Gedanken einer Pflegemutter Irgendwann, so vor drei Wochen klingelte mein Telefon. „Klein, Hallo…!“ „Ja, hier Rütting vom Jugendamt, ich hätte da mal eine Bitte…“ Geduldig höre ich mir alles an, sage zu, verspreche der Bitte auch zeitnah zu entsprechen und lege auf. Für eine Broschüre, die das Jugendamt plant, soll ich Gedanken einer Pflegemutter zu Papier bringen. Super!!! Merkwürdigerweise ist mein erster Gedanke nach dem Telefonat: Das wievielte Telefonat wird dies in den letzten Jahren gewesen sein? Wie viele Gespräche, Anfragen und Bitten sind dieser Zeit zwischen dem Jugendamt, in Person von Frau Christine Rütting und mir telefonisch oder persönlich Hin- und Her gegangen? Hunderte waren es bestimmt. Und immer ging es dabei um die Geschwister Ronny und Sabrina, unsere Pflegekinder. Sie kamen „damals“ kurz vor Weihnachten und einen Monat vor meinem 30. Geburtstag in unsere Familie, unser leiblicher Sohn Robert war fünf Jahre, mein Mann Gerald und ich voll berufstätig. Hätte ich damals gewusst, wie sich durch die Aufnahme unserer Pflegekinder unser komplettes Leben ändern wird, hätte ich wahrscheinlich aus Angst, es niemals zu schaffen, das „Experiment“ Pflegekind wohl nie gewagt. Doch mit knapp 30, fünf Jahren Erfahrung als Mutter und sieben Jahren Erprobung im Schuldienst hatte ich nach meinem Empfinden alles im Griff. Und dass wir statt eines Kindes gleich zwei aufnahmen, konnte doch auch nicht so schlimm werden!? Schließlich war es kurz vor Weihnachten und da trennt man doch keine Geschwister. Wie schön blauäugig wir doch waren! Denn jetzt begann die wohl schönste, anstrengendste, aufregendste, erregendste, Zeit- und kraftraubendste Phase in unserer Familie. Unter dem Motto „Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen“ wuchs das doch recht ungleiche Kindertrio Ronny, Robert und Sabrina heran. Ging es in den ersten Jahren um banale Dinge wie Kindergarten, Einschulungen, aufgeschlagene Knie, nasse Hosen, verlorene Milchzähne, Läuse und schlaflose Nächte, entwickelten sich später solche Probleme wie: Was wird aus unserem Pflegesohn nach der Schulzeit? Wie klärt am ein geistig behindertes Mädchen auf? War es nicht eine „Zumutung“ für unseren leiblichen Sohn, mit zwei wildfremden, geistig behinderten Kindern aufzuwachsen? Viele dieser Fragen konnten im Laufe der Zeit beantwortet werden, ein Rest jedoch wird immer offen bleiben. Eins jedoch steht fest: Zu bereuen gibt es nichts, zu ändern sowieso nichts! Es war bestimmt nicht immer alles richtig, aber absolut falsch auch nicht. Und beim Rückblick auf fast 16 Jahre, Pflegemutter-Dasein bleiben mir doch, und da ist unser Erinnerungsvermögen sehr gnädig, fast nur die positiven Erlebnisse im Gedächtnis haften. Was gab es da nicht alles? Diverse Familienfeiern, drei Einschulungen, drei Jugendweihen, Urlaubsreisen quer durch Deutschland, Dänemark, Norwegen, Ägypten, die Türkei und Österreich. 48 Kindergeburtstage mit glänzenden Augen, wenn dann endlich das langersehnte Geschenk auf dem Geburtstagstisch lag, feierten wir im Laufe der Jahre. Während in den ersten Jahren Lego, Barbie und Playmobil auf der Wunschliste standen, waren es später CD´s, MP3 – Player, Fahrräder oder Tierpatenschaften. Viele lustige Anekdoten könnte ich nicht erzählen, hätten Ronny und Sabrina nicht bei uns gelebt. Wer kann schon berichten, dass sich sein Sohn so sehr eine Zahnspange wünschte, dass er schon mal vier Wochen heimlich die seines Mitschülers Probe getragen hat? Oder wer hat „Handfeger und Kehrblech“ in seinem Haushalt? (Ronny konnte nie Handfeger und Kehrblech sagen) Als Ronny mit 19, vor drei Jahren das Haus verließ, um bei der Lebenshilfe in Weddersleben in ein betreutes Wohnen zu ziehen und ein Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte aufzunehmen, spielte in mir alles verrückt. Lange vorher wusste ich, dass dieser Tag kommen wird und alles gut vorbereitet war. Nur ich war nicht zum Loslassen bereit. Ich heulte morgens, wenn Ronny am Frühstückstisch fehlte, und abends wieder, denn sein Platz war immer noch leer. Es wurde ein langer und schwieriger Prozess des Abnabelns. Mittlerweile kann ich Ronny nach einem Besuch beruhigt gehen lassen, denn ich weiß, dass es ihm auch ohne mich gut gehen kann. Robert und Sabrina leben derzeit noch in der Familie. Doch auch bei Ihnen merke ich, dass der Trennungsprozess schon längst eingesetzt hat. Ich verwalte für sie immer mehr das „Hotel Mama“, als dass ich Nase putzen und Tränen trocknen muss. Wäsche wird gewaschen, Essen ist immer ausreichend im Kühlschrank, Freunde können natürlich auch zu den unmöglichsten Zeiten scharenweise in unser Haus einfliegen, Fragen nach dem Kommen, Bleiben und Gehen sollten möglichst nicht mehr gestellt werden, Hinterher telefonieren wird gar nicht mehr geschätzt. Ich bin mit und an meinen Kindern gewachsen, ich hatte die Möglichkeit, Menschen und Situationen kennenzulernen, von denen ich vor meiner Pflegemutterschaft nicht die leiseste Ahnung hatte, ich bin aber auch an persönliche Grenzen gestoßen und stand vor Aufgaben, die von mir das Äußerste verlangten. Wie man so etwas schaffen kann? Da gibt es kein Patentrezept. Nur einen Tipp habe ich an alle Pflegemütter: Suchen Sie sich einen verlässlichen Partner, der mit ihnen alle Höhen und Tiefen im Pflegefamilienalltag meistern will. Schaffen Sie sich ein soziales Netzwerk und nehmen Sie sich hin und wieder kleine Auszeiten, denn Pflegemütter sind auch nur Menschen. Ines Klein