Pluralismus der Religionen oder Einzigartigkeit Jesu Christi Gisbert Greshake, Freiburg/Rom Zum Thema Das Thema, mit dem wir uns nun befassen, ist m.E. das gegenwärtig mit Abstand aktuellste, wichtigste und brisanteste theologische Thema, und zwar nicht nur als Thema der theologischen Wissenschaft, sondern als ein Faktor, der bis in das innerste kirchliche Gemeindeleben hinein wirkt. Das „süße Gift“ der sog. Postmoderne (von der noch die Rede sein wird) hat längst auch viele Christen erreicht, selbst diejenigen, die sozusagen die „Säulen“ unseres Gemeindelebens sind. Ich will das Gemeinte einmal mit den Worten eines Studienrats sagen, der in unserer Pfarre regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teilnimmt, zur Kommunion geht und lange Jahre Mitglied des Pfarrgemeinderats war. Er sagte vor einiger Zeit öffentlich – und fand dafür in der Gemeinde viel Zustimmung – etwa Folgendes: Wissen Sie, ich bin Christ und bin es gern, und mein christlicher Glaube ist mir wichtig! Aber dass das Christentum oder auch Christus selbst eine irgendwie geartete Sonderstellung unter den Religionen einnimmt, dass der christliche Glaube wahrer, bedeutsamer, zutreffender ist, kann ich nicht begreifen und auch nicht vertreten. Was für mich Christus ist, ist für die Moslems Mohammed, für die Buddhisten Buddha; was für mich die Bibel ist, ist für andere der Koran oder die Veden. Es sind alles Variationen des Gleichen. Sie können mir doch nicht – sagte er – zumuten zu glauben, ich hätte zufällig, weil ich im christlichen Abendland von christlichen Eltern geboren wurde, im religiösen „Zahlenlotto“ die „6“ richtigen getroffen, andere hingegen, die von jüdischen oder hinduistischen Eltern abstammen, nicht! So oder so ähnlich denken heute ganz, ganz viele Menschen, selbst Christen. Christus ist für sie einer unter vielen absolut gleichrangigen Heilsbringern, das Christentum ist eine unter vielen absolut gleichrangigen Religionen. Es gibt keine Wahrheit des religiösen Bereichs „in sich“, sondern nur „für mich“ oder „für uns“. Entsprechend konstruieren sich heute auch viele gebildete Zeitgenossen ihr Religiös-Sein als eine „patchwork-identity“ aus ein bisschen „Kloster auf Zeit“ bei den Benediktinern, dann einem guten Schuss Yoga und Zen, dazu ein paar Tropfen ignatianische Exerzitien, um dann noch schnell einem Einführungskurs in islamische Mystik nachzukommen und sich anschließend mit den Anthroposophen über die Seelenwanderungslehre auszutauschen. Das ist zwar eine Karikatur, aber sehr weit ist sie nicht von der Wirklichkeit entfernt. Von dem Gesagten her nimmt das Thema des interreligiösen Verhältnisses bzw. des Wahrheitsanspruchs der Religionen und des Christentums heute eine ungeheure Bedeutung an. Ich meine: Hier liegt eine Herausforderung des christlichen Glaubens, wie sie nur mit der Herausforderung durch die Gnosis des 2.-3. Jh. vergleichbar ist. Und Gnosis war die bislang gefährlichste Infragestellung von Christentum und Kirche. Ich möchte dazu jetzt einige Darlegungen und Überlegungen bieten und entschuldige mich gleich dafür, dass ich bei einigen von Ihnen vermutlich „Eulen nach Athen“ trage, weil sie selbst mit der Thematik bestens vertraut sind; aber für andere mag dann doch das ein oder andere neu sein. Zunächst etwas zur Vorgeschichte und zum grundsätzlichen Verhältnis von Christentum und Weltreligionen. Vom Exklusivismus zum Inklusivismus Das Verhältnis des christlichen Glaubens zu den übrigen Religionen war von Anfang an vielschichtig; es gab darüber nie einen einhelligen Konsens. Zwar bestand unter Christen von Anfang an immer Übereinstimmung darin, dass Christus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14, 6), dass er das letzte und unüberbietbare Wort Gottes und die endgültige, vorbehaltlose Selbstmitteilung Gottes an die Menschen ist, dass Gott sich in ihm in einer Weise mit der Welt eingelassen hat, wie sonst nirgends. Doch konnte man von dieser allen Christen gemeinsamen Basis aus entweder die übrigen Religionen in Bausch und Bogen als satanische Gemächte und Räume der Heillosigkeit verdammen oder man schätzte sie als zu ihrer Zeit legitime Orte vorläufigen göttlichen Wirkens und damit als Hinwege zum christlichen Glauben positiv ein. Für diese Einstellung sind vor allem Justin und Irenäus v. Lyon zu nennen, für die Christus als göttlicher Logos auch bereits vor der Zeit der Inkarnation in der ganzen Menschheitsgeschichte am Werk war, indem er das Denken und die Gedanken der Menschen erleuchtete, so sehr, dass alle Wahrheit, die von heidnischen Weisen und Philosophen vertreten wurde, immer schon die Wahrheit Christi war und ist, und alle, die nach dieser Wahrheit gelebt haben, „Christen sind“, wie Justin wörtlich sagt (1 Apol.46,1ff). In diesen Zusammenhang gehört auch das bekannte Augustinus-Wort: „Der Sache nach gab es das, was heute Christentum heißt, auch schon in alter Zeit und fehlte nicht von Beginn des Menschengeschlechtes an, bis Christus selbst im Fleisch kam; seitdem begann man, die wahre Religion, die es bereits gab, als christlichen Glauben zu bezeichnen.“1 Gegenüber dieser wenigstens teilweise offenen Haltung nahm man im Mittelalter aufgrund der unrichtigen Annahme, dass die Welt (von Juden und Moslems abgesehen) mehr oder minder von Christus erreicht sei, und aufgrund des einseitig, ja falsch verstandenen Prinzips „Extra ecclesiam nulla salus“ zumeist eine eher negative Einstellung zu den nichtchristlichen Religionen ein. Nebenbei: Ursprünglich war das Prinzip „Extra ecclesiam nulla salus“ ein Verwarnungssatz gegen innerkirchliche, schismatische und häretische, also die Einheit der Kirche aufs Spiel setzende Gruppen: er hatte also keine Beziehung zu außerchristlichen Religionen. Das ändert sich im Mittelalter. Denn jetzt wird dieser Satz polemisch gegen das Judentum und Heidentum gesetzt. In ihnen ist man vom Heil ausgeschlossen. Diese Position trägt die Bezeichnung Exklusivismus. Das heißt: Der christlich-kirchliche Glaube ist der exklusive, alle anderen Religionen ausschließende Heilsweg. Der Exklusivismus ist also ausgesprochen ekklesiozentrisch: Nur in der katholischen Kirche findet man das Heil; alle anderen sind ausgeschlossen, sind verloren. Diese Einstellung war für das Entstehen der neuzeitlichen Missionsbewegung, da man im 15./16. Jh. neue, unendlich weite Räume entdeckte, ungeheuer wirkungsvoll. Man war weithin der Überzeugung: Nur wenn den Menschen der neuentdeckten Gebiete der christliche Glaube gebracht, wenn sie getauft und in die Kirche eingegliedert werden, können sie das Heil erlangen. Sonst sind sie alle gemäß Mk 16,16 auf ewig verdammt. Dieser Auffassung war z.B. auch einer der erfolgreichsten Missionare, der hl. Franz Xaver: er taufte -zigtausende von Menschen, um sie dem Feuer der Hölle zu entreißen. Dies war natürlich ein äußerst dringliches Motiv für die Mission. Doch setzte sich in den folgenden Jahrhunderten gerade auf Grund dessen, dass man so ungeheuer weite, nicht zum christlichen Glauben gehörende Räume entdeckte, langsam, aber kontinuierlich mehr und mehr und vollends auf dem II. Vaticanum eine andere Sicht durch. Ich übergehe jetzt die Zwischenstationen und wende mich gleich dem II. Vaticanum und der postkonziliären Entwicklung zu. Hiernach ist Christus der Zielpunkt aller religiösen Wege der Menschheit; er und Gottes Heiliger Geist sind in allen Regionen und Kulturen der Welt am Werk und erwirken eine religiöse Grunderfahrung, aus der dann die verschiedenen Religionen entstehen; sie sind verschieden, weil sie in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten, Traditionen und charismatischen Persönlichkeiten gründen. Wichtig aber ist: In dieser von Gott überall gewirkten religiösen Grunderfahrung beginnt sich – um es mit den Worten des Epheser1 Augustinus, retr. 1, 13, 3 (= CC 57, 37). briefs (l,9) zu sagen – auch unter den Heiden das Mysterium Gottes zu enthüllen. Weil aber in den nichtchristlichen Religionen sowohl die religiöse Grunderfahrung als auch deren jeweilige soziokulturelle Auslegung wegen der noch nicht eindeutig und letztgültig ergangenen Offenbarung mit Verkehrungen, Verwirrungen und Defizienzen vermischt ist, bedürfen die Religionen – so sagen viele katholische Theologen – in der Begegnung mit Christus der Reinigung, Revision und Überhöhung. Dennoch, oder besser: gerade deswegen bleibt wahr, dass in Christus alle Religionen ihren Platz haben, ja dass die religiösen Einsichten und Erfahrungen, Werte und Praxen der Religionen in ihm erst ganz zu sich selbst kommen, in IHM, in dem alles und auf den alles hin erschaffen ist (Kol 1,16). Dies ist die Position des sog. Inklusivismus: Christus und – an ihm orientiert – das Christentum vermag alle anderen Religionen in sich zu inkludieren, zu integrieren. Damit findet nun ein Übergang vom bisherigen Ekklesiozentrismus zum Christozentrismus statt. Alle Religionen der Menschheit finden in Christus ihr Zentrum. Es geht nicht nur um den je einzelnen Nichtchristen und dessen Heil, sondern um die nichtchristlichen Religionen als solche, die auf IHN hin ausgerichtet sind. Genau diesen Wechsel vom Ekklesiozentrismus zum Christozentrismus vollzieht das Zweite Vatikanische Konzil, auf das ich jetzt nicht im einzelnen eingehen kann. Die konziliäre Lehre ist sehr schön zusammengefasst und zugleich weitergeführt im Dokument „Dialog und Verkündigung“ des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog von 19.5.1991, ein Dokument, das mit Berufung auf das Konzil sagt, dass dieses „ganz offensichtlich nicht nur im religiösen Leben einzelner Gläubiger dieser Religionen positive Werte anerkennt, sondern auch in den religiösen Traditionen selbst, denen sie angehören. Es leitet diese Werte aus der tätigen Gegenwart Gottes in seinem Wort ab, nicht ohne auf das universale Handeln des Geistes hinzuweisen“(Nr. 17). Und weiter sagt dieses Dokument in Bezug auf die Kirchenväter, „dass sich ihrer Meinung nach Gott schon vor und unabhängig vom christlichen Zeugnis geoffenbart hat, wenngleich auch in unvollständiger Weise. Diese Offenbarung des Logos ist ein schemenhafter Hinweis auf die volle Offenbarung in Jesus Christus, auf die sie hinzielt“ (Nr. 24; vgl. auch Nr. 48). Und wenn auch nicht alles in den nichtchristlichen Religionen „Ergebnis der Gnade“ ist, so gibt es doch eine „fortschreitende Offenbarung“, die damit begründet wird, dass „in einem Jahrhunderte währenden Dialog Gott der Menschheit sein Heil schenkte und schenkt“. So sind das II. Vaticanum und die nachkonziliare lehramtliche Theologie ein „Paradebeispiel“ für ein inklusivistisches Verhältnis des Christentums zu den Weltreligionen: Diese sind Heils-, ja Of- fenbarungswege Gottes, die in der Begegnung mit Christus innerlich an ihr eigenes Ziel kommen. In der inklusivistischen Position bleibt die christliche Grundeinstellung erhalten, die Karl Rahner, einer der großen Promotoren des Inklusivismus auf dem II. Vaticanum, so formuliert: „Das Christentum versteht sich als die für alle Menschen bestimmte, absolute Religion, die keine andere als gleichberechtigt neben sich anerkennen kann. Dieser Satz ist für das Selbstverständnis des Christentums selbstverständlich und grundlegend.“2 Pluralistische Religionstheologie Doch seit den siebziger Jahren wurde auch im katholischen Raum eine These aufgegriffen, die bis dahin als eine spezifisch aufklärerische Position galt: Eine Reihe von Theologen fordern – wie Paul Knitter, ein katholischer Theologe, der selbst diese Auffassung vertritt, sagt – „die Anerkennung der Tatsache, dass keine Religion und keine Offenbarung das einzige, letzte, exklusive oder inklusive Wort Gottes sein kann. Solch ein letztes Wort würde Gott begrenzen und ihm sein Geheimnis nehmen. Das aber wäre Idolatrie. ... So gewiss Jesus ein Fenster ist, durch das wir auf das Universum des göttlichen Mysterium schauen können und müssen, so kann es auch noch andere Fenster geben.“3 Daraus folgt: „Alle Religionen sind gleichermaßen gültig oder können es sein. Das heißt, dass ihre Stifter, die religiösen Gründergestalten, ebenso für gleich zu gelten haben. Dies wiederum eröffnet die Möglichkeit, dass Jesus Christus 'einer unter vielen' in der Welt der Heilsbringer und Offenbarer ist.“4 So P. F. Knitter. Nach John Hick, dem Vater des neueren Pluralismus, ist die christliche Lehre von der Inkarnation Gottes in Jesus Christus eine metaphorische Redeweise über die Bedeutung Christi für mich bzw. für uns hier im christlichen Abendland. Es ist – wie Hick wörtlich sagt – „eine metaphorische Idee [für die enge Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung] ..., die sich in der bildhaften Sprache einer ganzen Reihe antiker Kulturen findet. Doch die christliche Tradition hat diese Poesie in Prosa verwandelt, so dass aus dem metaphorisch verstandenen Sohn Gottes die metaphysisch verstandene zweite Person einer göttlichen Trinität, Gott, der Sohn, wurde. Die daraus resultierende Lehre von einer einzigen göttlichen Inkarnation hat seit langem die Beziehungen zwischen Christen und Juden sowie zwischen Christen und MusliK. Rahner, Schriften V, 139. – Ganz ähnlich auch Schriften VIII, 355f. P. F. Knitter, Nochmals die Absolutheitsfrage, in: EvTh 49 (1989) 509. 4 P. F. Knitter, Ein Gott – viele Religionen. Gegen den Absolutheitsanspruch des Christentums, dt- München 1988, 42. 2 3 men vergiftet und hatte auch ihre Auswirkungen auf die Geschichte des christlichen Imperialismus im Fernen Osten, in Indien, in Afrika und darüber hinaus. Versteht man sie jedoch metaphorisch, dann kann die Sprache der Inkarnation auf vertraute Weise ausdrücken, dass wir Jünger Jesu sein wollen und ihn als Herrn (das heißt, als den, dem wir nachzufolgen trachten) und als Erlöser ... ansehen...“ 5 Kurz: Die Inkarnation ist nichts Einmaliges – wie auch Raymond Panikkar unterstreicht –, Gott inkarniert sich nicht nur in Jesus v. Nazaret, sondern auch in Buddha und Krishna; Inkarnation ist „ein beständiges Charakteristikum von Gottes Beziehung zu seiner Schöpfung.“6 In Wirklichkeit steht auch für das Christentum nicht Christus im Mittelpunkt, sondern Gott, der sich in Christus, aber eben auch in vielen anderen Heilsbringern und Heilslehren offenbart. „Gott verbindet, Christus trennt“, so könnte man pointiert das Verhältnis des Christentums zu den andern Religionen in der Sicht dieser Theologen bezeichnen. Diese Position trägt die Benennung „Pluralistische Religionstheologie (oder -theorie)“ oder man spricht auch einfach vom „Pluralismus-Paradigma“. Diese Pluralismus-Hypothese beinhaltet bei ihren Hauptvertretern nicht, dass alle Religionen schlechthin gleich seien, „wohl aber vertritt sie die Überzeugung, dass keiner religiösen Tradition eine schlechthinniger Superiorität gegenüber allen anderen Religionen ... zukomme.“7 Wie kommen die Vertreter dieser Position zu ihren Aussagen? Für John Hick, dem „Vater“ des Pluralismus-Paradigmas, der selbst bezeichnenderweise früher Fundamentalist gewesen ist, waren zwei Dinge entscheidend: (1) Die Begegnung mit anderen Religionen, die in ihm die Frage aufkommen ließ: Was gibt mir eigentlich die Berechtigung zu sagen, dass die nichtchristlichen Religionen einen anderen Rang einnehmen, zumal wenn man sieht, dass die eigene Religionszugehörigkeit wesentlich auch eine Sache der „Geographie“ ist (wie bereits J.-J. Rousseau vermerkte). (2) Eine bestimmte, wie er selbst zugibt, „selektive“ Kant-Interpretation, wonach Gott als solcher, Gott in seiner eigentlichen Wirklichkeit (Gott als „Noumenon“) nicht erkennbar ist, sondern nur in seinen ganz unterschiedlichen phänomenalen Offenbarungen, die prinzipiell alle den gleichen kognitiven Rang haben. Für P. F. Knitters Position war vor allem das Erfordernis wichtig, das ein ehrlicher, wahrhaftiger Dialog der Religionen stellt. Für ihn (aber auch für andere Vertreter dieser Position) kann allein das Pluralismus-Paradigma die 5 J. Hick, Gott und seine vielen Namen, dt. Frankfurt 2001, 13. J. Macquarrie, The Mediators, London 1995, 149. 7 A. Kreiner, Philosophische Probleme der pluralistischen Religionstheologie, in: R. Schwager (Hrg.), Christus allein? Der Streit um die pluralistische Religionstheologie, Freiburg i. Br. 1996, 122. 6 Basistheorie für einen authentischen Dialog der Religionen abgeben. Denn nach den Vertretern der Pluralismus-These ist die inklusivistische Position eine subtil „kolonialistische“, weil sie die anderen Religionen vergewaltigt. Denn alle übrigen Religionswege sollen ja erst im Christentum ganz zu sich selbst finden und an das innere Ziel ihrer eigenen Dynamik gelangen. Eine solche Position aber ist – so Knitter – extrem dialogfeindlich: „Verstehen wir Dialog als ein aufgeteiltes Suchen, bei dem alle Partner gleichermaßen Lernende wie Lehrende sind, so kann wohl kaum einer etwas vom anderen Partner lernen oder wirklich auf ihn hören, wenn er mit der Überzeugung in den Dialog geht, dass er Gottes letztes Wort oder das umfassende Kriterium aller Wahrheit besitzt ... Wenn ich von vornherein davon überzeugt bin, dass seine Wahrheit letztlich nur insoweit sinnvoll ist, als sie in meiner eingeschlossen und enthalten ist und von ihr erst voll zur Geltung und Erfüllung gebracht wird, dann kann solch ein Dialog, wie man so schön sagt, nur noch wie ein Gespräch zwischen Katze und Maus enden. ... Voll zu ihrer Erfüllung kommt die Maus erst, wenn sie im Bauch der Katze eingeschlossen ist. Mit anderen Worten: Absolute Offenbarungen und letzte Normen sind ganz offenkundig ein Hindernis für den moralischen Imperativ des Dialogs. Was aber moralisches Verhalten verhindert, ist selbst unmoralisch.“8 Es sind also verschiedene Gründe und Zusammenhänge, die für das Entstehen der pluralistischen Position angeführt werden können. Entscheidender für das Entstehen und Vorrücken der pluralistischen Position scheint mir jedoch das zu sein, was man die Haltung der „Postmoderne“ nennt. Die postmoderne Attitüde Die Postmoderne kann man ganz unterschiedlich definieren. Aber einer ihrer Wesenszüge ist der Verzicht auf, ja der Protest gegen allgemeinverbindliche Wahrheitsansprüche, von wem auch immer sie ausgehen. Warum? Jansjürgen Verweyen, Fundamentaltheologe in Freiburg gibt zur Antwort: Das individuelle Ich möchte „im Spiel mit der Fülle geistiger Sinngehalte ...auf immer unbehelligt bleiben“ von einem möglicherweise ergehenden Anspruch, sich davon ernsthaft betreffen zu lassen und engagieren zu müssen.9 Hier scheint mir etwas sehr Wesentliches gesehen zu sein: Das Ich möchte im Spielen mit der Fülle von Sinngehalten unbehelligt bleiben! Diese Einstellung lässt sich vor allem auch einigen Wesenszüge der gegenwärtigen jungen Generation able8 9 Knitter, Nochmals 512. H., Verweyen Gottes letztes Wort, Düsseldorf 1991, 99f. sen. Wie schwer tun junge Leute sich damit, „in Vorgegebenheiten einzutreten“, etwas Vorgegebenes anzunehmen, vorgelegten Ansprüchen zu entsprechen. Genau dies ist die postmoderne Attitüde, von der auch wir irgendwie wohl alle als Kinder unserer Zeit infiziert sind: Man akzeptiert nur das, was einem passt oder zu einem passt. Es gibt keine Wahrheit, die mich in AnSpruch nehmen kann. Was wahr ist, ist Entwurf meiner selbst – für mich selbst. Das bedeutet auf die Religionsthematik bezogen: „Das im Prinzip friedliche Neben- und Durcheinander von Religionen, wo jeder im trauten Heim mit seinen Unbedingtheitsüberzeugungen Kontingenzbewältigung betreibt, von dorther aber keine öffentlichen Geltungsansprüche erhebt, ermöglicht das Funktionieren eines machtvollen Ordnungsgefüges des freien Marktes [aller möglichen Überzeugungen. Angesichts der Pluralismusthese] haben religiöse Überzeugungen von einer letztgültigen Offenbarung keine Chance, zugelassen zu werden. Gegenüber Unbedingtheitsbehauptungen zeigt der Pluralismus die ganze Unerbittlichkeit seiner milden Intoleranz.“ So noch einmal Verweyen.10 In der Tat: Man darf und kann heute alles vertreten, selbst den größten, hanebüchesten Unsinn, nur eines darf man nicht: Unbedingtheit einfordern. Die Postmoderne und die Pluralismus-These entspricht der Mentalität eines Supermarkts, wo die unterschiedlichsten Angebote ähnlicher Produkte sich tummeln und jeder sich nach seinem Gusto bedient. Da liegt etwa vor einem das ganze vielfältige Angebot von Waschmitteln, die im Prinzip alle gleich sind, sich nur in Verpackung, Aroma, Preis u.dgl. unterscheiden, wo jeder dasjenige einkauft, was zu ihm „passt“. So ist es auch mit der Wahrheit. Man greift zu dem, was einem passt oder zu einem passt. Jedenfalls entscheide ich selbst darüber, was „wahr“ ist – für mich. Eine solche Einstellung aber, die auf eine universal geltende, endgültige Wahrheit verzichtet bzw. welche die Wahrheit als vielgestaltige Blumenwiese „ästhetisiert“ (Jürgen Werbick), als Blumenwiese, auf der jeder sich sein Blümlein pflückt, hat auch Konsequenzen für die zwischenmenschliche Kommunikation: sie steht nicht mehr im Dienst einer mich mit dem andern verpflichtenden Wahrheitssuche, sondern beschränkt sich sehr oft auf einen unverbindlich-oberflächlichen Austausch von Meinungen. Hintergründe der pluralistischen Religionstheologie Wenn man versucht, die pluralistische Religionstheologie geschichtlich einzuordnen, so ist sie im Grunde eine Variation des altchristlichen Modalismus. 10 H. Verweyen, Pluralismus als Fundamentalismusverstärker, in: Schwager (Hrg.) [siehe Anm. 6] 134.137. Danach zeigt Gott sich zwar in verschiedenen Erscheinungsweisen – modi prospopa, Masken – dem Menschen, bleibt aber hinter diesen seinen Erscheinungsweisen verborgen, tritt also niemals so aus sich heraus, wie er wirklich ist. Das heißt: Gott teilt sich nicht als er selbst dem Menschen mit, sondern lässt ihm nur bestimmte „Züge“, „Erscheinungsformen“, die sein Wesen mehr verhüllen als offenbaren, zukommen. Eine wirkliche personale Selbstmitteilung Gottes kann so nicht gedacht werden, ja, kommt gar nicht in den Blick. Gott bleibt der Entzogene, er lässt sich nie ganz als er selbst auf diese Welt ein. Ganz auf dieser Linie vertreten auch die Pluralistiker die Überzeugung, dass sich zwar in jeder Form von Religion Gott unter bestimmten kulturellen Bedingungen zeigt, aber niemals so, wie er wirklich und letztlich und in Wahrheit ist. Jede Religion entfaltet ein Bild von Gott; alle treffen zu, und alle treffen irgendwie auch nicht zu. Gott bleibt hinter der Fülle der unterschiedlichen Bilder verborgen. Insofern ist auch im Pluralismus-Paradigma kein Platz für so etwas wie letztgültige Offenbarung und personale Selbstmitteilung Gottes. Denn die setzt das eine Bild Gottes voraus, das Gott von sich selbst aufzeigt und das mit ihm wirklich identisch ist. Und eben das ist Jesus Christus, der von sich sagt: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9). Gott ist nicht anders, als er sich in Christus gezeigt hat. Das heißt natürlich nicht, dass wir in ihm Gott erschöpfend sehen. Die Gottheit Gottes bleibt immer, selbst in der visio beatifica, ein magis, das vom Geschöpf nicht auszuloten ist; und erst recht ist sie im menschgewordenen Gottessohn verborgen. Dennoch bleibt wahr, dass Gott uns in Christus sein tiefstes Sein, sein „Herz“ geoffenbart hat, ja, dass er als er selbst in unsere Menschheitsgeschichte eingetaucht ist und mit uns den Weg durch die Geschichte gegangen ist. Und das behauptet von allen Religionen der Welt nur das Christentum. Von hier aus gesehen fordert die pluralistische Religionstheologie zu einer grundsätzlichen Entscheidung heraus. Und diese Entscheidung heißt im ersten Schritt nicht eigentlich: Christus oder Krischna oder Mohammed etc., sondern es geht um die Entscheidung – so zu Recht Ratzinger – „zwischen einem Gott, der ... sich an den Menschen bis in seine Leiblichkeit bindet, und einem anderen Religionsverständnis, in dem die Gottheit in verschiedenen Bildern und Gestalten erscheint, deren keine endgültig ist.“11 Es ist die Entscheidung darüber, ob Gott wirklich sich selbst an unser Menschenschicksal bindet. Die pluralistische Religionstheologie reduziert Religionen auf ein verschiedenartiges, aber gleich-gültiges Wissen von Gott, während christliche Theologie sagt: Viel wichtiger als das, was wir von Gott wissen, ist, was er getan hat und tut, dass er sich uns nicht nur kognitiv, sondern real mitgeteilt hat, indem er unsere Welt als seine Welt, unsere Geschichte als seine Geschichte übernom11 J. Ratzinger, Salz der Erde, Stuttgart 1996, 275. men hat, dass er „bis in den letzten Dreck“ zu uns Menschen herabsteigt und unser Leben teilt – und das ist, wenn es ernsthaft gemeint ist, nur einmal in der Geschichte möglich. Die Entscheidung, die hier ansteht, lautet also: Teilt Gott unser Menschengeschick und führt es so über sich hinaus oder bleibt er in unerreichbarer Erhabenheit „über“ seiner Schöpfung und lässt uns nur eine Fülle von Bildern und Verweisen über sich zukommen. Das steht zur Entscheidung an. Ein zweites theologisches Problem, das immer wieder hinter der Diskussion um das Pluralismus-Paradigma steht, ist das Wahrheitsproblem. Ich will es einmal so entfalten: Jede Selbstdefinition eines Menschen oder einer Gruppe ist faktisch mit Abgrenzung verbunden.: Ich bin so/wir sind so – du und ihr aber seid anders. Das gilt auch für jedes religiöse Bekenntnis, das sich abgrenzt gegen alle, die dieses Bekenntnis nicht teilen. Diese Abgrenzung scheint eine zwangsläufige Konsequenz der Wahrheit zu sein. Denn indem die Wahrheit sagt, was ist, sagt sie zugleich, was nicht ist. Nichtwahr: Jedes Urteil A = B sagt eo ipso: A ist ≠ das gegenteilige C. Kann man nun aber – fragen die Pluralistiker – solche Urteilswahrheit überhaupt auf die Religion, auf die Wahrheit Gottes anwenden? Wenn man sagt: Gott ist B und nicht C, bedeutet dies nicht eine Verendlichung Gottes? Bringt man mit Urteilen nach der Art: Gott ist B, aber nicht C, nicht eher einen bestimmten, abgegrenzten Götzen zur Sprache als den unendlichen Gott. Umfasst seine Unendlichkeit nicht alles? Kann man etwas von ihm ausschließen, abgrenzen, was er nicht ist? Wie kann da eine Religion ihre begrenzte Wahrheit als die absolute Wahrheit gegen alle anderen ausgeben? Aber noch etwas Zweites folgt aus dem Abgrenzungscharakter von Wahrheit. In der Welt, wie sie nun einmal ist, nämlich in der Welt der Sünde, des Egoismus und der Selbstbehauptung, führt die mit dem angegebenen Wahrheitsverständnis gegebene Abgrenzung notwendig auch zur Ausgrenzung: Ich bin so – du bist anders, und deshalb gehörst du nicht zu uns. Diese Einstellung aber, den anderen auszugrenzen, führt zu Polarisierungen und Frontenbildungen sowie zu Macht- und Herrschaftskämpfen. Und das müssen wir ja nun in der Tat der Geschichte der Religionen, besonders der monotheistischen Religionen, entnehmen, dass hier die Wahrheitsansprüche aufgeladen sind „mit Gehalten, die einem menschlichen Selbstbehauptungs- und Abgrenzungswillen entstammen“12 und zu unerbittlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen führten. Eben daraus zieht die pluralistische Religionstheologie, aber z.B. 12 G. Neuhaus, Kein Weltfrieden ohne christlichen Absolutheitsanspruch. Eine religionstheologische Auseinandersetzung mit Hans Küngs „Projekt Weltethos“ = QD 175, Freiburg i. Br. 1999, 148. Siehe dieses Werk auch für das Folgende. auch Hans Küng mit seinem „Projekt Weltethos“, die Konsequenz, alle Absolutheitsansprüche aufzugeben und die relative Gleich-Gültigkeit aller religiösen Wahrheiten zu proklamieren (oder – im Fall von Küng – diese mindestens zurückzustellen). Frage dagegen: Ist die Relativierung von Wahrheit tatsächlich der einzige Weg, den desaströsen Konsequenzen von Ausgrenzung, Frontenbildung und Machtkämpfen zu entkommen? Mit anderen Theologen setze ich hier ein striktes Nein! Zwar versteht sich der christliche Glaube als verbindliche, ja letztgültige und in diesem Sinn „absolute“ Wahrheit. ABER: diese Wahrheit ist in ihrem Kern das radikale Gegenteil von Ausgrenzung, Polarisierung und Selbstbehauptung. Denn diese „absolute“ Wahrheit, um die sich das Christentum zentriert, ist die reine, universale, alles und alle einschließende, nichts ausschließende personale Liebe, wie sie in Jesus Christus erschienen ist. Die „Absolutheit“, die der christliche Glaube vertritt, ist also nicht der Absolutheitsanspruch einer sachhaften und intentionalen, d.h. im Bereich der Erkenntnis platzierten Wahrheit, über die wir als unsere wahre Einsicht verfügen und dann gegen andere geltend machen, sondern die Absolutheit der Wahrheit, die der christliche Glaube bezeugt, ist eine Person, die von sich sagt: „Ich bin die Wahrheit!“ Und diese Wahrheit ist die radikale, alle Selbstbehauptung und alle Machtmechanismen ausschließende Liebe. Nicht „meine“ bzw. „unsere“ Wahrheit ist also „absolut“, sondern einzig und allein ER in Person. Daraus folgt für uns – wie Gerd Neuhaus zutreffend formuliert –: „Wir, die wir uns zu dieser Liebe nur bekennen können, bezeugen diese Liebe ... in einer Gestalt, die hinter sie zurückfällt.“13 Zum christlichen Glauben gehört also, wenn er nicht sich selbst pervertieren will, das Eingeständnis und das Bekenntnis, dass er etwas bekennt, worüber er selbst nicht verfügt, was er nicht in der Tasche hat und infolgedessen nur im „Von-sich-weg-Verweisen“ auf armselige Weise bezeugt. Wenn der christliche Glaube also – wie es die pluralistische Religionstheologie will – auf die von ihr vertretene Absolutheit der Wahrheit verzichten würde und stattdessen sagen würde: Ja, wir sind eine von vielen religiösen Gruppierungen, so spielte es gerade das ewige Spiel von Ausgrenzung, Selbstbehauptung, Machtmissbrauch – also das, was die Geschichte der Religionen kennzeichnet – weiter: „Ich bin so - ihr seid anders!“. Nein, „der spezifische Dienst des Christentums an der Aufgabe des [Religions- und] Weltfriedens [besteht] nicht in der Ausklammerung, sondern in der Realisierung seines Absolutheitsanspruchs.“14 Der Dienst des Christentums besteht darin, auf Chris13 14 Ebd. 147. Ebd. 148. tus und die in ihm erschienene radikale Liebe Gottes zu verweisen und damit eo ipso darauf zu verzichten, auf Selbstbehauptungs-, Abgrenzungs- und Ausgrenzungsansprüche zu setzen. Es geht darum, auf Christus zu weisen: ER ist die Wahrheit, nicht wir; er ist die Wahrheit in Person, und nicht wir haben sie in der Tasche und schlagen sie den andern um die Ohren. Nein, wir verweisen auf IHN, der alle an sich ziehen möchte und wir stellen an den anderen Religionen und deren Mitgliedern heraus, was in ihnen auf Christus hin bereits in Bewegung ist. Der sog. Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens ist somit alles andere als ein Herrschaftsanspruch, obwohl er sich auch immer wieder dahin pervertiert, sondern er ist gerade die Bedingung dafür, dass keine Herrschaftsansprüche gegeneinander aufgestellt werden und die Wahrheit nur im Von-sich-weg-Verweis bezeugt werden kann. Dies zum theologischen Hintergrund der pluralistischen Religionstheologie. Ganz kurz noch möchte ich aber auch auf den philosophischen Hintergrund hinweisen. Das philosophische Problem, das sich mit der pluralistischen Religionstheologie stellt, ist die Frage, ob es eine verbindliche Wahrheit für den Menschen gibt, ob der Mensch also „wahrheitsfähig“ ist (siehe dazu auch die Enzyklika „Fides et Ratio“). Ich kann diese Frage hier nicht weiterbehandeln, aber hier steckt ein gewaltiges Problem auch für andere Themenbereiche, das unsere unbedingte Aufmerksamkeit erfordert. Es würde auch darum gehen, bis in die Dimension des Psychologischen und Pädagogischen hinein, aufzuweisen, was mit einem Menschen passiert, der keine An-Sprüche, Wahrheits-Ansprüche an sich mehr gelten lässt, sondern sich selbst jeweils als Mittelpunkt eines Universums konstituiert, das jeweils Wahrheit nur als Eigenentwurf kennt. Ich befürchte, dass die Folgen dieses „Menschenbildes“ uns noch erst aufgehen werden: In der Politik der pure Opportunismus, in der Gesellschaft die „Spaßgesellschaft“, im persönlichen Leben die totale, entpersonalisierte Oberfläche. Was geschieht mit dem Menschen, wenn es nichts mehr gibt, wofür er den Kopf hinzuhalten bereit ist, wenn es nichts mehr gibt, was „höher“ ist als er selbst und die Plausibilitäten seines Lebens? Zur Frage des Dialogs Die pluralistische Religionstheologie behauptet, dass die sog. inklusivistische Position des christlichen Glaubens dialogunfähig ist. Denn was kann für einen Christen, der von einer letztgültigen Offenbarung in Christus überzeugt ist, der Dialog überhaupt noch bringen? Dazu einige Hinweise. Zunächst einmal wird man sagen müssen: Ein wahrhaftiger Dialog der Weltreligionen setzt gar nicht – wie das so leichthin behauptet wird – das Pluralismus-Paradigma voraus. Im Gegenteil! Sehr treffend schreibt Moltmann dazu: „Dialogwürdig ist doch nur eine Religion, die sich selbst ernst nimmt. Eine Religion, die ihre Einzigartigkeit preisgegeben hat, erweckt kein besonderes Interesse. Was ist ein Jude ohne das ‚Schema Israel', was ein Muslim ohne Islam, was ein Christ ohne den eindeutigen Heilszuspruch Christi? Sofern der sog. ‚christliche Absolutheitsanspruch' ... die Einzigartigkeit Jesu Christi meint, ist er die Voraussetzung für den Dialog mit anderen Religionen. Denn allein diese christliche Identität ist dialogwürdig. Als Marxist oder als Muslim wäre ich an einem konzessionistischen Christentum so wenig interessiert wie an einer ‚pluralistischen Theologie', die den Polytheismus vertritt.“15 Was aber kann der Dialog dem Christentum bringen, wenn es davon überzeugt ist, das letzte Wort Gottes empfangen zu haben? Christlicher Glaube unterwegs – im Dialog Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir nochmals auf das Wahrheitsverständnis des christlichen Glaubens zurückkommen. Die Wahrheit, auf die sich der Glaube bezieht und die er vertritt, ist im ersten Ansatz keine Weltanschauung und kein in sich stehendes Bündel von Wahrheiten. Die Wahrheit des Christentums bezieht sich vielmehr auf die personale Selbstmitteilung Gottes. Und diese ist schon im Alten Testament die Zusage seiner rettenden Gegenwart, die Gott in immer neuen, geschichtlich sich wandelnden Situationen wahr macht und deshalb in immer neuer Weise vom Menschen als wahr erfahren wird. Kurz: Wer Gott ist, wie er sich verhält, auf welche Weise er dem menschlichen Leben Grund und Ziel verleiht, das kommt je neu in der Geschichte heraus, ja, das kommt endgültig erst in der Zukunft heraus, in der sich die Verheißungen Gottes vollends erfüllen. Besonders deutlich wird dies in jenem Ereignis, in dem die personale Selbstmitteilung Gottes nach christlichem Verständnis ihre Zuspitzung erreicht: in der Person Jesu Christi, der von sich selbst sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Damit ist gesagt, dass sich in ihm die verheißene Selbstgabe und Selbsterschließung Gottes wirklich erfüllt (er ist „die“ Wahrheit); zugleich aber steht die Endvollendung, die endgültige Bewahrheitung der in seiner Person gegeJ. Moltmann, Dient die „pluralistische Theologie“ dem Dialog der Weltreligionen?, in: EvTh 49 (1989) 535. 15 benen Zusagen Gottes noch aus. Gewöhnlich sagen wir: Sein Parusie steht noch aus: seine Verheißungen sind noch nicht ganz erfüllt. Um das besser zu verstehen, muss man bedenken: Jesus Christus ist keine „Privatperson“, sondern er ist im Bildwort der Deuteropaulinen das Haupt des Leibes mit vielen Gliedern (Kol l, 18; Eph l, 22f). Das bedeutet: Erst dann ist Christus selbst zur Vollendung gekommen, erst dann hat er seine eigene Fülle erhalten, wenn sich alle Wirklichkeit so von ihm bestimmen lässt, dass er als Haupt mit allen Gliedern seines Leibes (= die Kirche und – in letzter Konsequenz – die ganze Schöpfung) auch wirklich vernetzt ist, dass er wirklich das Haupt der Schöpfung ist. Damit aber hat Christus selbst noch eine unabsehbare „Zukunft“ vor sich. Was ist das für eine „Zukunft“? Kurz gesagt: es ist die Zukunft der Begegnung zwischen ihm und dem, was noch nicht ausdrücklich und in freier Anerkennung ihm gehört. Der Ton liegt auf „ausdrücklich“, „auf Grund freier Anerkennung“. Denn „im Prinzip“ gehört Christus ja schon alles. Er wirkt ja in der Schöpfung schon von Anbeginn; Ähnliches gilt auch vom Heiligen Geist. Auch er wirkt bereits in der ganzen Schöpfung, so dass es nichts gibt, was mit ihm nicht in Beziehung stünde. Aber was schon von Anfang an ist, dass Christus die Welt gehört und der Geist sie mit seinem Wirken durchdringt, das soll in Freiheit vom Menschen anerkannt und ausdrücklich, öffentlich, auf Grund freier Entschiedenheit realisiert werden. Da das aber jetzt noch nicht geschehen ist, hat auch das Christentum noch eine Zukunft vor sich. Damit kommt das, was es selbst eigentlich ist, in einem geschichtlichen Prozess der Begegnung zwischen ihm und dem ihm (noch) Fremden erst noch heraus, so dass nach Rahner wirklich „die geschichtliche Ausfaltung seines Wesens noch im Werden ist und also die Fülle der Objektivation dieses seines Wesens noch sucht.“16 An anderer Stelle bemerkt Rahner: Christentum und die Kirche haben „erst dann ihre endgültige Fülle und geschichtliche Vollendung erlangt, wenn die gesamte Heils- und Offenbarungsgeschichte sich ausdrücklich in die Geschichte des Christentums und der Kirche hinein verwandelt hat. ... [So ist] verständlich, dass auch das Christentum und die Kirche noch immer die Vollendung ihres eigenen Wesens suchen müssen, um in dem ...noch nicht ausdrücklich Christlichen innerhalb der geistigen und religiösen Geschichte der Menschheit dasjenige erkennen können, was Christentum und Kirche sich selber anverwandeln müssen, um das ganz zu werden, was sie schon sind: die geschichtliche Erscheinung der Gnade Gottes...“17 Das klingt kompliziert. Ich möchte diese Beweglichkeit und Unabgeschlossenheit des christlichen Glaubens an einem konkreten Beispiel (bewusst nicht aus der Religionsgeschichte) illustrieren: Als in den neuzeitlichen Wissen16 17 K. Rahner, in: G. Szczesny, Die Antwort der Religionen, München 21965, 195. K. Rahner, Schriften VIII, 364. schaften der Gedanke der evolutiven Verfassung aller Wirklichkeit aufkam, gab es vom christlichen Glauben her a priori keineswegs ein Kriterium dafür, wie damit umzugehen sei. Entsprechend der konservativen Grundstimmung aller Religionen neigte man zunächst dazu, diese neue Einsicht abzulehnen, da man nicht sah, wie der Glaube von der Welt als Schöpfung eines allmächtigen Gottes mit der neuen Entdeckung, der Kosmos sei nichts anderes als ein sich durch Selbstorganisation hervorbringender evolutiver Vorgang, in Verbindung zu bringen sei. Aber dann stellte sich in einem Prozeß des Denkens, Meditierens und Erfahrens heraus, dass und wie Jesus Christus auch „Herr“ einer evolutiv verstandenen Wirklichkeit ist, ja, wie sein „Herrsein“ auf diesem Hintergrund sogar noch eindringlicher hervortritt: Er ist das „Alpha“, das in der Dynamik evolutiven Werdens der Welt auf seine eigene Vollendung „Omega“ hin unterwegs ist (um es mit den Worten Pierre Teilhard de Chardins zu sagen). Mit diesem Neuverständnis von Schöpfung aber – „Schöpfung als Evolution“ –, das sich der Begegnung mit den Naturwissenschaften verdankte, hat sich das Gesamtgefüge des christlichen Glaubens, das Gottes- und Christusverständnis des Menschen und sein Verhältnis zur Welt gewandelt. Es ist durch Erkenntniszuwachs auf Grund des Dialogs mit den Naturwissenschaften das gleiche und doch nicht das gleiche geblieben. Das ist ein Beispiel dafür, wie das Christentum und das der christliche Glaube einen „Zugewinn“ erhält und erhalten muss durch Dialog. A fortiori gilt Ähnliches von den spezifisch religiösen Wahrheiten. Der christliche Glaube bedarf der Universalisierung, nicht nur, indem er überall verkündet wird, sondern auch indem er überall angenommen wird. Angenommen aber wird er durch Menschen, die bis dahin aus einer Fülle von „vorchristlichen“ religiösen Erfahrungen lebten. Diese Erfahrungen werden durch die Annahme des Glaubens nicht eliminiert, sondern re-formiert und neu informiert. Dadurch gewinnt aber auch die Glaubensbotschaft selbst einen „Zuwachs“, eine neue Tiefe und ein neues „Material“, in dem sie sich „inkarniert“. In der Begegnung mit dem ihm bis dahin „Fremden“ wird erst das kirchliche Kerygma universal, die anderen Religionen bieten eine neue Grammatik zu seiner vollen Erschließung. Überdies kann es sein, dass in einer anderen Religion auf Grund des Logos- und Geistwirkens Züge des Evangeliums besser verwirklicht sind als im Christentum. Das heißt aber: Durch den Dialog und die Begegnung mit den anderen Religionen wird auch der Glaube an Christus als das Zentrum aller Wirklichkeit zu sich selbst geführt, zu seiner extensiven u0nd intensiven Fülle. Der wahrhaftige Dialog gehört mithin wesentlich zur Position des Inklusivismus. Es bedarf dazu nicht der Thesen des Pluralismus, der keine letzte Offenbarung Gottes anerkennt. Nein, auch und gerade, wenn man den Inklusivismus vertritt, gilt es, von den anderen Religionen zu lernen mit dem Ziel, dass die Wahrheit, die das Christentum vertritt, die Wahrheit in Person, Jesus Christus, das wird, was er bereits ist, nämlich das „Haupt“ der ganzen Schöpfung, von dem aus alles übrige zusammengefasst und zusammengehalten wird. Umgekehrt sind die Religionen, die ja von Gott her Wege zur Einheit sind und sein sollen, aus ihrem Partikularismus hinauszuführen auf eine umfassende, alles integrierende Einheit hin. Beispiel: Christentum – Judentum Diese Grundeinstellung zu den Religionen findet sich im Neuen Testament am Beispiel Christentum - Judentum expliziert. Auch wenn das Verhältnis beider ein einmaliges ist, das sich so zwischen Christentum und anderen Religionen nicht wiederholt, gibt es doch Analogien, denen exemplarischer Charakter eignet. Nach Paulus (Röm 11,11ff) kann die christliche Kirche ihre Vollgestalt nicht eher finden, als bis Israel sich Christus zugewandt hat. H.U. v. Balthasar schreibt: Die Kirche „bleibt defizient katholisch, sofern Israel (als Volk) sich seiner eigenen Erfüllung in Jesus Christus verweigert hat und damit (wie Barth sagte) Schisma und Abgrund mitten in der Kirche offen hält.“18 Dieser Ur-Riß zwischen dem ursprünglich berufenen, in seiner Gesamtheit aber nicht integrierten Gottesvolk aus den Juden und der Kirche aus den Heiden (wie Paulus sagt) setzt sich analog im Verhältnis zwischen Christentum und Weltreligionen fort. Solange nicht alle Wege Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott ausdrücklich eingemündet und integriert sind in den, der von sich sagt: „Ich bin der Weg“, bleibt im Christentum ein „Schisma“ und ein „Abgrund“. Darum gibt es ein „Noch-nicht“ der Kirche und der christlichen Wahrheit, das sie auf die anderen Religionen angewiesen sein läßt. Oder anders gesagt: Die Katholizität, d.h. die Fülle der endgültigen Wahrheit hat die Kirche nie anders, als dass sie von sich weg auf Jesus Christus zeigt, der, solange Zeit und Geschichte währen, sozusagen noch „dabei ist“, die Welt in eine „Synthese“ mit sich zu bringen. Die Kirche kann – wie H.U. v. Balthasar sagt – „nie verweisen auf die durch sie selbst vollbrachte Synthese.“19 Eben deshalb aber ist sie auch auf die Begegnung mit den anderen Religionen an18 H.U. v. Balthasar, Die Absolutheit des Christentums und die Katholizität der Kirche, in: W. Kasper (Hrg.), Absolutheit des Christentums, Freiburg i. Br. 1977, 146. 19 Ebd. 148. gewiesen, in denen der dreifaltige Gott Menschen, so wie ER will, zu sich führt und die „Syn-These“ vollbringt. Und darum: „Viele werden aus Ost und West kommen, um mit Abraham, Isaak und Jakob zusammen zu Tische sitzen im Himmelreich“ (Mt 8). Erst dann und nur so kann die Vollendung – hier im Bild des himmlischen Gastmahls angedeutet – anbrechen, wenn die Wege der anderen Religionen, in denen der dreifaltige Gott immer schon wirkmächtig gegenwärtig ist, einmünden in die Gestalt jener Offenbarung, in der Gott sein „letztes Wort“ und „seine innerste Gesinnung“ dem Menschen mitgeteilt und ihm die Verheißung gegeben hat, an seinem dreifaltigen Leben teilzuhaben. So gehört die Zukunft der sog. Großen Ökumene, dem Bemühen um Einheit unter den Weltreligionen. Im Blick darauf könnte die Vermutung Hans Urs v. Balthasars zutreffen: „Das Christliche steht vielleicht in seinen ersten Anfängen.“20 20 H.U. v. Balthasar, Spiritus Creator, Einsiedeln 1967, 140.