Predigt zum Ewigkeitssonntag über Lied 753

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Predigt zum Ewigkeitssonntag über Lied 753:
"Ich bin ein Gast auf Erden" (Paul-Gerhardt-Lieder VII)
Linsebühl, 25. November 2007; von Pfr. Stefan Lippuner
Lesung:
Johannes 14,1-3
Philipper 3,20-21
Jesus sprach:
"Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an
Gott und glaubt an mich! Im Haus meines
Vaters sind viele Wohnungen; wäre es
nicht so, hätte ich euch dann gesagt: Ich
gehe, um euch eine Stätte zu bereiten?
Und wenn ich gegangen bin und euch
eine Stätte bereitet habe, komme ich
wieder und werde euch zu mir holen,
damit auch ihr dort seid, wo ich bin."
Denn unsere Heimat ist im Himmel; von
dort erwarten wir auch als Retter den
Herrn Jesus Christus, der unseren
armseligen Leib verwandeln wird in die
Gestalt seines herrlichen Leibes aufgrund
der Macht, mit der er sich auch das All zu
unterwerfen vermag.
RG 753, Str. 1.2.4.5.8.9:
1. Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist
mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe,
die schliesst all Arbeit zu.
2. Was ist mein ganzes Wesen von meiner Jugend an als Müh und Not gewesen? Solang
ich denken kann, hab ich so manchen Morgen, so manche liebe Nacht mit Kummer und mit
Sorgen des Herzens zugebracht.
4. So will ich zwar nun treiben mein Leben durch die Welt; doch denk ich nicht zu bleiben in
diesem fremden Zelt. Ich wandre meine Strassen, die zu der Heimat führt, da mich ohn alle
Massen mein Vater trösten wird.
5. Mein Heimat ist dort droben, da aller Engel Schar den grossen Herrscher loben, der alles
ganz und gar in seinen Händen träget und für und für erhält, auch alles hebt und leget, wie
es ihm wohlgefällt.
8. Du meines Herzens Freude, du meines Lebens Licht, du ziehst mich, wenn ich scheide,
hin vor dein Angesicht ins Haus der ewgen Wonne, da ich stets freudenvoll gleich wie die
helle Sonne mit andern leuchten soll.
9. Da will ich immer wohnen – und nicht nur als ein Gast – bei denen, die mit Kronen du
schön geschmücket hast; da will ich herrlich singen von deinem grossen Tun und frei von
eitlen Dingen in meinem Erbteil ruhn.
2
Liebe Gemeinde.
Ein Tourist durfte einmal in einem Kloster übernachten. Er war sehr erstaunt über die
einfache, ja spartanische Einrichtung der Zellen der Mönche und fragte sie: "Wo habt ihr
denn alle eure Sachen, eure Möbel und so? Habt ihr nicht mehr Einrichtungsgegenstände?"
Die Mönche schauten ihn überrascht an und fragten schlagfertig zurück: "Ja, wo haben
denn Sie Ihre Sachen? Wir sehen bei Ihnen auch keine Möbel und so." "Meine?" erwiderte
der Tourist verblüfft. "Ich bin doch hier nur auf der Durchreise." "Eben", sagten da die
Mönche, "das sind wir auch".
"Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist
mein Vaterland." In seinem Lied hat Paul Gerhardt die tiefe Einsicht aufgenommen, die
auch die Mönche in dieser Geschichte hatten; eine Einsicht, die so alt ist wie das
Christentum selbst. Schon die ganz frühen Christen lebten mit dem Selbstverständnis: Wir
sind hier in dieser Welt nicht eigentlich zu Hause, wir befinden uns hier in der Fremde, wir
sind nur auf der Durchreise, unterwegs zu einer anderen Welt.
In der Bibel, im Neuen Testament zeigt sich das zum Beispiel beim Apostel Paulus im Text
aus dem Philipperbrief: "Denn unsere Heimat ist im Himmel"; oder im Vers aus dem
Hebräerbrief, den ich ganz am Anfang des Gottesdienstes genannt habe: "Wir haben hier
keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige" [Hebräer 13,14]; oder auch darin,
wie Petrus in seinem Brief seine Leser anspricht: "Ihr Geliebten, ich ermahne euch als
Pilger und Fremdlinge" [1. Petrus 2,11].
Auch in der christlichen Literatur aus den ersten paar Jahrhunderten im Anschluss an die
neutestamentliche Zeit kommt dieses Selbstverständnis immer wieder zum Ausdruck: Als
Christen sind wir in diesem Leben nicht in unserer wahren Heimat, wir gehören nicht wirklich
zu dieser Welt, wir sind Fremde, wir sind Pilger. "Ich bin ein Gast auf Erden." – Das Wesen
eines Gastes besteht ja darin, dass er sich nur vorübergehend an einem bestimmten Ort
aufhält. Vielleicht befindet er sich durchaus für eine längere Zeit an diesem Ort (gerade in
früheren Zeiten waren reiche Leute manchmal monatelang zu Gast in einem Nobelhotel in
Luzern oder Interlaken); vielleicht gefällt es einem Gast auch ausgesprochen gut an diesem
Ort. Und doch muss er irgendwann einmal wieder aufbrechen und weiterziehen bzw. nach
Hause gehen. Zu Gast ist man immer nur vorübergehend.
Dasselbe gilt nun auch für das Leben eines Christen: "Ich bin ein Gast auf Erden und hab
hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland." Unser Aufenthalt auf
Erden, unser irdisches Leben dauert nicht ewig, sondern ist nur vorübergehend. Irgendwann
einmal müssen wir aufbrechen und weiterziehen. "Wir haben hier keine bleibende Stadt,
sondern wir suchen die zukünftige."
Allerdings sind wir uns dessen oft gar nicht so bewusst. Wenn uns der Tod begegnet,
dann zwar schon; wenn jemand, der uns nahe gestanden ist, stirbt oder wenn wir durch eine
schwere Krankheit oder eine lebensgefährliche Situation selber dem Tod in die Augen
sehen, dann tritt es durchaus schlagartig in unser Bewusstsein, dass das Leben auf dieser
Erde nur etwas Vorläufiges und Vorübergehendes ist.
Aber wenn alles einigermassen rund läuft im Leben, dann denken wir doch meistens
überhaupt nicht daran. Wir leben in den Tag hinein; wir bemühen uns darum, unseren Alltag
recht (oder manchmal auch schlecht) zu bewältigen; wir machen Pläne für die Zukunft; wir
richten uns ein in dieser Welt, wie wenn wir für immer hier bleiben würden. Und darum ist
der Schock dann manchmal so gross, wenn wir uns bewusst werden müssen, dass wir halt
doch nur Gäste auf Erden sind.
Welche Auswirkungen darauf, wie wir dieses irdische Leben verbringen, hat nun aber
diese Erkenntnis, dieses Selbstverständnis, dass wir Pilger und Fremdlinge in dieser Welt
sind? In der frühen Kirche gab es zwei Tendenzen: Die eine bestand in der völligen
Absonderung von der Welt, im radikalen Bruch mit der bösen Welt. Die andere Tendenz
ging weniger weit und sagte: Als Christen unterscheiden wir uns äusserlich nicht von der
Welt, sind wir nicht abgesondert von der Welt, aber unsere innere Haltung zu den Dingen
der Welt ist eine andere.
3
So wie es Paulus im 1. Korintherbrief ausdrückte: "Das sage ich, liebe Brüder und
Schwestern: Die Zeit drängt. So sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie
keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht;
und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die sich die Dinge dieser Welt zunutze
machen, als nutzten sie sie nicht. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht." [1. Korinther 7,2931].
Beide Tendenzen jedoch zeugen von einem recht negativen Verständnis der Welt und des
irdischen Lebens. Und diese stark negative Sicht auf das Vorläufige des Irdischen meine
ich auch in unserem Lied von Paul Gerhardt zu finden, wenn es etwa in der 2. Strophe
heisst: "Was ist mein ganzes Wesen von meiner Jugend an als Müh und Not gewesen?"
Oder in Strophe 3 (die wir nicht gesungen haben): "Mich hat auf meinen Wegen manch
harter Sturm erschreckt." In den Strophen 6 und 7 drückt es Gerhardt dann noch massiver
aus: "Die Welt bin ich durchgangen, dass ich's fast müde bin. Je länger ich hier walle, je
wen'ger find ich Freud. (…) Die Herberg ist zu böse, der Trübsal ist zu viel."
So ist es kein Wunder, dass er sich danach sehnt, diese fremde, notvolle Welt verlassen zu
können: Strophe 4: "So will ich zwar nun treiben mein Leben durch die Welt; doch denk ich
nicht zu bleiben in diesem fremden Zelt"; und nochmals in der 7. Strophe: "Komm, mach ein
selig Ende mit meiner Wanderschaft." – Sicherlich können wir Paul Gerhardt verstehen in
dieser Sehnsucht; immerhin hat er selber sehr viel Leid erfahren müssen: 30 Jahre Krieg
mit allen seinen schrecklichen Aus- und Nachwirkungen, in der eigenen Familie der Tod von
vier seiner fünf Kinder im Säuglingsalter, die konfessionellen Auseinandersetzungen in
Berlin, die an die Substanz gingen und ihn schliesslich das Pfarramt kosteten.
Mit solchen Leidenserfahrungen ist es kein Wunder, wenn sich ein Mensch danach sehnt,
endlich nicht mehr Gast auf Erden sein zu müssen, sondern diese böse Welt verlassen zu
können. – Allerdings, meine ich, dürfen wir dieses Lied von Paul Gerhardt auch nicht für
sich ganz allein betrachten. Der grosse Dichter hat ja auch ganz andere Lieder geschrieben,
die durchaus viel Lebensfreude ausstrahlen und diese negative Sicht auch korrigieren; zum
Beispiel: "Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines
Gottes Gaben" [Lied 537,1] oder: "Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens
Lust; ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst. Was sind wir doch? Was
haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben wird?" [Lied
723,1.3].
Ich bin fest überzeugt, dass unser jetziges Leben in dieser Welt, auch wenn es letztlich
nur vorläufig ist, doch einen grossen Wert und einen Sinn hat. Immerhin hat Gott uns
dieses Leben geschenkt, und er hat es uns sicher nicht einfach dazu gegeben, dass wir es
verachten und nur als Wartezeit absitzen. Gott will, dass wir unser irdisches Leben sinnvoll
verbringen, dass wir es gestalten, verantwortungsvoll gestalten, dass wir uns auch am
Leben und allem Schönen darin freuen können und dass wir die Herausforderungen und
Schwierigkeiten zu meistern suchen. Denn auch wenn dieses Leben noch nicht alles und
nicht das Eigentliche ist, so ist es doch eine wichtige und notwendige Vorbereitungszeit auf
das Eigentliche, die nicht übersprungen werden kann.
Wir sollen und dürfen wirklich leben auf dieser Erde, in dieser Welt. Unser irdisches Leben
hat einen Sinn, ob es nun viele Jahre dauert oder auch nur kürzer ist. Und trotzdem sollen
wir uns immer bewusst sein: Es ist nicht das Letzte, sondern nur das Vorletzte; wir sind
nicht eigentlich zu Hause in dieser Welt, sondern wir sind Gäste und Pilger. – Pilger sein,
heisst aber auch: ein Ziel vor Augen haben, und zwar ein Ziel, das nicht nur der Weg ist.
Unser Ziel soll nicht nur darin bestehen, unser irdisches Leben möglichst gut und erfolgreich
zu absolvieren und hinter uns zu bringen; das Ziel unseres Lebensweges soll über das
Irdische hinausgehen.
Das betont Paul Gerhardt in seinem Lied wieder völlig zu Recht: "Mein Heimat ist dort
droben, da aller Engel Schar den grossen Herrscher loben" (Strophe 5); und in den
Strophen 8 und 9: "Du ziehst mich, wenn ich scheide, hin vor dein Angesicht ins Haus der
ewgen Wonne. (…) Da will ich immer wohnen – und nicht nur als ein Gast – (…) und frei
von eitlen Dingen in meinem Erbteil ruhn."
4
Der Blick auf das Ziel, der Blick auf die jenseitige, neue, noch wunderbarere Welt, der Blick
auf die Ewigkeit ist also durchaus richtig und sinnvoll, ja notwendig, nicht nur am
Ewigkeitssonntag, sondern das ganze Leben lang. Ich glaube nämlich, dass wir mit der
Erwartung der Ewigkeit und der himmlischen Heimat gerade auch unser irdisches Leben
in einem anderen Licht sehen und anders, bewusster gestalten können.
So gibt mir der Blick auf das ewige Leben mehr Gelassenheit im jetzigen Leben. Ich muss
mir keinen "Lebensstress" machen und meinen, ich müsste in der kurzen oder auch etwas
längeren Spanne zwischen Geburt und Tod alles, was möglich ist, gesehen und erlebt und
erreicht und abgeschlossen haben. Ich habe ja noch die ganze Ewigkeit vor mir, in der Gott
alles, was im Irdischen bruchstückhaft geblieben ist, vollständig und vollkommen machen
wird.
Ich darf auch Kraft und Trost bekommen, wenn ich es schwer habe im jetzigen Leben,
wenn ich Not und Leiden erfahren muss. Denn ich weiss ja: Auch das ist nicht das Letzte;
es wird alles einmal vergehen; in meiner wahren, himmlischen Heimat gibt es solches nicht
mehr – so wie es fast am Schluss in der Offenbarung des Johannes heisst: "Und ich sah
einen neuen Himmel und eine neue Erde. (…) Und Gott wird bei den Menschen wohnen,
und sie werden sein Volk sein. Und er wird alle Tränen abwischen von ihren Augen, und der
Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn
das Erste ist vergangen." [Offenbarung 21,1.3.4]. Und das ist keine billige Vertröstung aufs
Jenseits, sondern wirklich ein Trost. Gott wird auch all das, was mir durch Not und Leiden
an Leben geraubt wurde, wieder herstellen.
Ich kann mit dem Blick auf die Ewigkeit auch zuversichtlich und getrost sein in Bezug auf
meinen eigenen irdischen Tod, der ja bei mir wie bei allen von uns irgendwann einmal
kommen wird. Ich darf gewiss sein: Der Tod ist nicht das Ende von allem, sondern nur das
Ende der Pilgerreise und damit der Durchgang zum Ziel, zum eigentlichen Leben, zur
wahren und ewigen Heimat.
So kann ich wirklich leben auf dieser Erde, was immer auch geschieht, was immer auch mir
begegnet an Schönem oder an Schwerem, was immer ich für Aufgaben habe. Denn ich
habe ein Ziel vor Augen, das über das irdische Leben hinausgeht und das gleichzeitig
dieses irdische Leben bereits mit einem himmlischen Licht erhellt.
Eine kleine, aber ausgesprochen wichtige Anmerkung muss ich zum Schluss allerdings
noch machen: All das, was ich jetzt gesagt habe über die irdische Pilgerschaft und die
himmlische Heimat, gilt nicht einfach so und allgemein, sondern ist gebunden an Jesus
Christus. Im Lied von Paul Gerhardt wird das zwar nicht gesagt, es wird selbstverständlich
vorausgesetzt; doch in den beiden Bibeltexten, die ich Ihnen gelesen habe, kommt es zum
Ausdruck. Paulus schrieb ja im Philipperbrief: "Denn unsere Heimat ist im Himmel; von dort
erwarten wir auch als Retter den Herrn Jesus Christus." – Und Jesus sagte in seiner
Abschiedsrede in Johannes 14, dass er es ist, der hingehen werde, um uns eine Stätte,
einen ewigen Wohnort zu bereiten.
Die Verheissung der himmlischen Heimat in der Ewigkeit ist also gebunden an Jesus
Christus. Denn er ist es, der durch sein eigenes Sterben und durch seine anschliessende
Auferstehung den Tod überhaupt überwunden hat und das ewige Leben auch für uns
eröffnet hat. Er sagte selber: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt,
wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit
nicht sterben." [Johannes 11,25-26]. – Nur wenn wir also an Jesus Christus glauben, gilt
für uns die Verheissung des ewigen Lebens.
Doch wenn wir an ihn glauben, wenn wir auf ihn vertrauen, wenn wir mit Jesus Christus
verbunden sind in unserem irdischen Leben, dann gilt die Verheissung wirklich, und wir
dürfen freudig und zuversichtlich singen: "Du meines Herzens Freude, du meines Lebens
Licht, du ziehst mich, wenn ich scheide, hin vor dein Angesicht ins Haus der ewgen Wonne,
da ich stets freudenvoll gleich wie die helle Sonne mit andern leuchten soll."
5
AMEN
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