Hebr.10,24-25 Lass dich anstecken! 1 4. Mai 2014; Pfr. Bernhard Botschen Hebr.10,24-25 Lass dich anstecken! Vor einer Woche hatte ich eine Sitzung. Eine Teilnehmerin an der Sitzung hat mir demonstrativ distanziert die Hand gereicht und gesagt: „Komm’ mir nicht zu nahe!“ Bevor jetzt jemand denkt, wir hätten Streit in der Kirche, muss man die Erklärung hören: „Ich bin erkältet und möchte dich nicht anstecken!“ Vor ein paar Jahren, als die Vogelgrippe aktuell war, war das Ganze noch viel dringlicher. Man weiss ja, wie leicht man sich bei anderen ansteckt. Damals hat man gefragt: Wie oft sollen wir die Türklinken desinfizieren? Brauchen wir Masken vor dem Mund, um uns vor Ansteckung zu schützen? Ansteckend ist jede Art von Gemeinschaft mit anderen Menschen. Wir sprechen z.B. von ansteckender Fröhlichkeit. Wir werden beeinflusst, wir werden mitgerissen, manchmal sogar, ohne überhaupt zu verstehen, warum. Ich zeige euch einen Filmausschnitt, bei dem ein Schauspieler an einer Bahnstation plötzlich zu lachen beginnt. (Filmausschnitt). Mit Lachen kann man andere ganz spontan anstecken. Bei anderen Themen klappt das nur, wenn man ein paar Dinge weiss. Das kann man erleben, wenn man eine fussball-uninteressierte Frau zum entscheidenden Spiel um die Meisterschaft mitnimmt. Während tausende Fans von GC und FC Basel zwischen Euphorie und blankem Entsetzen hin- und herschwanken, während sich auf dem Rasen Tragödien abspielen, kann sie fragen: „Und für dich ist es wirklich wichtig, wer die Meisterschaft gewinnt? Wie heissen jetzt die beiden Mannschaften?“ Irgendwie kann die Begeisterung der anderen Menschen bei ihr nicht so richtig andocken. Sie weiss zu wenig, es fehlt die Grundlage. Grundlage für die heutige Predigt ist ein Text aus dem Brief an die Hebräer: „Wir wollen uns umeinander kümmern und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen. Einige haben sich angewöhnt, den Gemeindeversammlungen fernzubleiben. Das ist nicht gut. Vielmehr sollen wir einander Mut machen.“ (Hebr.10,24b-25a). 1. Glaube braucht Reiter und Elefant Ein Buch beschreibt, wie wir Menschen uns verändern. Es verwendet ein ganz einfaches Bild und spricht von einem Elefanten und seinem Reiter. Der Reiter ist unser Verstand. Ich weiss, dass GC vor 11 Jahren das letzte Mal Schweizer Meister geworden ist und was für ein Wunder es ist, dass sie jetzt so nahe am übermächtigen Basel dran sind. Je mehr ich weiss, desto eher kann ich mich von der Dramatik des Fussballspiels anstecken lassen. Der Reiter hat ausserdem eine klare Vorstellung von dem, was richtig wäre: 3x pro Woche eine Stunde Sport wäre ideal. Oder: Um mein Idealgewicht zu erreichen, sollte ich etwas weniger essen und auf Schokolade am Abend verzichten. Oder: Ich verbringe zu viel Zeit vor dem Fernseher. Besser wäre es für mich, ich könnte diese Zeit etwas reduzieren. Der Reiter kennt die Richtung, er hat die Orientierung, er weiss, welcher Weg am besten wäre. So ist es auch beim Glauben. Es hilft, wenn der Reiter einige Dinge weiss: Ich weiss, dass es meiner Beziehung zu Gott gut tut, wenn ich mir Zeit fürs Beten nehme. Ich weiss, dass mein Leben erfüllender wird, wenn ich Gott Raum gebe. Ich weiss, dass mein Leben etwas bewirken kann, wenn ich Zeit und Geld für Gott einsetze. Der Reiter weiss, was wichtig wäre. Aber da gibt es noch den Elefanten. Er steht für unseren Bauch, für unsere Gefühle, für unsere Motivation. Allzu oft weiss man zwar, was eigentlich gut wäre. Aber die Motivation fehlt. Wenn der Elefant nicht will, kann der Reiter hundert Mal wissen, welcher Weg jetzt richtig wäre. Vielleicht kann er den Elefanten ein paar Schritte in die richtige Richtung drängen. Aber es geht nicht wirklich vorwärts. Hebr.10,24-25 Lass dich anstecken! 2 4. Mai 2014; Pfr. Bernhard Botschen In diesem Bibeltext geht es um unseren Elefanten. Es heisst nicht: „Geht bitte in eure Versammlungen. Ihr hört sonst zu wenige Predigten und versteht die Zusammenhänge in der Bibel zu wenig.“ Da könnte man sagen: „Predigten brauche ich keine mehr. Ich weiss schon genug. Die Bibel kann ich auch für mich alleine lesen.“ Nein, Gemeinschaft richtet sich an den Elefanten. Die meisten Christen brauchen nicht mehr Wissen, sondern mehr Ermutigung. Mehr Menschen, die sie anspornen. Mehr Beispiele anderer Christen, die auch sie motivieren, auf dem Weg weiterzugehen. 2. Die Gemeinde nicht im Stich lassen Schauen wir uns jetzt die Bibelstelle näher an. In V.25 schreibt Paulus: „Einige haben sich angewöhnt, den Gemeindeversammlungen fernzubleiben.“ Ich habe früher einmal mit Hilfe einer Ellipse dargestellt, wie die Christen in der Zeit des Neuen Testaments zusammen gelebt haben. In der Apostelgeschichte lesen wir, dass sich die Christen einerseits alle gemeinsam beim Tempel getroffen haben. Aber gleichzeitig gab es auch kleinere Treffen in Privathäusern. Genau so, wie wir heute Treffen für die ganze Gemeinde haben, vor allem die Gottesdienste, aber auch Hauskreise, Frauengruppe, Gebetstreffen und Teams. Anscheinend haben einige Christen zuerst die Gemeinde treu besucht. Aber dann haben sie sich angewöhnt, diesen Treffen fern zu bleiben. Es kam der Moment, in dem sie sich sagten: „Diese Woche war so viel los, ich bin müde und habe keine Lust, noch etwas zu machen.“ Anscheinend waren die Treffen auch nicht jedes Mal so atemberaubend. Da haben sich einige gesagt: „So spannend sind diese Treffen auch nicht immer. Und überhaupt: Meinen Glauben kann ich ja auch für mich leben.“ Bei der Beschreibung dieses Verhaltens schwingt im Griechischen etwas mit, das mich berührt hat. Das Wort heisst nicht nur „fernbleiben“. Es schwingt auch „im Stich lassen“ mit. Dieses Wort wurde verwendet, wenn jemand einen Gefährten im Stich lässt. Es wird von Jesus gebraucht, als er am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Irgendwie lassen diese Christen ihre Gemeinde mit all ihren Aufträgen (für andere da sein, andere zum Glauben einladen, die 3.Welt unterstützen) im Stich. Aber der Schreiber damals sagt den Christen nicht nur: „Das ist nicht gut!“ Sondern er beschreibt auch, was es bringen soll, wenn sie sich als Gemeinde versammeln. 3. Sich gegenseitig anspornen und ermutigen Wir wollen uns „gegenseitig anspornen, anreizen“ und „einander ermutigen.“ „Ermutigen“ heisst hier: „dazu einladen, auffordern, ermahnen, bitten, ermuntern, gut zureden.“ Diese Worte machen klar: Hier geht es um den Elefanten. Es geht also darum: Was steckt mich an? Was motiviert mich im Glauben? Was hilft mir, dran zu bleiben? Die Worte „einander“ und „gegenseitig“ rücken die Gemeinschaft ins Zentrum. Gott hat uns so geschaffen, dass uns andere ermutigen und anspornen können. Alles, das fröhliche Singen, das Gebet, der Bericht eines neuen Kirchenpflegers, das gemeinsame Hören auf Gottes Wort, ist ansteckend. Es motiviert uns, weiter zu gehen. Diese Ermutigung ist mir persönlich sehr wichtig. Ich wüsste schon, was richtig wäre. Mein Reiter kennt die Richtung. Aber mein Elefant lässt sich leicht entmutigen. Wenn ich alleine bin, neige ich dazu, zu ernst und zu entmutigt zu sein. Ich bin dankbar für alle Gemeinschaft, weil mir das immer wieder Mut macht. Als ich über Ostern in Österreich war, hat mir jemand aus meiner Familie erzählt, wie er überlegt, seine gute Stelle aufzugeben, um etwas für Gott zu machen. Das macht mir Mut, genauso mutig über mein Leben nachzudenken! Ich kann mich bei meiner letzten Indienreise an eine Gruppe von Indern erinnern, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Ich Hebr.10,24-25 Lass dich anstecken! 3 4. Mai 2014; Pfr. Bernhard Botschen fragte diese Männer: „Was sind eure Pläne für die Zukunft?“ Und da stand er auf, ein einfach-er Mann mit schlechten Zähnen und ohne Schuhe. Er sagte: „Ich werde die Botschaft von Gott in die Dörfer tragen. Auch wenn das bedeutet, dass ich für Gott leiden muss.“ Kein Buch hätte diesen Eindruck bei mir hinterlassen können wie dieser einfache Mann, der bereit war, Gott mit seinem ganzen Leben zu dienen. Wenn man die Gemeinschaft vernachlässigt, verliert man oft auch den Schwung im Glauben. Vielleicht spürt ihr, dass euch der Glaube früher wichtiger war. Da gab es eine Phase im Leben, da wart ihr motivierter, Gott wirklich Priorität zu geben. Euer Feuer hat heller gebrannt. Oft hängt das damit zusammen, wie viel wir die Gemeinschaft mit anderen gesucht haben. Eine bekannte Geschichte nimmt diesen Gedanken auf: Ein junger Mann besucht einen weisen, alten Mann in seiner Hütte. Der sitzt vor dem Kaminfeuer und raucht seine Pfeife. Der junge Mann sagt: „Weiser Mann, ich kann mit Kirchgemeinden wenig anfangen. Unsere Versammlungen sind manchmal langweilig. Sind denn diese Treffen wirklich nötig? Was bringen sie? Kann ich nicht auch für mich Christ sein?“ Kein Wort fällt. Der alte Mann raucht bedächtig an seiner Pfeife. Dann steht er auf. Er geht zum Kamin. Mit einer Zange nimmt er ein brennendes Scheit heraus und legt es auf den Steinboden. Dann setzt er sich wieder. Das Scheit brennt lichterloh. Aber dann werden die Flammen langsam kleiner, bis sie schliesslich ganz ausgehen und nur noch ein rauchendes Scheit auf dem Boden liegt. Kein Wort unterbricht die Stille. Schliesslich steht der junge Mann auf. Er wirft einen letzten Blick auf das rauchende Stück Holz auf dem Boden, dankt dem alten Mann und geht. Wenn uns klar wird, wie wichtig diese Ansteckung für uns ist, wird das zwei Dinge auslösen. Erstens: Wir haben das Ziel vor Augen, einander Mut zu machen und uns gegenseitig anzuspornen. Diese Distanz, die ich an der Sitzung vor einer Woche erlebt habe, als jemand gesagt hat „Komm mir nicht zu nahe“, soll unser Zusammensein nicht prägen. Wir sollen uns ja gegenseitig anstecken! Erzählt anderen davon, wenn ihr etwas mit Gott erlebt habt. Lasst andere teilhaben, wenn euch etwas in eurem Glauben beschäftigt. So, wie Kristian eine Zeitlang immer von Nordkorea erzählt hat. Steckt andere an mit eurer Zuversicht. Ermutigt andere, im Glauben weiter zu gehen. Gott hat uns zusammengestellt, damit wir einander anstecken! Zweitens: Wenn uns der Wert der Gemeinschaft klarer vor Augen steht, fällt es uns auch leichter, dem Platz in unserem Leben einzuräumen. Hier kommt der Verstand ins Spiel und der Reiter sagt sich: „Da bleibe ich dran, denn mein Elefant braucht das!“ Mir hat das z.B. geholfen, als ich mir als Student angewöhnt habe, den Gebetsabend der Gemeinde zu besuchen. Ich wusste: Die Zeit wird immer knapp sein. Ich werde an jedem Freitag Abend das Gefühl haben, ich müsste noch lernen. Aber ich wusste, wie wichtig das gemeinsame Gebet ist und so wurde das zum festen Vorsatz: Wenn Gebetsabend ist, gehe ich. Gemeinschaft spornt uns an und ermutigt uns. Sie hilft uns, auf dem Weg zu bleiben. Sie motiviert uns, Gott wieder ganz neu zu suchen. „Lass dich anstecken“ ist die Einladung, mit dem eigenen Holzscheit zum Feuer zu kommen und sich neu anstecken zu lassen. AMEN. Hebr.10,24-25 Lass dich anstecken! 4 4. Mai 2014; Pfr. Bernhard Botschen