Gedanken einer Pflegemutter (511)

Werbung
Gedanken einer Pflegemutter
Irgendwann, so vor drei Wochen klingelte mein Telefon.
„Klein, Hallo…!“ „Ja, hier Rütting vom Jugendamt, ich hätte da mal eine Bitte…“ Geduldig höre
ich mir alles an, sage zu, verspreche der Bitte auch zeitnah zu entsprechen und lege auf. Für eine
Broschüre, die das Jugendamt plant, soll ich Gedanken einer Pflegemutter zu Papier bringen.
Super!!!
Merkwürdigerweise ist mein erster Gedanke nach dem Telefonat: Das wievielte Telefonat wird dies
in den letzten Jahren gewesen sein? Wie viele Gespräche, Anfragen und Bitten sind dieser Zeit
zwischen dem Jugendamt, in Person von Frau Christine Rütting und mir telefonisch oder persönlich
Hin- und Her gegangen? Hunderte waren es bestimmt. Und immer ging es dabei um die
Geschwister Ronny und Sabrina, unsere Pflegekinder.
Sie kamen „damals“ kurz vor Weihnachten und einen Monat vor meinem 30. Geburtstag in unsere
Familie, unser leiblicher Sohn Robert war fünf Jahre, mein Mann Gerald und ich voll berufstätig.
Hätte ich damals gewusst, wie sich durch die Aufnahme unserer Pflegekinder unser komplettes
Leben ändern wird, hätte ich wahrscheinlich aus Angst, es niemals zu schaffen, das „Experiment“
Pflegekind wohl nie gewagt.
Doch mit knapp 30, fünf Jahren Erfahrung als Mutter und sieben Jahren Erprobung im Schuldienst
hatte ich nach meinem Empfinden alles im Griff. Und dass wir statt eines Kindes gleich zwei
aufnahmen, konnte doch auch nicht so schlimm werden!? Schließlich war es kurz vor Weihnachten
und da trennt man doch keine Geschwister. Wie schön blauäugig wir doch waren!
Denn jetzt begann die wohl schönste, anstrengendste, aufregendste, erregendste, Zeit- und
kraftraubendste Phase in unserer Familie. Unter dem Motto „Kleine Kinder, kleine Sorgen, große
Kinder, große Sorgen“ wuchs das doch recht ungleiche Kindertrio Ronny, Robert und Sabrina
heran.
Ging es in den ersten Jahren um banale Dinge wie Kindergarten, Einschulungen, aufgeschlagene
Knie, nasse Hosen, verlorene Milchzähne, Läuse und schlaflose Nächte, entwickelten sich später
solche Probleme wie: Was wird aus unserem Pflegesohn nach der Schulzeit? Wie klärt am ein
geistig behindertes Mädchen auf? War es nicht eine „Zumutung“ für unseren leiblichen Sohn, mit
zwei wildfremden, geistig behinderten Kindern aufzuwachsen?
Viele dieser Fragen konnten im Laufe der Zeit beantwortet werden, ein Rest jedoch wird immer
offen bleiben.
Eins jedoch steht fest: Zu bereuen gibt es nichts, zu ändern sowieso nichts!
Es war bestimmt nicht immer alles richtig, aber absolut falsch auch nicht.
Und beim Rückblick auf fast 16 Jahre, Pflegemutter-Dasein bleiben mir doch, und da ist unser
Erinnerungsvermögen sehr gnädig, fast nur die positiven Erlebnisse im Gedächtnis haften. Was gab
es da nicht alles? Diverse Familienfeiern, drei Einschulungen, drei Jugendweihen, Urlaubsreisen
quer durch Deutschland, Dänemark, Norwegen, Ägypten, die Türkei und Österreich.
48 Kindergeburtstage mit glänzenden Augen, wenn dann endlich das langersehnte Geschenk auf
dem Geburtstagstisch lag, feierten wir im Laufe der Jahre. Während in den ersten Jahren Lego,
Barbie und Playmobil auf der Wunschliste standen, waren es später CD´s, MP3 – Player, Fahrräder
oder Tierpatenschaften. Viele lustige Anekdoten könnte ich nicht erzählen, hätten Ronny und
Sabrina nicht bei uns gelebt. Wer kann schon berichten, dass sich sein Sohn so sehr eine
Zahnspange wünschte, dass er schon mal vier Wochen heimlich die seines Mitschülers Probe
getragen hat?
Oder wer hat „Handfeger und Kehrblech“ in seinem Haushalt? (Ronny konnte nie Handfeger und
Kehrblech sagen)
Als Ronny mit 19, vor drei Jahren das Haus verließ, um bei der Lebenshilfe in Weddersleben in ein
betreutes Wohnen zu ziehen und ein Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte aufzunehmen, spielte
in mir alles verrückt. Lange vorher wusste ich, dass dieser Tag kommen wird und alles gut
vorbereitet war. Nur ich war nicht zum Loslassen bereit.
Ich heulte morgens, wenn Ronny am Frühstückstisch fehlte, und abends wieder, denn sein Platz war
immer noch leer. Es wurde ein langer und schwieriger Prozess des Abnabelns. Mittlerweile kann ich
Ronny nach einem Besuch beruhigt gehen lassen, denn ich weiß, dass es ihm auch ohne mich gut
gehen kann.
Robert und Sabrina leben derzeit noch in der Familie. Doch auch bei Ihnen merke ich, dass der
Trennungsprozess schon längst eingesetzt hat. Ich verwalte für sie immer mehr das „Hotel Mama“,
als dass ich Nase putzen und Tränen trocknen muss.
Wäsche wird gewaschen, Essen ist immer ausreichend im Kühlschrank, Freunde können natürlich
auch zu den unmöglichsten Zeiten scharenweise in unser Haus einfliegen, Fragen nach dem
Kommen, Bleiben und Gehen sollten möglichst nicht mehr gestellt werden, Hinterher telefonieren
wird gar nicht mehr geschätzt.
Ich bin mit und an meinen Kindern gewachsen, ich hatte die Möglichkeit, Menschen und
Situationen kennenzulernen, von denen ich vor meiner Pflegemutterschaft nicht die leiseste Ahnung
hatte, ich bin aber auch an persönliche Grenzen gestoßen und stand vor Aufgaben, die von mir das
Äußerste verlangten.
Wie man so etwas schaffen kann?
Da gibt es kein Patentrezept. Nur einen Tipp habe ich an alle Pflegemütter: Suchen Sie sich einen
verlässlichen Partner, der mit ihnen alle Höhen und Tiefen im Pflegefamilienalltag meistern will.
Schaffen Sie sich ein soziales Netzwerk und nehmen Sie sich hin und wieder kleine Auszeiten, denn
Pflegemütter sind auch nur Menschen.
Ines Klein
Herunterladen