PONTIFIKALAMT ANLÄSSLICH DER 900-JAHRFEIER DES MARKTES BERCHTESGADEN AM 7. APRIL 2002 UM 18.30 UHR IN DER STIFTSKIRCHE (2. SONNTAG DER OSTERZEIT: APG 2, 42-47; 1 PETR 1, 3-9; JOH 20, 19-31) Predigt: Schwestern und Brüder im Herrn! 1. Das heutige Fest des Gründung des Marktes Berchtesgaden vor 900 Jahren wird in der Liturgie vom Wort Gottes, das wir gehört haben, mit Texten begleitet, die von Freude überquellen. In der Ersten Lesung aus der Apostelgeschichte wird uns über die Urgemeinde in Jerusalem berichtet: „Sie hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt.“ Der Erste Petrusbrief, aus dem uns die Zweite Lesung vorgetragen wurde, sagt den Glaubenden seiner Zeit und aller Zeiten: „Ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude.“ Und das Evangelium schließlich berichtet uns, wie sich die Jünger am Ostertag freuten, als sie den Herrn sahen: „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ Und wir haben den Herrn zu Thomas und zu uns sagen hören: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Es ist die Freude, die vom auferstandenen Herrn her sich allen mitteilt, die an ihn glauben. Denn das ist die Frohe Botschaft, die die Kirche zu allen Zeiten verkündet hat: „Wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr’ und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt’, so wirst du gerettet werden“ (Röm 10, 9). Es gibt keine größere Freude als die über das Heil, über das Gerettetsein. Und diese Freude kann nur der Auferstandene schenken. 2 Eingetaucht in diese Freude, sollten wir bei zwei Worten des Evangeliums verweilen, die zu der heutigen Feier eine besondere Nähe haben. 2. Das erste Wort ist das Wort über den Glauben. Es geht um den Glauben der Apostel, die wie Thomas den auferstandenen Herrn gesehen und berührt haben; er veranlasst Thomas zu dem freudigen Ausruf: „Mein Herr und mein Gott!“ Es geht aber auch um den Glauben der späteren Generationen, die den auferstandenen Herrn zwar nicht mit den Sinnen haben wahrnehmen können, sondern ihn allein aus der Kraft der Frohen Botschaft empfangen haben, deren Freude aber deswegen nicht geringer ist, ja, die selig sind: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Der Herr sprach eben auch von unserer Freude. Berchtesgaden kann heute mit Freude auf seine Geschichte zurückschauen. Viele Faktoren haben auf sie eingewirkt: Neben politischen und kommerziellen, die natürlich ein großes Gewicht haben, spielt das Element des Glaubens darin eine keineswegs nebensächliche Rolle, ja, es ist für sie kennzeichnend. Und dabei ist der Bezug auf denjenigen wesentlich, der der sichtbare Grundstein unseres Glaubens ist: der Bezug auf Petrus, auf den Christus seine Kirche gegründet hat (vgl. Mt 16, 18; Joh 21, 15-17). Am Anfang des Marktes Berchtesgaden vor 900 Jahren steht die Bulle des Papstes Paschalis II. vom 7. April 1102. Und nicht von ungefähr zeigt das Wappen der Fürstpropstei Berchtesgaden die päpstlichen Schlüssel. Sicher stimmt es, dass die Geschichte der christlichen Gemeinden nicht immer eine Geschichte des rein und heilig gelebten Glaubens gewesen ist, nicht immer die Geschichte eines Glaubens voller Liebe. Das gehört zu unserem Pilgerdasein - das gehört zum Staub des geschichtlichen Weges. Auch in der Geschichte von Berchtesgaden hat der Riss im Glauben der Christen in der Vergangenheit schmerzliche Spuren hinterlassen. Der ökumenische Einsatz, der in unseren Tagen dank der Gnade Gottes alle Konfessionen beseelt, zielt heute darauf ab, diesen Riss zu schließen. Letztlich und endgültig aber wird die Überwindung der Spaltung nicht durch strukturelle Reformen erreicht, sondern durch eine Reinigung und eine Vertiefung des Glaubens an den auferstandenen Herrn, der seine Kirche mit 3 immer neuem Leben und neuer Freude im Glauben erfüllen wird: also durch die Gnade Gottes: Denn durch Missgeschicke und Schwierigkeiten hindurch, vor allem kraft seiner Treue, die keinen Riss kennt - Gott ist immer treu, auch wenn wir untreu sind (vgl. 2 Tim 2, 13) - reinigt und kräftigt er in uns den Glauben und lädt uns immer wieder mit den Worten ein: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Ja, selig, weil eben der Glaube dem Menschen das Licht der Wahrheit Gottes mitteilt - weil der Glaube ihn mit einem neuen und höheren Lebenssinn beschenkt - weil der Glaube eine übernatürliche Kraft verleiht, die unser Leben verändert, da er uns mit dem auferstandenen Christus vereinigt: Das ist das größte Wunder des Glaubens. 3. Das zweite Wort ist Friede. Er ist der Inhalt des Grußes, der dem Auferstandenen eigen ist und der auch dem heutigen Evangelium mit sein Gepräge gibt: „Der Friede sei mit euch!“ Es ist ein großer und geheimnisvoller Friede. Wie Jesus beim Letzten Abendmahl gesagt hat, geht es nicht um einen Frieden, wie die Welt ihn gibt. Es ist vielmehr der Friede, der zu den Früchten des Heiligen Geistes zählt (vgl. Gal 5, 22) und der mit der Vergebung der Sünden verbunden ist: Unmittelbar nach dem Friedensgruß sagt der Herr: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.“ Der Friede, den der Herr uns mitteilt, ist der Friede von dem, der Vergebung schenkt und so zu einem neuen Anfang im Leben einlädt. Diesen Frieden hat die Welt immer nötig gehabt - und mehr denn je die Welt von heute. Weltweit wüten zur Zeit mehr als 30 Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen. Und eben in diesen Tagen erleben wir mit ohnmächtiger Bestürzung all das, was dem Frieden entgegengesetzt ist - und das eben da, wo die Worte des Herrn über den Frieden erklungen sind. Und von dem Blut, das dort vergossen wird, mehr mitgenommen als von der Last seines Alters und seiner körperlichen Hinfälligkeit, ruft der Papst aus: „Man hat dem Frieden den Krieg erklärt.“ Der Papst lässt sich trotzdem nicht entmutigen: Er hat der päpstlichen Diplomatie die Weisung erteilt - trotz der engen Grenzen des Handlungsspielraumes in den Beziehungen mit den streitenden Parteien -, 4 allein aus der Kraft des Wortes Gottes Worte des Friedens zu sprechen, an die Früchte des Friedens zu erinnern und neue Wege für den Frieden zu suchen. Friede aber wird nur dann möglich sein, wenn in den Herzen aller Verantwortlichen jener Wille zur Vergebung, jener konkrete Einsatz in der Vergebung wächst, den eben nur Gott schenken kann. Liebe Christen von Berchtesgaden, in dieser heutigen Feier schauen wir die Früchte des Friedens, die Ihre liebe Heimat und das in der Europäischen Union zusammengeschlossene Europa schon seit mehr als einem halben Jahrhundert genießen. Trotz aller Schwierigkeiten, die das menschliche Leben und das bürgerliche Zusammenleben unvermeidlich begleiten, wissen wir den Frieden als ein höchstes Gut zu schätzen. Als Christen sind wir alle engagiert, jeder in seinem Bereich - in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft -, den Frieden zu verbreiten, der uns von Christus her zukommt. Er ist für uns eine unvergleichliche Gabe, aber auch eine unabdingbare Aufgabe. Als Gläubige sind wir auch verpflichtet, den Herrn zu bitten, dass er die Herzen der Menschen zu Gedanken der Gerechtigkeit und der Vergebung lenke, weil es keinen Frieden gibt ohne Gerechtigkeit, aber auch keine Gerechtigkeit ohne Vergebung. Möge der Herr in der Kraft seiner Auferstehung die Herzen der Menschen, die durch Gewalt, die sie erlitten haben, durch die Trauer über den gewaltsamen Tod eines lieben Menschen oder durch Hass verletzt sind, heilen und sie zu einem neuen Leben in Frieden führen. Diesen Frieden, den er für alle Völker verkündet hat, möge der Herr auch dem Land schenken, wo Engel den Frieden den „Menschen seiner Gnade“ (vgl. Lk 2, 14) zugesprochen haben. Der Papst, mit dem wir im Glauben vereint sind, hat am Donnerstag die ganze Kirche eindringlich dazu aufgerufen, angesichts der Welle der Gewalt, die von einem Denken in den Kategorien der Vergeltung und der Rache bestimmt ist, den heutigen Sonntag, der als Sonntag der Barmherzigkeit begangen wird, „einen vielstimmigen Ruf um Vergebung und Barmherzigkeit aufsteigen zu lassen“; dieses Gebet soll - so der Papst - vom Herzen Gottes ein besonderes Eingreifen bei denen erflehen, „die die Verantwortung und die Macht haben, die notwendigen, wenn auch kostspieligen Schritte zu 5 unternehmen, um die streitenden Parteien zu gerechten und würdevollen Vereinbarungen zu führen“. Das Anliegen des Heiligen Vaters wird auch unser Gebet in dieser Feier prägen. Der Apostolische Segen, den ich Ihnen und all Ihren Lieben am Ende der heiligen Messe kraft der mir vom Heiligen Vater erteilten Vollmacht spenden werde, schütze und begleite Sie immer auf Wegen des Friedens.