Gottesdienst am 10. Sonntag nach Trinitatis. 31.7.2005 - Predigt über „Jesus als Gewaltopfer- Christen als Täter" Markus 8.31-33; Lukas 22,47-53: 1. Korintherbrief 1,23 - im Rahmen der Sommerpredigtreihe mit Lemsahl „Die Wahrheit wird euch frei machen - Glaube zwischen Gewalt und Toleranz" - in der Jubilate-Kirche Orgelvorspiel + Begrüßung Eingangslied: 430 Gib Frieden, Herr, gib Frieden Psalm: 751 Ps 130 Kyrie: 178.9 (mit Kyriegebet und jeweilig wiederholtem Gesang) gloria in excelsis: 667.2 1.Lesung: Markus 8,31-33 „Die erste Leidensankündigung" Gesang zwischen den Lesungen: 307,1-4 „Seligpreisungen orthodox" 2. Lesung: Lukas 22,47-53 „Jesu Gefangennahme" Kanzelvers: 307,5-8 „Seligpreisungen orthodox II" Predigtlied: 607 „Fürchte dich nicht" Schlusslied: 606 „Freunde, dass der Mandelzweig" Markus 8.31-33: Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Lk 22,47-53: Als Jesus aber noch redete, siehe, da. kam eine Sehen"; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich zu Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert drein schlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis. 1.Kor 1,23: Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus! Liebe Gemeinde! Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit - und vor allem den Christen selbst ein Buch mit sieben Siegeln. Das erkennt man daran, dass die Kirchengeschichte in weiten Phasen ein Verrat an Jesus ist. Der gekreuzigte Christus was ist in seinem Namen gemordet und geraubt worden. Es ist entsetzlich. dass es die Kirche heute noch gibt, die evangelische genauso wie die katholische oder die orthodoxe, ist ganz Gewiss kein Verdienst der Menschen. Es ist ein schieres Wunder. Und dieses Wunder ist nicht wegen uns sondern trotz unserer christlichen Fehler, Sünden, Missverständnisse, trotz unserem Verrat am gekreuzigten Christus geschehen. Es gibt immer noch Kirche. Aber die Sünden der Christenheit haben die Stimme des Evangeliums verdeckt, vernebelt, für die anderen unhörbar gemacht - und machen es den Gegnern der Kirche leicht, das Evangelium abzulehnen. Serbisch — orthodoxe Priester machen sich mit Menschenjägern gemein und bezeichnen Kriegsverbrecher als Helden. Evangelische Briten finden nichts schöner als katholische Iren in Nordirland mit irgend welchen nationalistischen Aufmärschen zu provozieren. Katholische Weiße in Lateinamerika finden nichts richtiger, als eingeborene Bevölkerungsschichten wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Und glauben wir bloß nicht, unsere Kirchenzugehörigkeit würde uns davor bewahren, die alten blödsinnigen, egoistischen, menschenverachtenden Fehler im Umgang miteinander zu machen. Es ist zum Weinen. Und Gott selbst hat darüber viele Tränen vergossen. Er hat in den Zeiten des Alten Testaments geliebt und gedroht, geschmeichelt und geworben, geführt und beschenkt, weggenommen und in die Irre geleitet, er ist den Menschen erschienen und hat sich ihnen wieder entzogen, und das alles aus nur einem einzigen Grand: dass sie freiwillig zurückkehrten, dass sie diesen unerwachsenen, trotzigen, diesen verhängnisvollen Schritt weg von der Fürsorge des liebenden Gottes rückgängig machten. Als ob Gott uns unsere Selbständigkeit nicht gönnen würde. Als ob er uns als Dummchen im Paradies halten wollte, wo er uns doch Leitungsverantwortung gegeben hat! Die Verantwortung für seinen Garten, für die Schöpfung, für unser Leben. Und er hätte unser Gott, unsere Lebensquelle, unsere Lebensversicherung, unser Rückhalt, unsere Freude sein wollen - weiter nichts. Aber wir sahen nur die Grenze, das was wir nicht sollten, diese idiotischen beiden Bäume in der Mitte des Gartens - und mehr sahen wir nicht, aber meinten, alles zu wissen, alles zu können, Gott nicht zu brauchen. Und so wurden wir hinausgeworfen in die Freiheit der Einsamkeit, während wir die Freiheit der göttlichen Liebe hinter uns ließen. Die Freiheit von Gott und seiner Liebe, die vermeintliche Befreiung fesselte uns in Angst und Furcht, in Schrecken und Misstrauen, in den Egoismus des bedrohten Tieres. Und so wuchs der Krake der Gewalt in der menschlichen Gesellschaft. Und so folgte Gott uns in diese schreckliche Welt, die wir uns geschaffen hatten, er rief uns und warb um uns, er wurde unser überdrüssig und wollte uns vertilgen, doch dann besann er sich anders und gab uns eine neue Chance, denn seine Liebe war größer als sein Zorn, er sandte Propheten und gab uns Gesetze, er wirkte Wunder und hörte nicht auf, uns zu lieben. Aber das Herz des Menschen blieb verhärtet. Es gab immer wieder Versuche, Gott zu gehorchen, auf ihn zu hören, ihm treu zu werden und zu bleiben, seine Gesetze zu befolgen, man baute ihm Tempel und schrieb heilige Bücher, man feierte fröhliche Gottesdienste und lernte beten, unterwies die Kinder im lebensrettenden Glauben. Aber es wurde nichts. Das schreckliche, todbringende Virus der Gewalt und des Hochmutes, der verheerenden Angst und daherkommenden Herabwürdigung der anderen ließ sich so nicht stoppen, schlimmer noch: dieses Virus infiltrierte auch die Religion, so dass von denen, die behaupteten, die Menschheit zurück zu Gott zu führen, Gewalttat und Grausamkeit, Rechthaberei und Überheblichkeit ausging. Das Alte Testament und die Kirchengeschichte spiegeln das alles in gleicher Weise wider. Und jetzt - in unseren Tagen - wo es doch so aussieht, als hätte zumindest ein großer Teil der Christenheit eingesehen, dass die Kirchengeschichte nicht in allen Fällen ein Ruhmesblatt für die Christen ist, wo durch EU und UNO, durch Menschenrechte und weltweiter mildtätiger Spendenbereitschaft der Geist der Liebe und Mitmenschlichkeit ein wenig mehr zur Geltung zu kommen scheint, da kommt die alte Seuche der Gewalt und religionsgesteuerten Grausamkeit in einer Weise wieder hoch, dass man meinen könnte, Christus wäre nie gekommen. Natürlich war die Seuche niemals ausgerottet. Aber wir wähnten uns auf dem Wege dahin schon einmal weiter als zur Zeit... Also was tun? Mitmachen? Das alte Spiel von Gewalt und Gegengewalt wieder aufnehmen? Christliche Wagenburgen errichten und Kreuzzüge beschließen? Und damit den Fanatikern neue Nahrung geben? Kreuzzüge im bösen Sinne sollten für uns ein Ding der Vergangenheit sein. Im Namen des Kreuzes losziehen - das heißt: sein Kreuz auf sich nehmen, den Gekreuzigten verkündigen, Anfeindungen ertragen und auf Gegengewalt verzichten. Die Rettung kommt für uns nur aus einem: sich besinnen auf Christus, auf den Gott, der nicht nur Weisungen erteilt und seine Gläubigen unterstützt oder gar vermeintlich in den Krieg schickt, sondern sich besinnen auf den Gott, der kommt und sich nicht zu schade ist, Opfer unserer Gewaltsamkeit zu werden. Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und. nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Es war unerlässlich, dass Gott unser Denken auf den Kopf stellte. Ein Freund, der Jesus vom Weg der Gewaltlosigkeit und des Opferganges nach Jerusalem abhalten wollte, der gute alte Petrus, wurde als Satan abgewiesen. Denn wer Sieger sein will, muss Macht ausüben. Wer lieben will, muss verlieren können. Wer die Menschen retten will, muss scheitern können. Und wer Gott kennen lernen will, muss das Undenkbare denken können, weil Gott es uns verkündigt hat: Gott wird Mensch, Gott stirbt, Gott gibt sich für uns dahin, damit wir ein für alle mal einsehen: es geht Gott nicht um Macht, um Ehre, um Ruhm, um über uns sein, um die himmlische Herrlichkeit und die Anbetung in Demut und Unterwerfung, sondern allein um uns, um unser Heil und Leben und Glück. Aus Liebe. Wenn wir wollen, dass es um uns geht, dann kommt Egoismus und Gewalt dabei heraus. Als Jesus aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich zu Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis. Die Finsternis der Rache und Verteidigung, der Selbstsucht und Unterdrückung. Wenn es Gott um uns geht, dann ist es Liebe. Dann heilt er sogar das Ohr der Verfolger, bittet für die Folterknechte und weint um jeden Selbstmordattentäter. Jetzt - Ihr Lieben -jetzt ist es Zeit, ernst zu machen mit unserem Glauben. Ernst zu machen mit unserer Zugehörigkeit zum gekreuzigten Gott. Kein Muslim soll sagen können: ihr wollt uns nur besiegen. Kein Nichtchrist soll sagen können, Ihr predigt Wasser und sauft selbst den Wein. Kein Andersgläubiger soll uns als lasch und ungläubig beschimpfen können. Sie sollen wissen, dass wir unseren Glauben ernst nehmen, so ernst nehmen, dass wir trotz New York und Madrid und London und trotz dem, was noch kommen mag, unserem Herrn treu bleiben, der Folterknechte liebte und Sünder in die Arme nahm und Verbrecher in den Himmel kommen ließ. Wenn wir glauben, dass Christus uns den liebenden, den menschlichen, den uns von der Seuche der Gewalt befreienden Gott gebracht hat, dann machen wir ernst mit der Liebe. Selbstmordattentäter sind keine Märtyrer, weiß Gott nicht, sie kennen Gottes Wesen nicht, denn sie sind von der Seuche der Gewalt infiziert. Sie wollen uns anstecken, Gegengewalt provozieren, die hässliche Fratze der Christenheit wieder hervorlocken. Mögen sie nichts anderes finden als das traurige Gesicht des gekreuzigten Gottes und das Gesicht des leidenden Mitmenschen, der durchsichtig wird für den liebenden Gott. Sie wollen Unglauben besiegen - welch ein schrecklicher Kreuzzug ist das! - und mögen hoffentlich nichts anderes finden als Gott im Antlitz des Menschen. Lassen wir uns von Gott von unserem eigenen Unglauben befreien und vertrauen Christus mehr als uns. Denn Christus ist der Gott mit uns, der uns vor allem Bösen schützt, auch wenn wir in dieser Welt untergehen. Gewiss, der gekreuzigte Gott ist für die Welt ein Skandal und ein Ärgernis, aber er ist unsere Rettung von der Seuche der Gewalt. Dieses Bekenntnis braucht die Welt jetzt. Von uns. Angstfrei und deutlich. AMEN