DER GLÜCKSELIGE GOTT Ralf Küßner Ralf Küßner Der glückselige Gott Selbstverlag www.doxa-theou.de INHALT Einleitung ..................................................................................... 7 Die Herrlichkeit Gottes ................................................................ 9 Die Schöpfung als Spiegelbild der Herrlichkeit Gottes ................ 12 Gottes Herrlichkeit in der Gegenwart von Menschen des alten Bundes ......................................................................................... 15 Abraham – der Vater der Menge ............................................ 16 Mose – der Herauszieher ....................................................... 16 David – der Geliebte und der Verbinder ................................. 23 Gottes Herrlichkeit offenbart sich Israel und anderen Völkern ................................................................................... 24 Die Propheten......................................................................... 26 Offenbarung der Herrlichkeit Gottes im Sohn Jesus Christus ..... 28 Die Erniedrigung des Gottessohnes....................................... 29 Der Erweis der Herrlichkeit von Jesus Christus ..................... 31 Die Erhöhung und Verherrlichung durch den Vater ............... 36 Die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen ................. 37 Die Herausrufung ........................................................................ 37 Christus – die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen ...... 39 Teilhaber der göttlichen Natur in Christus .............................. 39 Die Umgestaltung in das Bild Gottes...................................... 42 Christus verherrlicht sich in seiner Herausgerufenen.................. 48 Die Herrlichkeitserwartung Israels .......................................... 50 Israels Stellung und seine Verheißungen.................................... 51 Die Umkehr Israels zu Gott ......................................................... 61 Israel: Das erneuerte Volk als Licht der Völker ........................... 63 Die Herrlichkeitserwartung der Nationen................................ 65 Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen ............................................ 66 Die Herrlichkeitserwartung der Nationen ..................................... 68 Der glückselige Gott .................................................................. 72 Die Rechtfertigung des Lebens für alle Menschen in Christus ... 75 Die Ordnungen Gottes in der Erlösung und in der Vollendung ... 77 Abkürzungsverzeichnis ............................................................ 81 Literaturangaben ....................................................................... 82 Anhang: Begriffserläuterungen ............................................... 83 1. JHWH....................................................................................... 83 2. Äon und Äonisch...................................................................... 84 EINLEITUNG Der Apostel Paulus spricht in seinem ersten Brief an Timotheus von dem Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes, das ihm anvertraut wurde (1. Tim. 1, 11)1: „Cnach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut worden ist.“ Was beinhaltet diese gute und froh machende Botschaft? Zunächst einmal spricht dieses Evangelium davon, dass wir einen herrlichen Gott haben! Gott ist herrlich. Sein Wesen ist von Schönheit, Macht und besonderer Ehre geprägt. Das ist eine gewaltige Aussage! Dieses Evangelium lenkt meinen ich-zentrierten Blick auf Gott und seine Herrlichkeit. Ich werde mit einer Sichtweise beschenkt, die mich vor einer überzogenen Bewertung meiner Person, meiner Bedürfnisse oder Wünsche bewahrt. Ich lerne neu, über meinen herrlichen Gott zu staunen. Es tut uns not und gut, von diesem herrlichen Gott zu reden und zu hören. Zum Anderen hat diese froh machende Botschaft von der Herrlichkeit Gottes eine unmittelbare Relevanz für alle, die wir unser Leben in Gottes Hand gelegt haben. Denn Herrlichkeit ist ein wertvoller Teil unserer Zukunftserwartung. Gott möchte sich in uns verherrlichen – eine wunderbare Heilstatsache, für die wir Gott nur loben und danken können. Gott hat aber nicht nur uns im Blick, die wir durch Glauben bereits gerettet sind. Er sieht seine gesamte gefallene 1 Zitierte Bibelstellen - soweit nicht anders angegeben - nach: Die Heilige Schrift (2005). CSV. 7 Schöpfung. Sie ist sein Werk und so ist seine Retterliebe nicht nur auf uns Christusgläubige gerichtet, sondern auch auf die Menschen Israels sowie die nicht an Christus glaubenden Menschen aus den Nationen und auf die Kreatur insgesamt. So möchten wir uns in einem ersten Teil dieser Ausarbeitung mit der Herrlichkeit Gottes befassen. Die Herrlichkeit Gottes wird erkennbar an seiner Schöpfung, in der Gegenwart von Menschen des alten Bundes und in herausgehobener, einzigartiger Weise in Jesus Christus, seinem Sohn. Im Anschluss daran gehen wir darauf ein, worin die Herrlichkeitserwartung der aus der Finsternis zum Licht herausgerufenen Menschen besteht. Darauf betrachten wir das Volk Israel sowie die nicht an Christus glaubenden Menschen aus den Nationen und die Zukunftserwartung der Kreatur. Der abschließende Teil beschäftigt sich mit Gott, der alles nach dem Ratschluss seines Willens wirkt. Seinem Willen entsprechend kam es durch das Opfer seines Sohnes zur Gerechtsprechung aller. Schöpfungsseitig wird die Gerechtsprechung aller durch Gericht und Gnade ergänzt – sie führen die Geschöpfe zur Umkehr und zur Gotteserkenntnis. Schließlich macht Gott Alle in Christus lebendig und fasst Alle in Christus zusammen. So wird Gottes Willen und Heilsziel gemäß die gesamte Schöpfung zur Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit werden. Dafür werden ihn alle Geschöpfe im Geist und in der Wahrheit anbeten. Angesichts dieser Herrlichkeitserwartung freut sich Gott aller seiner Werke und ist glückselig, wenn seine Gnade und sein Erbarmen Allen zugute gekommen sind. 8 DIE HERRLICHKEIT GOTTES Herrlichkeit im biblischen Sinne ist ein mehrdimensionaler Begriff. „Herrlichkeit“ ist eine Wiedergabe des im griechischen Neuen Testament und in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) gebrauchten Begriffs „doxa“ (griechisch: δόξα). Das mehrdimensionale Ausmaß der Herrlichkeit Gottes wird deutlich, indem wir die von dem Begriff „doxa“ umfassten Inhalte betrachten: 1. Herrlichkeit ist ein Ausdruck für besondere Ehre Der enge Zusammenhang zwischen Herrlichkeit und Ehre wird an verschiedenen Lobpreisstellen des Neuen Testaments deutlich; beispielhaft sei hierzu der Lobpreis Gottes aus dem 1. Timotheusbrief (1, 17) aufgeführt2: „Dem König der Zeitalter aber, dem unverweslichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit! Amen.“ In der Übersetzung des Kurzkommentars zum Neuen Testaments (EINERT) lautet dieser Vers folgendermaßen: „Dem Regenten der Äonen aber, dem unverderblichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, ist Ehre und Herrlichkeit hinein in die Äonen der Äonen.“ Die häufige Verwendung von Herrlichkeit und Ehre als Wortpaar (1. Tim. 1, 17; 2. Petr. 1, 17; Off. 4, 9+11 u.a.) verdeutlicht, dass Herrlichkeit ein Ausdruck besonderer Ehre ist. Entsprechend bezeugt uns der Hebräerbrief, dass der Vater seinen Sohn Jesus Christus aufgrund seines Gehorsams und seines Erniedrigungswegs mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt hat (Heb. 2, 7+9). Hier dient die Verleihung von Herrlichkeit und Ehre auch als Ausdruck der Anerkennung und der Übertragung von Rechten auf den Gekrönten. Schließlich fordert Paulus die Christen in Rom auf, einander „zu Gottes Herrlichkeit“ aufzunehmen (Rö. 15, 2 Zum Begriff „Ewigkeit“ bzw. „ewig“ siehe Anhang. 9 7). Es ehrt Gott und mehrt seine Herrlichkeit, wenn seine Kinder so aneinander handeln, wie Christus an ihnen gehandelt hat. 2. Herrlichkeit ist erkennbare Schönheit und Pracht Schönheit, Glanz oder Pracht sind äußerlich erkennbare Herrlichkeitserscheinungen (Hes. 10, 4). In diesen Fällen ist Herrlichkeit an einen irdischen oder geistleiblichen Körper gebunden. Besonders deutlich wird dies an der Zusage Gottes, dass unsere Körper der Niedrigkeit einmal umgestaltet werden zur „Gleichgestalt mit seinem Leib der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 21). Der auferstandene Kyrios, Jesus Christus, hat einen Körper von besonderer Schönheit - einen Herrlichkeitsleib. Auch seine Augen und damit sein Angesicht - sind Ausdruck seiner Herrlichkeit. So berichtet uns Judas (24), dass Gott uns durch unseren Retter Jesus Christus einmal tadellos vor die „Augen seiner Herrlichkeit“ hinstellt3. An dieser Stelle ist es jedoch auch wichtig zu sehen, dass eine Wesensherrlichkeit durch einen äußerlich unattraktiven, gar abstoßenden Körper verborgen sein kann. Denken wir hierbei an die Beschreibung der Knechtsgestalt des kommenden Messias aus dem Propheten Jesaja (Jes. 52, 14). 3. Herrlichkeit ist Autorität und Vollmacht Wie uns der Apostel Johannes berichtet (Jo. 2, 11), offenbarte Jesus Christus seine Herrlichkeit zu Beginn seines Wirkens, indem er in der Autorität und Vollmacht Gottes Zeichen wirkte. Seine Herrlichkeitsautorität stellte Jesus Christus wohl am eindrucksvollsten bei der Auferweckung des verstorbenen Lazarus unter Beweis (Jo. 3 So nach eigener Übersetzung; der in der revElb mit "vor seiner Herrlichkeit" wiedergegebene griechische Text kann wortnäher mit "vor die Augen seiner Herrlichkeit" (κατενώπιον τῆς δόξης αὐτοῦ) übersetzt werden, da der Terminus „katenoopion“ nach SCHIRLITZ "vor Jemandes Augen" bedeutet. 10 11, 40): „Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Jesus handelt hier mit derselben Herrlichkeitsautorität, mit der der Vater den Sohn später auferweckte (Rö. 6, 4). Schließlich spricht der Kolosserbrief von der „Macht seiner Herrlichkeit“ (1, 11). Herrlichkeit kann - wie bei Gott - aus sich heraus vorhanden sein oder als Zeichen der Ehre verliehen werden. 4. Herrlichkeit ist eine Wesenseigenschaft Zutiefst ist Herrlichkeit eine Wesenseigenschaft, also ein innerer Wertzustand und eine untrennbar mit einer Person verbundene Charaktereigenschaft. Als Mose den Wunsch äußerte, Gottes Herrlichkeit zu sehen, antwortete Gott (2. Mo. 33, 19): „CIch werde all meine Güte an deinem Angesicht vorübergehen lassen und den Namen Jahwe vor dir ausrufen: Ich werde gnädig sein, wem ich gnädig bin, und mich erbarmen, über wen ich mich erbarme." Gott geht auf den Wunsch Moses ein, Gottes Herrlichkeit zu sehen, indem er seine Güte an seinem Angesicht vorübergehen lässt und den Namen JHWH vor ihm ausruft. Und schließlich weist er ihn auf seine göttliche Souveränität hin: Gott ist frei in seiner Wahl, wem gegenüber er gnädig und barmherzig ist. Gnade und Barmherzigkeit sowie Souveränität - so verdeutlicht es uns diese Begebenheit - gehören als Wesenseigenschaften somit auch zur Herrlichkeit Gottes. Im Johannesevangelium wird in Hinblick auf Jesus Christus bezeugt (Jo. 1, 14): „Cund wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ 11 Gnade und Wahrheit, die der Liebe Gottes entspringen, sind der Kern und die Quelle der Herrlichkeit Gottes, wie sie sich im Sohn zeigt. Jesus Christus selbst war angefüllt mit Gnade und Wahrheit – sie bildeten sein Wesen und kamen in seiner sichtbaren Herrlichkeit voll zum Ausdruck. Herrlichkeit ist demnach eine auf Güte, Barmherzigkeit, Gnade und Wahrheit beruhende Wesenseigenschaft, die sich einerseits in Souveränität, Autorität und Vollmacht und andererseits in einer äußerlichen Schönheit darstellt. Sie umfasst somit die gesamte Persönlichkeit. In schöner Weise drückt dies der Psalmist (104, 1+2) aus, wenn er Gott in seiner Majestät und Pracht sowie mit einer Lichthülle umkleidet sieht: „Preise den HERRN, meine Seele! HERR, mein Gott, du bist sehr groß, mit Majestät und Pracht bist du bekleidet. <Du,> der in Licht sich hüllt wie in ein Gewand8“ Die Schöpfung als Spiegelbild der Herrlichkeit Gottes Gottes Herrlichkeit offenbart sich bereits in den ersten Versen unserer Bibel. Der Schöpfergott ruft durch sein machtvolles Wort4 die Dinge in das sichtbare Dasein. In diesem Rufen Gottes liegt und zeigt sich sein Vermögen, alles sichtbar zu machen, zu ordnen und zu gestalten. Dieses schöpferische Vermögen ist Teil der Herrlichkeit Gottes. Herrlichkeit beinhaltet demnach auch das Vermögen, aus der Autorität heraus etwas zu schaffen - oder gar den Tod zu besiegen (Jo. 11, 40; Rö. 6, 4). Die Schöpfung ist somit ein Ergebnis der schöpferischen Herrlichkeit Gottes. Die Schöpfung fand die Zustimmung Gottes in dem Ausspruch: „Cund siehe es war sehr gutC“ (1. Mo. 1, 31). Der Schöpfergott schafft etwas, was in seinen 4 Sein Wort (gr.: logos) ist Christus, durch den der Vater redet und durch den alles gemacht wurde (Jo. 1). 12 Augen das Prädikat „sehr gut“ verdient. Es ist die Schöpfung vor dem so genannten Sündenfall, die Schöpfung im Zustand der absoluten Gotteszustimmung und Gottesbestimmung. Allerdings wurde allein der Mensch als Bild Gottes (1. Mo. 1, 26) und damit als ein Spiegelbild der Herrlichkeit Gottes erschaffen. Dies betrifft zum Einen seine Körperlichkeit – hatte Adam doch zunächst einen Körper, der nicht der Sünde und damit auch keinem Alterungsprozess unterlag. Die Nachkommen Adams und Evas profitierten insofern von dem herrlichen körperlichen Zustand ihrer Stammeltern, als dass deren Lebenszeit in den ersten Generationen nach Adam sehr lang war. Zum Anderen erkennen wir die Herrlichkeit des Menschen in seiner Berufung. Adam wurde beauftragt, den Tieren Namen zu geben. Das ist eine herausgehobene Herrlichkeitsstellung. Denn mit dem Recht, Namen zu verleihen, war nicht nur eine Vorrangstellung des Menschen vor den Tieren verbunden. Es lag darin auch die Vollmacht, den Tieren mit der Namensgebung eine Berufung und Bestimmung zu geben. Selbst heute staunen wir immer wieder über die Schönheit der Natur und des Menschen – auch wenn es eine gefallene, der Sünde und der Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung ist. Wir bewundern die in die Schöpfung hinein gelegten hochkomplexen Prozesse – denken wir etwa an das menschliche Immunsystem, das Krankheitserreger erkennt und bekämpft. Wir stehen bewundernd vor einem gewaltigen Bergmassiv, freuen uns an einem munter daher strömenden Bach und sind von der scheinbaren Endlosigkeit des Meeres überwältigt. Wenn wir heute noch die Herrlichkeit der Schöpfung bewundern können, lässt uns dies ahnen, wie großartig die nicht gefallene Schöpfung die Herrlichkeit Gottes widerspiegelte. Die Menschen des alten Bundes sahen den menschlichen Körper und die Schönheit der Schöpfung nicht nur als ein 13 Spiegelbild der Herrlichkeit Gottes. Sie verbanden die Schönheit der Schöpfung auch mit ihrem eigenen Ergehen. Etwas von der Herrlichkeit Gottes, wie sie in der Schöpfung zu sehen ist, würde auch denjenigen zu Gute kommen, die Gott lieben. Das Buch der Richter (5, 31) spricht davon: „Aber die, die ihn lieben, <sollen sein,> wie die Sonne aufgeht in ihrer Kraft!“ Die Übersetzung der Bibel von MENGE verwendet an dieser Stelle den Indikativ, also die Wirklichkeitsform, um die Realität dieser Herrlichkeitswirkung auf die Gott-Liebenden herauszustellen: „Doch die ihn lieben, sind wie der Sonne Aufgang in ihrer Kraft (oder: Pracht).“ Die Herrlichkeit Gottes, die sich in der Schöpfung insbesondere im Licht, in der Kraft und in der Sonne darstellt, wird den Gott-Liebenden zuteil werden. Debora und Barak, die diesen eben angeführten Ausspruch an das Ende ihres Liedes gestellt haben, wussten um die Schönheit und den Glanz der Sonne und um ihre Leben spendende Kraft. Sie sahen aber nicht nur die Herrlichkeit der Sonne. Sie hatten auch die Erwartung, dass diejenigen, die Gott lieben, auferstehen werden in Herrlichkeit – so wie die Sonne in ihrer Kraft aufgeht und sinnbildlich aus dem Todesdunkel ins Lebenslicht übergeht. Die Feinde Gottes kommen dagegen um. Die aber, die ihn lieben, sind wie die aufgehende Sonne in ihrer Kraft und Pracht. Aus der Gegenüberstellung des zu Tode Kommens der Gottesfeinde einerseits und der aufgehenden Sonne andererseits wird deutlich, dass hier eine große Auferstehungserwartung lebt. Auch David greift die Auferstehungs- und damit Herrlichkeitserwartung in seinen letzten Worten auf (2. Sam. 23, 3+4): „Es hat gesprochen der Gott Israels, der Fels Israels hat zu mir geredet: Wer gerecht herrscht über die Menschen, wer in der Furcht Gottes herrscht, <der ist> wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufstrahlt, eines Morgens ohne Wolken; von ihrem Glanz nach dem Regen <sprosst> das Grün aus der Erde.“ 14 David gibt einen Zuspruch wider, der ihm vom Felsen Israels geschenkt wurde. Wer anders als Christus selbst hat ihm diesen Zuspruch gegeben? Ist doch Christus der Fels Israels, der mit durch die Wüste zog (1. Kor. 10, 4). In diesem tröstenden Zuspruch setzt Christus den gottesfürchtigen Menschen mit dem Licht des Morgens gleich. Nach der Nacht, einem Bild auf den Tod, ist der Mensch, der in der Furcht Gottes lebt, wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufstrahlt. Dabei verdunkelt keine Wolke das morgendliche Licht - alles ist licht und klar. Wie wunderbar, dass unser Gott bereits den Menschen des alten Bundes die Erwartung eines Lebens in Herrlichkeit zugesprochen hat. Wie wunderbar, dass Gottes Kraft als auch sein unsichtbares Wesen von der Erschaffung der Welt an in dem Gemachten erkannt werden können (Rö. 1, 20). Die Schöpfung legt Zeugnis von der Herrlichkeit Gottes ab. Gottes Herrlichkeit in der Gegenwart von Menschen des alten Bundes Gottes Wesen ist reines Licht (1. Jo. 1, 5). Aus diesem Grund kann Gott keine Gemeinschaft mit der Finsternis haben. So ist es für Gott unmöglich, geistlich Gemeinschaft mit einem von der Finsternis beherrschten Sünder zu haben. – Den Menschen, die ihm vertrauen, offenbart Gott seine Herrlichkeit allerdings in einer direkten Weise, die über seine Herrlichkeitsoffenbarung in dem Gemachten hinausgeht. Schauen wir uns einige Personen des alten Bundes an, denen Gott seine Herrlichkeit offenbarte. 15 Abraham – der Vater der Menge Eine der ersten Personen, mit dem Gott intensiv Gemeinschaft hatte und dem er seine Herrlichkeit zeigte, war Abraham, der Vater der Menge5. Abraham glaubte Gott (Rö. 4, 3) und Gott rechnete es ihm als Gerechtigkeit an (1. Mo. 15, 6). Gott begegnet diesem Glaubensmann als der Allmächtige, als El-Schaddai6 (1. Mo. 17, 1). Gott offenbart sich Abraham als derjenige, dem nichts unmöglich ist. Allmacht im Sinne eines umfassenden Vermögens, einen Gedanken oder Vorsatz entgegen aller Widerstände in die Realität umzusetzen, ist ein wichtiger Aspekt der Herrlichkeit Gottes (vgl. Jo. 2, 11). Gott vermag Abraham zum Vater einer Menge von Nationen zu machen (1. Mo. 17, 4) und ihm das Land seiner Fremdlingschaft zum Besitz zu geben (1. Mo. 17, 8). Diesem allmächtigen Gott vertraute Abraham – er hielt es sogar mit Bestimmtheit für möglich, dass Gott Isaak aus dem Tod erwecken könne. Abraham war sich nicht unsicher: Er hatte eine feste Erwartung – er rechnete7 mit der Herrlichkeitsautorität Gottes, Tote zu erwecken (Heb. 11, 19)! Gott hatte sich ihm gegenüber als der Allmächtige offenbart und dies hatte Abrahams Glauben geprägt. Mose – der Herauszieher In besonderer Weise durfte auch Mose die Herrlichkeit Gottes erleben: Bei seiner Berufung zum Führer Israels, in der Machterweisung Gottes beim Auszug aus Ägypten wie auch in der Gottesbegegnung auf dem Berg Sinai. 5 Namensbedeutung aus: SCHUMACHER (1995). El-Schaddai bedeutet wörtlich: Gott, welcher vermag. 7 In Heb. 11, 19 verwendet der griechische Text das Verb „λογίζοµαι“ (logizomai), das mit „damit rechnen“ widergegeben werden kann. Das „Rechnen“ weist auf ein Ergebnis hin, das aus einem logischen Denkprozess resultiert. 6 16 Mose hatte zunächst aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft versucht, sich auf die Seite des versklavten Volkes Israel zu stellen und dabei einen Ägypter getötet (2. Mo. 2, 11-15). Daraufhin musste er fliehen, weil der Pharao ihm nach dem Leben trachtete. Nach diesem Misserfolg diente Mose seinem Schwiegervater als Hirte. Eine lange Zeit verstrich, in der Mose in einem ihm fremden Land lebte. Sein Leben erfuhr jedoch schlagartig eine Wende, als ihm eines Tages der Gott seiner Väter erschien (2. Mo. 3). Gott gab sich Mose als JHWH8 zu erkennen, das heißt als der Seiende und als der Gericht ausübende9. JHWH beauftragte Mose, das Volk Israel aus Ägypten zu führen. Dieser reagierte jedoch skeptisch und gab zu bedenken, dass ihm das Volk nicht glauben werde (2. Mo. 4, 1). In seiner Güte – und um der Schwachheit der Menschen willen, die nur auf der Grundlage sichtbarer Zeichen vertrauen können – gab Gott seine Macht und damit seine Herrlichkeit durch drei verschiedene Zeichen zu erkennen (Stab, Hand, Wasser des Nils). Dies war der Anfang vieler folgender Ereignisse, in denen sich Gott machtvoll und damit herrlich gegenüber Mose, dem Volk Israel und auch gegenüber den Ägyptern erwies. Israel erlebte die Treue und die Macht Gottes, als Gott sein Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreite. Durch die Gerichte Gottes wurde Pharao dazu bewegt, das bislang versklavte Volk Israel ziehen zu lassen. Und so zog das Volk mit den Reichtümern Ägyptens in Richtung Schilfmeer. Die Wolken- und Feuersäule wies ihnen den Weg. Doch das Herz Pharaos wandte sich erneut gegen Israel und er jagte mit 600 Streitwagen und seiner Armee hinter den Israeliten 8 „JHWH“ ist in der revidierten Elberfelder-Übersetzung in Großbuchstaben als „HERR“ wiedergegeben (siehe Anhang). 9 Da der Vater dem Sohn alle Gerichte übergeben hat (Jo. 5, 22+27), können wir in JHWH nicht nur den Vater, sondern – je nach Zusammenhang – auch den Sohn Jesus Christus sehen (siehe Anhang). 17 her. Als diese das ägyptische Heer nahen sahen, erhoben sie ein Geschrei zum HERRN (2. Mo. 14, 11) und wandten sich gegen Mose (V. 12): „Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten heraus geführt hast?“ Doch Mose antwortete ihnen: „Der HERR wird für euch kämpfen, ihr aber werdet stille sein.“ Und Gott sprach zu Mose: „Du aber erhebe deinen Stab und strecke deine Hand über das Meer aus und spalte es, damit die Söhne Israel auf trockenem Land mitten in das Meer hineingehen! 8 Und ich will mich verherrlichen [i.S.v. mächtig erweisen] am Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht8 Dann sollen die Ägypter erkennen, dass ich der HERR bin8“ Zur Verherrlichung Gottes gehorchten die Naturelemente dem Gebieten Moses und das israelitische Volk konnte durch das Schilfmeer aus Ägypten ausziehen. Das ägyptische Heer dagegen ging im Meer unter. Gott hatte sich stark erwiesen und sich und seinen Namen dadurch verherrlicht. In all dem Geschehen und Handeln Gottes sollte Israel Gottes Macht erfahren, stille sein und auf Gottes starke Hand vertrauen. Im Rückblick konnte der anfangs so glaubensschwache Mose bezeugen (2. Mo. 15, 6+7): „Deine Rechte, o HERR, ist herrlich in Kraft; deine Rechte, o HERR, zerschmettert den Feind. Und in der Fülle deiner Hoheit wirfst du nieder, die sich gegen dich erheben. C“ Mose hat JHWH als einen machtvollen Gott erfahren, als einen Gott, der in der Fülle seiner Hoheit unumschränkt herrscht und seine Feinde niederwirft. Seine Rechte, also seine ausführende rechte Hand, ist herrlich in Kraft. In seiner Kraft offenbarte sich die Herrlichkeit Gottes. Als Israel nach dem Auszug aus Ägypten auf dem Weg in das verheißene Land war, rief der HERR Mose zu sich auf den Berg Gottes. „Und die Herrlichkeit des HERRN ließ sich auf den Berg Sinai nieder, und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage; und am siebten Tag rief er Mose aus der Mitte 18 der Wolke <zu sich>. Das Aussehen der Herrlichkeit des HERRN aber war vor den Augen der Söhne Israel wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges. Mose jedoch ging mitten in die Wolke hineinC“ (2. Mo. 24, 16-18). Die Herrlichkeit Gottes war für das Volk Israel sichtbar. Mose durfte in die Herrlichkeitsgegenwart JHWHs eintreten. Er durfte ihm nahen. Gott unmittelbar zu begegnen, ist jedoch kein Vorrecht, das nur Mose vorbehalten blieb. Es entspricht Gottes Willen, dass Menschen Gemeinschaft mit ihm haben und Gott hat alles getan, dies zu ermöglichen. Im Moment des stellvertretenden Sterbens von Jesus, dem Christus, zerriss Gott den Vorhang des Tempels, der uns von seiner Gegenwart im Allerheiligsten trennte. Seitdem ist es für jeden Menschen möglich, sich durch das Blut des Sohnes von aller Schuld reinigen zu lassen und in die unmittelbare Gegenwart Gottes zu treten (Heb. 4, 16) – genau so wie Mose es durfte. Wie wunderbar ist es, diesem gnädigen Gott als geretteter Mensch zu begegnen. Nachdem Mose auf dem Berg Gottes JHWH begegnet war, stieg Mose zu dem Volk Israel herab. Sein Angesicht spiegelte auch jetzt noch die Herrlichkeitsgegenwart JHWHs wider. Denn Moses Eintreten in die Herrlichkeitsgegenwart JHWHs auf dem Berg Sinai hatte seinem Gesicht eine solch starke Leuchtkraft verliehen, dass er sein Gesicht verhüllte (2. Mo. 34, 29-35; 2. Kor. 3, 7). Ist dies nicht eine wunderbare, frühzeitige Darstellung der neutestamentlichen Aussage, dass wir als Kinder Gottes die Herrlichkeit Gottes widerspiegeln (Jo. 17, 22; Rö. 8, 21)? Paulus stellt dies den Gläubigen in Korinth auf folgende Weise vor Augen (2. Kor. 3, 18): „Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden <so> verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie <es> vom Herrn, dem Geist<, geschieht>.“ Bei der Begegnung auf dem Berg Sinai stand neben der Gesetzgebung auch der tiefe Wunsch Gottes im Mittelpunkt, 19 bei den Menschen zu sein. Deswegen beauftragte JHWH Mose, ein Heiligtum zu errichten, damit er in ihrer Mitte sein könne (2. Mo. 25, 8). Gott sucht uns Menschen und kommt uns entgegen – haben wir nicht einen einzigartigen Gott, der uns in Jesus Christus entgegen kommt? Gott kommt auf uns zu – daher erklärt sich auch der Name „Zelt der Begegnung“, wie er für das Heiligtum des Volkes Israel immer wieder verwendet wird (z.B. 2. Mo. 27, 21). Hier begegnet Gott den Menschen (3. Mo. 4, 7+18). Der irdische Dienst im Zelt der Begegnung war von einer ungeahnten Herrlichkeit gekennzeichnet. Alles - der Tempeldienst mit seinen Opfergeboten, die Gegenstände und die Feste Israels als symbolhafte Darstellungen – sollte auf das Wesen, die Heiligkeit und die Herrlichkeit Gottes hinweisen. So war das Heiligtum nach dem Urbild der himmlischen Wohnung Gottes errichtet und gestaltet worden (2. Mo. 25, 9). Auch der Dienst des Volkes Israel ist dem Geschehen und den Örtlichkeiten im Himmel nachempfunden. Gott ließ es sich nicht nehmen, die Vorgänge und die Gestaltung der Gegenstände des Tempels bis in die Einzelheiten hinein dem Mose vorzugeben, damit das Irdische ein Abbild und damit ein Hinweis auf das Himmlische sei (Heb. 8, 5; 9, 23). Nachdem Mose das Heiligtum genau nach dem göttlichen Bauplan errichtet hatte, bedeckte die Wolke das Zelt der Begegnung (2. Mo. 40, 34). Die Herrlichkeit JHWHs erfüllte das Zelt – wie auch später den salomonischen Tempel (2. Chr. 5, 14). Gott war in Gestalt JHWHs gegenwärtig und in Form der Wolke in seiner Herrlichkeit sichtbar. Sooft sich die Wolke erhob, setzte das Volk Israel seine Wanderung fort, und wenn sich die Wolke nicht erhob, brach das Volk nicht auf. Ist dies nicht Weg weisend für unser Glaubensleben? Geht Gott voran, folgen wir ihm. Gibt Gott uns nicht zu erkennen, dass eine Zeit des Aufbruchs und eine Zeit der 20 Glaubensschritte gekommen ist, so warten wir geduldig auf sein Reden in unser Leben hinein. Innerhalb des dreigeteilten Heiligtums befand sich das Allerheiligste. Diesen Raum durfte lediglich der Hohepriester einmal im Jahr - am Versöhnungstag - betreten. An diesem Tag besprengte er die Bundeslade mit Blut, um die Reinigung von Sünden zu erwirken (3. Mo. 16, 14-16). Auf dem Sühnedeckel der Bundeslade standen sich zwei Cherubim gegenüber. Sie überschatteten den Sühnedeckel mit ihren Flügeln und hatten ihre Gesichter auf den Sühnedeckel gerichtet. Die aus Gold getriebenen Cherubim werden im Hebräerbrief (9, 5) als „Cherubim der Herrlichkeit“ bezeichnet. Mehrmals bezeugt die Heilige Schrift, dass JHWH zwischen den Cherubim thront (2. Mo. 25, 22; 3. Mo. 16, 2; Ps. 80, 2; 99, 1) – fürwahr ein angemessener Ort für den Thron Gottes und eine Abbildung der nicht sichtbaren Wirklichkeit Gottes. Ist Gottes Thron doch ebenfalls von Engelswesen umgeben (Off. 4; 5, 11). Die Bundeslade war somit innerhalb des Heiligtums der eigentliche Ort der Gegenwart JHWHs. Der Allerheiligste war im Allerheiligsten im Bereich der Bundeslade anwesend. Die Bundeslade ist als Ort der Vergebung der Schuld zugleich eine Darstellung des Christus, der die Schuld des Kosmos trug und Sühnung erwirkte (Heb. 1, 3; 9, 11-15). Dieses Hinweisen der Bundeslade - genauer des Sühnedeckels auf Christus hin, geht eindeutig aus Rö. 3, 25 hervor: „Ihn [Christus] hat Gott hingestellt als einen Sühneort durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden.“ Die Bibel sagt uns hier, dass Gott seinen Sohn Jesus Christus als ein Sühneopfer öffentlich und damit erkennbar auf- 21 gestellt hat. - Das an dieser Stelle mit „Sühneort“10 wiedergegebene griechische Wort „ἱλαστήριον“ ist mit dem in Heb. 9, 5 für den Deckel der Bundeslade („Versöhnungsdeckel“ nach revElb) gebrauchten Begriff identisch. Die Bibelstellen des Römerbriefs wie des Hebräerbriefs weisen uns auf Christus als den im Alten Testament auf ihn deutenden „Sühnedeckel“ hin, der uns durch den Glauben an sein Blut rechtfertigt. Wir dürfen infolgedessen einen direkten Zusammenhang sehen zwischen JHWH, der in seiner Herrlichkeit im Allerheiligsten zwischen den Cherubim der Herrlichkeit auf dem Thron der Gnade gegenwärtig ist, und Christus, der vom Vater als Sühneopfer („Versöhnungsdeckel“) aufgestellt wurde und die Sündentilgung erwirkte. Weil Christus die Sühnung erwirkt hat, können wir zum Thron der Gnade hinzutreten, um Barmherzigkeit und Gnade zu empfangen (Heb. 4, 15+16). Ihm sei hierfür Lob und Dank! Kommen wir auf Mose zurück. Gott sprach zu Mose. Gott weihte Mose in seine Gedanken ein, ließ ihn teilhaben an dem Ratschluss seines Willens – auch in Hinsicht auf die zukünftigen Ereignisse. Wie weit der Blick Moses in die Heilsgeschichte ging, lässt uns die Schrift erahnen, wenn sie einen Ausspruch des Mose über einen kommenden Propheten in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erscheinen des Gottessohnes Jesus Christus stellt (Apg. 3, 22; 7, 37). So erleben Menschen seit jeher, wie herrlich Gott ist. Gottes Wesen und sein Handeln sind offenbar gewesen: Er hat die Schöpfung wunderbar gestaltet, sodass David auch in Bezug auf seinen Körper und sein Entstehen staunend ausruft (Ps. 193, 14): „Ich preise dich darüber, dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht bin. Wunder- 10 „Gnadenstuhl“ (unrevidierte Elberfelder 1905) 22 bar sind deine Werke, und meine Seele erkennt es sehr wohl.“ Gott hatte das Volk Israel aus der Sklaverei befreit und ihm in Gestalt der Feuer- und Wolkensäule den Weg gewiesen. In dem Zelt der Begegnung hatte das Volk Israel ein sichtbares Abbild der Herrlichkeit Gottes, ja, Gott selbst war im Allerheiligsten gegenwärtig. Die mächtigen Feinde des Gottesvolkes wurden beim Einzug in das zugesagte Land allein durch die Kraft und das Vermögen Gottes besiegt. Gottes Herrlichkeitswesen drückt sich nicht nur in der Schönheit der Schöpfung oder in der Pracht des Tempels aus. Gottes Herrlichkeitswesen verbindet sich mit seiner Gerechtigkeit auf der einen Seite: So hat er die Macht, Gericht an Völkern und Einzelpersonen zu üben. Auf der anderen Seite ist sein Herrlichkeitswesen nicht ohne seine fürsorgende Liebe denkbar. Gerade in der Lebensführung des Einzelnen erwies Gott immer wieder, wie barmherzig und gnädig er ist. David – der Geliebte und der Verbinder Der erste König Israels, Saul, hatte sich von Gott abgewandt. Gott erwählte sich an seiner Stelle den Hirten David als neuen König über Israel. Er schenkte ihm in seiner Gnade Gelingen, als David sich dem gut gerüsteten Goliat mit fünf Steinen entgegen stellte. Er bot ihm Zuflucht, als Saul ihm nach dem Leben trachtete. Er ließ ihn König werden. Fiel David in Sünde, so strafte ihn Gott. Dennoch verwarf Gott seinen Auserwählten nicht. David hatte das Herrlichkeitswesen Gottes in seiner Lebensführung in all seinen Facetten kennen gelernt. Deswegen lobt David seinen Gott und HERRN zum Lebensende mit folgenden Worten (1. Chr. 29, 10-13): 23 „Und David pries den HERRN vor den Augen der ganzen Versammlung, und David sprach: Gepriesen seist du, HERR, Gott unseres Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Dein, HERR, ist die Größe und die Stärke und die Herrlichkeit und der Glanz und die Majestät; denn alles im Himmel und auf Erden ist dein. Dein, HERR, ist das Königtum, und du bist über alles erhaben als Haupt. Und Reichtum und Ehre kommen von dir, und du bist Herrscher über alles. Und in deiner Hand sind Macht und Stärke, und in deiner Hand <liegt es>, einen jeden groß und stark zu machen. Und nun, unser Gott, wir preisen dich, und wir loben deinen herrlichen Namen.“ David lobt den herrlichen Namen Gottes. Er preist den Namen Gottes, weil der Name Gottes von seinem Wesen, also von seinem Denken, Wollen und Vollbringen, zeugt. So offenbart uns Gottes Namen beispielsweise seine Bündnistreue (wie im Namen Elohim) und seine Allmacht (wie im Namen El-Schaddai)11. Ist das nicht Grund genug, den herrlichen Namen Gottes zu loben? Gottes Herrlichkeit offenbart sich Israel und anderen Völkern Nun sollte in uns nicht der Eindruck entstehen, dass Gott nur hoch gestellten Menschen begegnete und sich nur ihnen gegenüber herrlich erwies. Sicherlich lebten Abraham, Mose oder David in einer intensiven Gottesbeziehung. Sie durchlebten allerdings auch Zeiten, in denen Gott nicht zu ihnen sprach. So ging Mose über viele Jahre hinweg seiner Arbeit als Hirte bei seinem Schwiegervater Jitro nach. Uns wird nicht berichtet, dass Gott sich ihm durch einen Traum oder eine Offenbarung zuwandte (2. Mo. 3, 1). Es war wohl eine Zeit des Schweigens Gottes. Für Mose mag dies eine Zeit ohne äußerlich bewegende Gottesbegegnungen, zugleich aber eine Zeit der inneren Zubereitung gewesen sein. 11 Der Name “Elohim” kann u.a. mit der „Bundesgott“ widergegeben werden. Zum Namen „El-Schaddai“ siehe Fußnote 6. 24 Gottes Herrlichkeit zu erleben, war kein exklusives Recht wichtiger Führungspersönlichkeiten Israels. Die Wolkenund Feuersäule, in der Gott vor Israel bei der Befreiung aus Ägypten herzog, war für alle Israeliten sichtbar (1. Mo. 13, 21). Die Herrlichkeit Gottes lag über dem Zelt der Begegnung und über dem Tempel (3. Mo. 9, 23) – auch dies war eine für alle Israeliten erkennbare Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Gott ist kein sich zurück ziehender Gott. Gott offenbart sich allen seinen Geschöpfen – den hoch Gestellten wie auch den Niedrigen. Gott will erkannt und infolge seiner Herrlichkeitsoffenbarung auch anerkannt werden. Gott begründet sein Eingreifen zur Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei ja gerade damit, dass Israel seinen Gott durch die Machterweisungen erkennen soll. So redete Gott zu Mose (2. Mo. 6, 6+7): „Ich bin der HERR; Ich werde euch herausführen unter den Lastarbeiten der Ägypter hinweg, 8, und euch erlösen mit ausgestrecktem Arm und durch große Gerichte. Und ich will euch mir zum Volk annehmen und will euer Gott sein. Und ihr sollt erkennen, dass ich euer HERR, euer Gott, bin, der euch herausführtC“ Auch den Völkern sollte Gottes Macht und damit seine Herrlichkeit deutlich werden. Gott sprach zu Mose (2. Mo. 14, 15-18): „Du aber erhebe deinen Stab und strecke deine Hand über das Meer aus und spalte es, damit die Söhne Israel auf trockenem Land mitten in das Meer hineingehen! 8 Und ich will mich verherrlichen [i.S.v. mächtig erweisen] am Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht8 Dann sollen die Ägypter erkennen, dass ich der HERR bin8“ Und so erfüllte es sich: Das ägyptische Heer ging im Meer unter. Gott hatte sich stark erwiesen und sich und seinen Namen dadurch verherrlicht. Wir sehen: Israel sollte Gottes Macht erfahren, stille sein und auf Gottes starke Hand vertrauen. Dieses Handeln Got- 25 tes war darüber hinaus zugleich ein Machterweis gegenüber Ägypten. Sie sollten erkennen, dass Gott ist. Auch andere Völker hörten von dem mächtigen, das heißt herrlichen Gott Israels. So berichtet Rahab den israelitischen Kundschaftern, dass alle Bewohner Jerichos und des Landes mutlos geworden sind, weil Gott so wunderbar an Israel gehandelt hat. Sie bekennt (Jos. 2, 11): „CAls wir es [das Handeln Gottes an Israel] hörten, da zerschmolz unser Herz, und in keinem blieb noch Mut euch gegenüber. Denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde.“ Gottes Herrlichkeit war auch anderen Völkern offenbar geworden – und löste bei Rahab Furcht und Gotteserkenntnis aus. Gott offenbarte seine Herrlichkeit in Taten und in sichtbaren Erscheinungen wie der Wolke. Von Beginn der Menschheitsgeschichte an weist uns das Wort Gottes jedoch auch auf den Einen, den Retter hin. Der Retter von Sünde und Tod hat Macht und Autorität. Auf die Retterautorität des Kommenden wird bereits kurz nach dem Ungehorsam von Adam und Eva hingewiesen (1. Mo. 3, 15): Der Retter hat die Macht, der Schlange, dem Feind Gottes, den Kopf zu zermalmen. Seit dieser Zusage, dass die Macht der Finsternis gebrochen wird, schauten Menschen immer wieder nach dem Retter und seiner Herrlichkeit aus. Insbesondere waren dies die Propheten. Die Propheten Einer der Propheten, die einen weiten Blick auf den kommenden Retter geschenkt bekamen, war Jesaja. Der Prophet Jesaja spricht zum Einen in seine Zeit hinein: Er zeichnet das kommende Gericht am Volk Israel. Ihm ist jedoch zum Anderen auch ein weiter Blick in die Zukunft seines Volkes und der Völker geschenkt worden. Er spricht von 26 dem Retter. Er sieht ihn als den, der die Sünde der Welt auf sich nimmt und dafür verachtet wird (Jes. 50, 6; 53). Jesaja sieht den Retter auch in seiner Herrlichkeit. Er sieht ihn als den, der heilen wird. Und Jesaja schaut die Verschlossenheit seines Volkes für die werbende Liebe Gottes. Es ist die Verschlossenheit und Verstocktheit12, die die Mehrheit des Volkes Israel kennzeichnet, als der Retter Jesus Christus zu seinem Volk kommt. Der Apostel Johanes erklärt diesen Unglauben des Volkes gegenüber Jesus Christus, indem er hierbei Bezug auf Jesaja nimmt (Jo. 12, 37-41): „Darum konnten sie nicht glauben, weil Jesaja wieder gesagt hat: »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, dass sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.« Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.“ Johannes sagt, dass Jesaja die Herrlichkeit des Kommenden sah und von ihm redete. Die Propheten des alten Bundes wie Jesaja schauten demnach nicht nur das Leiden des kommenden Messias. Der Geist des Christus, der in ihnen war, deutete auf die Leiden des Gesalbten und auf seine Herrlichkeit danach hin (1. Petr. 1, 11). Fassen wir zusammen: Das Alte Testament berichtet uns, wie Gott sich in unterschiedlichster Weise zu erkennen gab. Dies geschah in der Schöpfung, durch wundervolle Taten und durch seine sichtbare Gegenwart in Form der Wolkenund Feuersäule. Die Menschen wussten durch die Propheten von dem kommenden Erlöser, dem Gesalbten Gottes. Die Propheten sprachen von der Niedrigkeit, der Verwerfung und der Herrlichkeitsoffenbarung des kommenden Gesalbten. Und so kam es: Gott gab sich in unvergleichlicher Weise durch das Menschwerden seines einzig gewordenen 12 „Verstocktheit“ bedeutet, infolge einer Herzenshärte für Gottes Reden unzugänglich zu sein. 27 Sohnes Jesus Christus in seiner Herrlichkeit zu erkennen. Der „Gott der Herrlichkeit“ (Apg. 7, 2) offenbarte sich als „Vater der Herrlichkeit“, als Vater unseres Herrn Jesus Christus (Eph. 1, 17). Offenbarung der Herrlichkeit Gottes im Sohn Jesus Christus In einzigartiger Weise offenbart sich Gott in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist das Bild des unsichtbaren Gott-Vaters, der Erstgeborene aller Schöpfung (2. Kor. 4, 4+6; Kol. 1, 15). In Jesus Christus haben wir ein unverfälschtes Abbild des Vaters – an ihm sehen wir Gottes Liebe und Güte, Gottes Wahrheit und Gnade. Darum wird jeder, der die Person und das Wirken von Jesus Christus aufmerksam betrachtet, auf den hingewiesen, der den Sohn gesandt hat (Jo. 12, 45). Gottes Herrlichkeit kommt in seinem Sohn zum Ausdruck. Ja, Paulus spricht sogar von einem Evangelium „8von der Herrlichkeit des Christus, der Gottes Bild ist“ (2. Kor. 4, 4). Von der Herrlichkeit des Sohnes Jesus Christus zu sprechen, heißt demnach, eine froh machende, gute Nachricht auszubreiten. Der Sohn ist hierbei immer derjenige, der die ursprüngliche Herrlichkeit und das Wesen des Vaters in unser irdisches Leben hinein spiegelt. Er strahlt die Herrlichkeit des Vaters aus und bringt dessen Wesen zum Ausdruck (Heb. 1, 3): „C er [der Sohn], der Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und Abdruck seines Wesens ist und alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt, hat sich, nachdem er die Reinigung von den Sünden bewirkt hat, zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt; C“ 28 Die Bibel sagt uns durch dieses Wort nicht allein, dass der Sohn ein Abdruck des Vaterwesens ist. Das in der deutschen Übersetzung mit „Abdruck“ widergegebene griechische Wort „χαρακτὴρ“ (im Deutschen: Charakter!) geht nach SCHIRLITZ auf das Werkzeug zurück, mit dem geprägt und damit ein Abbild, also eine getreue Kopie des Originals, gefertigt wurde. So ist der Sohn nicht nur der Abdruck des Wesens des Gott-Vaters. Er ist zugleich auch der „Prägestock“, mit dem wir als seine Werkstücke originalgetreu geprägt und so dem Wesen des Vaters und des Sohnes gleichgestaltet werden (Rö. 8, 29; Gal. 4, 19; 1. Jo. 3, 2). Jesus Christus ist der einzige geborene Sohn Gottes, des Vaters. Da er aus Gott ist, hatte er von dem Moment seines Werdens an göttliche Herrlichkeit – die „Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Jo. 1, 14). Deswegen kann Jesus für seine Jünger zum Vater bitten (Jo. 17, 5): „Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war!“ Die Erniedrigung des Gottessohnes Diese vorweltliche, göttliche Herrlichkeit legte der Sohn freiwillig ab. Der Apostel Paulus zeichnet uns den Weg der Erniedrigung des Gottessohnes nach (Phil. 2). Uneigennützig und aus Liebe zu den Menschen machte Christus sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich wurde. Er wurde der äußeren Gestalt nach als ein Mensch angesehen, obwohl er nach wie vor göttlicher Natur war. In dieser äußeren Gestalt war für einen Gottes fernen Menschen keine Herrlichkeit zu sehen - ganz im Gegenteil. Die Menschen seiner Zeit hielten ihn gerade in seinem Leiden und Sterben für „bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt“ (Jes. 53, 4). Hätten sie die im Leiden des Knechtes verborgene Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt (1. 29 Kor. 2, 8). - Nur die Menschen, die sich dem Evangelium von der Herrlichkeit des Christus öffneten, sahen seine wirkliche Herrlichkeit. Zu den Menschen, die die Herrlichkeit des in die Niedrigkeit gekommenen Gottessohnes erkennen konnten, gehörten die Hirten, die bei Bethlehem nachts die Wache über ihre Herde hielten (Lk. 2, 8). In dem Moment, in dem ein Engel des Herrn zu ihnen trat, umleuchtete sie die Herrlichkeit des Herrn – und sie fürchteten sich. Gottes Herrlichkeit kann Furcht hervorrufen. Dies ist durchaus positiv, da die Furcht vor Gott ein erster Schritt zur Erkenntnis des Höchsten ist (Spr. 1, 7). Der Engel jedoch beruhigte die Hirten und wies sie auf den neugeborenen Retter hin. Später, nachdem sie Jesus Christus gesehen hatten, priesen und lobten sie Gott über alles, was sie gehört und gesehen hatten. Auch der alte Simeon gehörte zu den Menschen, die das Heil Gottes mit eigenen Augen sehen konnten (Lk. 2, 30). Als Jesus nach Jerusalem gebracht wurde und Simeon ihn auf seine Arme nahm, sprach er zum himmlischen Vater, dass Jesus Christus „ein Licht zur Erleuchtung der Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel“ sei (Lk. 2, 32). Den Hirten und Simeon war es geschenkt, die wirkliche Herrlichkeit des erniedrigten Gottessohnes zu erkennen. So unterschiedlich können Menschen Jesus Christus sehen – auch heute noch. Für die einen ist er der Sohn Gottes, voller Gnade und Wahrheit. Er ist derjenige, der aus der göttlichen Liebe heraus bereit und im Stande war, sein Leben zur Sühnung der Sünde dieses Kosmos´ zu lassen. Für die anderen ist er nicht mehr als ein guter, letztlich aber doch gescheiterter Mensch. Sie deuten auf sein Sterben am Kreuz und sehen darin nicht den größten Sieg der Heilsgeschichte Gottes, sondern nur das schmähliche Ende eines weit gehend Verlassenen. 30 Der Erweis der Herrlichkeit von Jesus Christus Dabei hatte alles so hoffnungsvoll angefangen. In einer Zeit, in der die Menschen Israels sich nach einer inneren und äußeren Befreiung sehnten, trat auf einmal ein junger Prediger auf. Er sprach von der Liebe Gottes. Seinen Worten verlieh er durch machtvolle Zeichen und Wunder eine hohe Bedeutung. Den Anfang seiner Zeichen vollbrachte Jesus Christus in einem kleinen Ort namens Kana, das in Galiläa lag. Jesus Christus ließ auf einer Hochzeitsfeier Wasser zu Wein werden. Der Apostel Johannes, der uns dieses berichtet, erklärt im Rückblick hierauf (Jo. 2, 11): „Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit; und seine Jünger glaubten an ihn.“ In dieser Handlung offenbarte Gottes Sohn seine Herrlichkeit - sie war sichtbar geworden. Seine Jünger glaubten an ihn. Es wird uns nicht berichtet, dass dieser Erweis seiner Herrlichkeit andere Hochzeitsgäste als die Jünger an Jesus Christus glauben ließ. Die Demonstration göttlicher Autorität - so deutlich erkennbar sie auch sein mag - ruft nicht automatisch einen Prozess hervor, der uns zur Erkenntnis Gottes und zum Glauben an Jesus Christus führt. Ein sichtbarer Erweis der Herrlichkeit Gottes führt nicht bedingungslos zum Glauben. Sehen und Glauben stehen in einer wechselseitigen Beziehung. Es ist gerade so, dass sich „Glaube“ und „Sehen der Herrlichkeit Gottes“ gegenseitig bedingen. Die Jünger sahen seine Herrlichkeit, als Jesus das Zeichen in Kana wirkte, weil sie bereits erste Schritte des Vertrauens und damit des Glaubens getan hatten. Sie hatten alles verlassen, was ihr bisheriges Leben ausmachte: Ihren Beruf und ihre Familien. Sie waren mit Jesus gegangen, der sie in seine Nachfolge gerufen hatte. Sie hatten ein Grundvertrauen in den, von dem Johannes der Täufer bezeugt hatte (Jo. 1, 36): „Siehe, das Lamm Gottes!“ Ihr Herz 31 war geöffnet, ihre Augen waren schon aus einer Position des Glaubens auf Jesus Christus gerichtet. Das Zeichen in Kana verstärkte ihr Vertrauen und so glaubten sie an ihn und sahen seine Herrlichkeit. Andere erkannten das Zeichen und den Wirkenden nicht. Ihnen fehlte Glauben. So rief das Zeichen in ihnen keinen Glaubensanfang hervor. Wir wissen, dass der Weg über das Zeichen zum bleibenden Glauben führen kann – sicher ist dies nicht. Gehen wir auf ein weiteres Beispiel dafür ein, dass das Sehen der Herrlichkeit Gottes ein bestimmtes Maß an Grundvertrauen und ein offenes Herz voraussetzt. Als Lazarus, ein Freund des Herrn Jesus Christus, gestorben war, ging Jesus zu dem Grab. Er befahl, den Stein wegzunehmen, der das Grab versperrte. In dieser Situation entwickelte sich ein kurzes Gespräch zwischen Jesus und Martha, einer Schwester des Verstorbenen. Sie sprach zu ihm (Jo. 11, 39 - 40): „Herr, er riecht schon, denn er ist vier Tage hier. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ An dieser Stelle bekräftigt Jesus Christus, dass Glaube eine Voraussetzung dafür ist, die Herrlichkeit Gottes zu sehen: Wenn Du glaubst - im Glauben selbst -, kannst Du die Herrlichkeit Gottes sehen. Im Glauben nehmen wir die Schönheit wie auch die Autorität Gottes wahr. Umgekehrt lässt uns die Bibel auch wissen, dass diese herausgehobene Art und Weise, wie Jesus Christus in der Auferweckung des Lazarus seine machtvolle Herrlichkeit erwies, bei vielen Beobachtern Glauben hervorrief. So heißt es (Jo. 11, 45): „Viele nun von den Juden, die 8 sahen, was er [Jesus Christus] getan hatte, glaubten an ihn.“ Sie hatten seine Herrlichkeit gesehen und glaubten. Aber nicht alle, die das Zeichen gesehen hatten, glaubten. Nun wissen wir, dass dieser Glaube weitergeführt werden muss. Er darf nicht in einem Glaubensstadium stehen blei- 32 ben, das auf dem Sichtbaren wie dem Wirken von Zeichen beruht. Der Glaube muss gegründet werden, damit er fest wird. Dazu muss unser Glaube im Glauben unseres Herrn Jesus Christus gegründet werden. Denn zutiefst geht unser Glaube auf das Vertrauen (=Glaube) unseres Herrn zurück, das er zum Vater hatte. Unser Glaube ist ohne den Glauben des Gottessohnes undenkbar. So kann beispielsweise Rö. 3, 22: „Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glaubenC“ auch mit „Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben [unseres Herrn] Jesus Christus für alle, die glauben8“ übersetzt werden. In diesem Sinne liegt die Grundlage unseres Glaubens im Glauben unseres Herrn, dem Herrn der Herrlichkeit (Jak. 2, 1). Nach der Gründung in Jesus Christus darf unser Glaube befestigt werden und wachsen (Kol. 1, 23). So wird der Glaube aus dem Sehen heraus in ein Vertrauen auf die nicht sichtbaren Glaubenstatsachen hineingeführt. Deswegen schreibt der Verfasser des Hebräerbriefes (11, 1), dass der Glaube ein überführt Sein von Dingen ist, die man nicht sieht. Gleichermaßen hebt der Apostel Paulus hervor, dass wir das Unsichtbare anschauen sollen - da das Sichtbare zeitlich, und damit vorübergehend ist (2. Kor. 4, 18). So gehen wir unseren Lebensweg nicht durch Schauen, sondern durch Glauben (2. Kor. 5, 7). Damit bewegen wir uns auf derselben Ebene wie die im 11. Kapitel des Hebräerbriefes genannten Glaubenszeugen, die nicht „durch Schauen“ sondern „durch Glauben“ große Dinge bewegten. Zu glauben, ohne zu schauen, ist ja gerade nach den Worten unseres Herrn Jesus Christus das Größere (Jo. 20, 29). Bleibt der Glaube dagegen auf das Äußere wie auf das Wunder gerichtet, ohne dass ein Mensch eine durch den Geist Gottes herbeigeführte Hinwendung zu Gott erfährt, so kann dieser auf das Vergängliche ausgerichtete Glauben wieder vergehen. Deswegen verließen Viele Jesus Christus, als er zu harte Worte sprach und er damit den Bedürfnissen 33 der Menschen nicht genügte. Deswegen waren keine Menschenmengen um das Kreuz versammelt, als Jesus starb – der Glaube der Vielen, die die Worte des Herrn gehört und seine Zeichen gesehen hatten, war zwar ein guter Anfang. Sie hatten „das gute Wort Gottes und die Kräfte des zukünftigen Zeitalters geschmeckt“ (Heb. 6, 5). Ihr Glaube war jedoch nicht auf das Unsichtbare und auf das Bleibende gegründet. So verließen sie den Herrn. So sehr Jesus Christus zur Zeit seines Erdenlebens seine Herrlichkeit durch Zeichen offenbarte, so kommt der Glaube in der jetzigen Zeit in erster Linie aus dem Wort Gottes (Rö. 10, 17). Dieser auf das nicht Sichtbare gegründete Glaube führt in Verbindung mit der durch den Geist gewirkten Wiedergeburt zu einem unvergänglichen Leben in der Gegenwart Gottes (1. Petr. 1, 23). Es waren allerdings nicht nur für alle sichtbare Zeichen, die die Herrlichkeit des Gottessohnes bezeugten. Ein weiterer besonderer Erweis der Herrlichkeit von Jesus Christus wird uns in Verbindung mit der so genannten „Verklärung“ geschildert. Wenige Tage nach seiner ersten Leidensankündigung führte Jesus Christus drei seiner Jünger auf einen hohen Berg (Mt. 17, 2+3): „Und er wurde vor ihnen umgestaltet. Und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht; und siehe, Mose und Elia erschienen ihnen und unterredeten sich mit ihm.“ Mit wenigen Worten beschreibt hier der Evangelist Matthäus, wie sich die Herrlichkeit unseres Herrn in äußerer Schönheit widerspiegelte. Jesus Christus wurde sichtbar für die drei Jünger umgestaltet, sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Dieses Weiß war eine Lichtfarbe, wie sie von Menschenhand nicht gemacht werden kann (Mk. 9, 3). Für die Jünger war dies ein unvorstellbares und unvergleichbares Erlebnis, so dass Petrus an diesem Ort eine Anbetungsstätte errich- 34 ten wollte. Während Petrus deswegen noch zu Jesus sprach (Mt. 17, 5), „Cüberschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme <kam> aus der Wolke, welche sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Ihn hört!“ Zu der sichtbaren Herrlichkeit kam nun die Bestätigung der Autorität des Sohnes durch den Vater hinzu. Der Vater bestätigte und bevollmächtigte den Sohn seiner Liebe, an dem er sein Wohlgefallen hat, indem er die Jünger aufforderte, auf ihn zu hören. Petrus schreibt rückblickend hierzu (2. Petr. 1, 16+17): „Denn wir haben euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundgetan, nicht indem wir ausgeklügelten Fabeln folgten, sondern weil wir Augenzeugen seiner herrlichen Größe gewesen sind. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der erhabenen Herrlichkeit eine solche Stimme an ihn erging: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.«“ Petrus war Augenzeuge der herrlichen Größe seines Herrn Jesus Christus geworden! Jesus Christus empfing auf dem Berg der Verklärung von seinem Vater Ehre und Herrlichkeit. Die Folge für den Sohn Jesus Christus war nicht nur, dass sein Angesicht wie die Sonne leuchtete. Der Sohn empfing auch eine Stärkung für das vor ihm liegende Leiden. Bei dieser Begegnung auf dem Berg wurde nicht nur Jesus Christus zu einer Herrlichkeitserscheinung umgestaltet. Auch Mose und Elia erschienen in Herrlichkeit (Lk. 9, 31). Sie, die längst verstorben waren, waren offenkundig schon in ein neues Leben hinein gegangen und zeigten sich nun auf diesem Berg in Herrlichkeit, um mit dem Gottessohn den Ausgang seines irdischen Lebenswegs zu besprechen. Nehmen wir diese Tatsache als einen Hinweis auf unsere eigene Herrlichkeitserwartung, als einen Hinweis auf die wunderbare Herrlichkeit, die wir einmal bei unserem Herrn 35 haben werden, und die auch eine Umgestaltung unseres Körpers beinhaltet. Herrlichkeit offenbart sich in Macht und Autorität. Göttliche Macht ist allerdings - meist im Gegensatz zur menschlichen Macht - willens und im Stande, diese Macht zu Gunsten anderer aufzugeben. So liegt die Größe von Jesus Christus auch darin, dass ihm alle Machtmöglichkeiten zur Verfügung standen, er sich aber dennoch in eine Ohn-Machts-Situation begab, um die Sühnung der Sünde des Kosmos zu erwirken. Jesus Christus hätte ohne weiteres Legionen von Engeln zu Hilfe rufen können, als er ans Kreuz geschlagen dem Sterben und dem Tod entgegensah (Mt. 26, 53). Er hätte vom Kreuz herab steigen können. Zu unserem Gewinn jedoch ging er gehorsam den Weg weiter und bezahlte mit seinem Blut den geforderten Preis, um uns von der Folge der Sünde, dem Tod, freizukaufen. Die Erhöhung und Verherrlichung durch den Vater Auch wenn der Leidensweg, den Mose und Elia mit Jesus Christus besprachen, den Gottessohn zunächst als einen geschlagenen Knecht erschienen ließ, so diente er doch dazu, dass der Sohn dadurch verherrlicht würde und der Vater in ihm. Denn durch seinen Gehorsam bis zum Tode ehrte Jesus Christus seinen Vater und verherrlichte ihn damit (Jo. 13, 31-33). Umgekehrt bestand der Lohn für seinen Gehorsam in der Verherrlichung durch den Vater. Die erste Verherrlichung bestand darin, dass der Vater den Sohn vom Tode auferweckte und in Herrlichkeit aufnahm (Eph. 1, 20; 1. Tim. 3, 16; 1. Petr. 1, 21). In einem weiteren Verherrlichungsschritt erhielt der Sohn den Ehrenplatz zur Rechten des Vaters (Eph. 1, 20; Apg. 7, 55). Der Sohn hat nun seinen Thron der Herrlichkeit eingenommen (Mt. 19, 28). Somit ging Jesus Christus durch das Leiden in seine Herrlichkeit beim Vater hinein (Lk. 24, 26). 36 Wenn die Zeit erfüllt ist, wird Jesus Christus in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln kommen und Gericht halten (Mt. 16, 27; 2. Tim. 4, 1). Diese Herrlichkeit wird jedem Menschen offenbar sein (2. Thes. 1, 7). Wir, die wir jetzt schon zu Jesus Christus gehören, freuen uns auf seine Wiederkunft, denn er rettet uns vor dem kommenden Zorn (1. Thes. 1, 10). Wir bitten darum, dass er bald und schnell wiederkommt (Off. 22, 20 zweiter Versteil). Dieses Kommen des Herrn zu den Seinen vollzieht sich nicht im Sichtbaren. Dieses für die Ungläubigen nicht erkennbare Wiederkommen ist daher von dem sichtbaren Wiederkommen unseres Herrn zum oben erwähnten Gericht an dieser Welt zu unterscheiden. Zunächst kommt Jesus Christus zu den Seinen und führt sie von der Erde weg mit sich mit (1. Thes. 4, 17). Dann kommt er mit ihnen in Macht und Herrlichkeit sichtbar auf die Erde wieder (Mt. 24, 30; 25, 31), um in ihnen, seinen Heiligen, verherrlicht und in all denen bewundert zu werden, die geglaubt haben (2. Thes. 1, 10). – So erwarten wir die Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus (Titus 2, 13). Im Folgenden wollen wir betrachten, worin unsere Herrlichkeitserwartung im Einzelnen liegt. DIE HERRLICHKEITSERWARTUNG DER HERAUSGERUFENEN Die Herausrufung Es gehört zu Gottes Prinzipien, dass er in seiner Heilsgeschichte zunächst immer mit einer Auswahl aus einer größeren Menge arbeitet. So wählte er aus allen Völkern der Erde ein einziges Volk zu seinem Eigentum aus: Israel. Dies geschah nicht mit der Absicht, die nicht auserwählten Völker 37 auszugrenzen. Nein, das auserwählte Volk sollte Heilsbringer für alle Völker werden (5. Mo. 7, 6; Jes. 42, 6; Hes. 37, 28; 38, 23; 39, 7). Nachdem der verstockte Teil Israels den Gesalbten Gottes nicht angenommen hatte, brach nach dem Heilsplan Gottes ein neues Zeitalter an. Das Evangelium von der Gnade und das Evangelium von der Herrlichkeit Gottes gingen von diesem Teil Israels aus auf die Menschen der anderen Nationen über - ohne dass der verstockte Teil damit von Gott für immer abgeschrieben wäre (Rö. 9, 24+25; 11, 25+26). Unter den Nationen arbeitet Gott wiederum mit einer Auswahl. Er ruft Einzelne aus der Menge heraus - ohne dass damit die nicht Auserwählten für immer „verloren“ wären. Die Herausrufung einzelner Auserwählter ist eng mit einer besonderen Beauftragung verbunden (1. Petr. 2, 9). So wie Jesus Christus Einzelne zu seinen Jüngern und damit zu einem besonderen Auftrag berief (z.B. Mk. 3, 14), ruft Gott im jetzigen Zeitalter Einzelne aus der Finsternis heraus und versetzt sie in das Reich des Sohnes seiner Liebe (Kol. 1, 13). Beispielhaft sehen wir es an den Jüngern und auch an dem Apostel Paulus. Paulus stellt sich den Christen in Rom als „berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes“ vor (1, 1). Durch den Ruf Gottes wurde er berufen und aus der Menge heraus für einen speziellen Auftrag „ausgesondert“. Mit dieser Herausrufung ist keine Zurücksetzung der nicht Berufenen im Sinne von „verworfen“, „verloren“ oder „dahingegeben“ verbunden. Sie wurden lediglich im Rahmen der souveränen Auswahl Gottes zu dem bestimmten Zeitpunkt und für den definierten Auftrag nicht berücksichtigt. Alle Menschen, die dem Ruf Gottes folgen, sich zu Gott bekehren und sich mit ihm versöhnen lassen, erleben eine neue Geburt und empfangen den Heiligen Geist. Sie stellen 38 den Leib des Christus dar - sie sind die Herausgerufenen13. Die Herausgerufenen bilden die im griechischen Neuen Testament als ekkläsia bezeichnete und im Deutschen mit „Gemeinde“ wiedergegebene Gruppe. Da in unserem heutigen Sprachgebrauch der Begriff „Gemeinde“ teilweise als politische Gemeinde oder als Ortskirchengemeinde verstanden wird, und Letztere nicht mit der Herausgerufenen als dem Leib des Herrn identisch sein muss, wird im folgenden der Begriff der „Herausgerufenen“ für die ekkläsia und als Bezeichnung des Leibes des Herrn verwendet. Christus – die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen Die Frage, worin die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen besteht, lässt sich kurz beantworten: Christus ist die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen. In ihm haben wir alles. Alle Zusagen Gottes an die Herausgerufene finden ihre Erfüllung in Jesus Christus. Daher heißt es in Rö. 8, 32: „C Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat – wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ Alles, was wir sind und haben, sind und haben wir in dem Sohne. Mit ihm schenkt uns Gott alles. Teilhaber der göttlichen Natur in Christus Was umfasst das – alles geschenkt zu bekommen? Petrus schreibt (2. Petr. 1, 3+4; SCHUMACHER): „Da seine göttliche Kraft uns alles geschenkt hat, was zum Leben und zur Gottesfurcht (gehört), durch die Erkenntnis dessen, der uns 13 Die Schritte der Herausrufung sind: a) Ruf Gottes: Mt. 3, 3; Lk. 5, 32; 2. Tim. 1, 9 b) Annahme des Rufs, Glauben & Neugeburt: Jo. 1, 13; 3, 3 c) Empfang des Heiligen Geistes: Eph. 1, 13 d) Zum Leib des Christus hinzugefügt werden: Eph. 4, 15 + 16; Kol. 1, 18; 2, 19. 39 berufen hat zu (seiner) eigenen Herrlichkeit und Tugend durch die er uns die kostbaren und unvergleichlich großen Verheißungen geschenkt hat, damit ihr durch sie der göttlichen Natur teilhaftig werdet, nachdem ihr dem in der Welt durch die Lust (herrschenden) Verderben entflohen seid -, 8“ Nun, zunächst heißt alles mit Christus geschenkt zu bekommen, Anteil an seiner Herrlichkeit zu haben! Wir sind zur Herrlichkeit des Christus berufen. Haben wir das je gehört? Haben wir dies im Herzen erfasst? Können wir Petrus und Paulus darin zustimmen, dass Gott uns dazu berufen hat, die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus zu erlangen (2. Thes. 2, 14; 2. Petr. 1, 4)? Wir erwarten die Herrlichkeit in Christus Jesus. Das ist wahrlich ein Grund zum rechten Rühmen (Rö. 5, 2): „8und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes.“ Gott hat uns zu seiner eigenen Herrlichkeit berufen. Somit nehmen wir auch an seiner Pracht und Schönheit teil. Wie heißt es in Ri. 5, 31 (zweiter Versteil)? Wir lesen: „C Aber die, die ihn lieben, <sollen sein,> wie die Sonne aufgeht in ihrer Kraft! C“ Und Achtung! Petrus geht in dem gerade zitierten Text noch weiter: Wir werden in Christus Teilhaber der göttlichen Natur. Ja, wir werden ihm gleich sein (1. Jo. 3, 2) – allerdings weiterhin in der Haupt-Körper-Beziehung, die nicht aufgelöst wird. In dieser Stellung zu Jesus Christus, unserem Haupt, haben wir als Körper, als ausführendes Organ unseres Herrn, weit reichende Aufgaben. Diese Aufgaben erstrecken sich über die kommenden Zeitalter (Eph. 2, 7). Gemäß 1. Kor. 6, 2+3 werden wir als die Heiligen Gottes die Welt (wörtlich: den Kosmos) und Engelswesen richten14. So 14 Weitere Aussagen zu den zukünftigen Aufgaben der Herausgerufenen finden sich in 2. Tim. 2, 12; Off. 2, 26+27; 3, 21. 40 nimmt uns der Herr in seine Gerichte, sein Zurechtbringen und damit in sein Heilshandeln mit hinein. An allem, was unserem Haupt und Herrn als Stellung und Aufgabe zukommt, haben wir Anteil: Das bedeutet es, alles mit dem Sohn geschenkt zu bekommen (Rö. 8, 32). Dies geschieht jedoch nicht, damit wir einmal gut dastehen, nachdem wir auf der Erde von den Menschen manches Mal verlacht und schlecht gemacht wurden. Nein, dies alles geschieht, „Cdamit er [Gott-Vater] in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus“ (Eph. 2, 7). An uns erweist und beweist sich die Gnade Gottes – sie wird an uns sichtbar, Gott zur Ehre in Christus Jesus. Gott erweist seine Herrlichkeit ja gerade in der Verwirklichung seines Heilsratschlusses, so auch darin, dass er uns in dem Geliebten begnadigt hat nach dem Wohlgefallen seines Willens und zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade (Eph. 1, 5+6; siehe auch Rö. 9, 23). Gott wirkt alles nach dem Rat seines Willens, damit wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien (Eph. 1, 12; siehe auch Jes. 46, 10). Sind wir als eine Auswahl die begnadigten Erstlinge (Rö. 8, 23; Heb. 12, 23), so sind diejenigen nicht automatisch für immer vom Heil ausgeschlossen, die das Gnadenangebot in diesem Zeitalter nicht erfassen und nicht annehmen. Denn die Gnade Gottes, so schreibt Titus, ist erschienen, heilsbringend allen Menschen (2, 11). Nicht nur, dass das Heilsangebot allen Menschen gilt – nein, die Gnade Gottes bringt allen Menschen Heil: Jetzt den Auserwählten und Herausgerufenen als den Erstlingen der Schöpfung und später dem Volk Israel, den Nationen und der Kreatur. Kaum wurde im Zusammenhang mit der Auswahl der Herausgerufenen zu Erstlingen erkannt, welche Dimension folgende Aussage des Jakobus hat (1, 18): „Nach seinem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren, damit wir eine Art Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien.“ 41 Ausgangspunkt für diese Feststellung des Jakobus ist Gottes Souveränität („Nach seinem Willen“). Der finale Charakter („damit“) verdeutlicht den Zweck der Geburt durch das Wort der Wahrheit: Damit wir eine Erstlingsgabe seiner Geschöpfe sind. Die Erstlinge werden zuerst neu geboren, bevor die Schöpfung eine Neugeburt durch das Wort der Wahrheit (dem Christus) erfährt. Noch aber liegt die Schöpfung gleichermaßen in „Geburtswehen“, bevor sie durch die Geburt zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes gelangt (Rö. 8, 20-23). Die Umgestaltung in das Bild Gottes Kommen wir zurück zu der Aussage des Petrus, dass wir der göttlichen Natur teilhaftig werden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir dem Christus vollständig gleich sein werden, durchlaufen wir als Herausgerufene eine göttlich gewirkte Metamorphose. Wodurch kommt diese Umgestaltung in Gang und was beinhaltet dieser Prozess? Lesen wir die Aussage der Heiligen Schrift in 2. Kor. 3, 18: „Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden <so> verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie <es> vom Herrn, dem Geist<, geschieht>.“ Dadurch, dass wir Christus anschauen15, werden wir von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt. Das griechische Wort für „verwandelt werden“16 kann auch mit „umgestaltet werden“ ins Deutsche übertragen werden. Es verdeutlicht, dass wir in das Bild (und damit das Wesen) des Christus umgestaltet werden. Sehen wir auf Christus, wird uns einerseits sein auf seiner Liebe beruhendes Erlösungswerk deutlich. Andererseits 15 Dabei kann die Aussage in 2. Kor. 3, 18 „Wir C schauen C an“ auch übersetzt werden mit „Wir C spiegeln C wider“. 16 µεταµορφόω 42 erfassen wir zunehmend, welches Opfer und welche Leiden Christus damit auf sich genommen hat. Durch das Sehen auf Christus können wir auch eine neue Einstellung zu unserem eigenen Leiden gewinnen. Wir können entdecken, dass unser Leiden einen Grund und ein Ziel hat. Der wohl wichtigste Grund für das Leiden von wiedergeborenen Menschen ist das Leiden um Christus willen. Vieles geschieht um unser selbst willen. Gott möchte uns aber durch sein Wort deutlich machen, dass wir manches Leid erfahren, weil wir zu Christus gehören. Jesus Christus wies seine Jünger bereits darauf hin, dass seine Nachfolger von der Welt genauso gehasst und verfolgt würden wie er (Jo. 15, 20). So leiden wir mitunter, weil wir den Namen des Christus tragen (Lk. 21, 12) und dafür verspottet oder angefeindet werden. Der Grund für diese Anfeindungen und das daraus folgende Leid liegt in Christus selbst: Die Finsternis hat das Licht nicht erfasst (Jo. 1, 5). Die Menschen haben die Finsternis (und damit deren Mächte) mehr als das Licht (und damit das eine Licht) geliebt (Jo. 3, 19). Diejenigen, die die daraus erwachsenden Spannungen und Anfeindungen tragen, leiden um Christus willen. Unser Leiden ist in diesen Fällen nicht nur nicht grundlos, sondern auch nicht ziellos. Paulus führt uns in seinem Brief an die Römer in die Gedanken Gottes in Bezug auf das Leiden ein. Er schreibt (Rö. 8, 17): „Wenn aber Kinder [Gottes], so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden.“ Das Ziel des Leidens um Christus willen ist, mit ihm verherrlicht zu werden. Rö. 8, 17 bezeugt uns, dass wir, die wir mitleiden, an der Herrlichkeit von Jesus Christus teil haben werden. Wir partizipieren! Mit unserer Rettung, die in Christus Jesus ist, haben wir bereits Anteil an seiner Herrlichkeit (2. Tim. 2, 10). Das Leiden bewirkt jedoch darüber hinaus gehend ein unmessbares Gewicht von Herrlichkeit (2. Kor. 4, 17): „Denn das schnell vorübergehende Leichte der 43 Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überreiches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, 8“17 (zum Begriff „ewig“ bzw. „äonisch“: siehe auch Anhang). Dass wir Anteil an Gottes Herrlichkeit – auch über den Weg des Leidens – haben dürfen, führt uns in die Dankbarkeit und den Lobpreis. Der Apostel Petrus preist Gott dafür und schreibt (1. Petr. 1, 3+4): „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt ist für euch, C“ Weiter führt Petrus aus (1. Petr. 4, 13): „Csondern freut euch, insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, damit ihr euch auch in der Offenbarung seiner Herrlichkeit mit Frohlocken freut.“ Und schließlich schreibt der Apostel (1. Petr. 5, 10): „Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, er selbst wird <euch>, die ihr eine kurze Zeit gelitten habt, vollkommen machen, stärken, kräftigen, gründen.“ Petrus stellt in seinem Brief das Zeitliche des Leidens einerseits der Herrlichkeit in Christus andererseits gegenüber. 17 Der Begriff „ewiges“ Gewicht von Herrlichkeit kann hier bedeuten, dass es ein in diesem Zeitalter verborgenes Gewicht von Herrlichkeit ist (vgl. Begriffserläuterung im Anhang). „Ewig“ (äonisch) kann das Verschweigen und damit das Verbergen während eines bestimmten Zeitalters ausdrücken (Bsp. Rö. 16, 25: „Dem aber, der euch zu stärken vermag nach meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, nach der Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen war8“). Nachdem das Geheimnis nun offenbart wurde, kann es vorher nicht unbegrenzt („ewige Zeiten hindurch“) verschwiegen worden sein. Die äonischen Zeiten dienten der Verheimlichung des Geheimnisses bis zu dessen Enthüllung. 44 Diese Herrlichkeit ist äonisch („ewig“) im Sinne von „in Christus verborgen“ und damit in diesem Zeitalter (Äon) nicht sichtbar für die Finsterniswelt. Diese Herrlichkeit ist zudem „ohne Ende“, weil sie in Christus selbst verankert ist. Lassen wir uns in Zeiten des Leidens durch diese Worte Gottes und durch die Erwartung der Herrlichkeit in Christus trösten und innerlich stärken. Denn wie Paulus und Petrus in völliger Übereinstimmung miteinander betonen, geht das vorüber, was uns bedrückt. Das Herrliche kommt – auch in Hinblick auf unsere Körper (1. Kor. 15, 43-44): „Es wird gesät in Unehre, es wird auferweckt in Herrlichkeit; es wird gesät in Schwachheit, es wird auferweckt in Kraft; es wird gesät ein natürlicher Leib, es wird auferweckt ein geistlicher Leib.“ Dieser neue, geistliche Leib trägt die Merkmale der Herrlichkeit, in der wir auferweckt werden. Das Leiden kann also durchaus ein wichtiger Bestandteil des Umgestaltungsprozesses sein, den wir durchlaufen, wenn wir Christus ansehen. Halten wir uns immer wieder vor Augen, dass auch unser Herr vom Leiden nicht ausgenommen war. Sein Leiden erwirkte nicht nur die Sühnung der Schuld des Kosmos. In Hinblick auf Christus formuliert der Verfasser des Hebräerbriefes (Heb. 2, 10): „Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit führte, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollkommen zu machen.“ Demnach hat das Leiden auch für den Gottessohn eine hohe Bedeutung gehabt, da er unter den schwierigsten Bedingungen dem Vater gegenüber gehorsam blieb (Heb. 5, 8) und seinen Heilsauftrag vollendete. Dieser Umgestaltungsprozess, der sich an uns durch das Anschauen des Christus vollzieht, wird einmal abgeschlossen sein – wenn wir dem Sohneswesen und dem Sohnesbild gleich gestaltet sind: Er als das Haupt und wir als sein 45 Körper. Der Umgestaltungsprozess ist nicht beispiellos. Diese Umgestaltung in das Bild seiner Herrlichkeit hinein führt uns zurück an den Anfang der Menschheitsgeschichte. Im Anfang hatten Gott-Vater und der Gottessohn beschlossen, Menschen zu schaffen. So geschah es (1. Mo. 1, 27): „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild ,8“ Das Bild, d.h. das Aussehen und das darin zum Ausdruck gebrachte Wesen Gottes, war das Original, nach dem der Mensch gebildet wurde. Dieser ursprüngliche Gott-gemäße Zustand und das Gott-gefällige Wesen („Cund siehe, es war sehr gut.“ 1. Mo. 1, 31) gingen in Folge der Trennung von Gott durch Sünde verloren. – Und doch: Gott ist gnädig. Gott ist barmherzig. Er erbarmt sich aller seiner Werke (Ps. 145, 9; Rö. 11, 32). Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1. Tim. 2, 4). Gott möchte uns das von der Sünde entstellte Angesicht, das bittere und böse Herz wegnehmen und uns schrittweise von Herrlichkeit zu Herrlichkeit in das Bild seines Sohnes umgestalten. Ist das nicht wunderbar? Freut sich nicht unser Herz, wenn wir dies verinnerlichen? Bekommen unsere Augen und unser Gesicht nicht eine neue Strahlkraft, die von der Liebe und Güte Gottes spricht? Als Herausgerufene sind wir Kinder und damit Erben Gottes (Jo. 1, 12; Rö. 8, 16+17; Gal. 3, 26). Dadurch haben wir eine gewaltige, hohe Herrlichkeitserwartung: Durch das Anschauen des Christus von Herrlichkeit zu Herrlichkeit in dasselbe Bild verwandelt zu werden (2. Kor. 3, 18)! Grundlage und Ziel unserer Herrlichkeitserwartung ist Jesus Christus allein – nicht unser Bemühen. Gott hat uns berufen, Gott hat uns gerechtfertigt und Gott hat uns verherrlicht (Rö. 8, 30). Genau das hat Gott seinen Heiligen mitgeteilt: Christus wohnt in uns, er ist unsere Erwartung der Herrlichkeit (Kol. 1, 27). Und erst wenn Christus offenbart wird, werden wir zusammen mit ihm (nie ohne ihn!) in Herrlichkeit offenbart werden (Rö. 8, 19; Kol. 3, 4). 46 Jesus Christus ist unsere Erwartung der Herrlichkeit. Unsere Erwartung liegt darin, mit ihm, unserem Haupt, vereinigt und zur Fülle des Christus vervollständigt zu werden (Eph. 1, 22; 3, 19). Christus ist jedoch nicht nur das Ziel, auf das wir zusteuern. Er ist auch der eine Weg zum Vater und damit die Grundlage unserer Herrlichkeit. Es ist allein die sich im Heilshandeln des Sohnes auswirkende Gnade Gottes, die uns aus unserer Sünde und dem Tod gerettet hat. Gott tat dies, weil er barmherzig über jedes seiner erschaffenen Wesen ist (Ps. 145, 9; Rö. 11, 32). Gott handelt nicht an uns, wie wir es verdient hätten! Wir dürfen leben, weil Gott gnädig und von großer Güte ist! Über allem ist es somit Gottes souveräne Gnade und in keiner Weise unser Verdienst, dass wir gerechtfertigt wurden. Denn unsere Rechtfertigung geschah, als wir noch Sünder waren (Rö. 5, 8). Wir konnten daher nichts zur Erlösung beitragen. Wir brauchen lediglich die uns angebotene Rettung in Anspruch nehmen und uns mit Gott durch Christus aussöhnen zu lassen – dann hat sich unsere Stellung zu Gott grundlegend verändert: Wir sind neu geborene Kinder Gottes. Noch sehen wir, dass wir dem Ziel Gottes, unumschränkt Gemeinschaft mit ihm zu haben, nicht genügen können. Nicht allein wegen unserer Bindung an unseren irdischen Leib, sondern auch, weil wir dem Willen Gottes nicht immer in unserem Denken oder Tun entsprechen. Wenn uns das drückt und zur Last wird, so dürfen wir auf Christus sehen: Er ist der Anfänger unseres Glaubens (Heb. 12, 2). Und wir dürfen zuversichtlich sein, dass er, der Anfänger unseres Glaubens, unseren Glauben auch vollenden wird (Heb. 12, 2). Das machen wir im Glauben fest: Er wird es bis dahin vollenden, wenn er uns dem Vater gegenüber darstellen wird (Eph. 5, 27): „Cdamit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.“ 47 Wir werden dem Vater durch den Sohn als heilige und tadellose Herausgerufene dargestellt (1. Kor. 1, 8). In dem Moment sind wir dem Bild des Christus, das bedeutet seinem Wesen, gleichgestaltet. Dafür sei ihm Lob und Ehre. Wenn Du persönlich dunkle Stunden des Zweifels, der Angst oder der Trostlosigkeit erlebst, dann richte Deinen Blick auf Christus. Er kann Dich verwandeln, er kann Dich erneuern und Dich verändern. Blicke auf, „Cdenn erschienen ist die Gnade Gottes, allen Menschen Heil und Rettung bringend, 8 in der Erwartung der glückseligen Hoffnung und leuchtenden Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Retters Jesus Christus8“ (Titus 2, 1113; SCHUMACHER). Ihn, Christus unseren Retter, erwarten wir und ihm in seiner Herrlichkeit gleichgestaltet zu werden. Ihn erwarten wir – ich hoffe, mit ganzem Herzen. Christus verherrlicht sich in seiner Herausgerufenen Wir werden in Christus verherrlicht. Er ist unsere Herrlichkeitserwartung. Die Herausgerufene ist umgekehrt aber auch die Herrlichkeitserwartung des Christus. Christus verherrlicht sich in uns. Dies geschieht bei seiner sichtbaren Wiederkunft auf die Erde in Macht und Herrlichkeit (2. Thes. 1, 10). Die Herausgerufene ist des Christus Herrlichkeit (2. Kor. 8, 23). Sie ist zum Lobe seiner Herrlichkeit (Eph. 1, 6+12). Darum stellt er die Herausgerufene einmal makellos neben sich (Eph. 5, 27; Kol. 1, 22). Die ekkläsia ist sein Erbe (Eph. 1, 18). Ja, unsere Erlösung ist nach dem Reichtum seiner Gnade und aus Liebe zu uns geschehen – aber zugleich ist unsere Erlösung zum Lobpreis seiner Herrlichkeit (Eph. 1, 14) erfolgt. Die von Gott ausgehende und durch Jesus Christus vollbrachte Erlösung dient seiner Verherrlichung, der Vermehrung seiner Ehre durch die Menschen. Judas drückt 48 dies aus, indem er Gott dafür preist, dass er uns zu bewahren und vor seine Herrlichkeit tadellos hinzustellen vermag (V. 24+25; SCHUMACHER): „Dem aber, der die Macht hat, euch vor jedem Fehltritt zu bewahren und (euch) angesichts seiner Herrlichkeit untadelig und jubelnd hinzustellen, dem alleinigen Gott, unserm Retter durch Jesus Christus, unsern Herrn, (gebührt) Herrlichkeit, Majestät, Macht und Gewalt – bevor es (überhaupt) Zeitalter gab und auch jetzt und für alle (kommenden) Zeitalter! Amen.“ Gott stellt uns durch Christus als Untadelige vor das Angesicht seiner Herrlichkeit – er hat sich in uns verherrlicht, indem er uns durch seine Vollmacht seinem Wesen gleichgestaltet hat. Dafür gebührt ihm Herrlichkeit. Dass Gott und Christus sich in der Herausgerufenen verherrlichen, ist noch nicht die Vollendigung. Gott erweist sich an seiner gesamten Schöpfung herrlich (mächtig, gnädig, gerecht, wahrhaftig). Dies trägt zur Glückseligkeit Gottes bei – hat Gott doch Wohlgefallen an der Gnade (Micha 7, 18) und fasst alles in Christus zusammen (Eph. 1, 9+10). Dafür sei unserem Gott die Herrlichkeit nicht nur vor der Schöpfung („vor aller Zeit“) und jetzt, sondern auch in die kommenden Zeitalter hinein. An der Aussage des Paulus, dass alles (wörtlich: das Alles18) in dem Christus zusammengefasst werden wird, wird deutlich: Christus ist nicht exklusiv unsere Erwartung der Herrlichkeit! Paulus führt in seinem Brief an die Christen in Kolossä aus, dass er und seine Mitarbeiter jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren, um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen (Kol. 1, 28). Gott hat bei der Verkündigung seines Evangeliums durch seine Mitarbeiter immer jeden Einzelnen und zugleich alle Menschen im Blick: Jetzt die Auswahl, später die Ge18 In Eph. 1, 10 steht für „das All“, das die Gesamtheit aller Dinge umfasst, der mit einem bestimmten Artikel versehene griechische Begriff „τὰ πάντα“. Zur Bedeutung des mit „zusammenfassen“ wiedergegebenen griechischen Begriffs schreibt SCHIRLITZ: „Calles 8 zu vereinigen unter Christus als Herrn und Haupt.“ 49 samtheit. Ja, so einen wunderbaren Gott haben wir. Er hat wie ein guter Baumeister vorab alle Kosten und Risiken seines Schöpfungsvorhabens planmäßig durchdacht und sich auf alle Eventualitäten eingestellt. Und er ist bereit, die gefallene Schöpfung in den ursprünglichen Zustand der Gottesebenbildlichkeit zurück zu führen – und dafür den höchst denkbaren Preis zu bezahlen. Unserem Gott sei Lob und Dank! Gott vollzieht seinen Heilsplan etappenweise. Er beginnt mit den herausgerufenen Erstlingen. Danach wendet er sich in Gericht und Gnade seinem auserwählten Volk Israel, dann den Nationen und schließlich der Kreatur zu. Dem biblischen Gedanken der Auswahl und dem Begriff des Erstlings im Verhältnis zur Gesamtheit wollen wir im kommenden Abschnitt am Beispiel des auserwählten Erstlingsvolkes Israel nachgehen. Das Ziel ist klar: Alles hat Gott dem Sohn gegeben – denn aus ihm, durch ihm und zu ihm hin ist das All19 (Rö. 11, 36; Kol. 1, 16). Die Herausgerufenen erwarten, der Herrlichkeit des Christus gleichgestaltet zu werden. Kommt Gott auch mit seinem auserwählten Volk Israel zum Ziel? DIE HERRLICHKEITSERWARTUNG ISRAELS Mit großem inneren Schmerzen stellt der Apostel Paulus fest, dass Israel mit Ausnahme eines Überrestes zum Teil verstockt wurde (Rö. 11, 7+25). Sein Trost ist, dass Gott sein Volk dennoch nicht verstoßen hat (Rö. 11, 1). Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar – auch dann nicht, wenn der Bündnispartner Israel den Bund 19 In Rö. 11, 36 und Kol. 1, 16 steht für „das All“ der griechische Begriff „τὰ πάντα“ (siehe Fußnote 18). 50 mit Gott treulos bricht (Rö. 11, 29). Die Verstockung dauert an, bis die Vollzahl (Vervollständigung) der Nationen eingegangen sein wird. So wird ganz Israel errettet werden (Rö 11, 25+26). Demnach hat der verstockte Teil Israels ebenfalls eine Herrlichkeitserwartung - wenn auch eine andere als die Herausgerufene. Doch schauen wir erst einmal zurück. Israel hat nicht nur eine in die Zukunft gerichtete Herrlichkeitserwartung. Paulus zählt in seiner schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem Zustand Israels auf, was diesem Volk bereits von Gott gegeben ist. Er nennt hierbei die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bündnisse und die Gesetze, den Dienst und die Verheißungen (Rö. 9, 4). Betrachten wir einige dieser Punkte, denn sie sind bedeutsam in Hinblick auf die zukünftige Herrlichkeitserwartung Israels. Israels Stellung und seine Verheißungen 1. Die Sohnschaft Gott ist souverän und damit unabhängig von dem Willen oder den Beurteilungen seiner Geschöpfe. Aus seiner Souveränität heraus und bewegt von seiner Liebe hat sich Gott aus allen Völkern der Erde ein einziges Volk zu seinem Eigentum auserwählt. Dieses Volk ist Israel (5. Mo. 7, 6–8 (erster Versteil)): „Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, dass du ihm zum Volk <seines> Eigentums wirst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern – , sondern wegen der Liebe des HERRN zu euchC“ Dieser Text beleuchtet kurz die Auswahlkriterien Gottes. Danach nimmt Gott sich der Schwachen an, der Menschen, die Hilfe bedürfen. Wie hier am Beispiel Israels wird dies 51 insbesondere am Wirken unseres Herrn Jesus Christus auf dieser Erde deutlich. Konsequenterweise finden sich gerade in der Gemeinschaft der Herausgerufenen viele Menschen, die in der Gesellschaft keine Anerkennung finden (1. Kor. 1, 26-29). Gott ist souverän. Das heißt, er ist durch nichts und niemanden beschränkt. In seiner Souveränität hat Gott bereits sehr früh eine Auswahl getroffen - etwa wenn wir an Seth denken (1. Mo. 4, 25; Seth = der Gesetzte). Oder denken wir an Abram (später: Abraham). Abram war ein Mensch wie viele Andere um ihn herum, als er von Gott mitten in seiner götzendienerischen Umwelt angesprochen wurde. Er wurde entsprechend der Auserwählung Gottes herausgerufen und bekam einen klaren Auftrag (1. Mo. 12, 1). Diese Auserwählung setzt sich in der Nachkommenschaft Abrahams bis hin zu Jakob (= Israel) fort. So stellt das gesamte Haus Israel als Volk eine Auswahl aus vielen Völkern dar. Gott erwählt. Er erwählt Einzelne, er erwählt ein ganzes Volk. Er erwählt und beauftragt. Er erwählt, beauftragt eine Auswahl aus einer größeren Menge und erreicht damit seine Ziele in Bezug auf die Gesamtheit. Das erkennen wir an Abram. Abram wurde als Einziger unter Vielen ausgewählt. Er bekam einen Auftrag und eine Verheißung. Dieser eine Mensch aber sollte nun nicht allein für sich und seine Nachkommen von dieser Auswahl „profitieren“ – nein. Seine Nachkommenschaft sollte allen Menschen zum Segen werden. Daher spricht Gott zu Abraham (1. Mo. 12, 2): „C und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ Alle Geschlechter! Die Auswahl ist der Anfang, die Gesamtheit das Ziel. Die Auswahl dient letztlich Anderen, die nicht zur Auswahl gehören, zum Heil oder zum Segen. Das ist eines der Prinzipien unseres Gottes. Dies geschieht nicht ohne eine Zielgebung für dieses Volk (2. Sa. 7, 24; 1. Chr. 17,22; 1. Kö. 8, 51). So ist mit Gottes 52 Erwählung ein Auftrag für das Volk Israel verbunden. Israel sollte als das auserwählte Volk zum Licht für alle Völker werden. Dies war seine Berufung. Die Berufung Israels, zum Licht für alle Völker zu werden, zeigt sich auf zweierlei Weise. Zum Einen hat das Volk Israel einen Missionsauftrag an allen anderen Völkern und soll diesen das Heil bringen (Jes. 49, 6). Zum Anderen wurde Israel zum Licht für alle Völker, indem „das Licht der Welt“ (Jo. 8, 12) in dieses Volk hinein geboren wurde. Mit diesem Volk hat Gott einen unauflösbaren Bund geschlossen (1. Mo. 17, 7; 2. Mo. 2, 24). Gott steht zu diesem Volk allerdings nicht nur in einem sachlichen „Vertragsverhältnis“. Die innere Bindung Gottes an dieses Volk drückt sich gerade darin aus, dass Gott Israel „mein Sohn“ nennt. Israel ist Gottes Sohn, sogar der Erstgeborene (unter vielen Söhnen). So beauftragt JHWH den Mose, dem Pharao Ägyptens folgendes zu sagen (2. Mo. 4, 22): „Und du sollst zum Pharao sagen: »So spricht der HERR: Mein erstgeborener Sohn ist IsraelC“ Demnach gehört diesem Volk die Sohnschaft (vgl. Jer. 31, 9; Hos. 11, 1; Mal. 1, 6). Israel hat Gott selbst zum Vater (5. Mo. 32, 6). So wie die Herausgerufenen Kinder und Söhne Gottes sind, so ist Israel auf der Ebene der Nationen als einer Auswahl die Sohnschaft zugesprochen20. Die Sohnschaft Israels hat eine tiefe Bedeutung. Unter den vielen Völkern der Erde ist Israel der Erstgeborene (2. Mo. 4, 22). Gott bezeichnet sein Volk Israel als „Erstling“ unter den Völkern (Jer. 2, 3). Was haben wir unter diesem Begriff des Erstlings zu verstehen? 20 Dennoch sorgt Gott auch väterlich für die anderen Völker, wie wir es am Beispiel Ismaels (1. Mo. 21, 18) sehen. Alles ist sein Eigentum (2. Mo. 19, 5) und Israel unter allen Gott gehörenden Völkern der Erstlingssohn. 53 Die gesamte Schöpfung gehört Gott. Sie ist sein Eigentum (2. Mo. 19, 5; 5. Mo. 10, 14). So gehört auch unser Leben nicht uns selbst, sondern dem, der es uns geschenkt hat. Abel brachte erstmals eine Opfergabe von den Erstlingen seiner Herde – lange bevor das mosaische Gesetz gegeben wurde (1. Mo. 4, 4). Meinem Verständnis nach ehrte Abel den Geber aller Gaben mit der Opfergabe der Erstlinge stellvertretend für alles, was er von Gott empfangen hatte (vgl. 5. Mo. 26, 2+10; Spr. 3, 9). Weil alles Gott gehört, hat er Anspruch auf alles. Auch um diesen Anspruch zu verdeutlichen, gab Gott seinem Volk Israel das Gebot, ihm die Erstlinge zu heiligen (2. Mo. 13, 2). Hierbei standen das erstgeborene Kind oder das erstgeborene Tier als Erstling stellvertretend und als Ersatz für alle später Geborenen. Der Erstling verdeutlicht durch seine Stellvertreterfunktion, dass alles Gott gehört (2. Mo. 19, 5). Der Erstling wurde stellvertretend für die Gesamtheit Gott geweiht oder als Opfer dargebracht. Die Stellvertreterfunktion des Erstlings wird auch am Gericht Gottes an den Erstlingen Ägyptens zur Zeit Moses deutlich (2. Mo. 12, 29). Vor Gott hatte sich das gesamte Volk Ägypten schuldig gemacht, da es das Volk Israel unterdrückt hatte. Das Strafgericht vollzieht Gott in seiner Barmherzigkeit jedoch ausschließlich an den Erstgeborenen in Ägypten – stellvertretend für das gesamte Volk. Nun wird Israel in der Heiligen Schrift als „Erstling“ unter den Völkern bezeichnet (Jer. 2, 3): „Israel war heilig dem HERRN, der Erstling seiner Ernte. Alle, die davon aßen, machten sich schuldig: Unglück kam über sie, spricht der HERR.“ Jeremia macht neben dem, dass alle dem Strafgericht Gottes unterlagen, die sich am Erstling schuldig machten, Eines besonders deutlich. Israel ist der Erstling der Ernte – alle anderen Völker stellen zusammen mit Israel die „Ernte“ dar, aus der das eine Volk stellvertretend erwählt 54 wurde. Der Prophet Amos bestätigt dies (6, 1). Aber nicht nur der Erstling der Ernte gehört Gott: Die komplette Ernte ist des Herrn, ist er doch der Herr der Ernte (Mt. 9, 38; Off. 14, 15) und damit der Herr des Erstlings Israel und der Herr aller Völker (der Gesamternte). Vordergründig betrachtet verwarf das Volk Israel zwar das Heilsangebot, verwarf das Volk den Sohn Gottes und wurde seiner Erwählung als Erstling damit nicht gerecht. Ja, Gott spricht von Israel als von einem ungehorsamen und widerspenstigem Volk (Rö. 10, 21). Deswegen hat Gott Israel aber nicht für immer verstoßen! In seiner Weisheit hat Gott aus der Verwerfung seines Sohnes durch Israel etwas Wunderbares werden lassen. Das Heil (die Rettung durch Glauben an Jesus Christus) kam zu den Nationen (Rö. 11, 11): „Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen.“ Und noch ein größerer Gedanke bewegt den Apostel Paulus in Hinblick auf seine Brüder aus Israel (Rö. 11, 15): „Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anders sein als Leben aus den Toten?“ Entscheidend für das Verständnis der Auswahl Gottes ist das, was Paulus nun direkt im Anschluss äußert (V. 16): „Wenn aber das Erstlingsbrot [wörtlich: der Erstling] heilig ist, so auch der Teig; und wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige.“ Wenn der Erstling heilig ist, so ist dies ein Garant dafür, dass die Gesamtheit heilig sein wird. Dass der Erstling ein vorangestellter Garant für die Gesamtheit ist, zeigt uns anschaulich die Schilderung der Auferstehung in ihren unterschiedlichen Ordnungen. Christus ist als Erstling der Entschlafenen aus den Toten auferweckt worden (1. Kor. 15, 20). Alle anderen Entschlafenen werden 55 ebenfalls auferweckt, aber streng in der jeweiligen Ordnung zur von Gott bestimmten Zeit. So wie in Adam alle starben, werden in Christus alle lebendig gemacht – der Erstling steht stellvertretend und als Pfand für die Gesamtheit. So führt Paulus aus (1. Kor. 15, 22-24; zitiert nach EINERT): „Denn ebenso wie in Adam alle sterben, also werden auch in Christus alle lebend gemacht werden. Jeder aber in der eigenen Ordnung: der Erstling, Christus; darauf die, die des Christus sind in seiner Anwesenheit; dann die Vollendigung, wann er die Regentschaft dem Gott und Vater gibt; wann er alles Anfangseiende und alle Autorität und Vermögenskraft unwirksam gemacht hat.“ Beachten wir, dass Paulus bei der Aufzählung der Gruppen, die lebendig gemacht werden, hinsichtlich der Lebensqualität keine Unterscheidung zwischen den Gruppen vornimmt. Selbst die Gruppe, die bei der Vollendung (dem „Ende“ gemäß der revidierten Elberfelder) lebendig gemacht wird, ist hier unterschiedslos mit eingeschlossen und wird ebenfalls „in dem Christus“ lebendig gemacht. Zu diesem Bibeltext (V. 24) und zu dem mit „Vollendigung“ übersetzten griechischen Wort „telos“ merkt JUGEL21 an: „Dies ist nicht »das Ende«, sondern die »Vollendung« der Wege Gottes (griech.: telos). Es ist zugleich das »Ziel«, das Er erreichen will und wird. Das griechische »telos« ist in der Septuaginta aber auch die Übersetzung des hebräischen »kazir« = Vollernte.“ Israel ist der Erstling der Ernte und Modell dafür, dass Gott auch in der Vollernte das Ziel seines Heilsratschlusses mit allen Völkern erreicht. Israel ist das Volk, das - stellvertretend für alle Völker - Gott in besonderer Weise zugewandt und geheiligt ist. Es ist Gott 21 Jugel, W. (1999). S. 77. 56 gegenüber ein „heiliges Volk“ in dem Sinne, dass es aus allen Völkern auserwählt und ihnen gegenüber abgesondert wurde, um seinen besonderen Auftrag an den anderen Völkern auszuführen. Der Erstling ist schließlich auch ein Modell, ein Anschauungsobjekt. Gott demonstriert am Erstling Israel exemplarisch, wie er mit den zunächst nicht berücksichtigten Völkern umgehen wird. Schafft Gott es, mit dem störrischen Volk Israel zum Ziel zu kommen, so ist die Rettung des Erstlings ein Garant für die Rettung der übrigen Völker. Neben der Sohnschaft ist Israel die „Herrlichkeit des Dienstes“ gegeben, wie uns der Apostel Paulus berichtet. 2. Die Herrlichkeit des Dienstes Der Dienst des Volkes Israel im alten Bund war von äußerlicher Herrlichkeit gekennzeichnet. Aus der Sicht des Apostels Paulus war der auf dem Gesetz beruhende Dienst des Gottesvolkes ein Dienst des Todes und der Verdammnis – kann doch kein Mensch auf der Grundlage des Gesetzes gerechtfertigt werden (Rö. 3, 20; Gal. 3, 11). Dennoch geschah dieser Dienst in äußerlicher Herrlichkeit. Paulus zeigt hierbei fein den Gegensatz zwischen äußerer Herrlichkeit und dem - dem Gesetz inne wohnenden - Todeswesen auf (2. Kor. 3, 7-11): „Wenn aber <schon> der Dienst des Todes, mit Buchstaben in Stein eingegraben, in Herrlichkeit geschahC Denn wenn der Dienst der Verdammnis Herrlichkeit ist, so ist der Dienst der Gerechtigkeit noch viel reicher an Herrlichkeit.“ Demnach verrichtete Israel einen prächtigen Dienst im Zelt der Begegnung und im späteren Tempel. Paulus weist in diesem Zusammenhang auf den Gegensatz zum Dienst der Gerechtigkeit hin, der aus dem Evangelium von der Gnade Gottes erwächst. Uns interessiert an dieser Stelle jedoch mehr die Frage, worin die Herrlichkeit des Dienstes in Israel 57 bestand. Diese Herrlichkeit hatte ja verschiedene Ausprägungen: Denken wir an die Zeremonien, die von Würde und Ehrerbietung gegenüber dem Gott Israels gekennzeichnet waren. Oder beachten wir, dass die Priester, um bestimmte Dienste im Heiligtum verrichten zu können, keinen körperlichen Makel aufweisen durften (3. Mo. 21, 16-23). Oder sehen wir uns die prachtvollen Geräte und Kleider an, die für den Dienst im Heiligtum verwendet wurden. Die Geräte und Gegenstände waren teilweise aus massivem Gold gefertigt, die Kleider der Hohepriester mit Edelsteinen bestickt (2. Mo. 28). Dies alles war Teil der Herrlichkeit des Dienstes in Israel. Diese Herrlichkeit des Dienstes Israels legte Zeugnis von der himmlischen Herrlichkeit ab. So waren die Geräte und das Zelt der Begegnung beziehungsweise der Tempel den Originalen in der Himmelswelt nachgebaut (Heb. 8, 5; 9, 11). Die irdischen Nachbildungen wiesen auf die Herrlichkeit der himmlischen Vorbilder hin. Der Dienst der Herrlichkeit war auch ein Dienst in der Gegenwart des Gottes der Herrlichkeit und ein Dienst für Gott. In 2.Chr. 5, 13 wird uns berichtet, dass der salomonische Tempel bei seiner Weihe mit einer Wolke erfüllt wurde – ein Zeichen für die Gegenwart Gottes in seinem Heiligtum. Wegen der Wolke konnten die Priester nicht hinzutreten, um den Dienst zu verrichten, denn „Cdie Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.“ Neben der Sohnschaft und dem Dienst der Herrlichkeit sind dem Eigentumsvolk Gottes viele Verheißungen geschenkt. 3. Die Verheißungen Obwohl Israel das auserwählte Volk ist, wandte es sich immer wieder von seinem Gott ab. Gerade darum sehen wir an diesem Erstling, wie Gott ein widerspenstiges Volk zurechtbringt. Von diesem Zurechtbringen – auch durch Ge- 58 richte – sprechen viele der dem Volk Israel gegebenen Zusagen Gottes. Lesen wir beispielhaft einige Verheißungen, die dem Propheten Jesaja für Israel gegeben wurden. So spricht Jesaja als Mund Gottes (46, 13): „Ich habe meine Gerechtigkeit nahe gebracht, sie ist nicht fern, und mein Heil zögert nicht. Und ich gebe in Zion Heil, für Israel meine Herrlichkeit.“ Auch von dem Zorn und dem Erbarmen Gottes gegenüber seinem Volk spricht Jesaja (Kapitel 60: 1+2+10): „Steh auf, werde licht! Denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des HERRN ist über dir aufgegangen. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften; aber über dir strahlt der HERR auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. 8 Und die Söhne der Fremde werden deine Mauern bauen und ihre Könige dich bedienen; denn in meinem Zorn habe ich dich geschlagen, aber in meiner Huld habe ich mich über dich erbarmt.“ Nach den Zorngerichten und dem Erbarmen Gottes kann Israel seiner Berufung gemäß leben (Jes. 61, 6): „Ihr aber, ihr werdet Priester des HERRN genannt werden; Diener unseres Gottes wird man zu euch sagen. Ihr werdet den Reichtum der Nationen genießen und mit ihrer Herrlichkeit euch brüsten.“ Heilsgeschichtlich gesehen fällt auf, dass sich die Verheißungen Israels insbesondere auf das kommende Friedensreich unter der Herrschaft des Gottessohnes richten. In dieser Zeit, das auch „Millennium“ oder als die Zeit der Königsherrschaft bezeichnet wird, kommen dem lange verachteten Volk Israel besondere materielle Segnungen zugute. Israel ist in der kommenden Zeit nicht nur der Verheißung nach, sondern auch tatsächlich ein dem Herrn geheiligtes Volk. 59 Von dem erneuerten Volk Israel sprechen weitere Bibelstellen: • Jes. 62, 2+3: „Und die Nationen werden deine Gerechtigkeit sehen und alle Könige deine Herrlichkeit. Und du wirst mit einem neuen Namen genannt werden, den der Mund des HERRN bestimmen wird. Und du wirst eine prachtvolle Krone sein in der Hand des HERRN und ein königliches Diadem in der Hand deines Gottes.“ • Micha 4, 1+2: „Und am Ende der Tage wird es geschehen, da wird der Berg des Hauses des HERRN fest stehen als Haupt der Berge, und erhaben wird er sein über die Hügel. Und Völker werden zu ihm strömen, und viele Nationen werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN und zum Haus des Gottes Jakobs, dass er uns aufgrund seiner Wege belehre! Und wir wollen auf seinen Pfaden gehen. Denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des HERRN von Jerusalem.“ Gott hält seine Zusagen. Die eben genannten Verheißungen werden sich bewahrheiten. In Hesekiel (34, 12-13) heißt es22: „Wie ein Hirte sich seiner Herde annimmt am Tag, da er unter seinen zerstreuten Schafen ist, so werde ich mich meiner Schafe annehmen und werde sie retten aus allen Orten, wohin sie zerstreut worden sind am Tag des Gewölks und des Wolkendunkels [Finsternis = Gericht!]. Und ich werde sie herausführen aus den Völkern und sie aus den Ländern sammeln und sie in ihr Land kommen lassen...“ Auf wunderbare Weise hat der Herr diese Verheißung wahr werden lassen. Wir sehen heute etwas, was in der jüngeren Vergangenheit noch nicht vorstellbar war: Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs sind im Land der Väter und die Heimkehr der Israeliten dauert an. Die endgültige Heimkehr aller Israeliten in das Land ihrer Väter wird jedoch erst nach Antritt der Königsherrschaft Christi erfolgen: Wenn das 22 so auch Jes. 11, 11-12; Jes. 25, 9. 60 Zeichen des Sohnes des Menschen am Himmel sichtbar wird, und alle Stämme wehklagen, dann werden Engel die Auserwählten von allen Enden der Himmel her sammeln (Mt. 24, 29-31). Noch sind nicht alle Verheißungen Realität geworden, die sich auf das auserwählte Volk beziehen. Der Schreiber fährt in Hesekiel (34, 23-24) fort: „Und ich werde einen Hirten über sie einsetzen, der wird sie weiden: meinen Knecht David, der wird sie weiden, und der wird ihr Hirte sein. Und ich, der Herr werde ihr Gott sein, und mein Knecht David wird Fürst in ihrer Mitte sein...“ Wir sehen, dass die Erfüllung dieses Wortes Gottes noch aussteht – auch hinsichtlich der Person Davids. Die Erfüllung geht über das jetzige Zeitalter hinaus. Die Sohnschaft, die Herrlichkeit des Dienstes und die Verheißungen sind dem Volk Israel gegeben. Die Verheißungen reden davon, dass Israel zu Gott umkehren wird. Die Umkehr Israels zu Gott Der Umkehr des Volkes Israel zum lebendigen Gott bei der sichtbaren Wiederkunft von Jesus Christus gehen bestimmte heilsgeschichtliche Ereignisse voraus: Der Anti-Christus wird am Ende des jetzigen Zeitalters über die Erde herrschen. Diese Zeit wird als eine Zeit der großen Bedrängnis beschrieben (Mt. 24, 21 in Verbindung mit Dan. 10, 1). Der Anti-Christus wird gegen das auserwählte Volk, ja gegen den Höchsten selbst kämpfen. Daraufhin tritt Christus ihm sichtbar mit den Seinen entgegen und besiegt alle widergöttlichen Kräfte (Sach. 12, 9; Off. 19, 11-21). Christus beendet die große Bedrängnis (Mt. 25, 31). Der größte Teil des Volkes Israel, das ein heiliges Volk sein sollte, hatte sich bis dahin gegen Gott und seinen Gesalbten 61 gestellt. Nur ein übrig gebliebener Rest des Volkes war seinem Herrn treu geblieben. Bei der Wiederkunft des Christus erlebt das ungehorsame Israel einen schrecklich-schönen Augenblick: „Schrecklich“, da Israel den durchbohrten Messias erkennt. Die Verstockung Israels ist beendet und die Decke, die gleichsam auf Israels Gesicht lag, wird weggenommen (Rö. 11, 23; 2. Kor. 3, 16). „Schön“, da nun das lang ersehnte messianische Königreich anbricht. Vertiefen wir diese Ausführungen anhand einiger Bibelstellen: Sach. 12, 9-10: „Und es wird geschehen an jenem Tag, da trachte ich danach, alle Nationen zu vernichten, die gegen Jerusalem heran kommen. Aber über das Haus David und über die Bewohnerschaft von Jerusalem gieße ich den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen, wie man über den einzigen Sohn wehklagt, und werden bitter über ihn weinen, wie man bitter über den Erstgeborenen weint.“ Mt. 24, 29-30: „Aber gleich nach der Drangsal jener Tage 8 Und dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen am Himmel erscheinen; und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit.“ Off 1, 7: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, welche ihn durchstoßen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme der Erde. Ja, Amen.“ Das Wehklagen aller Stämme über den Zerstochenen führt dazu, dass sich ganz Israel einschließlich des verstockten Teils zum Gesalbten Gottes, zu Jesus Christus, hinwendet und bekehrt. 62 Israel: Das erneuerte Volk als Licht der Völker Beginnend in der großen Drangsal, in der Gott dem bis dahin verstockten Israel einen Geist des Flehens schenkt, und fortgesetzt mit dem Wehklagen über den Durchstoßenen erfährt das Volk Israel eine vollständige Erneuerung. Israel wird zu einem heiligen Volk von Priestern, wie es seiner Bestimmung entspricht (2. Mo. 19, 6): „Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein! Das sind die Worte, die du zu den Söhnen Israel sagen sollst.“ Dieses priesterliche Dienen wird möglich sein, da der Geist aus der Höhe auf das ganze Volk ausgegossen sein wird (Jes. 32, 15). Dann gehen auch die Weisungen von Jerusalem zu den Nationen aus (Micha 4). Das erneuerte Volk Israel wird zum Licht der Nationen gemäß der dem Propheten Jesaja gegebenen Verheißung Gottes (Jes. 42, 6): „Ich, der HERR, ich habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen,8“ Ja, Gott ist groß. Er hat die Auswahl und die Gesamtheit im Blick. Er wirkt durch die Auswahl in die Gesamtheit. Sein Heil wird bis an die Enden der Erde reichen (Jes. 49, 6) – durch Israel als Lichtträger und Lebensvermittler. Israel bringt das Heil zu den Nationen, zu den Enden der Erde, und erfüllt damit den Missionsbefehl gemäß Mt. 28, 19. Das erneuerte Israel ist das Haupt und die Zierde der Nationen, wie es Gottes Ziel der Auserwählung und Berufung Israels entsprach (2. Mo. 19, 5+6; 5. Mo. 7, 6). Deswegen kommen Nationen, um im Lichte zu wandeln, das durch Gottes Gegenwart über Israel gekommen ist (Jes. 60, 3). Nicht nur auf die Menschen auch auf das Land Israel wirkt sich die Wiederkunft des Christus aus. Das Land Israel wird derart erblühen, dass es wie „der Garten Eden“ aussehen 63 wird und verödete Städte werden wieder aufgebaut und befestigt (Jes. 51, 3; Hes. 36, 35). Inwieweit wird das erneuerte Israel nun zum Segensträger, zum Heilsbringer? Das Kommen des Messias zu seinem auserwählten Volke wird für alle Menschen sichtbar sein. Das Eingreifen des Gottessohnes am Ende der großen Drangsal zugunsten seines Volkes und der Sieg gegen eine nie da gewesene militärische Macht werden das Interesse der Menschen wecken. Sie wollen nun von Israel mehr über diesen Gott erfahren (Sach. 8, 23): „In jenen Tagen, da werden zehn Männer aus Nationen mit ganz verschiedenen Sprachen zugreifen, ja, sie werden den Rockzipfel eines jüdischen Mannes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“ In Israel und in Jerusalem werden die Menschen Zugang zu dem lebendigen Gott finden. In Jerusalem selbst wird eine Quelle für das Volk Israel gegen Sünde sein (Sach. 13, 1) und aus Jerusalem werden lebendige Wasser bis zu den Meeren fließen (Sach. 14, 8) – beides weist darauf hin, dass in Jerusalem die Quelle des Lebens, das ist der Christus, zu finden ist. Wasser ist Leben – im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne (Jo. 4, 10). Wasser reinigt – so reinigt uns Jesus Christus, der das Wasser des Lebens ist, von aller Sünde (1. Jo. 1, 7). Aus dieser Wasserquelle des Lebens wollen auch die Menschen aus den Nationen neue Lebenskraft schöpfen. Die Erstlinge aus Israel sind ein Anfang. Sie stehen für die gesamte Völkerwelt, aus der sie erwählt wurden. Gott arbeitet zunächst mit einer kleinen Auswahl von Erstlingen, um später das Ganze zum Ziel zu bringen. So wurde die Ablehnung des Messias durch den verstockten Teil Israels den Nationen zum Heil. Aus diesen Nationen hat sich Gott wiederum Erstlinge erwählt (Rö. 8, 23; Jak. 1, 18): Menschen, 64 die nach seinem Willen sein Gnadenangebot angenommen haben (siehe Abschnitt „Die Herrlichkeitserwartung der Herausgerufenen“). Die Herrlichkeitserwartung des untreuen, verstockten Teils Israels besteht darin, von Gott zur Umkehr bewegt zu werden und den Messias Israels, Jesus Christus, zu erkennen (Hes. 37, 6). Gott nimmt sich seines auserwählten Volkes wieder an (Jes. 45, 17; Rö. 11, 26-29), gibt ihnen einen neuen Geist (Hes. 11, 19; 36, 26) und JHWH wird ihnen zum Gott sein (Hes. 11, 20). Auf diese Weise verherrlicht sich Gott auch an Israel – der Völkerwelt zum Zeugnis der Herrlichkeit Gottes (Jes. 49, 3)! DIE HERRLICHKEITSERWARTUNG DER NATIONEN Gott hat in seiner Souveränität aus allen Völkern ein Volk (Israel) auserwählt und aus allen Nationen einzelne Menschen herausgerufen. Israel und die Herausgerufenen haben das Heil – infolge der Berufung Gottes und infolge seiner Gnade, die wir als Herausgerufene annehmen durften. Welchen Weg geht Gott jedoch mit den Menschen, die weder Israel angehören noch in diesem Gnadenzeitalter sein Heilsangebot annehmen? Betrachten wir die Herrlichkeitserwartung dieser Menschen, die im Folgenden unter dem Begriff „Nationen“ zusammengefasst werden. Alle Menschen unterliegen seit dem Sündenfall der Herrschaft der Sünde und des Todes (Rö. 5, 12). Sünde muss von Gott gerichtet werden. Die Gerichte sind jedoch für jede von Gottes Heilsplan umfasste Gruppe unterschiedlich – je 65 nachdem, ob es sich um Israel, die Herausgerufenen oder um die Nationen handelt. Israel erfährt nach dem strengen Schuld-Strafe-Prinzip (5. Mo. 11, 26-28) vielfache Gerichte Gottes. Die Herausgerufenen sind mit Christus gekreuzigt (Rö. 6, 6) und somit gerichtet. Daher heißt es im Johannesevangelium mehrfach (3, 16+18; 5, 24), dass die Glaubenden nicht mehr gerichtet werden. Den gottlosen Menschen aus den Nationen allerdings stehen Gerichte Gottes noch bevor. So unterschiedlich die Gerichte Gottes für diese Gruppen sind, so unterschiedlich sind auch deren Herrlichkeitserwartungen. Kinder Gottes haben nicht dieselbe Herrlichkeitserwartung wie das Volk Israel. Israel hat eine andere Herrlichkeitserwartung als die Nationen. Worin besteht nun die Herrlichkeitserwartung derjenigen Menschen, die sich in diesem Zeitalter nicht zur Umkehr zu Gott leiten lassen? Bevor wir auf diese Frage eingehen, ist es notwendig, sich mit Gottes Wesen in Hinsicht auf seine Gerechtigkeit und sein Erbarmen auseinanderzusetzen. Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen Gott ist gerecht. Er nimmt daher die Sünde des Menschen nicht folgenlos hin. Seine Gerechtigkeit verlangt, dass Sünde gerichtet wird. Eine schwere Art der Sünde ist der Ungehorsam der Menschen – etwa, wenn andere Götter verehrt werden und nicht der eine, der wahre Gott (2. Mo. 20, 3). Über diesen Ungehorsam entbrennt der Zorn Gottes und Israel beispielsweise wurde infolge dieser Sünde mehrfach gerichtet (Jer. 25, 6-11). Die Zorngerichte Gottes haben dabei richtenden Charakter: Sie bewegen Menschen dazu, umzudenken und Gott zu suchen, ja, in der Not zu Gott zu schreien (Ps. 34, 18). Ist 66 das Umdenken und Umkehren als Zweck des göttlichen Gerichts erreicht, kann sich Gott seiner Geschöpfe wieder erbarmen, sogar dann noch, wenn sie bereits im Totenreich sind (Hiob 12, 22; Ps. 107, 10-14; Jona 2, 3). Dann triumphiert die Barmherzigkeit Gottes über das Gericht (Jak. 2, 13) – sind Gerichte doch Wege göttlichen Handelns (5. Mo. 32, 423), aber nicht endlos dauernder Zielzustand. Mit dem Triumph der Barmherzigkeit kommt Gottes Liebe letztlich zum Ziel, ohne dass Gottes Gerechtigkeit übergangen wurde. Gottes Gerichte sind schwer. Sie erstrecken sich über einen „Tag des Gerichts“ (Mt. 11, 24; 2. Petr. 2, 9) oder hinein in ein oder mehrere Zeitalter (Äonen). Gott vollzieht diese an die Zeitalter gebundenen Gerichte an Völkern wie an Edom (Mal. 1, 4), an einzelnen Menschen (Mk. 3, 29) und an Finsternismächten (Off. 20, 10). Wir sehen also auf der einen Seite Gottes schwere und auf Äonen bezogene Gerichte. Andererseits müssen wir den Zorn Gottes, der seiner Gerechtigkeit entspricht, immer in Verbindung mit seiner Gnade und seinem Erbarmen sehen. Gottes Gerichte sind zweckgerichtet – ist der Gerichtszweck erfüllt, so enden seine Gerichte (Jer. 3, 12; Micha 7, 18+19). Dass Gott nicht immer richtet, stellt der Psalmist David in allgemein gültiger Form fest (Ps. 103, 9-13): „Er wird nicht immer rechten, nicht ewig zürnen. Er hat uns nicht getan nach unseren Vergehen, nach unseren Sünden uns nicht vergolten. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so übermächtig ist seine Gnade über denen, die ihn fürchten. So fern der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Vergehen. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.“ 23 5. Mo. 32, 4 nach LXX: „Cund alle seine Wege [des Felsens, das ist Christus] sind Gericht8“ und damit auch gerecht. 67 Aufgabe der Gerichte Gottes ist es, diese (Ehr-)Furcht vor ihm hervorzurufen und die Herzen der Ungehorsamen zu demütigen. Diese Gerichtsaufgabe und seine Wirkung werden beispielhaft an den Seeleuten deutlich, die mit Jona unterwegs waren. Sie beteten Gott infolge der Gerichtshandlungen an und sprachen Gott gegenüber Gelübde aus (Jona 1). Ebenso befiel den Statthalter Felix eine Furcht, als Paulus über Gerechtigkeit und das kommende Gericht Gottes zu ihm redete (Apg. 24, 25). Für die Zukunft spricht die Bibel davon, dass sich die Nationen an Gott wenden und ihn fürchten werden, wenn sie sehen, wie mächtig und wunderbar er an Israel handelt (Micha 7, 17). Eine solche durch Gerichte Gottes hervorgerufene Furcht ist der Anfang der Erkenntnis Gottes (Sprüche 1, 7). Aus den Gerichten Gottes und seinem machtvollen Handeln – etwa an Israel – erwachsen Ehrfurcht gegenüber Gott, Erkenntnis seiner Souveränität sowie letztlich Anbetung seiner selbst. Gott zu fürchten, zu erkennen und anzubeten stellt eine typische Abfolge dar, wie sie sich aus der Wirkung der Gerichte und des Tuns Gottes ergeben. Den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit Gottes, die sich in Gerichten offenbart, der daraus resultierenden Furcht der Menschen und der Anbetung Gottes durch alle Nationen bezeugen uns auch die Überwinder des Widersachers Gottes, die ihn als den König der Nationen preisen (Off. 15, 4): „Wer sollte nicht fürchten, Herr, und verherrlichen deinen Namen? Denn du allein <bist> heilig; denn alle Nationen werden kommen und vor dir anbeten, weil deine gerechten Taten offenbar geworden sind.“ Die Herrlichkeitserwartung der Nationen Bis dahin erfahren die Nationen Gerichte. Die Gerichte Gottes an den Nationen erfahren einen Höhepunkt bei der sichtbaren Wiederkunft unseres Herrn, mit der die Zeit der gro- 68 ßen Bedrängnis endet. Jesus Christus selbst beschreibt uns ausführlich die erste große Gerichtsverhandlung bei seiner Wiederkunft (Mt. 25, 31-46), wenn alle Nationen vor dem Thron seiner Herrlichkeit versammelt werden. Wer die Aussagen unseres Herrn aufmerksam liest, merkt, dass das Gericht an den Nationen einem Maßstab unterliegt, der für die Rechtfertigung der Herausgerufenen keine Bedeutung hat. Während die Herausgerufene allein aufgrund der Gnade Gottes und dem Opfer des Gottessohnes gerechtfertigt ist und nicht ins Gericht kommt, werden die Menschen der Nationen nach dem Maßstab der tätigen Nächstenliebe beurteilt. Demnach werden die Ungerechten im kommenden Zeitalter Strafe24 erleiden. Sie erfahren das Gericht Gottes, bis sie in ihrer Not zu Gott schreien, und er sich ihrer erbarmt (siehe vorhergehender Abschnitt „Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen“). Die Gerechten dagegen erben das Reich Gottes – sie gehen in das kommende Friedensreich unseres Herrn Jesus Christus ein. In diesem kommenden Zeitalter haben sie die Möglichkeit, sich Gott ganz zuzuwenden und das Heilsangebot in Jesus Christus anzunehmen. Wie eröffnet Gott diese Möglichkeit? Die Menschen der Nationen, die das Reich Gottes erben, werden belehrt. Bei dieser Belehrung kommt dem Volk Israel eine hohe Bedeutung zu (Jes. 2, 2-4). Israel bringt den Nationen das Licht und damit das neue Leben durch das eine Licht, Jesus Christus. Gottes Heil wird durch diese Missionstätigkeit Israels bis an die „Enden der Erde“ reichen und alle Nationen umfassen (Jes. 49, 5+6; vgl. Abschnitt „Israel: Das erneuerte Volk als Licht der Völker“). 24 „Strafe“ (gr.: κόλασις): Das dazugehörige Verb „strafen“ (gr.: κολάζω) bedeutet nach SCHIRLITZ: „beschneiden, jedes Übermaß hindern,8, dann strafen“. Auch dies ist ein Hinweis auf den Charakter der Strafgerichte Gottes. 69 Keinen Zweifel lässt die Bibel daran, dass Gott sich aller seiner Geschöpfe erbarmt (Rö. 11, 32). Dem Zeugnis der Bibel nach werden einmal alle Nationen Gott anbeten (Ps. 86, 9+15; Off. 15, 4). Eine Beschränkung auf bestimmte Nationen oder auf eine Auswahl von gottesfürchtigen Menschen aus den Nationen trifft die Heilige Schrift nicht. Die Herrlichkeitserwartung der Nationen – gerichtet, erneuert zu werden und Gott anzubeten – ist in ihrer Tragweite allgemein gültig und in ihrer Ausgestaltung differenziert, insbesondere was die Schwere und die Dauer der Gerichte Gottes betrifft. Gott hat bei sich selbst geschworen, dass einmal jedes Geschöpf bekennen wird, dass nur in Gott, dem HERRN, Gerechtigkeit ist (Jes. 45, 20-24). Bedenken wir – wenn wir diesbezüglich Einwände haben oder Widerspruch vernehmen –, dass der Schwur das Ende allen Widerspruchs ist (Heb. 6, 16). Sollten wir daher angesichts des Eidschwurs Gottes nicht erst recht auf jeden Widerspruch verzichten? David schildert uns prophetisch, wie Gottes´ Schwur in Erfüllung geht (Ps. 22, 28-30): „Es werden daran gedenken und zum HERRN umkehren alle Enden der Erde; vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen. Denn dem HERRN <gehört> das Königtum, er herrscht über die Nationen. Es aßen und fielen nieder alle Fetten der Erde; vor ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfuhren, und der, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte.“ Psalm 22 ist als Leidenspsalm bekannt. Er verweist prophetisch auf das Leiden des Gottessohnes. Diese prophetische Aussage Davids hat sich erfüllt. Die Verheißung, dass „alle Enden der Erde“ zu Gott umkehren werden, wird sich ebenso erfüllen. In diese Umkehr zu Gott sind die Verstorbenen eingeschlossen, die „in den Staub hinabfuhren“. Das in Jes. 70 45 und in Psalm 2225 angesprochene Bekennen und Anbeten durch alle Nationen kann nur im Geist und in der Wahrheit geschehen – alles andere wäre Schein und damit ein betrügerisches Anbeten, an dem Gott kein Wohlgefallen hat. Damit sich diese Zusage Gottes erfüllen kann, müssen die Nationen von der Krankheit der Sünde gereinigt und geheilt werden. Diese Heilung geht von dem Baum des Lebens aus (Off. 22, 2): „In der Mitte ihrer Straße und des Stromes, diesseits und jenseits, <war der> Baum des Lebens, der zwölf<mal> Früchte trägt und jeden Monat seine Frucht gibt; und die Blätter des Baumes <sind> zur Heilung der Nationen.“ Dieser heilbringende Baum des Lebens ist Jesus Christus selbst, denn nur in ihm ist das Heil (Apg. 4, 12). Die Herrlichkeitserwartung der Nationen besteht demnach darin, durch die gerechten Gerichte Gottes zur Umkehr bewegt und durch Jesus Christus geheilt zu werden. Christus ist auch für die Menschen der Nationen der Heilbringer. Ist Gott doch ein Retter aller Menschen, besonders der Gläubigen (2. Tim. 4, 10). 25 In der LXX wird das auch in Off. 5, 14 mit „anbeten“ übersetzte griechische Verb „proskyneo´o“ verwendet; Anbetung: s. S. 79. 71 DER GLÜCKSELIGE GOTT Unser Ausgangspunkt bei der Betrachtung der Herrlichkeit Gottes und der Herrlichkeitserwartung unterschiedlicher Gruppen war 1. Tim. 1, 11. Hier spricht Paulus vom glückseligen Gott: „C nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen [auch: glückseligen26] Gottes, das mir anvertraut worden ist.“ Vielleicht ist uns der Gedanke fremd, dass Gott glückselig sein könnte? Gehen wir dem Gedanken nach, was Gott glückselig machen könnte. Dabei wollen wir das einbeziehen, woran Gott Wohlgefallen hat – ist das Wohlgefallen doch ein Auslöser für das Glückseligsein. Das Buch der Sprüche beschreibt uns, woran sich ein Vater erfreut (Spr. 23, 24): „Triumphierend jubelt der Vater eines Gerechten, 8“ Gott jubelt über einen Gerechten! Sein Sohn ist gerecht (Lk. 23, 47; Apg. 3, 14). Gott-Vater hat Wohlgefallen an seinem gerechten Sohn. Und der eine Gerechte ist die Rechtfertigung aller Menschen (Rö. 5, 18): „Wie es nun durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verdammnis <kam>, so auch durch eine Gerechtigkeit [auch: Gerechtsprechung; Rechtstat] für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens.“ Am Kreuz von Golgatha hat Jesus Christus für alle Menschen eine Gerechtsprechung erwirkt – mit welcher Folge hinsichtlich des glückseligen Gottes? So wie Gott über den einen Gerechten jubelt, wird er ebenso triumphierend jubeln, wenn die bereits juristisch erwirkte Rechtfertigung des Le26 Gr.: „κατὰ τὸ εὐαγγέλιον τῆς δόξης τοῦ µακαρίου θεοῦ, ὃ ἐπιστεύθην ἐγώ“; zum Adjektiv „makarios“ schreibt SCHIRLITZ: „glücklich, selig“ - so auch als Beschreibung Gottes in 1. Tim. 6, 15. 72 bens auch faktisch allen Menschen zugute gekommen ist. Damit haben wir eine erste Antwort darauf, worin die Glückseligkeit Gottes besteht: Es ist der Jubel über den einen Gerechten (den Sohn) und der Jubel Gottes über die durch den Sohn erwirkte Rechtfertigung zum Leben für alle Menschen. Ermöglicht diese Rechtfertigung doch, dass alles in dem Christus zusammengefasst und dadurch eine unumschränkte Liebesgemeinschaft erreicht wird. Und: Gott hat es wohl gefallen, uns dieses Geheimnis mitzuteilen und damit seinen Kindern zu enthüllen (Eph. 1, 9+10): „Er hat uns ja das Geheimnis seines Willens zu erkennen gegeben nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgenommen hat in ihm für die Verwaltung <bei> der Erfüllung der Zeiten; alles zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist – in ihm.“ Woran hat Gott noch Wohlgefallen? Gott hat Gefallen an der Gnade (Micha 7, 18): „Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Vergehen verzeiht dem Rest seines Erbteils! Nicht für immer behält er seinen Zorn, denn er hat Gefallen an Gnade.“ Gottes Gefallen an der Gnade ist Teil seiner Glückseligkeit – hat er doch kein Gefallen am Tod seiner Geschöpfe (Hes. 18, 32): „Denn ich habe kein Gefallen am Tod dessen, der sterben muss, spricht der Herr, HERR. So kehrt um, damit ihr lebt!“ Stattdessen führt Gott genau das aus, woran er Gefallen hat (Jes. 46, 10): „Cder ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, führe ich aus, 8“ Gott führt alles aus, woran er Gefallen hat. Hier gilt keine Einschränkung, keine Ausnahme. Gott hat Gefallen an Gnade, Recht und Gerechtigkeit (Jer. 9, 23). Gott hat nicht nur Gefallen an Gnade, Recht und Gerechtigkeit. Er führt diese Dinge so aus, dass sie zu umfassenden Heilstatsachen werden. Er kommt zum Ziel. Die Verwirklichung seiner Gerechtigkeit und seiner Gnade erreicht er durch sein Wort, das ist sein Sohn, der Christus (Jes. 55, 11): „Cso wird 73 mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird bewirken, was mir gefällt, und ausführen, wozu ich es gesandt habe.“ Sein Sohn ist die Gerechtigkeit und die Rechtfertigung zum Leben – durch Gericht und durch Gnade! Jetzt freut sich Gott an seinem erstgeborenen Sohn und an den Söhnen, denn sie sind angenehm vor dem Vater (Eph. 1, 627). Dabei behält Gott alle anderen im liebenden Blick, die das Heilsangebot in Jesus Christus noch nicht angenommen haben. Gott ist in vollem Maße glückselig, wenn er alles nach seinem Ratschluss durch sein richtendes und rettendes Wort ausgeführt und zum Ziel gebracht hat. Dazu dienen seine Gerichte, da sie die Gerichteten zur Erkenntnis Gottes und zum Anrufen seines Namens führen. Infolgedessen erbarmt sich Gott auch der dem Gericht unterliegenden Geschöpfe (Rö. 11, 32). Ist er doch ein Gott des Erbarmens und sein Zorn währt nicht endlos. So ist Gott letztlich auch in den Gerichten gütig gegenüber den Bösen (Lk. 6, 35). Gott erreicht seine Ziele – ganz so, wie er es in seinem unwandelbaren Ratschluss (Heb. 6, 17) zusammengefasst hat. Wenn sich Menschen in ihrer begrenzten Freiheit zunächst von Gott lossagen, so führt er sie doch durch Gerichte in die Gottesfurcht und zur Buße. Schreien sie in ihrer Not zu ihm und rufen sie seinen Namen an, so erbarmt er sich ihrer. So erfüllt sich auch an den gefallenen Geschöpfen Gottes Retterwille und seine Retterliebe. Denn Gott verfährt mit den Engeln wie auch mit den Menschen nach seinem Willen (Dan. 4, 32). Gott hat Gefallen daran, Engel und Menschen und gemäß Rö. 8, 20+21 auch die übrige Schöpfung in Christus mit sich zu versöhnen. So gefiel es der ganzen Gottesfülle, in Christus zu wohnen und (Kol. 1, 20) „C durch ihn alles mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht 27 „begnadigt“ = angenehm gemacht. 74 hat durch das Blut seines Kreuzes – durch ihn, sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.“ Die Grundlage dafür, dass Gott uneingeschränkt glückselig sein kann, ist der gerechte Sohn, über den der Vater jubelt (Spr. 23, 24). Dieser eine Gerechte hat für alle Menschen die Rechtfertigung des Lebens erwirkt (Rö. 5, 18). Diese Aussage wollen wir im Folgenden kurz im Textzusammenhang des Römerbriefs betrachten. Die Rechtfertigung des Lebens für alle Menschen in Christus Im Römerbrief zeigt uns Paulus auf, dass wir als Herausgerufene durch die Treue des Gottessohnes und durch den Glauben an Jesus Christus Zugang zu Gott haben (Rö. 5). Durch Christus haben wir Frieden mit Gott. Im selben Kapitel des Römerbriefs wendet sich der Apostel auch dem Verhältnis von Leben und Tod, von Sünde und Rechtfertigung in Bezug auf die Schöpfung zu. Er betrachtet nicht mehr eine einzelne Gruppe wie die Herausgerufene oder wie Israel. Paulus widmet sich der grundsätzlichen und allgemeingültigen Frage, wie sich der durch Adam in die Welt gekommene Tod und das Leben durch Christus zueinander verhalten. Paulus sieht dabei einen einfachen Zusammenhang zwischen Adam und Christus. Danach kam durch die Sünde eines (einzelnen und bestimmten) Menschen der Tod zu allen Menschen (Rö. 5, 12). Gleichermaßen kommt es nun – wie es durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verur- 75 teilung28 kam – durch eine Gerechtigkeit für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens (Rö. 5, 18). Die Übertragung und die Logik sind einfach und in sich schlüssig: So wie niemand von der Herrschaft der Sünde und des Todes ausgenommen ist, ist niemand von der Rechtfertigung des Lebens in Christus ausgenommen. Inhaltlich erklärt sich die Aussage der auf alle Menschen kommenden Rechtfertigung aus dem vollkommenen Opfer unseres Herrn. Er hat die komplette Schuld des Kosmos ans Kreuz getragen und die gesamte Kreatur für sich erkauft (Jo. 1, 29; 1. Jo. 2, 2; 1. Tim. 2, 6; Off. 5, 9). Gottes Wille ist, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit (Wahrheit = Jesus Christus) kommen (1. Tim. 2, 4). Diesen Willen setzt Gott um – bewirkt er doch alles nach dem Ratschluss seines Willens (Eph. 1, 11; Jes. 46, 10). Kann sich dem Willen Gottes irgendetwas wirkungsvoll entgegenstellen und damit den Heilsplan Gottes undurchführbar machen - sei es der Eigenwille des Menschen oder eine Finsternismacht? Nein, Gott ist El-Schaddai29, der Alles-Vermögende (1. Mo. 17, 1). Und so schafft Gott mit dem Wollen auch das Vollbringen (Ps. 115, 3; 135, 6; Phil. 2, 13) – sei es durch Gnade oder durch Gerichte als Bestandteil seiner Pädagogik. Er wirkt das Heil für die Herausgerufenen, für Israel, für die Nationen und für die gesamte Kreatur. Sein Sieg auf Golgatha ist ein vollkommener und ein ein für allemal gültiger Sieg (Heb. 7, 27), von dem kein geschaffenes Wesen im Himmel, auf der Erde oder unter der Erde ausgenommen ist (2. Tim. 4, 10; Off. 5, 13). 28 Verurteilung (gr.: κατάκριµα) statt „Verdammnis“. „κατά“ = herab; „κριµα“ nach SCHIRLITZ: „Cdas göttliche richterliche Urteil über die Menschen, so Jo. 9, 39C“ 29 Siehe Fußnote 6. 76 Die Ordnungen Gottes in der Erlösung und in der Vollendung Weil Gottes Heilsplan die gesamte Schöpfung – also alle erschaffenen Wesen – umfasst, sind auch die Tiere und die Engel nicht davon ausgenommen. Noch seufzt die Kreatur unter der Vergänglichkeit. Sie erwartet aber die Offenbarung der Herrlichkeit der Söhne Gottes (Rö. 8, 19). Denn nachdem Christus als Erstling der Entschlafenen auferstand (1. Kor. 15), wird zunächst die Herausgerufene von der Versklavung durch die Vergänglichkeit erlöst – die gesamte Schöpfung erst danach (Rö. 8, 20-22; SCHUMACHER): „Die Schöpfung wurde ja der Nichtigkeit unterworfen, nicht nach eigenem Willen, sondern durch den, der (sie) unterworfen hat, auf Hoffnung hin, dass auch sie selbst, die Schöpfung, (einmal) befreit werden wird vom Sklavendienst der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis auf den heutigen Tag zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt;“ Die Schöpfung wird zur Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit werden. Dabei lassen diese Verse des Römerbriefs erkennen, dass die Söhne Gottes als Erstlinge vor der Gesamtheit der Schöpfung von der Vergänglichkeit befreit werden (vgl. Jak. 1, 18). Über der Herausgerufenen steht als Erstgeborener aller Schöpfung – also aller Menschen und aller Tiere sowie Engel30 – der Sohn Gottes selbst. Sein Werden durch den Vater ist das Modell für die Gesamtheit, denn er ist der Erstgeborene aller Schöpfung (Kol. 1, 15-20): „Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles in den Himmeln und 30 Engel und Tiere loben Gott gemäß Psalm 148, 5+13. Siehe auch Phil. 2, 10+11 (Himmlische = Engel). 77 auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Gewalten oder Mächte: Alles ist durch ihn und zu ihm hin geschaffen; und er ist vor allem, und alles besteht durch ihn. Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang habe; denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes – durch ihn, sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.“ Jesus Christus als dem Erstgeborenen folgt die gesamte Schöpfung in einem Prozess der wesensbezogenen Neuwerdung gemäß Off. 21, 531. Sie wird in ihm gerechtfertigt und in ihm lebendig gemacht werden (1. Kor. 15). Dann ist auch die Kreatur in ein neues Leben gezeugt worden – wofür die Herausgerufene wiederum eine Erstlingsgabe ist. In kurzer Form fasst Paulus den Gedanken der Erneuerung in Christus gemäß den göttlichen Ordnungen in 1. Kor. 15, 2028 (Übersetzung von SCHUMACHER) zusammen: „Denn wie in dem Adam alle sterben, so werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in (seiner) eigenen Ordnung: als Erstling Christus, danach die zu Christus gehören, bei seiner Wiederkunft, dann der Abschluss, wenn er die Königsherrschaft dem Gott und Vater übergibt, nachdem er jede (andere) Herrschaft und jede (andere) Gewalt und Kraft beseitigt hat. Denn er muss (so lange) königlich herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod entmachtet. Denn alles hat er seinen Füßen untergeordnet. Wenn es aber heißt: »Alles ist untergeordnet«, so ist offenbar der ausgenommen, der ihm alles untergeordnet hat. Wenn ihm 31 vgl. Abschnitt: „Israels Stellung und seine Verheißungen“: „1. Die Sohnschaft“. 78 aber alles untergeordnet ist, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterordnen, der ihm alles untergeordnet hat, damit Gott alles in allen sei.“ Die Vollendung der Zeitalter ist erreicht, wenn der Sohn jede Herrschaft, Gewalt und Macht abgetan hat. Als letzten Feind wird er den Tod unwirksam werden lassen – insofern kann auch kein immer währender Tod über Menschen herrschen. Stattdessen macht Gott alle Geschöpfe des Alls lebendig in Christus (Rö. 5, 17; 1. Tim. 6, 1332). Alles ist dann dem Sohn und damit dem Vater unterworfen. So wird einmal jedes Geschöpf, sei es im Himmel, auf der Erde, unter der Erde oder auf dem Meer, den Gott-Vater und das Lämmlein lobpreisen (Off. 5, 13). Dann ist Gott alles in allen und die Vollendung ist erreicht. Denn so, wie es eine Zeit „vor aller Zeit“ (1. Kor. 2, 7; Judas 25) gab, so gibt es auch eine Vollendung der Zeitalter (1. Kor. 15, 24). Dann sind Gottes an die Zeit gebundenen Gerichte zum Ziel gekommen. Jedes Knie, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, wird sich in dem Namen Jesus anbetend beugen33 und jede Zunge wird bekennen, dass Jesus Christus Kyrios (d.h. Herr) ist. Diese Anbetung und das Bekennen ist zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil. 2, 10+11; SCHUMACHER): „Cdamit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge – der Himmlischen und Unterirdischen – und jede Zunge bekenne: »Herr (ist) Jesus Christus!« zur Ehre Gottes, des Vaters.“ 32 Gott lässt lebendig werden: a) das All bei der Schöpfung (Wiederherstellung) nach 1. Mo. 1, 31; b) alle bei der Auferstehung der Toten gemäß 1. Kor. 15, 21 und c) alle zur Rechtfertigung des Lebens für alle gemäß Rö. 5, 12+18. 33 Hinweis: „anbetend beugen“ ist dasselbe Verb, das in Rö. 11, 4 für die Anbetung des Baal verwendet wird. Es bedeutet nach SCHIRLITZ: „Die Kniee vor Jem. beugen (um anzubeten)“. 79 Was können wir angesichts der Herrlichkeitserwartung der gesamten Schöpfung noch sagen, staunt der Apostel Paulus (Rö. 8, 31). Eines jedoch bleibt: Der Vater wird eins mit dem Sohn in Verbundenheit mit dem Heiligen Geist sein (Jo. 17, 11+22; 14, 26; 15, 26). Innerhalb der Gottheit ist der Sohn dem Vater untergeordnet. Dem Sohn ist die Herausgerufene untergeordnet wie der Körper dem Kopf. Vater und Sohn haben trotz der göttlichen Einheit unterschiedliche Stellungen – und unterschiedliche Herrlichkeiten. Der Sohn und die Kinder Gottes haben unterschiedliche Stellungen und Herrlichkeitsausprägungen – trotz der Einheit, die sie als Gesamtkörper bilden. So haben dereinst alle Wesen unterschiedliche Stellungen und Herrlichkeiten – und gleichzeitig wird der Sohn alles in allem sein. Die Herrlichkeitsausprägungen unterscheiden sich voneinander wie sich der Glanz der Sterne voneinander unterscheidet (1. Kor. 15, 41). Alle aber werden vereint sein in der Anbetung Gottes, des Vaters und des Sohnes durch den Heiligen Geist. Dann ist Gott angesichts dieser Herrlichkeit glückselig – er freut sich all seiner Werke (Ps. 104, 31). Das Evangelium von der Herrlichkeit des glückseligen Gottes führt uns angesichts der Herrlichkeitserwartung für die gesamte Schöpfung in den Lobpreis Gottes, des Vaters, durch Jesus Christus im Heiligen Geist. 80 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Allgemein: Gr LXX revElb V Griechisch Septuaginta (griechische Übersetzung des Alten Testaments) revidierte Elberfelder Übersetzung Vers Abkürzungen biblischer Bücher: Apg Apostelgeschichte Chr Chronika Dan Daniel Eph Epheser Gal Galater Heb Hebräer Hes Hesekiel Hos Hosea Jak Jakobus Jer Jeremia Jes Jesaja Jo Johannes Jos Josua Kö Könige Kol Kolosser Kor Korinther Mal Maleachi Mk Markus Mt Matthäus Mo Mose Off Offenbarung Petr Petrus Phil Philipper Ps Psalm Ri Richter Rö Römer 81 Sa Spr Thes Tim Samuel Sprüche Thessalonicher Timotheus LITERATURANGABEN DIE HEILIGE SCHRIFT (2005). Christliche Schriftenverbreitung Hückeswagen. EINERT, W.: Kurzkommentar zum Neuen Testament (verschiedene Bände). Selbstverlag. JUGEL, W. (1999): Die Feste Israels. Paulus-Paperback Band 33. SCHIRLITZ, S. Ch. (1893): Griechisch-deutsches Wörterbuch zum Neuen Testamente. Verlag von Emil Roth. Giessen. SCHUMACHER, H. (1995): Die Namen der Bibel und ihre Bedeutung im Deutschen. Paulus-Verlag Karl Geyer. SCHUMACHER, H. (2002): Neues Testament mit Anmerkungen. Hänssler-Verlag. 82 ANHANG: BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 1. JHWH Im Folgenden möchte ich fünf kurze Hinweise darauf anführen, dass Jesus Christus im Alten Bund JHWH genannt wird. a) JHWH bedeutet gemäß 2. Mo. 3, 14-16 „Ich bin, der ich bin“. Jesus Christus bezieht sich mit seinen „Ich bin“-Worten wie in Jo. 8, 12 oder Apg. 9, 5 auf den Gottesnamen JHWH. Man beachte, dass die „Ich bin“-Worte im Griechischen mit „ego´o eimi“ eine Hervorhebung und Dopplung des „Ich“Wortes enthalten, da „eimi“ als Verb bereits „ich bin“ aussagt. Daher könnte man auch mit „Ich, ich bin“ übersetzen. b) Der Gottesname JHWH wird in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments mit dem Titel „Kyrios“ widergegeben (z.B. 2. Mo. 16, 10). Jesus Christus ist nach dem Zeugnis der Schrift der Kyrios (1. Kor. 8, 6; 2. Petr. 1, 14). c) JHWH ist der Fels, vollkommen in seinem Tun (5. Mo. 32, 3+4). Der Fels aber ist der Christus (1. Kor. 10, 4), der für Israel zum Fels des Ärgernisses wurde (Rö. 9, 32+33). d) JHWH ist der Retter und der Richter. JHWH bezeugt in 2. Mo. 6, 6, dass er Israel retten und Gericht ausüben wird. Der Retter der Welt ist Jesus Christus (Jo. 4, 42; 1. Jo. 4, 14), dem der Vater alles Gericht übergeben hat (Jo. 5, 22). e) JHWH ist der Sohn, durch den alles erschaffen wurde Amos 4, 13: „Ja, siehe, der die Berge bildet und den Wind erschafft und dem Menschen mitteilt, was sein Sinnen ist, der die Morgenröte <und> die Finsternis macht und einher- 83 schreitet auf den Höhen der Erde: Jahwe, Gott der Heerscharen, ist sein Name.“ Der Sohn hat alles nach dem Willen des Vaters erschaffen (Jo. 1, 10; Rö. 11 ,36) – er ist also JHWH, der die Berge gebildet und den Wind erschaffen hat. Jesus Christus trägt das All durch sein mächtiges Wort (Heb. 1, 3). In dem Sohn hat der Vater auch die Weltzeiten bzw. die Zeitalter erschaffen (Heb. 1, 2 wörtlich: „Cdurch den er auch die Welten [wörtlich: die Äonen] gemacht hat.“). 2. Äon und Äonisch Wie wir bereits gesehen haben, hat der im griechischen Text des Neuen Testaments stehende Begriff „äonisch“ (häufig mit „ewig“ übersetzt) eine mehrfache Bedeutung. 2.1 Äonen sind Zeiträume mit Anfang und Ende „Äonisch“ hat einerseits die Bedeutung von „auf ein Zeitalter“ bezogen, da das im Griechischen für „Ewigkeit“ verwendete Wort AIOo´N (Äon) „Zeitalter“ bedeutet. Ein Zeitalter hat einen Anfang und ein Ende. Deswegen kann dieser Begriff auch in der Mehrzahlform verwendet werden (Gal. 1, 5; 2. Tim. 4, 18; Heb. 1, 2). Äonisches Leben geschenkt zu bekommen, heißt, im kommenden Äon (Zeitalter) Leben zu haben (Lk. 18, 30). 2.2 Äonen verbergen („verhüllen“) Geheimnisse Gottes Zudem dienen Äonen dazu, Geheimnisse Gottes zu verbergen – so etwa das Geheimnis des Christus und seines Heilsplans (Eph. 3, 9 in Verbindung mit Eph. 1, 9 + 10; s. auch Rö. 16, 25). Das Verbergen dient dazu, die Vollendung des Heilsplans abzusichern. In dieser Weise argumentiert Paulus in 1. Kor. 2, 6-10 hinsichtlich der Weisheit Gottes, in der er das Geheimnis Gottes – und damit auch den Christus und seinen Heilsauftrag - verbarg. 84 Infolge des Verbergens vor den Äonen und durch die Äonen hindurch haben die Fürsten dieses Äons die Weisheit Gottes nicht erkannt – sonst hätten sie Christus nicht gekreuzigt. Christus ist das äonische Leben, das offenbart worden ist (1. Jo. 1, 2). Unser Gott ist ein äonischer (verborgener) Gott, zu dessen Erkennen es einer Offenbarung durch den Sohn bedarf (Mt. 11, 27). Da Gott in Christus auch die Äonen erschaffen hat (Heb. 2, 10; Off. 4, 11), steht er in seiner Unsterblichkeit (1. Ti. 6, 16) über den Zeitaltern. 2.3 Die Äonen werden vollendet, wenn Christus das Ziel der Heilsgeschichte erreicht hat Das Ende (gr.: telos, d.h. die Vollendung) der äonenlangen Heilsgeschichte ist erreicht, wenn der Sohn alle Herrschaftsmächte unwirksam gemacht hat (1. Kor. 15, 24) – darunter auch den Tod als letzten Feind (1. Kor. 15, 26). Das unwirksam Machen ist Voraussetzung dafür, dass alles in Christus hinauf gehauptet (d.h. seiner Stellung als Haupt untergeordnet) wird (Eph. 1, 10). Dann werden auch alle Zungen anbetend bekennen, dass Christus der Kyrios, der Herr, ist (Phil. 2, 11). Der Sohn ordnet sich dem Vater unter, damit Gott alles in allem sei (1. Kor. 15, 28). Halten wir fest, dass wir in Christus alles geschenkt bekommen (Rö. 8, 32) und als Körperglieder vollständigen Anteil an seinem Wesen haben. 85 Raum für Notizen: 86 87 Selbstverlag www.doxa-theou.de 2. Auflage 2011 ISBN 978-3-00-029092-3