Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer

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Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer
25. Dezember 2005
„Das Wort ist Fleisch geworden.“ Im Vergleich zum Weihnachtsevangelium in der
Nacht ist das sehr abstrakt, keine Erzählung von den Personen, von den Hirten, von
Maria, Josef, Ochs und Esel, nichts von der Krippe, auch nicht direkt etwas von der
stillen und heiligen Nacht. Es will aber nicht mehr und auch nicht weniger sagen:
dieses Geschehen in Bethlehem sagt uns, wer Gott ist. Gott ist nicht das Eine und
das Kind in der Krippe das Andere. Wer und was Gott ist, das dürfen wir am Ereignis
von Bethlehem ablesen. Gott ist nicht heute dies und morgen das. Jesus ist auch
nicht nur so etwas wie eine Maske Gottes unter anderen. Nein, er ist das
unwiderrufliche Wort, das Gott nicht mehr zurücknimmt.
Das Wort ist Fleisch geworden, das ist auch nicht vereinbar mit Vorstellungen, die
unser Verhältnis zu Gott in das Bild von einem Elefanten kleiden, den mehrere
Augen mit jeweils verbundenen Augen betasten: Wer die Beine betastet, spricht von
einer Säule. Wer den Rüssel betastet, von einem Schlauch. Wer den Leib betastet,
von einem Teppich, und so haben Recht und Unrecht zugleich. Viele vergleichen die
Religionen, Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus, Hinduismus,
Naturreligionen, Schamanismus, Taoismus usw. Jede Religion nimmt einen Teil
Gottes wahr. Wir dürfen uns von diesem Bild des Elefanten nicht täuschen lassen.
Richtig ist: Wir werden mit dem Verstehen der Wahrheit nie fertig. Aber wir sind als
Christen sind wir nicht blind wie Menschen, die mit verbundenen Augen die
Wirklichkeit deuten. Denn Gott, die Wahrheit hat ein Gesicht. Sie zeigt sich ein für
allemal in dem Antlitz Jesu. Gott ist in Bethlehem nicht Elefant, sondern Mensch,
Kind geworden. Die Wahrheit, die Gott ist, begegnet uns als Antlitz dieses einen von
Maria in einem Viehstall vor den Toren Bethlehems geborenen Menschen. – Als
Christen sind wir gerade zu Weihnachten herausgefordert, uns zu Jesus Christus zu
bekennen. Das gibt uns in der Toleranz gegenüber anderen Religionen und im
Dialog mit ihnen ein Rückgrat. Wir brauchen uns für Jesus nicht zu schämen.
Zu Weihnachten feiern wir nicht einen, der schwülstige Worte an die Stelle von Taten
gesetzt hat, auch nicht einen, der sich rein bewahrt und heraushält aus dem Dreck
und sich nicht schmutzig machen würde bei der Arbeit. Gott ist nicht einer, der sich
heraushält und jenseits von Schmerz und Leid, von Angst und Kälte, von Dunkelheit
und Nicht-mehr-weiter-Wissen thront. Gott ist ein konkreter Mensch geworden, hat
Hand und Fuß, Fleisch und Blut bekommen, in der Kälte und im Dunkel eines Stalls,
mitten in der Gesellschaft. Gott ist nicht zu trennen von Jesus Christus. Er setzt sich
mit keinen anderen Mitteln durch als mit denen der wehrlosen, angenagelten,
gekreuzigten Liebe. Gott ist nicht einmal gewalttätig und ein andermal gewaltlos, er
ist nicht einmal einer, der hasst und verachtet und wenn er die Laune hat, ganz
sympathisch, er ist nicht einmal gut und ein andermal böse.
Gott hat Sehnsucht nach dem Menschen. Nichts anderes feiern wir zu Weihnachten:
Gott ist die Sehnsucht nach dem Menschen – nicht nach allen auf einmal, nicht nach
einigen Auserwählten, nein, nach jedem Einzelnen, so sehr, dass er in Jesus
Christus selber Mensch geworden ist. Und seitdem ist jeder Mensch Bruder und
Schwester Christi. Im Menschen Jesus Christus ist das Antlitz Gottes sichtbar. Der
große Tiroler Bischof Nikolaus Cusanus schreibt im 15. Jahrhundert: „Dein Sehen,
Herr, ist Lieben, und wie dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie
abwendet, so auch deine Liebe. Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da dein
Sehen dein Sein ist, bin ich also, weil du mich anblickst. Indem du mich ansiehst,
lässt du, der verborgene Gott, dich von mir erblicken. Und nichts anderes ist dein
Sehen als Lebendigmachen.“ Und Papst Benedikt XVI. bei seiner Amtseinführung im
April 2005: „Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder
Mensch ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder
ist gebraucht.“
Es wird uns bezeichnenderweise von Jesus kein einziges Verdammungsurteil über
einen konkreten Menschen überliefert. Keiner wird von ihm als hoffnungsloser Fall
abgetan: weder die stadtbekannte Dirne, noch der korrumpierte Zöllner, noch der am
Kreuz sterbende Verbrecher. - Vielleicht ist es das, was Menschen, die zunächst mit
der Kirche nicht so viel zu tun haben, treibt: die verschüttete Sehnsucht nach einer
Liebe, die jeden umarmen will – mit aller Schuld und Vergangenheit, mit allem
Versagen und aller Armseligkeit, mit aller Schwäche und Angst. Ich denke, dass sich
unter dem Rummel um Weihnachten diese Sehnsucht nach einem Licht verbirgt, das
jedes Dunkel besiegen kann, das Heimweh nach einem Goldgrund, das Heimweh
nach einer Liebe.
Gott bindet sich an den Menschen und er will nichts ohne uns tun, weil er sich an
uns, unsere Freiheit, an unser Herz, an unseren Glauben und an unsere Liebe
gebunden hat. Und daher sind wir vom Kind in der Krippe her mit allen verbunden,
die in aller Welt verstreut sind, und auch über die Welt hinaus. In der Angewiesenheit
des Kindes zeigt sich die Notwendigkeit der menschlichen Gemeinschaft. Gott ist
Kind geworden, ein Wesen, dessen erster Laut das Schreien ist, angewiesen auf die
bergende Liebe der Menschen. Das Geschehen in der Krippe hält nicht den
Egoismus und den Geiz für „geil“, es sanktioniert nicht die Gewalt und die
Aggression als „natürlich“, es betreibt nicht den Kult des starken, schönen und
gesunden Menschen, es kehrt die menschlichen Ordnungen von Reichtum, Macht
und auch von vordergründigem Glück um. Die Botschaft der Krippe mutet uns zu,
dass wir einander aufgetragen sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen,
einander Hüter und Hirten sind. Das Evangelium traut uns zu, dass wir Freunde und
Anwälte des Lebens sind, Freunde des geborenen und des ungeborenen, des
entfalteten und des behinderten, des irdischen und des ewigen Lebens; Freunde und
Anwälte des Lebens angesichts der Bedrohung der Menschenwürde durch
Todesstrafe, Kriege, Hunger, Krankheit und himmelschreiender Ungerechtigkeit.
Was das positiv heißt, haben wir in Tirol im vergangenen Sommer erfahren. Die
Lasten des Aufräumens nach dem Hochwasser wurden miteinander getragen, Zeit
geschenkt, Feindschaften überwunden, Leben geteilt, Geld gespendet. Unser Land
Tirol ist ein Krippenland und so auch Teil des Geschehens in der Krippe,
Weihnachten spielt sich auch in der Gegenwart ab.
Wenn Gott Maria erwählt, wenn Gott selbst in der Krippe von Bethlehem auf diese
Welt kommen will, so können wir nicht einfach Zuschauer sein wie bei einem Theater
und daneben stehen, um uns an den freundlichen Bildern zu freuen. Wir selbst sind
in die Handlung des Weihnachtsfestes mit hineingestellt.
Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck
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