründet worden war. Francesco Farnese hatte den Orden 1697 einem angeblichen Abkömmling Konstantins abgeworben, um aus ihm den Ritterorden der herzöglichen Familie in Parma zu machen. Der Erwerb der Kirche erwies sich für den Herzog als äußerst nützlich, da die Kongregation damals zwar vom Papst ex cathedra aufgelöst worden war, aber im Namen der Kirche noch zahlreiche Bodengüter besaß, die dem Herzog bei der Verwaltung des Ordens dienlich waren. In diesen Jahren wurde im Bereich der großen Nische an der Ostseite mit Restaurierungsarbeiten begonnen. Der kleine alte Chor aus dem 16. Jahrhundert wurde abgerissen, um einem neuen Chorgestühl für die konstantinischen Ritter (1) Platz zu machen, der von Edelberto dalla Nave (1720) mit ellipsenähnlichem Grundriß erbaut und 1753 mit den hölzernen Stühlen von Gaetano Banzi vervollständigt wurde. Außerdem wurde der auch heute noch existierende prunkvolle Altar für das Marienbild der Steccata aufgestellt, für den diverse Architekten (darunter Ferdinando Galli Bibiena) Pläne angefertigt hatten, der aber erst 1758 von Maurizio Lottici errichtet wurde. 1761 wurde die Tür zum kleinen Platz geschlossen und der Altar vom heiligen Johannes (der ab 1761 wieder dem heiligen Georg geweiht war) wurde an seinen Platz in der großen Nische an der Südseite versetzt. In der großen Nische an der Nordseite, wo sich der verschobene Altar befunden hatte, wurde ein Altar aufgestellt, der dem heiligen Nikolaus, dem heiligen Basilius und dem heiligen Gregor Thaumaturgus (1765 von G.B. Cignaroli gemalt) geweiht war. Der Altar des heiligen Johannes enthielt bis 1720 ein Gemälde der Hochzeit der Jungfrau von Giulio Cesare Procaccini (heute in der Nationalgalerie in Parma aufbewahrt), das im gleichen Jahr durch Der heilige Georg und der Drache von Marcantonio Franceschini ersetzt wurde. Die Orgel im Presbyterium wurde 1572 von Benedetto Antegnati erbaut, 1592 von Costanzo Antegnati erweitert und zur Hälfte des 18. Jahrhunderts noch einmal vergrößert und schließlich 1970 von der Firma Tamburini auf elektrischen Betrieb umgestellt. 1892 wurde eine weitere große Orgel mit Gasdruckluftmotor von der Firma Vegezzi Bossi aus Turin erbaut. Heute kann sie mit dem gleichen mittleren elektrischen und beweglichen Spielwerk mit vier Manualen gespielt werden, mit dem auch das andere Instrument bedient wird. Die Sängerkanzeln im Presbyterium wurden 1761 von Gaetano Banzi errichtet und von Pietro Rubini bemalt. Das Orgelgehäuse des Chorgestühls geht auf Giuseppe Fringuelli zurück. Am Eingang der Kirche steht das Grabmal Adam von Neippergs, dem morganatischen Ehemann der Herzogin Marie Luise von Österreich und Premierminister des Herzogtums. Es stammt aus der früheren herzöglichen Kapelle des heiligen Ludwig. Außerdem befindet sich hier eine Pietà in Gedenken an Marie Luise, die 1845 von Tommaso Bandini und Francesco Guastalla angefertigt wurde. Beide sind aus weißem Marmor. In der zu besichtigenden Krypta der Kirche ruhen seit 1823, als sie vom aufgelösten Kappuzinerkloster überführt wurden, die Gebeine von vierzehn Prinzen und Herzögen der Farnese und Bourbonen; unter ihnen Alessandro Farnese, Ranuccio I. und II. Farnese, Francesco Farnese und der Bourbone Philipp. Auch heute noch befindet sich die Steccata-Kirche im Besitz des Konstantinischen Ordens, der jedoch in eine öffentliche Einrichtung umgewandelt wurde und als solche das Kirchenarchiv verwaltet. Die Orgeltüren Die zwei großen über den Eingängen der nordwestlichen (8) und südwestlichen (9) Kapellen der Kirche aufgehängten Tafeln (5,38m x 2,78m) sind die zwei inneren Orgeltüren, die möglicherweise von Parmigianino für das kleine alte Instrument des antiken Oratoriums (dem Vorläufer der Kirche) der Bruderschaft gemalt wurden. Dieses Instrument wurde später in die Steccata gebracht und war mindestens 15 Jahre lang, d.h. bis zum Bau der neuen Orgel im Jahre 1543, in der Kirche in Betrieb. Die Urheberschaft der Malereien kann nur vermutet werden, da es weder unmittelbare Dokumente noch Zahlungsanweisungen gibt, welche die zwei Figuren Die heilige Cäcilie spielt die Kniegeige und David spielt die Viella mit Sicherheit dem Maler zuschreiben. Vorhanden sind lediglich mittelbare Zeugnisse und v.a. der Vergleich mit einigen als autographisch erachteten Zeichnungen Parmigianinos, die heute im Louvre und in Budapest aufbewahrt werden und die mit den Studien der heiligen Cecilia in Bezug zu setzen sind. Der aufmerksame Betrachter stellt jedoch viele direkte Verknüpfungen mit der Malart Parmigianinos fest: die steinige Figur des Königs David kommt den frühen Gemälden vom heiligen Johannes dem Evangelisten sehr nahe. Die untere hervorlugende Putte ist hingegen stilistisch mit den gemalten Figuren in Fontanellato zu vergleichen. Aus stilistischer Sicht und aufgrund der Schriftstücke, aus denen die damalige Präsenz der alten Oratoriumsorgel hervorgeht, muß man annehmen, daß die Türen um 1522 herum bemalt wurden. Jedenfalls sticht die Verdrehung der Figuren ins Auge, mit der versucht wird, ihrer physisch eher kompakten Struktur eine Bewegung zu verleihen. 1543 entschloß sich die Bruderschaft der Steccata, die Kirchenorgel zu erweitern. Domenico Dalla Muso und Carlo Sabbadini aus Reggio Emilia wurden mit dem Bau beauftragt. Die Anpassung des Türumfangs war bei der Erweiterung vermutlich nicht erforderlich. Erst als 1572 der große Orgelbauer Benedetto Antegnati aus Brescia eine neue Monumentalorgel baute, kam man um die Anpassung der Türen nicht mehr umhin. Man ließ sich jedoch Zeit und erst 1580 wurde dem flämischen Maler Jan Soens die Erweiterung der Türen durch die Anbringung neuer Leinwandleisten übertragen, die mit spiralförmigen Säulen und mit Obst und Gemüse spielenden Putten verziert waren. Soens schuf überdies zwei große äußere Türen mit der „Flucht in Ägypten” rechts und der „Madonna mit Kind, zwei Engeln und dem heiligen Josef, der Wasser schöpft”, die heute im Eingang der nordöstlichen Kapelle aufgehängt sind. Die Türen von Parmigianino und Soens wurden anläßlich der erneuten Orgelerweiterung 1761 entfernt und dann erst im Chorgestühl und nach der Restaurierung im Jahre 1908 dort aufgehängt, wo sie sich heute noch befinden. Fresken des großen Bogens an der Ostseite Die Verzierung des großen Bogens an der Ostseite der Steccata-Kirche wird mit den dramatischen Ereignissen der letzten Lebensjahre des Malers in Verbindung gebracht. Im Mai 1531 unterzeichnete die Kirchenfabrik der Steccata mit Parmigianino einen Vertrag über die Freskenmalerei des östlichen Unterbogens zum Thema Die Weisen und die Törichten Jungfrauen und der Halbkuppel der östlichen Apsis mit der Krönung der Jungfrau Maria über eine Summe von 400 Goldskudi. Parmigianino verpflichtete sich, das Werk innerhalb von 18 Monaten zu Ende zu führen. Im Oktober 1531 und im November 1532 erhielt er mindestens zwei Raten des Lohns zu je 100 Skudi. Für die Zeit bis 1534 fehlen weitere Belege. Die zweite Rate wurde demnach nach Ablauf der 18 Monate bezahlt. Sicher ist, daß der Unterbogen und die apsidiale Halbkuppel zu dieser Zeit alles andere als vollendet waren, denn Parmigianino berichtet in Briefen aus dem Jahr 1534 von der Lieferung des zur Vervollständigung der Verzierung notwendigen Blattgolds. Die Vollendung der Werke zog sich so weit hinaus, daß der Kirchenfabrik der Steccata 1535 der Geduldsfaden riß und sie den, dem Maler bereits entrichteten Vorschuß zurückverlangte. Die Vermittlung durch gemeinsame Freunde führte zu einer Beilegung des Streits und zur Erneuerung des Auftrags zur Fertigstellung innerhalb von zwei Jahren, sofern die Anzahlung nicht rückerstattet werden sollte. Anhand dieses neuen Vertrags läßt sich leicht feststellen, daß Parmigianino in der Tat innerhalb von etwas weniger als viereinhalb Jahren noch nicht groß Hand angelegt hatte. Auch nachfolgende offizielle Verwarnungen seitens der Kirchenfabrik zeigen, daß Parmigianino die Arbeit nicht abgeschlossen hatte. Die Angelegenheit zog sich durch notarielle Urkunden zur Erstattung des Geldes und Anträge auf Verlängerung von der Gegenseite noch weitere zwei Jahre hin. 1538 wurden bei der Arbeit beachtliche Fortschritte erzielt, einen Abschluß gab es jedoch nicht (die Apsis war noch nicht bemalt), so daß die Bruderschaft der Steccata-Kirche 1539 angesichts der schwerwiegenden Vertragsverletzung zu dem Punkt gelangte, Parmigianino einsperren zu lassen. Kurz darauf wurde der Maler wieder nach Fürsprache seiner Freunde freigelassen. Einige weniger bedeutende Teile der soweit vollendeten Fresken wurden zum Schaden der Kirchenfabrik entfernt. Die Bruderschaft drohte ihm, sich in Parma bloß nicht mehr blicken zu lassen und so floh er nach Casalmaggiore, wo er versuchte seine guten Verbindungen zu Freunden spielen zu lassen, um durch sie den Auftrag zur Vollendung der Freskenmalerei der Apsis zu erhalten, die dann jedoch von Michelangelo Anselmi nach Entwürfen von Giulio Romano angefertigt wurde. Parmigianino starb im darauffolgenden Jahr in Casalmaggiore. In der Frage, wer in dieser Angelegenheit im Recht sei, wurde lange Zeit einmal für die Bruderschaft und einmal für Parmigianino Partei ergriffen. Auch anhand von Schriftstücken ist es nicht möglich, eindeutig für den einen oder anderen zu entscheiden. Vasari rügte, daß Parmigianino während der Arbeiten in der Steccata durch das Studium der Alchimie dem Wahnsinn anheimgegeben worden sei und zu einem Wilden mit langem Bart in kläglichem Zustand verkommen sei. Er bezichtigte ihn des Schlendrians, der bei der Arbeit absolute Sorglosigkeit an den Tag legte. Allerdings läßt eine Notariatsurkunde aus dem Jahre 1544 auf anderes schließen. Die Erben des Malers rügten, daß es verschuldet durch die Kirchenfabrik während der Jahre der Arbeiten große Verzögerungen bei der Lieferung von Rohmaterialien und Baugerüsten gegeben hätte. Zwischen 1531 und 1535 arbeitete Parmigianino verbissen an der Ausarbeitung der Freskenstruktur (hinterlassen wurden verschiedene autographische Skizzen, die in mehreren europäischen Museen verstreut sind) und zwischen 1535 und 1539 an der Freskenmalerei. Der große Bogen funkelt noch heute im Licht und glänzt durch die Herrlichkeit der Abbildungen der Jungfrauen. Am Fuße des Unterbogens sind die beiden Gruppen der drei Jungfrauen abgebildet. Im Norden stehen die törichten und im Süden die klugen in weichen und großartigen Posen. Die seitlichen im Profil dargestellten Jungfrauen tragen jede eine Vase auf dem Kopf und schicken sich an, die Lampen aus den Händen der mittleren frontal zum Betrachter dargestellten Jungfrau zu nehmen. Die zwei seitlichen Jungfrauen sind wahrscheinlich der Wasserträgerin des Brand des Borgo von Raffael in den vatikanischen Stanzen nachempfunden. Entlang des restlichen Unterbogens verlaufen, fortgeführt auch durch die Abbildungen der Jungfrauen, sieben Paare Kassetten mit vorspringenden Goldrosetten, die von einem dichten Spiel pflanzlicher und tierischer offenkundig symbolischer Elemente eingefaßt sind (die reiche und komplexe Symbologie ist auch heute noch nicht entziffert) und in der Mitte das Wappen des Chorherren der Kathedrale von Parma Bartolomeo Montini tragen, der das finanzielle Erbe für die Verzierung des großen Bogens hinterlassen hatte. Die Sockel des großen Bogens sind mit Büchern, Gefäßen und Kultobjekten bemalt, deren Symbolhaftigkeit für die Kircheninstrumente nicht zu leugnen ist. Am äußeren Rand der mit geometrischen Motiven verzierten Wände des großen Bogens malte Parmigianino die einfarbigen Bilder von Eva und Aaron (rechts) und Adam und Moses (links), die sich im Gegensatz zu den ruhigen und fließenden Bewegungen der Jungfrauen unruhig zu bewegen scheinen und die Muskeln zur Schau stellend gespannt dramatische Posen einnehmen. Im Laufe der fünf Jahrhunderte ließen sich die Besucher der Kirche durch diese Bewegungen, insbesondere derer von Moses, der gleich die Tafeln zerbrechen wird, immer wieder zu Lobpreisungen hinreißen. Das Thema der klugen und törichten Jungfrauen, welches von den Kongregationisten für den großen Bogen an der Ostseite der Kirche gewählt worden war, ist nicht nur mit der allgemeinen ikonographischen mariologischen Kirchenanlage, sondern auch mit der traditionellen Zeremonie der Mitgift in Zusammenhang zu bringen, welche jungfräuliche und mittellose Mädchen der Stadt in der Steccata für ihre Einkleidungsfeier oder Hochzeit zugewiesen bekamen. Nicht gerade zufällig waren die törichten Jungfrauen an der Südseite, wo sich im 16. Jahrhundert der heute zugemauerte Kircheneingang befand und die klugen Jungfrauen an der Altarseite, wo sich das Läuterungsritual vollzog, angebracht. Dieser Aspekt wird von den Kunstgeschichtlern oft aufgrund deren Unkenntnis der besonderen Liturgie der Steccata ignoriert. Oftmals phantasievolle und komplexe Lesarten sind so entstanden: unter den zahlreichen und nicht immer überzeugenden ikonographischen Interpretationen dieses Unterbogens finden wir auch die von Maurizio Fagiolo Dell’Arco, dem Verfasser einer berühmten Studie über den Alchimisten Parmigianino. Er begründete die Anwesenheit der Abbilder Adams und Evas rational als Vorfahren von Maria (wir fügen hinzu: Maria ist die Mutter dessen, der die Erbsünde auf sich nahm) und die von Moses und Aaron als Präfiguration ihrer Jungfräulichkeit. In diesen hageren und schlanken Figuren kommt mehr denn je und genau wie in jenen der weichen und metallisch schimmernden Jungfrauen noch einmal das wichtigste Ideal von Parmigianino zum Ausdruck: das Ideal des Mißtrauens und der Entfremdung der Werte der Welt sowie die Überzeugung, daß der wahre Sinn der Dinge sich allenfalls im tiefgreifenden Studium der Materie und somit dem einzigen gemeinsamen Nenner der Realität und der einzigen gemeinsamen Antwort auf die Natur und die Bedeutung der Welt offenbart. Bibliographie Pierluigi Martini, „La chiesa militante, Santa Maria della Steccata”, in „L’Ordine Costantiniano di San Giorgio. Storia, stemmi, cavalieri”. Von Michele Basile Crespo, Parma 2002. Bruno Adorni, „Santa Maria della Steccata”, Parma 1982. EST=OST NORD=NORD SUD=SÜD OVEST=WEST 1) Chor der Ritter 2) Apsis 3) Presbyterium (Fresken von Parmigianino) 4) Kuppel 5) Westflügel 6) Nordflügel 7) Südflügel 8) Orgeltür mit der heiligen Cäcilie 9) Orgeltür mit David