Zur_Lage_der_OEkumene

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Zur Lage der Ökumene Karl Lehmanns energische
Erinnerung ans Konzil und an theologische
Forschungsergebnisse
Von Johannes Röser
Weit mehr Aufregung als die großzügige Wiederzulassung der tridentinischen Liturgie
hatte im Sommer eine kurze Stellungnahme der vatikanischen Glaubenskongregation
zum Kirchesein beziehungsweise Nicht-Kirchesein der evangelischen Kirchen verursacht
(vgl. CiG Nr. 29/2007). Nach bereits vorausgegangenen Empfindlichkeiten und
Turbulenzen im ökumenischen Miteinander, rief dieser Text vor allem im Ursprungsland
der Reformation unter vielen Mitschwestern und Mitbrüdern im Glauben geradezu
Empörung hervor. In der Folgezeit ist das Klima zwischen evangelischer und katholischer
Kirche nochmals spürbar frostiger geworden, nach mancher Abkühlung bereits vorher.
Denn auch die evangelische Sehnsucht nach einer „Ökumene der Profile" mit bewußt
scharfer Abgrenzung von der „Papstkirche" und einem sakramentalen Amt hat herbstlichwinterliche Spuren hinterlassen, nicht wenige reformoffene Katholiken schwer enttäuscht,
vor den Kopf gestoßen. Das soll, das darf nicht ungesagt bleiben.
Nur: Abrechnungen, wer wieviel an neokonfessionalistischen Zungenschlägen und
Sticheleien schuld sei, helfen nicht weiter. Beide Kirchen stecken wie das Christentum
insgesamt weltweit in einer gewaltigen geistigen Glaubwürdigkeits- und Glaubenskrise.
Nur eine überzeugende gemeinsame spirituelle wie strukturelle Erneuerung kann
befreien.
Wie soll es weitergehen, besser gehen, ökumenisch? In diesen Tagen ist auf ein höchst
beachtenswertes, sehr sorgfältig erarbeitetes Referat hinzuweisen, das Kardinal Karl
Lehmann als Vorsitzender der Bischofskonferenz bei der jüngsten Vollversammlung
gehalten hat. Das Dokument, das unter anderem in der „Frankfurter Allgemeinen" (25.
September) abgedruckt wurde, weitet den Blick und zeigt größere Zusammenhänge auf,
auch historischer Art. Vor allem ruft es bedeutende Aussagen des Zweiten Vatikanischen
Konzils in Erinnerung, die manchmal offenbar schlichtweg vergessen oder in späterer
Anwendung extrem einseitig herangezogen und ausgelegt wurden. Lehmann schlägt
einen weiten Bogen. Er ergründet dabei die Entstehungsgeschichte der einschlägigen
Passagen zur Frage des Kircheseins außerhalb der katholischen Kirche.
Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte
Stein des Anstoßes sowohl beim früheren Vatikan-Dokument „Dominus Jesus" wie auch
bei der knappen „Antworten"-Stellungnahme der Glaubenskongregation vom 10. Juli sind
Aussagen, die das Kirchesein anscheinend exklusiv an die katholische Kirche zu binden
suchen und andere Kirchen zu „kirchlichen Gemeinschaften" herabwürdigen. Ist die
Kirche Jesu Christi, ihr Wesen, schlichtweg mit der katholischen Kirche, wie sie sichtbar
verfaßt wirkt, identisch?
Lehmann geht zurück zum Schlüsseltext in der dogmatischen Konstitution „Lumen
Gentium", im ersten Kapitel, Artikel 8, über das Mysterium der Kirche. Darin findet sich
das vieldiskutierte Wort „subsistit in", über dessen Bedeutung und Übersetzung heftig
gestritten wird. Der Wortlaut im Zusammenhang: „Dies ist die einzige Kirche Christi, die
wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen.
Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen..., ihm
und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut..., für immer hat
er sie als ,Säule und Feste der Wahrheit' errichtet... Diese Kirche, in dieser Welt als
Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche (subsistit in
Ecclesia catholica), die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit
ihm geleitet wird." Dann folgt die für die ökumenischen Beziehungen bedeutende
Kernaussage: „Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente
der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben
auf die katholische Einheit hindrängen."
Karl Lehmann erklärt, warum man zur Interpretation auch die Vorgeschichte dringend
beachten muß. Jenes erste Kapitel machte bis zur Schlußabstimmung der Konzilsväter
nämlich vier Textfassungen beziehungsweise vier Redaktionsstufen durch. Und bis zur
vorletzten Fassung tauchte das „subsistit in" nicht auf, sondern das „est" („ist"). Das heißt:
Bis dahin war eine Aussage vorgesehen, die eine völlige Identifikation der universalen
Kirche mit der katholischen Kirche vorsah. Also: „Diese Kirche... ist die katholische
Kirche." Ursprünglich war sogar noch der Zusatz „römisch" vorgesehen, wonach diese
Kirche Jesu Christi die „römisch-katholische Kirche" sei. Außerdem war zunächst die
Rede vom „Romanus Pontifex", also vom „römischen Pontifex", was dann jedoch
abgewandelt wurde in den „Nachfolger Petri" („Successor Petri"). Für Lehmann ist
offenkundig, daß man da den Ostkirchen gerecht werden wollte und daß man den
dynamischen Gedanken der Nachfolge wollte, nicht die statische, auf einen Ort
bezogene, möglicherweise imperial mißzuverstehende Sicht einer puren souveränen
obersten Lehrautorität aus sich.
Entscheidend und erhellend ist eine weitere Hinzufügung: Anfangs wollte man für
„außerhalb der katholischen Kirche" nur „vielfältige Elemente der Heiligung" erwähnen.
Dann aber hat man bewußt die „Wahrheit" hinzugefügt, so daß in der Endfassung von
vielfältigen Elementen der Heiligung und der Wahrheit (!) die Rede ist. Das war und bleibt
ein klares Signal des Konzils, das man nicht im Abstand von vierzig und mehr Jahren
übergehen oder gar verwässern darf!
Was meint „subsistit in"?
Das Ringen um ein neues Wort, die Wahl des „subsistit in" statt des „est" läßt sich
demnach nicht als wortspielerischen Zufall abtun. Jedes Wort hat ein Wortumfeld, eine
Aura, die man selber nicht angemessen in Worte fassen, die man aber in einem inneren
Sinnverständnis spüren, wahrnehmen kann, selbst im zeitlichen Abstand. Das ist
genauso beim „subsistit in" im Unterschied zum „est" der Fall. Es hat eben eine andere
Klangfarbe, eine andere Tönung. Ob dieser Wandel jedem in der vorbereitenden
theologischen Kommission und in der Vollversammlung gleich bewußt war, muß
dahingestellt bleiben. Doch ist nach Lehmanns Auffassung eindeutig: „Dies darf nicht so
gedeutet werden, als ob das subsistit im Grunde die gleiche Bedeutung habe wie ein
exklusiv verstandenes est."
Allerdings dürfe man den Wortwandel nicht so interpretieren, als ob die katholische Kirche
damit Abschied genommen habe von der Auffassung, nicht die wahre Kirche Jesu Christi
in geschichtlich sichtbarer Gestalt zu sein. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte gewiß
nicht mit vorherigen Auffassungen brechen. Aber es entschied sich eben für eine
maßgebliche Horizonterweiterung, die erheblich mehr bedeutet als nur eine kleine
semantische Verschiebung. Lehmann: „Es war gewiß eine Art von Kunststück, ohne
Zweideutigkeiten und Unklarheiten einerseits daran festzuhalten, daß die Kirche Jesu
Christi ihre konkrete Existenzform in der katholischen Kirche hat, und andererseits, daß
es unbeschadet dieser grundsätzlichen Position Raum für die Auffassung gibt, es gebe in
den von der katholischen Kirche getrennten Kirchen echte kirchliche Elemente, so daß
diese Kirchen auch irgendwie am Kirchesein teilhaben. Diese Probleme hat das Konzil im
Einzelnen nicht mehr zu Ende gedacht." Weitere Klärungen seien offen und notwendig.
Aber es ist festzuhalten: „Wenn nun klar belegt ist, daß die Veränderung zum subsistit hin
keine Aufhebung oder Abschwächung des katholischen Selbstverständnisses von Kirche
ist, muß auch nach der anderen Seite hin deutlich bleiben, daß durch die Ersetzung des
est durch subsistit in der Einschätzung der theologischen und besonders ekklesialen
Qualität der nicht-katholischen Kirchen wirklich eine vertiefte Erkenntnis vorliegt, die nicht
verkürzt oder gar geleugnet werden darf." Man darf wohl hinzufügen: auch nicht vom
Vatikan, auch nicht von der obersten Glaubensbehörde, auch nicht vom Papst.
Karl Lehmann lenkt den Blick auf zwei weitere Konzilstext-Abschnitte, einen in der
Kirchenkonstitution und einen im Ökumenismusdekret. Beide würdigen in sehr
einfühlsamer Weise das Christsein der anderen Christen, ihren sakramentalen Ernst, ihre
biblische Ehrfurcht und Treue. Aus diesen Texten zieht Lehmann den Schluß, daß auch
der Ausdruck „kirchliche Gemeinschaften" da keineswegs ehrenrührig oder abwertend zu
verstehen ist, weil kirchliche Gemeinschaften im engen Kontext des Konzils damals viel
mehr meinen als nur eine soziologische Größe: eine wahrhaft kirchliche, ekklesiale
Qualität. Dahinter dürfen neuere vatikanische Texte nicht zurückfallen. Definitiv im
Wortlaut des Konzils, des Ökumenismus-Dekrets (Artikel 3): „Hinzu kommt, daß einige, ja
sogar viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut
wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen
Kirche existieren können."
Sichtbare Kirche, nicht spekulative Kirche
Hier kann sich der Kardinal eine deutliche, wenn auch diplomatisch formulierte Kritik am
Text der Glaubenskongregation vom Sommer und an der nachfolgenden Diskussion nicht
verkneifen: Jene Konzilsaussagen „sind und bleiben ökumenisch höchst bedeutsame
Worte. Es ist erstaunlich, daß sie bei den Auseinandersetzungen... eine ganz geringe
Rolle gespielt haben. Bei allen Einschränkungen und notwendigen Differenzierungen ist
hier eine ganz grundlegende Anerkennung der authentischen ekklesialen Realität und bei
aller Unvollkommenheit des Kircheseins ausgesprochen."
In diesem Zusammenhang erwartet der Theologe allerdings genauso eine innerevangelische Redlichkeit und Kenntnis der eigenen Texte. So habe der alternde Luther
zum Beispiel in sehr schroffer Form 1537 ablehnend über die römisch-katholische Kirche
geurteilt: „Wir gestehen ihnen nicht, daß sie die Kirche seien, und sie sind's auch nicht,
und wollen (sie's) auch nicht hören, was sie unter dem Namen der Kirche gebieten oder
verbieten." Es gebe bis heute kein offizielles korrigierendes oder zurückweisendes Wort
von evangelischer Seite zu dieser Aussage, die immerhin Bestandteil der
Bekenntnisschriften ist. Allerdings gesteht Lehmann mildernd zu, daß diese Aussage
wohl faktisch obsolet geworden sei.
Insgesamt ist nach Lehmann auf jeden Fall daran festzuhalten, daß es sich bei der Kirche
Jesu Christi um Kirche in ihrer geschichtlichen Ausprägung, um eine wirklich „sichtbare
Kirche" handeln muß, nicht um eine imaginäre Kirche, ein spekulatives Konstrukt jenseits
irdischer Wirklichkeit. Entsprechend müsse sich das Ringen um die Einheit der Christen
um eine konkrete Gestalt und Sichtbarkeit bemühen. Die Einheit kann ebenfalls nicht nur
ein Konstrukt jenseits von Wirklichkeit sein. Lehmann bittet entsprechend die
evangelische Seite, ihre eigene Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis von
1530, ernst zu nehmen. Vor allem die Bedeutung des geistlichen Amtes, die darin
eingeschlossen ist.
Deutliche Kritik an der Glaubenskongregation
Lehmann bemängelt neuere Bestrebungen, die Confessio Augustana weichzuspülen und
insbesondere dessen siebten Artikel so auszulegen, als ob das Amt nicht notwendig sei,
damit - wie es da formuliert ist - „das Evangelium rein gepredigt und die heiligen
Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden". Karl Lehmann verweist auf
grundlegende gemeinsame Forschungsarbeiten evangelischer wie katholischer
Theologen, die aufzeigen, daß es im Augsburgischen Bekenntnis unausgesprochene
Voraussetzungen der Evangeliumspredigt und der Sakramentenverwaltung gibt. Dazu
gehört das Amt. Entsprechend lautet das Ergebnis des bedeutenden Ökumenischen
Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen: „Das Apostolische Amt steht
nicht auf derselben Ebene wie Verkündigung des Evangeliums und Spendung des
Sakramentes; es ist vielmehr beiden dienend zugeordnet... Die Gemeinde ist auf die
Gemeinschaft mit dem Apostolischen Amt angewiesen; es bedarf aber auch das Amt der
Rezeption durch die kirchliche Gemeinschaft."
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz bedauert, daß das ökumenische Einheitsmodell
der „versöhnten Verschiedenheit", das zuletzt an Akzeptanz gewonnen hat, womöglich
zunehmend so verstanden wird, als ob man die Rolle und Bedeutung des Amtes dabei
ausklammern könne. Wenn das der Fall wäre, sei das „kein geeigneter Weg für das
weitere ökumenische Gespräch". Die Amtsfrage gehört wesentlich in die Thematik hinein.
Es geht dabei ebenfalls um die sichtbare, strukturelle Einheit bei aller Vielfalt, nicht um
eine mehr oder weniger schwebende geistige Einheit, die sich nicht darum kümmert, wie
die Kirchen faktisch am Ende doch getrennt bleiben und nebeneinanderher leben.
Das Mühen um wirkliche und nicht nur fiktive Einheit will Lehmann als dringend notwendig
wieder ins Bewußtsein rufen. Dazu nimmt er auch die evangelische Kirche in die Pflicht,
im Blick auf ihre Geschichte, die ja weit länger zurückreicht als nur bis zur Reformation.
Lehmann zitiert einen aufsehenerregenden Satz des Berliner Bischofs Wolfgang Huber,
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. In seiner Hamburger Rede
vom 25.August sagte er: „Die evangelische Kirche ist die katholische Kirche, die durch die
Reformation hindurchgegangen ist." Huber habe damit darauf aufmerksam gemacht, daß
die evangelische Kirche eine 1500 Jahre umfassende gemeinsame Geschichte mit der
katholischen und orthodoxen Kirche hat.
Am Ende seines Referats spart Karl Lehmann nicht mit Kritik an der Verfahrensweise und
am Stil der Verlautbarungen der Glaubenskongregation. Es sei nicht angebracht, selbst
notwendige Erinnerungen und Mahnungen verbindlicher Aussagen, besonders im
ökumenischen Gespräch, „im Abstand von wenigen Jahren nur zu wiederholen. Dies ist
besonders mißverständlich, wenn die Einschärfung verbindlicher Entscheidungen sehr
knapp erfolgt und manchmal auch frühere Texte einseitig ausgewählt und ausgelegt
werden". Außerdem müsse man auch die weitergehende theologische Debatte beachten.
„So kann man sich auch fragen, ob das etwas steife und wenig bestimmte Wort ,vielfältige
Elemente der Heiligung und der Wahrheit' (Lumen Gentium 8) wenigstens im Lauf der
Zeit durch den Fortgang der ökumenischen Kontakte und der ökumenischen Gespräche
aufgefüllt und verlebendigt werden könnte." Schließlich verlangt der Kardinal eine „viel
engere Zusammenarbeit zwischen der Kongregation für die Glaubenslehre und dem
päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen". Gerade der Einheitsrat müsse
seine eigenen Erfahrungen wirksam einbringen können. Offenbar ist er sowohl beim
jüngsten Dokument wie auch bei „Dominus Jesus" übergangen worden.
Lehmann mahnt außerdem alle Christen, das, was im ökumenischen Gespräch längst
erreicht worden ist, nicht leichtfertig zu vergessen oder gar zu verdrängen. Leider sei
allzuvieles nicht mehr präsent. Man kann da aber nicht ständig wieder von vorne
anfangen. Er schlägt vor, als Mittel gegen die Versuchung zur Abgrenzungs-Ökumene
sich von Zeit zu Zeit mit Erklärungen über wachsende Übereinstimmung und wachsende
Glaubensgemeinschaft auf dem ökumenischen Weg dessen zu vergewissern, was man
bereits positiv erreicht hat und wohinter es kein Zurück mehr gibt.
Es ist ein deutliches, wegweisendes, befreiendes Wort zur Lage der Ökumene, das Karl
Lehmann vorgetragen hat. Erste Reaktionen aus der evangelischen Kirche haben es als
wohltuend begrüßt. Möge man das auch in Rom hören und sich zu Herzen nehmen,
ebenfalls in Wittenberg, Berlin, Genf, Moskau - und anderswo!
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