Predigt im "doc" - Seminar St. Matthias mit Gymnasium und Kolleg

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Erzbischof Dr. Reinhard Marx:
Predigt bei der Eucharistiefeier am 16.04.2008 in der Seminarkirche Waldram
Lesung: Apg 12,24 - 13,5 Evangelium: Joh 12,44 - 50
Im Namen des Vater und des Sohnes und des hl. Geistes. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder, besonders liebe junge Christen, die sich hier im Seminar
und in der Schule auf das Abitur, auf ihr weiteres Leben vorbereiten!
Spätberufenenseminar St. Matthias, Waldram – schon im Namen klingt etwas von der
Gründungsgeschichte an. Am Anfang stand die Überlegung, wie können Menschen,
die eine Berufung zum priesterlichen Dienst spüren, die menschlichen und geistigen
Voraussetzungen finden, um diesem Ruf zu folgen.
Heute ist dieses Spätberufenenhaus auch offen für die Externen, die in gewisser Weise
auch etwas später berufen sind, vielleicht nicht alle zum priesterlichen Dienst oder zu
einem anderen Dienst in der Kirche, aber doch nach einer gewissen Lebensgeschichte
hierher kommen. Viele von Euch haben irgendwann erfahren, das gilt für die
Seminaristen und für die anderen Schülerinnen und Schüler, es fehlt noch „etwas“. Ich
brauche noch „etwas“. Ich möchte meinem Leben eine neue Wendung geben, möchte
ein neues Ziel finden. Was ist eigentlich mein Lebensziel? Was könnte meine
Perspektive sein? Das hat Euch hier zusammengeführt. Gemeinsam ist dieser Wille,
das Leben nicht einfach laufen zu lassen wie einen Naturprozess, sondern es zu
gestalten, selbst zu sagen, was in meinem Leben wichtig ist und was nicht, was
Priorität hat und was nicht. Nicht sich leben zu lassen, sondern selbst zu leben. Ich
glaube, dass man das für alle von Euch sagen kann, die jetzt hier sind, die eine Wende
erfahren haben und sagen: Jetzt fang ich noch mal an und mache das Abitur! Aber das
ist ja nur die äußere Rahmenbedingung dafür, dass es weiter geht, dass ein Ziel im
Leben da ist.
Und da kommen wir an einen wichtigen Punkt, liebe Schwestern und Brüder, der
vielleicht doch etwas unterschiedlich ist zwischen den Seminaristen und den Anderen.
Zunächst einmal ist das gemeinsame Ziel das Abitur. Das ist die Grundvoraussetzung
für den weiteren Weg, denn die Kirche weiß, und das ist schon in der jüdischen
Tradition so, von Gott reden kann man nur, wenn man auch seinen Kopf anstrengt. Von
Gott reden ist nicht nur ein „emotionaler Event“, sondern es ist auch ein Nachdenken,
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es ist geistige Arbeit und die setzt voraus, dass man denken lernt. Das ist eine alte
jüdisch-christlich Überzeugung. Luther übersetzt ja so schön das Wort Synagoge
gerade deswegen mit ‚Schule’.
Aber wo ist der Unterschied zwischen den Seminaristen und den Externen? Immer
wieder beschäftige ich mich mit dem Hl. Ignatius und seinem Exerzitienbüchlein aus
dem 16. Jahrhundert. Dort wird zum ersten Mal in dieser Intensität die Frage
aufgeworfen: Wie findet der Christ seine Berufung? Wie findet er seinen Weg? Wie
kann er eigentlich wissen, was Gott von ihm erwartet? Das war eine sehr neue Frage.
Und Ignatius, der Gründer des Jesuitenordens, legt Wert darauf, dass jeder Mensch
sich dieser Frage stellt. Das ist der Sinn seiner Exerzitien. Vier Wochen sollen sie
dauern. Vier Wochen täglicher intensiver Auseinandersetzung mit der Frage: Was will
Gott von mir? Die Grundvoraussetzung, um diese Frage zu stellen, ist zu wissen, dass
das was Gott will, für mich das Beste ist. Das sagt der Hl. Ignatius sehr deutlich. Es
geht nicht zunächst um diesen oder jenen Beruf, sondern um eine Lebenswahl, um
eine geistliche Grundentscheidung.
Bevor ich mich für einen Beruf entscheide, muss ich doch überlegen, welche Wahl Gott
in Jesus Christus für mich getroffen hat. Gott entscheidet nicht für mich, ob ich Lehrer
werde oder Maurer. Das ist eine andere Kategorie, das muss ich nach meinen
Fähigkeiten, Ideen und Möglichkeiten selbst überlegen. Aber die Wahl, die davor liegt,
ist die Wahl zum Christ-sein. Will ich an Christus glauben und mich ihm stellen, höre ich
auf seine Stimme, bin ich mit ihm verbunden? Es ist dann auch die Frage, welchen
„Stand“ ich in der Kirche einnehmen soll. Die Grundvoraussetzung für diese
Lebenswahl - das ist keine Berufswahl, sondern eine Lebenswahl - ist, dass Gott
existiert. Und dass ich glaube, dass er mich in Christus anspricht, etwas mit mir vor hat
und mir nicht gleichgültig gegenüber tritt.
Als ich gerade Weihbischof geworden war, das ist jetzt 12 Jahre her, wurde ich vor
einer Talkshow gewarnt, das sei ein ganz scharfer Interviewer, ich solle aufpassen,
dass ich nicht auf „glitschiges Gelände“ komme und herein gelegt werde. Ich habe mich
entsprechend vorbereitet, aber es kam doch eine Frage, die mich überraschte. Denn
der Interviewer fragte: „Herr Weihbischof, glauben Sie an Gott?“ Da dachte ich, da
kannst du nur mit „Ja“ antworten, etwas anderes ist nicht möglich. Aber da ist sicher
noch etwas dahinter, da wird noch etwas kommen. Und richtig, ich sagte: „Ja, ich
glaube an Gott“. Dann kam die zweite Frage: „Glaubt Gott auch an Sie?“ Da musste ich
einen Augenblick überlegen, und habe dann geantwortet: „Ja, das glaube ich auch,
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aber nicht so wie ich an ihn glaube. Aber ich glaube, dass er mich geschaffen hat, dass
er mir sagt: Mit dir ist etwas anzufangen. Er glaubt an mich, weil er mich liebt und weil
er sagt: Mach was aus deinem Leben. Ich hab etwas vor mit dir, lass dich nicht hängen,
du bist etwas Einmaliges, Wunderbares. Ich habe dich geschaffen, also tu etwas! So
glaubt er an mich“.
Und das, liebe junge Christen, liebe Schwestern und Brüder, ist eine Grundvoraussetzung für die Lebenswahl. Dass ich an Gott glaube, dass ich daran glaube,
dass er mich in Christus anspricht und etwas mit mir vorhat. Diese Frage müssen sich
besonders die Seminaristen stellen, die vor einer Lebenswahl stehen, aber die anderen
natürlich auch, jeder einzelne. Bin ich dazu berufen, zu heiraten oder nicht zu heiraten?
Das ist eine Lebenswahl, keine Berufswahl. Es ist eine Lebenswahl, Ordensmann oder
Ordensfrau oder Priester zu werden, oder eine Familie zu gründen.
Das waren für Ignatius ganz wichtige Voraussetzungen, und der Weg dahin muss
gemeinsam mit Christus gegangen werden. Der priesterliche Dienst ist nicht einfach ein
Beruf wie jeder andere. Nach dem Motto: Was könnte ich denn mal beruflich machen?
Mit den Händen arbeiten, kann ich nicht, also werde ich Pastor. Das ist keine
Grundlage, sondern die Frage ist, welche Wahl hat Christus für mich getroffen. Und
dieser Wahl stimme ich zu. Das ist der Weg, den wir zum priesterlichen Dienst und zum
Ordensberuf gehen. Und dann kann im Ordensberuf eine Ordensschwester in der
Küche arbeiten, kann Oberin sein, kann Lehrerin sein, das ist dann etwas anderes. Es
kann genau so die Wahl sein, in der Familie zu leben, um als Vater und Mutter in der
Kirche und in der Welt zu wirken.
Die Grundwahl, wo ich meinen Ort in der Kirche finde, die kann ich nur von Christus her
geschenkt bekommen und seiner Wahl stimme ich zu. Das ist der Weg der Exerzitien
des Hl. Ignatius.
Liebe junge Christen, liebe Schwestern und Brüder! Ich wünsche allen, dass sie diese
Wahl Gottes auch als ihre Wahl erkennen und dann eine rechte Entscheidung fällen.
Aber nicht in dem Sinne, dass ich danach frage, was nur für mich gut ist. Sondern ich
glaube, das gilt für alle, die in diesem Haus miteinander eine Gemeinschaft bilden, sie
sollten sich fragen: Was ist in der Begegnung mit Christus für mich wichtig und richtig?
Wie sieht er mein Leben? Die Antwort darauf kann man nur im Gebet finden. Wir haben
es eben in der Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 12,24-13,5) gehört: Die
Sendung von Barnabas und Saulus geschieht, nachdem sie Gottesdienst gefeiert
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haben. Dann wird gefastet und gebetet, und dann bekommen die Beiden die Hände
aufgelegt und werden losgeschickt. Ich glaube, das gilt für alle Brüder und Schwestern
in der Kirche. Hier in der Feier der hl. Eucharistie ist das Zentrum. Wenn die Kirche das
vergisst, wenn eine Pfarrei das vergisst, wenn eine Familie das vergisst, dann wird die
lebendige Beziehung zu Christus, immer, immer, immer schwächer. Dann werden auch
die christlichen Werte in unserem Lande nicht bestehen. Sie werden zwar immer
wieder beschworen, aber die christlichen Werte bleiben nur bestehen, wenn wir an
Christus glauben. Man kann sie doch nicht lösen von Christus, vom Evangelium, als ob
man das einfach weglassen könnte. Man nehme die christlichen Werte, aber den
Gottesdienst lassen wir bei Seite. Das Gebet brauchen wir nicht mehr und die Kirche
nur, wenn wir irgendwelche sozialen und anderen Einrichtungen nötig haben. Nein, das
kann nicht funktionieren. Dann gibt es vielleicht noch eine Abendsonne der christlichen
Werte in Europa, aber nicht mehr den Sonnenaufgang.
Liebe Schwestern und Brüder! Deswegen ist es wichtig, dass wir, und gerade Ihr als
junge Christen Euch überlegt, wie kann ich mit Christus Gemeinschaft haben? Damit
ich in der Lebenswahl dem zustimmen kann, was Christus für mich will. Diese Aufgabe
kann hier in der Gemeinschaft des Hauses erleichtert werden.
Und dann erst kommen die anderen Fragen hinzu: Wie soll das ausgestaltet sein?
Finde ich die richtige Frau, finde ich den richtigen Mann, habe ich die Chance den
richtigen Beruf zu ergreifen? Soll ich etwas anderes tun? Das sind Fragen und
Entscheidungen, die oft von den Umständen her an uns herangetragen werden. Aber
die Grundentscheidung muss ein Christ irgendwann einmal fällen und dazu stehen: Ja,
ich bin Christ! Ich bin sogar froh darüber! Diese Überzeugung kann wachsen, auch und
gerade in einer solchen Gemeinschaft.
Liebe Schwestern und Brüder, so soll die Schulgemeinschaft, aber auch das Seminar
wirken. ‚Seminarium’ heißt ja „Pflanzstätte“. Es soll wie ein Garten sein, in dem die
Blumen gepflanzt und gepflegt werden. Ein wichtiger Gedanke für das ‚Seminarium’ ist
die Communio, die Gemeinschaft aller miteinander. Und gerade das ist eine Chance,
die hier in Waldram noch stärker zu spüren ist, so hoffe ich jedenfalls, als in anderen
Schulen. Was für eine Gemeinschaft kann hier entstehen bei so vielen Schülerinnen
und Schülern, zwischen Lehrenden und Lernenden, und bei den Lernenden
untereinander! Das gehört zur Reifung des Menschen dazu: der Austausch, die
Begegnung, die Korrektur durch den Anderen, die Fähigkeit, einander zu verzeihen und
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zu helfen. Wie schwach ist das manchmal entwickelt in unserer Gesellschaft, in der
Familie. Oder ein positives Wort zueinander zu sagen: das hast du gut gemacht – gut,
dass du da bist – gut, dass es dich gibt. Prima! Welch einen Rückenwind kann das
auslösen! Das sind, wie wir heute sagen, die Grundkompetenzen der Menschen, die
notwendig sind für ein gelingendes, glückliches Leben. Glückliches Leben lernt man
nicht am PC, glückliches Leben lernt man in der Begegnung mit Menschen. In der
Begegnung, in der Gemeinschaft, im gemeinsamen Fest, in der gemeinsamen Trauer,
in der gemeinsamen Angst, im Teilen des Lebens. Genau das hat die Urgemeinde
erlebt, so wie es in der Apostelgeschichte geschildert wird. Die Gemeinschaft dient in
besonderer Weise dazu - das ist meine Hoffnung und daran werde ich arbeiten-, dass
sie sich immer wieder um den Altar versammelt. Auch in unserer Diözese soll die
Gemeinde, die Pfarrei wissen, am Altar ist die Mitte, hier begegnen wir Christus. Wir
wollen nicht ohne ihn leben. Wir wollen nicht ohne Christus leben! Das muss unsere
Überzeugung sein.
Wir haben, liebe Schwestern und Brüder, im Johannesevangelium (Joh 12,44-50)
gehört, wie Jesus sich ganz eng mit dem Vater verbindet und wie er uns deutlich
macht, dass der Blick auf ihn der Blick in das Geheimnis Gottes ist. Das ist das
Spezielle, das Außergewöhnliche des christlichen Glaubens. Heute wird oft davon
gesprochen, irgendwie sei Religion schon gut, aber ohne zu sagen, was genau wichtig
ist. Der christliche Glaube ist etwas provozierend Anderes als einfach nur die
Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln. Hier wird gesagt, dass in diesem
Menschen Jesus von Nazareth Gott selber mich anspricht. Diese Verbindung von Gott
und Mensch, diese radikale Identifizierung von Gott und Mensch in der Person Jesu
Christi, gibt es in keiner anderen Religion. Das ist eine Herausforderung und eine
Befreiung und ein starker Auftrag.
Jesus sagt im heutigen Evangelium: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich,
sondern an den, der mich gesandt hat, und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt
hat.“ Ich wünsche sehr, dass dieses Haus auch den Raum bietet, in Christus dem Vater
zu begegnen.
Manchmal wird gefragt, wie das mit der Weitergabe des Glaubens wird, da viele
Menschen sich nicht mehr für den Glauben interessieren. Das ist wahr. Was ist die
Voraussetzung zur Weitergabe des Glaubens? Die Voraussetzung ist ein Minimum an
geistigem Interesse. Wer geistig tot ist, nur noch konsumiert, nur noch vor dem Flipper
steht, den kann man kaum bewegen. Das habt ihr vielleicht in eurem Leben auch
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gespürt und entschieden, noch mal neu anzufangen. Das Bisherige reicht noch nicht.
Aber diesen Schritt muss man zunächst tun in einer geistigen Auseinandersetzung.
Deswegen ist die Schule auch die Grundvoraussetzung für das, was später an
menschlicher Reifung vollendet werden kann. Natürlich wollen wir nicht ewig in der
Schule bleiben. Zu lernen ist eine Phase des menschlichen Lebens, aber eine
notwendige. Von Anfang an war der christliche Glaube, ebenso wie der jüdische
Glaube, auch ein Lernfach, und das ist bis heute so. Die Heilige Schrift zu kennen,
beten zu lernen, den Gottesdienst zu verstehen, sind wichtige Voraussetzungen, damit
ich überhaupt in den Raum eintreten kann, in dem Christus mir begegnet.
Der Hl. Ignatius, von dem ich gesprochen habe, hat immer für die Meditationen einen
Vorausschritt, das heißt, man muss sich vorbereiten. Man fängt nicht einfach an:
Kniebeuge – Kreuzzeichen - Vaterunser – raus – schnell wieder weg ...
Ignatius sagt: Nein, baut den Schauplatz auf! Was ist der Schauplatz? Man setzt sich
erst einmal hin, wird erst mal ruhig und man schaut auf das Evangelium – man sagt,
Christus ist jetzt hier. Er spricht mich an, das Evangelium ist keine Vergangenheit.
Schaffe erst einmal den Rahmen, stell die Bühne auf.
So ähnlich ist das auch, glaube ich, wenn wir über Schule nachdenken, über Lernen,
Beziehungen, Begegnungen, Gemeinschaft, Fest und Feiern. Wir bauen sozusagen
einen Schauplatz auf, eine Lebensbühne. Aber eben im Blick auf den, der auch auf
diese Bühne gehört, den auferstandenen Jesus Christus, der uns dann begegnen wird.
Aber dazu ist Wissen notwendig, menschliche Reifung, ein Minimum an geistiger
Aktivität und Offenheit, ein Minimum an Neugierde. Der Glaube ist ein großes
Abenteuer des menschlichen Geistes. All das ist notwendig und soll hier in Waldram
geweckt werden für die Seminaristen und auch für alle Anderen, die Externen.
Liebe Schwestern und Brüder, so wünsche ich diesem Haus wirklich von ganzem
Herzen Gottes Segen, dass es ein solcher Schauplatz ist, der aufbereitet ist. Eine
Bühne, auf der die Menschen sich hineinstellen in die Gemeinschaft mit Christus. Ein
Ort, an dem sie menschlich reifen, die Lebenswahl und auch eine Berufswahl treffen
können, vielleicht sogar einen Partner finden. Jesus Christus trifft die Wahl, und der
Wahl müssen wir dann zustimmen. Bitten wir den Herrn, dass er uns diese Gnade
immer wieder schenkt. Bitten wir den Herrn, dass er Sie alle, Euch alle, die in diesem
Haus ein- und ausgehen, segnet. Amen.
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