1 Statement von Pfarrer Ulrich Parzany aus Anlass von ProChrist 2008 in der Expo-Halle Thun, 7. – 13. 1. 2008 : Rückkehr der Religion, gewalttätiger Fundamentalismus – Wo geht die Reise hin? Ich bedanke mich für die Einladung nach Thun. Ich stamme ursprünglich aus Essen im Ruhrgebiet. Und aus Essen stammte auch der Fußballer Helmut Rahn, der damals bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 das entscheidende Tor schoss. Ich habe natürlich auch mit den Tränen gekämpft, als ich vor kurzem den Film „Das Wunder von Bern“ gesehen habe. Und meine Generation von Fußballfans kennt natürlich bis heute das Hotel „Belvedere“ in Spiez, wo die deutsche Nationalmannschaft damals wohnte. Nun, in diesem Jahr werden sich die Herzen aller Fußballbegeisterten wieder in der Schweiz einfinden und mitfiebern und feiern, wenn die Schweiz Europameister wird. Aber das liegt ja noch vor uns. Ich freue mich auf die Begegnungen und Gespräche in dieser Woche. Hier in Thun über das Angebot des christlichen Glaubens für die Gestaltung unseres Lebens zu sprechen ist, empfinde ich als eine besondere Ehre, aber auch als Herausforderung. Ich würde gern die Sprache dieser Region sprechen. Ich bin dankbar, dass ich sie einigermaßen verstehe. Ich hoffe, dass mein Schriftdeutsch keine zu hohen emotionalen Barrieren aufrichtet. Ich empfinde es als besondere Wertschätzung und als Ausdruck der Schweizer Toleranz, dass Sie mich trotz dieses Mangels eingeladen haben. Der gerade veröffentliche Internationale Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung hat für die Schweiz interessante Ergebnisse veröffentlicht: „In der schweizerischen Bevölkerung sind Glauben und Religiosität noch weit stärker verbreitet, als dies zumeist vermutet wird. So können rund 80 Prozent der Menschen hierzulande als religiös eingestuft werden und mehr als jeder Fünfte sogar als hochreligiös. Weniger als 20 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf. Auch im langfristigen Trend kann keine anhaltende Säkularisierung breiter Bevölkerungsschichten festgestellt werden. Gleichzeitig herrscht in der Schweiz eine große Vielfalt an religiösen Einstellungen, Bindungen und Identitäten mit einer weiten Verbreitung auch pantheistischer Glaubensüberzeugungen. Dies ist das Fazit eines neuen internationalen Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung, die die bislang detaillierteste weltweite repräsentative Erhebung zu diesem Thema vorgenommen hat.... Danach können in der Schweiz etwa 80 Prozent der Bevölkerung eindeutig als religiös bezeichnet werden. Unter ihnen sind sogar 22 Prozent besonders oder hochreligiös. Im Leben dieser Menschen nimmt Religion eine sehr zentrale Bedeutung für viele Lebensbereiche ein. Für 60 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ist das persönliche Gebet wichtig, für 56 Prozent religiöse Gebote und elf Prozent nehmen wöchentlich oder öfter an einem Gottesdienst teil. Weitere 37 Prozent besuchen ihn mehrmals im Jahr und lediglich ein Viertel niemals. Auch im Vergleich der unterschiedlichen Generationen ist eine hohe Konsistenz und Stabilität religiöser Überzeugungen festzustellen. So ist zwischen jüngeren und älteren Menschen kaum ein Unterschied bei dem Anteil von Religiösen und Nichtreligiösen festzustellen. Lediglich der Anteil der Hochreligiösen ist unter den älteren Bürgern deutlich höher. Bemerkenswert ist aber, dass der 2 Anteil der Nichtreligiösen in der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren am stärksten ausgeprägt ist. Im internationalen Vergleich hebt sich die Schweiz im Vergleich zu anderen hoch entwickelten europäischen Staaten in besonderer Weise ab. Gegenüber Ländern wie Deutschland oder Österreich sind Religion und Glaube deutlich stärker ausgeprägt, noch deutlicher gegenüber Frankreich oder Großbritannien. Höhere Werte als in der Schweiz stellt der internationale Religionsmonitor unter den Nachbarn nur in Italien mit einem Anteil von 89 Prozent Religiösen fest. Innerhalb der westlichen Hemisphäre wird sie dabei auch nur von den USA übertroffen, wo mit 62 Prozent der Anteil der Hochreligiösen noch einmal deutlich höher ausfällt.“ (Pressetext vom 16.12.2007 unter www.bertelsmann-stiftung.de) Ob es also eine Rückkehr der Religion oder nur eine neue Aufmerksamkeit für Religion gibt, das ist nach dieser Untersuchung durchaus eine Frage. Gewiss aber hat die Konfrontation mit religiöser Gewalt – besonders durch den Islamismus verursacht – bei vielen Menschen in den letzten Jahren große Besorgnis, wenn nicht gar Ängste ausgelöst. Alle, die religiöse Gewissheiten vertreten, sind plötzlich in den Verdacht geraten, im Zweifelsfall auch Gewalt anzuwenden, um ihre Ansichten durchzusetzen. Manche Christen neigen in dieser Situation dazu, gar nicht mehr über ihren Glauben zu sprechen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Ich glaube, dass wir heute zwei Dinge besonders nötig brauchen, um diese Situation der Verunsicherung zu bewältigen und ein friedliches und tolerantes Miteinander von Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen zu gewährleisten. 1. Information über die verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Anschauung, an denen sich Menschen in unseren Gesellschaften orientieren. Unkenntnis verursacht nämlich Unsicherheit, und Unsicherheit schürt Angst. Angst kann in Aggressivität umschlagen. 2. Klärung der eigenen Identität. Wer bin ich eigentlich? Worauf vertraue ich letzten Endes? Was ist das Ziel meines Lebens? Welche Werte geben mir Orientierung? Wer weiß, wer er selber ist, kann respektvoll und dialogbereit Menschen anderer Überzeugungen begegnen. Ich habe als junger Pfarrer meinen Dienst in Jerusalem und Beit Jala auf der Westbank begonnen, die damals – 1965 – ganz zu Jordanien gehörte. Ich bin also schon vor dem in den 1970er Jahren beginnenden Neuaufbruch des Islam mit dem Islam intensiv in Berührung gekommen. Seitdem weiß ich, dass man mit gläubigen Muslimen besonders gut einen respektvollen Dialog führen kann, wenn man seinen eigenen Glauben erkennbar ernst nimmt. Ich habe ihnen diesen kurzen Einblick in meine Einschätzung der religiösen „Großwetterlage“ gegeben, um zu zeigen, auf welchem Hintergrund ich heute mit Menschen über den christlichen Glauben rede. Ich bin überzeugt, dass es in Europa einen spirituellen Hunger gibt. Sicher, materieller Wohlstand kann auch dazu führen, dass das Fragen und Suchen erstickt wird. Aber es gibt nicht wenige Menschen, die heute die Erkenntnis gewinnen: „Das kann doch nicht alles gewesen sein.“ 3 Unser Motto heißt „Zweifeln und Staunen“. Sie werden vielleicht überrascht sein, dass ich als Pfarrer das Zweifeln fördern möchte. Aber wir müssen viel mehr kritische und radikale, d.h. an die Wurzel gehende Fragen stellen, als wir es gewöhnlich tun. Was trägt wirklich im Leben und im Sterben? Eine Auseinandersetzung kann aber nur einsetzen, wenn es ein Angebot gibt. Und das möchten wir an diesen Abenden von ProChrist in der Expo-Halle machen. Wir möchten Menschen die Gelegenheit geben, sich neu mit dem christlichen Glauben auseinanderzusetzen. Meine eigene Erfahrung ist, dass ich z.B. beim Lesen der Bibel gestaunt habe, wie sehr die Botschaft von Jesus Christus mitten in unser Leben trifft. Mit dem Staunen beginnt das Denken, hat schon der Philisoph Platon gesagt. Und ich glaube, dass mit dem Staunen über Gottes Angebot auch die Neuorientierung unseres Lebens beginnen kann. Alle wichtigen Fragen des Lebens werden in persönlichen Gesprächen geklärt. Ich wünsche mir, dass die ProChrist-Abende viele solcher Gespräch auslösen. Ich sehe meine Aufgabe darin, in diesen Tagen zusammen mit den vielen Christen in dieser Region Impulse zu solchen persönlichen Gesprächen zu geben. Thun, 08.01.2008