Bericht auf livenet

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Bettag 2010
Das christliche Erbe hat Zukunft – wirklich?
Haben christliche Werte Gewicht in der Politik? Wie können sie überhaupt zur Geltung
gebracht werden? Fragen, denen sich ein Podiumsgespräch an der Bettagskonferenz der EVP
am 18. September 2010 in Aarau stellte. Es versammelte die fünf Referenten der gehaltvollen
Tagung.
Werte – aber wie? Thomas Schlag, Philippe Gonzalez, Maja Ingold, Claudia Bandixen und Jeff
Fountain auf dem Podium (von rechts).
Jeff Fountain, Direktor des Schuman Centre for European Studies bei Amsterdam formulierte die
Frage um: «Können unsere (christlichen) Quellen uns auch in Zukunft ernähren – und welche gibt es
denn sonst?» Er erinnerte dabei an den Ratspräsidenten der Europäischen Union, Herman van
Rompuy, der sinngemäss gesagt haben soll: „Humanismus ist Christentum – enthauptet.»
Entscheidend für die Zukunft seien vor allem Beziehungen in Ehe, Familie und Gesellschaft, die aus
der christlichen Tradition lebten, so Fountain. Wenn sie zerfielen, zerfalle auch die Gesellschaft und
letztlich der Staat.
Ohne christliches Etikett
Der Lausanner Religionssoziologe Philippe Gonzalez ist überzeugt, dass christliche Werte nicht so
schnell unter den Tisch gekehrt werden könnten. Sie würden aber heute nicht mehr als «christliche
Werte» wahrgenommen. Wenn sie jedoch – ohne das christliche Etikett! – aufgenommen und
diskutiert würden, könnten sie neu zur Geltung kommen und auch Atheisten, Agnostiker oder
Muslime überzeugen. Denn die «christlichen Werte» hätten in der politischen Debatte mehr denn je
ihre Berechtigung, sagte Gonzalez, der über «evangelikalen Protestantismus» doktoriert hat.
«Christlicher Wertehorizont»
Professor Thomas Schlag von der Theologischen Fakultät der Uni Zürich wollte nicht von
«christlichen Werten» sprechen, sondern lieber von einem «christlichen Wertehorizont». Denn die
ehemals christlichen Werte seien «durchsäkularisiert» worden. Begriffe wie «Solidarität» oder
«Toleranz» hätten christliche Wurzeln. Wichtig sei, dass sich die Christen in die Wertedebatte
einschalten, betonte Schlag. Sie müssten sich zu Wort melden, wenn es um das «Lebensdienliche»
gehe. Das «Christliche» könne nicht mehr als Label verwendet werden. Eine Maxime für politisches
Handeln könne sein: «Niemand soll unter politischen Entscheiden leiden müssen.»
Die EVP-Bettagskonferenz im hellen Aargauer Grossratssaal.
Mutiger!
Claudia Bandixen, Aargauer Kirchenratspräsidentin, antwortete dezidiert auf die Frage von EVPNationalrätin Maja Ingold, wie denn Werte geschützt werden könnten, wenn nicht mit Gesetzen.
Werte müssten «aktiv gestaltet» und nicht nur geschützt werden, sagte Bandixen: «Wo es darum geht,
sich zu positionieren und zu handeln, sollten wir mutiger sein!» Sie erwähnte dazu, dass es auf
säkularen Veranstaltungen heute zuweilen nicht mehr erwünscht sei, dass Pfarrpersonen mit ihrem
Titel auf der Rednerliste aufgeführt würden. Die Kirche müsse dies geltend machen und damit auch zu
ihrer Botschaft stehen.
Die Rechte der Anderen
Maja Ingold hatte in ihrem Referat erwähnt, dass das Pochen auf Werte – zum Beispiel im
Gesundheitswesen – immer wieder an die Grenzen der (finanziellen) Realitäten stosse. Sie nannte ein
anderes Beispiel: Konsequent biblische Werte zu befolgen hiesse, dass «wir alle der GSOA beitreten».
Sie löste damit eine kleine Debatte aus. Jeff Fountain betonte dazu, der Staat könne nicht immer
gemäss christlichen Positionen handeln. Er müsse zum Beispiel auch Gewalt einsetzen, um Rechte
und Freiheit zu schützen. Er erinnerte dabei an die Pflicht der christlichen Politik, sich nicht nur für
die eigenen Rechte einzusetzen, sondern für diejenigen aller Menschen, zum Beispiel auch für die
Religionsfreiheit der Muslime.
Kirche im öffentlichen Raum: Die Aargauer Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen.
Christliche Symbole
Sollen sich Christen für die christlichen Symbole in der Öffentlichkeit einsetzen? Zu dieser Frage von
Moderator Joel Blunier überraschte Claudia Bandixen mit der Feststellung: «Das wichtigste Symbol
der Reformierten ist das Wort.» Die Freiheit des Wortes sei noch wichtiger als das Kreuz im
öffentlichen Raum. Thomas Schlag erinnerte daran, dass gerade das Kreuz sehr unterschiedliche
Vorstellungen auslöse. «Für die Römer war es ein Hinrichtungsgerät, für die Muslime bedeutet es ein
Schwert.» Viele Symbole oder Handlungen hätten für eine kommende Generation eine andere
Bedeutung, so der Theologieprofessor.
Philippe Gonzalez zog eine Bilanz mit den Worten: «Die christliche Tradition in der Schweiz kann
nicht ausgelöscht werden.» Im Blick auf einen kämpferischen Laizismus, der gegen christliche
Symbole kämpfe, meinte der Soziologe: «Wir können für die Werte dieser christlichen Tradition
einstehen und damit auch Menschen überzeugen, die sich nicht als Christen sehen.»
Datum: 20.09.2010
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch
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