Kap7.1+7.2_Kokristalle

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40 Kapitel 7.1.2
Kokristalle aus Phenazin und Diolen, Dicarbonsäuren und
7
Diaminen
Die zuvor beschriebenen Versuche zeigen, daß es nicht gelingt, weitere
kristalline, photochrome Kokristalle aus Phenazin und substituierten 1,2Ethandiolen
bzw.
1,4-Bis-(hydroxymethyl)-benzol zu synthetisieren. Entweder konnten keine
Kokristalle oder keine für die Röntgenstruktur geeigneten Kristalle erhalten
werden.
Insgesamt
konnten
keine
weiteren,
den
vorgeschlagenen
Mechanismus der Photochromie stützende Erkenntnisse gewonnen werden.
Aus
diesem
Grund
wurden
auch
andere
symmetrische
Diole
und
Dicarbonsäuren sowie 5,10-Dihydrophenazin in die Kristallisationsversuche mit
einbezogen. Als Diole wurden 2,2´-Dihydroxybiphenyl, Hydrochinon, 1,5Dihydroxynaphthalin und 4,4´-Dihydroxybiphenyl eingesetzt. Die verwendeten
Dicarbonsäuren waren Fumar-, 2,3-Dihydroxyfumar- und Oxalsäure.
7.1
Phenazin bzw. Phenazin/Acridin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl
7.1.1 Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl
Der bernsteinfarbene Kokristall aus Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl kann
aus Aceton erhalten werden. Trotz der eingesetzten äquimolaren Mischung
der beiden bifunktionellen Komponenten hat er eine 3 : 2 Zusammensetzung
von Phenazin zu Diol. Der Schmelzpunkt liegt mit 173-174 °C im gleichen
Bereich wie der von Phenazin. 2,2´-Dihydroxybiphenyl schmilzt bei 110-112
°C.[54]
Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl 41
Die Röntgenstrukturanalyse bestätigt die 3 : 2 Zusammensetzung von Phenazin
zu Diol bzw. von 1.5 : 1 in der asymmetrischen Einheit (Abb. 7.1.1.1). Die
Raumgruppe dieses Kristalls ist P21/c.
Abb. 7.1.1.1: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und
2,2´-Dihydroxybiphenyl.
Die beiden Phenylringe des Diols stehen in einem Winkel von 62.3° zueinander.
In der Kristallpackung von 2,2´-DihydroxybiphenylH2O[55] beträgt dieser Winkel
67.6°. Die H-Brückenabstände sind 280.6 pm für O1N2 und 283.3 pm für
O2N3
( = 177.6°/175.2°).
Das
Stickstoffatom
N1
eines
der
beiden
Phenazinmoleküle ist an keiner H-Brücke beteiligt (Abb. 7.1.1.1). Zwischen dem
Phenylring (C25-C30) des Diols und der Ebene des Phenazinmoleküls (N3) wird
ein Winkel von 84.8° bzw. zwischen der anderen Diolhälfte (C19-C24) zum
Phenazinmolekül (N1,N2) ein Winkel von 86.3° ausgebildet. Obwohl die
Phenylringe
des
Diols
fast im
rechten
Winkel
zu
den
Ebenen
der
Phenazinmoleküle stehen, gibt es keine Csp2-H-Kontakte zwischen ihnen.
Die Phenazinmoleküle (N1,N2), an denen jeweils nur eine H-Brücke angreift,
liegen in fast parallelen Stapeln, wie die “Zähne eines Reißverschlusses“,
42 Kapitel 7.1.2
übereinander (Abb. 7.1.1.2). Entlang der kurzen Molekülachse sind sie
abwechselnd
leicht
versetzt.
Die
Scherwinkel
entland
der
kurzen
Molekülachsen betragen etwa 71° bzw. 109°. Der Interplanarabstand ist 358.9
pm und somit größer als die Summe der Bondi van-der-Waals-Radien aus
denen sich ein Abstand von 340 pm ergäbe.[56]
Die Phenazinmoleküle (N3), in der Mitte der Abbildung 7.1.1.2, sind parallel
stark gegeneinander verschoben (offset face-to-face-Stapelung), so daß der
Abstand
zweier
übereinanderliegender
Stickstoffatome
benachbarter
Phenazinmoleküle innerhalb dieses Stapels bis auf 717.9 pm angestiegen ist.
Aufgrund
der
Interplanarabstand
relativen
auf
Orientierung
einen
zueinander
Wert
konnte
der
von
nur
323.6 pm sinken.
Zwischen den Diolen werden zwei Wechselwirkungen ausgebildet, eine Csp2HO mit einem Abstand von 263.2 pm (Csp2-HO = 134.2°) und eine weitere,
zwischen den Phenylringen der Diole, mit einem Abstand von 310.0 pm (Csp2H
= 140.4°). Sie sind in Abbildung 7.1.1.2 gestrichelt eingezeichnet. Alle
anderen Csp2-H-Centroidabstände zu aromatischen Zentren sind länger als
360 pm.
Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl 43

N1/N2


N3/N3A
N1/N2
Abb. 7.1.1.2: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und
2,2´-Dihydroxybiphenyl. Seitliche Ansicht auf die “reißverschlußartig“ gestapelten
über eine H-Brücke gebundenen Phenazinmoleküle (N1/N2).
Der grundlegende Unterschied der Strukturen der Kokristalle aus Phenazin mit
meso-1,2-Diphenyl-1,2-ethandiol bzw. mit 2,2´-Dihydroxybiphenyl besteht
darin, daß die Phenazinmoleküle (N1,N2), wie in Abbildung 7.1.1.2/3 zu sehen,
nur über eine H-Brücke mit dem Diol in Kontakt stehen und zusätzlich
alternierend entgegengesetzt entlang der kurzen Molekülachse verschoben
sind. Die Phenazinmoleküle (N3) verfügen über zwei H-Brücken (Abb.
7.1.1.2/3) und können entlang der b-Achse alle zur Deckung gebracht
werden, obwohl die Molekülflächen stark gegeneinander versetzt sind (Abb.
7.1.1.2). Im Gegensatz zu den bisherigen Strukturen der Kokristalle mit mesoDiolen, in denen übereinandergestapelte, unendliche über H-Brücken
verknüpfte Bänder vorliegen, werden hier aus fünf Molekülen bestehende
Untereinheiten gebildet. Zwischen den aus drei Phenazinmolekülen und zwei
Diolen gebildeten Untereinheiten bestehen, mit Ausnahme der Csp2-H/OKontakte, keine attraktiven Wechselwirkung in Form von H-Brücken.
In Abbildung 7.1.1.3 ist gut zu sehen, daß die ineinander verzahnten
Untereinheiten aus jeweils fünf Molekülen nicht nur zweidimensional in
Richtung der a-Achse, sondern auch entlang der c-Achse ausgebildet sind.
44 Kapitel 7.1.2
Abb. 7.1.1.3: Aufsicht auf die Phenazinstapel entlang der b-Achse im Kokristall mit
2,2´-Dihydroxybiphenyl.
Schematisch dargestellt sind die treppenartigen Untereinheiten aus jeweils
drei Phenazin- (grün dargestellt) und zwei 2,2´-Dihydroxybiphenylmolekülen
(rot dargestellt), wie in Abbildung 7.1.1.4 skizziert, ineinander verzahnt. Die
Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl 45
Abbildung gibt in etwa die Struktur in Blickrichtung der c-Achse wieder. Die
gestapelten horizontalen, grünen Linien entsprechen den ähnlich wie die
“Zähne eines Reißverschlusses“ übereinander angeordneten, nur über eine HBrücke fixierten Phenazinmolekülen (N1/N2). Es ist gut zu erkennen, daß in
diesem Kokristall keine unendlichen, eindimensionalen, über H-Brücken
verknüpften Ketten mehr gebildet werden, sonder diskrete molekulare,
dreidimensionale Untereinheiten favorisiert werden (Abb. 7.1.1.2/3).
Abb. 7.1.1.4: Schematische Darstellung der relativen Anordnung der diskreten Untereinheiten im Kokristall: — Phenazin und — 2,2´-Dihydroxybiphenyl.
Prinzipiell sollte es nun möglich sein, selektiv einen Teil der Phenazinmoleküle
und
zwar
die
Phenazinmoleküle
(N1/N2)
gegen
eine
Verbindung
auszutauschen, die räumlich ähnlich gebaut ist, aber nur einen HBrückenakzeptor anbietet. Acridin erfüllt diese Voraussetzungen.
7.1.2 Phenazin und Acridin mit 2,2´-Dihydroxybiphenyl
46 Kapitel 7.1.2
Die im Kapitel 7.1.1 beschriebene Analyse der Struktur des, im Verhältnis von
2 : 3 vorliegenden, Kokristalls aus 2,2´-Dihydroxybiphenyl und Phenazin regte
die Synthese eines aus drei Komponenten bestehenden Kristalls an. Zwei der
drei Phenazinmoleküle in den Untereinheiten (Abb. 7.1.1.2/3) verfügen
lediglich über eine H-Brücke und es sollte möglich sein, diese selektiv gegen
eine strukturell ähnliche monofunktionelle Verbindung, wie Acridin sie darstellt,
auszutauschen. Aus Aceton oder Toluol als Lösungsmittel konnten Kristalle mit
unterschiedlichem Substitutionsgrad isoliert werden. Dazu wurden die drei
Komponenten in variierenden Verhältnissen in den Lösungsmitteln gelöst und
bei Raumtemperatur oder bei –18 °C kristallisiert (Tabelle 7.1.2.1). Würden alle
Phenazinmoleküle, die nur an einer H-Brücke beteiligt sind, ersetzt, dann
müßte der Kristall im Verhältnis von 2 : 1 : 2 aus Diol, Phenazin und Acridin
zusammengesetzt sein. Auch bei abweichenden Verhältnissen an Phenazinund Acridinmolekülen muß ihre Summe dem Anteil an Phenazin im Kokristall
aus
2,2´-Dihydroxybiphenyl
und
Phenazin
entsprechen,
solange
eine
isomorphe Struktur beibehalten wird. Die jeweilige Zusammensetzung der
erhaltenen Kristalle wurde 1H-NMR-spektroskopisch bestimmt, dabei konnte
die obige Annahme innerhalb der Fehlergrenze der NMR-Spektroskopie
bestätigt werden.
Tabelle 7.1.2.1: Kokristallisation von 2,2´-Dihydroxybiphenyl, Phenazin (P) und Acridin
(A). Verhältnis der Komponenten in Lösung und in den Kristallen.
Lösungs-
Kokristall[a]
Lösung
T [°C]
mittel
Diol
Phenazin Acridin
Diol
Phenazi Acridin
P+A
n
Toluol
–18 °C
2.0
1.0
2.0
2.0
1.6
1.4
3.0
Toluol
–18 °C
2.0
0.5
2.0
2.0
1.22
1.76
2.98
Toluol
20 °C
2.0
2.0
4.0
2.0
1.8
1.2
3.0
Toluol
20 °C
2.0
0.66
2.0
2.0
1.58
1.4
2.98
Aceton
20 °C
2.0
1.0
2.0
2.0
1.88
1.22
3.0
Aceton
20 °C
2.0
2.0
2.0
2.0
1.94
1.06
3.0
Phenazin; Acridin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl 47
[a]
Das Verhältnis wurde über die Integration der 1H-NMR-Spektren bestimmt.
Die in Zeile 2 aufgeführte Zusammensetzung des Kokristalls kommt der für den
kompletten Austausch erwarteten am nächsten. Wurde Acridin im Überschuß
zugesetzt (Tabelle 13.5.5, Exp. Teil), wurden ab einem Verhältnis von 2 : 1 : 4
(Diol : Phenazin : Acridin) große, rechteckige Kristalle erhalten, in denen eine
andere Packung vorliegen muß, da Phenazin fast vollständig bzw. vollständig
substituiert wurde. Der mittlere, über zwei H-Brücken fixierte Stapel aus
Phenazinmolekülen, besteht demnach nicht mehr. Die Komponenten liegen
in diesen Kokristallen im Verhältnis von 2 : 0.4 : 3.6 oder nur Diol und Acridin im
Verhältnis von 1 : 1 vor.
Die Strukturanalyse eines aus Aceton erhaltenen Einkristalls (Tabelle 7.1.2.1,
Zeile 6) bestätigte den 50proz. Austausch der Phenazinmoleküle, die nur über
eine H-Brücke gebundenen sind (Abb. 7.1.2.1). Die Acridinmoleküle in diesem
Stapel sind jeweils um 180° um die senkrecht auf den Molekülebenen
stehende
C2-Achse
gedreht,
so
daß
sich
die
Stickstoffatome
den
Hydroxygruppen in der richtigen Position darbieten. Die Raumgruppe hat sich
nicht verändert, sie ist noch P21/c.
48 Kapitel 7.1.2
Abb. 7.1.2.1: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und Acridin mit
2,2´-Dihydroxybiphenyl.
Die beiden Phenylringe des Diols stehen unverändert in einem Winkel von
62.1° zueinander. Die Abstände der H-Brücken liegen bei 279.7 pm für N1O1
und bei 283.9 pm für N2O2 ( = 173.7°/161.5°). Der NO-Abstand zwischen
dem Diol und dem Acridin-/Phenazinstapel ist etwas kürzer, als zum reinen
Phenazinstapel. Ein Vergleich mit den Abständen der H-Brücke zum Phenazin
(N1/N2)
im
entsprechenden
Kokristall
aus
Phenazin
und
2,2´-
Dihydroxybiphenyl zeigt, daß der Abstand um ca. 0.9 pm abgenommen hat.
Phenazin; Acridin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl 49
Abb. 7.1.2.2: Aufsicht auf die Phenazin-/Acridinstapel entlang der b-Achse im
Kokristall mit 2,2´-Dihydroxybiphenyl.
Im Stapel der Acridin- und Phenazinmoleküle sind diese wieder wie die "Zähne
eines Reißverschlusses" gegeneinander versetzt (Abb. 7.1.2.2). Dabei sind die
C5- und N1-Abstände (Abb. 7.1.2.1) der zentralen Pyridin- bzw. Pyrazinringe
benachbarter Moleküle 381.7 pm bzw. 397.7 pm lang (Winkel zwischen den
Molekülebenen;
 = 3.4°). Im Vergleich dazu unterscheiden sich die
entsprechenden
NN-Abstände
zweier
nebeneinander
liegender
Phenazinmoleküle im Kokristall ohne Acridin mit 383.1 und 388.1 pm nicht so
stark. Der resultierende mittlere Abstand von 365.4 pm der Ebenen ist 6.5 pm
größer als im Kokristall aus Phenazin und 2,2´-Dihydroxybiphenyl.
In der Literatur wird ein über Kupfer koordinierter Komplex aus Acridin und
Phenazin beschrieben, in dem die Phenazinmoleküle wie in einem Sandwich
zwischen den beiden Acridinmolekülen liegen. Der kürzeste intermolekulare
CC-Abstand
ist
339 pm, wobei die Ebenen nicht ganz planar sind und einen Winkel von 5.9°
bilden.[57]
7.1.3 Diskussion
Die Analyse des Kokristalls aus 2,2´-Dihydroxybiphenyl und Phenazin, in dem
die beiden Komponenten in einem Verhältnis von 2 : 3 vorliegen, zeigt das
gleichzeitige
Vorhandensein
von
zwei
unterschiedlich
verbrückten
Phenazinmolekülen. In der Kristallstruktur werden zwei nicht äquivalente
Phenazinstapel gebildet. In einem Stapel sind die Phenazinmoleküle über zwei
starke O-HN-Brücken gebunden, während sie im zweiten nur über eine
dieser Brücken verfügen. In diesem Stapel werden die Phenazine wie die
“Zähne eines Reißverschlusses“, jeweils um 180° um die senkrecht auf der
50 Kapitel 7.1.3
Molekülebene stehende C2-Achse gedreht, alternierend über eine O-HNBrücke fixiert. Es wurde nun angenommen, daß sich bei einem Austausch des
nicht über eine H-Brücke verknüpften Stickstoffatoms gegen eine C-HGruppe, wie es im Acridin der Fall ist, die Kristallstruktur nicht verändert.
Phenazin sollte selektiv nur in einem der beiden Stapel ausgetauscht werden.
Bei einer vollständigen Substitution würde sich ein Kristall mit einer
Zusammensetzung von 2 : 2: 1 von 2,2´-Dihydroxybiphenyl zu Acridin zu
Phenazin bilden. Wurden die Komponenten in diesem Verhältnis in Toluol
aufgelöst und bei Raumtemperatur kristallisiert, dann fand nur ein 50proz.
Austausch der Phenazinmoleküle im entsprechenden Stapel statt. Es wurden
Kristalle der Zusammensetzung 2 : 1 : 2 (Diol : Acridin : Phenazin) erhalten. Und
auch bei raschem Abkühlen auf –18 °C innerhalb einer Stunde veränderte
sich das Verhältnis von Phenazin zu Acridin nur auf 1.4 : 1.6.
Bei konstantem Verhältnis von Diol und Acridin von 2 : 2 und variablen
Acridin : Phenazin Verhältnis zwischen 2 : 0.66 und 2 : 0.5 fiel auf, daß erst bei
einem Unterschuß an Phenazin (2 : 0.5) und gleichzeitigem raschen Abkühlen
der auf 40 °C erwärmten Toluollösung auf –18 °C innerhalb einer Stunde
angenähert die ideale Zusammensetzung erhalten werden konnte. Diese
Kristalle hatten keine für eine Röntgenstrukturuntersuchung geeignete
Qualität.
Der Überschuß des dipolaren, basischeren Acridins (pKB = 8.42) in Lösung führt
zu keiner vollständigen Substitution des Phenazins (pKB = 12.77) in diesem
Stapel.[58] Der Austausch von Phenazin gegen Acridin scheint statistisch zu
erfolgen. Außerdem ist Acridin in den meisten Lösungsmitteln etwas besser
löslich als Phenazin.
Ab einem Verhältnis von 2 : 4 : 1 von 2,2´-Dihydroxybiphenyl, Acridin und
Phenazin, mit weiter steigendem Anteil an Acridin auf bis zu 2 : 8 :1 wird
vermutlich eine andere Struktur bevorzugt, da mehr als doppelt soviel Acridinwie Phenazinmoleküle im Kristall vorliegen. In beiden Fällen besitzen die
Kristalle etwa eine Zusammensetzung von 2 : 3.6 : 0.4, d.h. das Verhältnis von
H-Brückendonor zu –akzeptor ist fast 1 : 1. Bei weiter steigendem Acridinanteil
in der Lösung auf 2 : 16 : 1 scheint sich die Struktur erneut zu ändern, da nun
Diskussion 51
das Verhältnis von 2,2´-Dihydroxybiphenyl und Acridin in den Kristallen 2 : 2 ist.
Phenazin kann in den Kristallen nicht mehr nachgewiesen werden. Das
Verhältnis von H-Brückendonatoren zu –akzeptoren beträgt nun 2 : 1.
Die Darstellung des aus den drei Komponenten Phenazin, Acridin und 2,2´Dihydroxybiphenyl bestehenden isomorphen Kokristalls zeigt, daß eine
planbare supramolekulare Synthese auf der Grundlage der Analyse von
Kristallstrukturen möglich ist. Der Austausch des Acridins durch andere,
strukturell
ähnliche
H-Brückenakzeptoren, wie Phenoxazin sowie des Phenazins gegen z.B. Pyrazin,
sind denkbar und sollten in Zukunft untersucht werden.
52 Kapitel 7.2
7.2
Phenazin und Hydrochinon bzw. 1,5-Dihydroxynaphthalin
und 4,4´-Dihydroxybiphenyl
Es besteht ein großes Interesse, die wechselseitigen Einflüsse aller in einem
Kristall
auftretenden
attraktiven,
nichtkovalenten
Bindungen
besser
miteinander vergleichen und verstehen zu können. Dazu ist es notwendig,
nach einem Baukastenprinzip geeignete Partner für die Kokristallisation
auszuwählen. In der Kokristallisation wird dann zunächst nur einer der beiden
Bausteine variiert. Ich habe systematisch verschiedene Diole (Abb. 7.2.1)
eingesetzt und Phenazin als festen Baustein beibehalten.
Die relative Position der Hydroxygruppen zueinander in den ausgewählten
Diolen ändert sich durch Substitution der Aromaten, die hier als Spacer und CH/O/N/-Brückenpartner dienen. Ausgehend vom Hydrochinon wurde
durch Ersatz des Benzolgrundkörpers gegen das Naphthalingerüst eine
Hydroxygruppe seitlich verschoben. Durch die Verwendung von Diphenyl
wurde der Abstand entlang der anderen Molekülachse verändert.
OH
OH
OH
OH
OH
OH
Abb.: 7.2.1: Auswahl der variablen Bausteine (Diole) für die Kokristallisation mit
Phenazin.
Anschließend an die Analyse der erhaltenen Strukturen können alle Bausteine
systematisch ausgetauscht werden und Vorschläge zur Struktur und den nichtkovalenten Wechselwirkungen vor der Strukturuntersuchung erfolgen. Es kann
dann auch entschieden werden, gegen welche mono- oder bifunktionellen
53
Molekülbausteine Phenazin ausgetauscht werden könnte, um idealerweise
isomorphe Kokristalle zu erhalten. Als bifunktionelle Verbindung bietet sich
Pyrazin und als monofunktionelle Acridin an.
Ein weiteres Ziel dieser Kristallisationen ist es, einen Einblick in notwendige
strukturelle
Voraussetzungen
für
die
Photochromie
der
über
H-
brückengebundenen Phenazinmoleküle im Festkörper zu erhalten.
7.2.1 Phenazin und Hydrochinon
Aus einer äquimolaren Mischung von Phenazin und Hydrochinon in Essigsäureethylester wurden orange, quaderförmige Kristalle mit einem Schmelzpunkt
von 234-236 °C erhalten. Sie besitzen eine 2 : 1 Zusammensetzung von
Phenazin zu Hydrochinon. In der Literatur ist mit 232 °C nur der Schmelzpunkt
des 2 : 1-Kokristalls angegeben.[59]
Die an dem Kokristall durchgeführte Röntgenstrukturuntersuchung zeigt, daß
die Moleküle zentrosymmetrisch gepackt sind, die Raumgruppe ist P 1 . In der
asymmetrischen
Einheit
Hydrochinonmolekül
Wechselwirkungen
zugeordnet.
sind
ein
enthalten.
sind
den
Phenazinmolekül
Zur
Atomen
genauen
in
Abbildung
und
ein
Diskussion
7.2.1.1
halbes
der
Nummern
54 Kapitel 7.2.1
Abb. 7.2.1.1: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und Hydrochinon.
In der Abbildung 7.2.1.2 ist zu erkennen, daß ein treppenartiges Aufbauprinzip
verwirklicht wurde. Ähnlich den Kokristallen aus Phenazin bzw. Acridin und
2,2´-Dihydroxybiphenyl werden keine unendlichen Ketten mehr gebildet,
sondern aus zwei Phenazinmolekülen und einem Diol bestehende O-HNUntereinheiten realisiert.
Abb. 7.2.1.2: Seitliche Ansicht der Phenazinstapel im Kokristall. Vier Phenazinmoleküle
sind mit einem Hydrochinonmolekül über Csp2-HN- und O-HN-Brücken verknüpft.
Jedes Phenazinmolekül hat nur eine lineare O-HN-Brücke mit einem ONAbstand von 281.6 pm. Am zweiten Stickstoffatom existiert ein Csp2-HNKontakt mit 275.6 pm ( = 143.1°).
Die Phenazinmoleküle aus verschiedenen Untereinheiten liegen coplanar mit
alternierenden Abständen von 370.5 pm bzw. 374.6 pm zwischen den Zentren
der
Pyrazinringe
übereinander
(Abb.
7.2.1.2).
Die
entsprechenden
Interplanarabstände zwischen den Molekülen liegen mit 342.7 pm bzw. 352.7
pm im Bereich der Summe der van-der-Waals-Radien.[56]
Phenazin und Hydrochinon
55
Abb. 7.2.1.3: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und Hydrochinon
entlang der a-Achse. Die seitlichen Wasserstoffatome der Phenazinmoleküle bilden
auf einer Seite (H2/3) die in der Abbildung eingezeichneten Csp2-HO-Brücken und
auf der anderen Seite (H6/7) Csp2-HC=C-Kontakte (nicht eingezeichnet) mit den
zwischen den Stapeln liegenden Hydrochinonmolekülen aus.
Die entlang der a-Achse verlaufenden Stapel werden von dazu fast senkrecht
(84.3°) stehenden Hydrochinonmolekülen getrennt (Abb. 7.2.1.2/3). Der Csp2HO-Abstand zwischen den Hydrochinonmolekülen ist mit 310.1 pm (Abb.
7.2.1.2) zu groß, um diesen Kontakt noch als H-Brücke zu bezeichnen
( = 170.3°). Trotzdem kann diese Wechselwirkung attraktiver Natur sein.
Von den Sauerstoffatomen zweier benachbarter Hydrochinonmoleküle
gehen kurze Csp2-HO-Brücken (Abb. 7.2.1.3) mit Abständen von 243.1 pm
bzw. 245.9 pm ( = 155.2°/157.6°) zu je einer der beiden seitlichen C-HGruppen (H2/3) der Phenazinmoleküle aus (Abb. 7.2.1.1). Die beiden
56 Kapitel 7.2.1
gegenüberliegenden
seitlichen
Wasserstoffatome
(H6/7)
am
Phenazin
wechselwirken mit den C=C-Fragmenten (C13/15) der Hydrochinonmoleküle.
Die betreffenden Abstände zu den Zentren der Bindungen sind 278.5 pm bzw.
301.7 pm ( = 150.2°/143.4°).
Bei diesem Kokristall sollte ein vollständiger Austausch von Phenazin gegen
Acridin möglich sein, da das Phenazin nur monofunktionell über eine starke OHN-Brücke gebunden ist. Die Struktur des Kokristalls aus Acridin und
Hydrochinon sollte zu der hier beschriebenen isomorph sein. Weitere
interessante Bausteine zur Untersuchung der Wechselwirkungen in Kokristallen
mit Hydrochinon sind Pyrazin und Pyridin. Bei Betrachtung des in Abbildung
7.2.1.3 dargestellten Ausschnitts ist es denkbar, daß die Kombination des Diols
mit Pyrazin bzw. Pyridin zu einer vergleichbaren räumlichen Orientierung der
Komponenten führt, da weiterhin alle an attraktiven Wechselwirkungen
beteiligten Gruppen zu Verfügung stehen. Es werden im Prinzip nur die beiden
seitlichen aromatischen Gruppen am mittleren Pyrazinring des Phenazins
entfernt.
7.2.2 Phenazin und 1,5-Dihydroxynaphthalin
Der braune Kokristall aus Phenazin und 1,5-Dihydroxynaphthalin konnte aus
Aceton und aus Essigsäureethylester erhalten werden. Trotz der eingesetzten
äquimolaren Mischung beider bifunktionellen Verbindungen hat der Kokristall
eine Zusammensetzung von 2 : 1 von Phenazin zu Diol. Der Schmelzpunkt des
Kokristalls liegt bei 253-254 °C, wobei sich die Morphologie der Kristalle durch
die Sublimation des Phenazins ab 180 °C verändert. Sie werden feinkristalliner
und färben sich orange.
Phenazin und 1,5-Dihydroxynaphthanlin
57
In der asymmetrischen Einheit des Kokristalls ist ein Phenazinmolekül über eine
H-Brücke mit einem halben 1,5-Dihydroxynaphthalinmolekül verbunden (Abb.
7.2.2.1). Die Raumgruppe des Kokristalls ist P 1 .
Abb. 7.2.2.1: Ausschnitt aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und 1,5Dihydroxynaphthalin.
Zusätzlich zu der einen starken O-HN-Brücke, mit einem ON-Abstand von
282.4 pm ( = 170.7°), wird noch eine Csp2-HN-Brücke, deren Abstand 250.9
pm ( = 136.7°) beträgt, zum Phenazin ausgebildet (Abb. 7.2.2.2). Dies bewirkt,
daß nur jedes dritte Phenazinmolekül im Stapel zur Deckung gebracht werden
kann. Die beiden von einem Diol verbrückten Phenazinmoleküle bilden ein
Paar mit einem Pyrazin-Centroid-Abstand von 380.3 pm. Zwischen den
Molekülpaaren ist der entsprechende Abstand größer und beträgt 391.7 pm.
Da die Molekülebenen leicht gegeneinander verschoben sind, resultieren
mittlere Ebenenabstände von 343.2 pm innerhalb eines Phenazinpaares und
350.4 pm zwischen ihnen. Damit entspricht der Ebenenabstand in etwa der
Summe
der
Bondi
van-der-Waals-Radien.[56]
Die
Ebenen
der
Phenazinmoleküle stehen in einem Winkel von 109.9° zu denen der 1,5Dihydroxynaphthalinmoleküle (Abb. 7.2.1.2/3).
58 Kapitel 7.2.2
In Abbildung 7.2.2.2 sind die intermolekularen Csp2-HO-Brücken mit einem
Abstand von 255.5 pm ( = 137.3°) eingezeichnet. Sie treten jeweils viermal
pro Diol auf und prägen die Bandstruktur entlang der Ebenen der Diole.
Derartige H-Brücken gibt es in der Kristallstruktur des reinen Diols nicht. 1,5Dihydroxynaphthalin
Hydroxygruppen
über
kristallisiert
zwei
im
Fischgrätenmuster,
kooperative
O-HO-Brücken
wobei
alle
miteinander
verknüpft sind.[60]
Abb. 7.2.2.2: Ansicht der O-HN und Csp2-HN verbrückten Phenazinstapel sowie der
über Csp2-HO-Brücken verknüpften Diolbänder in der Struktur des Kokristalls mit 1,5Dihydroxynaphthalin.
Kurze Csp2-H-Centroidabstände der edge-to-face-Stapelung zwischen den
jeweils um 109.9° verdrillten Phenazin-Diol-Ketten werden mit 281.5 bzw. 279.9
pm ( = 133.1°/141.7°) gefunden. Diese Kontakte gehen jeweils von den
seitlichen Wasserstoffatomen (H2/3/6/7) des Phenazins (Abb. 7.2.2.1) getrennt
zu den beiden Zentren der Aromaten des Naphthalins (Abb. 7.2.2.3).
Phenazin und 1,5-Dihydroxynaphthanlin
Abb.
7.2.2.3:
Aufsicht
Dihydroxynaphthalin.
auf
die
Zwischen
Phenazinstapel
den
seitlichen
des
Kokristalls
mit
Wasserstoffatomen
59
1,5der
Phenazinmoleküle (H2/3/6/7) bestehen kurze Csp2-H-Kontakte zu den Zentren der
aromatischen Systeme der 1,5-Dihydroxynaphthalinmoleküle.
Der Beweis, daß die Csp2-HN-Brücke für den Aufbau genau dieser Struktur
von Bedeutung ist, könnte mit dem Versuch eines Austausches von Phenazin
gegen Acridin getestet werden. Die zusätzliche C-H-Gruppe des Acridins
sollte sterisch nicht zu anspruchsvoll sein und die Ausbildung der in
Abbildungen 7.2.2.2/3 dargestellten Struktur nicht behindern. Gelingt der
Austausch des Phenazins gegen die etwas stärkere Base Acridin und wird eine
isomorphe Struktur ausgebildet, dann sind die beiden die Kristallstruktur
bestimmenden
Einflußgrößen
die
O-HN-Brücken
und
die
-
Wechselwirkungen. Kann Phenazin nicht ohne Bildung einer anderen Kristallstruktur ausgetauscht werden, dann ist die Csp2-HN-Brücke ein Parameter
von entscheidendem Einfluß.
Die
Analyse
der
Packung
des
Kokristalls
aus
Phenazin
und
1,5-
Dihydroxynaphthalin legte die Vermutung nahe, daß der Austausch von
Phenazin gegen Pyrazin, das strukturell im Phenazin enthalten ist, zu einer
isomorphen Kristallstruktur führen sollte. Die beiden alternierend aus Phenazin
und 1,5-Dihydroxynaphthalin bestehenden Ketten in Abbildung 7.2.2.3 sollten
lediglich
näher
zusammenrücken.
Überraschenderweise
deutet
die
Auswertung des 1H-NMR-Spektrums der Kristalle aus Pyrazin und Diol, die in
einem Verhältnis von 3 : 4 zusammengesetzt sind, auf eine Veränderung der
Kristallstruktur hin. Beim Aufbau einer isomorphen Struktur hätte das Pyrazin in
60 Kapitel 7.2.2
Relation zum Diol doppelt vorliegen müssen. Von den Kristallen wurde keine
Strukturuntersuchung vorgenommen.
7.2.3 Phenazin und 4,4´-Dihydroxybiphenyl
Aus einer äquimolaren Mischung der beiden Komponenten in Aceton wurden
unter Lichtausschluß orange, lange Nadeln erhalten, die bei 199-201 °C
schmelzen. Der Schmelzpunkt des Kokristalls liegt zwischen denen der beiden
Komponenten. Die Zusammensetzung von 3 : 1 von Phenazin zum 4,4´Dihydroxybiphenyl gleicht nicht der der Kokristalle aus Phenazin und
Hydrochinon bzw. 1,5-Dihydroxynaphthalin.
Die
asymmetrische
Einheit
des
Kokristalls
besteht
aus
anderthalb
Phenazinmolekülen und einem halbem Diol. Die Raumgruppe des Kokristalls
ist P 1 , d.h. das Kristallgitter ist zentrosymmetrisch. In den Abbildungen
7.2.3.1.a/b sind Ausschnitte aus der Kristallpackung des Kokristalls dargestellt.
In Abbildung 7.2.3.1.a ist deutlich zu erkennen, daß nur jedes dritte
Phenazinmolekül über zwei O-HN-Brücken mit den Diolen verbrückt ist,
während die beiden dazwischen liegenden jeweils über zwei Csp2-HNBrücken fixiert sind. Der ON-Abstand ist 282.4 pm ( = 177.1°). Die Csp2-HNBrücken sind nur 246.0 bzw. 258.1 pm lang ( = 154.8°/142.0°) und liegen damit
deutlich unterhalb der Summe der Bondi van-der-Waals-Radien, die 270 pm
beträgt.[56]
Phenazin und 4,4´-Dihydroxybiphenyl 61
a)
b)
Abb. 7.2.3.1: Ausschnitte aus der Struktur des Kokristalls aus Phenazin und
4,4´-Dihydroxybiphenyl: a) Seitliche Ansicht auf die Phenazinstapel; b) Ansicht in
Blickrichtung der c-Achse.
Die Ebenen der beiden Phenazinmoleküle, die über zwei Csp2-HN-Brücken
verfügen, sind coplanar (Abb. 7.2.3.1.a), und die Abstände übereinander
liegender Stickstoffatome dieses Molekülpaares betragen 383.0 pm. Im
Gegensatz dazu liegt das über die beiden O-HN-Brücken plazierte
Phenazinmolekül nicht parallel zwischen benachbarten Molekülen und die
Abstände der Stickstoffatome zu den darüber- und darunterliegenden
Stickstoffatomen der nächsten Moleküle sind 370.5 pm und 377.9 pm.
In der Struktur des 4,4´-Dihydroxybiphenyls sind die Kopf-an-Kopf liegenden
Diole
über
starke
O-HO-Brücken
miteinander
verbunden.
An
den
Längsseiten wechselwirken die Diole über die edge-to-face angeordneten
Phenylringe miteinander.[61]
Im Kokristall bilden die 4,4´-Dihydroxybiphenylmoleküle eine Bandstruktur und
sind untereinander über jeweils vier schwache, 257.7 pm lange Csp2-HOBrücken miteinander verbunden ( = 170.9°). Die Ebenen der Diole stehen in
einem Winkel von 73.1° zu denen der Phenazinmolekülen.
Das über Csp2-HN-Brücken verknüpfte Phenazinmolekülpaar bildet eine
edge-to-face-Stapelung zu den Aromaten der Diole aus (Abb. 7.2.3.1.b). Die
Abstände der Csp2-H-Kontakte zu den Zentren eines Phenylrings sind jeweils
281.4 pm lang ( = 133.3°). Die seitlichen Wasserstoffatome des über die
beiden O-HN-Brücken gebundenen Phenazinmoleküls sind an keinen
62 Kapitel 7.2.3
weiteren attraktiven Kontakten beteiligt. Alle Csp2-HO- bzw. Csp2-HAbstände liegen außerhalb der Grenzwerte.
Die formale Insertion eines weiteren Phenylrings zwischen die Hydroxygruppen
des Hydrochinons hat die Kristallstruktur dahingehend verändert, daß im
Kokristall aus 4,4´-Dihydroxybiphenyl und Phenazin noch ein zusätzliches
Phenazinmolekül eingebaut werden kann. Damit ändert sich auch das Muster
der H-Brücken an den Phenazinmolekülen. Statt einer O-HN-Brücke, wie im
Kokristall aus Hydrochinon und Phenazin bzw. einer O-HN- und einer Csp2HN-Brücke pro Phenazinmolekül im Kokristall aus 1,5-Dihydroxynaphthalin
und
Phenazin,
werden
zwei
Phenazinmoleküle
jeweils
unterschiedlich
symmetrisch verbrückt. Ein Molekül ist über zwei O-HN-Brücken und das
zweite über zwei Csp2-HN-Brücken gebunden.
Die Analyse des in Abbildung 7.2.3.1.a dargestellten Ausschnitts läßt
vermuten, daß das 4,4´-Dihydroxybiphenyl durch das strukurell ähnliche 4,4´Bipyridyl ersetzt werden könnte. Gelingt die Kokristallisation von Phenazin mit
4,4´-Bipyridyl unter Beibehaltung des prinzipiellen Aufbaus der abgebildeten
Struktur, dann wären die treibenden Kräfte ausschließlich Csp2-HN-Brücken
bzw. Csp2-H-Wechselwirkungen.
7.2.4 Diskussion und Ausblick
Der Wechsel vom Hydrochinon zum 1,5-Dihydroxynaphthalin, also der
Austausch von Benzol gegen ein Naphthalingerüst mit einem gleichzeitigen
Positionswechsel der Hydroxygruppen von der 1,4- auf die 1,5-Stellung, hat
auf die Kristallstruktur keinen großen Einfluß. Die Packung der beiden Kristalle
ist vom Prinzip her gleich. In beiden Strukturen sind die gestapelt vorliegenden
Phenazinmoleküle jeweils an einer starken O-HN- und einer schwächeren
Csp2-HN-Brücke beteiligt. Etwas anders stellt sich die Situation zwischen den
in einer Ebene liegenden Diolen dar. Obwohl die Csp2-HO-Kontakte ein
vergleichbares Muster bilden, sind die HO-Abstände deutlich verschieden.
Zwischen den 1,5-Dihydroxynaphthalinmolekülen werden pro Diol vier 255.5
Diskussion und Ausblick
63
pm lange Csp2-HO-Brücken ausgebildet, während der entsprechende
Abstand zwischen den Hydrochinonmolekülen 310.1 pm beträgt. Dieser
Abstand liegt nicht mehr im typischen in der Literatur für Csp2-HO-Brücken
angegebenem Bereich, so daß das Csp2-HO-Motiv wahrscheinlich von der
Gesamtheit aller anderen starken und schwachen, nichtkovalenten Wechselwirkungen erzwungen wurde.
Die systematische Variation der Diole zeigt, daß es möglich ist, unter
Beibehaltung von bestimmten, die Struktur bestimmenden Aufbauprinzipien,
einen von zwei Bausteinen auszuwechseln. Die Feinabstimmung, wie z.B. das
Auftreten oder nicht Auftreten von schwächeren Csp2-HN/O-Brücken kann
nur
vermutet
werden,
da
sie
im
Kokristall
aus
Phenazin
mit
1,5-
Dihydroxynaphthalin beide auftreten und in der Struktur mit Hydrochinon nur
zum Teil.
Ganz anders wirkt sich der Einschub eines Phenylrings beim Wechsel vom
Hydrochinon
zum
4,4´-Dihydroxybiphenyl
aus.
Im
Kokristall
aus
4,4´-
Dihydroxybiphenyl und Phenazin kann ein weiteres Phenazinmolekül in den
Stapel eingebaut werden. Die Phenazinmoleküle sind jetzt nicht mehr einmal
O-HN-verbrückt wie im Kokristall aus Hydrochinon und Phenazin, sondern
symmetrisch
über
zwei
starke
O-HN-Brücken oder über zwei schwächere Csp2-HN-Brücken.
Aufbauend auf die durch die Auswertung der Strukturen gewonnen
Erkenntnisse können beide Bausteine variiert werden. Als Diole kommen die in
Abbildung 7.2.4.1 dargestellten Verbindungen in Betracht.
OH
OH
n
n
OH
64 Kapitel 7.2.4
Abb. 7.2.4.1: In der Kokristallisation einzusetzende Diole.
Zusätzlich
könnte
Heteroaromaten,
aber
auch
wie
Pyrazin,
die
Funktion
der
1,5-Naphthyridin
Diole
oder
von
anderen
4,4´-Bipyridin
übernommen werden (Abb. 7.2.4.2).
N
N
N
N
N
N
Abb. 7.2.4.2: N-Heteroaromaten, die die Funktion der Diole übernehmen könnten.
Gelingt die Synthese dieser aus zwei N-Heteroaromaten bestehenden Kristalle
könnten die Csp2-HN- bzw. Csp2-H-Wechselwirkungen frei von O-HNbzw.
Csp2-HO-Wechselwirkungen untersucht werden.
Der Baustein Phenazin kann durch Acridin ersetzt werden, das mit
Hydrochinon und 1,5-Dihydroxynaphthalin nur dann isomorphe Kristalle bilden
sollte,
wenn
die
Csp2-HN-Brücken die Strukturen nicht entscheidend mitbeeinflussen.
Durch den Ausbau des bestehenden “Baukastens“ können die auftretenden
intermolekularen Wechselwirkungen systematisch weiter studiert werden.
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