Kirchliche Einheit – eine christliche Perspektive

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Geschichte der Ökumenischen Bewegung II
Einleitung
„So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in
rechter Weise beten sollen; Der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in
Worte fassen können“ (Röm 8,26). Geschichte hat man zuerst zur Kenntnis zu nehmen, bevor
man sie nach eigenem Gutdünken kommentiert. Doch ich möchte den Hauptakzent auf den
Versuch einer Bestandsaufnahme legen. Dabei möchte ich positive Beobachtungen ebenso
darlegen wie kritische Anfragen.
Fakten
Jahr
Ort
Kirchen Delegierte Thema
1948 Amsterdam
147
351
Die Kirche
1954 Evanston
163
502
Christus – Hoffnung der Welt
1961 Neu-Delhi
198
577
Jesus Christus – Heil der Welt
1968 Uppsala
235
700
Siehe, ich mache alles neu
1975 Nairobi
286
700
Jesus Christus befreit und eint
1983 Vancouver
304
839
Jesus Christus – Leben der Welt
1991 Canberra
317
800+
Heiliger Geist, erneuere die ganze Schöpfung
1998 Harare
Man kann feststellen, dass die Anzahl der Mitgliedskirchen sowie der Delegierten kontinuierlich
gestiegen ist und dass sich bezüglich der „Basis“ vom ÖRK der Blick von einer einseitig
christozentrischen Position auf eine trinitarische Position ausgeweitet hat.
Kirchliche Einheit – ein erreichbares Ziel?
Ohne Zweifel ist im Verlauf der Ökumenischen Bewegung und in der Wirkungsgeschichte des
ÖRK viel Positives geschehen und erkannt worden, deren Einzelheiten ich nicht alle
wiedergeben möchte. Doch hinsichtlich vieler Beobachtungen möchte ich einmal kritisch
hinterfragen, ob die kirchliche Einheit, zumindest so wie sie immer wieder gefordert und
angestrebt wird, ein erreichbares Ziel ist, ja überhaupt sein kann.
Immer wieder wurde, auch schon in der Vorgeschichte des ÖRK, festgestellt, dass die Einheit
der Kirchen in der einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche Jesu Christi wesentlich
abhängig ist von der Einheit der Menschen in Christus. Schauen wir in die Geschichte der
Menschheit, so erkennen wir, dass diese Einheit bereits mit dem Sündenfall grundlegend gestört,
wenn nicht sogar einseitig gebrochen ist. Auch im weiteren Verlauf des AT erfahren wir immer
neue „Aktualisierungen“ dieses Bruches, sei es am Beispiel des Brudermordes, oder des
Bundesbruches Israels mit Gott. Schließlich haben wir aus jüdisch-christlicher Sicht mit der
Entstehung des Christentums eine fundamentale Kirchenspaltung, die der Sammlung des einen
Volkes Gottes elementar widerspricht. Die Wirkungsgeschichte des ÖRK hat unter positiven
Randbedingungen sichtbar und deutlich gemacht, wie gespalten und uneins die Gemeinschaft
derer ist, die nach der „Basis“ des ÖRK „unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland
anerkennen“. Auch im Verlauf der verschiedenen Vollversammlungen drohte immer wieder
erneute Spaltungen (Uppsala: Vertikalisten contra Horizontalisten, Vancouver: Wiederspruch der
orthodoxen Kirchen, Canberra: Überprüfung der Beziehungen zum ÖRK).
Mir scheinen die größten Feinde der Ökumenischen Bewegung die „Machbarkeits-Falle“, die
Trennung von „Kontemplation und Aktion“ und die Ungeduld, mit einem Wort: die
Geistvergessenheit, zu sein. Ich wage auch noch einen eschatologischen Blick: Die Einheit des
einen Leibes Christi ist ausdrücklicher Wille Jesu Christi (vgl. Joh 17), steht aber in der
geschichtlichen Wirklichkeit in der Spannung zwischen Anbruch und Vollendung. Das heiß, ich
halte die vollendete sichtbare Einheit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche
für nicht von Menschen machbar, sondern nur vom Menschen in demütiger Hingabe vom
dreieinen Gott annehmbar, wie Maria uns zum Vorbild gibt: „Ich bin die Magd des Herrn, mir
geschehe wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38).
Kirchliche Einheit – eine christliche Perspektive
Wenn ich die volle kirchliche Einheit schon nicht für ein erreichbares Ziel halte, so sehe ich
darin doch eine christliche Perspektive von kaum zu überschätzendem Wert. Denn die
Wirkungsgeschichte des ÖRK zeigt nicht nur, dass die volle kirchliche Einheit nicht machbar ist,
sondern auch, dass es höchst sinnvoll ist, diese mit allen Kräften anzustreben. Denn „es hat
sich... gezeigt, dass wir einander näherkommen, indem wir Christus näherkommen“ (Neuner,
43). Diese Annäherung zeigt sich in verschiedener Hinsicht: Die Vollversammlungen und
Kommissionen haben deutlich den Blick geweitet und gleichzeitig auf die trinitarische Einheit in
Christus konzentriert. Das anfängliche Forum zum gegenseitigen Kennen lernen führte zur
„eucharistic vision“ und zur Erkenntnis, dass es der Heilige Geist ist, der die Kirche(n) zu der
Einheit führt, die sie „nicht aus sich macht, sondern die sie ‚in glaubendem Gehorsam
empfangen‘ muss“ (Neuner, 50f). Man fand den Begriff der Koinonia wieder, um die
„Gemeinschaft im Glauben“, verbunden mit der „Gemeinschaft mit allen... Menschen und mit
aller Kreatur“ (Neuner, 65) als Perspektive auszudrücken. Der christliche Glaube verpflichtet uns
sogar zu der „Hoffnung auf den Geist, der uns von den Gespenstern der Vergangenheit, von den
schmerzlichen Erinnerungen der Trennung abzubringen vermag; er kann uns Klarheit, Kraft und
Mut verleihen, um die nötigen Schritte zu unternehmen, so dass unser Engagement immer
glaubwürdiger wird“ (Ut unum sint, 102). So plädiere ich deutlich für die kirchliche Einheit als
eine christliche Perspektive und gegen eine als erreichbares Ziel, so wie auch die LimaKommission den Blick von einem „pragmatism“ hin zur „eucharistic vision“ geführt hat, was für
mich der wohl bislang bedeutendste theologische Beitrag in der ökumenischen Bewegung ist.
Das Selbstverständnis des ÖRK
Die Basis
Die so genannte Basis ist Grundvoraussetzung für einen Beitritt in den ÖRK. Sie bildet somit
einen theologischen Minimalkonsens, der z.T. auch als gemeinsame Glaubensformel gesehen
wurden, oder als solche weitergearbeitet werden sollte. Die Formulierung bei der Gründung des
ÖRK ist dabei eindeutig (einseitig?) christozentrisch und weitläufig formuliert. Danach ist der
ÖRK „ eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland
anerkennen“.
Bei der dritten Vollversammlung in Neu-Delhi wurde die Formel christologisch universalisiert
und durch die Aussage von der „Schriftgemäßheit“ und die trinitarische Doxologie ergänzt.
Die Verfassung
Der ÖRK ist selbst keine übergeordnete Kirchengemeinschaft, sondern ein Werkzeug für die
Mitgliedskirchen hinsichtlich einer wachsenden Einheit untereinander. Ausdrücklich heißt es,
dass der Rat keine Autorität über seine Mitgliedskirchen hat. Manche Aussagen lassen dabei an
die Kirchenverfassung der römischen Kirche in dem Verhältnis zwischen Universalkirche und
Ortskirche denken, wie es in LG ausgedrückt ist. So erkennen die Mitgliedskirchen an, „dass ‚in
anderen Kirchen Elemente der wahren Kirche‘ realisiert sind und ‚dass die Mitgliedschaft in der
Kirche Christi umfassender ist als die Mitgliedschaft in ihrer eigenen Kirche‘“ (Neuner, 69).
Die Strukturen
Die Struktur des ÖRK lässt sich wohl am einfachsten mit einem Schema darstellen:
Mitgliedskirchen → Vollversammlung → Zentralausschuss → Exekutivausschuss
→ Generalsekretariat:
- Bossey, Finanz- und Hauptverwaltung, Kommunikation, Bibliothek
- Einheit und Erneuerung
(vgl. Glauben und Kirchenverfassung Faith and Order)
Leben, Erziehen und Mission (vgl. Internationaler Missionsrat, IMR)
Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung (vgl. Konziliarer Prozess, JPIC)
Teilen und Dienst
(vgl. Praktisches Christentum, Life and Work)
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