Predigt über Lied 571

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Predigt über Lied 571:
"Die güldne Sonne voll Freud und Wonne"
Linsebühl, 26. August 2007; von Pfr. Stefan Lippuner
(Paul-Gerhardt-Lieder II)
Lesung: Epheser 5,8-14
Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder
des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor. Prüft, was dem
Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf! Denn man muss sich schämen, von dem, was sie heimlich tun,
auch nur zu reden. Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete
aber ist Licht. Deshalb heisst es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so
wird Christus dir als Licht aufgehen.
Nun wollen wir uns mit dem Lied "Die güldne Sonne" beschäftigen. Dieses Gedicht von Paul
Gerhardt wurde 1666 erstmals veröffentlicht, und zwar gleich zusammen mit der Melodie,
die von Johann Georg Ebeling, dem Kantor an der Kirche von Paul Gerhardt in Berlin, eigens für dieses Gedicht geschaffen wurde. Es ist eine Melodie, die einen beliebten Tanzrhythmus der damaligen Zeit aufnimmt: die Gaillarde. So kommt das Lied leichtfüssig, beschwingt und fröhlich daher.
RG 571, Str. 1-4.8:
1. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein
herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder; aber nun
steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.
2. Mein Auge schauet, was Gott gebauet zu seinen Ehren und uns zu lehren, wie sein Vermögen sei mächtig und gross und wo die Frommen dann sollen hinkommen, wann sie mit
Frieden von hinnen geschieden aus dieser Erden vergänglichem Schoss.
3. Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen Güter und Gaben; was wir nur haben, alles sei
Gotte zum Opfer gesetzt. Die besten Güter sind unsre Gemüter; vor ihn zu treten mit Danken und Beten, das ist ein Opfer, dran er sich ergötzt.
4. Abend und Morgen sind seine Sorgen; segnen und mehren, Unglück verwehren sind seine Werke und Taten allein. Wenn wir uns legen, so ist er zugegen; wenn wir aufstehen, so
lässt er aufgehen über uns seiner Barmherzigkeit Schein.
8. Alles vergehet, Gott aber stehet ohn alles Wanken; seine Gedanken, sein Wort und Wille
hat ewigen Grund. Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, heilen im Herzen die
tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund.
Liebe Gemeinde.
"Die güldne Sonne" ist auch über uns aufgegangen an diesem Morgen. Auch wir sind nach
dem Liegen in dunkler Nacht aufgestanden, sind munter geworden und hoffentlich fröhlich
hierher gekommen. Es ist wirklich ein herrliches Morgenlied von Paul Gerhardt und Johann
Georg Ebeling, besonders an einem sonnigen Tag wie heute. Aber sogar bei Regenwetter
könnte man es fast ebenso inbrünstig singen, weil es einen emporhebt zur Gewissheit, dass
auch hinter den Wolken die Sonne scheint.
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Überhaupt, die Sonne: etwas Wunderbares! Sie strahlt in unsere Welt hinein. Sie gibt Licht
und Wärme und macht dadurch das Leben im biologischen Sinn überhaupt erst möglich auf
unserem Planeten. Zugleich hat die Sonne auch im übertragenen Sinn eine grosse Bedeutung: Sie ist ein Bild, eine Metapher für das, was das Leben als ganzes, nicht nur das körperliche, sondern gerade auch das seelische Leben, hell, froh und lebenswert macht.
In diesem Sinn wurde seit der Spätantike von der Sonne gesprochen. Auch ein gewisser
Johann Arndt, einer der spirituellen Lehrer von Paul Gerhardt, hat sich 1605 ausführlich mit
der Sonne befasst und festgestellt: Da Gott selbst das ewige, unendliche Licht ist, braucht
er für sich eigentlich keine Sonne. Gott hat die Sonne vielmehr für uns Menschen geschaffen, damit sie uns leuchtet. Aus der Sonne strahlt Gottes Zuwendung und Liebe zu uns. So
ist die Sonne ein Zeichen für die Liebe Gottes zu allen Menschen, ein Bild gar für Gott
selber. [Vgl. Johann Arndt (1555-1621), Vier Bücher vom wahren Christentum (1605),
4. Buch: Von den sechs Tagewerken der Schöpfung insgemein.]
Paul Gerhardt hat diese Sonnen-Metaphorik, dieses Gleichnis der Sonne dann nicht weniger als 31-mal in 25 seiner Gedichte aufgenommen (so habe ich es gelesen, ich habe es
nicht selber gezählt). Das dünkt mich schon interessant. Denn von Paul Gerhardt kann man
nicht gerade sagen, dass er oft auf der Sonnenseite des Lebens gestanden ist. Er hat den
30-jährigen Krieg erfahren müssen, den frühen Tod der meisten seiner Kinder sowie seiner
Frau, die schweren konfessionellen Auseinandersetzungen in Berlin, die ihn das Pfarramt
kosteten, und manch anderes. – Wie konnte einer, der so viel Dunkelheit in seinem Leben
erfahren hat, ein solch frohes Lied dichten: "Die güldne Sonne voll Freud und Wonne"?
Ich meine, er konnte es darum, weil er in allem Dunkeln des Lebens doch immer das Licht
der Sonne, das Licht der Liebe Gottes erfahren durfte und weil er, noch tiefer, darin Jesus
Christus, dem Heiland begegnen konnte. – Die Sonne ist nämlich nicht nur ein Bild für Gott
und seine Liebe zu uns, sondern auch für Christus und die Glaubensgemeinschaft mit ihm;
dem begegnet man immer wieder in der Geschichte der christlichen Frömmigkeit. Jesus
Christus als die wahre Sonne, Jesus Christus als das wahre Licht des Lebens. So hat er
es selber von sich gesagt: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der
Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des Lebens haben." [Johannes 8,12]. So haben wir es im Text aus dem Epheserbrief gehört: "Wach auf, der du schläfst, und steh auf
von den Toten, so wird Christus dir als Licht aufgehen." [Epheser 5,14].
Johann Arndt, den ich erwähnt habe, wie gesagt ein geistliches Vorbild von Paul Gerhardt,
hat in wunderbaren Analogieschlüssen die Sonne mit Christus verglichen: "rein wie das
Licht der Sonne, überfliessend, im Überfluss vorhanden wie das Licht der Sonne, unparteilich allen geschenkt wie das Licht der Sonne". Und auch in manchen anderen Liedern und
Gedichten der Christenheit kommt es zum Ausdruck: Jesus Christus ist die wahre Sonne,
Jesus Christus ist das wahre Licht des Lebens, das uns Menschen und die ganze Welt erleuchtet.
Und dieses Licht Christi macht nun auch wahrhaftige Erkenntnis und Gotteserfahrung
möglich. Erst im Sonnenlicht von Jesus Christus können wir wirklich erkennen, wer und wie
Gott ist. Und damit gehen wir nun zu den weiteren Strophen des Liedes von Paul Gerhardt,
die wir gesungen haben. "Mein Auge schauet, was Gott gebauet", heisst es in der 2. Strophe. Mit den Augen des Glaubens, im Licht Christi können wir sehen, was Gott alles getan
hat und tut, wie er machtvoll und grossartig handelt in dieser Welt und was er schon vorbereitet hat für die Zukunft von denjenigen, die zu ihm gehören. – In Strophe 3 dann wird Gott
als der Schöpfer erkannt, dem wir uns ganz, mit allem, was wir sind und haben, hingeben
dürfen und sollen.
Die 4. Strophe dünkt mich ganz bes. schön: Das Wesen Gottes besteht darin, dass er für
uns sorgt; er will segnen und mehren, er will Unglück abwehren, er will bei uns sein, ob wir
gerade liegen oder aufstehen, und er will in allem seine Barmherzigkeit, seine Liebe über
uns aufleuchten lassen. So ist unser Gott, unser Vater im Himmel: kein launischer, willkürlicher, strenger oder ferner Gott, sondern nah, gütig und menschenfreundlich.
3
Einem solchen Gott konnte sich Paul Gerhardt auch in seinen schweren Zeiten und Situationen getrost anvertrauen. Und wir dürfen dasselbe tun. Denn er ist treu und verlässlich.
Auch wenn alles vergeht, Gott bleibt bestehen, wie es in der 8. Strophe heisst. Sein Wort
und sein Wille, seine Gnade und das Heil, das er uns schenkt, stehen unverbrüchlich fest.
Von ihm dürfen wir Heilung erfahren, am äusseren wie am inneren Menschen, in Zeit und
Ewigkeit. – Das ist unser Gott, wie er uns durch Jesus Christus vermittelt wird, wie wir ihn im
Licht der wahren Sonne Jesus Christus erkennen und erfahren dürfen!
Dieses Licht Christi gibt aber nicht nur wahrhaftige Erkenntnis über Gott und sein Wesen
und Wirken, sondern auch über den Menschen, sein Wesen, seine Nöte und seine Bestimmung. Davon spricht Paul Gerhardt in den weiteren Strophen seines Liedes:
RG 571, Str. 5-7.9.10:
5. Ich hab erhoben zu dir hoch droben all meine Sinnen; lass mein Beginnen ohn allen Anstoss und glücklich ergehn. Laster und Schande, der Finsternis Bande, Fallen und Tücke
treib ferne zurücke; lass mich auf deinen Geboten bestehn.
6. Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden sehen den Segen, den du wirst legen in meines
Bruders und Nähesten Haus. Geiziges Brennen, unchristliches Rennen nach Gut mit Sünde, das tilge geschwinde von meinem Herzen und wirf es hinaus.
7. Menschliches Wesen, was ist's gewesen? In einer Stunde geht es zugrunde, sobald die
Lüfte des Todes dreinwehn. Alles in allen muss brechen und fallen; Himmel und Erden die
müssen das werden, was sie gewesen vor ihrem Bestehn.
9. Gott, meine Krone, vergib und schone, lass meine Schulden in Gnad und Hulden aus
deinen Augen sein ferne gewandt. Sonsten regiere mich, lenke und führe, wie dir's gefället;
ich habe gestellet alles in deine Beliebung und Hand.
12. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende; nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonnen erwünschtes Gesicht. Freude die Fülle und selige Stille darf ich erwarten im
himmlischen Garten; dahin sind meine Gedanken gericht'.
Von Gott hat Paul Gerhardt ein sehr positives Bild gezeichnet. Hinsichtlich der Wirklichkeit
des Menschen dagegen sieht es ganz anders aus; dafür hat Paul Gerhardt, eben durch
das Licht Christi, einen klaren Blick: Der Mensch braucht Erlösung. Denn das Leben und
die Wirklichkeit des natürlichen Menschen sind geprägt von Schlechtigkeit und Bosheit. – In
Strophe 5 werden Laster und Schande genannt sowie die Fesseln, Fallen und Tücken der
Finsternis, des Bösen. Immer wieder sind wir den Angriffen dessen ausgesetzt, der das Leben zerstören will, immer wieder werden wir in Versuchungen verstrickt. Auch Schuld wird
erwähnt (in Strophe 9), ein ständiger Begleiter des menschlichen Wesens. Wir brauchen
Befreiung, Vergebung, Erlösung.
Die 6. Strophe spricht dann von Neid, Eifersucht, Habgier und Egoismus, die das Zusammenleben der Menschen leider oftmals bestimmen. "Geiziges Brennen, unchristliches Rennen nach Gut mit Sünde" – geniale Wortschöpfungen von Paul Gerhardt, die zwar schon
vor 340 Jahren aufgeschrieben wurden, aber immer noch ganz aktuell auch den Zustand
unserer heutigen Welt beschreiben, die stark von Materialismus bestimmt und wirklich zu
einem sehr grossen Teil vom Geld regiert wird. Und ich denke, auch wir alle müssen uns
immer wieder persönlich die Frage stellen, ob wir nicht vielleicht auch manchmal mehr dem
Geld hinterher rennen als Christus nachfolgen, mehr dem Mammon als Gott dienen.
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In 1. Timotheus 6 finden sich einige wichtige warnende Worte in dieser Hinsicht: "Wir haben
nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir
Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will, gerät in
Versuchungen und Schlingen, er verfällt vielen sinnlosen und schädlichen Begierden, die
den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen. Denn eine Wurzel aller Übel ist
die Geldgier. Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich viele
Qualen bereitet." [1. Timotheus 6,7-10] – Wir brauchen Erlösung.
In der 7. Strophe schliesslich stellt Paul Gerhardt nüchtern fest, worauf das menschliche
Leben letztlich hinausläuft: nämlich auf den Tod. Von unserem natürlichen Wesen her sind
wir Menschen vergänglich und müssen irgendwann einmal sterben und verschwinden von
dieser Erde. – Wir brauchen Erlösung. Deshalb ruft der Apostel Paulus am Ende des
7. Kapitels in seinem Brief an die Römer: "Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von
diesem Leib des Todes?" Um dann gleich selber die Antwort anzuschliessen: "Dank sei Gott
durch Jesus Christus, unsern Herrn!" [Römer 7,24f.]
Jesus Christus, das Licht der Welt, die wahre Sonne, erlöst uns Menschen von all
dem, was ich als Dunkelheiten des menschlichen Wesens aufgezählt habe: Jesus Christus
befreit uns vom Bösen und seinen Versuchungen und Verstrickungen; Jesus Christus
vergibt uns unsere Schuld und erlöst uns von der Macht der Sünde; Jesus Christus befreit
uns auch von Geldgier, Neid, Egoismus und was es sonst noch alles an schlechten und
schädlichen Haltungen und Verhaltensmuster gibt. Und Jesus Christus erlöst uns schliesslich aus aller Not und sogar von der Vergänglichkeit alles Irdischen und vom Tod; er schenkt
uns die Aussicht auf ein ewiges Leben in Fülle und Herrlichkeit.
Mit dieser Hoffnung schliesst Paul Gerhardt sein Lied dann in der 10. Strophe ab: "Kreuz
und Elende, das nimmt ein Ende; nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der
Sonne erwünschtes Gesicht. (Auch hier wieder die Sonne als Bild für Jesus Christus.) Freude die Fülle und selige Stille darf ich erwarten im himmlischen Garten; dahin sind meine
Gedanken gericht." – Das ist die Zukunft und die eigentliche Bestimmung des Menschen:
das ewige Leben im himmlischen Garten, in der Welt Gottes, die ganz vom Licht der wahren Sonne durchflutet sein wird.
Wenn wir zum Schluss nochmals auf das ganze Lied von Paul Gerhardt schauen, dann
darf ich sagen: Ich finde es wunderbar! So viel Freude, Zuversicht, Trost und Hoffnung
spricht daraus. Gott wird uns nahe gebracht als himmlischer Vater, der in allem für seine geliebten Kinder sorgt. Und auch dort, wo von den Dunkelheiten und Nöten des Menschen die
Rede ist, führt diese realistische Diagnose des menschlichen Wesens und Lebens nicht ins
Jammern oder gar in die Anklage hinein, sondern ins Gebet und ins Vertrauen, dass der
barmherzige Gott vergibt, befreit, heilt und erlöst. (Schauen Sie die entsprechenden Strophen selber nochmals an, ich zitiere sie jetzt nicht noch einmal.)
Nur die zweite Hälfte von Strophe 9 möchte ich zum Abschluss nochmals lesen, denn darin
kommt zum Ausdruck, wie wir am besten reagieren angesichts dessen, was über Gott und
über den Menschen gesagt wurde, nämlich indem wir uns diesem barmherzigen, liebenden Vater im Himmel und dem Erlöser Jesus Christus ganz anvertrauen: "Sonsten regiere mich, lenke und führe, wie dir's gefället; ich habe gestellet alles in deine Beliebung
und Hand." – Wenn wir uns mit Glauben dem Herrn in die Hand legen, wenn wir uns dem
dreieinigen Gott anvertrauen und uns ihm ganz hingeben, dann dürfen wir das Licht des Lebens haben, und die wahre Sonne Jesus Christus wird jeden Tag neu über uns aufgehen
und unser ganzes Leben erleuchten.
AMEN
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